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Sarah ist an „besondere“ Kundschaft in ihrem Dessous-Laden gewöhnt. Doch niemand weckt ihr Interesse mehr als Jared Gaines, der reiche, gutaussehende Geschäftsmann, der bei ihr Geschenke für seine wechselnden Freundinnen kauft. Als Jared dann jedoch unvermittelt beginnt, ihr Präsente zu schicken, stellt Sarah ihn zur Rede.
Zögernd rückt Jared mit der Wahrheit heraus: Für die Verlobungsfeier seines Bruders braucht er dringend eine Freundin. Zu seiner großen Erleichterung stimmt Sarah seinem Vorschlag zu und kurz darauf sind sie auf dem Weg nach San Francisco – als scheinbar glücklich verliebtes Paar.
Am Ende ihrer gemeinsamen Zeit stellt sich nun die Frage: Was ist zwischen ihnen echt und was vorgetäuscht?
Alle Bücher der Dating Serie können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 425
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Sarah ist an „besondere“ Kundschaft in ihrem Dessous-Laden gewöhnt. Doch niemand weckt ihr Interesse mehr als Jared Gaines, der reiche, gutaussehende Geschäftsmann, der bei ihr Geschenke für seine wechselnden Freundinnen kauft. Als Jared dann jedoch unvermittelt beginnt, ihr Präsente zu schicken, stellt Sarah ihn zur Rede.
Zögernd rückt Jared mit der Wahrheit heraus: Für die Verlobungsfeier seines Bruders braucht er dringend eine Freundin. Zu seiner großen Erleichterung stimmt Sarah seinem Vorschlag zu und kurz darauf sind sie auf dem Weg nach San Francisco – als scheinbar glücklich verliebtes Paar.
Am Ende ihrer gemeinsamen Zeit stellt sich nun die Frage: Was ist zwischen ihnen echt und was vorgetäuscht?
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Monica Murphy ist New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin. Ihre Bücher wurden in fast ein Dutzend Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über eine Million Mal verkauft. Die Autorin lebt mit ihrer Familie, ihrem Hund und vielen Katzen mitten im kalifornischen Nirgendwo. Wenn sie nicht gerade an neuen Büchern schreibt, verbringt sie ihre Zeit am liebsten mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. Sie glaubt fest an Happy Ends, auch wenn ihre Romanfiguren viele bange Momente durchleben müssen, bevor sie endlich zusammen glücklich werden dürfen.
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Monica Murphy
Fake Date
Aus dem Amerikanischen von Beate Darius
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Eins
Manchmal wundere ich mich, was die Wahl eines Jobs so alles nach sich zieht. Im Moment wühle ich mich ellbogentief durch Spitze und Seide, direkt vor mir eine nackte Schaufensterpuppe, deren Titten ich auf Augenhöhe habe, sodass ich einfach nicht anders kann, als hinzusehen.
Und ich kann mir nicht helfen, aber ich denke, sie hat bei Weitem schönere Möpse als ich.
Willkommen bei Bliss, wo wir Fantasie verkaufen.
Genau genommen verkaufen wir Lingerie. BHs, Slips, Negligés, Shortys – ihr wisst schon. Schöne, erotische Wäsche. Sehr teure, exklusive Dessous, wie ihr sie bei Victoria’s Secret nicht findet – obwohl ich kein Problem mit Victoria’s Secret habe.
Erzählt das bloß nicht meiner Chefin.
Was wir bei Bliss nicht verkaufen, ist Sexspielzeug. Marlo, sie ist die Inhaberin und meine Chefin, findet so etwas – igitt – geschmacklos. Andererseits hat sie wunderschöne Feder Tickler und seidene Augenmasken im Sortiment, von denen sie beteuert, die seien als Einschlafhilfe gedacht.
Die Kunden, denen ich bisher so etwas verkauft habe, benutzen diese Teile definitiv nicht als Einschlafhilfe.
Ich arbeite seit ungefähr zwei Jahren hier. Im Lager habe ich angefangen, Kisten aufgemacht und Ware für den Verkauf vorbereitet, das bedeutet, ich habe sie ausgepackt und auf Bügel gehängt. Das ist harte Arbeit und ein total undankbarer Job, aber ich brauchte das Geld. Nach zwei Monaten bot Marlo mir dann eine Teilzeitstelle als Verkaufsassistentin an.
Inzwischen arbeite ich in Vollzeit und genieße gewisse Vergünstigungen. Da ich mit am längsten bei Bliss beschäftigt bin, kann ich mir meine Arbeitszeiten und -tage aussuchen.
Was ich mir nicht aussuchen kann, sind meine Kunden. Manche wollen mich unbedingt als persönliche Einkaufsberaterin buchen. So ein Spezialfall hat sich für heute Morgen angekündigt. Eigentlich müsste er bald eintrudeln.
Ja, ich sagte, er. Begleitet von einem wilden Augenrollen.
»Sarah.« Das sanfte Flüstern reißt mich aus meinen abstrusen Gedanken, und ich lege das mit Brüsseler Spitze besetzte, jungfräulich weiße Negligé beiseite, bevor ich mich zu meiner Kollegin umdrehe. Ich lächle ihr zu, und sie lächelt mitfühlend zurück. Bethany weiß, wie sehr ich diese Verabredungen hasse. Dass sie – und er – mich nerven. »Mr. Gaines ist da«, sagt Bethany mit einer angedeuteten Grimasse.
Das Dauerlächeln ist wie festgezurrt auf meinem Gesicht und verrutscht nicht die Spur. Wie immer, wenn Mr. Jared Gaines im Geschäft ist. Noch einmal tief durchatmen, dann schiebe ich meine Haare hinter die Ohren und gehe in den vorderen Bereich des Ladens, inständig hoffend, dass mein knallroter Lippenstift nicht verschmiert ist. Und dass ich in meinen neuen, ultrahohen High Heels nicht umknicke. Ich habe die Schuhe heute extra für Mr. Gaines angezogen, weil er es schätzungsweise lieber mag, wenn ich größer bin (jedenfalls vermute ich das sehr stark nach unserem letzten Gespräch). Er ist zu früh, wie üblich. Sonst hätte ich vor dem Spiegel kurz überprüft, ob ich in der Rolle glaubwürdig rüberkomme.
In welcher Rolle?, fragt ihr euch jetzt womöglich. Na, in der der kompetenten Dessous-Verkaufsberaterin, natürlich.
Das ist eine von Mr. Jared Gaines Macken – er hält mich gern auf Trab. Als er zuletzt bei Bliss war, erklärte er mir, dass er eine schwarze Seidenkorsage mit passenden Tap Pants für seine aktuelle Geliebte kaufen wolle. Ich solle ihm mal etwas nach meinen Vorstellungen zeigen, meinte er. Er lasse sich gern inspirieren, sonst wäre es doch langweilig.
Tja. Er ist alles andere als langweilig, gemessen an den Bergen von Reizwäsche, die er bei uns einkauft. Ich schätze, es gibt eine endlos lange Liste von Frauen, mit denen er zusammen war. Und das bringt mich auf eine andere Sache, die ich an Jared Gaines nicht ausstehen kann. Er hat viel zu viele Affären. Na ja, er nennt sie Bekanntschaften, Dates, Freundinnen, wie auch immer, aber ich nenne sie Geliebte, was ihn ärgert.
Ich tue alles, was ich kann, um ihn zu ärgern, doch ich darf den Bogen nicht überspannen. Wenn ich mit ihm zu tun habe, bewege ich mich auf dünnem Eis. Und das weiß er.
Der Mistkerl.
Alle Mädchen, die in Carmel-by-the-Sea bei Bliss Lingerie arbeiten, kennen Jared Gaines. Außerdem sind alle scharf auf ihn, weil er attraktiv und jung und reich und erfolgsverwöhnt ist. Er ist Milliardär mit einem Haus am 17-Miles-Drive, das zig Schlafzimmer hat, trotzdem lebt er dort ganz allein. Oh, er hat auch noch eine nette kleine Hütte (Sarkasmus, aufgepasst!) in Tahoe. Wo er im Winter zum Skifahren oder Snowboarden hinfährt, keine Ahnung, vielleicht auch beides. Im Sommer geht er segeln, denn er besitzt selbstverständlich ein Boot. Ich bin mir sicher, es ist was Größeres. Die größte, protzigste Segeljacht weit und breit, weil er genau der Typ dafür ist.
Mehr als einmal habe ich mich gefragt, ob er einen kleinen Penis hat. Ob dies der Grund ist, weshalb er den ganzen Firlefanz kauft – um zu kompensieren, was ihm fehlt.
Vor Kurzem habe ich gelesen, dass er so viele Autos besitzt, wie die Woche Tage hat, vielleicht auch noch mehr. Woher ich das alles weiß? Im Internet stehen unzählige Artikel über ihn. Googelt mal seinen Namen. Dann findet ihr den ganzen Kram.
Okay. Vielleicht nicht alles. Da ist ein kleines Geheimnis, das nicht allzu viele Leute über Jared Gaines wissen: Er ist ein ziemliches Arschloch.
Harte Worte hin oder her, doch es ist die Wahrheit. Ich wette, er selbst steht dazu. Wahrscheinlich ist er sogar stolz darauf, dass man ihn für ein Arschloch hält. Ja, er ist attraktiv und jung und reich und erfolgsverwöhnt mit seinem vielen Geld, den Häusern und Autos. Das ist auch großartig und so weiter, trotzdem ist er unhöflich und anstrengend und kühl und verdammt verschlossen. Diese stillen Wasser kann ich nicht ab.
Solchen Menschen traue ich nicht über den Weg.
Genauso wenig wie Männern mit zu vielen »Freundinnen«.
»Ah, Miss Harrison. Sie sehen heute besonders hübsch aus«, ruft Jared Gaines aus, als ich auf ihn zugehe. Einen Arm auf die Theke gestützt, lehnt er im Kassenbereich, und als ich näher komme, richtet er sich zu seiner vollen Länge auf und streift mich mit einem bewundernden Blick, dass mir am ganzen Körper warm wird.
Ich rede mir ins Gewissen, dass seine Komplimente und seine Blicke nichts zu bedeuten haben. Er ist ein Aufreißer und glaubt, jede Frau, die er haben will, mit seinen Sprüchen rumkriegen zu können. Vielleicht macht er das auch nur, um mich zu nerven.
Und es funktioniert.
Ich komme direkt vor ihm zum Halten, mein freundliches Lächeln so breit, dass meine Mundwinkel jeden Moment zu zittern anfangen. Es ist schwierig, die Fassade aufrechtzuerhalten, wo ich ihn doch am liebsten mit einem Schwall Beleidigungen aus dem Laden jagen würde. Aber dann würde ich auf der Stelle gefeuert, also beherrsche ich mich. »Mr. Gaines. Sie sind zu … früh.« Das letzte Wort äußere ich mit ein wenig Herablassung, in der Hoffnung, dass er es bemerkt.
Natürlich merkt er es. Dem Mann entgeht nichts. »Besser zu früh als zu spät, meinen Sie nicht?« Er zieht eine dunkle Braue hoch, und ich rede mir zu, dass Augenbrauen nicht sexy sein können.
Aber verdammt, seine sind es. Alles an Jared ist sexy. Sein glänzendes dunkelbraunes Haar, die ebenfalls dunkelbraunen Augen, das kantige Kinn, die vollen Lippen und der unglaubliche Körper, den ich nur in einem teuren Anzug kenne. Ich wette, in verwaschenen Jeans und einem lässigen Oberhemd sieht er genauso umwerfend aus. Oder in Shorts und T-Shirt.
Oder, hmmm, vielleicht ohne alles.
Du verabscheust diesen Mann. Er repräsentiert alles, was dir verhasst ist. Er ist ein Weiberheld, einer, der Frauen nur ausnutzt. Du bedeutest ihm nichts, und er bedeutet dir nichts. Vergiss das nicht.
Das Lächeln weiterhin wie festgetackert auf meinem Gesicht, räuspere ich mich. Meine mentalen Argumente funktionieren scheinbar nie, wenn ich Jared Gaines um mich habe. »Ich habe ein paar außergewöhnliche Modelle zur Seite gelegt, von denen ich denke, dass Sie Ihnen gefallen könnten für Miss …«
Ich lasse meine Stimme verebben, so als wäre mir der Name der Frau entfallen, was definitiv hinkommt. Ich erinnere mich nicht an ihren Namen, weil er nie Namen nennt. Er shoppt für einen ganzen Harem anonymer Frauen. Frauen, für die er mindestens einmal im Monat Lingerie kauft, manchmal zweimal.
Ernsthaft. Wer tut so was?
Verärgerung verdunkelt seinen Blick, und ich schwöre, innerlich kocht er. »Perfekt. Zeigen Sie sie mir«, blafft er.
Wir spielen uns nichts vor, und außer dem einen oder anderen Kompliment, das er mir aus Höflichkeit macht, gibt es keinerlei Nettigkeiten zwischen uns. Er hat keine Zeit für solchen Unsinn – so lautete seine kleine, beiläufige Info, als ich ihm irgendwann eine Auswahl von winzigen G-Strings für eine inzwischen längst verflossene Geliebte zeigte und mich dabei verzweifelt mit Small Talk abmühte. Ich fummelte mir einen ab mit den zarten Spitzenteilen, um sie dekorativ auf der Marmortheke auszubreiten, und konnte ihn kaum ansehen, während ich über den Tragekomfort bequemer Unterwäsche schwafelte.
Meine Chefin Marlo hielt mir einen langen Vortrag, nachdem er Bliss verließ, ohne etwas zu kaufen. Das hatte er zuvor noch nie gemacht. Sie erläuterte mir, dass wir weder Tragekomfort noch Bequemlichkeit verkaufen.
Wir verkaufen Fantasie, schon vergessen?
Dieser Vorfall war vor ungefähr sechs Monaten. Aus irgendeinem Grund möchte er trotz meines plumpen Versuchs, ihm praktische Unterwäsche anzudrehen, weiterhin meine Beratung, was ehrlich gesagt keinen Sinn ergibt. Die meiste Zeit sieht er mich an, als wäre ich eine ekelhafte Schnepfe. Ich muss schwer an mich halten, ihn nicht anzupflaumen, dass ich ihn genauso ekelhaft finde.
Obwohl das nicht stimmt. Ich finde ihn überhaupt nicht ekelhaft. Gott, es ist eine Zumutung, wie attraktiv er ist! Und er weiß es. Wenn er im Geschäft ist, sitzt seine Frisur perfekt. Seine Anzüge sind piccobello. Seine Hemden faltenfrei. Und seine Krawatten haben immer einen Oxfordknoten und die korrekte Länge.
Am liebsten würde ich die teure Krawatte packen, ihn näher zu mir ziehen, ihm einen langen Kuss auf sein energisches Kinn drücken und einen roten Abdruck von meinem Lippenstift auf seiner Haut hinterlassen.
Ich wette, er würde es hassen.
»Miss Harrison?« Mit seiner tiefen Stimme holt er mich auf den Boden der Tatsachen zurück, und ich merke, dass ich untätig herumstehe und mich meinen Fantasien hingebe. Richtig, meinen Fantasien von ihm. Was ist nur los mit mir? Wenn er meine Gedanken lesen könnte …
»Verzeihen Sie.« Ich schüttle den Kopf und schenke ihm ein entschuldigendes Lächeln. Unsere Blicke treffen sich, doch er sieht schnell wieder weg, so als könnte er meinen Anblick nicht ertragen.
Arschloch.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, fordere ich ihn in energischem Ton auf, meine Absätze laut klackernd auf dem Parkettboden. Mr. Gaines schließt sich mir an, und ich geleite ihn zu einem unserer kleinen, privaten Showrooms im rückwärtigen Teil des Geschäfts. Er ist dicht hinter mir, ich kann sein teures Rasierwasser riechen und hören, wie er auf seinem Handy herumtippt, bevor er es in seine Sakkotasche schiebt.
Ich bin mir seiner Nähe hyper-bewusst, und ich hasse es. Hasse mich noch mehr dafür, dass ich so sensibilisiert bin. Wohingegen er mich kaum zu bemerken scheint. Nicht, dass mir das irgendetwas ausmachen würde.
Wirklich, es stört mich gar nicht.
»Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, beschwert sich Gaines, und ich werfe ihm über meine Schulter einen gereizten Blick zu, bevor ich stehen bleibe und die Tür zu dem privaten Showroom aufdrücke. Er stürmt an mir vorbei, und ich trete geistesgegenwärtig zur Seite, bevor er mich umrennt. Ich schließe die Tür mit einem weichen Klicken und atme tief durch, dann drehe ich mich zu ihm um. Er sitzt bereits an dem kleinen, mittig im Raum stehenden Tisch und sucht meinen Blick, als ich näher komme. Mitten in der Bewegung halte ich inne, verblüfft über das sonderbare Glitzern in seinen Augen.
Ein nahezu … hungriges Glitzern.
Nein. Nein, nein, nein. Er nimmt mich kaum wahr. Ich verachte ihn. Ja, er ist attraktiv, aber er ist auch nervig und unhöflich und der unsensibelste Mann, den ich jemals kennengelernt habe. Wer hat so viele Geliebte? Wer gibt Tausende von Dollars für Dessous aus? Er hat nicht mal eine feste Freundin. Der Mann hat ganz klar ein Problem.
Ein Nicht-Bindungs-Problem. Wie es aussieht, kann er sich nicht binden. Und will sich wohl auch nicht binden.
»Haben Sie die von mir gewünschten Sachen zusammengestellt?«, fragt er, als ich mich ihm gegenüber in einen Sessel setze und die Beine überschlage.
Mich vorbeugend tippe ich auf die mattschwarze Schachtel, die zwischen uns auf dem Tisch steht. Gestern Abend hat er Marlo eine Nachricht mit speziellen Einkaufswünschen für seinen heutigen Besuch geschickt. So. Krass.
»Ja, habe ich.« Angesichts meines Lächelns zieht er die Augenbrauen hoch. Als traute er mir nicht zu, seine Wunschliste korrekt abzuarbeiten.
»Transparent? Mit Spitze? Verspielt und farbig?«, meint er kurz angebunden und schiebt seinen Jackenärmel ein Stück zurück, um auf seine Rolex zu spähen. Als hätte er schon genug Zeit mit mir verplempert und wäre in Eile.
Ärger überkommt mich. Er ist derjenige, der den Termin gemacht hat, und jetzt tut er so, als wäre es für ihn eine Riesenzeitverschwendung. Sobald er aus dem Laden ist, werde ich Marlo verklickern, dass ich mich nicht länger mit ihm abgeben werde. Soll er sich eine andere Bliss-Beraterin suchen, die er terrorisieren kann.
»Miss Harrison?«, fragt er, als ich nicht antworte.
Ups! Schon wieder eiskalt erwischt. Meine Mutter meinte immer, ich wäre eine große Träumerin.
»Ja, genau nach Ihren Vorstellungen.« Ich lege meine Hand auf den Deckel der Schachtel, um es noch ein bisschen spannender zu machen. Ich würde es nie vor ihm zugeben, doch jedes einzelne Stück, das ich für ihn ausgesucht habe, würde ich auch anziehen. Ehrlich gesagt trage ich gegenwärtig eins von diesen Modellen.
Doch das ist mein kleines Geheimnis.
»Dann mal los. Zeigen Sie mir alles, was Sie anzubieten haben.« Erkennbar genervt bohrt er seinen Blick in meinen. Ich presse die Lippen aufeinander, um ihn nicht voller Entrüstung anzufahren.
Ich gäbe eine Menge dafür, wenn ich jetzt aufspringen und meinen Rock hochstreifen könnte. Um ihm das Höschen zu zeigen, das ich anhabe. Dann wüsste er, was ich anzubieten habe, oder?
Stattdessen öffne ich die Schachtel, schiebe vorsichtig das blassrosa Seidenpapier auseinander und nehme einen durchsichtigen, korallenroten Seiden-BH mit mintgrünen Spitzenapplikationen heraus. Die Schachtel ein Stück zur Seite schiebend, lege ich den BH auf den Tisch und gleite mit meinen Fingern über die zarte Spitze. »Transparent und verspielt, ganz nach Ihren Wünschen.«
Seine Finger streifen meine, als er nach dem Teil greift, und ich ziehe ruckartig die Hand weg, als hätte ich mich verbrannt. Meine Hand, mein ganzer Arm kribbeln von dieser scheinbar zufälligen Berührung, und ich halte den Blick gesenkt, damit er nicht merkt, dass ich verunsichert bin.
So … seltsam.
Und unerwartet.
Absolut unerwartet.
»Ob ihr die Farben gefallen werden?« Er dreht den BH in seinen großen Händen, um ihn kritisch zu begutachten, seine Miene ausdruckslos, als wäre es bloß irgendeine Damenunterwäsche und nicht frivole Lingerie für die – haha – aktuelle Dame seines Herzens.
»Ich finde die Farbkombi sehr gelungen«, sage ich nach kurzem Schweigen. Meine Stimme schallt durch den ansonsten stillen Raum, und ich halte mir eine Faust vor den Mund, um leise zu hüsteln. »Die Farben sind retromäßig, von den 90er-Jahren inspiriert …«
»Soll heißen, es ist nicht wirklich topmodisch.« Er spielt an dem BH-Träger herum, dreht ihn um seinen Zeigefinger, so wie er mir förmlich das Wort im Mund herumdreht. Gedankenverloren betrachte ich seine große, kräftige Hand. Er hat lange Finger. Im Geiste stelle ich mir vor, wie er mich berührt, mit diesen Fingern über meine Haut streift, um tiefer zu gleiten und meinen …
»Es ist topmodisch.« Mein Blick fliegt zu seinem Gesicht. Er grinst, ein wissendes Glitzern in seinen Augen, als könnte er allen Ernstes meine Gedanken lesen. Großer Gott. »Aber mit einem Hauch von Vintage. Süß und gleichzeitig sexy. Spaß, eben. Mag Ihre Geliebte keine Vintage-Sachen?«
»Ich habe keine Geliebte«, knurrt er und lässt den BH fallen, als wäre er eine tote Ratte. Oha, jetzt ist er sauer auf mich. Ob er denkt, dass ich meine Befugnisse überschritten habe? Wer weiß. »Haben Sie noch etwas anderes, was Sie mir zeigen können?«
Hörbar seufzend nehme ich ein Seidenhöschen aus der Schachtel. Die Beinausschnitte sind mit leuchtend pinker Spitze eingefasst, kleine rote Kirschen in den durchschimmernden schwarzen Stoff eingestickt. Die Rückseite ist praktisch nicht existent und hat einen herzförmigen Ausschnitt, der ganz viel zeigt – nämlich alles. Ich hatte vor, ihm dieses Dessous als Letztes zu präsentieren, doch ich merke, ich bin unkonzentriert.
So etwas darf eigentlich nicht passieren, aber scheiß drauf. Der Mann treibt mich an den Rand des Wahnsinns.
»Wie gefällt Ihnen das hier?« Interessiert streift sein Blick über den Slip. Als ich ihm das Teil in die Hand drücke, hält er es hoch, um es näher zu begutachten, und lächelt süffisant, als er die Rückseite sieht.
»Sehr offen-herzig.«
Oh. Hat er gerade eine positive Emotion gezeigt? Ich wusste gar nicht, dass er das kann. »Stimmt.«
»Die Kirschen haben was«, schiebt er nach.
Ich nicke und beobachte ihn schamlos, zumal er mich nicht beachtet. »Ich mag sie.«
»Die Dessous oder die Kirchen?« Da er nicht in meine Richtung blickt, habe ich alle Zeit der Welt, sein attraktives Gesicht anzuschmachten. Der Mann ist fast ekelhaft gut aussehend.
»Beides.«
Jared hebt den Blick, sein Blick brennt sich wieder in meinen. Wie erstarrt in meinem Sessel sitzend, halte ich die Luft an. Was passiert da gerade? Was tun wir?
Er legt das Höschen vor sich auf den Tisch. Seinen Blick darauf geheftet, fragt er: »Welche Größe tragen Sie eigentlich, Miss Harrison?«
Äh, was?
Wie bitte?
»Welche Größe hat dieses Höschen?« Okay. Muss mich wohl verhört haben.
»Das ist XS«, erläutere ich ihm, schwer darum bemüht, meine Stimme sachlich klingen zu lassen. Ich bin gestresst. Angespannt. Seine Nähe macht mich nervös. Ich atme seinen Duft ein. Die Wärme, die sein Körper verströmt, heizt mir ordentlich ein. Ich fühle, wie sich Schweißperlen an meinem Haaransatz bilden. Ist es hier drin heißer als sonst?
»Und welche Größe tragen Sie?« Sein Blick wandert von dem Höschen zu mir. »Miss Harrison?«
Oh, Scheiße. Es ist definitiv heiß hier drin.
Ich schlucke. Auf keinen Fall sollte ich darauf antworten. Er hat eine Grenze überschritten. Ich sollte nicht darauf eingehen, da er ein Kunde ist, und noch dazu ein unhöflicher.
Doch es rutscht mir trotzdem heraus.
»Ich trage small«, räume ich ein.
Er räuspert sich, sein Blick streift kurz meine Brüste, bevor er fragt: »Und welche BH-Größe brauchen Sie?«
Tja. Irgendwie ist diese Unterhaltung pervers.
»Ähm …« Oh, es ist pervers, oder? Ich sollte ihn hassen. Ich hasse alles, was er repräsentiert. Er ist der letzte Mann auf dem Globus, der mich jemals interessieren würde.
Also weshalb geht mein Atem zunehmend schneller? Und warum kann ich plötzlich nicht mehr klar denken?
»Die Frau, für die ich das kaufen möchte – sie ist ähnlich gebaut wie Sie.« Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und mustert mich gleichgültig, so als redete er über das Wetter, und ich kämpfe mit meiner Fassung. Wir führen ein geschäftliches Gespräch. Und unser Geschäft konzentriert sich zufällig auf Lingerie. Keine große Sache.
Richtig?
»Ich trage 80c«, antworte ich ihm und straffe entschlossen die Schultern. Ich werde mich von diesem Mann nicht verunsichern lassen.
Kein anderer Kunde verhält sich mir gegenüber so wie er. Offen gestanden ist keiner meiner anderen Kunde auch nur im Entferntesten wie Mr. Gaines.
»Tatsächlich.« Sein Blick liegt abermals auf meinen Brüsten, und mir juckt es in den Fingern, meine schwarze Seidenbluse aufzuknöpfen und ihn selber nachschauen zu lassen. »Gibt es zu diesem Höschen auch einen passenden BH?« Er schwenkt das Kirschenhöschen an seinem Zeigefinger hin und her.
So wie er Höschen mit seiner tiefen Stimme sagt, könnte ich dahinschmelzen. Ich presse die Beine zusammen, um das plötzliche Ziehen zwischen meinen Schenkeln zu ignorieren. Es ist ziemlich lange her, seit ich einen festen Freund hatte. Das ist hier das Problem, ich schwöre, nichts anderes. »Ja, es gibt ein passendes Set.«
»Das nehme ich.« Als er aufspringt, stehe ich ebenfalls auf. »Ich sehe Sie an der Kasse.«
Mit diesen Worten stürmt er aus dem Raum, und ich atme innerlich auf. Es ist alles gut, rede ich mir zu. Jared Gaines hat mich nach meiner BH- und Slip-Größe gefragt. Er meinte, dass seine neue Flamme – o mein Gott, ich klinge schon wie mein Bruder – ungefähr meine Größe hat. Kein Problem. Unser Gespräch war rein geschäftlich. Ich bin hier, um ihm zu helfen. Das ist alles.
Das. Ist. Alles.
Zwei
Ich warte an der Kasse auf Sarah, meinen Blick auf mein Handy geheftet, damit ich keinen Small Talk mit den anderen Verkäuferinnen machen muss, die bei Bliss arbeiten. Es sind alles absolut nette Frauen, sie sind bloß ein bisschen … deutlich.
Untertreibung. Sie sind extrem deutlich. Meine letzte Verkaufsberaterin hielt sich bei den ersten zwei Terminen noch zurück. Bei unserer dritten Begegnung kritzelte sie ihren Namen und ihre Telefonnummer auf die Rückseite meines Rechnungsbelegs, dazu der Hinweis: Rufen Sie mich an. JEDERZEIT.
Unter ihren Namen zeichnete sie ein Paar Mordstitten.
Krass.
Seit über zwei Jahren bin ich Dauerkunde bei Bliss. In der Zeit habe ich eine Menge Verkaufsassistentinnen kennengelernt. Alle bildhübsch. Jede von ihnen hat mit mir geflirtet, einige mehr als andere. Das mit der Telefonnummer und der Titten-Zeichnung war die bisher letzte und mit Abstand offensichtlichste Anmache.
Dann war da noch diese andere. Ich nenne hier keine Namen. Jedenfalls habe ich dafür gesorgt, dass sie wegen ihres unangemessenen Verhaltens gefeuert wurde. Sie zeigte mir nicht nur eine Zeichnung, sondern ihre echten Möpse, in einem der privaten Showrooms. Ihre nackten Brüste direkt vor meinem Gesicht, versuchte sie, sich an meinem Schenkel zu reiben.
Es war eine katastrophale Situation. Marlo, die Chefin von Bliss, war außer sich. Genau wie die Frau, deren Namen ich hier nicht erwähnen werde, als sie auf der Stelle entlassen wurde, trotz Bittens und Bettelns. Ich hielt mich aus der Sache raus, obwohl ich mich beschissen fühlte. Versteht mich nicht falsch. Ich stehe auf schöne Frauen mit schönen Brüsten. Aber eine Irre, die an ihrem Arbeitsplatz einen Strip hinlegt und es mit eindeutigen sexuellen Handlungen probiert?
Das geht gar nicht.
Danach wurde ich vorsichtig. Halt dich zurück, wurde mein Mantra. Es war das Beste. Wenn ich lächelte, wenn ich freundlich war, wenn ich irgendetwas halbwegs Nettes sagte, glaubten die Frauen, ich würde mit ihnen flirten. Also machte ich einen auf kühl und distanziert.
Und dann lernte ich Sarah kennen.
Die schöne, süße, schlagfertige Sarah. Mit den langen dunklen Haaren, strahlend blauen Augen und vollen Lippen. Mehr als einmal habe ich mir diese Lippen vorgestellt, begierig um meine geschlossen … also, ihr wisst, wovon ich spreche. Und ich hatte nie einen einzigen Hintergedanken in Bezug auf eines der Mädchen, die bei Bliss arbeiten.
Nicht vor Sarah.
Schon bei unserer ersten Begegnung war ich heiß auf sie, was absurd ist. Seitdem habe ich mehr Dessous bei Bliss gekauft als je zuvor. Aktuell habe ich nicht mal eine Freundin, dennoch kaufe ich für geschätzt fünfhundert Dollar BH und Slip.
Was das Schlimme daran ist? Die einzige Frau, die ich mir in diesem süßen, sexy BH samt kirschenbesticktem Höschen vorstellen kann, ist Sarah.
Was zur Hölle ist mit mir los?
»Wird der heutige Einkauf Ihrer schwarzen Karte belastet, Mr. Gaines?«
Ich spähe von meinem Handy hoch und entdecke eine andere Verkäuferin hinter der Theke, ein erwartungsvolles Lächeln auf ihrem Gesicht. Ihr Name ist Bethany, sie arbeitet seit gut einem Jahr bei Bliss, glaube ich. Im Umgang mit mir ist sie immer angenehm freundlich.
Doch anders als Sarah interessiert sie mich null.
»Sarah wird das gleich für mich erledigen«, antworte ich schroff, meine Aufmerksamkeit erneut aufs Handy lenkend. Meine Inbox ist in der letzten Viertelstunde explodiert – der Scheiß passiert jedes einzelne Mal, wenn ich mein Handy ignoriere –, und meine Terminerinnerungen spielen verrückt.
»Oh, tut mir leid, Mr. Gaines. Wahrscheinlich bedient sie schon wieder jemand anders.« Als ich abermals den Kopf hebe, wirft Bethany mir ein weiches, verführerisches Lächeln zu. Dafür funkle ich sie böse an. »Ich helfe Ihnen aber sehr gerne weiter mit Ihrem Einkauf.«
»Wo sind die Sachen, die ich ausgesucht habe?« Und wo zum Teufel steckt Sarah? Wen bedient sie gerade? Wie kommt sie dazu, jemand anders zu beraten?
Das Lächeln verschwindet von Bethanys Gesicht. »Ich dachte, Sie hätten sie mitgebracht.«
Gereizt schüttle ich den Kopf. »Nein. Sarah packt sie sonst immer für mich ein und bringt sie zur Kasse.«
»Ich werde sie kurz suchen gehen und die Sachen für Sie holen –«, beginnt Bethany, doch ich unterbreche sie mit einem weiteren Kopfschütteln.
»Ich mache das schon«, sage ich gepresst, mich vom Kassentresen abdrückend. Dann schiebe ich mich durch die winzige Lingerie Boutique, dankbar dafür, dass es so leer ist, halte ich Ausschau nach Sarahs dunkler Mähne und diesen großen blauen Augen. Doch sie ist nirgends zu finden. Ich habe keine Ahnung, wieso sie einen anderen Kunden bedient, nachdem ich einen festen Termin mit ihr habe und sie mich demzufolge exklusiv beraten sollte. Ich reiße die Tür zu dem privaten Showroom auf, in dem wir vorhin waren, und er ist …
Leer.
Wo ist sie denn plötzlich hin?
»Mr. Gaines.« Als ich mich umdrehe, steht Marlo vor mir, elegant wie immer in strengem Schwarz, ihre Miene gleichmütig. Sie hält mir eine schmale Schachtel hin. »Sarah hat Ihren Einkauf für Sie eingepackt.«
Ich ziehe die Brauen so fest zusammen, dass es fast wehtut. »Wo ist sie?«
»Sie hatte einen … Notfall.« Marlos leuchtend pinke Lippen heben sich zu dem Hauch eines Lächelns. »Sie entschuldigt sich bei Ihnen, dass sie Ihre Transaktion nicht zum Abschluss bringen konnte.«
Das ist die geschäftsmäßig-sachliche Umschreibung. Ich würde zu gerne eine andere Transaktion mit Sarah zum Abschluss bringen – wir beide nackt, die geilen Dessous, die ich gleich kaufen werde, in Fetzen gerissen auf dem Boden meines Schlafzimmers verstreut.
Doch dann besinne ich mich auf Marlos Äußerung. Ein Notfall?
Das klingt nicht gut.
»Geht es ihr nicht gut?« Unvermittelt bin ich besorgt, was mich selbst verblüfft.
Marlos Augen weiten sich kaum merklich. Ich denke, mit meiner Frage habe ich sie schockiert. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Empathie für andere zeigen. »Doch, doch«, versichert sie mir. »Es ist eine persönliche Angelegenheit, alles gut.«
Eine persönliche Angelegenheit, soso. Was hat das zu bedeuten? Hat sie einen festen Freund? Einen – heilige Scheiße – Ehemann? Nein. Sie ist zu jung, um verheiratet zu sein, allerdings kenne ich ihr genaues Alter nicht, aber auf mich wirkt sie noch sehr jung und unerfahren, mit diesen großen, schimmernden blauen Augen, temperamentvoll und sexy, mit einem Mund, den ich vernaschen, und einem Körper, den ich erforschen möchte …
Nein. Das wäre ein Fehler. Ich darf mich nicht für sie interessieren. Trotzdem schätze ich mal, es gibt keinen Ehemann, nicht dass mich das etwas angehen würde. Sie trägt jedoch keinen Ring. Ich weiß nichts über Sarahs Privatleben, und obwohl ich gern erfahren würde, was los ist, wird Marlo mir einen verdammten Scheiß erzählen. Sie ist diskret. Und genau deswegen komme ich her.
Ich nehme die Schachtel an mich. »Danke.«
»Bethany kann die Rechnung für Sie fertig machen.« Marlo geleitet mich zur Kasse, wo Bethany mich schon erwartet, ihr Lächeln genauso verführerisch wie vorhin. Das kann sie knicken. Ich bin nicht interessiert. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Mr. Gaines.«
»Danke, Marlo. Den wünsche ich Ihnen auch.«
Bethany kümmert sich um meinen Einkauf, währenddessen müht sie sich mit dämlichem Small Talk ab, auf den ich jedoch nicht reagiere. Ich starre auf mein Handy und versuche, mich auf meine Nachrichten zu konzentrieren, muss jedoch unablässig an Sarah denken. In meinem Verstand spulen sich zahllose Szenarien ab. Weswegen war sie so schnell weg? Was ist passiert? Wo ist sie? Braucht sie möglicherweise Hilfe?
»Möchten Sie, dass ich Ihren Einkauf als Geschenk verpacke?«, will Bethany wissen, ihre aufgesetzte süße Stimme reißt mich aus den Grübeleien.
»Bitte«, antworte ich, weiterhin auf mein Telefon starrend.
»Möchten Sie eine persönliche Notiz dazulegen?« Bethany ist definitiv auf nähere Informationen aus.
»Nein.« Unvermittelt kommt mir eine Idee, und ich spähe hoch. Bethany nimmt gerade einen Bogen blassrosa Seidenpapier und beginnt, die Schachtel darin einzuwickeln. »Aber vielleicht könnten Sie mir einen Gefallen tun.«
Sie packt den kleinen Karton ein und greift nach einer Rolle Klebeband. »Selbstverständlich. Was kann ich für Sie tun, Mr. Gaines?« Ihr Ton strotzt vor sexueller Anspielung. Hintergründigkeit ist nicht Bethanys starke Seite.
»Ich … ich mache mir Sorgen wegen Sarah.« Mit offenem Mund staunt Bethany mich an. Ich schätze, ich habe auch sie geschockt. Mich selbst auch ein bisschen. »Ich möchte ihr etwas schicken, um ihr eine Freude zu machen.«
Bethany zieht die Augenbrauen praktisch bis zum Haaransatz hoch. »Tatsächlich.«
Ich nicke.
»Ich bin mir sicher, ihr geht es gut.«
»Trotzdem würde ich ihr gerne eine Kleinigkeit zukommen lassen.«
»Und was stellen Sie sich da vor?«
Am liebsten würde ich kontern, dass sie das verdammt noch mal nichts angeht, doch das mache ich nicht. Stattdessen ignoriere ich ihre Frage. »Könnten Sie mir bitte Ihre Adresse geben?«
Bethany blickt sich um, als wollte sie sichergehen, dass Marlo nicht in der Nähe ist. »Tut mir leid, ich darf die Adresse einer Kollegin nicht herausgeben.«
»Aber ich bin seit Langem ein treuer Kunde Ihres Hauses. Sie können mir vertrauen.« Ich setze mein charmantestes Lächeln auf und sehe Neugier in Bethanys Augen aufflackern. »In den vergangenen Monaten hat Sarah mich immer hervorragend bedient, und ich möchte ihr etwas schicken als … Zeichen meiner Wertschätzung.« Meine Worte klingen unaufrichtig. Doch das bemerkt Bethany scheinbar nicht. »Um sie wissen zu lassen, dass ich in dieser schweren Zeit an sie denke.«
Jesus Christus, wie komme ich auf so einen Schwulst?
Stirnrunzelnd konzentriert Bethany sich darauf, das Geschenk einzupacken; mit geübten Bewegungen faltet und klebt sie das Papier, und am Schluss kommt eine Schleife aus weißem Schmuckband auf die Schachtel. »Ich sollte das echt nicht tun.«
Ich bleibe stumm, in der Hoffnung, dass mein Schweigen sie mürbe macht.
Während ich den Beleg unterzeichne, schüttelt Bethany eine glänzende schwarze Bliss Einkaufstüte auseinander, lässt das verpackte Geschenk hineingleiten und gibt sie mir. »Versprechen Sie mir, dass Sie Sarah nicht erzählen werden, von wem Sie die Adresse haben?«
Ein Gefühl des Triumphs erfasst mich, und ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, als ich ihr die Tüte abnehme. »Ich verspreche es«, sage ich feierlich.
Seufzend tippt Bethany auf der Tastatur ihres Computers herum, dann schnappt sie sich einen pinken Post-it-Block und einen Stift, kritzelt ein paar Angaben auf den Zettel, reißt ihn ab und gibt ihn mir. »Von mir haben Sie den nicht bekommen.«
Ich nehme die Post-it-Notiz und stecke sie in meine Sakkotasche. »Was? Ich? Niemals«, gebe ich mit Unschuldsmiene zurück.
»Perfekte Antwort.« Erkennbar erleichtert grinst sie. »Ich wünsche Ihnen noch einen wundervollen Tag, Mr. Gaines.«
»Ich Ihnen auch, Bethany. Und danke noch mal.« Ich verlasse das Geschäft und gehe mit langen Schritten zum Parkplatz, ohne die vielen Leute auf dem Gehweg zu beachten. Es ist ein herrlich sonniger Tag, überall sind Touristen und Einheimische, doch ich habe null Zeit, um das Wetter zu genießen.
Ich bin ein Mann mit einer Mission, ich habe ein Geschenk abzuliefern.
Drei
Es war nicht geschwindelt. Ich hatte wirklich einen Notfall. Kaum hatte Mr. Gaines den privaten Showroom verlassen, kreuzte Marlo auf und hielt mir mein Handy hin.
»Dein Handy bimmelt jetzt seit geschlagenen fünf Minuten.« Ich fand es lustig, dass Marlo den Begriff »bimmeln« benutzte. Sie ist eine hochelegante, kultivierte Frau, die sich selten derart salopp ausdrückt. Zumindest nicht in meinem Beisein.
Ich nehme das Handy an mich und inspiziere es. Drei Anrufe und fünf Textnachrichten von meiner kleinen Schwester Andie.
Sarah
Sarah, ruf mich an, bitte. Ich dreh noch durch.
SARAH! ICH BRAUCHE DICH!
OMG geh an dein Telefon, es ist dringend!!
SARAHHHHHH
Würg. Sie kann echt nervig sein.
»Möchtest du, dass Bethany sich weiter um Mr. Gaines kümmert?«, erkundigt sich Marlo, während ich durch die Textmitteilungen meiner überaus dramatischen Schwester scrolle.
»Macht dir das auch wirklich nichts aus?« Ich werfe ihr einen entschuldigenden Blick zu. Sie weiß, wie das mit meiner Familie ist. Die ist ein bisschen – okay, extrem – problematisch. »Ich sollte Andie kurz zurückrufen.«
Marlo lächelt. »Kein Problem. Und wenn du früher gehen musst, verstehe ich das voll und ganz. Private Notfälle kommen halt vor.«
»Danke für dein Verständnis«, rufe ich Marlo im Hinausgehen zu. Ich hoffe echt, dass ich nicht früher gehen muss wegen Andie. Ich brauche die Stunden, besser gesagt, das Geld.
Draußen rufe ich meine Schwester an.
»Sarah! Bitte komm und hol mich von der Schule ab. Ich halte es nicht mehr aus.« So begrüßt Andie mich. Sie macht sich nicht einmal die Mühe, Hallo zu sagen.
Habe ich schon erwähnt, dass meine Schwester eine sechzehnjährige Dramaqueen ist?
Habe ich auch erwähnt, dass ich mit meiner Schwester und meinem Bruder zusammenwohne? Unsere Eltern kamen vor vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Wir haben nur noch uns, und da ich die Älteste und Verantwortungsbewussteste bin, kümmere ich mich seitdem um die beiden.
Also, Brent kommt ziemlich gut allein klar. Er ist einundzwanzig, hat einen Ganztagsjob, und wenn er nicht arbeitet, hängt er die meiste Zeit mit seinen Kumpels ab. Und Andie? Sie geht in die zehnte Klasse der Highschool. Jetzt, Ende Mai, ist das Schuljahr bald zu Ende, und sie ist eigentlich schon Elftklässlerin. Meint sie jedenfalls.
»Ich arbeite, Andie.« Ich sehe mich um, um mir sicher zu sein, dass niemand in der Nähe ist, bevor ich zu meinem Große-Schwester-Vortrag aushole. Gefühlt kommt das immer öfter vor. »Ich weiß, dass du keine Ahnung hast, wie es ist, wenn man für seinen Lebensunterhalt tatsächlich arbeiten muss, aber ich kann hier nicht einfach weg, um dich abzuholen, weil du Unterleibskrämpfe hast.«
Andie stöhnt gequält auf, folglich habe ich richtig getippt. »Mir sind die Tampons ausgegangen.«
Puh. Ich habe keinen Bock auf dieses Gespräch. »Ruf Brent an. Er ist noch zu Hause, er soll dir welche vorbeibringen.« Mein Bruder wäre ziemlich angepisst, wenn er wüsste, dass ich das gesagt habe.
»Bitte, Sarah. Er würde mir empfehlen, zwei Midol zu nehmen und ihn morgen noch mal anzurufen.«
Das klingt exakt nach meinem Bruder.
»Hat denn keine deiner Freundinnen Tampons dabei?« Ich kann es nicht fassen, dass sie mich von dem sexy, ekelhaften Mr. Gaines wegholt, um über Unterleibskrämpfe und ausgegangene Tampons zu jammern. »Ich muss zurück zu meinem Job.«
»Dann kommst du mich also nicht abholen?«, jault sie.
»Nein, auf keinen Fall. Tschüss.« Ich beende den Anruf und laufe zur Tür, die ins Gebäude führt, als ich aus dem Augenwinkel jemanden erspähe, der mir bekannt vorkommt. Abrupt bleibe ich stehen und drehe halb den Kopf.
Jared Gaines trabt soeben den Bürgersteig entlang.
Ohne zu überlegen, folge ich ihm, mit einigem Abstand, weil er mich auf keinen Fall entdecken soll. Eine schwarze Bliss Einkaufstasche baumelt von seinen Fingern, während er über den Bürgersteig sprintet, als hätte er es eilig und wäre spät dran.
Typisch.
Meinen Blick auf seinen Rücken geheftet, werde ich ebenfalls schneller. Er trägt ein Sakko, sodass ich nichts Genaueres erkennen kann, dennoch bin ich mir sicher, dass er einen geilen Arsch hat. Fest und knackig.
Vermutlich ist er sogar perfekt, weil ich eine Million Dollar darauf verwetten würde, dass er seinen Körper für eine Kathedrale hält und ihn auch so behandelt. Ich schätze mal, er trainiert jeden Tag in seinem privaten Fitti und achtet sorgfältig auf seine Ernährung. Er sieht nämlich aus wie so einer, ihr wisst, was ich meine, oder?
Ich möchte wetten, er gönnt sich nicht viel von … allem. Okay, vielleicht Sex, aber selbst da bleibt er bestimmt cool und distanziert. Er hat es nie lange mit einer Frau. Ich meine, wozu auch? Das würde sein ganzes Schema durcheinanderbringen.
Ich schätze, er arbeitet, er trainiert, er isst das Richtige, er schuftet noch eine Runde und dann gönnt er sich fünf Stunden Schlaf, bevor er wieder von vorn anfängt. Tag für Tag das Gleiche. Langweilig, langweilig, langweilig.
Nicht mein Typ, absolut nicht.
Obwohl, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, bin ich mir nicht so sicher, was mein Typ ist …
Mr. Gaines wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, und ich schwöre, ich höre ihn genervt aufstöhnen. Mag sein, dass ich mir das bloß einbilde, aber bei unseren Terminen stöhnt er auch häufiger herum. Das Sonnenlicht wirft schimmernde Reflexe auf sein dunkles Haar, und mehr als eine Frau dreht sich nach ihm um.
Ihm fällt so etwas nicht einmal auf.
Ich bleibe stehen, als er stehen bleibt. Er zieht eine Fernbedienung aus seiner Jackentasche und drückt darauf. Sofort fängt ein metallicweißer, am Straßenrand geparkter Tesla an zu piepsen, während sich die Türen entriegeln. Er öffnet die Beifahrertür, wirft die Papptasche hinein, schlägt sie zu und umrundet den Wagen, um auf der Fahrerseite einzusteigen. Nachdem er den Wagen gestartet hat, bleibt er mit laufendem Motor stehen, höchstwahrscheinlich um sein Handy zu inspizieren.
Währenddessen inspiziere ich ihn.
Nach einem tiefen Atemzug presse ich die Lippen zusammen, wohlwissend, dass ich schleunigst zu Bliss zurückmüsste. Marlo wundert sich bestimmt schon, wo ich bin, und Bethany schwebt garantiert auf Wolken, weil sie Mr. Gaines’ Einkauf an der Kasse eintippen durfte. Stattdessen bleibe ich wie angewurzelt stehen, nicht in der Lage, mich zu rühren. Fasziniert sehe ich dem verdammt attraktivsten Mann, dem ich jemals begegnet bin, dabei zu, wie er in seinem Wagen sitzt und ganz banal auf seinem Handy herumdaddelt. Ich sollte mich zu Tode langweilen.
Tue ich aber nicht. Ich könnte ihn den ganzen Tag anschmachten.
Würg. Ich hasse mich dafür.
Unvermittelt hebt er den Kopf, seine Stirn skeptisch in Falten gezogen. Als könnte er spüren, dass ich ihn beobachte.
Scheinbar kann er das. Denn sein Blick trifft spontan auf meinen, und ich erstarre. Ein einziges Wort dröhnt in meinem Kopf, wie in Endlosschleife.
Erwischt.
Erwischt. Erwischt. Erwischt.
Es ist, wie es ist.
Wir starren uns an, vorbeigehende Passanten versperren mir kurz die Sicht, doch dann ist er wieder da. Er sitzt in seinem teuren Wagen und starrt mich an, eine sexy Augenbraue hochgezogen wie zu einer stummen Frage. Was möchte er? Seine Lippen bewegen sich, um die Worte zu formen …
Komm her.
Reflexhaft schüttle ich den Kopf. Auf keinen Fall. Wenn ich jetzt zu ihm gehe, wird er mir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorwerfen, dass ich noch während unseres Termins abgehauen bin. Womöglich wird er sogar laut, obwohl ihm so etwas noch nie passiert ist. In der Vergangenheit hat er mich zwar hin und wieder wie ein Oberfeldwebel herumkommandiert, doch daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Auch daran, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt.
Ich sollte mit dem Schlimmsten rechnen.
Allerdings scheinen meine Füße einen eigenen Kopf zu haben, denn trotz meines inneren Widerstands bewege ich mich zu seinem Wagen, um neben der Beifahrertür anzuhalten. Er lässt das Fenster herunter und lehnt sich über die Mittelkonsole, seine Miene undurchdringlich.
»Warum haben Sie meinen Einkauf nicht bis zu Ende betreut, Miss Harrison?«, fragt er kalt. So unglaublich kalt, dass es mich schaudert.
»Familiärer Notfall«, erwidere ich tonlos und zucke zusammen, als er missmutig die Augen zusammenkneift. Er nimmt mir das nicht ab. Natürlich nicht. »Meine Schwester brauchte mich. Sie ist erst sechzehn und extrem dramatisch.«
Verdammt, wieso versuche ich ihm zu erklären, was passiert ist? Er denkt bestimmt, dass ich mir gerade eine Ausrede zurechtlege. Manchmal könnte ich mich echt treten.
»Soso.« Seine Stimme ist gepresst, sein Blick schwer gereizt. »Sie haben eine Schwester.«
Ich nicke, plötzlich zu nervös, um noch einen Ton herauszubringen.
»Mit einem Notfall.«
Wieder nicke ich. Was soll das Ganze?, frage ich mich im Stillen.
Seufzend lenkt er den Blick auf die vorübergehenden Passanten. So, als hätte er jegliches Interesse an meiner Person verloren. »Ich habe auch eine jüngere Schwester. Ich kenne das.«
Verblüfft blinzle ich ihn an. Kommunizieren wir … wir beide tatsächlich auf einer zwischenmenschlichen Ebene? Das hätte ich nie für möglich gehalten.
»Ich nehme an, Sie stehen sich nahe?« Wieder bohrt sich sein Blick in meinen, und ich trete von einem Fuß auf den anderen, unschlüssig, ob ich ihm darauf antworten soll.
»Sehr nahe«, räume ich mit sanfter Stimme ein. Ich bin kurz davor, ihm vom Tod meiner Eltern zu erzählen, und presse die Lippen aufeinander, bevor ich impulsiv drauflos plappere.
Sinnlos, diesem Mann meine Geheimnisse zu enthüllen. Es interessiert ihn sowieso nicht.
»Das ist … schön.« Er starrt in eine ungewisse Ferne, und ich ahne, dass ihm die Situation unangenehm ist. Mag sein, dass ich diejenige bin, die eine Linie übertreten hat, indem ich mein Privatleben in unsere Geschäftsbeziehung einfließen lasse. Schlagartig ist er wieder wie ausgewechselt. »Trotzdem hätten Sie meinen Einkauf vorher abschließen müssen. Der Kunde hat immer Vorrang.«
»Aber –«
Er fällt mir ins Wort. »Auf Wiedersehen, Miss Harrison.« Das Beifahrerfenster gleitet hoch, und ich trete verblüfft von dem Wagen weg, als Jared Gaines auch schon entschlossen aus der Parklücke setzt und sich in den Verkehr einfädelt.
Ich sehe ihm nach, bis der teure Wagen aus meinem Blickfeld verschwindet, bevor ich zu Bliss zurückgehe und mir unterwegs einrede, dass das, was gerade zwischen mir und Mr. Gaines abgelaufen ist, keine Bedeutung hat.
Absolut keine Bedeutung.
Vier
Ich arbeite bis zum Abend und halte auf dem Nachhauseweg noch kurz am Supermarkt, um ein paar Dinge einzukaufen und meinen klapprigen kleinen Mazda vollzutanken. Gegen sechs bin ich zu Hause, wo Andie sich bereits auf dem zerschlissenen Polstersofa fläzt und gelangweilt die Nachrichten im Fernsehen verfolgt.
Gewöhnlich schaut sie kein Fernsehen, schon gar keine Nachrichten.
Kaum dass sie mich erspäht, springt Andie von der Couch, und ihre Langeweile ist wie weggewischt.
»Da ist ein Päckchen für dich gekommen«, ruft sie aufgeregt aus.
»Super.« Ich trete die Eingangstür hinter mir zu und verschwinde in der Küche. Nachdem ich die Einkaufstüten auf die Anrichte gestellt habe, nehme ich als Erstes die Frischmilch heraus und lege sie in den Kühlschrank. »Ist vermutlich von Amazon.«
»Es ist definitiv nicht von Amazon.« Eine flache Schachtel in den Händen, betritt meine Schwester die Küche. »Da steht nicht mal ein Absender drauf.«
»Was? Gib mal her.« Ich schließe die Kühlschranktür, schnappe ihr die Schachtel aus der Hand und starre stirnrunzelnd auf das Papier. Andie hat recht. Nichts von wegen Absender. Auch kein Hinweis auf FedEx oder UPS. Man könnte meinen, jemand hätte einen Kurierdienst beauftragt, das Päckchen persönlich an mich zu liefern.
Sonderbar.
»Mach es auf!«, kreischt Andie.
»Erst muss ich die Einkäufe wegpacken«, gebe ich zurück und stelle die Schachtel auf den Küchentresen. Mein Magen kribbelt vor Nervosität. Meine innere Stimme rät mir, in puncto Aufmachen vorsichtig zu sein. Nicht dass ich in dem Karton irgendetwas Gefährliches vermuten würde – das wäre ein bisschen extrem. Es könnte jedoch sein, dass ich nicht mag, was sich da drin befindet. Oder nicht mag, von wem es ist?
Meine Fantasie spielt gerade verrückt.
»Ich werde den Einkauf einräumen.« Hüftwackelnd drängt Andie an mir vorbei, sodass ich beiseitegehen muss, und stürzt sich auf die riesige Mehrwegtasche. »Hast du Tampons gekauft?«
»Ja«, erwidere ich seufzend. Ich bin müde. Mir tun die Füße weh. Ich trete einen Pumps aus und atme erleichtert auf, während ich meinen Knöchel und die Zehen dehne, bevor ich das Gleiche mit dem anderen Fuß wiederhole. Diese Schuhe drücken wie der Teufel.
»Mach endlich das Päckchen auf«, drängt Andie erneut, dabei huscht sie durch unsere winzige Küche und stellt alles an seinen Platz. Ich bin dankbar, dass sie mir hilft. Gewöhnlich hockt sie in ihrem Zimmer, und ich muss alles allein machen.
Mit einer Schere aus dem Messerblock schneide ich das Klebeband durch, um den Deckel zu öffnen. Darunter befindet sich ein kleiner Karton. Er ist in glänzendes pinkes Schmuckpapier gehüllt, mit einer weißen Schleife obendrauf. Dieses Papier würde ich überall wiedererkennen.
Es ist von Bliss.
Das Herz klopft mir bis zum Hals, als ich langsam die Schleife aufziehe und beiseitelege. Dann streife ich ganz behutsam das Papier ab. Andie, die mich aus dem Augenwinkel beobachtet, fiebert vor Ungeduld, und als ich das Papier komplett entfernt habe und anfange, es ordentlich zusammenzufalten, flippt sie aus.
»O mein Gott, mach endlich dieses verdammte Ding auf!«
Nach einem vernichtenden Blick auf sie nehme ich den Deckel von der Schachtel, darunter kommt sorgfältig gefaltetes blassrosa Seidenpapier zum Vorschein. Hat etwa Marlo mir etwas geschickt? Zu besonderen Anlässen macht sie ihren Mitarbeiterinnen Geschenke, sie hat jedoch nie irgendwas zu uns nach Hause liefern lassen. Nachdenklich schiebe ich das Seidenpapier auseinander und jaule unwillkürlich auf, als ich sehe, was mich darunter erwartet.
Das kirschenbestickte BH-Set, das ein gewisser Mr. Jared Gaines vorhin gekauft hat.
Was. Zur. Hölle?