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Pia Parcel entdeckt eine geheimnisvolle, alte Schrift auf dem Dachboden ihrer Eltern. Sie gelangt in das Land hinter den Worten, wo sie auf die vielfältigsten Gestalten trifft, unter anderem die Verlegereule Manfred Fuchs, der sie ihre Texte verkauft. Wird es Feeda und der Waldmöwe gelingen, Pia wieder zurück nach Hause bringen? "Und dann sah sie ihn. Er war wunderschön. Im Morgenlicht glitzernd schlängelte sich der Fluss der Gefühle durch eine Gebirgskette, die sich bis weit hinein in das Land zog, das sie noch nicht kannte." Ein Buch für Schreibende, oder die, die es werden wollen.
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Seitenzahl: 40
Meinem vergangenen und zukünftigen >Ich< gewidmet. Denn wir sind alle eins, so unterschiedlich unsere Lebensaufgaben in Raum und Zeit auch sein mögen.
Ein ganz “normaler“ Dachboden
Der Geruch von Papier
Das Land hinter den Worten
Der Fluss der Gefühle
Manfred Fuchs
Das verschlossene Herz
Feeda
Das Haus bewohnen
Pia Parcels Hände zitterten leicht. Das Schriftstück musste uralt sein.
War es ein Gedicht?
Sie hielt sich das Blatt noch einmal direkt vor die Nase. Die Buchstaben sahen aus, als wäre ein Insekt mit Tinte unter den Beinchen torkelnd, aber doch akkurat, über das Papier gelaufen. Sie verstand die Worte nicht. Und irgendwie doch. Auf jeden Fall konnte sie ihren Blick nicht mehr von dem Papier wenden, das da so laut in ihrer Hand lag. Die Schrift sah so vertraut aus. Und war ihr trotzdem fremd.
Sie sah sich um.
Alles war wie immer. Dort die verstaubten Regale und die alten Bilderrahmen, da die Kisten mit all den abgelegten Dingen, die aus ihnen hervorquollen. Alles war noch da.
Alles war wie immer.
Und doch anders.
„Mama, ich finde ihn nicht!“ rief Pia halbherzig zur Dachluke hinüber. Die Geschichte, die sie gerade erlebt hatte, begann sich vor ihrem inneren Auge noch einmal zu entfalten. Sie sah sich selbst wie sie vor etwa einer halben Stunde bei der Suche nach dem alten Staubsauger von einem eigenwilligen, holzigen Geruch angezogen worden war. Als hätte sie nie etwas anderes getan, war sie im Halbdunkel direkt zu dem schiefen Regal auf der anderen Seite des Raumes hinübergegangen, das noch ihr Urgroßvater angebracht haben musste. Ganz oben, ja, in der obersten Regalreihe stand ein Karton. Fast wäre Pia Parcel in die offene Kiste mit der Kaffeemaschine hineingefallen, als sie sich nach oben reckte, um den Karton zu erreichen. Eine kleine Staubwolke hatte sich gelöst und sie zum Husten gebracht, als sie ihn vorsichtig nach vorne zog und ins Innere schaute. Schwer war der Karton zu ihrer Überraschung nämlich nicht gewesen. Das Papier, das sie nun in ihren Händen hielt, war merkwürdigerweise das einzige gewesen, was darin gelegen hatte. Und es verströmte auch jetzt noch den wunderbaren Duft: so geheimnisvoll.
War das denn noch niemandem hier oben aufgefallen?
Mit immer noch klopfendem Herzen ging Pia jetzt wieder auf die Dachluke zu. Das Papier so fest wie vorsichtig in der Hand haltend, stieg sie rückwärts die schmale Leiter wieder hinunter.
„Hast du den Staubsauger nicht gefunden?“ rief ihre Mutter besorgt, während sie mit dem Staubwedel über die Kommode im langen Flur fegte. Im Wirbel der Staubflocken, die im Licht vor dem Fenster aussahen wie tanzende Glühwürmchen, sah sie aus wie die Goldmarie im Märchen von Frau Holle. Nur, dass sie sonst eher aussah wie Schneewittchen, mit ihrem glatten, schwarzen Haar, das sanft schimmerte, fand Pia und lächelte. Die Mutter schaute ihre immer noch ganz still dastehende Tochter mit fragendem Blick an. Es war, als würde sie nie zur Ruhe kommen. Immer war da etwas, das unbedingt sofort gekocht, geschrubbt oder eben gestaubwedelt werden musste. Die schönen Perlenohrringe, die der Vater ihr zu Pias Geburt vor 13 Jahren geschenkt hatte, lagen ungetragen in einem Kästchen neben dem Bett.
Manchmal hatte Pia als Kleinkind danach greifen wollen, um das Kästchen zu öffnen, doch ihre Mutter hatte sie jedes Mal sanft, aber bestimmt davon abgehalten.
Pia gab sich einen Ruck:
„Nein, ich … ich weiß nicht mehr, in welche Kiste wir den Staubsauger gelegt haben …“, stotterte sie los und sah ihre Mutter beschämt an. Diese seufzte:
„Dann werde ich wohl selbst raufklettern müssen ...“ Pia fühlte für einige Moment die Enttäuschung in der Stimme ihrer Mutter. Doch dann fiel ihr das Papier wieder ein!
„Mama, ist das vielleicht von Großmutter?“ Sie hielt ihrer Mutter, die sich jetzt den Putzeimer im Flur parat gestellt hatte, das alte Schriftstück direkt vor die Nase.
„Das riecht ja furchtbar!“ Die Mutter wischte einmal, zweimal, dreimal mit dem Lappen in Richtung des alten Papieres. „Wirf das weg!“ ergänzte sie in angewidertem Tonfall. Pia überlegte kurz, doch sie ließ nicht locker. Die Sache war ihr zu wichtig. Sie musste einfach nachhaken:
„Kannst du dich wirklich nicht erinnern? Weiß Papa vielleicht etwas? Haben wir vielleicht eine Schriftstellerin in der Familie?“, rief sie ihrer Mutter hinterher, die bereits wieder ins Wohnzimmer gelaufen war, um dort noch schnell ein paar Gläser zu polieren, die sie anschließend wieder in den Schrank stellte. Pia stand immer noch wie angewurzelt da.
Das Schriftstück ließ sie nicht los.
Sie konnte einfach nicht anders. Die Worte waren für sie wie eine Einladung. Eine Einladung, sich zu erinnern! Nur an was genau?