Fällt aus, weil Bodennebel - Angelina Schüler - E-Book

Fällt aus, weil Bodennebel E-Book

Angelina Schüler

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Beschreibung

Die liebevolle Familie, die perfekte Beziehung, der absolute Traumjob - all das haben die Protagonisten der Geschichten nicht. Und das sind nur die geringsten Probleme ... Diese Sammlung von Poetry Slam Texten vereint bissigen Humor mit den Erlebnissen und Hindernissen des Alltags. Zwischen Gedichten und Kurzgeschichten, zwischen Lachen und Stirnrunzeln, zwischen Tatort und Biermischgetränk werden Situationen beschrieben, die wir alle lieber nicht kennen würden.

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Seitenzahl: 62

Veröffentlichungsjahr: 2017

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FÜR DIE VERRÜCKTE CREW VON WORTKLÄNGE

IN SPRACHLOSER DANKBARKEIT

INHALTSVERZEICHNIS

Die zweite Geige

Wir

Die Haushaltswarenfachverkäufertheorie

Geräusche beim Pipi machen

Veganer leben – Teil 1

Ein Bewerbungsmonolog

Die Fahrkarte

Veganer leben – Teil 2

Ode an einen Sonntagabend

Tagebucheintrag 1999

Dreißig Minuten Freiheit

Kassensturz

Der antisemitische Elefant

DIE ZWEITE GEIGE

Neulich im Konzertsaal,

man spielte Beethovens Dritte,

saß im Saal die erste Geige,

so eine Kleine, dick und kurze Beine,

das Programmheft sagte,

sie heißt Brigitte.

Sie sah missmutig aus, denn

der Kapellmeister –

Friedrich heißt er –

begrüßte sie nicht,

so wie es im Theater Sitte.

Da war sie sauer,

die Brigitte.

Mürrisch saß sie auf ihrem Platze,

der Dirigent kratzte die glänzende Glatze

schwang schwungvoll

den Taktstock,

ein Satz noch,

es zitterte die Partitur –

Pause. Nur

Brigitte spielte weiter.

Um Himmels Willen,

warum wird die denn

nicht leiser!

Heiter spielte sie

die Tonleiter rauf und runter.

Das Publikum,

den ersten Satz verträumend,

ward allmählich munter.

Alle andern Instrumente

dachten sich:

„Sach ma, kennt se

det Ende etwa nich?“

Verwirrung war dem Friedrich

freilich im Gesichte abzulesen.

Wenn Beethoven das wüsste,

aber der war ja tot

und deshalb nicht dabei gewesen.

Da spielte sie,

dreimal das erste Solo,

als dächte sie:

YOLO.

Ihre Finger steppten auf den Saiten,

sie spielte mal allegro, mal allegretto,

auch den Marsch hatte sie in petto,

vergessen war die Eroica,

Brigitte spielte wie Antileprotica,

hier und dort eine Quintole,

immer weiter die Parole,

Brigitte spielte immer schneller,

man könnte sagen:

Orchester

a cappella.

Dann Stille.

An Stelle dessen

ein Schnaufen.

Friedrich, rot angelaufen,

wollt Brigitte zusammenstauchen

und mit ihr

ein paar ordentliche Takte reden.

Doch dann fing der Saal an zu beben.

Und Friedrichs Fauchen,

musste im Applause untergehen.

Indes ließ sich Brigitten

natürlich nicht lange bitten

und stand auf

und verbeugte sich.

Offensichtlich freute sich

nur sie,

denn das Orchester,

blieb stumm auf ihrer Sitzen sitzen.

Wut sieht man nun

über Friedrichs Gesichte blitzen.

Jetzt beugte auch er sich merklich

unbehaglich den Gästen entgegen.

Sowas hätte es

unter Beethoven nicht gegeben!

Eins ist klar,

darüber müsste man reden!

Wo kommen wir denn hin,

wenn jeder nur nach Sinn

und Dünken seinen Part der Sinfonie

nur irgendwie beherrscht.

Das wär ja wie

wenn Komponisten,

anstatt zu komponieren,

in einem Garten arbeiten müssten,

und die Abfälle kompostieren.

Friedrich verließ den Saal

nun bebend vor Missbehagen.

Wie konnte sich Brigitte

diese unsinnige Unsitte wagen

und ihn so ins Bockshorn jagen.

Was, bitte, hatte er verbrochen?

Warum war sie denn seit Wochen,

so auf Krawall gebürstet.

Ihm dürstete nach einer Antwort.

Er stellte Brigitte stante pede

nach dem Konzert

in der Garderobe zur Rede.

Anstatt beschämt das Missverhalten

zuzugeben,

ließ Brigitten Friedrich vernehmen,

sie bestünde auf ihr Recht

als erste Geige gegrüßt zu werden.

Denn hier auf Erden

hält jeder erste Geige

auf sich große Stücke

und wird vom Dirigenten begrüßt,

und so will das auch Brigitte.

Friedrich aber fackelt nicht lag.

Verdrießlich sagt er Brigitte:

„Dann

geb‘ ich hiermit dir die Hand

und sag dir, grüß mir

das Arbeitsamt.“

Und die Moral,

die klingt dann so:

Spielst du auch die erste Geige,

spiele lieber pianissimo,

ansonsten kann es dir passieren,

zu denen zu gehören die in Ungnade fielen

und jetzt nur noch

die zweite Geige spielen.

WIR

Ich sitze mit Jonas, einem guten Freund, in einer Bar. Wie jeden zweiten Mittwoch im Monat. Jonas ist PR-Manager für die Deutsche Bahn. Er ist maßgeblich für die Aktion Maulwurf zuständig. Ja genau, seinem infantilen Humor haben wir die witzigen Maulwurfcomics zu verdanken, die uns jeden Tag aufs Neue Baustellen und Streckensperrungen ankündigen. Falls ihr euch mal gefragt habt, ob der Typ, der sich das ausgedacht hat, eine Freundin hat, kann ich euch beruhigen. Er hat keine Freundin. Genauer gesagt hat er nicht einmal richtige Freunde. Nur mich. Denn mir haben wir die Handpuppen aus der Swoodoo-Werbung zu verdanken. PR-Manager haben ein verdammt beschissenes Leben.

Jonas sitzt vor seinem Glas Biermischgetränk und sieht aus wie durchgekaut und ausgespuckt. Er hatte ein Date, wobei die sprachliche Betonung auf die Vergangenheitsform des Verbs liegt.

„Ist es nicht gut gelaufen?“, frage ich bemüht mitleidig.

„Nein.“, brummt Jonas mir entgegen.

Ich überlege einen Moment.

„Die Sache mit dem Maulwurf?“

„Ja.“, sagt er tonlos, „Sie hat letzten Monat ihren Job verloren, weil die Bahn zu spät kam. Und als sie erfuhr, was ich arbeite, hat sie mich dafür verantwortlich gemacht.“ Er nippt an seinem Biermischgetränk. „Ich schulde ihr eine Monatsmiete.“

Jonas legt den Kopf auf den Tresen und weint leise vor sich hin. Ich streiche ihm über den Kopf und denke an die unbeschwerte Zeit, als wir noch keine festen Jobs bei unbeliebten Arbeitgebern hatten.

Alles war so cool als Public Relations- und Kommunikationsmanagementstudent. In den Seminaren haben wir lange über Medienethik diskutiert, wobei uns klar war, dass niemand darauf richtig Wert lag. Bei Vorlesungen sprachen wir von Medienökonomie, Issues Management, Campaigning, Stakeholderkommunikation und Corporate Social Responsibility, wobei niemandem ganz klar war, was das alles eigentlich genau ist. Es hörte sich aber mega geil an, weil es den schönen Schein warte, wir hätten mehr zu bieten, als schnöde Öffentlichkeitsarbeit. Auf jeder Party waren wir die hipsten Typen, noch vor den Informatikern, die später „irgendwas mit Medien“ machen wollten. Wir waren die Werbe-Industrie von morgen, wir würden die nächste wegweisende Webekampagne nach Pril, Telekom und Yellow Strom entwickeln, wir waren Sachsen-Anhalt, wir waren Berlin und wir waren Papst gleichzeitig! Wir, das war keine farb- und formlose Masse oder ein nicht zu definierendes Konvolut an Meinungen oder Staatsbürgerschaften. Wir war die einzig vernünftige Parole unter den geistlosen Zusammenschlüssen von Menschen, die ohne guter Image-Kampagne eh nix erreichen konnten. Wir waren außerhalb des Systems, weil das System durch uns bestimmt wurde und – verdammt noch mal – wir hatten alle ein BlackBerry! Das war zwar zu groß für die Hosentasche und die Tasten waren unhandlich, aber scheiß drauf, wir glaubten an die Werbebotschaft „Unterwegs im Mittendrin“. Generationen vor uns konnten uns weismachen, dass selbst Brombeeren cool sind. Was könnten erst wir bewegen im unendlichen Universum des konsumorientierten Lebens!

Wir würden die führenden Lobbys in Deutschland, Europa, pah, der ganzen Welt vertreten. Nichts wäre zu schwierig. Wenn wir Katzenbabys und Koalabären kreuzten, könnten wir mit diesem supersüßen, einzigartigen und völlig unschuldigen Tier schlimme Viktualien anpreisen. Kampagnen für Zigaretten und Alkohol würden völlig neue Zielgruppen ansprechen und den Absatzmarkt exponenziell mit der Cutieness des jeweiligen Tieres in die Höhe schießen lassen. Vorbei war die Zeit des Werbeträgers „Sex sells“, jetzt waren wir an der Reihe. Und vorne weg die KoaCat – die wir uns natürlich patentieren ließen, wenn die Medizin so weit wäre.

Vielleicht würden wir ganz professionell in Walhkampagnen einsteigen und die nächste Bundeskanzlerin schon vorab auf riesige Plakate drucken. Unsere Wahlspots würden die öffentlich-rechtlichen Sender ohne Warnhinweise zeigen, weil alles so echt und ehrlich ist. Und – wer weiß – vielleicht wäre die FDP dann wieder eine richtige Partei?

Oder wir spielten bei den ganz Großen mit: Kenneth Crear war unser aller Vorbild, unser Messias. Auch wenn er, Janet Jackson und Justin Timberlake es immer bestritten haben: „Nipplegate“ war die erfolgreichste PR-Kampagne aller Zeiten. Welches andere mediale Großereignis sorgte zugleich für eine Verschärfung der Zensurbemühungen bei Liveübertragungen in Amerika und einem reißenden Umsatz von Brustwarzenpiercings? Der Mann war Gott, da gab es keine Zweifel!