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Konflikte auf Elternebene können häufig nur vor dem Hintergrund der Auswirkungen sorgerechtlicher Entscheidungen auf das Unterhaltsrecht erfasst werden. Denn erst die Kenntnis der Zusammenhänge ermöglicht fundierte Stellungnahmen gegenüber dem Gericht und ist zudem Voraussetzung einer erfolgreichen Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung. Hier setzt das Werk an. Es erläutert sämtliche Themen des Familienrechts und des sonstigen Zivilrechts, die für die Praxis im Jugendamt, ebenso für freie Träger der Jugendhilfe relevant sind. Der Titel macht z.B. die Schnittstellen des Familienrechts zum SGB VIII transparent und erläutert die elterliche Sorge sowie Umgangsrechte und -pflichten, außerdem den zivilrechtlichen Schutz vor häuslicher Gewalt. Darüber hinaus bereitet das Buch Studenten an (Fach-)Hochschulen auf die Anforderungen in Klausur und Praxis vor. Dazu gehören eine Einführung in das Zivilrecht ebenso wie die Lösung von Fällen anhand konkreter Beispiele und Hinweise zum Verfassen juristischer Klausuren bzw. Hausarbeiten. Praktische Beispiele veranschaulichen die Auslegung von Gesetzen.
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Lehr- und Praxisbuch für die Kinder- und Jugendhilfe
von
Christopher SchmidtProfessor an der Hochschule Esslingen
3., überarbeitete Auflage
Verlag W. Kohlhammer
3. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-044367-9
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-044368-6
epub: ISBN 978-3-17-044369-3
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Konflikte auf Elternebene können häufig nur vor dem Hintergrund der Auswirkungen sorgerechtlicher Entscheidungen auf das Unterhaltsrecht erfasst werden. Denn erst die Kenntnis der Zusammenhänge ermöglicht fundierte Stellungnahmen gegenüber dem Gericht und ist zudem Voraussetzung einer erfolgreichen Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung. Hier setzt das Werk an. Es erläutert sämtliche Themen des Familienrechts und des sonstigen Zivilrechts, die für die Praxis im Jugendamt, ebenso für freie Träger der Jugendhilfe relevant sind. Der Titel macht z.B. die Schnittstellen des Familienrechts zum SGB VIII transparent und erläutert die elterliche Sorge sowie Umgangsrechte und -pflichten, außerdem den zivilrechtlichen Schutz vor häuslicher Gewalt. Darüber hinaus bereitet das Buch Studenten an (Fach-)Hochschulen auf die Anforderungen in Klausur und Praxis vor. Dazu gehören eine Einführung in das Zivilrecht ebenso wie die Lösung von Fällen anhand konkreter Beispiele und Hinweise zum Verfassen juristischer Klausuren bzw. Hausarbeiten. Praktische Beispiele veranschaulichen die Auslegung von Gesetzen.
Professor Dr. Christopher Schmidt lehrt Rechtwissenschaften mit den Schwerpunkten Familienrecht und Kinder- und Jugendrecht an der Hochschule Esslingen.
Das vorliegende Lehr- und Praxisbuch soll Studierende der Sozialen Arbeit auf eine Tätigkeit in Jugendämtern und freier Jugendhilfe vorbereiten und zugleich eine Hilfe für dort tätige Praktiker sein.
Dazu werden die wesentlichen Grundzüge des allgemeinen Zivilrechts und des materiellen Familienrechts aufgezeigt. Im Schlusskapitel folgen einige Hinweise zum Familienverfahrensrecht.
Den Belangen der Studierenden soll durch anschauliche Beispielfälle und einzelne Falllösungen genügt werden. Die „Praxishinweise“, die sich in allen Teilen des Buchs befinden, richten sich vorrangig an Praktiker, vermitteln den Studierenden aber gleichsam einen Eindruck der dortigen Fragestellungen.
Hinweise auf Literatur und Rechtsprechung sollen es ermöglichen, sich mit den angesprochenen Themen vertieft auseinanderzusetzen. Insoweit wurde ein Schwerpunkt auf diejenige Literatur gesetzt, die von Praktikern verwandt wird, im Zivilrecht also vor allem den „Grüneberg“ (vormals: Palandt).
Die 3. Auflage berücksichtigt eine Vielzahl von Änderungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung. Hiervon soll das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts hervorgehoben werden. Denn dieses hat neben systematischen Änderungen neue Formen der Pflegschaft sowie die Einführung der vorläufigen Vormundschaft und eine Reform der Vereinsvormundschaft gebracht, um nur einige Neuerungen zu nennen.
Für ihr gewissenhaftes Lektorat habe ich meiner Mutter zu danken. Die Antwort für verbliebene Fehler trägt ungeachtet dessen allein der Verfasser.
Gewidmet war bereits die Erstauflage meiner Ehefrau und unseren Töchtern.
Esslingen, Juni 2023
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. KapitelEinführung in das juristische Arbeiten
I.Rechtsquellen1
II.Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht4
III.Methodik der Rechtsauslegung4
IV.Konkurrenzen6
V.Analogie und Umkehrschluss6
VI.Bearbeitung unstreitiger Sachverhalte8
VII.Bearbeitung streitiger Sachverhalte9
VIII.Arbeit mit juristischer Literatur10
2. KapitelGrundlagen des Privatrechts
I.Begriff des Privatrechts14
II.Überblick zum Bürgerlichen Gesetzbuch15
1.Allgemeiner Teil15
2.Schuldrecht16
3.Sachenrecht17
4.Familienrecht17
5.Erbrecht17
3. KapitelRechtsgeschäfte
I.Begriff18
II.Bestandteile der Willenserklärung20
III.Geschäftsfähigkeit22
IV.Stellvertretung27
V.Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen29
VI.Nichtigkeit von Rechtsgeschäften29
1.Verstoß gegen Formvorschriften30
2.Verstoß gegen gesetzliche Verbote31
3.Sittenwidrigkeit31
VII.Anfechtung von Willenserklärungen33
1.Inhaltsirrtum33
2.Erklärungsirrtum34
3.Eigenschaftsirrtum34
4.Übermittlungsirrtum35
5.Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung35
VIII.Verbraucherverträge36
4. KapitelAbsolute Rechte
I.Abgrenzung zu relativen Rechten38
II.Deliktische Ansprüche39
1.Deliktsfähigkeit39
2.Schadensersatzpflicht (§ 823 Abs. 1 BGB)40
a)Geschützte Rechtsgüter40
b)Verletzung durch aktives Tun oder Unterlassen40
c)Rechtswidrigkeit41
d)Kausaler Schaden42
3.Exkurs: Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung43
III.Quasinegatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch43
5. KapitelVerlöbnis
I.Rechtsnatur und Wirkung44
II.Ersatzpflicht bei Rücktritt und Rückgabe der Geschenke45
6. KapitelBürgerliche Ehe
I.Begriff47
II.Eingehung der Ehe48
1.Geschlechtsverschiedenheit und Personenzahl48
2.Ehefähigkeit49
3.Eheverbote50
4.Ehefähigkeitszeugnis und Form der Eheschließung50
III.Rechtswirkungen der Ehe51
1.Eheliche Lebensgemeinschaft51
2.Ehename52
3.Haushaltsführung und Familienunterhalt53
4.Schlüsselgewalt54
5.Eigentumsvermutung zugunsten Dritter54
6.Eheliches Güterrecht55
a)Gütertrennung55
b)Zugewinngemeinschaft56
c)Gütergemeinschaft61
IV.Nichtehe und aufhebbare Ehe62
7. KapitelTrennung und Scheidung
I.Getrenntleben65
II.Materielle Scheidungsvoraussetzungen67
8. KapitelVersorgungsausgleich
9. KapitelHaushaltsgegenstände und Ehewohnung
I.Haushaltsgegenstände74
1.Trennungszeit75
2.Scheidung77
II.Ehewohnung79
1.Trennungszeit80
2.Scheidung85
10. KapitelAbstammung und Verwandtschaft
I.Mutterschaft88
II.Vaterschaft88
1.Begründung der Vaterschaft89
a)Vaterschaft kraft Ehe89
b)Vaterschaft kraft Anerkennung90
c)Vaterschaft kraft gerichtlicher Feststellung93
2.Anfechtung der Vaterschaft95
a)Anfechtungsberechtigte95
b)Stellvertretung96
c)Anfangsverdacht97
d)Anfechtungsfrist98
e)Anfechtungsverfahren98
III.Verwandtschaft99
11. KapitelAdoption
I.Annahme Minderjähriger101
1.Formelle Voraussetzungen101
a)Antrag102
b)Alleinige bzw. gemeinsame Annahme, Mindestalter und Probezeit102
c)Einwilligung der Eltern104
d)Ersetzung der elterlichen Einwilligung107
e)Einwilligung des Kindes110
f)Einwilligung des Ehegatten110
2.Materielle Voraussetzungen111
a)Kindeswohl111
b)Eltern-Kind-Verhältnis112
c)Gesetzes- oder sittenwidrige Vermittlung bzw. Verbringung112
d)Annahmeverbote113
3.Rechtsfolgen114
4.Aufhebung der Adoption115
a)Aufhebung auf Antrag115
b)Aufhebung von Amts wegen116
c)Folgen der Aufhebung117
II.Annahme Volljähriger118
1.Annahme mit schwachen Wirkungen118
2.Annahme mit starken Wirkungen119
III.Exkurs: Einbenennung120
12. KapitelUnterhaltsrecht
I.Unterhaltsgründe123
1.Ehegattenunterhalt123
a)Trennungsunterhalt123
b)Nachehelicher Unterhalt123
2.Unterhalt unverheirateter Eltern128
3.Verwandtenunterhalt128
II.Rangfolge von Unterhaltsschuldnern130
III.Bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers132
1.Ehegattenunterhalt133
2.Unterhalt unverheirateter Eltern134
3.Verwandtenunterhalt134
IV.Höhe des Unterhaltsbedarfs136
1.Unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen136
2.Ehegattenunterhalt141
3.Unterhalt unverheirateter Eltern143
4.Verwandtenunterhalt143
5.Mehr- und Sonderbedarfe145
V.Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners146
VI.Versagung oder Beschränkung aus Billigkeitsgründen148
1.Ehegattenunterhalt148
a)Negative Härteklausel148
b)Modernes Eheverständnis151
2.Verwandtenunterhalt151
VII.Unterhalt für die Vergangenheit152
VIII.Vereinbarungen über den Unterhalt153
IX.Auskunftsanspruch und Geltendmachung des Unterhalts154
X.Exkurs: Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz155
13. KapitelSorgerecht
I.Verfassungsrechtliche Maßstäbe158
II.Inhalt der elterlichen Sorge160
1.Personen- und Vermögenssorge160
2.Inhaltliche Vorgaben162
3.Vertretung des Kindes165
4.Sorgerecht als absolutes Recht167
a)Kindesherausgabe167
b)Umgangsbestimmungsrecht168
5.Religiöse Kindererziehung169
6.Genehmigungsbedürftige Maßnahmen170
III.Gemeinsame elterliche Sorge173
1.Begründung der gemeinsamen Sorge173
2.Ausübung der gemeinsamen Sorge zusammenlebender Eltern176
3.Ausübung der gemeinsamen Sorge getrenntlebender Eltern177
a)Residenzmodell179
b)Wechselmodell179
4.Gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten182
5.Übertragung der Alleinsorge auf Antrag eines Elternteils185
a)Einvernehmliche Übertragung der Alleinsorge185
b)Streitige Übertragung der Alleinsorge186
aa)Aufhebung der gemeinsamen Sorge186
bb)Übertragung auf den Antragsteller189
c)Exkurs: Übertragung der Alleinsorge auf den Vater nichtehelicher Kinder193
IV.Rechte von Pflegepersonen194
1.Entscheidungsbefugnisse194
2.Verbleibensanordnung196
V.Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls199
1.Einleitung des Verfahrens199
2.Personaler Anwendungsbereich199
3.Gefährdung des Kindeswohls200
a)Kindeswohl im engeren Sinn200
b)Kindesvermögen205
4.Keine Abwendung der Gefahr seitens der Eltern207
5.Rechtsfolge208
a)Schutz des Kindeswohls im engeren Sinn208
b)Schutz des Kindesvermögens210
6.Verhältnismäßigkeit211
VI.Ruhen der elterlichen Sorge211
VII.Beendigung elterlichen Sorge213
VIII.Änderung gerichtlicher Entscheidungen214
14. KapitelUmgangsrecht und Umgangspflicht
I.Umgang mit den Eltern216
1.Recht und Pflicht217
2.Umfang217
3.Ausgestaltung durch die Eltern bzw. Regelung durch das Familiengericht219
4.Anwesenheit Dritter219
5.Wohlverhaltenspflicht220
6.Umgangspflegschaft222
7.Einschränkung und Ausschluss223
8.Exkurs: Auskunftsanspruch225
II.Umgang mit dem nur leiblichen, nicht rechtlichen Vater225
III.Umgang mit Großeltern und Geschwistern228
IV.Umgang mit sonstigen Bezugspersonen229
V.Exkurs: Kosten des Umgangs229
15. KapitelBeistandschaft
16. KapitelVormundschaft und Pflegschaft für Minderjährige
I.Vormundschaft234
1.Eintritt234
2.Bestimmung des Vormunds236
a)Elterlich benannte Vormünder236
b)Auswahl durch das Familiengericht238
3.Vorläufige Vormundschaft242
4.Führung der Vormundschaft243
II.Pflegschaft für Minderjährige247
1.Ergänzungspflegschaft248
2.Pflegschaft für ein ungeborenes Kind249
3.Zusätzliche Pflegschaft bei ehrenamtlicher Vormundschaft249
4.Pflegschaft der Pflegeperson250
17. KapitelMaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz
I.Schutzanordnungen253
II.Wohnungsüberlassungsanspruch256
III.Exkurs: Männer- und Frauengewalt258
18. KapitelFamilienverfahrensrecht
I.Verfassungsrechtliche Vorgaben260
II.Instanzenzug der Familiengerichtsbarkeit261
III.Geltung von FamFG und ZPO262
IV.Kindschaftssachen263
1.Örtliche Zuständigkeit263
2.Vorrang- und Beschleunigungsgebot264
3.Hinwirken auf Einvernehmen und Beratung der Eltern265
4.Verfahrensbeistandschaften268
5.Anhörungspflichten270
6.Sonderregelungen für Verfahren nach § 1626a Abs. 2 BGB272
7.Verfahrenskosten und Verfahrenswert273
8.Vollstreckung273
V.Verfahrenskostenhilfe274
VI.Exkurs: Mitwirkungspflichten des Jugendamts275
Stichwortverzeichnis
79In diesem Kapitel werden wir uns zunächst Gedanken machen, was überhaupt Gegenstand des Privatrechts ist. Sodann werden wir uns das BGB etwas genauer ansehen: Wie ist es gegliedert? Zu welchen Schlussfolgerungen lässt uns das in Bezug auf die Auslegungsregel kommen, nach der die speziellere Norm Vorrang vor den allgemeineren hat? Und welche inhaltlichen Regelungen finden wir im BGB?
80Die Gesamtheit der Rechtsnormen und der auf ihnen fußenden Rechtsverhältnisse lässt sich einteilen in solche des Privat- oder Zivilrechts einerseits und solche des öffentlichen Rechts andererseits.
81Wichtige Bestandteile des Privatrechts sind dabei das für alle Bürger geltende Bürgerliche Recht, ferner das Arbeitsrecht sowie das Handels- und Gesellschaftsrecht.
82Demgegenüber zählen zum öffentlichen Recht neben dem Verfassungs- und dem allgemeinen Verwaltungsrecht das Sozial- und Steuerrecht als besonderes Verwaltungsrecht sowie das Strafrecht. Gemeinsam haben alle diese Rechtsgebiete, dass wir es hier mit dem Staat oder wenigstens mit einem sonstigen Hoheitsträger, also einer Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts zu tun haben.
83Wir können also zusammenfassen: Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zeichnen sich dadurch aus, dass wenigstens auf einer Seite der Staat oder ein sonstiger Hoheitsträger beteiligt ist, und zwar gerade in seiner Eigenschaft als solcher (Subjekts- oder Sonderrechtstheorie).1 Das Erfordernis der Beteiligung „in dieser Eigenschaft“ folgt dabei daraus, dass sich auch der Staat dem Regime des Privatrechts unterordnen kann: Das ist immer dann der Fall, wenn er sich zum Abschluss entsprechender Verträge entschließt.
84Das BGB vom 18.8.1896 ist bis heute die wichtigste Quelle materiellen Zivilrechts. Es ist am 1.1.1900 in Kraft getreten.
85Gegliedert ist das BGB in fünf Bücher: einen Allgemeinen Teil sowie das Schuldrecht, das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht.
86Im Folgenden soll ein Überblick über diese Bücher gegeben werden. Gleichwohl sind privatrechtliche Regelungen auch in einer Vielzahl anderer Gesetze enthalten, z. B. im Handelsgesetzbuch (HGB) sowie, bezogen auf das Familienrecht, im VersAusglG, im LPartG und im GewSchG.
87Das erste Buch des BGB, der Allgemeine Teil, enthält in §§ 1–240 Regelungen, die, mathematisch gesprochen, vor die Klammer gezogen werden, also in Ermangelung einer spezielleren Vorschrift für alle weiteren Bücher gelten.
88Hierzu zählen Bestimmungen über
– die Rechtsfähigkeit natürlicher und juristischer Personen,
– das Minderjährigenrecht (also die Frage, inwieweit Minderjährige rechtsgeschäftlich handeln können),
– die Anfechtung von Willenserklärungen bei Irrtümern und Drohungen,
– Formerfordernisse von Willenserklärungen (z. B. Schriftform),
– grundsätzliche Regelungen zu Verträgen,
– Vertretung und Vollmacht,
– die Berechnung von Fristen und Terminen,
– die Verjährung von Ansprüchen sowie
– Notwehr, Notstand und Selbsthilfe.
89Auf die Rechtsfähigkeit soll an dieser Stelle näher eingegangen werden. Die übrigen Themen werden wir in den nächsten Kapiteln behandeln.
90Rechtsfähigkeit bedeutet, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können. Das ist bei Menschen als sog. natürlichen Personen unproblematisch: Zivilrechtlich ist jeder Mensch gem. § 1 BGB mit Vollendung der Geburt rechtsfähig.
91Über den Wortlaut von § 1 BGB hinaus hat bereits das gezeugte, aber noch nicht geborene Kind (sog. nasciturus) Rechte. So ist es nach § 1923 Abs. 2 BGB bereits erbfähig, kann nach § 844 Abs. 2 BGB Ersatzansprüche gegen Dritte haben, die einen ihm zum Unterhalt Verpflichteten töten und wird im Fall vorgeburtlicher Schädigungen durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt.2 Im Bereich des Verfassungsrechts kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG bereits dem ungeborenen menschlichen Leben Menschenwürde zu (Art. 1 Abs. 1 GG).3
92Daneben können juristische Personen rechtsfähig sein. Juristische Personen sind Vereinigungen von Personen (Personengesellschaften) oder Kapital (Kapitalgesellschaften), die durch das Gesetz den natürlichen Personen teilweise gleichgestellt werden. Auch sie können dann Träger von Rechten und Pflichten sein. Beispiele sind (eingetragene) Vereine, Stiftungen, Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Aktiengesellschaften (AG).
93Von der Rechtsfähigkeit zu unterscheiden sind die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit. Diese betreffen die Frage, inwieweit z. B. Minderjährige durch ihre Handlungen Rechtswirkungen hervorrufen, also etwa Verträge schließen oder sich wegen unerlaubter Handlungen schadensersatzpflichtig machen können.
94Das Schuldrecht besteht seinerseits aus zwei Teilen: dem Schuldrecht Allgemeiner Teil (AT) und dem Besonderen Teil (BT).
95Das Schuldrecht AT enthält in §§ 241–432 wieder Regelungen, die vor die Klammer gezogen werden. Diese gelten im Grundsatz jedoch nur für das Schuldrecht BT, nicht für die übrigen Bücher des BGB, also das Sachen-, Familien- und Erbrecht. Andererseits sind sie im Schuldrecht spezieller als die Regelungen des ersten Buchs, also die des Allgemeinen Teils des BGB. Diese Spezialität, die schließlich auch zu einem Anwendungsvorrang führt, folgt aus dem eingeschränkten Geltungsbereich. Demgegenüber gehen die Regelungen des Schuldrecht BT ihrerseits dem Schuldrecht AT als spezieller vor.4
96Inhaltlich geht es im Schuldrecht AT u. a. um
– die Verpflichtung zur Leistung und das Leistungsstörungsrecht,
– Allgemeine Geschäftsbedingungen,
– Rücktritt und Widerruf bei Verbraucherverträgen,
– Fernabsatzverträge und
– Aufrechnung.
97Demgegenüber werden im Schuldrecht BT (§§ 433–853 BGB) einzelne Vertragstypen geregelt. Beispiele sind
– Kauf- und Tauschvertrag,
– Darlehensvertrag,
– Schenkung,
– Miet- und Pachtvertrag,
– Dienstvertrag und
– Werkvertrag.
98Weiter enthält das Schuldrecht BT vertragsähnliche Schuldverhältnisse (z. B. Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff.), deliktische Schuldverhältnisse (§§ 823 ff.) und Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff.).
99Das Sachenrecht enthält in §§ 854–1296 BGB jeweils für bewegliche und unbewegliche Sachen (Grundstücke) Regelungen zu Besitz, Eigentum und sonstigen Rechten.
100Im vierten Buch des BGB (§§ 1297–1921) sind die wesentlichen Bestimmungen des materiellen Familienrechts enthalten.
101Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass Grundlage der Familie die Ehe ist. Entsprechend wird diese gleich zu Beginn geregelt. So finden sich Vorschriften über das Verlöbnis, die Eheschließung, die Wirkungen der Ehe, die Ehescheidung und ihre Folgen.
102Im Anschluss daran enthält das Gesetz Bestimmungen zur Verwandtschaft. Hierzu zählt erst einmal die Abstammung, also die Frage, wer jemandes Mutter bzw. Vater ist. Daran schließen sich Regelungen zum Verwandtenunterhalt sowie zu dem Verhältnis von Eltern und Kind an. Hierzu zählen insbesondere die elterliche Sorge sowie das Recht und die Pflicht zum Umgang. Weiter werden die Adoption als Elternschaft kraft gerichtlicher Entscheidung, die Beistandschaft des Jugendamts sowie Vormundschaft und Pflegschaft geregelt.
103Bestandteil des vierten Buchs des BGB ist zuletzt das Betreuungsrecht, das bei Volljährigen an die Stelle der früheren Vormundschaft getreten ist.5
104Im letzten Buch des BGB wird das Erbrecht geregelt (§§ 1922–2385). Die entsprechenden Bestimmungen betreffen u. a. die gesetzliche Erbfolge, die rechtliche Stellung der Erben, Testamente und Erbverträge, den Pflichtteil und die Erbunwürdigkeit.
105In diesem Kapitel lernen Sie, was Rechtsgeschäfte sind. Zentral wird insoweit der Begriff der Willenserklärung sein. Doch was ist eine Willenserklärung? Wer kann eine Willenserklärung wirksam abgeben? Wann können Dritte Willenserklärungen mit Wirkung für und gegen einen Vertretenen abgeben? Welche Fehler führen dazu, dass eine Willenserklärung nichtig, also rechtlich gegenstandslos ist? Und wie kann man eine einmal abgegebene Willenserklärung wieder beseitigen?
106Ein Rechtsgeschäft besteht aus einer oder mehreren Willenserklärungen, die allein oder in Verbindung mit anderen Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführen, weil sie gewollt ist.1
107Aus dieser Definition ergibt sich zunächst eine Abgrenzung von rechtsgeschäftlichen zu gesetzlichen Schuldverhältnissen: Kommt es etwa zu einem Autounfall, dann können daraus Schadensersatzansprüche herrühren. Diese Folge war jedoch nicht gewollt, sie wird lediglich durch das Gesetz (in diesem Fall z. B. § 823 Abs. 1 BGB sowie durch das StVG) angeordnet.
108Weiter können wir zwischen sog. einseitigen Rechtsgeschäften, die aus lediglich einer Willenserklärung bestehen, und zwei- oder mehrseitigen Rechtsgeschäften unterscheiden.
Beispiele für einseitige Rechtsgeschäfte: Testament (§ 2247 BGB), Auslobung (§ 657 BGB), Anfechtung (§ 143 BGB), Aufrechnung (§ 388 BGB), Kündigung (z. B. § 568 BGB für den Mietvertrag)
109Diese Erklärungen sind teilweise empfangsbedürftig, das heißt, sie müssen einem anderen zugehen, um wirksam zu werden, § 130 Abs. 1 BGB.
110Das leuchtet z. B. bei der Kündigung ohne weiteres ein: will z. B. ein Mieter seinen Mietvertrag beenden, dann genügt es eben nicht, wenn er die unterschriebene Kündigung in seine Schreibtischschublade legt, sie muss vielmehr den Vermieter erreichen.
111Erforderlich ist für einen Zugang, dass die Willenserklärung derart in den sachlichen oder persönlichen Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.2 Auf die tatsächliche Kenntnis kommt es demgegenüber nicht an. Mündliche oder konkludente Erklärungen werden wirksam, sobald die Gegenseite sie wahrnimmt, also in der Regel in dem Moment, in dem sie ausgesprochen werden.3
Beispiel:
Briefe gelangen mit dem Einwurf in den Briefkasten in den Herrschaftsbereich desjenigen, um dessen Briefkasten es sich handelt. Nach den gewöhnlichen Umständen ist aber erst dann mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme zu rechnen, wenn üblicherweise der Briefkasten geleert wird. So nimmt die Rechtsprechung an, dass werktags bis 18.00 Uhr eingeworfene Briefe am selben Tag zugehen, später eingeworfene Briefe jedoch erst am nächsten Morgen.4
112In der Praxis stellt sich die Frage, wie der Zugang einer Willenserklärung zu beweisen ist.
Praxishinweis:
Das ist bei einfachen Briefen besonders problematisch. Aber auch bei einem Einwurfeinschreiben ist strittig, ob grundsätzlich damit gerechnet werden kann, dass der Zugang an dem durch den Postboten dokumentierten Tag erfolgt ist.5 Selbst bei einem Einschreiben mit Rückschein muss der Erklärende beweisen, welchen Inhalt der zugegangene Brief hatte.6 Deshalb kann eine Zustellung per Gerichtsvollzieher sinnvoll sein.
113Nicht alle Willenserklärungen sind aber empfangsbedürftig. Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist unerheblich, ob außer dem Erklärenden jemand Kenntnis von ihnen hat. Der Erklärende darf sie für sich behalten und, um im obigen Bild zu bleiben, in seiner Schreibtischschublade verwahren. Ein Beispiel dafür ist das Testament.
114Rechtsgeschäfte mit mehr als einem Beteiligten, also zwei- oder mehrseitige Rechtsgeschäfte, bezeichnen wir auch als Verträge. Jeder Vertrag besteht aus Willenserklärungen, genauer: aus übereinstimmenden Willenserklärungen, die wir auch als Antrag oder Angebot bzw. als Annahme bezeichnen.
115Diese Willenserklärungen müssen jeweils der Gegenseite zugehen, sie sind also empfangsbedürftig.
116Das Angebot muss bereits alle wesentlichen Punkte des beabsichtigten Vertrags enthalten (sog. essentialia negotii), so dass es der künftige Vertragspartner mit einem einfachen „Ja“ annehmen kann.
117Voraussetzung für die Wirksamkeit der Annahme ist jedoch deren Rechtzeitigkeit. Insoweit kann derjenige, der ein Angebot zum Abschluss eines Vertrags macht, nach § 148 BGB eine Annahmefrist bestimmen. Macht er hiervon keinen Gebrauch, so gilt § 147 BGB. Danach kann das unter Anwesenden oder sonst von Person zu Person (z. B. telefonisch oder über Skype) gemachte Angebot nur sofort angenommen werden. Schwieriger wird es schon bei Angeboten gegenüber Abwesenden: Dort ist darauf abzustellen, in welchem Zeitraum unter regelmäßigen Umständen mit der Annahme gerechnet werden darf, so z. B. bei Mietverträgen innerhalb von zwei bis drei Wochen.7
118Eine verspätete Annahme gilt nach § 150 Abs. 1 BGB als neues Angebot. Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Abänderungen gilt nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Angebots verbunden mit einem neuen Angebot zu den geänderten Konditionen.
119Nachdem wir wissen, wozu wir eine Willenserklärung brauchen, sehen wir uns nun genauer an, aus welchen Bestandteilen sich die Willenserklärung zusammensetzt.
120Dabei können wir erst einmal von der Bezeichnung als „Willenserklärung“ ausgehen, die bereits zwei Komponenten aufzeigt: nämlich den Willen als inneren oder subjektiven, weil für Dritte nicht erkennbaren Tatbestand, und der Erklärung, die nach außen in Erscheinung tritt, von Dritten wahrgenommen werden kann und deshalb auch als äußerer oder objektiver Tatbestand bezeichnet wird.
121In die Definition der Willenserklärung nehmen wir entsprechend ihrem Zweck, ein rechtsgeschäftliches Handeln zu ermöglichen, ein drittes Merkmal auf und können deshalb definieren: Die Willenserklärung ist eine nach außen erkennbare Willensäußerung, die auf eine rechtliche Folge gerichtet ist.
122Der objektive Tatbestand, das äußerlich erkennbare Verhalten, durch das die Absicht zum Ausdruck gebracht wird, eine Verpflichtung einzugehen, kann dabei ausdrücklich oder konkludent gesetzt werden.
Beispiel:
Wenn jemand wortlos zum Kiosk geht, eine Zeitung aus der Auslage nimmt und dem Verkäufer das dafür abgezählte Geld in die Hand drückt, gibt er damit durch schlüssiges Verhalten ein Angebot zum Kauf der Zeitung ab. Der Verkäufer, der das Geld vereinnahmt und in seine Tasche steckt, kann dieses Angebot ebenso wortlos annehmen.
123Eine solche konkludente Willenserklärung ist jedoch streng davon zu unterscheiden, dass bloßes Schweigen, also Nichtstun, grundsätzlich nicht für den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung ausreicht.8
124Der subjektive Tatbestand, der „Wille“, besteht aus drei aufeinander aufbauenden Merkmalen, nämlich aus Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille.
125Handlungsbewusstsein hat man für jedes bewusste und willentlich gesteuerte Verhalten. Fehlt es daran, so liegt eine Willenserklärung nicht vor.
Beispiele:
Reden im Schlaf, Abgabe von Erklärungen unter Hypnose, Reflexbewegungen
126Das Erklärungsbewusstsein bedeutet darüber hinaus, dass der Erklärende wissen muss, nicht nur irgendwie zu handeln, sondern gerade eine rechtlich erhebliche Erklärung abzugeben.
Beispiel: