Farkasember - Alexander Wolfgang Strüver - E-Book

Farkasember E-Book

Alexander Wolfgang Strüver

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Beschreibung

Vranaels Reise durch Verorzag setzt sich fort. Neue Herausforderungen und Abenteuer erwarten ihn bereits. Wird er mehr über seine Familie erfahren? Kann er die Bannzauber brechen? Entdeckt es in dem spannenden Kapitel 'Blutsbande'. Lasst euch erneut in die Welt der Farkasember entführen und taucht ein in die fantastischen Abenteuer.

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Vorwort

Dieses Buch erscheint deutlich später als geplant. Mein ständiges Reisen hat mir das fokussierte und effektive Schreiben am Roman erschwert. Umso mehr freue ich mich, ihn endlich fertiggestellt zu haben. Ein großer Dank gilt wieder einmal einer sehr guten Freundin, die mir beim Korrigieren und Dranbleiben geholfen hat. Nun, da ich es endlich geschafft habe, möchte ich daran erinnern, dass man alles erreichen kann, was man sich in den Kopf setzt, solange man daran glaubt und es konsequent verfolgt. In diesem Sinne wünsche ich viel Freude beim Lesen und hoffe, dass euch die Entwicklungen in "Farkasember Blutsbande" gefallen werden. Euer Alexander Wolfgang Strüver.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Flucht aus den Trümmern

Kapitel 2 Feuer-Gebirge

Kapitel 3 Die Landstreicher-Gilde

Kapitel 4 Zurück im Wolvar

Kapitel 5 Biss aufs Blut

Kapitel 6 Neue Ordnung

Kapitel 7 Verhandlungen

Kapitel 8 Vranaels großes Fest

Kapitel 9 Ein unvergesslicher Abend

Kapitel 10 In neuen Reichen

Kapitel 11 Ein Tod bringender Wald

Kapitel 12 Prüfung der anderen Art

Kapitel 13 Die Stadt aus der alten Ära

Kapitel 14 Neue Fähigkeiten

Kapitel 15 Er ist ein unerwünschter Gast

Kapitel 16 Der Nordmenschen Pass Richtung

Kapitel 17 Der Reisende

Kapitel 18 Verlust der Trance

Kapitel 19 Grenzen und Konflikte

Kapitel 20 Dunkelelben oder Priester

Kapitel 21 Die etwas andere Frau

Kapitel 22 Mira und Angelina

Kapitel 23 Die Gefahr der Magie

Kapitel 24 Wissen ist Macht

Kapitel 25 Duell

Kapitel 26 Audienz beim Dukelelbenkönig

Kapitel 27 Eine neue Gefährtin

Kapitel 28 Schwere Entscheidung

Kapitel 29 Ehemann und Ehefrau

Kapitel 30 Vertrauen auf die Probe gestellt

EIN BUCH VON:

ALEXANDER WOLFGANG STRÜVER

KAPITEL1

Flucht aus den Trümmern

Mit jeder Zeile, die er über die Farkasember entziffern konnte, wuchs sein Zorn. Der ja, durch die Geschichte, die er über seine Mutter gelesen hatte, ohnehin schon schwer zu kontrollieren war.

Sie sollen die Konflikte so angefeuert haben? Das glaube ich einfach nicht. Das kann einfach nicht sein. Verdammt! Ich muss wissen, was in den Schriften steht, dessen Sprache ich nicht beherrsche.

Vranaels Gedanken sprangen von Thema zu Thema, bis sein Zorn die Kontrolle übernahm. Seine Augen leuchteten silbern, sein Atem wurde sichtbar, als wenn die Umgebung schlagartig abkühlte. Sogar die Lichter der Kristalllampen erloschen. Knurrend, Zähne fletschend als wäre er ein Farkas, begann Vranael den kleinen Raum zu zertrümmern. Er trat die Tür auf, begab sich in die Hauptkammer der geheimen Bibliothek, wo er trotz Dunkelheit, dank seiner Augen, alles sehen konnte. Bewusst nahm er jedoch nichts mehr wahr. Es war sein Zorn, der ihn leitete. Er verwüstete jedes der Regale, das ihm in den Weg kam. Sogar die Stützsäulen der Bibliothek barsten unter der Wucht seiner Schläge, bis die gesamte Bibliothek drohte einzustürzen. Sollte nur noch ein Pfeiler durch ihn zerstört werden, so würde das gesamte Gemäuer über seinem Kopf auf ihn einstürzen und sämtliches Wissen begraben. Was viele der Bücher und Schriftrollen zerstören würde und sollten die Hochelben versuchen das Wissen zu retten, würde dennoch einiges verloren gehen. Doch dies störte Vranael in diesem Moment keineswegs und er zerschlug die Säule, die zu viel war. Binnen Bruchteilen begann die Decke auf Vranael zuzustürzen. Mit seinen feinen Sinnen wich er jedem Felsbrocken aus, lotete seine Chancen aus und fand einen Weg bis zum Zugangstunnel in die Bibliothek. Kaum betrat er diesen Tunnel, fiel auch der letzte Felsen und die gesamte Hauptkammer war begraben. Wie von Sinnen rannte Vranael den Gang bis zur Tür der Blutprüfung und machte auch hier keinen Halt diese zu zerstören, um ans Tageslicht zu gelangen. Es begann bereits wieder zu Dämmern und das Licht der Sonne küsste gerade noch so den Horizont. Als Vranaels Augen in den Horizont blickten, übernahm sein Bewusstsein wieder die Kontrolle und sein Zorn legte sich, sodass er wieder Herr seiner selbst war. Wenngleich er sich dafür eine nicht schlechtere Situation hätte vorstellen können. Hinter ihm war die gesamte Ebene zusammengebrochen und vor ihm eilte ein Trupp Hochelbenkrieger nach dem nächsten an die Ebene. Aus weiter Ferne ertönten Trompeten und Hörner.

Na, wenn das nicht der König höchstpersönlich ist. Verdammt! Ich muss von hier verschwinden. Und am besten, ohne dass sie mich erkennen oder mitbekommen wer ich bin.

Gerade noch daran gedacht, zog Vranael sich seine Kapuze über den Kopf und suchte einen Weg, der am wenigsten mit Kriegern gepflastert war. Nach Süden war keine Option, da hätte er durch die Trümmer gemusst. Von Norden war der Großteil der Truppen hergekommen, so wie die Hörner und Trompeten des Königs ebenfalls aus dem Norden erklangen. Richtung Osten war ein alter und dichter Wald, doch ebenso eine größere Stadt der Hochelben. Also blieb Vranael bloß der Westen, bevor auch von dort mehr Krieger herbeieilten.

„Sucht alles ab! Findet heraus, was geschehen ist, wer die Eindringlinge sind und wie zur Hölle das passieren konnte.“, befahl und fluchte Shikian, der bereits mit seinen Männern ebenfalls an der Ebene war.

„Tut mir leid. Euer Wissen wollte ich nicht vernichten.“, entschuldigte sich Vranael flüsternd, sodass ihn keiner hören konnte. Denn kaum war der Zorn verflogen, bereute er, was er in seinem Wahn gemacht hatte. Einerseits war er froh, dass er durch sein Unterbewusstsein so agiert hatte, andererseits war es töricht, so mit dem Wissen der Vergangenheit umzugehen. Viel Zeit für Reue oder Mitleid blieb ihm nicht. Selbst Gedanken daran zu verschwenden, kostete ihn derzeit zu viel Zeit. Diese brauchte er, um die letzte Lücke zu nutzen, um sich selbst aus der Gefahr zu bringen.

Was soll’s. Geschehen ist geschehen. Rückgängig machen kann ich es jetzt auch nicht mehr. Los jetzt. Beweg dich Vranael. Er beruhigte sich selbst und riss sich zusammen, auf dass seine Beine endlich begannen ihren Dienst zu leisten. Zu seinem Nachteil blieb ausgerechnet nur zu der Seite die Flucht, wo die Sonnenstrahlen noch die meiste Kraft hatten. Jeder kleinste Fehler würde ihn verraten und es dauerte auch nicht lange bis ihn ein Hochelb erblickte.

„Du entkommst nicht. Verdammter Landstreicher.“ Der Hochelb blieb ruhig und meldete Vranael noch nicht. Er spannte seinen Bogen und nahm Vranael ins Visier. Das Schnellen lassen der Sehne sowie das Surren des Pfeiles in der Luft konnte Vranael, dank seiner sensiblen Sinne, rechtzeitig wahrnehmen. Der Pfeil nahm seinen tödlichen Lauf, bis er eigentlich in Vranaels Schulterblatt hätte eindringen müssen. Doch Vranael drehte sich und ließ es so aussehen, als ob er sich durch Zufall umdrehen wollte und wich so dem Pfeil um eine Haaresbreite aus.

„Verdammt! Herr General, dort hinten ein Landstreicher!“, brüllte der Hochelb, der seinen Augen nicht glauben wollte, wie glücklich Vranael dem Pfeil entgangen war.

„Männer! Schnappt ihn. Lasst ihn nicht entkommen. Wenn er mit dem Chaos hier zu tun hat, will ich es wissen! Also lebendig gefangen nehmen!“, befahl der General.

Na, dann versucht mal euer Glück. Verzeih Shikian, eigentlich scheinst du echt in Ordnung zu sein. Aber ich kann mich dem derzeit nicht stellen.

Auf diese wortlose Verabschiedung legte Vranael einen Gang zu und stürmte durch die Ebene in Richtung Westen, wo ihn bereits zwei Trupps Hochelben mit gezogenen Schwertern in Empfang nahmen.

„Hier geht es nicht weiter!“, brüllen die Krieger aus voller Kehle.

Das werden wir ja sehen.

Vranael sah das natürlich etwas anders. Ohne sein Tempo zu verringern, lief er auf die Klingen, die ihm entgegen ragten, zu. Geschickt, mit einem Stemmschritt stoppte er abrupt seinen Lauf, duckte sich unter den Klingen hinweg, so schnell, dass es den Kriegern trotz ihrer elbischen Geschwindigkeit ein Rätsel blieb, wie ihnen geschah. Ein kraftvoller Schlag frontal gegen die Kniescheibe und man konnte das Brechen des Gelenkes hören. Der zweite Schlag ging gegen die Panzerplatten der Rüstung des links neben ihm stehenden Soldaten. Der Fauststoß war so mächtig, dass sich die Metallplatten der Rüstung nach innen verbogen und dem Krieger die Luft zum Atmen nahmen. Die restlichen Soldaten konnten erst nach den beiden ersten Schlägen reagieren und zogen sich ein paar Schritte zurück, um mit besserer Übersicht einen Gegenangriff auf Vranael zu wagen.

„Umzingelt ihn. Lasst ihn nicht passieren.“, gaben die Soldaten einander Befehle, wer sich wo und wie in den Weg Vranaels zu positionieren hatte. Wenn es Vranael nicht schnell gelingen würde zu fliehen, würden unzählige Krieger an dem Ort sein und die Flucht hätte ein schnelles Ende.

„Verdammt! Aus dem Weg!“, brüllte Vranael voller Inbrunst, mit tiefer, kerniger Stimme, sodass sie bis ins Mark durchdrang. Er stemmte sein Gewicht in den Boden, brachte damit das Momentum so auf den Punkt, dass er mit maximaler Kraft einen Sprung frontal gegen die Krieger machte. Bloß durch eine Drehung um seine eigene Achse konnte er verhindern von den Schwertern aufgespießt zu werden. Um Schnittwunden kam er jedoch nicht drumherum. Mit seiner Schulter rammte er so heftig gegen den Wall aus Kriegern, dass es sie aus den Sockeln hob und mehrere Meter durch die Luft katapultierte. Blitzschnell sammelte Vranael erneut Kraft für einen weiteren Sprung nach vorne, um über die umgestoßenen Elben hinwegzuspringen und hinter ihnen mit einem Spurt davonzueilen. Die Hochelbenkrieger haben sich aber noch nicht geschlagen gegeben. Während der eine Trupp sofort die Bögen zog und Vranael mit Pfeilen den Weg abschnitt, sodass es ihm nur möglich war, in dem er ständig Haken schlug, voranzukommen, sonst hätte er den Pfeilen nicht ausweichen können, nutzten die Krieger des zweiten Hochelbentrupps die Zeit, die er dabei verlor, um ihm nachzueilen. Immer wieder gelang es einem der Krieger zu Vranael aufzuschließen, was nur dazu führte, dass Vranael sich einen kleinen Augenblick dem Zweikampf widmen musste, um dann erneut den Weg gen Westen weiterzulaufen. Doch mit jedem Zweikampf wurde es anstrengender, seine Sinne so scharf zu lassen, dass er ohne Schwierigkeiten ausweichen konnte und immer öfter gelang es nicht bloß einem Krieger aufzuschließen und ihn auszubremsen. Die Hochelben hatten schnell bemerkt, dass Vranael ihnen an Kraft und Geschwindigkeit überlegen war. Daher nutzten sie ihre einzige Stärke, die Übermacht. Es wurde zur reinsten Hetzjagd auf Vranael. Kaum hatte er sich wieder eine Lücke frei geschlagen und konnte frei laufen, flogen die Pfeile und schnitten ihm den Weg ab, sodass die Krieger der Hochelben die höhere Geschwindigkeit ihres Widersachers ausgleichen konnten.

Wenn das so weiter geht, breche ich vor Erschöpfung noch zusammen. Ich sollte mir schleunigst etwas einfallen lassen. Denk nach Vranael… Denk nach verdammt.

Er übte so hohen Druck auf sich selber aus, dass es ihm beinahe gar nicht mehr gelang sich zu konzentrieren. Ein sehr markanter Baum sollte ihm dann doch den Gedanken in den Kopf setzten, der seine Lösung sein konnte.

Der kommt mir bekannt vor. Von dem Baum habe ich doch gelesen. Na dann, versuche ich mein Glück.

Vranael erinnerte sich, dass er von einem solchen Baum in der kleinen Bibliothek im Süden Shoturis gelesen hatte. Dort wurde beschrieben, wie dort vor tausend Jahren ein Rudel Farkas ihr Nest hatte. Die Tunnel sollten also noch mehr oder weniger existieren, wenn sie nicht sogar als Transportwege der Hochelben genutzt werden, um die hügelige Landschaft hier leichter zu überqueren. Doch es war ein Risiko. Gab es sie und wenn, in welchem Zustand würden diese Tunnel und Höhlen sein? Denn tausend Jahre ist für die Natur eine Ewigkeit, um sich etwas zurückzuholen, was nicht mehr von anderen genutzt wird.

Wenn mich nicht alles täuscht, müsste ein Eingang rund hundert Meter hinter dem Baum sein.

Seine Hoffnung wurde belohnt. Wenn auch der Eingang eher an den Eingang in einen Fuchsbau erinnerte, so klein wie das Loch war.

Verdammt, wenn die gesamten Tunnel so klein sind, ist das mein Aus. Riskiere ich es?

Vranael zögerte. Er nahm noch einmal einen Umweg und wich so auch noch einem Pfeilhagel aus. Ihm blieb keine große Wahl. Würde er den Weg in die Höhlen nicht wagen, könnte das bald sein Ende sein, denn diese Hetzjagd schlauchte an seinen Reserven. So legte er noch einmal einen Spurt hin, schlug ein paar Haken und sprang in das kleine Loch. Er zerstörte den Eingang in die Höhle, in dem er all seinen Zorn bündelte, seine letzten Reserven mobilisierte und eine Druckwelle auslöste, als er die Erde über sich schlug. Mit dem Beben der Erde fiel das Loch zu und er hechtete in einen, zu seinem Glück, mannshohen Tunnel.

„Puhh… Was ein Glück. Die Tunnel des Nestes scheinen noch halbwegs in Takt zu sein.“ Beruhigt, dass er diesen Eingang gefunden hatte, ruhte Vranael sich erst einmal für ein paar Atemzüge aus. Zum Glück konnten seine Augen in der Dunkelheit noch recht viel erkennen, wenn auch nur einen Bruchteil dessen, was er sehen konnte, als sein Zorn ihn in der Hauptkammer der Geheimbibliothek durchflutet hatte. Die Gänge des uralten Nestes waren bei weitem nicht mit denen im Wolvar zu vergleichen. Hier hätten Beovar und Akagie nicht im Ansatz aufrecht laufen können. Und die Wurzeln der Bäume und Gestrüppe wuchsen durch die Decke hindurch und versperrten ihm stellenweise den Weg.

Wirklich schnell komme ich hier nicht voran, aber ruhen sollte ich auch noch nicht. Ich hoffe nur, ich verlaufe mich hier nicht bei den ganzen Abzweigungen. Die Orientierung der Farkas ist echt eine Kunst für sich.

Vranael hatte genug damit zu tun, sich mühsam durch die zugewachsenen Gänge zu schlagen und dabei nicht die Orientierung zu verlieren, sodass er seinen Hunger beinahe gar nicht bemerkte. Mehr als Würmer und Käfer gab es hier jedoch nicht zu essen. So beschränkte sich seine Mahlzeit auf rohe Insekten. Ohne Nahrung würde er aber nicht mehr lange durchhalten, dafür hatte ihn die Hetzjagd zu sehr erschöpft. Nach einer ganzen Weile kriechen, krabbeln und sich dabei schmackhafte Larven in den Mund schieben, legte Vranael sich hin, um sich auszuruhen.

Hier sollten sie mich nicht finden. Aufgeben werden sie wahrscheinlich aber auch nicht. Zu mindestens bin ich hier vorerst geschützt.

Noch als er hin und her überlegte, ob es sicher genug war hier einen Schlaf zu wagen, erübrigte sich sein Überlegen, da ihn die Erschöpfung übermannte und er in einen tiefen Schlaf viel. Die Belastung auf seinen Körper durch seinen Kontrollverlust an seinen Zorn war einfach enorm. Die Kraft, die ihn in diesen Momenten durchströmte, kommt ja nicht aus dem Nichts. Es ist die seine, gebündelt und auf den Punkt gebracht. Was nicht hieß, dass ein Farkasember unendlich viel Energie in sich trug. Daher forderte der Kraftaufwand nun seinen Tribut und ein paar Käfer decken diesen Tribut nicht im Ansatz. Ohne jegliches Zeitgefühl, da es nicht den kleinsten Funken Licht in den Höhlen gab, wachte Vranael auf, ohne zu wissen, wie lange er geschlafen hatte. Da allerdings bereits die Maden und Spinnen es sich auf ihm gemütlich gemacht hatten, konnte er nicht bloß wenige Stunden geschlafen haben.

Ihh… Weg, ihr widerlichen Viecher. Wie lange war ich weg? Ich sollte hier schnell raus und weiter Richtung Wolvar.

Vranael wusste, dass er noch nicht in Sicherheit war, bis er es weit genug weggeschafft hat. Erst wirklich sicher sein würde er, wenn er wieder ganz offiziell die Rolle von sich selbst bei den Farkas einnehmen würde. Dafür hatten Beovar und Akagie ja gesorgt, in dem sie sich oft genug bei den Elben mit seinem Trugbild auf dem Rücken blicken ließen. So kroch er die immer enger werdenden Gänge des ehemaligen Farkasnestes entlang, bis er in der Ferne Tageslicht erblickte.

Endlich ein Ausgang. Nie hätte ich gedacht, dass sie diese Gänge nicht für sich nutzen. Scheinbar liegt es den Hochelben nicht so andere Strukturen zu nutzen, außer ihren eigenen. Selbst Schuld und umso besser für mich.

Dachte sich Vranael, als er sich Stück für Stück dem Ausgang näherte, der ihm zum Ende hin gerade noch Platz bot, sich wie eine Schlange hin durchzuschlängeln. Bevor er sich gänzlich hinaus traute, tastete er vorsichtig mit seinem Geist die Gegend ab, ob sich jemand in der Gegend aufhielt. Zusätzliche spickte er hinaus, um sich mit seinen Augen zu vergewissern, was sich dort so befand. Vor ihm lag ein flaches Tal, das Ende der Hügelebene und gut ein paar Kilometer von dem Wald der Ahnen entfernt. Vranael kannte, dank seiner Studien, die Gegend extrem gut. Der Wald, der vor ihm lag, musste der letzte große Wald vor der Küste im Westen Verorzags auf Höhe Shoturi sein.

Ich hoffe, dass ich mich nicht täusche und das ist nicht der Funkenwald im Süden.

Da er sich immer entlang der Gänge bewegt hatte und er oft Abzweigungen nehmen musste, die er nicht nehmen wollte, war er sich nicht zu hundert Prozent sicher, dass er richtig lag. Aber was blieb ihm anderes übrig, als sich erst einmal neu zu orientieren und sich dann einen Plan zu überlegen, wie er ungesehen aus dem Reich der Hochelben entkommen konnte. Am Tage war es ihm zu riskant, aus dem Tunnel herauszukommen. Daher hielt er es noch in dem engen Gang aus, bis die letzten Strahlen der Sonne den Horizont verließen und die Dunkelheit die Nacht einläutete.

Jetzt oder nie. Das Tal kann man Kilometer weit überblicken. Ich sollte also so klein wie möglich bleiben.

Vranael blieb also geduckt und legte die Strecke auf allen Vieren zurück. Er tat einfach alles, um unentdeckt zu bleiben. Was sich auch auszahlte. Nach einer Nacht auf allen Vieren hatte er es endlich in den Wald und damit bis ins Unterholz geschafft.

Ich sollte mir Gedanken machen, welche Route ich einschlage. Aber vorerst muss ich genau wissen, wo ich bin. Wenn ich im Wald der Ahnen bin, sollte ich am Ende des Waldes auf das Meer stoßen, wenn ich Richtung Nordwesten gehe. Na perfekt. Dann warte ich bis die Sonne aufgeht, dann weiß ich grob wo Osten ist.

Gleichzeitig sah Vranael nach, wo genau die Bäume Moos hatten, um so herauszufinden, in welcher Richtung Norden lag. Somit stand sein Plan. Diese Nacht würde er sich ein gesichertes Versteck suchen, um im Morgengrauen nach Nordwesten aufzubrechen. Da ihm allerdings nach wie vor der Magen knurrte, sandte er seinen Geist aus, um nach einer Beute Ausschau zu halten. Tatsächlich spürte er mehrere Rammler in der Nähe.

Na bitte. Kaninchen gab es schon lange nicht mehr. Die schnappe ich mir.

Dran gedacht, wurde es auch umgesetzt. Dank seines scharfen Blickes und seines feinen Gespürs, konnte er seine Beute mit einem gezielten Steinwurf erlegen. Es war zwar enorm riskant, ein Feuer zu machen, doch sein Magen knurrte dermaßen, dass es ihn nicht störte dieses Risiko einzugehen. Kurzerhand sorgte er durch Reibung zweier trockener Holzstöcke für ein Feuer, briet sich sein Kaninchen, um daraufhin das Feuer wieder zu ersticken.

Sicherheitshalber lege ich noch eine Stunde einen Marsch hinter mich, grob in die richtige Richtung. Hauptsache weg von hier, falls jemand das Feuer gesehen hatte.

Vranael wollte kein Risiko eingehen, denn in der Dunkelheit hat mit großer Wahrscheinlichkeit jemand das Feuer gesehen. So lief Vranael gen Norden, bis ihn die Müdigkeit in die Knie zwang und er sich an einem windgeschützten Ort hinlegte, um die restliche Nacht zu schlafen.

Der nächste Morgen sollte ihn unsanft wecken. Neben der Sonne, die mittlerweile den Himmel in ein kräftiges Blau färbte, erklangen Stimmen aus der Ferne in Vranaels Ohr.

„Jetzt haben wir schon sieben Landstreicher festgesetzt, aber keiner von denen soll es gewesen sein, der diesen nervigen Lothera aus dem Orden der Magier bedroht hat. Ja klar. Die laufen hier ja auch wie die Ratten herum.“

„Beruhige dich Tharofin. Der kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Erst einen der höchsten des Magier-Ordens bedrohen und dann die heilige Ebene verwüsten. Außerdem soll er durch Krieger von Shikian verletzt worden sein.“

„Und warum findet ihn dann niemand? Kein Elb oder Mensch kann über Nacht mal so eben aus dem Reich der Hochelben verschwinden.“

„Das musst du mir nicht sagen. Es dauert selbst mit Pferden Wochen, um von Shoturi bis zur anderen Seite des Chisanumi zu gelangen.“ Viel weiter wollte Vranael die Hochelben nicht belauschen oder sich weiterhin so dicht in ihrer Nähe aufhalten. Also schlich er, so leise wie es ihm möglich war, davon.

Wie es scheint, habe ich doch länger in den Gängen des alten Nestes verbracht, als ich dachte. Mit Sicherheit haben sie bereits ihren Großteil an Truppen vor mir.

So wie das Gespräch klang, welches er belauschen konnte, waren das keine Truppen, die direkt zur Ebene am Tag des Geschehens gesandt wurden. Daher ging Vranael davon aus, dass sie die Gegend, in der er sich gerade befand, mit ihren Haupttruppen bereits abgesucht hatten. Denn die Hochelben, die er belauschen konnte, klangen nicht danach, effektiv nach ihm zu suchen. Sie klangen eher danach aktiv die Augen offenzuhalten, wenn ihnen etwas komisch vorkam oder sie einen Landstreicher trafen. Die Tage vergingen einer nach dem anderen, während Vranael sich im Dickicht aufhielt, vor Hochelben versteckt hielt und Stück für Stück weiter Richtung Nordwesten gelangte, bis er die salzige Luft der Küste bereits riechen konnte.

Also hatte ich recht. Ich bin im Wald der Ahnen. Perfekt! Sobald ich die Küste sehe, werde ich mir überlegen, wie ich das

Feuer-Gebirge durchqueren werde.

Vranael erinnerte sich an mehrere Routen durch das Gebirge. Die Frage war bloß, welche würde die für ihn sicherste sein.

KAPITEL 2

Feuer-Gebirge

So wie seine letzten Nächte, war auch diese bloß eine kurze. Doch Vranael wusste endlich wo er war. Also konnte er sich seine Route zurechtlegen und einen Plan, wie er weiter vorgehen wollte.

Zunächst ist und bleibt es von größter Bedeutung, dass sie mich nicht sehen. Ich muss also unsichtbar bleiben, denn eigentlich sollte ich bereits aus dem Reich der Hochelben verschwunden sein. Das ist meine Absicherung. Mitten ins Feuer-Gebirge werde ich nicht können. Dort gibt es, dank der starken vulkanischen Aktivität, viele Bergwerke und Orte, wo Kristalle abgebaut werden. Am besten also entlang der Steilküste. Da werde ich klettern müssen, aber besser als entdeckt zu werden.

Vranael war von sich selber überrascht. Es hatte sich enorm viel getan. Er hatte sich so stark verändert, was ihm nie wirklich so bewusst geworden war. Doch gerade jetzt bemerkte er es. Er hatte viel Wissen über die Gegend, in der er sich aufhielt und das meiste davon bloß, weil er sich schlau gelesen hatte. Aber es half ihm, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, um aus seiner misslichen Lage heraus zu gelangen. Auf Farkasdomb hätte er noch versucht, allen alles recht zu machen, um Respekt und Anerkennung seines Dorfes zu erhalten. Was er hier im Reich der Hochelben gemacht hatte, war das absolute Gegenteil. Er hatte absolut egoistisch agiert. Auf Biegen und Brechen wollte er mehr über seine Familie, seine Herkunft herausfinden, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken.

Ist es falsch, was ich hier tue?

Fragte er sich. Bis er sich wieder daran erinnerte, was andere von ihm verlangten, nur weil er es konnte. Sein Blut ist einfach nicht außer Acht zu lassen. Ganz gleich, wie sehr es von den anderen Völkern gefürchtet wird.

Alles, was ich dort gelesen habe, hat mir im Grunde gezeigt, dass ich noch mehr herausfinden muss.

Mit diesem Gedanken warf er alle Zweifel über Bord. Letzten Endes schien es noch keiner zu wissen, dass er zu einem Teil Farkasember ist. Die Waldelben scheinen es auf magische Art vergessen zu haben und sonst, außer den Farkas, hatte er es kaum jemanden erzählt. Merkwürdig war bloß, wie die Waldelben aus Treeousee es wieder vergessen konnten. Dies wollte Vranael als nächstes herausfinden. Scheinbar war es jemanden ein Anliegen, dass die Farkasember nicht mehr zur Sprache kamen. Ob dies der Hochelbenkönig veranlasst hatte oder eventuell sogar die Farkasember selbst, wusste Vranael jedoch nicht.

Wie dem auch sei. Wenn ich mir darüber jetzt zu sehr den Kopf zerbreche, verliere ich meine Aufmerksamkeit und sie erwischen mich noch.

Gerade noch rechtzeitig fokussierte er sich wieder auf seine Umgebung und seine Flucht, denn nicht unweit von ihm ritt ein Trupp Hochelben vorbei. Er schaffte es gerade noch sich ein Plätzchen im Unterholz zu suchen, welches blickdicht genug war, um ihn vor den Reitern zu verbergen.

Ich Idiot! Darüber werde ich mit Akagie und Beovar reden, sobald ich hier endlich weg bin.

Je mehr Vranael versuchte, nicht über alles weiter Kommende und bereits Geschehene nachzudenken, desto mehr fixierte er sich darauf. Ihm blieb nichts übrig, als zu versuchen, sich davon zu lösen. Die passende Zeit wird kommen, wo er in Ruhe darüber nachdenken kann. Diese Zeit war definitiv nicht jetzt.

Solange ich mich an der Küste entlang bewege, kann ich wenigstens eine Seite ausschließen, von der aus mir Gefahr droht, entdeckt zu werden.

Die nächsten Tage ging Vranael entlang der Küste, den Wald der Ahnen hoch in den Norden, bis sich der Wald lichtete und in der Ferne die Ausläufer des Feuer-Gebirges zu sehen waren. Die letzte Hürde war die flache Ebene vor dem Gebirge. Diese würde er, wie die letzte flache Ebene auch, in der Dunkelheit der Nacht überwinden. Daher blieb ihm noch der restliche Tag, um sich endlich mal wieder ordentlich den Bauch vollzuschlagen. Zu seinem Glück wuchsen hier viele Früchte, Kräuter und es gab einiges an Wild, sodass es für eine üppige Mahlzeit reichte. Diese tat ihm auch sehr gut. Zu lange war es her, dass er dermaßen gut gegessen hatte. Nach seiner ausgiebigen Mahlzeit gönnte er sich sogar ein Nickerchen, bis die Sonne langsam aber sicher hinter dem Horizont verschwand. Er streifte seine Kapuze weit über sein Gesicht und eilte geduckt über die Ebene. Jedes Mal, wenn er andere Wesen wahrnahm, schmiss Vranael sich auf den Boden und blieb regungslos auf diesem liegen. Aufgrund dieser etwas mühsamen Fortbewegungsart dauerte es eine Weile, bis er die Strecke zwischen Wald und Gebirge zurückgelegt hatte, wenngleich er auch die Ebene ohne große Aufregung und Stress durchqueren konnte.

Ich hätte mit mehr Überwachung gerechnet. Gerade hier könnten sie jeden ausfindig machen. Als ob sie es sich bereits anders überlegt hätten. Oder gehen sie etwa davon aus, dass ich schneller bin, als ich es wirklich bin?

Vranael traute der Ruhe nicht. Irgendwo mussten die Hochelben noch eine Barriere aufgebaut haben. Sie können doch niemanden einfach ziehen lassen, der ihre Geheimbibliothek zerstört hat. Trotz all seiner Zweifel hatte er es nun bis ins Feuer-Gebirge geschafft. Nur eines wusste er, in Sicherheit wiegen sollte er sich besser nicht, denn derzeit lud alles ein, sich so zu fühlen. Kaum noch Truppen oder Späher, die nach ihm suchten. Die Hochelben waren aber keine naiven oder zu unterschätzende Gegner. Daher atmete Vranael noch einmal tief durch, um sich danach noch mehr auf die Umgebung zu konzentrieren, damit er nicht in eine Falle geraten würde. Die Ausläufer der ersten Berge boten ihm jede Menge Orte, an denen er sich vor unerwünschten Blicken verstecken konnte. Wiederum gab es genauso viele Orte, von denen man beinahe jeden Zugang zu den Versteckmöglichkeiten zu sehen vermochte. Daher war es von Vranael sehr clever gewesen, sich eben nicht in Sicherheit zu wiegen. Ihn hier in einen Hinterhalt zu locken war wesentlich einfacher als auf jeder Ebene.

Hier werden sie definitiv etwas geplant haben. Ich sollte enorm aufpassen, wo ich lang gehe. Eine schnelle Flucht aus etwaigen Schluchten oder Bergpässen ist so gut wie unmöglich. Mal davon abgesehen, dass ich von dort ohnehin maximal nur zwei Seiten habe, zu denen ich mich bewegen könnte.

Vranael beobachtete die Gegend mit Adleraugen, bevor er in eine Richtung ging. Sein Gefühl bezüglich der sicheren unentdeckten Durchquerung des Feuer-Gebirges war sehr stark zusammengeschrumpft. Da wünschte er sich doch eher wieder eine große Ebene, auf der er in jede Himmelsrichtung fliehen konnte oder einen dichten großen Wald, der ihm jede Menge Möglichkeiten bot, sich schnell aus den Augen anderer rar zu machen. Seinem Vorhaben, sich nah entlang der Küste durch die Berge zu schlagen, blieb er treu. Daher hieß es von nun an, sich die besten Wege herauszusuchen, die ihn nicht weit von der Küste entfernen würden. Sein Weg bestand aus steilen Geröllhängen, schroffen Felsen und Klippen, die stellenweise mehrere hundert Meter tief senkrecht hinabfielen. Selbst für Vranael, der durchaus ordentlich viel Kraft in den Beinen hatte, waren es sehr anstrengende Wege. Die gefährlichsten Stellen waren die, wo er gezwungen war, zu springen. Was ihn mitunter auch an den Sprung im Akumai-Gebirge erinnerte, den er nur um Haaresbreite überlebt hatte. Zu seinem Vorteil war es, dass er dieses Mal besser mit seiner Kraft umgehen konnte. Ebenso konnte er die Distanz, die er zu überwinden vermochte, genauestens einschätzen. So würde ihm ein solcher Fauxpas nicht noch einmal passieren. Nichtsdestotrotz waren extrem riskante Sprünge und Kletterpartien in den Bergen vonnöten, um bloß fernab von Wegen und Pässen, die mit Sicherheit oft genutzt und überwacht waren, zu bleiben. Da es Vranael in der Nacht dann doch zu riskant wurde, sich durch die Berge zu kämpfen, suchte er sich jeden Abend bei Anbruch der Dämmerung einen geschützten Ort, wo er die Nacht verbringen konnte. Am Morgen des vierten Tages in den Bergen erblickte Vranael ganz in der Nähe seines Nachtlagers Rauchschwaden aufziehen.

Das ist nicht weit weg. Ob das Truppen sind, die nach mir suchen? Ich kann mich nicht erinnern, dass eine der Minen so dicht an der Küste in den Karten der Hochelben eingetragen war.

Vranael war sich nicht sicher, aber einfach so weiterziehen, könnte ein großer Fehler sein. Also beschloss er, dem nachzugehen. Mittlerweile war er ein Spezialist darin, sich anzuschleichen. Sich leise und unauffällig in der Natur zu bewegen, war in den letzten Wochen, die er vor den Hochelben floh, zu seinem täglichen Brot geworden. Mit höchster Präzision näherte Vranael sich dem Ort, von wo die Rauchschwaden aufzogen. Von einer Anhöhe eines Berges, nicht unweit von den Rauchschwaden, konnte er alles sehen. Was er erblickte, war ein militärisches Lager der Hochelben. Ein komplett planierter Platz mitten in den Berg geschlagen, mit unzähligen Trainingsmöglichkeiten und Schlagböcken fürs Schwerttraining. Auch Schießstände für den Umgang mit Bögen gab es im Überfluss.

Kein Wunder, dass dieser Ort nicht in den Karten eingetragen war. Das ist die reinste Krieger-Schmiede. Dort kann man perfekte Kämpfer ausbilden.

Bei diesem Anblick bereute Vranael es, so nah an der Küste entlang gegangen zu sein. Nie im Leben würde er dort unbemerkt vorbeikommen können. Daher machten sie sich wohl auch nicht so große Mühe damit, vor dem Feuer-Gebirge Patrouillen laufen zu lassen. Wer so dumm war durch das Feuer-Gebirge zu fliehen, würde es mehr als schwer haben lebend daraus zu kommen. Die Kaserne war voll mit Männern, die sich in ihren Fähigkeiten schulten. Das, was Vranael beobachten konnte, war ein sehr harter Drill, der von dem Ausbildungskommandeur an den Tag gelegt wurde.

Ich darf die auf keinen Fall unterschätzen. Hier komme ich mit Schleichen nicht weit.

Der gesamte Bergkamm war mit Wachtürmen gespickt, die es nahezu unmöglich machten, von der Position, an der sich Vranael gerade aufhielt, noch weiterzukommen. Ihm fielen spontan zwei Möglichkeiten ein, wie er weiter vorankommen könnte. Die eine war, sich direkt an der Küste ins Wasser zu stürzen und entlang der Klippen zu schwimmen oder zu klettern, um den Blicken der Wachen in den Türmen zu umgehen. Die andere, sich einem Kampf stellen, den er so für sich gewinnen sollte, dass er wenigstens eine Lücke sehen konnte, aus der er entkommen könnte. Denn einen Kampf gegen diese gut trainierten Krieger würde er, selbst im Rausch des Zornes, nicht unbedingt gewinnen können. Dazu sind es einfach zu viele, sehr gut ausgebildete Kämpfer. Was man von Vranael nun nicht wirklich sagen konnte. Bis auf das, dass er aufgrund seiner Sinne gut reagieren konnte. Kampftaktiken und Schlagkombinationen hatte Vranael viel zu selten trainiert.

Also, lass mich mal überlegen. Der Wasser- und Klippenweg verhindert mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass ich gesehen werde und damit einen Kampf. Was ich jedoch nicht weiß ist, wie stark die Strömung ist und ob es hier Tiere oder Kreaturen im Wasser gibt, die mir gefährlich werden können. Wenn ich da so an Farkasdomb denke, dort leben Leviathane nahe der Felsklippen. Und wenn ich mich dem Kampf stelle, muss ich es so wagen, dass es eine Fluchtmöglichkeit gibt. Dummerweise gab es so gut wie keine Aufzeichnungen auf den Landkarten über diesen Teil des Gebirges. Nun weiß ich auch, warum. Damit habe ich echt nicht gerechnet.

Also wog Vranael ab, welcher Weg der bessere sein wird. Leicht fällt diese Entscheidung beim allerbesten Willen nicht. Beide Wege waren riskant und bargen ihre Tücken. Wobei eine starke Strömung und die Wasserkreaturen das schlimmere Übel wären, denn diese konnte er definitiv nicht beeinflussen. Daher entschied Vranael sich dafür, die Kaserne und die Umgebung, so gut es ihm möglich war auszusondieren, damit er eine schwache Stelle finden konnte. Nur so konnte er es schaffen, an dieser Kaserne vorbei zu gelangen. Nun hieß es sich beeilen, denn ewig würde er sich nicht dort aufhalten können, ohne dass ihn jemand zu Gesicht bekommen wird. Kaum wollte er die Anhöhe verlassen, spürte er eine Hand auf seinem Rücken.

„Wer zur Hölle bist du?“

Die Stimme klang weich und zart. Was nichts daran änderte, dass Vranael erschrak, da er niemanden bemerkt hatte, der sich angeschlichen hatte.

„Wow! Finger weg!“, drehte Vranael sich vor Schreck rasch um, konnte aber glücklicherweise seine Worte leise der fremden Person entgegenbringen.

„Ganz ruhig. Ich bin eine Verstoßene, so wie du.“, versuchte die fremde Frau ihn zu beruhigen. Überrascht und verwundert starrte Vranael sie an.

„Was machst du hier? Es ist zu gefährlich, sich der Kaserne zu nähern. Komm schnell mit. Hier sind wir nicht sicher.“, forderte sie ihn jetzt sogar auf, ihr zu folgen. Und aus einem ihm unerklärlichen Grund, folgte er ihr sogar, ohne weiter darüber nachzudenken.

„Nicht so schnell. Wo gehen wir hin?“,wollte er nach einer gewissen Zeit dann doch wissen.

„Na, in den Unterschlupf der Landstreicher.“ Sie sagte es so selbstverständlich, dass Vranael dem nicht so ganz folgen konnte, was hier gerade geschah.

„Warte. Du bist doch einer der Ausgestoßenen, oder? Was solltest du sonst in einem solchen Outfit hier im Feuer-Gebirge verloren haben.“ Kaum stellte sie ihm diese Frage, zog sie eine Klinge und hielt sie ihm an die Kehle.

„Ich weiß nicht, was genau du glaubst, dass ich sein soll oder was genau hier los ist. Ich wäre schon froh, wenn du die Güte hättest mir zu sagen, was zum Geier es mit den Landstreichern auf sich hat.“, gab Vranael ihr zu verstehen, ohne sich von dem Dolch an seiner Kehle beeindruckt zu zeigen.

„Na, ich hoffe für dich, du bist nicht einer von Johrtaks Spitzeln. Denn dann ist diese Klinge dein Todesurteil.“, wurde die Elbenfrau deutlicher und erhöhte mit ihrem Dolch den Druck an der Kehle.

„Ich bin weder ein Spitzel, noch gehöre ich einer Landstreichergilde an. Ich komme nicht aus dem Reich der Hochelben und versuche es bloß wieder zu verlassen.“, versuchte er ihr klarzumachen.

„Dann kannst du es ja beweisen! Lass mich in deinen Kopf. Ich prüfe deine Gedanken, dann kann ich mir sicher sein.“ Irgendwoher kam Vranael das doch bekannt vor.

„Was ist mit euch eigentlich los? Alle wollen meinen Geist prüfen. Es tut mir leid. Mein Geist gehört nur mir selbst und ich lasse dort niemanden hinein. Auch nicht, um jemanden zu überzeugen, dass ich die Wahrheit spreche. Das musst du mir schon glauben.“, machte Vranael ihr nun deutlich und lehnte sich, während er ihr das sagte, sogar noch fester gegen den Dolch.

„Was stimmt mit dir denn nicht!? Du könntest so leicht deine Worte beweisen und glaubst, dass ich es einfach so ignoriere, dass du dem nicht nachkommst?“ Die Elbenfrau bestand fest darauf, seien Geist prüfen zu wollen.

„Überlege doch mal. Ich habe die Kaserne beobachtet und wollte mir einen Weg an oder durch eben diese Kaserne suchen. Du hast mich aufgegriffen.“, fuhr er sie nun an und griff ihr blitzschnell in die Hand, drehte sie einmal um ihre eigene Achse und stieß sie von sich weg.

„Es ist mir egal, wen oder was du mit Ausgestoßenen meinst. Ich habe weder ein Interesse mich jemanden anzuschließen noch jemanden anzugreifen. Ich habe meine Gründe, warum ich aus dem Reich Johrtaks verschwinden werde. Punkt. Aus. Ende. Ist das endlich angekommen!?“, fauchte er sie leise an.

„Was zur Hölle stimmt nicht mit dir? Du bist doch auch ein Hochelb. Hast du keine Meinung zu der Situation im Reich?“, fauchte die Elbenfrau ihrerseits nun zurück.

„Du hast mir nicht zugehört, oder? ICH KOMME NICHT AUS DIESER GEGEND!“, sprach er nun sehr deutlich, langsam und betonend.

„Aber...“

„Verdammt nochmal! Es gibt kein aber. Ich habe nichts mit eurer Situation hier zu tun! Ich kenne sie doch noch nicht einmal!“ Vranael wusste nicht, was genau hier gerade geschah. Nur eines wusste er, mehr als ihm lieb war, sie hielt ihn auf. Was noch schlimmer war, sie konnte sich ihm unbemerkt nähern. So ein Fehler durfte ihm nicht passieren. Aber es sprach für seinen Zustand. Die Flucht, die er seit Wochen hinter sich hatte, schlauchte an seinen Kräften. Sowohl an seiner Konzentration als auch an seinem körperlichen Zustand. Er brauchte dringend etwas Ruhe und er bemerkte, auch wenn ihm die Elbenfrau fremd war, sich endlich mal wieder zu unterhalten, tat ihm unendlich gut.

„Dann erklär mir, was genau du gedacht hast, bei der Kaserne zu tun.“, forderte sie ihn auf.

„Sag mal, hörst du mir nicht zu oder stellst du dich so dumm? Ich sagte doch, dass ich daran vorbei möchte.“, wiederholte er genervt sein Vorhaben.

„Wenn du ein einfacher Reisender bist, warum nimmst du dann nicht die Wege und Pfade, die sicher durch das Gebirge führen? Warum begibst du dich dann, abseits jeglicher Route, über gefährliche Schluchten und dann auch noch so nah an die heran, von denen du dich scheinbar versuchst fernzuhalten.“ Die Elbenfrau versuchte Fehler in Vranaels Aussagen zu finden. Wenn er sie schon nicht in seinen Kopf lassen würde, musste sie ja auf eine andere Art und Weise herausfinden, was Vranael vorhatte.

„Also erstens ist hier nicht der beste Ort, um über so etwas zu sprechen und zweitens...“ Just in dem Moment, als er weitersprechen wollte, sprang Vranael auf die Elbenfrau zu, packte sie um ihren Kopf herum und hielt ihr den Mund zu. Mit der zweiten Hand umschlang er sie und zog sie in einen schmalen Felsspalt, wo er ihr ins Ohr flüsterte.

„Sei still und beweg dich nicht. Da kommen Reiter!“, kaum sagte er es ihr, konnte man schon aus der Ferne die Hufe mehrerer galoppierender Pferde hören.

„Wie hast du…?“, wollte sie fragen, doch Vranael signalisierte ihr erneut still zu sein.

„Sie sind außer Reichweite. So und was auch immer du jetzt tust, verschwinde wieder. Ich muss weiter!“, wollte Vranael sie loswerden. Doch anstatt, dass sie verschwand, folgte sie ihm.

„Sag mal, was stimmt nicht mit dir?“, wollte Vranael daraufhin von ihr wissen.

„Ich kapiere es nicht. Was treibt dich an?“ Die Elbenfrau wollte unbedingt wissen, wer genau Vranael war. Doch nun ignorierte Vranael sie und eilte den Reitern nach, um sich von einer anderen Anhöhe weitere Überblicke über die Kaserne zu verschaffen. Doch kaum wollte er sich erneut eine neue Position suchen, stand die Elbenfrau wieder hinter ihm. Dieses Mal hatte er sich jedoch wieder besser konzentriert und sie herankommen gespürt.

„Sag mal, warum folgst du mir?“, wollte Vranael jetzt wissen.

„Bist du der, den sie suchen? Der Landstreicher, dem die Zerstörung der heiligen Ebene vorgeworfen wird?“, fragte die Elbenfrau ihn nun direkt, woraufhin sich Vranaels Augen schlagartig schärften. Sein Blick wurde stechend und er wirkte auf einmal wie jemand, der keine Skrupel kennt.

„Du bist es! Darum kenne ich dich auch nicht. Es war niemand von uns. Ich wusste es doch.“, fuchtelte die Elbenfrau mit ihrem Dolch umher.

„Selbst wenn... Was spielt das für eine Rolle? Ihr wisst ja scheinbar nicht einmal, was diese heilige Ebene für ein Ort war.“, gab Vranael schnippisch von sich. Langsam aber sicher hatte er das Gefühl in einem Kabarettstück zu sein.

„Warte. Was meinst du?“ Vranael ging einfach an ihr vorbei und schaute nach anderen Plätzen, von wo er noch mehr über die Kaserne in Erfahrung bringen konnte. Plätze, von denen er mehr Details oder Schwachpunkte entdecken konnte.

„Warte doch mal!“, versuchte sie ihn aufzuhalten

„Was stimmt nicht mit dir?! Wenn du weiterhin wie so eine schrille Trulla hier herumrennst, können wir gleich den Wachen ein Leuchtfeuer machen und ihnen zeigen, wo genau wir sin...“ Noch während er es aussprach, kam Vranael ein Gedanke

Das ist es. So kann ich sie ablenken. Das könnte sogar klappen und es reichen mir ein paar Minuten um eine Lücke zu durchbrechen.

„Sag mal, ich rede mit dir! Hörst du mir denn nicht zu?“ Noch während Vranael sich die Details seines Planes durchdachte, redete die Elbenfrau immer weiter auf ihn ein.

„Was! Was zum Teufel ist denn!“, platzte ihm beinahe der Kragen.

„Jetzt komm schon mit. Es wird schon bald dunkel und die Patrouillen der Wachen werden in der Nacht erhöht.“, erklärte sie ihm und forderte ihn erneut auf, ihr zu folgen. Auf ihre Warnung hin sandte Vranael seinen Geist aus und nutzte einen Habicht, der gerade über die Kaserne flog, um durch seine Augen zu sehen. Die Elbenfrau sprach die Wahrheit. Das Treiben in der Kaserne wurde mehr.

„Woher...“, setzte Vranael an.

„Nicht nur du hast deine Talente.“, grinste sie ihn an und lief los. Dieses Mal eilte Vranael ihr nach und als sie sich einer Klippe näherten, sprang sie diese einfach hinunter und brüllte Vranael bloß zu.

„Greif dir eines der Seile!“ Doch Vranael konnte keine Seile sehen. Erst als sie sich eines griff wurde es sichtbar. Da blieb Vranael nicht viel übrig, außer an dieselbe Stelle zu greifen, an der man lediglich Felsen sah. Kaum griff er zu, spürte er, dass dort tatsächlich Seile lagen. Also sprang er ihr blind in die Tiefe nach. Kaum war er über dem Abgrund, war sie schon nicht mehr zu sehen. Auch ihr Seil war wieder unsichtbar.

„Oh Scheiße… Da ist doch bloß schroffer Felsen!“, fluchte Vranael als er dank des Seiles genau auf diesen zu schwang. Anstatt, dass er jedoch mit voller Wucht gegen eine Wand prallte, fand er sich in einer Höhle wieder, in die er sich rein geschwungen hatte.

„Lass das Seil los. Sofort!“, schrien ihm mehrere Stimmen zu. Blind tat er es und er landete in einem kleinen See, der in der Höhle war, welcher seinen Freiflug recht angenehm beendete. Er tauchte auf, schwamm zum Ufer, wo er zuerst von mehreren bewaffneten Männern und Frauen willkommen geheißen wurde. Jeder von ihnen war wie ein Landstreicher gekleidet.

„Was geht hier vor? Yurina?! Wen hast du denn jetzt schon wieder mitgebracht?“, erklang eine tiefe Männerstimme.

KAPITEL 3

Die Landstreicher-Gilde

„Yurina. Nicht schon wieder! Wir können nicht noch einen durch Füttern.“, erklang es aus mehreren Ecken der Höhle.

„Habt Dank. Doch ich hatte nicht vor, mich hier länger aufzuhalten.“ Die Elben waren verwundert über Vranaels Worte und zur selben Zeit besorgt. Der Elb, der als erstes die Elbenfrau angesprochen hatte, von der Vranael mitgebracht wurde, zog auch prompt sein Schwert, was ihm die restlichen Elben nachtaten.

„Ist das einer von Johrtaks Männern?“, wollte er wissen.

„Nein, bin ich nicht! Wenn ihr ein Problem mit mir habt, klärt das mit mir und nicht mit dem Weib!“, lenkte Vranael die Aufmerksamkeit auf sich. Wobei die Elbenfrau sich durch Vranaels Worte angegriffen gefühlt hatte und ihm eine Ohrfeige geben wollte. Das konnte Vranael jedoch geschickt verhindern und ergriff, wie schon zuvor ihre Hand, drehte sie wieder einmal um ihre eigene Achse und stieß sie von sich weg.

„Ich bin weder ein Spitzel noch bin ich ein Landstreicher, der von den Hochelben verstoßen wurde oder was auch immer euer Verein hier darstellt.“ Vranael sprach mit gleichgültigem Ton, denn im Grunde wollte er bloß eines: aus dem Reich der Hochelben verschwinden.

„Du mieses A…! Das ist der, den sie suchen. Er ist für die Verwüstung der heiligen Ebene zuständig.“, spie Yurina aus, nachdem sie sich bockig von Vranael wegdrehte.

„Stimmt das?“, wollte der Mann wissen, der scheinbar der Gildenführer war.

„Was genau ist denn so wichtig an dieser Ebene oder ob und wer sie zerstört hat? Ich meine, ihr scheint nicht wirklich beliebt bei den Hochelben zu sein. Also, aus welchem Grunde spielt das für euch eine Rolle.“ Womit Vranael nun nicht gerechnet hatte, war, dass er mit diesem Satz den Zorn der Hochelben auf sich zog.

„Wir sind Kritiker des Königs und sind ihm zu laut geworden. Viele von uns sind alt und wir wollten uns der Familie Onaji nicht länger beugen. Was nicht bedeutet, dass wir uns den Lehren unserer Ahnen nicht verpflichtet fühlen.“ Da bemerkte Vranael in was er da gerade hineingeraten war. So wie es scheint, hatte der König sich mit irgendwelchen Dingen, bei einigen von ihnen, unbeliebt gemacht.

„Also, seid ihr Rebellen?“, fragte er daraufhin direkt.

„Nein. Wir sind das schlechte Gewissen des Königs. Es gab bloß derzeit einen Störfaktor, der das empfindliche Gleichgewicht gestört hatte.“ Als Vranael diese Worte vernahm, bemerkte er, dass die Hochelben nach wie vor ihre Waffen gezogen hatten und sich kampfbereit machten.

„Mit anderen Worten: Ihr seid ein Teil des Systems und man holt euren Rat, wenn man eine unabhängige Meinung benötigt.“ Vranael beobachtete, als er das sagte, jeden so genau wie es ihm möglich war und nur von Yurina spürte er eine ablehnende Reaktion.

„Wir leben außerhalb des Systems, um auf unsere Art und Weise einen Teil dazu zuliefern.“, gab ihm der Mann nun zu verstehen.

Ein Glück ist es hier dunkel. Und die Augen der Hochelben sind nicht in der Lage im Dunkeln so scharf zu sehen, wie ich es kann.

Vranael wurde bewusst, dass sie ihm nicht helfen würden. Ganz im Gegenteil. Sie würden ihn nutzen, um ihr empfindliches Gleichgewicht wieder herzustellen. Auf dass König Johrtak nicht weiter seinen Verdacht auf die Landstreicher richten würde, die offensichtlich Systemkritiker sind, um auch andere Meinungen mit einzubringen.

Die Hochelben sind doch vielseitiger als ich dachte. Was auch immer ihr Grund für so eine Gilde ist.

„Dann habt ihr ja sicher Verständnis dafür, dass ich mich hier nicht viel länger aufhalten werde.“, verabschiedete sich Vranael auf seine Art. Der Gildenanführer hatte zu viel verraten. Vor allem, dass ihm Yurina wichtig war, was Vranael nutzte. Mit einem Satz, der so schnell war, dass ihm keiner der Hochelben mit ihren Augen folgen konnte, griff er sich Yurina, zog ihren Dolch, um ihr diesen an die Kehle zu legen.

„Du hast mich hergebracht. Du wirst mir die Ehre erweisen, mich wieder von hier wegzubringen.“, flüsterte Vranael ihr ins Ohr. Schockiert, wie schnell er seine Position wechseln konnte, ohne dass ihn auch nur einer hätte aufhalten können, war Yurina starr vor Angst.

„Vater.“ Mehr vermochte sie nicht mehr zu sagen.

„Du Widerling. Lass meine Tochter sofort los!“ So schnell es dem Gildenanführer möglich war, reagierte er und wies seinen Männern an, die Schwerter zu senken. Vranael hingegen hatte, während seines Spurtes zu Yurina, seine Kapuze wieder tief in sein Gesicht gezogen. Von nun an hieß es hoffen, dass niemand sich an sein Gesicht erinnern würde.

Dieses Weib weiß genau wie ich aussehe, verdammt.

Darum würde er sich später kümmern müssen.

„Also, Prinzessin der Landstreicher-Gilde, wo geht es lang?“, fragte er mit Nachdruck Yurina

„Do... Dort... Dort drüben. D... Da... Da ist ein Ausgang.“ Sie war bloß imstande stotternd zu antworten.

„Na dann, los!“, forderte Vranael sie auf, sich mit ihm zu bewegen.

„Mein Herr! Ihr versteht doch sicherlich, dass ihr mir besser nicht folgt. Oder liegt euch nicht allzu viel an eurer Tochter?“, pokerte Vranael, der nicht vorhatte, ihr etwas anzutun.

„Nein! Verflucht seist du, elender Mistkerl. Männer lasst ihn ziehen. Aber versprich mir, dass ich meine Tochter wieder bekomme!“, ging der Anführer auf das Pokerspiel von Vranael ein.

„Verzeiht mir. Versprechen gebe ich nicht so leichtfertig, denn sie binden. Lebt wohl!“ Als Vranael Yurina vor sich hertrieb und sie in die Richtung verschwanden, in die sie ihn lotste, hörte er noch Schreie und Flüche hinter sich her hallen.

„Du verdammter Mistkerl! Du solltest mein Weg aus dieser bescheuerten Gilde sein, nicht mein Todesurteil.“, heulte Yurina ihm nahezu vor.

„Wie auch immer. Ich habe es dir bereits vorhin gesagt. Mein Anliegen ist es, von hier zu verschwinden.“ Vranael empfand dieses Mädchen als enorm nervig.

„Was bist du überhaupt? Noch nie zuvor habe ich einen so schnellen Elben gesehen.“, wollte Yurina erneut herausfinden, wer oder was Vranael genau war.

„Nerv mich doch nicht ab. Sag mir lieber, wo es hier wieder hinausgeht!“, blockte er ihre Nachfragen ab.

„Wenn du mir nichts von dir erzählst, sage ich gar nichts mehr.“ Yurina war es gänzlich egal, dass er im Grunde ihr Leben in der Hand hatte. Sie wollte mit allen Mitteln ihren Willen durchsetzen.

„Dann gehen wir da lang.“ Vranael behielt sie als Absicherung, um weiterhin ungestört vor der Landstreicher-Gilde zu bleiben. Die Gänge, in denen sie sich befanden, schienen alte Minen zu sein, in denen früher einmal Kristalle abgebaut wurden.

„Da geht es nicht weiter!“, zappelte Yurina und versuchte sich vehement gegen diesen Weg zu wehren.

„Ah, dann scheint dies ja genau der richtige Weg zu sein.“

„Nein!! Nein!! Nein!! Auf keinen Fall dort entlang. Ich will nicht! Bitte nimm einen der anderen Wege. Ich bringe dich, wohin du willst, nur nicht dort entlang!“ Die pure Angst durchdrang Yurina mit jedem Schritt, den Vranael mit ihr weiter in diesen Gang ging.

„Nenne mir bloß einen Grund, warum ich dir Glauben schenken sollte.“, forderte er sie trocken auf.

„Weil ich, verflucht noch mal, an meinem Leben hänge!“, brüllte sie ihn an.

„Jetzt auf einmal?“, lachte er sie ein wenig aus.

„Als ob du mir etwas angetan hättest. Du hättest mit deiner Macht die ganzen Männer töten können. Keiner war in der Lage, deine Bewegung zu sehen. Wenn du gewollt hättest, wären wir keine Herausforderung für dich gewesen. Ich bin nicht blöd, nur weil ich ein Weib bin.“, fuhr sie ihn an und versuchte weiterhin ihn aus diesem Gang hinauszudrängen.

„Was soll denn an diesem Gang so gefährlich sein?“ Langsam weckte sie seine Neugier. Es schien etwas an ihrer Angst begründet zu sein.

„Was glaubst du, warum ausgerechnet hier eine Kaserne ist?“, warf Yurina in den Raum.

„Das kann viele Gründe haben. Und es ist mir ehrlich gesagt gänzlich egal!“, machte er ihr deutlich, dass er nicht auf ihr Gejammer eingehen würde.

„Du… Du willst uns töten.“, drückte Yurina nun auf die Tränendrüse und versuchte Vranael so an seinem Gewissen zu packen.

„Hahahahaha. Was wird das denn jetzt?“, lachte Vranael sie bloß aus, denn nun wurde ihm klar: Sie spielte ein Spiel. Daher konzentrierte Vranael sich, um grob herauszufinden, in welche Richtung dieser Gang führen würde. Und nach all seinen Überlegungen müsste dieser Tunnel geradezu in den Norden führen, also unter der Kaserne hindurch zum anderen Ende des Feuer-Gebirges.

„Danke, kleines Nervenbündel. Ab hier brauche ich dich nicht mehr.“ Er ließ sie aus seinem Griff gleiten und wollte gerade den Gang entlang los spurten.

„Ey, wie jetzt? Erst machst du so einen großen Aufriss und jetzt haust du einfach ab?“ Vranael verstand nicht wirklich, was Yurina nun wieder wollte. Aber sich damit beschäftigen, war auch nicht so sinnig.

„Hallo?!? Ich rede mit dir! Ich weiß, wie du aussiehst!“, schrie sie ihm zu, als er gerade loslief, woraufhin er sich umdrehte, zurück in ihre Richtung kam und ihr mit blutrünstigem Blick in die Augen schaute.

„Was willst du?“ Seine Nerven lagen von den ständigen, lästigen Äußerungen Yurinas beinahe blank.

„Du wirst mir helfen, dass ich endlich in die Stadt zurückkehren darf. Ich hasse es, dass mein Vater mich zwingt in dieser Gilde zu leben.“, erklärte Yurina.

„Dann habe ich einen Rat für dich. Sprich mit deinem Vater oder lerne zu begreifen, wozu diese Gilde gegründet wurde. Damit du entweder begreifst, welch hohe Wichtigkeit sie für eure Gesellschaft hat oder du deine, ach so tolle, Kultur mit Füßen trittst und einfach ihren Prunk und Proll leben willst.“, hielt Vranael ihr eine Standpauke.

„Was glaubst du...“ Doch Vranael ließ sie nicht ausreden

„Ich glaube nicht. Du hast mich gefragt oder besser gesagt, ich solle dir dabei helfen. Doch die einzige Person, die dir helfen kann, bist du selber. Ob es dir gefällt oder nicht. Nur du selbst hast es in der Hand, was aus dir wird. Wem du dich beugst oder welche Dinge und Werte dir wichtig erscheinen.“ Vranael traf mit seinen Worten ins Schwarze und endlich schwieg Yurina, denn darauf wusste sie nicht viel zu antworten. Leere Worte, Beleidigungen oder dergleichen würde Vranael ihr erst gar nicht erlauben loszuwerden. Mal davon abgesehen, dass er nach dieser Moralpredigt an Yurina sofort in Richtung Norden losstürmte. Und er tat gut daran. Denn die Landstreicher-Gilde hatte die Kaserne informiert und so kamen unzählige Hochelbenkrieger in die Gänge der alten Mine.

„Yurina! Du bist wohl auf, ein Glück.“, freute sich ihr Vater als er seine Tochter in dem Gang regungslos stehen sah.

„Yurina? Ist alles in Ordnung mit dir? Sag doch was.“ Ungewohnt, seine Tochter dermaßen still zu sehen, nahm er sie in den Arm.

„Es tut mir leid, Vater. Ich konnte ihn nicht abhalten. Er ist auf Anhieb in den richtigen Gang gelaufen.“, berichtete sie ihrem Vater und den Kriegern, die daraufhin Vranael nacheilten. Zurück blieb Yurina, die wie angewurzelt auf der Stelle stehen blieb, wo Vranael ihr die Moralpredigt gehalten hatte.

„Wie kannst du es wagen, du verdammter Mistkerl!“, brüllte sie verzweifelt einem Geist hinterher.

„Wieso? Was ist das für ein Gefühl? Dem werde ich es zeigen.“, flüsterte sie sich selber zu.

Was war das denn bitte für eine? Oh Mann! Aber immerhin hat sie mir einen Weg aus dem Feuer-Gebirge gezeigt. Daher Danke, Yurina.

In Gedanken ging er es noch einmal durch und ihm blieb nichts anderes übrig als zu schmunzeln. Was nicht lange anhielt, da er wusste, dass er gut daran tat weiter zu laufen, bis er endlich aus dem Stollen gelangt. Erst außerhalb der Minen konnte er sich neu orientieren. Als er dann den Ausblick in ein Tal genießen konnte, war er froh. Er holte tief Luft und genoss die frische Brise.

„Ah! Wenn ich Glück habe, bin ich den Hochelbenkriegern nun endlich davongekommen.“ Freute er sich, wenn auch in weiter Ferne bereits Truppen den Stollen entlangeilten, um ihm nachzustürmen. Zu Vranaels rechten Seite konnte er den Chisanumi sehen. Er hatte es also wirklich durch das Feuer-Gebirge geschafft und das so leicht, dass er es kaum glauben konnte. Von hier an hatte er mehrere Möglichkeiten, war also frei wie er gehen würde. Somit war es beinahe unmöglich für die Hochelben, ihn von hier aus zu verfolgen. Da Vranael aber schon lange genug alleine unterwegs war, als nicht er selbst, entschied er sich für den direkten Weg zum Berg Wolvar. Also schlug er die direkte Route nach Nordosten ein. Dieser Weg hatte auch keinerlei Überraschungen mehr für Vranael, da dort nur viele Felder und Äcker sowie unberührte Natur zu finden war. Er durchquerte also in den nächsten Tagen hügelige Landstriche, kleinere Wälder, bestellte Felder der Hoch- und Waldelben und flache Auen, die ihm eine frische erholsame Brise entgegenbrachten. Mit jedem Tag, den er sich dem Mugen-Narino, dem uralten Wald im Reich der Waldelben, näherte, freute er sich mehr und mehr seine Freunde wiederzusehen.

KAPITEL 4

Zurück im Wolvar

Bei dem Blick in die Ferne ging Vranael das Herz auf. Er konnte die Baumkronen der riesigen Bäume des Mugen-Narino sehen. Wie sie im Wind wehten und Platz für unzählige Tiere boten. Nur noch wenige Kilometer und er würde die Gipfel des Wolvars erblicken können.

Ah… Wie herrlich! Dieser Anblick... Wie ich ihn genieße, das hätte ich mir nicht erträumen lassen.

Dass Vranael sich so gut fühlen würde, wenn er hierher zurückkehrt, war ihm nicht bewusst. Ob es daran lag, dass er dort wieder in sein eigenes Leben, ganz offiziell, hineinschlüpfen konnte oder ob es andere Gründe hatte, war ihm egal. Wichtig war nur eines, er hatte sein Ziel so gut wie erreicht. Im Wolvar war er sicher. Dort würde er sich erholen können, ohne sich auch nur um irgendetwas Sorgen machen zu müssen. Mit immer höher werdender Geschwindigkeit rannte Vranael auf den uralten Wald zu. Ihm war es egal, ob ihn jemand laufen sah, denn nach wie vor trug er zerrissene Kleider und eine große tiefe Kapuze verdeckte sein Gesicht. Je schneller er auf den Wald zu rannte, umso animalischer wurden seine Sinne. Er konnte spüren, wie ihn die Energie der Freude durchströmte. Die Freude, seine Freunde wiederzusehen. Die Freude, an einem Ort zu sein, der ihm Halt und Ruhe bot. Die Freude auf deftige Mahlzeiten, an denen er sich ohne Hemmungen satt fressen konnte. Bei dem Knurren seines Magens war es wohl der letzte Punkt, dessen Freude die größte war. Im Unterholz verringerte er nicht um einen Funken seine Geschwindigkeit, ganz im Gegenteil. Er genoss es, wie ein wilder Wolf über Stock und Stein zu springen. Sich um Äste herum zu schwingen oder über umgekippte Bäume zu rennen, um schneller über eine Schlucht zu gelangen. Er hatte die Geschwindigkeit vermisst, die er auf Akagies Rücken erleben konnte. Wie er mit ihm durch die Wälder oder Ebenen lief, ohne dabei an Geschwindigkeit zu verlieren. Haken zu schlagen, die ihn fast von Akagies Rücken katapultiert hätten. Auch wenn er zu Fuß diese Geschwindigkeit und die weiten Sprünge nicht im Ansatz erreichte, konnte er den Wind, den er durch das Rennen spürte, genauso genießen. Als Vranael dann endlich an den Ausläufern des Wolvar ankam, wusste er, dass er nun das Kapitel mit der Geheimbibliothek abschließen konnte. Mit dem ersten Schritt auf den Anstieg zum Berg erklang ein Wolfsgeheul, das nicht nur den Berg umring. Es war noch weit bis in den Mugen-Narino zu hören.

„Euch auch ein herzliches Willkommen, meine tierischen Freunde.“, rief Vranael in Richtung Berg, auf dass seine Freunde ihn hören. Dieser herzliche Empfang des Rudels trieb ihm sogar Tränen der Freude ins Gesicht. Nie zu vor galt ihm ein Empfang auf eine so kraftvolle positive Art, wie er es hier erlebte.

„Vranael! Argh!“ Mit einem Knall landete Akagie vor Vranaels Füßen und schleckte ihn mit seiner riesigen Zunge ab.

„Danke Akagie, jetzt bin ich klitschnass von deinem Sabber. Haha…“, begann Vranael zu lachen und sprang Akagie um den Hals, auch wenn er diesen kaum umarmen konnte.

„Wie ich dich vermisst habe, mein pelziger Freund.“ Drückte Vranael seinen Freund noch fester.

„Argh… Gleich zerdrückst du mir noch die Knochen. Oh Mann, bist du in den zwei Monaten noch stärker geworden?!“, fragte und bemerkte Akagie sofort. Vranael hatte es nicht einmal mitbekommen, dass es bereits zwei Monate her war, dass sich seine beiden Freunde ohne ihn aufgemacht hatten.

„Keine Ahnung. Ich habe definitiv einiges zu erzählen.“, entgegnete Vranael wie immer recht trocken und sprang dabei auf Akagies Rücken.

„Bevor wir den Berg hoch eilen, hätte ich eine Bitte.“, richtete Vranael sein Wort an seinen pelzigen Freund.

„Was für eine Bitte?“, zog Akagie eine Augenbraue hoch.

„Können wir eine Runde durch den Wald rennen, so schnell du nur kannst?“ Ohne ihm zu antworten, fauchte Akagie einmal laut und mit enormer Kraft sprang er los. Sein Tempo immer weiter erhöhend um die uralten Bäume. Wie eine Gazelle rannte er mit Vranael auf dem Rücken. Nach einem großen Bogen spurtete Akagie auf eine der Felswände des Wolvar zu, setzte an und sprang von Vorsprung zu Vorsprung hinauf.