Faust - Der Tragödie dritter Teil - Friedrich Theodor Vischer - E-Book

Faust - Der Tragödie dritter Teil E-Book

Friedrich Theodor Vischer

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Beschreibung

Faust. Der Tragödie dritter Teil ist ein satirisches Theaterstück von Friedrich Theodor Vischer aus dem Jahr 1862. In ihm fasst der bedeutende Theoretiker der Ästhetik seine lebenslangen kritischen Goethestudien in der Form einer umfänglichen Parodie zusammen, die auch eine Kritik der Goethephilologie und der Literaturwissenschaft überhaupt ist.

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Faust – der Tragödie dritter Teil

Friedrich Theodor Vischer

Inhalt:

Friedrich Theodor Vischer – Biografie und Bibliografie

Faust – der Tragödie dritter Teil

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

Elfter Auftritt

Nachspiel

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Faust – der Tragödie dritter Teil, F. T. Vischer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849638061

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Motto

Und allegorisch, wie die Lumpen sind, Sie werden nur um desto mehr behagen.

Goethe, Faust, der Tragödie zweiter Teil

Friedrich Theodor Vischer – Biografie und Bibliografie

Ästhetiker und Dichter, geb. 30. Juni 1807 in Ludwigsburg, gest. 14. Sept. 1887 in Gmunden am Traunsee, ward, im Stift zu Tübingen zum Theologen gebildet, 1830 Pfarrvikar in Horrheim bei Vaihingen, 1833 Repetent in Tübingen, habilitierte sich 1836 daselbst und wurde 1837 zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor für Ästhetik und deutsche Literaturgeschichte ernannt, aber infolge seiner freimütigen Antrittsvorlesung (Tübing. 1844) sofort auf zwei Jahre suspendiert. 1848 in das Frankfurter Parlament gewählt, hielt er sich daselbst zur Linken, ging mit dem Reste desselben auch nach Stuttgart und folgte 1855 einem Ruf an das Polytechnikum in Zürich, gegen Ende 1866 einem gleichen an das Polytechnikum in Stuttgart, wo er bis 1877 wirkte. V. gehört (neben seinen Freunden und Geistesverwandten Strauß, Schwegler, Zeller u. a.) zu den durch Geist und Gelehrsamkeit hervorragendsten Vertretern der Hegelschen Schule, in deren Sinn er seine Fachwissenschaft, die Ästhetik, als Gehalts-, im Gegensatz zu der innerhalb der Herbartschen Schule durchgeführten Formästhetik bearbeitete. Außer dem Hauptwerk: »Ästhetik, oder Wissenschaft des Schönen« (Stuttg. 1847–58, 3 Bde.; der musikalische Teil bearbeitet von K. Köstlin), erschienen von ihm: »Über das Erhabene und Komische« (das. 1837); »Kritische Gänge« (Tübing. 1841, 2 Bde.; neue Folge, Stuttg. 1860–75, 6 Hefte), eine Sammlung kleinerer, meist kritischer Abhandlungen (das 5. und 6. Heft enthält die Selbstkritik seiner »Ästhetik«); »Goethes Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts« (das. 1875); der geistvolle, aber formlose Bekenntnisroman »Auch Einer; eine Reisebekanntschaft« (das. 1878, 39. Aufl. 1908); »Mode und Zynismus« (das. 1878, 3. Aufl. 1888); »Altes und Neues« (das. 1881–82,3 Hefte; Heft 3 enthält Vischers Autobiographie; neue Folge 1889); »Lyrische Gänge« (das. 1882, 3. Aufl. 1900) und »Allotria« (das. 1892). Unter dem Pseudonym Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky schrieb er: »Faust. Der Tragödie dritter Teil« (Stuttg. 1862, 6. Aufl. 1907), eine Satire auf den zweiten Teil des Goetheschen »Faust«; unter dem Namen Philipp Ulrich Schartenmeyer das barock-humoristische Heldengedicht »Der deutsche Krieg 1870–71« (6. Aufl., Münch. 1904), und anonym die beißenden »Epigramme aus Baden-Baden« (Stuttg. 1867). Aus seinem Nachlaß erschienen, von seinem Sohn Robert (s. Vischer 3) herausgegeben: »Vorträge«, erste Reihe: »Das Schöne und die Kunst« (3. Aufl., Stuttg. 1907), zweite Reihe: »Shakespeare-Vorträge« (das. 1898–1905, 6 Bde.; Bd. 1 und 2 in 2. Aufl. 1905 und 1907), sowie »Briefe aus Italien« (Münch. 1907). Vgl. Keindl, Fr. Th. V., Erinnerungsblätter (Prag 1888, 3. Aufl. 1907); v. Günth ert, Fr. Th. V., ein Charakterbild (Stuttg. 1888); Ilse Frapan, Vischer-Erinnerungen (das. 1889); den biographischen Aufsatz von W. Lang im 6. Heft des Sammelwerks »Von und aus Schwaben« (das. 1890); Th. Ziegler, Fr. Th. V., Vortrag (das. 1893); Oswald, Fr. Th. V. als Dichter (Hamb. 1896).

Faust – der Tragödie dritter Teil

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Einfaches Zimmer. Lieschen tritt auf.

Lieschen. Ich bin das Lieschen, das am Brunnentrog Einst des Gespräches mit dem Gretchen pflog. Erinnert euch, wie sie aus meinem Munde Vom Bärbelchen vernahm die schlimme Kunde. Weil ich nun damals so moralisch sprach, Ließ mir der Herr in seiner großen Gnade Des Fegefeuers heiße Qualen nach Und läutert mich auf minder hartem Pfade. Er wählte mich nach meines Lebens Endung Zu sonderlich bedeutungsvoller Sendung, Ernannte mich zu hochgewicht'ger Stelle: Im Himmelsvorraum, an der heil'gen Schwelle Darf ich als Fausti Seelenfreundin leben, Bis wir gereift, ins Heiligtum zu schweben. Das arme Gretchen, das zu hart gebüßt: Ihr ist jedwede Läuterung erlassen, Als sel'ger Geist ward sie schon längst begrüßt Im sel'gen Kreis, den keine Worte fassen, Sie wohnt in der Verklärten Sitz Zu hoch für eines Dichters Witz. Vernehmet nun, was ich getreu berichte Von Doktor Fausts seitheriger Geschichte. Als er zum Himmelseingang ward erhoben, Erklang ein Ruf posaunenhaft von oben: »Es hat nicht ohne Recht Der Kritiker Geschlecht, Voran der Geist, der stets verneint Und stets als ihr Regent erscheint, Den scharfen Einwand vorgebracht, Der viele Leser stutzig macht, Der Geisterwelt präsentes edles Glied, Nicht ganz so strebend hab' es sich bemüht, Als nötig, es zu retten Aus Satans Ketten; Darum ward resolvieret, Wird hiemit dekretieret: Faust soll vorerst dahüben Noch eine Zeit sich üben, Soll zur Erinnrung an sein Amt auf Erden Im mystischen Vorraum vor dem höchsten Himmel Bei sel'ger Knaben munterem Gewimmel Präzeptor werden! Dies soll mit gewissen Entbehrungen, Mit prüfenden Erschwerungen, Mit Lockungen, die wir nach unserem Plan Dem Satan selbst bewilligt han, Verbunden sein! Und obendrein Erfolgen dann weitere Übungen, Versuchende heilsame Trübungen, Zum Schluß ein läuternder Prozeß, Was noch verhüllt bleibt unterdes. Dies soll ergehn über unsern Knecht! Conclusum! Vidit! Es ist recht.« – Erlaubt, daß ich hier nebenbei bemerke, Ein Wink in Goethes eignem Dichterwerke Sei als Motiv, worauf der Spruch sich stützt, Vom höchsten Consistorium benützt: Da Fausti Seele – freilich fast zu prompt – Mit Engelpost zur Himmelspforte kommt, Im Puppenstande zwar zunächst, Dann aber reißend schnelle wächst, So singen dort die sel'gen Knaben – Ihr werdet's ja gelesen haben Und kennt den pädagogisch schönen Text:         »Er überwächst uns schon         An mächtigen Gliedern,         Wird treuer Pflege Lohn         Reichlich erwidern.         Wir wurden früh entfernt         Von Lebechören,         Doch dieser hat gelernt,         Er wird uns lehren.« Was nun das himmlische Dekret Unter den Prüfungen versteht, Die an den neuen Stand sich knüpfen Nebst andern, die dann weiter folgen sollen: Laßt nur das Drama weiter hüpfen, So wird sich alles euch entrollen. Ich melde jetzt – ihr werdet es verlangen – Genauer, was mit mir ist vorgegangen. Nicht fern von diesem himmelnahen Ort Steht ein Gebäude, edler Bildung Port, Ein Institut, Feld für Erziehungssaat, Vorhimmlisches Töchterpensionat, Wo man das Herz sowohl als auch den Geist Im Guten, Wahren, Schönen unterweist. Da wird der Sinn geseiet und gesichtet, Im deutschen Stil, in Logik und Musik, Literatur, Kritik sowie Physik, Vor allem in der Unschuld unterrichtet. »Religion für Töchter« war die Blume Des Unterrichts. Des Herrn Direktors Muhme Trug sie uns vor; wie tief und klar, Ich vergeß es nie! Ihr schöner Standpunkt war Gemäßigt freisinnige Theologie. – Manch Gröbliches, was mir vom alten Stande Noch anhing, tat mir ab die Gouvernante. Wahr ist es leider, daß ich gerne klatschte, Wenn ich mit andern zu dem Brunnen patschte; Weit hinter mir mit Gelte und mit Krug Liegt jetzo dieser lasterhafte Zug. Ich reifte, machte mein Examen, Und als den Faust hieher die Engel nahmen, Ward ich als Hausverwalterin, Als weise Unterhalterin, Als Warnerin, als Mahnerin, Vollkommenheitsanbahnerin Dem Waller nach dem Himmelszelt In Gnaden beigesellt.(Sie geht an den Tisch, deckt weiter, tritt aber noch einmal vor.) Doch ob der Anstalt zu Herrn Doktors Essen Hätt' ich noch einen Hauptpunkt fast vergessen. Der gute Valentin! Da muß ich nun Vom Bärbelchen zugleich Erwähnung tun: Der Valentin, kein andrer, war ihr Schatz, Ein Leichtfuß schien er mir, ein Flatterspatz; Ich sprach: »Er ist ein flinker Jung, Hat anderwärts noch Luft genung.« Wie unrecht! Er war treu! Allein er fiel, Und Treu und Leben fand ein frühes Ziel. Und als zu ihr die Trauerkunde kam, Sie trug es nicht, die Arme starb vor Gram. Doch ihm und ihr war für so schweres Leid Entschädigung von seltner Art bereit: Er durfte hier am Rand der Himmelshallen Für müde Pilger, die zum Gipfel wallen, Ein Wirtshaus, eine Brauerei errichten, Wohin zur Labung kurze Zeit sie flüchten. Die Bärbel kocht, er schenkt, und alle Gäste Befinden sich, so hört man, auf das beste. Jedoch für meinen guten Faust, Der hier so friedlich mit mir haust, Ist dieser Umstand keine Kleinigkeit. Warum? Die Antwort ist bereit, Der nächste Auftritt bringt sie schon Mit mächtiger Sensation. Hiemit sind dann die Proben eingeläutet, Die jener Ausspruch dunkel angedeutet. Ach Gott, mir ist es angst und bang Vor dem geahnten Sturm und Drang! Doch schimmert Licht des Trostes in die Nacht, Ein Himmelsbote hat es überbracht: Es ist ein milder Zusatzparagraph Zum strengen Machtwort, das den Teuren traf: Der Valentin, der handfest tücht'ge Klopfer, Auf Erden einst des Fausti blut'ges Opfer, Jetzt christlich ihm versöhnt nach Möglichkeit, Soll ihm zur Hülfe, wenn die schwersten Proben Ihn etwan aus dem Gleichgewicht geschoben, Mit seiner Muskel Boxkraft sein bereit. Seht hier die Klingel: kommt's zu schwer, So darf ich ziehn und er eilt her. Genug, es ist des Mittagessens Hora, Euch grüßt des Schauspiels Chorus oder Chora.(Verneigt sich und tritt an den Tisch zurück.)

Zweiter Auftritt

Faust tritt ein.

Lieschen(nimmt ihm Hut und Mantel ab). Bist müde, mein Verehrter! Komm, gib her!

Faust. Ach, wie war heut die Mühe wieder schwer! Wie schmeckte mir ein gutes Gläschen Wein!

Lieschen. Mein guter Heinz, du weißt, es darf nicht sein! Hier steht die Milch, komm her, ich schenk dir ein.

Faust. Ach ja (er nimmt und trinkt mit Widerwillen),         und Hunger setzt's, nach solcher Last! Was gibt's zu essen, sag, was hast?

Lieschen. Du weißt es ja, Heuschreckentag ist heut, Doch morgen gibt es liebliches Gebäck Von wildem Honig.

Faust.         Widriges Geschleck! O schmale Kost, o harte Prüfungszeit! So lebt kein Proletarier, Kein Züchtling, Vegetarier!

Lieschen. Beherrsche dich, denk immer an den Zweck!

Faust. Ich bitte, darf ich denn mit Fug mich nicht beschweren? Den Jungen soll ich Faust, den zweiten Teil, erklären! Ja, das macht Hunger, das macht Durst! Wie lechzt man da nach Bier, nach Wein, nach Wurst! Dabei darf ich den Stecken zwar besitzen, Doch ihn bei schwerer Strafe nicht benützen, Soll, was sie auch für Bubenstreiche treiben, Für ausgesuchten Schabernack, Geduldig wie ein sanfter Engel bleiben! O das verfluchte Schlingelpack!

Lieschen. Heinrich!

Faust. Verzeih, daß mir das starke Wort entflohn, Ein Rückfall war's in alten Erdenton! O wolle du nur fort und fort, Als Hüterin, als Seelenhort, Wenn mich des Zornes rauhe Geister zwacken, Mich reinigen von diesen Erdenschlacken, Hier an des Himmels Ranft Weiblich gelind und sanft Zu höheren Gefilden Mich bilden!

Lieschen. O nein, mein Guter, du auch bildest mich, Ich dich durch des Gefühles zarte Bande, Du mich mehr mit dem männlichen Verstande; O Wechselbildung schön und förderlich! O Wonne, zu des höchsten Himmels Hallen Einander bildend so emporzuwallen!

Faust. Ja, das ist schön und wäre schöner noch, Wär' die Diät um etwas besser doch! Dich, Holde, tadl ich nicht Ums magere Gericht, Du folgst ja nur, ich weiß es lange schon, Dem Wortlaut höherer Instruktion. Des Leibs Entbehrung, Der Geistabklärung Zweckvolle Mehrung, Sie soll den alten Erdenbengel Filtrieren bis zum reinen Engel; Und doch ist's hart, doch ist es halt zu viel, Zu steiler Weg zu dem erhabnen Ziel, Wenn man vom Schulstaub kommt so hungrig, so verschwitzt, Mit tiefem Atemzug zu Tisch dann endlich sitzt Und findet da das traur'ge Einerlei, Kartoffel, Lattich, fade Pflanzenkost Und nur am Sonntag dünnen Apfelmost. O Lieschen, du mit deinem Weibermagen, Du ahnest nicht, was solche Kur will sagen! Warum dies Leben, wie Johann der Täufer? Ich war ja doch kein Fresser und kein Säufer!

Lieschen. Noch andre Formen treibt die Üppigkeit, Gedenke reuig der arkadischen Zeit! Warum bist du zur Prüfung da? Gedenk, o Faust, der Helena!

Faust. Ach, geh mir weg, es sei dir nicht verhehlt: Symbolisch war ich nur mit ihr vermählt, Man tat nur so, es war der pure Schaum, Phantasmagorisch schattenhafter Traum!

Lieschen. Den Blocksberg, Faust, vergiß nicht ganz! Da führte dich der arge Reisebruder Zu Tanz mit wem? Pfui, Faust, zu welchem Tanz!

Faust. Das waren dennoch allerliebste Luder!

Lieschen. Heinrich, mir graut vor dir!

Faust.         Ach Gott, verzeih! Verzeih, daß ich so tief zurückefiel! Des Ärgers, Hungers, Durstes Tyrannei Reizt zynisch mich zum alten groben Stil! Vergiß das rohe, unanständ'ge Wort Und bilde mich nur immer weiter fort!

Lieschen. Der Stil nur wär' es? Ist's nicht der Gedanke?

Faust. Es waren freilich gar so reizend schlanke.

Lieschen(nach einem Blick in den Spiegel). Faust, Faust, sei jetzt doch mehr für das Gesetzte, Nur das Solide sei dir das Geschätzte! Die starken Reden laß dem Valentin, Dem Mann des Volkes gehn sie eher hin.

Faust. O er, gefällt durch meinen Degenstoß, O wie beneid ich ihm sein jetzig Los! Nicht Macbeth konnt' in seiner Seele Leiden So schmerzlich den Gemordeten beneiden! Mir vor der Nase steht sein wohnlich Haus, Und wirbelt da des Herdes Rauch heraus, Hör ich vom Anstich den vertrauten Klang, Vergnügter Gäste Schwatzlärm und Gesang, Und denk ich, wie's dem Guten ist zu gonnen, Wenn abendlich am Himmel sinkt die Sonnen, Daß er in sich geht und denkt, Wo man einen guten schenkt, Da ist mir – ach, wie kann es anders sein! Als zög' mich Zaubermacht hinein! Wohl sag ich mir im Namen der Moral Den Grund und Zweck von dieses Darbens Qual, Doch ist es jedem eingeboren, Daß sein Gefühl hinan und vorwärts strebt, Wenn vor dem Geist in Stille reif gegoren Mit holdem Dampf ein Sauerkräutchen schwebt, Wenn zart geräuchert neben Schweines Rüssel Ein Wurstpaar dampfet in der wackern Schüssel, Hienebst – verzeih! Ich muß ein wenig schmatzen – Bayrische Knödel oder Schwabenspatzen, Dazu ein Tröpfchen edles, firnes Naß Vom Keller aus dem Lagerbiergelaß. –

Dritter Auftritt

Die Decke öffnet sich, es erscheint in einem rötlichen Lichtkreis Mephistopheles mit einem Orchester von höllischen Geistern, die, als Köchinnen und Kellnerinnen gekleidet, in einer Küche beschäftigt sind; er dirigiert mit dem Taktstock.

Gesang der Geister.

Schwindet beengende, Mönchisch bedrängende, Traurige Wände! Weichet behende Traulichen Räumen Freundlicher Küche! Schüsseln umsäumen, Blanke, die Ränder, Pfannen die Ständer; Quillet hervor, Steiget empor, Holder Gerüche Reizparadies. Denn an dem Herde Flinker Gebärde Stehet die nette Köchin Babette, Drehet das fette Gänschen am Spieß. –

Weitre Gewahrung Zeiget daneben Salzigen Harung, Welcher soeben Neben Kartöffelein, Die sie gerädelt fein, Stehet parat, Kleingeteilt aufzugehn, Angemacht aufzustehn Im ölgenetzeten, Essigdurchsetzeten Räsen Salat.

Doch in Kamines Schoß Drängen sich klein und groß Bis zu dem Firste, Locken und winken Rauchige Schinken, Zungen und Würste, Ziehn um die niedliche, Um die gemütliche, Die appetitliche Köchin, die drehende, Sorglich besehende, Schwebenden Kranz. Fertig nun findet sie, Ziehet vom Spieße die Brätelnde, schmorende, Nasebetorende, Goldschimmerhäutliche, Brodelnde, bräutliche, Rundliche Gans.

Wie sie sich beuget, Wie sie sich neiget Über die Schüssel, Klirren bewegt, Rasseln die Schlüssel, Lange und kurze, Blinkend am Ringe Stählerner Zwinge, Die sie am Schurze Amtsgemäß trägt.

Doch der gewaltigste Unter denselbigen Öffnet aufs baldigste Zu dem gewölbigen Keller die Tür; Dort aus dem kluftigen, Dunkeln Gelaß Luget herfür Strotzend von duftigen, Alten und reinen Tiroler Weinen, Strotzend von hopfigem, Malzgehalttropfigem Kraftelixiere Lagernder Biere Faß an Faß. –

Faust(sich den Mund wischend). Oh, oh, oh! O das ist nicht von Stroh!

(Gebärden des Entzückens, hierauf Versinken in einen träumerischen Zustand. Er schläft ein. Der Geisterchor ist verschwunden, die Decke schließt sich wieder, Mephistopheles erscheint hinter Faust.)

Mephistopheles(ad Spectatores). Da bin ich. Faßt den Satz in seiner Tiefe: Wo Prüfung ist, ist auch das Negative!(Sich über Faust beugend und die dürren Hände über ihn ausstreckend.) Er schläft, so recht, nun ist er wieder mein!

Lieschen. O weh, o weh, der Böse wieder da!

Mephistopheles. Altbackne Trutschel, freilich, ja.

Lieschen. Weh, schläfert er ihn gänzlich ein, So hat er gewonnen, Hat ihm den Geist umsponnen!(Zu Faust, indem sie ihn rüttelt.) Wach auf, wach auf, sonst bist du ja verloren!

Faust(im Schlaf redend). Hörst du das Gänselein am Spieße schmoren?

Lieschen(ihn stärker rüttelnd). Ermanne dich, da steht der Hölle Sohn! Komm zu dir! Auf, er packt dich schon! Vertreib ihn mit Gebet, Sonst wird's zu spät!

Faust(erwachend). Ach, laß mich fort, du bete nur und bleibe! Ich breche auf und stürze in die Kneipe! Was ist die Himmelsfreud? Ein leerer Traum Verglichen mit der Kneipe trautem Raum! Fühlt' ich nicht immer ihren Wert? Bin ich der Schlucker nicht, der Schlechtbehauste, Der Unmensch, den am magern Herd Der grimme Durst, der dürre Hunger zauste? Und seitwärts du mit wohlerzognen Sinnen In dieser Hütte dürft'gem Möbelzelt Und all dein häusliches Beginnen Umfangen von der engen Küchenwelt? Dich, deinen Frieden muß ich untergraben, Du, Kneipe, willst und sollst dies Opfer haben! Hilf, Teufel, mir die Angst verkürzen! Was muß geschehn, mag's gleich geschehn! Genießen will ich noch des Lebens Würzen Und meinethalb zugrunde gehn!

Mephistopheles(reißt ihn empor, um ihn fortzuzerren). Gehörest mir, Nur her zu mir!

Lieschen. O Not, o Not!Er raset, er ist hin! Jetzt ist es Zeit, jetzt schell ich Valentin!(Zieht die Glocke.)

Vierter Auftritt

Valentin(mit einer Malzschaufel). Was soll's, was gibt's?

Faust(in Krämpfen). O hin zu dir! zu dir! Nur einen guten Bissen reiche mir! Nur einen guten Tropfen Aus Malz und Hopfen! Nur einen einzigen Pokal Von dunkelrotem Spezial! Nur einen! Reiche mir aus deinen Fluten Nur einen kühlen Becher der Erquickung, Ach, ich vergeh in diesen Lechzegluten, Errette mich vom Qualtod der Erstickung!

Valentin(zu Lieschen). Zum Brunnen mit dem Eimer schnell, Füll ihn mit Wasser aus dem frischen Quell, Und übern Kopf schütt ihm die kalte Flut! Ein Sturzbad ist in solchem Falle gut.

Lieschen. Ich weiß, das Physikalische Wirkt öfters aufs Moralische; Soll schnell geschehn, der Brunnen ist nicht fern, Dabei denk ich der alten Zeiten gern. (Ab.)

Mephistopheles(die linke Hand an Faust, mit der rechten den Degen ziehend, zu Valentin). Gleich nimm ihn mit dir, schenk ihm ein! Wo nicht, sollst du des Teufels sein! Den Degen sieh, mit dem ich dich gelähmt! Gedenke, Lümmel, wie man dich gezähmt!

Valentin. War keine Kunst, dein Degen war gefeit, Der meine nicht, doch jetzt ist andre Zeit! Gleich sind die Waffen hier Im höheren Revier, Mein Instrument ist himmlisches Ärar, Ist zauberfest geweihtes Mobiliar!(Sie fechten.)

Mephistopheles.