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Der koreanische Starfußballer Park Junsok wacht nach einem Autounfall im Krankenhaus auf und erfährt von einer Frau namens Hejin, dass vor zehn Jahren ein Chip in seinen Kopf eingepflanzt wurde und dass er seitdem von einem anderen Menschen gelenkt wird. Zuerst will Junsok nichts davon glauben, nimmt aber schließlich doch Kontakt zu der Frau auf, die ihre eigenen Gründe hat, Junsoks Vampir aufzuspüren und die Machenschaften von Mephisto aufzudecken, einer Firma, die alten, reichen Menschen die Möglichkeit bietet, junge Menschen wie Wirtstiere zu besetzen. Die "Fausts" genannten Eindringlinge bemächtigen sich ihrer "Fauster" über den Chip und können so das Leben ihres Fausters beeinflussen und lenken. Park Junsoks Faust ist ein alter, sehr mächtiger Mann namens Taekun, der für Junsok das Ziel formuliert hat, in die Bundesliga nach Deutschland zu wechseln. Junsok versucht mit Hejins Hilfe, , seinen Faust zu finden und sich von ihm zu befreien …
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Seitenzahl: 605
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This book is published with the support of Publication Industry Promotion Agency of Korea (KPIPA).
Originalausgabe
Fauster
Copyright © 2019 by Ho-yeon Kim
All rights reserved
Original Korean edition is published by WISDOM HOUSE INC.
This German edition is published by arrangement with by WISDOM HOUSE
INC. through KL Management, Seoul Korea
Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.
1. eBook-Ausgabe 2021
Copyright der deutschen Ausgabe
© 2021 Golkonda in der Europa Verlage GmbH München
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Übersetzung: Kyong-Hae Flügel
Redaktion: Franz Leipold
Layout & Satz: Danai Afrati
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-96509-044-6
Alle Rechte vorbehalten.
www.golkonda-verlag.de
PROLOG
TEIL 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
TEIL 2
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
TEIL 3
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
TEIL 4
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
EPILOG
NACHWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE
Das Grab des Stürmers liegt im Strafraum. Junsok ist bereit, dort sein Ende zu finden. So sprintet er auch jetzt in den Kampf. Der rechte Flügelstürmer flankt hart nach innen, der Ball peitscht zwischen Verteidiger und Torwart hindurch. Er ist kaum zu erreichen, trotzdem streckt Junsok mit aller Gewalt sein rechtes Bein nach vorn, stürzt, trifft dabei glücklicherweise den Ball mit dem Spann und lenkt ihn ins Netz.
Tor!
Junsok liegt auf dem Platz, während der Jubel auf ihn einprasselt. Sofort werfen sich seine Mitspieler auf ihn. Das erste Tor im ersten Spiel der neuen Saison. Zehn Minuten bleiben bis zum Abpfiff. Bis dahin kann auf dem Rasen alles passieren. Federnd richtet sich Junsok auf. Falls dem Gegner der Ausgleich gelingen sollte, muss noch ein Tor her, das sieht Junsok als seine Bestimmung.
Er muss sein Team erneut zum Sieg führen. Dafür steht er immer bereit.
Fünf Minuten bis zum Abpfiff: Er bekommt die Chance, in Richtung Tor zu dribbeln. Er spielt einen Gegner aus, treibt den Ball zielstrebig vorwärts und steht schließlich dem Torwart gegenüber. Der stürmt auf ihn zu, will den Winkel verkleinern. Doch Junsok schießt den Ball perfekt kontrolliert mit dem Innenrist. Wieder bebt das Tornetz.
Spielerwechsel.
Ein Verteidiger kommt für Junsok aufs Feld. Auf dem Weg zur Bank genießt er noch einmal den Applaus und den Jubel der Heimfans. Dieses Gefühl würde er nicht mehr lange haben, denn er wird, sobald diese Spielzeit zu Ende geht, Korea verlassen und zu einem Verein in der deutschen Bundesliga wechseln. In seinen mittlerweile neun Jahren als Profi hat er die meisten seiner Ziele erreicht. Jetzt endlich wird sich sein lang ersehnter Traum erfüllen.
Für einen Fußballspieler ist nicht nur die momentane Ballkontrolle wichtig. Noch wichtiger ist die Kontrolle der physischen und psychischen Kondition über die gesamte Saison. Junsok wiederholt noch einmal: Die Ballkontrolle kommt erst an zweiter Stelle. Das Wichtigste ist, das eigene Leben im Griff zu haben.
Es ist der Frühling des Jahres 2022. So beginnt seine letzte Saison in Korea.
Juhan, der Torwart, wollte zwar auf den ersten Sieg der Saison bei einem gemeinsamen Essen mit den jüngeren Teamkollegen anstoßen, doch Junsok lehnte ab. Entweder vergöttern ihn die Jüngeren in der Mannschaft, oder sie tun sich schwer mit ihm. Er selbst hat einfach keine Lust darauf, sich mit anderen Leuten zu treffen. Juhan war sehr enttäuscht von der Absage, aber Junsok kann damit leben.
Um der Beste zu werden, musste er zunächst das Aufgeben lernen. Im Leben geht es immer darum, sich zu entscheiden, und zwar nicht in der Weise, dass man etwas bekommt, sondern dass man etwas aufgeben muss. Junsok isst allein zu Abend und bekommt seine Sportmassage im Klubhaus. Diese Rituale sind die Basis, um die gesamte Saison durchstehen zu können. Nach der Behandlung ist es schon fast Mitternacht.
Auf dem Weg nach Hause singt er das Lied eines Teeniestars aus dem Radio mit. Er gibt Gas, während er die Lautstärke hochdreht. Seit Jahren ist die Zeit, in der er nach einem Sieg allein nach Hause fährt, seine einzige Freude. Es folgt der nächste Titel. Obwohl er ihn früher gern hörte, spürt er jetzt eine gewisse Unruhe. Musik ruft bei ihm stets Erinnerungen wach, insbesondere an die Menschen, mit denen er sie gehört hat.
Er wirft einen Blick auf die Goldkette, die am Rückspiegel baumelt. Dabei konzentriert er sich auf den dünnen Ring an ihr, der schaukelnd gegen die Schwerkraft ankämpft. Wie soll er es schaffen zu gehen, wenn die Vergangenheit so präsent ist? In dem Moment kommt er sich wie ein Dummkopf vor. Wenn er in die Bundesliga wechseln will, sollte er sich als Erstes von dieser Kette trennen. Doch vorher muss er das Lied abdrehen.
Tief in der Nacht überquert Junsok eine Kreuzung in Gangnamdaero. In diesem Augenblick donnert von rechts ungebremst ein Lastwagen heran. Noch ehe er auf die Gefahr reagieren kann, schiebt sich der Lastwagen in die Seite seines Porsche Panamera.
Junsok erwacht im Krankenhaus. Ohne groß darüber nachzudenken, was genau passiert ist, tastet er hastig seinen Oberkörper ab. Zum Glück scheinen seine Arme und Schultern heil zu sein. Er richtet sich auf und wiederholt die Prozedur an seinen Oberschenkeln und Knien. Auch sie sind anscheinend in Ordnung. Sein Auto hat möglicherweise einen Totalschaden, aber sein Körper ist in guter Verfassung. Erleichtert seufzt er auf.
Erst nach der Feststellung, dass er wohl weitgehend unverletzt ist, nimmt er seine Umgebung wahr. Er schaut sich um, und sein Blick fällt auf eine Frau, die seelenruhig neben dem Bett sitzt und ihn ansieht.
»Huch.«
Mit einem leisen Ächzen betrachtet er sie. Sie sehen sich einfach zu ähnlich, die Frau und seine verstorbene Freundin Chiesu. Viel zu ähnlich. Ob er wohl doch gestorben ist? Während er sie verwirrt anstarrt, beobachtet sie ihn eine Weile wortlos.
»Herr Park, kommen Sie bitte zu sich«, sagt sie plötzlich mit einer rauen Stimme. Erst dadurch bemerkt er, dass sie nicht Chiesu sein kann.
»Was ist passiert?«
»Ein Verkehrsunfall. Sie sind im Krankenhaus.«
Die Frau fixiert ihn scharf und fordert ihn erneut auf, sich zu fassen. Er kann sofort erkennen, dass sie weder Krankenschwester noch Ärztin ist. Aber wer ist sie dann? Und was ist ihm zugestoßen? Er kann das alles überhaupt nicht verstehen.
»Wir sind so vorgegangen, dass Sie sich nicht verletzen. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Wer sind Sie?«, fragt er und starrt sie an.
»Ich bin Kim Hejin. Nicht Hyejin, sondern Hejin.«
»Ich meine nicht Ihren Namen. Was haben Sie mit mir gemacht?«
In diesem Moment öffnet sich die Tür, und zwei Männer, einer ganz in Weiß, der andere in Schwarz, kommen herein. Der stattliche Mann im schwarzen Anzug scheint ein Bodyguard zu sein, und der andere im weißen Kittel ist vermutlich ein Arzt. Junsok mustert die beiden mit wachsamem Blick; sie bauen sich hinter der Frau auf und sehen ihn schweigend an.
»Hören Sie jetzt gut zu«, sagt sie. »Ich habe Sie unbemerkt herbringen lassen, weil ich Ihnen etwas Wichtiges mitteilen muss.«
»Unbemerkt? Sie verursachen einen Verkehrsunfall auf der großen Gangnam-Kreuzung, um mich unbemerkt hierherzuholen?«, entgegnet er heftig und versucht, sich wieder in den Griff zu bekommen, indem er tief ein- und ausatmet.
Sie zeigt dann auf seinen Kopf und sagt: »Sie haben einen Blutsauger in Ihrem Kopf.«
Ob es am Unfall liegt oder an der Diagnose Blutsauger, sein Schädel beginnt zu brummen. Sie nimmt etwas von dem Arzt entgegen und reicht es an Junsok weiter. Es ist ein MRT-Bild seines Kopfes. Ihm ist jetzt nicht danach, sich darüber aufzuregen, dass sie ohne sein Einverständnis eine MRT-Aufnahme gemacht haben. Stattdessen schaut er sich diese genau an.
In seinem Kopf steckt ein dünner, schmaler Fremdkörper, leicht gebogen wie eine Angel. Er scheint unter Spannung zu stehen. Junsok kann nachvollziehen, warum die Frau das Ding als Blutsauger bezeichnet hat.
Er ist entsetzt, dass sich so was in seinem Kopf befindet; gleichzeitig will er vor den Fremden nicht die Fassung verlieren. Die wiederum versuchen offenbar, seine Reaktion zu deuten. In der Hoffnung, dass das Bild manipuliert ist, fragt er: »Sie wollen, dass ich Ihnen das glaube, oder?«
»Sie müssen. Diese Sache ist wichtiger als Ihr Leben.«
Er will eine Frage stellen, aber sie fährt hastig dazwischen. »Was ich Blutsauger nenne, ist tatsächlich ein Verbindungskörper.«
»Verbindungskörper?«
»Ja, der Verbindungskörper hackt sich in Ihre audiovisuellen sowie olfaktorischen Informationen und leitet diese weiter.«
»Hacking?«
»Die Zukunft ist schon da. Sie wissen das nur nicht. Einen menschlichen Körper zu hacken ist nicht mehr unmöglich, es ist der Öffentlichkeit bloß unbekannt.«
Es schaudert ihn. Da erklärt sie ruhig weiter: »Hören Sie gut zu. Es gibt jemanden, der sich durch den Verbindungskörper in Ihre Sinnesinformationen gehackt hat; genau wie Sie etwas erleben, so erlebt er es auch. Er ist der echte Blutsauger, ein Vampir Ihres Lebens.«
Ihm wird schwarz vor Augen. Soll das heißen, dass dieser Vampir in diesem Moment genauso sieht, hört und riecht wie er? Wie eingefroren sitzt Junsok da und kann kein Wort mehr über die Lippen bringen. Erst jetzt ist er fähig, den heutigen Unfall einzuordnen.
»Sie müssen mich also heimlich treffen, ohne dass er etwas davon mitbekommt. Anscheinend wissen Sie nicht genau, wann er sich in mich einklinkt.«
»Sie sind sehr klug.«
»Es gibt keine dummen Profisportler. Eher ist es ein Problem, dass sie ihr Gehirn zu viel einsetzen.«
Hejin sieht ihn aufmerksam an. »Ja, das stimmt. Man kann nicht wissen, wann der Typ durch Sie sieht und hört. Deswegen waren wir gezwungen, Ihren Unfall zu verursachen. Der Verbindungskörper funktioniert durch den starken Aufprall nicht mehr, daher kann ich Ihnen erst jetzt die Wahrheit erzählen.«
Es sind zu viele Informationen auf einmal. Junsok versucht, mögliche Unwahrheiten aus ihren Worten zu filtern.
»Die Wahrheit interessiert mich nicht. Ich möchte als Erstes das Ding aus meinem Kopf haben.«
»Möchten Sie das?«
»Na, ich kann doch mit so etwas im Kopf nicht weiterleben, oder?«
Sie zuckt gleichmütig mit den Schultern. »Wenn Sie es rausnehmen lassen, verschwindet auf ewig die Möglichkeit, den Blutsauger zu fassen. Herr Park, möchten Sie den Kerl nicht bestrafen, der so etwas in Ihrem Kopf einpflanzen ließ? Der einfach Ihr junges Leben angezapft und Sie seit Ihrer Jugend gesteuert hat?«
»Wie bitte? Gesteuert? Ich habe mein Leben immer unter Kontrolle gehabt und alles mit eigenen Händen aufgebaut, ohne dass mich jemand gesteuert hat. Damit bin ich bis heute gut gefahren. Ich habe nie auf das Gerede von anderen gehört.«
Sie sieht ihn mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck an, als würde sie ihn doch für dumm halten. Er kann es nicht ertragen. Erkennt er ihre Worte an, würde es bedeuten, dass er sein Leben als Marionette gelebt hat. Selbst wenn sein Gehirn gehackt worden ist und jemand sein Leben ausgekundschaftet und gestohlen hat, würde er nicht tun, was sie sagt. Auch wenn diese Frau recht hätte, würde er sich nicht von ihr kontrollieren lassen.
»Wenn Sie mich fragen«, fährt er fort, »dann sind Sie diejenige, die mich steuern will, aber das wird Ihnen nicht gelingen.« Er steht auf, er muss dringend den Raum verlassen. Als er an Hejin vorbeigeht, tritt der Mann im schwarzen Anzug, der bis eben still hinter ihr gestanden hat, in seinen Weg. Junsok, mit seinen 1,89 Metern, steht nun direkt vor ihm und führt mit ihm ein Blickduell auf Augenhöhe. Er scheint älter zu sein als Junsok, aber dafür auch erfahrener.
»Nun gehen Sie schon aus dem Weg«, zischt Junsok schließlich.
Der Mann steht trotzdem wie eine Wand, und Junsok spürt, wie langsam die Wut in ihm hochsteigt.
»Herr Park.« Hejin zieht an seinem Arm, sodass er direkt ihr gegenüber zum Stehen kommt. Während er versucht, seine Wut zu unterdrücken, sagt sie: »Wir wollen Sie nicht steuern, wir möchten mit Ihnen gemeinsam gegen die anderen kämpfen.«
»Ich bin ein Stürmer und als solcher voll ausgelastet mit den gegnerischen Verteidigern.«
»Sie tun so, als würde Sie das gar nichts angehen. Dabei ist es sehr wohl auch Ihr Problem!«
»Ich traue niemandem. Was ist falsch daran?«
»Wissen Sie was? Ihre arrogante Haltung kommt bestimmt davon, dass er Sie gesteuert hat.«
»Was?«
Junsok und Hejin starren sich an, als würden sie gleich aufeinander losgehen. Da wird Junsok plötzlich unsicher. Ihr Gesicht, das ihm jetzt so nah ist, hat eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem von Chiesu. Die braunen Mandelaugen unter den langen Wimpern, die gerade Nase mit dem erhabenen Nasenrücken und die leicht nach oben zeigenden Mundwinkel. Ein nahezu perfektes Abbild. Wie kann das sein?
»Warum sehen Sie Chiesu so ähnlich? Sie hatte doch nur einen kleinen Bruder. Sind Sie etwa ihre verschollene Schwester? Was geht hier vor?«, fragt Junsok erregt. Hejin antwortet nicht. Sie schaut ihn nur mit einem matten Lächeln an, als wolle sie ihm sagen, er müsse selbst eine Lösung dafür finden. Er ist jedoch viel zu aufgewühlt, als dass er einen klaren Gedanken fassen könnte, und sieht sie nur flehentlich an, um ihr endlich die Antwort zu entlocken.
»Chiesu und ich sind nicht blutsverwandt. Dennoch ist sie wie meine kleine Schwester, nein, sie kommt meinem zweiten Ich gleich.«
Er hält den Atem an.
»Der Mensch, der in Chiesus Kopf einen Blutsauger einpflanzen ließ und ihre Jugend genommen hat, war … mein Vater.«
Er beißt die Zähne zusammen. Die Wahrheit ist schwer zu ertragen.
»Sie sah mir sehr ähnlich, deswegen hat er sich für sie entschieden. Mit mir war er immer unzufrieden und auf diese Weise wollte er seine eigene Tochter ersetzen.«
Sein Verstand ist wie betäubt, er fühlt seinen Körper nicht mehr.
»Kurz nach Chiesus Tod ist auch mein Vater gestorben. All das habe ich erst nach seinem Tod erfahren. Und auch das über Sie.«
Er lässt sich auf einen Stuhl in der Nähe fallen. Die Tatsache, dass sie Chiesu so ähnlich sieht, und der Grund dafür sind auf eine fast schon grausame Weise unwiderlegbar. Doch er will die Wahrheit nicht sehen, und in seinem Kopf bewegt sich nichts. Wie bei einem kaputten Uhrwerk.
Er muss seine Tränen unterdrücken. Der Tod von Chiesu, wie sein Leben danach verlaufen ist – all das wirbelt nun in bunten Fetzen an die Oberfläche seines Bewusstseins. Tränen tropfen auf sein Patientenhemd, er kann sie nicht mehr zurückhalten. Mit gesenktem Kopf rauft er sich die Haare, als könnte er dadurch den Blutsauger loswerden. Und sie halten ihn nicht davon ab.
Als er sich endlich beruhigt, spürt er in der Stille einen Schmerz, als ob man sein Herz auswringen würde. Hejin blickt ihm direkt in die Augen und sagt: »Ihr Vampir ist in den Tod meines Vaters verwickelt.«
Er sieht sie geistesabwesend an.
»Der Tod von Chiesu, das war auch er.«
Die Worte fahren ihm mitten durch die Brust.
Benommen sitzt Junsok da. Hejin teilt ihm mit, sie müssten nun den Raum verlassen, da die Zuständigen des Vereins jeden Moment auftauchen könnten. Sie würden ihn sedieren und dann unter dem Vorwand, mögliche Nebenwirkungen des Unfalls zu ermitteln, eine Untersuchung durchführen. Dabei würden sie durch die Nase eine Vorrichtung schieben, um den Verbindungskörper neu zu aktivieren. Wenn ihnen das gelänge, würde Junsok wieder von dem Typen gesteuert, also würden ab dem Moment all seine Empfindungen erneut gestohlen.
»Wichtig ist, dass Sie so tun, als wüssten Sie nichts. Sobald auch nur der leiseste Verdacht aufkommen sollte, wird es uns für immer unmöglich sein, Ihrem Vampir auf die Spur zu kommen. Das wäre sowohl für Sie als auch für mich äußerst fatal.«
Ohne einzuwilligen oder abzulehnen, richtet Junsok seinen Blick direkt auf sie.
Es ist egal, ob sie die Wahrheit sagt oder lügt, ab jetzt würde er nicht mehr frei leben können. Er möchte nicht wahrhaben, dass sie vor ihm steht. Am liebsten würde er alles, was sie ihm erzählt hat, einfach leugnen und so weiterleben, als hätte er ihre Worte nie gehört.
»In Ordnung. Ich werde so tun, als ob ich davon nichts wüsste«, erwidert er schließlich, doch sie sieht ihn mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck an. Da murmelt der Mann im schwarzen Anzug leise in sein In-Ear-Headset, und anschließend flüstert er es Hejin zu. Sie holt etwas aus der Brusttasche ihres Blazers und reicht es Junsok. Es ist ein Mobiltelefon, scheinbar ein altes Modell aus der Zeit, bevor Smartphones auf den Markt kamen.
»Absolut verständlich, dass Sie Zeit zum Nachdenken brauchen. Aber bitte setzen Sie sich mit mir in Verbindung, bevor es zu spät ist, also bevor die den Blutsauger in Ihrem Kopf unter Narkose wieder zum Leben erwecken.«
Er klappt das Handy auf und stellt fest, dass nur eine einzige Nummer eingespeichert ist.
Kim Hejin ist im Begriff, das Krankenzimmer zu verlassen, als sie sich auf der Türschwelle noch einmal zu ihm umdreht. Über ihr Gesicht mit dem konzentrierten Blick legt sich wieder Chiesus Antlitz. Vielleicht liegt es daran, jedenfalls steckt er das Handy in die Tasche seines Patientenhemds.
Kaum sind sie gegangen, stürmen Reporter und die Mitarbeiter des Vereins ins Zimmer. Auf all ihre Fragen antwortet Junsok, dass er sich an nichts erinnern könne; dabei versucht er, seine Gedanken zu ordnen. Je länger er über alles nachdenkt, desto größer wird das Durcheinander in seinem Kopf. Ein Sturm scheint in seinem leeren Brustkorb zu toben. Er wünscht sich, dass alles nicht wahr ist, dass es sich um einen Albtraum handelt, aus dem er nun zum Glück erwacht.
Er wird in das für das Team zuständige Krankenhaus verlegt. Auf dem Rücksitz im Auto eines Vereinsmitarbeiters sitzend, wird ihm klar: Sollte das Team auf eine Sedierung bestehen, selbst wenn er sagen würde, dass es nicht nötig sei, hätte Hejin recht. In diesem Fall würde er sie anrufen. Er steckt die Hand in die Innentasche seiner Jacke, umfasst das Handy und beginnt, über Verlust und Rache nachzudenken.
Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages fallen durch das Fenster und lassen seine Augen brennen.
Eric blickt auf den armseligen Menschen hinab, der mit einer Eisenkette um den Hals gefesselt vor ihm kauert.
Agent Sim hat gesagt, dass er den Kerl am Hafen von Pyeongtaek gefangen nehmen konnte. Eric fragt sich, was er sich bloß dabei gedacht hat, der Organisation den Rücken kehren zu wollen. Hat er etwa geglaubt, dass er sie nicht mehr wiedersähe, wenn er sich von ihnen abwendet, dass sie dadurch einfach aus seinem Leben verschwänden? Bei Fasanen soll es ja so sein, dass sie nicht wegfliegen, sondern ihre Köpfe in die Erde stecken, wenn sich ihnen ein Mensch nähert. Für sie existieren Dinge nicht, wenn sie sie nicht sehen können. Der Jäger muss nur noch nach dem Schwanz greifen und den Vogel aus der Erde zerren.
Möglicherweise ist der Mensch hier noch naiver als ein Fasan. Er ist kein gewöhnlicher Agent, sondern ein Connector des ersten Sicherheitsgrades. Er muss im Zentralkontrollraum von Mephisto gewesen sein und sich daher mit dem System auskennen. So einer muss doch wissen, was passiert, wenn man ihnen den Rücken zuwendet und zu fliehen versucht.
Sein Gesicht ist bereits zusammengefallen; er scheint nicht einmal mehr die Kraft zu haben, Fragen zu beantworten. Wegen der ganzen Vorfälle seit heute früh ist Eric so hundemüde und gereizt, dass er mit der Bearbeitung dieses Kerls nicht noch mehr Zeit verschwenden will.
»Schick ihn zum Eraser.«
Erst da versucht der Kerl, seine zugeschwollenen Augen aufzureißen, und beginnt, laut zu schreien. Es scheint, als ob er doch klüger als ein Fasan ist, wenn er sich derartig vor dem Tod fürchtet. Aber bei dem Anblick, wie Sim den plärrenden Kerl an seiner Halskette hinauszerrt, hat Eric den Eindruck, dass sich dieser Mensch kaum von den Federviechern unterscheidet.
Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und steckt sich eine Zigarette an. Eigentlich hat er mit dem Rauchen aufgehört. Direkt nachdem er wieder damit angefangen hatte, bekam er bei jeder Zigarette Schuldgefühle, aber das ist jetzt nicht mehr so. Vor drei Jahren, als er zum Leiter der koreanischen Niederlassung von Mephisto berufen wurde, war es auch anders. Damals gab es zwölf Fausts; bis heute hat er es geschafft, die Zahl zu verdoppeln. Leider nahmen auch die unerwünschten Begleiterscheinungen zu. Südkorea steht bekanntlich im Ranking der Arbeitszeiten schon lange ganz oben. Um diesem Ruf gerecht zu werden, arbeitete Eric ohne Pause. Inzwischen wirkt sein Erfolg eher wie Gift, und seine Müdigkeit kennt keine Grenzen.
Eric ist schon lange der Meinung, dass das Problem dieses verdammten Landes seine Größe ist.
Nach der Kevin-Bacon-Zahl braucht es rund sechs Schritte, damit jeder jeden kennt. Aber in Korea braucht man drei, maximal vier dafür. Vielleicht ist da etwas dran, jedenfalls bedeuten mehr Fausts auch ein höheres Risiko, dass das ganze Unternehmen aufgedeckt wird. Bezüglich der Sicherheitsmaßnahmen für die Klienten kommen die unerfreulichen Begleitumstände hier dreimal öfter vor als in den Vereinigten Staaten.
Trotzdem hat Eric sich vorgenommen, es noch etwas länger in diesem kleinen Land auszuhalten. Als Auswandererkind der dritten Generation in den USA glaubt er, dass Korea für ihn eine vielversprechende Chance darstellt. Bis zu seinem Ziel von dreißig Fausts ist es nicht mehr weit. Sobald er die dreißig geschafft hat, will er in der Zentrale seine Versetzung beantragen. Er ist fest entschlossen, dieses überbevölkerte Land zu verlassen.
Die Sprechanlage klingelt.
»Sprich.«
»Faust L. ist da, mit einem Gast. Sie haben einen Termin.«
»Lass sie rein.«
Gereizt drückt er seine Kippe aus und schaltet den Lüfter ein. Er geht zum Fenster, zieht das Rollo hoch und blickt von seinem Büro hinab auf den Zentralkontrollraum, ein Großraumbüro voller Trennwände, etwa so groß wie ein Basketballfeld. Die Controller sind ständig in Bewegung, was den Raum sehr chaotisch wirken lässt.
Er sieht in Richtung Eingang und erkennt Faust L., Dongkwang, den alten Zwerg mit dem Bierbauch. Er kommt mit einer dürren älteren Frau herein, die fast einen Kopf größer ist als er. Sie scheint viel Temperament zu haben. Auf den ersten Blick erinnern die beiden an Laurel und Hardy, beim genaueren Hinsehen eher an das Ehepaar der Addams Family. Der Besuch des kauzigen Alten ist Eric nicht recht. Und dann bringt er auch noch eine so auffällige Frau mit. Ihm brummt jetzt schon der Schädel.
Im Zentralkontrollraum betrachtet Namsun, Dongkwangs Begleiterin, schwer beeindruckt eine Wand mit ungefähr sechzig Monitoren, auf denen die Bilder wie in einem Memoryspiel ständig wechseln. Bei diesem Anblick muss Dongkwang offenbar ein Lachen unterdrücken und stößt ihr mit seinem Ellenbogen in die Seite. Sie aber ist mit den Bewegungslinien der vielen Menschen offenbar so beschäftigt, dass sie auf Dongkwang überhaupt nicht reagiert.
»Na, habe ich zu viel versprochen?«
Mit diesen Worten begleitet er sie wie ein Reiseführer durch den Raum, wo Eric die beiden in Empfang nimmt. Dongkwang grüßt ihn wie ein Gangmitglied und drückt ihm seine Faust entgegen. Dann nickt er Namsun zu, wobei sie Eric herablassend betrachtet.
»Guten Tag, ich bin Eric Yun, der Chef von Mephisto Korea.«
»Ich heiße Baek Namsun. Sie haben meine Unterlagen zur Ansicht erhalten?«
»Selbstverständlich.«
»Warum bin ich dann hier als Gast eingetragen? Schnelle Bearbeitung scheint ein Fremdwort in diesem Unternehmen zu sein?«, fragt sie mit giftigem Unterton, obwohl sie sich heute zum ersten Mal treffen.
»Bevor Sie Ihren Vertrag unterschreiben, sind Sie Gast bei uns. Wir haben davor aber noch ein paar Sachen zu klären.« Eric lächelt verhalten.
»Fehlt etwas zur Qualifikation? Aber Dongkwang sagte mir, dass ich gar nicht hierherkommen dürfte, wenn das der Fall ist. Wo liegt denn das Problem?«
»Ein Problem gibt es nicht. Der Aufnahmeritus schreibt es vor.«
»Hey, Dongkwang, läuft es hier immer so?«, stichelt sie und sieht auf ihn herunter.
Dongkwangs Bekannte steht ihm in Aufsässigkeit also kaum nach. Eric ruft sich ein Sprichwort in Erinnerung, das er neulich gelernt hat: Ein Feind schlägt den anderen Feind. Er wartet also ab. Soll doch Dongkwang sie beruhigen.
»Namsun, hier lassen sie nur VVVIPs rein. Freu dich, dass du als Gast überhaupt dabei sein darfst. Und hör auf, Machtspielchen zu veranstalten.«
Sie schenkt seinen Worten keine weitere Beachtung und dreht sich zu Eric um. »Es ist lange her, dass man mich so behandelt hat. Irgendwie erfrischend. Aber wollen Sie mich hier die ganze Zeit stehen lassen?«
»Nein, bitte folgen Sie mir.«
Die Alte sieht nicht nur furchterregend aus, sondern scheint auch aggressiv zu sein wie eine groß gewachsene Hexe im schicken Kostüm. Eric würde sie trotzdem der Zentrale als Faust empfehlen – damit er die dreißig vollkriegt. Er muss nehmen, was kommt, ob das nun die letzten Hinterwäldler oder die größten Streithähne sind. Nur dann kann er endlich das Land verlassen.
In seinem Büro setzt sich Eric den beiden gegenüber an den Tisch.
»Soweit ich weiß, hat Sie einer unserer Agenten besucht und Ihnen die Grundlagen erklärt. Haben Sie irgendwelche Fragen?«
»Bringen Sie mir den Vertrag«, entgegnet sie barsch.
»In Ordnung.« Eric drückt auf eine Klingel. Kurz darauf kommt seine Sekretärin Sophie mit dem Vertrag. Eric legt ihn höflich vor Namsun ab.
Auf dem Deckblatt steht in goldener Schrift: FAUSTIAN CONTRACT. Namsun greift danach und streicht einmal mit der Handfläche darüber. Dann beginnt sie zu lesen. Eric wartet ab, bis sie ihn sorgfältig durchgearbeitet hat. Dongkwang hingegen unterbricht sie immer wieder, woraufhin sie ihn jedes Mal anfaucht.
Endlich legt sie den Vertrag zurück auf den Tisch und nickt Eric zu.
»Mephisto ist ein hochmodernes System für Senioren, die eine neue Jugend genießen möchten. Wir haben die Unterlagen geprüft, die Sie, Frau Baek Namsun, für die Mitgliedschaft eingereicht haben. Wir haben Sie heute hierher eingeladen, weil wir keinen Ausschlussgrund sehen. Wenn Sie mit diesem Vertrag einverstanden sind, können Sie ihn jetzt unterzeichnen. Damit werden Sie zum 25. Faust unseres Mephisto-Systems in Korea.«
Mit einem Kopfnicken signalisiert Namsun ihre Zustimmung.
»Wenn Sie zu einem Faust werden, wird der Vertrag so lange gültig sein, bis entweder der Faust, das heißt also Sie selbst, oder der Fauster, den Sie sich aussuchen werden, stirbt. Sobald dieser Fauster jedoch sein vertragliches Rekrutierungsziel, das der Faust im Vertrag für ihn gesetzt hat, erreicht, kann der Faust das System erfolgreich abschließen. Das nennt man bei uns ›absolvieren‹, und der Faust bekommt den Spieleinsatz zurück. Er kann sich dann entweder einen neuen Fauster aussuchen oder ein neues Ziel für den vorhandenen Fauster setzen.«
»Absolvieren? Kam das schon einmal vor?«, fragt Dongkwang.
»Tatsächlich kam das bei Mephisto Korea noch nie vor«, antwortet Eric.
»Das ist doch nur ein Köder. Alles gut«, sagt Namsun.
»Außerdem hat der Faust die Regeln der strikten Geheimhaltung zu befolgen und demgemäß das Sicherheitssystem von Mephisto anzuerkennen. Wenn man sich nicht daran hält oder gar ablehnt, wird der Vertrag beendet, und die daraus entstehenden Nachteile werden …«
»Ist gut. In meinem Alter macht man so etwas nicht. Geben Sie mir einen Stift«, unterbricht sie unwirsch.
Mühsam versucht Eric, seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu halten, und reicht ihr einen Füller aus der Brusttasche seines Sakkos. Dongkwang lächelt; vielleicht findet er es lustig, wie seine Bekannte Eric aus dem Konzept bringt.
Sie nimmt den Stift und unterschreibt auf der letzten Seite. Eric gibt den Vertrag an Sophie weiter, die anschließend den Raum verlässt.
»Warum gibt es nur einen Vertrag? Wo ist mein Exemplar?« Namsun sieht sich um.
»Natürlich gibt es kein weiteres Exemplar«, weist Dongkwang sie mit einem schiefen Lächeln zurecht. »Stell dir vor, du gehst mit dem Ding irgendwohin und verpfeifst die Organisation. Das wäre doch der reinste Super-GAU. Die Amis sind streng mit so was.«
»Mephisto vertraut seinen Klienten also nicht?«, fragt Namsun mit eisigem Blick.
»Nein, wir vertrauen Klienten nicht«, antwortet Eric.
»Wie bitte?«
»Genau deshalb habe ich vorhin die Klausel im Vertrag erwähnt, dass Sie das Sicherheitssystem von Mephisto anzuerkennen haben. Das Sicherheitspersonal ist befugt, die Klienten durchgehend zu beaufsichtigen, und wenn es Probleme gibt, wird Ihr Vertrag automatisch aufgehoben. Das wird dann im Gegenzug auch Folgen für Sie haben.«
»Oha, hier läuft wirklich alles nach Ihrer Nase, oder?«
»Namsun, hast du etwa gedacht, dass es leicht wird, vom Jungbrunnen zu trinken?«
»Das ist hier ja wie bei einer Wellnessklinik. Wenn man betuchte Alte hat, kann man ohne Pause Geld verdienen. Tolle Geschäftsidee.«
»Das hier ist das einzige private Verjüngungsgeschäft«, wirft Dongkwang ein. »An ihrer Stelle würdest du dir das auch gut bezahlen lassen, oder? Jedenfalls hast du jetzt einen Vertrag. Glückwunsch!« Er reicht ihr die Hand.
Namsun aber schlägt sie weg. »Für die Mitgliedschaft und den Spielstart habe ich zehn Millionen Dollar hingeblättert. Und dann bekomme ich so eine unterirdische Behandlung. Total bescheuert.«
»Willst du denn wie die anderen verschrumpelten Alten nur noch golfen gehen? Du wirst aus Dankbarkeit noch vor mir auf die Knie fallen, wenn das Linking, das Verbinden mit deinem Fauster, so richtig losgeht. Ich sag’s ja nur.«
»Du bekommst für das Anwerben neuer Mitglieder keine Provision, oder?«
»Immer ersetzt du Freundschaft durch Geld, du Giftschlange«, knurrt Dongkwang.
Da wirft Namsun einen auffordernden Blick auf Eric. Nach kurzem Zögern räumt er ein: »Faust L. darf dreimal kostenlos an der Mephisto-Lounge-Show teilnehmen. Außerdem darf er Gast sein, wenn Sie sich einen Fauster aussuchen.«
Mit einem scharfen Blick signalisiert Namsun Dongkwang ein »Also doch«. Dieser legt mit einem schmierigen Lächeln seinen Arm über ihre Schulter und meint sichtlich vergnügt: »Dank dir darf ich noch einmal die Auswahl eines Fausters erleben.«
Namsun schüttelt seinen Arm weg und nimmt ihn im nächsten Moment in den Schwitzkasten. Für eine Frau scheint sie erstaunlich kräftig zuzudrücken. Dongkwang schlägt immer wieder auf ihren Arm, als Zeichen, dass er sich ergeben will. Doch sie lässt nicht locker.
»Ey! Lass los!«, keucht Dongkwang.
Endlich lässt sie ihn los; er holt Luft und wirft ihr einen vernichtenden Blick zu. »Mein Blutdruck. Echt mal.«
Beim Anblick seines blutroten Gesichtes feixt sie nur.
Wenn man alt wird, soll man ja wieder zum Kind werden, aber das hier sieht überhaupt nicht danach aus. Das Verhalten mag ähnlich sein, aber bei Kindern wirkt es wie ein Spiel, während es bei den Alten einfach nur albern ist. Mit diesem Gedanken starrt Eric die beiden an, die sich unerträglich lächerlich benehmen; er will so schnell wie möglich den Job hinter sich bringen.
»Nun ja, werte Mitglieder«, spricht er mit einer amtlichen Miene, und die beiden wenden sich ihm zu. »Jetzt ist es so weit. Es ist an der Zeit, einen Fauster auszusuchen. Bitte folgen Sie mir.«
Eric führt die beiden in den Besprechungsraum, in dem ein übergroßer schwarzer Bildschirm wie ein Riesenaquarium an der Wand hängt. Namsun hält einen Hefter mit den Profilen von Fauster-Kandidatinnen in der Hand.
Dongkwang wirft einen verstohlenen Blick darauf und schüttelt mit dem Kopf. »Warum hast du dir nur Frauen als Kandidaten ausgesucht? Man lebt doch nur einmal. Du solltest es auch mal als anderes Geschlecht versuchen.«
»Ich habe lange genug wie ein Mann gelebt.«
»Stimmt, die gnädige Frau Baek ist bekanntlich ein Ehrenmann.«
Namsun durchbohrt ihn mit einem Blick, und er verstummt.
Eric wendet sich ihr zu. »Wenn Sie so weit sind, werde ich mit dem Briefing beginnen. Folgende Bedingungen haben Sie für Ihren Fauster genannt: eine Frau Anfang oder Mitte zwanzig, Kunststudium und gut aussehend. Stimmt alles so weit?«
»Ja.«
»Wie Sie aus dem Hefter entnehmen können, haben wir neben den drei bereits vorhandenen Kandidatinnen zwei neue. Die haben wir extra für Sie ausgesucht. Die erste Kandidatin ist fünfundzwanzig, hat asiatische Malerei an der ISU-Frauenuniversität studiert.«
Namsun sieht sich die Akte an, Dongkwang schaut ihr dabei über die Schulter.
Eric wirft einen kurzen Blick auf Namsun, er kann ihr die Anspannung anmerken. Sie ist zwar selbstbewusst, aber es ist ihr sicherlich auch klar, dass sie ihr restliches Leben und ziemlich viel von ihrem Vermögen in eine der fünf Personen investieren wird. Und Eric weiß, dass man genau im Moment solcher Anspannung vom Mephisto-System in den Bann gezogen wird. Auf diese Weise kann das Unternehmen leicht Geld verdienen.
Nachdem er die fünf Kandidatinnen vorgestellt hat, schaltet er den großen Monitor ein, um zum Hauptteil zu kommen. Auf dem Bildschirm sind alle Porträts nebeneinander zu sehen.
»Hm.« Namsun zeigt sich interessiert, und Eric vergrößert die erste Kandidatin links oben. Das Vorstellungsvideo startet.
Gezeigt wird eine Frau mit langen glatten Haaren und klar definierten, schönen Gesichtszügen im Unterricht an einer Kunstschule; sie lächelt. Ihre Schüler wirken für ihr Alter ungewöhnlich konzentriert und hängen an ihren Lippen.
»Die erste Kandidatin ist besonders hübsch, ordentlich und zuverlässig. Sie hat bereits Karriere gemacht und verdient ihr Geld selbst. Bis zum Tod ihres Vaters hat sie in guten Verhältnissen gelebt, was man ihr ansehen kann. Sie ist aufgeweckt, taktvoll und gesellig. Über zu wenig Umgang mit anderen Menschen kann sie sich nicht beklagen.«
Namsun starrt intensiv auf den Bildschirm und nickt.
»Eric, nicht so was, lass uns tiefer gehen.« Dongkwang scheint ungeduldig zu werden.
Er wechselt das Bild. Die erste Kandidatin tanzt jetzt in einem Nachtklub mit greller Beleuchtung und lauter Musik. Namsun runzelt ihre Stirn. Die tolle Figur der jungen Frau kommt in einem kurzen schwarzen Kleid richtig zur Geltung, und sie wird von einigen Männern umschwärmt. Einerseits scheint sie ihre bewundernden Blicke zu genießen, andererseits wirkt sie zu arrogant, um sie näher an sich heranzulassen.
»Sie hat Spaß an so was. Gefällt mir.« Dongkwang bewegt sich sichtlich zufrieden zum Takt der Musik. Namsun dagegen betrachtet die Frau zwar intensiv, doch ausdruckslos. Endlich nimmt die Kandidatin Blickkontakt mit einem attraktiven Mann auf und beginnt, mit ihm zu tanzen.
»Sexuell ist sie recht freizügig. Sie lebt zwar in einer Beziehung, trotzdem geht sie ab und zu in Clubs und sucht sich einen One-Night-Stand. Mit ihren Vorzügen kann sie jeden Mann um den Finger wickeln. Wie Sie dem Profil entnehmen können, ist sie von den fünfen mit Abstand die Beste, wenn sexuelle Zufriedenheit für Sie Priorität hat.«
»Habe verstanden. Lassen Sie mich jetzt ihre Werke sehen.«
Während Dongkwang bei diesen Worten frustriert stöhnt, wechselt Eric zum nächsten Video.
Die Szene zeigt die junge Frau im Arbeitszimmer ihres Lehrers, eines bekannten Malers. Dongkwang seufzt enttäuscht. Noch bevor Namsun Eric dazu auffordert, wird auf das Werk der jungen Frau gezoomt. Namsun hat bereits verlangt, die Bilder der Kandidatinnen zu sehen, und dementsprechend sind auch die Videos gedreht worden. Sie betrachtet das Werk für eine Weile sehr genau, um ihr Können einzuschätzen.
Eric will ihr weitere Informationen geben. »Im Moment hat sie gute Kontakte. Die Leiterin der Galerie Hyu ist eine Freundin ihrer Mutter, und ihr Lehrer, der gerade im Bild war …«
»Yu Dohwan«, unterbricht ihn Namsun. »Er zählt zu den drei besten Malern im Bereich der asiatischen Kunst. Ich habe zwei Bilder von ihm.«
»Sie kennen sich sehr gut aus«, erwidert Eric.
»Aber mit so einem Fauster hat man nicht mehr viel Freude beim Entwickeln«, wirft Dongkwang mit einem belehrenden Unterton ein. »Außerdem wird es zu teuer. Wenn man aber einen mit nicht so gutem Hintergrund großzieht, kann man sehen, was man erreicht hat.«
»Na, und wie ist deiner so? Du meintest doch, du hast am Anfang viel Geld aus dem Fenster geworfen«, entgegnet sie zynisch.
»Genau deshalb gebe ich dir ja den Rat. Und noch was viel Wichtigeres: Eric, was ist mit ihrer Familie? Selbst wenn die Lage ihrer Familie momentan schwierig ist, denke ich, dass es nicht einfach sein wird, mit dem Mädchen Kontakt aufzunehmen.«
Eric sieht in der Akte nach und nickt. »Ihre Mutter ist recht überfürsorglich.«
»Das meine ich doch. So eine steht unter mütterlicher Herrschaft. Da wird deine Steuerung nicht gut funktionieren.«
Namsun sieht zu Eric, der kopfschüttelnd bemerkt: »Im Profil steht, dass sie zu Hause ausgezogen ist. Vor Kurzem hat sie sich heftig mit ihrer Mutter gestritten, weil sie ihr eine Hochzeit einreden wollte. Also sind ihre Familienverhältnisse zurzeit relativ instabil, was wir zu unserem Vorteil nutzen können, um besser in Kontakt zu kommen.«
Sie zupft an ihren Lippen und scheint zu überlegen.
Dongkwang tippt ihr auf den Arm. »Wir können sie im Hinterkopf behalten und erst mal weitersehen. Ich bin schließlich mitgekommen, um das hier zu erleben. Es wäre schade, wenn wir es mit der Ersten schon beenden.«
Sie nickt, und Eric startet das Video der nächsten Kandidatin.
Diesmal scheint es sich um eine Ausstellung in einer Universität zu handeln. Die Kamera ist von hinten auf eine Studentin mit schmaler Figur gerichtet, die sich mit einem Besucher unterhält. Auf ein Zeichen des Kameramanns wendet sie sich ihm zu und lächelt. Schüchtern spricht sie über die Atmosphäre der Ausstellung und die Werke. Ihre halblangen Haare sehen gut aus, ihre Schönheit ist von natürlicher, ruhiger Art.
Namsun ist offenbar damit beschäftigt, sich abwechselnd die Studentin und ihre abstrakten Gemälde anzusehen. Dongkwang hingegen wirkt gelangweilt und gibt Eric ein Zeichen, dass er mit den Videos fortfahren soll. Dieser antwortet mit einem kleinen Lächeln und lässt Namsun noch etwas Zeit.
Sie macht eine auffordernde Handbewegung, und Eric wechselt zu einem neuen Video.
Es zeigt die Kosmetikabteilung in einem Duty-free-Shop am Flughafen, wo es vor chinesischen Touristen nur so wimmelt. Dort bedient die Studentin eine chinesische Kundin im mittleren Alter und sucht Proben für sie aus.
»Die kann ja gut Chinesisch!«, ruft Dongkwang sichtlich erstaunt.
In dem Moment wird die Kundin überraschend laut, scheinbar hat die Studentin etwas falsch gemacht. Schnell kommt der Filialleiter und kümmert sich um sie. Die Studentin entschuldigt sich immer wieder.
»Der größte Vorteil dieser Kandidatin ist ihre Unauffälligkeit. Zwar ist sie nicht so auffallend schön, dafür hat sie aber auch keine großen Marotten. Weil sie aus schwierigen Verhältnissen kommt, ist sie engagiert und bodenständig. Sie jobbt nebenbei in einem Duty-free-Shop, aber wie es aussieht, wird sie dort vielleicht bald gefeuert.«
»Was ist mit Männern?«, fragt Namsun wie eine Mutter, die wissen will, ob ihre Tochter einen festen Freund hat.
»Im Moment hat sie keinen. Sie ist nicht besonders freizügig, und nach unseren Recherchen geht sie auch nicht regelmäßig mit jemandem aus.«
»Okay, die nächste Kandidatin bitte«, ruft Dongkwang dazwischen.
Namsun hebt jedoch ihre Hand, als würde sie ihn stoppen wollen, und gibt Eric mit dem Kinn ein Zeichen, dass er fortfahren soll.
»Aktuell hat sie kaum Freizeit, weil sie mit dem Malen und dem Nebenjob so beschäftigt ist. In so einem Fall ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich der Fauster auffällig schnell entwickelt, wenn sich seine finanzielle Lage verbessert.«
»Trotzdem hängt sie bei vielem ziemlich hinterher, richtig?«, fällt Dongkwang Eric wieder ins Wort. Doch Namsun scheint ihn zu ignorieren und verlangt nach der nächsten Szene.
Es ist die Aufnahme einer versteckten Kamera bei ihr zu Hause. In einer kleinen Wohnung sind ihre Eltern und zwei jüngere Geschwister zu sehen. Der Vater sitzt am Esstisch und trinkt Soju, die Mutter liegt auf der Couch und sieht fern. Die Brüder laufen mit ihren Smartphones zwischen Toilette, Wohn- und Kinderzimmer hin und her.
Bald kommt sie dazu, und der Vater sagt etwas zu ihr. Sie ignoriert ihn jedoch und geht in ihr Zimmer. Kurz regt er sich darüber auf und verschwindet anschließend im Schlafzimmer. Wenig später kommt sie zurück und setzt sich an den Tisch, den ihre Mutter gerade gedeckt hat. Insgesamt wirkt die Wohnung ziemlich unordentlich.
»Sie ist nicht unser Typ«, wirft Dongkwang ein, »ihre Verhältnisse sind zu problematisch. Gut, die Nächste bitte.« Daraufhin blickt ihn Namsun scharf an, und er entgegnet: »Was denn? So eine kostet zu viel. Natürlich kann man sie gut steuern. Die Brühe ist aber teurer als die Brocken.«
Sie hält kurz inne und blickt auf Eric. Er sieht ihr entschlossenes Gesicht und fragt: »Möchten Sie jetzt die Nächste sehen?«
»Nein, ich nehme sie. Sie wird mein Fauster.«
»Was?«, fragt Dongkwang fassungslos.
»Sie können gern die anderen ansehen und erst dann Ihre Entscheidung treffen.«
»Brauche ich nicht.«
»Bist du wahnsinnig? Einen Fauster aussuchen ist das Beste, das absolute Sahnehäubchen!«
»Und du willst wohl naschen, oder was?«
»Süßes hin oder her, das hier ist total wichtig! Wenn dir keine von denen gefällt, kannst du sagen, dass sie dir neue Kandidatinnen raussuchen sollen. Ich habe mir insgesamt zwölf angesehen und erst dann entschieden.«
»Und? Bist du mit deinem Fauster zufrieden, den du dir so mühsam ausgesucht hast?«
»Na ja, so ganz zufrieden kann man doch nie sein.«
»Ich hab’s geahnt, als du heute mitkommen wolltest. Du bist nicht zufrieden, stimmt’s? Deshalb hängst du dich bei mir so rein.«
Dongkwang schüttelt heftig den Kopf und trinkt einen großen Schluck.
Eric kann gut nachvollziehen, warum sich Namsun gerade für diese Kandidatin entscheidet. Sie ist selbst die älteste Tochter mit zwei jüngeren Geschwistern, half ihrer Familie finanziell auf die Beine und war nie verheiratet. Was sie in ihrem Leben nicht haben konnte, waren zwei Sachen: ihre Jugend, die sie vor lauter Arbeit nicht genießen konnte, und das Leben als Frau.
Vor diesem Hintergrund passt die Kandidatin sehr gut ins Bild. Genauso wie Namsun kommt sie aus misslichen Verhältnissen, hat aber die Schönheit und Jugend, die Namsun nicht mehr hat. Und Namsun könnte ihr materielle Spielräume und berufliche Erfolge bieten.
Eric gefallen ihr strategisches Denken und ihre schnelle Entscheidung, da ist sie ganz anders als Dongkwang. Der hatte zur Auswahl seines Fausters drei Termine benötigt, was für Eric äußerst lästig war. Namsun hat ihre Entscheidung schnell getroffen, aber mit viel Bedacht. Auch er findet die Wahl ganz annehmbar. Er schaltet den Monitor aus und verkündet: »Dann legen wir hiermit fest, dass Sie sich für diese Kandidatin entschieden haben.«
Namsun nickt, und Dongkwang klatscht, wobei er theatralische Pausen einlegt.
»Frau Baek Namsun, Ihr Fauster heißt Cha Yumin.«
»Nicht schlecht. Den Namen muss ich wohl nicht ändern.«
»Du hast jetzt schon mit deiner Steuerung begonnen, was? Dein Temperament ist wirklich unvergleichlich«, sagt Dongkwang mürrisch.
»Wenn ich fragen darf, warum haben Sie sich für die Kandidatin entschieden?«, will Eric wissen.
»Weil sie schön ist. Mein Fauster muss auf jeden Fall schön sein.«
»Wenn es dir darum geht, war die Erste doch viel …«
Namsun unterbricht jedoch Dongkwang: »Die sieht nur schön aus, aber Yumin ist schön. Dass du den Unterschied nicht kennst, war mir klar.«
»Was?« Dongkwang macht ein brummiges Gesicht.
Sie beachtet ihn aber nicht weiter und dreht sich zu Eric. »Ich will Yumin über ihre Schönheit hinaus noch elegant machen. Nicht nur sie, sondern auch ihre Bilder. Sie wird so vornehm werden, dass kein Mann mehr an sie herankommt. Egal, wie viel Geld ich dafür hinlegen muss. Sie und die Firma müssen sich anstrengen. Haben Sie verstanden?«
»Selbstverständlich. Vielen Dank für Ihren Besuch heute.« Eric verbeugt sich höflich.
Nachdem er die beiden verabschiedet hat, schaltet er den Monitor wieder ein. Yumin füllt den kompletten Bildschirm aus, und Eric ruft sich bei ihrem Anblick Namsuns Worte in Erinnerung: Sie wolle Yumin elegant machen. Er sieht sich das Video weiter an und hat das Gefühl, dass ihr hastiges Leben von jetzt an in ruhigeren und geordneteren Bahnen verlaufen würde. Genau das ist es, was Spaß macht. Das ist die Motivation, die er als Teil von Mephisto fühlt. In seiner Position kann er die Jugend von vielen Faustern beobachten und an ihrer Veränderung teilhaben, ohne – wie seine Klienten – ein Vermögen dafür hinblättern zu müssen. Die Rolle als Chef in Korea ist zwar sehr anstrengend, aber wenn er in die Zentrale versetzt wird, würde er diesen Luxus nicht mehr genießen können.
Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass es schon vier ist. Als er sich vornimmt, den anstrengenden Tag früher zu beenden, kommt Sophie herein. Sie sieht nervös aus.
»Herr Yun, Faust C. ist da.«
»Wer?«
»Herr Lee Taekun.«
Eric lässt den Kopf sinken, um seiner Angestellten nicht seinen aufkommenden Unmut zu zeigen. Da sagt sie: »Er verlangt schon seit einiger Zeit nach Ihnen. Ich habe ihm gesagt, dass Sie mit der Fauster-Wahl beschäftigt sind. Davon hat er sich gerade so besänftigen lassen. Er hat lange gewartet.«
»Wo ist er? Im VIP-Raum?«
Sie hält kurz inne. »In Ihrem Büro«, antwortet sie dann zaghaft.
»Fuck! Fuck! Fuck!«
Eric wiederholt noch zweimal die Schimpfwörter in seiner Muttersprache und verlässt dann mit Sophie den Besprechungsraum.
Dort läuft gerade ein Video, in dem sich die junge Frau vorstellt, den Blick direkt in die Kamera gerichtet.
»Ich bin Cha Yumin und studiere im siebten Semester. Mein Traum ist … na ja, ich werde unermüdlich weiter Bilder malen, bis in meiner Heimatstadt Incheon eine Galerie steht, die meinen Namen trägt. Oder ist das vielleicht eine Nummer zu groß?«
Eric muss sich beim ersten Schritt in sein Büro ansehen, wie Taekun mit geschlossenen Augen zurückgelehnt in seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch sitzt. Unwillkürlich achtet Eric darauf, leise aufzutreten, und setzt sich auf ein Sofa in der Ecke. Dort wartet er ab, bis Taekun seine Augen öffnet.
Eric ist sich im Klaren darüber, dass sich der alte Mann mit Absicht unhöflich verhält. Er ist einer der drei ersten Fausts, die seit der Gründung der koreanischen Niederlassung dabei sind. Als ehemals hoher Politiker übt er selbst nach seiner Pensionierung noch immer immensen Einfluss aus und genießt großes Ansehen. Er stellt sich gern als Autoritätsperson dar und fläzt sich so auf Erics Stuhl. Eric fühlt sich unter Druck gesetzt – was aber gar kein Vergleich zu dem unangenehmen Gefühl ist, das er vorhin beim Addams-Family-Paar hatte.
»Da sind Sie ja, Herr Yun.« Taekun erhebt sich.
Er ist klein, aber er wirkt nicht so. Seine schwarz gefärbten Haare sind frisch frisiert, und der durchdringende Blick vervollständigt das Bild. In jungen Jahren muss er wirklich gut ausgesehen haben. Aber jetzt wirken seine Falten wie Ackerfurchen und die Altersflecken wie der darüber verteilte Dünger, wodurch sein Anblick nicht mehr ansprechend, sondern eher furchterregend ist.
»Sie dürfen ruhig von dort aus erzählen«, sagt Eric.
Der Alte kommt auf ihn zu und winkt ab. Dann setzt er sich auf das gegenüberliegende Sofa und sieht Eric mit einem Blick an, den dieser nicht so recht deuten kann. Erics Kehle schnürt sich langsam zu. Mit Mühe versucht er, dieses Gefühl zu unterdrücken. Er kommt zur Sache:
»Sie sind bestimmt wegen des Unfalls von heute früh hergekommen. Da brauchen Sie sich keine Sorgen …«
»Na, Herr Yun, es gibt einen Satz von Blaise Pascal: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.«
»Ach so, ja.«
»Es war also ein Verkehrsunfall, im wahrsten Sinne des Wortes ein Unfall. Ich habe das Gefühl, dass ein Unfall ein Hinweis Gottes für anmaßende Menschen ist, dass es keinen Sinn ergibt, irgendwelche Pläne zu schmieden«, sagt Taekun mit tiefer, monotoner Stimme, die auch aus einer Maschine kommen könnte.
Eric tut so, als würde er darüber nachdenken, und setzt dann ein höfliches Lächeln auf. »Man hat Ihnen sicher berichtet, dass es ein einfacher Auffahrunfall war. Wir konnten in Erfahrung bringen, dass Ihr Fauster glücklicherweise nur eine Quetschung erlitten hat und sich der Verein bereits um ihn kümmert. Auf alle Fälle behalte ich ihn gut im Auge.«
»Natürlich sollten Sie das. Aber das meine ich nicht.« Eric hört nervös zu. »Wir sind nicht Gott, aber um Gott zu werden, nein, um sich wie Gott zu fühlen, sind wir Mephisto beigetreten, nicht wahr?«
»Das stimmt.«
»Es dauert nicht mehr lange, nicht einmal mehr ein Jahr. Ich möchte betonen, dass es bis dahin keinen weiteren Unfall mehr geben sollte.«
»Dafür werde ich sorgen.«
»Wie Sie bereits wissen, habe ich in den letzten zehn Jahren alles auf mich genommen, damit Junsok zu einem Verein in einer großen europäischen Liga wechseln kann. Die beiden anderen, die mit mir hier begonnen hatten, sind bereits von uns gegangen. Einer ihrer Fauster hat sogar für immer seine Augen geschlossen. Trotz vieler Unwägbarkeiten habe nur ich es mit meinem Fauster bis hierhin geschafft.«
»Die Zentrale und ich sind uns darüber sehr wohl im Klaren. Über Ihre vorbildliche Führung und Aufopferung, meine ich.«
Taekun wirft ihm einen schneidenden Blick zu. Sofort überlegt sich Eric, ob er etwas Falsches gesagt haben könnte. Es bleibt ihm nur, Taekun ratlos anzusehen.
»Aber warum passiert denn so ein Unfall mitten in der Nacht?«
»Es ist, wie Sie bereits erwähnt haben: Es liegt nicht im menschlichen Ermessen.«
»Liegt das, was Sie hier machen, etwa im menschlichen Bereich?«
»Na ja, das ist …«
»Sie behaupten also, dass das Mephisto-System im menschlichen Bereich liegt. Soll ich trotzdem im Vertrauen zu einem wie Ihnen weiterhin im System bleiben? Denken Sie sich das?«
»Nein, natürlich nicht. Ich werde mich bessern«, erwidert Eric kleinlaut und versucht dabei, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.
Taekun lässt den Blick kurz durch das Büro schweifen und starrt dann wieder auf Eric. »Sie hatten zwei Vorgänger. Der erste Leiter war Michael aus New Jersey. Zusammen mit ihm habe ich viel dazu beigetragen, diese Niederlassung aufzubauen.«
»Das weiß ich nur allzu gut.«
»Und der zweite war Toni, dieser schwerfällige Trottel aus Italien. Dass er gefeuert wurde, geht auf mein Konto. Haben Sie das gewusst?«
»Ich kenne keine Details, aber ich habe gehört, dass es einen Vorfall mit Ihrem Fauster gab.«
»Das war kein Vorfall. Das war ein Unfall, ein Riesenunfall. Toni hat alles nur verschlimmert, statt die Situation zu retten. Er hätte das hier alles ruinieren können. Deshalb wurde er gefeuert, und Sie sind sein Nachfolger.«
Eric ahnt, worauf er hinauswill, und schweigt.
»Gut, weder Mephisto noch Faust ist Gott. Dennoch möchten wir zumindest für unsere Fauster so etwas wie Gott werden. Aber allein mit meinem Fauster sind bereits zwei schlimme Unfälle passiert. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man nichts machen, auch wenn Junsok so etwas noch mal geschehen sollte. Können Sie mir dann bitte erklären, warum ich in ständiger Angst leben muss, nachdem ich zehn Jahre lang so viel Geld und Energie in das System investiert habe?«
Eric verbeugt sich wie zu einer Entschuldigung.
»Hören Sie, Herr Yun, in jedem Geschäft braucht man ein Erfolgsbeispiel. Junsok und ich sind als Fauster und Faust am längsten erfolgreich unterwegs; wir werden in einem Jahr das System absolvieren. Wenn Junsok in eine große Liga wechselt, werden sich alle Fausts in Korea noch mehr anstrengen, um ihre Fauster genauso erfolgreich zu machen, wie Junsok es ist. Das Geld, das sie für diesen Traum lockermachen, wird Sie hochverdient in die Heimat zurückkehren lassen. Wollen Sie wirklich weiter so passiv bleiben?«
»Nein, ich werde mein Bestes geben, dass Junsok ohne irgendwelche Unfälle in eine große Liga wechseln kann.«
Da schlägt Taekun mit seiner Hand so kräftig auf den Tisch, dass es knallt wie ein Pistolenschuss. Das Geräusch und die Kraft des Alten lassen Eric aufschrecken.
»Herr Yun, in Ihrem Satz kommt das Wort ›Verantwortung‹ nicht vor. Und auch keine Details.«
Stumm bewegt Eric seine Lippen, während er nach den richtigen Worten sucht. Dann sagt er: »Ich werde alles dafür tun, die Umgebung Ihres Fausters unter Kontrolle zu halten.«
Taekuns Gesichtsausdruck wird nun milder. »Ich weiß, dass Sie sich an Prinzipien halten. Das konnte ich in den letzten drei Jahren beobachten. Ich sage Ihnen nicht, dass Sie das Mephisto-System angreifen sollen. Ich habe Sie lediglich daran erinnert, dass es etwas gibt, was wichtiger ist als das Prinzip dieses Systems.«
»Daran erinnert …«
»Remind. Es heißt auf Englisch doch remind. Das bedeutet auch, sich etwas wachzurufen. Übrigens, haben Sie vorhin das mit hochverdient verstanden?«
»Ja. Bedeutet dieses Sprichwort nicht, dass man mit einem goldenen Gewand in die Heimat zurückkehrt?«
»Nicht Gold, sondern Seide. Ich kann es aber verstehen, dass Sie keine Ahnung von chinesischen Sprichwörtern haben, ich kann ja auch kein Latein.«
Mit Mühe versucht Eric, nicht rot zu werden. Nicht, dass ihn sein mangelhaftes Koreanisch ärgert, nein, Taekun regt ihn maßlos auf. Er pickt sich Erics Schwächen heraus und verhöhnt ihn. Und das alles nur, um zu betonen, dass er über ihm steht. Eric fühlt sich miserabel dabei, doch was könnte er schon dagegen tun? Das hier ist Korea. Er erkennt, dass ihm in diesem Land nichts anderes übrig bleibt, als dem sturen alten Mann gegenüber nachzugeben. Er will nur so schnell wie möglich nach Hause in die USA, egal, ob mit goldenem oder seidenem Gewand.
»Vielen Dank. Ich tue alles, was in meiner Macht steht.«
»In Ordnung. Dann erwarte ich, dass Sie für das verbleibende Jahr ein besonderes Sicherheitskonzept erstellen. Es muss besser sein als das bisherige System.«
»Das werde ich tun.«
»Sie wissen ja, dass viele der anderen Junsoks und meinen Erfolg verhindern wollen. Wenn wieder einmal so etwas passieren sollte, werde ich aus diesem Spiel aussteigen. Dann werde ich mein restliches Leben darauf verwenden, alles hier zu zerstören, egal, ob es sich um das Mephisto-System oder Faust handelt, einfach alles. Wenn irgendetwas an meinem neuen Leben, meiner letzten Hoffnung, nur wegen eurer Unachtsamkeit kaputtgehen sollte, wird keiner von euch heil davonkommen. Auch Sie nicht, Herr Yun.«
Eric muss heftig schlucken. Taekun richtet seinen mörderischen Blick auf ihn und zwingt ihn so zu einer erneuten Bestätigung.
»Ich werde es mir merken.«
Taekun steht auf und winkt ab, als Eric ebenfalls aufstehen will. Dann verlässt er das Büro. Eric hat nicht einmal die Kraft, zu seinem Stuhl zurückzugehen. Er bleibt einfach auf dem Sofa sitzen und seufzt. Ein neues Sicherheitskonzept, das besser ist als das bisherige System … Das bedeutet praktisch eine Sonderbehandlung. Er fühlt sich hilflos.
Wenn er den Vorfall der Zentrale melden und ihre Maßnahmen abwarten würde, könnte es sein, dass er sich dafür verantworten müsste, Taekun nicht unter Kontrolle zu haben. Wenn er aber anstatt eines Berichts auf Taekuns Forderung eingehen würde, hätte dieser ihn damit in der Hand und könnte ihn immer wieder erpressen. Das Problem bereitet Eric großes Kopfzerbrechen. Wäre doch Taekuns Fauster heute früh bei dem Unfall bloß gestorben!
Falls Junsok verunglücken würde, wäre selbst der arrogante Taekun so gut wie tot. Wie furchterregend er auch sein mag, wenn er Junsok verlöre, der ihm mehr bedeutet als sein eigenes Kind, dann würde er sofort seine Lebensgeister verlieren. Weil Eric klar ist, wie wichtig sein Fauster für Taekun ist, erwägt er für einen kurzen Moment einen Gegenangriff. Aber dann entscheidet er sich doch dafür, Taekun zu gehorchen.
Der würde Mephisto hartnäckig angreifen, wenn sein Fauster sterben würde und er dadurch selbst halb tot wäre. Eric hat schon früher über Taekuns politische Karriere recherchiert. Durch geschickte Manöver brachte er viele seiner Gegner zu Fall. Wenn er selbst einmal Opfer einer Intrige wurde, scheute er keine Mittel, um den Widersacher auszuschalten. Das ist auch der Grund, warum er keine Feinde hat, selbst wenn es Leute gibt, die sich vor ihm fürchten. Sämtliche Feinde wurden beseitigt, und alle anderen haben zu viel Angst, welche zu werden. Und sein Fauster Junsok ist sein zweites Ich, das ihm wichtiger ist als jede Blutsverwandtschaft. Eric kommt zu dem Ergebnis, dass er erledigt wäre, sollte er sich nicht gut genug um Taekuns Fauster kümmern.
Er ruft Sophie und verlangt sämtliche Materialien über Junsok.
Taekun verlässt das MK-Building in Seocho-dong, in dem der Sitz von Mephisto Korea ist, und steigt in sein Auto. Er bittet seinen Chauffeur Kang, ihn nach Hause zu fahren, und verfolgt im Rückspiegel, wie sich die sechsstöckige Zentrale entfernt. Das Gebäude hat er höchstpersönlich für den Einzug von Mephisto Korea vorbereitet. Er war es auch, der sich um die Genehmigung einer amerikanischen Networking Insurance kümmerte, was eigentlich für ein Unternehmen keinen Sinn ergab. Ein paarmal kamen Journalisten, die etwas von den krummen Sachen in diesem Gebäude ahnten. Und er war es auch, der ihre Redaktion so drangsalierte, dass sie es nicht wagten, erneut hierherzukommen.
Für Taekun ist der Chef von Mephisto Korea nichts anderes als der Verwalter seines Golfplatzes. Und bei seinen Runden dürfen selbstverständlich keine Fehler passieren.
Aber das ist jetzt schon zehn Jahre her. Inzwischen hat die Regierung gewechselt, und die Einflussreichen, die mit ihm in Verbindung standen, verlieren langsam an Macht. Die einzige Freude seines Lebens ist die Entwicklung von Junsok, dem es bald gelingen würde, in die deutsche Bundesliga zu wechseln. Wenn es so weit sein würde, bräuchte er Mephisto Korea nicht mehr zu schützen. Außerdem würde seine Kraft dafür nicht mehr ausreichen.
Inzwischen weiß er nur zu gut, wie er die Knoten des Lebens knüpfen und enger ziehen muss. Für sich sieht er bereits den Augenblick kommen, zu dem er so wie Goethes Faust sagen wird: »Verweile doch! Du bist so schön!«
Während er über die Banpo-Brücke fährt, blickt er aus dem Fenster. Die Luft über dem Han-Fluss ist wegen des typischen Smogs leicht bräunlich und liegt starr über der menschlichen Machtlosigkeit. Bei diesem Anblick fühlt sich Taekun plötzlich hilflos.
Trockener Husten bricht aus ihm heraus. Das liegt daran, dass er die Schutzmaske nicht aufsetzen wollte, die ihm der Chauffeur vorhin anbot. Das bisschen Feinstaub, das er auf diesem kurzen Weg eingeatmet hat, lässt seine Lunge einschnüren. Von nun an wird ihm an jedem einzelnen Tag sowohl das Atmen als auch das Ausgehen schwerfallen.
Gott lacht mit dem Staub die Menschen aus. Wegen des gelben Sandes, der ihm die Sicht versperrt, und des Feinstaubs, der sein Atmen erschwert, werden Taekuns Ausflüge immer riskanter für ihn. Gott spottet mit seiner Ewigkeit über das Altern. Er führt einem ständig vor Augen, dass alles, all die erlangten Erkenntnisse und Erfolge, Wahrheiten und Einsichten, bloß wie eine Millisekunde eines Atemzugs sind. Und diesen Atemzug kann er in jedem Augenblick stoppen, was Taekun nun in seinem Alter jedes Mal spürt, wenn sich sein Brustkorb hebt und senkt. Um einmal Gott auszulachen, schuf er Junsok. Dieser öffnet, anders als Taekun, in jedem Frühling die Augen noch weiter und atmet trotz des Feinstaubs tiefer, um auf dem Spielfeld noch schneller zu sein.
Und all dies hat er zusammen mit Junsok erlebt.
Doch jetzt ist es anders. Junsok ist verletzt und Taekun krank. Er fühlt, dass die Verbindung zu Junsok immer schwächer wird. Dennoch will er noch so lange aushalten, bis dieses Spiel zu Ende geht und er selbst verschwinden wird.
Während er in Gedanken vertieft ist, kommen sie an seinem Haus in Seongbuk-dong an. Er bittet Kang, ihm seine Maske aufzusetzen.
Junsok hat sich vorhin untersuchen lassen. Mit desinteressiertem Gesichtsausdruck wartet er nun angespannt auf den Teamarzt. Der typische unangenehme Geruch eines Krankenhauses sticht in seiner Nase – selbst hier, im Büro des Teamarztes, obwohl es wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet ist.
Die Tür springt auf, und der Arzt, ein Mittfünfziger, dessen Haare zur Hälfte ergraut sind, kommt herein. Junsok lernte ihn beim Check-up kennen, als er dem Team beitreten wollte. Er zeigte Junsok das Untersuchungsergebnis mit den Worten: »Wow, du bist ja großartig.« Damals hatte er dichtes schwarzes Haar.
Mit einem vertrauenswürdigen Lächeln setzt er sich zu Junsok. »Du bist ziemlich widerstandsfähig.«
»Du meinst, alles ist in Ordnung, oder?«
»Es ist nur eine Quetschung. Die Knochen und deine Werte sind vollkommen normal. Hast du sonst noch Schmerzen?«
»In der Seite sticht es etwas.«
»Fühlt es sich so an wie nach dem Finale für den League Cup letztes Jahr, als du nach der Verlängerung ausgelaugt warst?«
»Nein, nicht so stark.«
»Wann musst du wieder zum Spiel?«
»In vier Tagen.«
»Das lassen wir vielleicht ausfallen. Ich gebe dem Trainer Bescheid. Für den Fall der Fälle gehst du nur zur Physiotherapie, nicht zum Training.«
Der Arzt scheint das Patientengespräch damit beenden zu wollen. Vielleicht war der Vorfall vom frühen Morgen einfach nur ein Albtraum? Junsok ist im Begriff aufzustehen und gibt ihm die Hand. In diesem Moment schaut ihm der Arzt in die Augen und beugt sich über ihn.
»Stopp, in deinen Augen sind Äderchen geplatzt.«
»Sie sind etwas rot, vielleicht weil ich müde bin.«
»Nein, weißt du was? Direkt hinter den Augen ist das Gehirn. Das Gehirn. Warte kurz.«
Der Arzt kramt Utensilien für eine Augenuntersuchung hervor und beginnt, Junsoks Auge auszuleuchten. Junsok überlässt ihm seine Pupillen und erinnert sich an das Bild, das ihm die Frau heute früh gezeigt hat. Er meint zu fühlen, wie sich der Blutsauger in seinem Kopf in Richtung seiner Augen bohrt.
Der Gedanke erschreckt ihn so sehr, dass er sich mit einem Satz vom Arzt entfernt, woraufhin der Arzt ihn verwundert ansieht. Dann untersucht er ihn erneut und macht ein vieldeutiges Gesicht.
»Bei so etwas reicht eine Aufnahme vom Kopf nicht aus. Lass uns eine Endoskopie durch die Nase machen«, sagt der Arzt beiläufig.
Junsok versucht, den Gesichtsausdruck des Teamarztes zu deuten. Er ist im Spiel für die Strafstöße zuständig und studiert jedes Mal das Verhalten des gegnerischen Torwarts sorgfältig. Jetzt fragt er sich, ob der Arzt schon immer so ein schlechtes Pokerface hatte.