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Vijay Kumar ist dreißig Jahre alt, indischer Abstammung, frischgebackener Privatdetektiv - und schon desillusioniert: Seine erste Auftraggeberin ist eine anstrengende Frau, die ihre Katze vermisst. Indischer Whisky und eine gehörige Portion Selbstironie helfen ihm, aufkommende Zweifel an seiner Berufswahl zu verdrängen. Doch auch sein zweiter Auftrag ist weder lukrativ noch Glanz und Ruhm versprechend: Die junge Ness macht sich Sorgen um ihren Freund, den Drogendealer Philipp. Lustlos hört sich Vijay in der Szene um und merkt erst, als er über eine Leiche stolpert, dass er längst selbst in Gefahr schwebt. Eine Jagd beginnt durch das noble Zürcher Bankenviertel bis in die Einsamkeit einer Berghütte. Ein indischer Schweizer oder ein Schweizer Inder? Spannend und amüsant spielt Sunil Mann mit Klischees und wurde für sein Krimidebüt prompt mit dem Zürcher Krimipreis belohnt.
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Seitenzahl: 246
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Copyright
© 2010 by GRAFIT Verlag GmbH Chemnitzer Str. 31, 44139 Dortmund Internet: http://www.grafit.de E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. eISBN 978-3-89425-804-7
Der Autor
Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren. Nach der Matur schrieb er sich in Zürich für Psychologie und Germanistik ein. Beide Studien brach er erfolgreich ab. Zurzeit ist er als Flugbegleiter tätig, ein Job, der ihm genügend Zeit zum Schreiben lässt. Für seine Kurzgeschichten hat er bereits zahlreiche Preise gewonnen. Fangschuss ist sein Romandebüt.
Mehr Informationen unter www.sunilmann.ch
Prolog
»Es war eine verdammte Falle.«
Er hielt den Kopf gesenkt und sprach mit gepresster Stimme, leise und schnell. Die Finger seiner linken Hand spielten nervös am Henkel der Kaffeetasse herum, während er mit der rechten immer noch das daumennagelgroße Glas umklammerte, in dem der Kirsch gewesen war. Er hatte ihn rasch hinuntergestürzt und der Bedienung mit einer weltmännisch gemeinten Handbewegung zu verstehen gegeben, dass das keinesfalls reichte. Nach dem dritten hatte sie die Flasche wortlos auf dem Tisch stehen lassen, doch jetzt bediente er sich nicht mehr davon. Sein zuvor leichenblasses Gesicht hatte durch den Schnaps etwas Farbe bekommen, ein an Cocktailkirschen erinnerndes Rot überzog nun fleckig seine jungenhaften Züge, die er seinem Alter entsprechend mit einer betont männlichen Mimik zu überspielen versuchte. Er zuckte mit den Mundwinkeln, schob das Kinn vor und zog den Rotz hoch, bis ich ihm ungeduldig zu verstehen gab, dass wir unter uns seien und er auf das Grimassenschneiden bis auf Weiteres verzichten dürfe. Worauf er unsicher grinste und sich etwas zurücklehnte. Die Baseballmütze, die er verkehrt herum trug, das darunter hervorquellende, leuchtend orange gefärbte Haar und die willkürlich sprießenden Bartstoppeln ließen ihn im gedämpften Licht des Lokals jünger erscheinen, als er war. Ness hatte gesagt, dass er vierundzwanzig sei, doch im Moment wirkte er wie achtzehn. Wie ein Achtzehnjähriger, der gerade Todesangst ausgestanden hatte.
Der dunkle Holzboden knarrte verhalten, als die Bedienung, eine robuste, aber hübsche Frau mit breiten Wangenknochen und slawischem Akzent, erneut an den Tisch trat und sich nach weiteren Wünschen erkundigte. Er winkte ab und brachte dabei sogar ein angedeutetes Lächeln zustande. Ich fragte mich, ob sie seine scharfen Körperausdünstungen auch wahrnahm. Ungelüftete Fußballergarderobe trifft auf Schlachthaus. Er hatte zwar nur eine Woche in einer abgelegenen Alphütte verbracht, doch mir verschlug es noch immer den Atem, wenn er eine hastige Bewegung machte und ein Luftzug aus seiner Richtung herüberwehte. Aber wahrscheinlich war die Kellnerin stark erkältet oder ihr Mann roch ähnlich. Sie ließ sich jedenfalls nichts anmerken, lächelte nur und verzog sich wieder hinter den Tresen.
Zu Beginn hatte ich befürchtet, gar nichts aus ihm herauszubekommen. Nervös zappelnd wie ein überzuckertes Schulkind war er auf dem Stuhl gesessen und hatte herumgedruckst. Doch dann hatte er plötzlich tief Luft geholt und erzählt.
»Wir gingen hinein und legten unsere Ware auf den Tisch, danach wurden wir mit Getränken und Sandwiches versorgt. Bis dahin war alles cool, alles voll easy. Ich wartete auf die Kohle und wollte danach so rasch wie möglich abhauen.«
Ich beobachtete ihn, während er sich auf seine Geschichte konzentrierte und das Licht der Lampe dunkle Schatten in sein Gesicht kerbte.
»Doch plötzlich veränderte sich die Stimmung, und ich dachte noch, aber hallo, was für eine abgefahrene Sache ist denn das. Die Spannung stieg spürbar, es war, als rückten sie näher, und sie hatten alle diesen merkwürdigen Blick drauf. Drohend, gefährlich und irgendwie auch gierig. Lüstern. War echt krass, Mann.«
Wir waren mittlerweile beinahe allein im Lokal. Die Stunde derjenigen, die vor dem Abendessen noch schnell auf ein Glas oder zwei reingeschaut hatten, um sich Mut für den ehelichen Samstagabend anzutrinken, war vorbei, die Wanderer und Wochenendausflügler hatten sich längst auf den Weg ins Tal begeben. Die Kellnerin räumte Tische ab, wischte mit einem Lappen nach und trug dann das volle Tablett zur Anrichte, wo sie alles in eine Spülmaschine füllte. Die rot-weiß karierten Tischtücher und die dazu passenden Vorhänge gaukelten genau jene Heimeligkeit der heilen Schweiz vor, die bei Touristen so beliebt war, das dunkle, beinahe schwarze Holz, aus dem Wände, Decke und sogar die Bodendielen gefertig waren, ließ den Raum kleiner erscheinen, als er war. Kunstvoll geschmiedete Hängelampen aus Gusseisen spendeten ein warmes, sanftes Licht.
Der Junge räusperte sich, blickte kurz über die Schulter zur Theke und schien zu zögern. Seine Finger spielten am Tischreiter herum. Coupe Nesselrode, 8.50 Franken, stand auf der eingeschobenen Karte, dazu ein Foto: Vanilleeis im Glas, darüber Kastanienpüree, eine Sahnehaube und zuoberst die obligatorische rot glänzende Kirsche. Ein Klassiker im Herbst. Seine Finger bogen die Karte unsanft um und rissen sie langsam in Stücke.
»Und dann ließ der dicke Chinese plötzlich sein Glas fallen. Es war, als wäre der Bann gebrochen. Alle zuckten zusammen, und ich sprang, ohne zu überlegen, zur Tür, riss sie auf und rannte, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin.«
Montag
Sechs Tage zuvor beobachtete ich, wie sich eine Kakerlake vergeblich anstrengte, mein brandneues Handy zu besteigen. Das Telefon war mir von einem äußerst freundlichen Verkäufer mit gelgetränkter Igelfrisur aufgeschwatzt worden und verfügte über unvorstellbar viele Funktionen, die dem durchschnittlichen Benutzer das Gefühl geben sollten, dass es sich hierbei mindestens um die Fernsteuerung eines Raumschiffes handelte. Die Kakerlake versuchte hartnäckig, mit ihren dürren Beinchen Halt auf der glatten Oberfläche zu finden, bis ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte, mich kurz an ihrem verzweifelten Gezappel ergötzte und daran dachte, dass sie in gewissen Ländern als Delikatesse gehandelt wurde, den darauf folgenden Gedanken trotz meines knurrenden Magens im Keim erstickte und sie aus dem Fenster hinter mir warf, das der ungewohnten Hitze wegen weit offen stand. Ein Jahrhundertherbst, unkten die Meteorologen im Fernsehen, aber da das Wort ›Jahrhundert‹ in den letzten Jahren im Zusammenhang mit ungewöhnlichem Wetterverhalten beinahe inflationär benutzt wurde, war man allgemein wenig beeindruckt und genoss die warmen Septembertage, ohne sich allzu viele Gedanken dazu zu machen. Jedenfalls ich. Ich hatte ganz andere Probleme.
Vorsichtig hob ich das Telefon hoch und drückte die grüne Taste. Der Signalton erklang auf der Stelle, das Telefon schien tadellos zu funktionieren. Drei Tage waren jetzt vergangen, und es hatte keinen einzigen eingehenden Anruf vermeldet. Diejenigen meiner Mutter ausgenommen. Ich seufzte, lehnte mich in meinem im Brockenhaus erstandenen Bürosessel zurück und starrte an die Decke. Sie war übersät von bräunlichen Wasserflecken und erinnerte an ein T-Shirt aus dem Anfängerkurs für Batik. Seit sechs Jahren wohnte ich jetzt schon in dieser Wohnung an der Dienerstrasse in Zürichs Kreis 4 und hatte mich längst an ihre Mängel, die damals in der Anzeige mit umschrieben worden waren, gewöhnt. Dafür war die Miete akzeptabel und meine Nachbarschaft störte sich nicht daran, wenn ich nachts lautstark Musik laufen ließ. Vielleicht auch deshalb, weil sie sie in dem ganzen Lärm, den sie selbst veranstaltete, gar nicht hörte.
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