Fett – Das geheime Organ - Mariëtte Boon - E-Book

Fett – Das geheime Organ E-Book

Mariëtte Boon

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Beschreibung

Was ist »gutes«, was »schlechtes« Körperfett? Wie hängen Fettbildung und Stress zusammen? Wie hilft das Körperfett dem weiblichen Körper z.B. in der Schwangerschaft? Wann macht Fett krank und Krankheit fett? Zwei Expertinnen erklären, dass Körperfett tatsächlich ein Organ ist und beschreiben seine faszinierenden Funktionen und Reaktionen anhand des aktuellen Forschungsstands. Die Lektüre eröffnet neue Perspektiven, um den eigenen Körper ganz neu zu verstehen. Mit diesem Wissen über Fett als intelligentes Organ, dessen Arbeit unerhört wichtig für unser körperliches Wohlergehen ist, lernen wir, ungesunder Fettbildung vorzubeugen, gesund und schlank zu leben und ein positives Verhältnis zum eigenen Körper und seinen Rundungen zu pflegen.

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Was ist »gutes«, was »schlechtes« Körperfett? Wie hängen Fettbildung und Stress zusammen? Wie hilft das Körperfett dem weiblichen Körper z.B. in der Schwangerschaft? Wann macht Fett krank und Krankheit fett? Zwei Expertinnen erklären, dass Körperfett tatsächlich ein Organ ist und beschreiben seine faszinierenden Funktionen und Reaktionen anhand des aktuellen Forschungsstands. Die Lektüre eröffnet neue Perspektiven, um den eigenen Körper ganz neu zu verstehen. Mit diesem Wissen über Fett als intelligentes Organ, dessen Arbeit unerhört wichtig für unser körperliches Wohlergehen ist, lernen wir, ungesunder Fettbildung vorzubeugen, gesund und schlank zu leben und ein positives Verhältnis zum eigenen Körper und seinen Rundungen zu pflegen.

Mariëtte Boon Liesbeth van Rossum

Fett – Das geheime Organ

Körperfett verstehen, gesund und schlank leben

Aus dem Niederländischen von Annette Löffelholz

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel VET belangrijk bei Ambo Anthos Uitgevers, Amsterdam.

Diese Publikation wurde mit der finanziellen Unterstützung der Dutch Foundation for Literature möglich gemacht.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

© by Mariëtte Boon; Liesbeth van Rossum 2019

© der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Kerstin Lücker

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Zürich

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-24670-9V001

www.heyne.de

Für unsere Eltern

Inhalt

Vorwort

1Die Geschichte des Fetts in einem kurzen Überblick

Warum Fett in der Evolution unverzichtbar war

Wie Fett von einem guten Freund zu einem großen Feind wurde

Die Entdeckung der Fettzelle

2Fett als unverzichtbares Speicherorgan

Der Zuckerspeicher Glykogen

Fett: Ein nützlicher Speicher

Was, wenn man kein Fett hat? Die Geschichte von Natalie

Von Fett kann man lange zehren

Fett ist verrückt nach Zucker – und wir auch

Warum macht Hunger schlechte Laune?

Die Verarbeitung einer fetten Mahlzeit

Wann hat man zu viel Fettmasse?

Übergewicht als Folge einer positiven Energiebalance

Was macht eine gesunde Ernährung aus?

3Fett als Hormonfabrik

Das Mädchen, das immer Hunger hat: Die Geschichte von Karin

Die Entdeckung des Fetthormons Leptin

Leptin beim Menschen

Leptin als Allheilmittel gegen Adipositas

Andere Fetthormone

Fettdepot und Fruchtbarkeit

Das Hormon Kisspeptin: Der Startschuss für die Pubertät

4Fett kann krank machen und Krankheiten können fett machen

Krank durch zu viel Körperfett: Die Geschichte von Rob

Der Lebenszyklus von Fett

Apfelfigur versus Birnenfigur

Bauchfett ist schlechter als Hüftspeck

Übergewicht verringert die Fruchtbarkeit: Die Geschichte von Carla

Übergewicht erhöht das Krebsrisiko

Das Schilddrüsenhormon: Ein Katalysator unseres Stoffwechsels

Geschlechtshormone steuern die Verteilung unseres Körperfetts

5Das Hunger- und Sättigungsgefühl

Ungezügelter Appetit: Die Geschichte von Joost

Esslust: Ein kompliziertes Zusammenspiel von Hormonen und Schaltstationen

Die Auswahl von Essen geschieht oft unbewusst

Das Hungerhormon aus dem Magen: Ghrelin

Auch Darmhormone kommunizieren mit unserem Gehirn

»Cannabis« im Gehirn: Das Endocannabinoid-System

Warum essen wir, auch wenn wir keinen Hunger haben?

Die Rolle des Belohnungssystems

Wie lässt sich ein gesundes Essverhalten steuern?

6Wunderbarer Stoffwechsel

Unser fantastischer Verbrennungsmotor

In Bewegung: Stehen und »fidgeting«

Braunes Körperfett heizt mächtig ein

Braunes Körperfett verwandelt Fett in Wärme

Schlank werden durch braunes Körperfett? Die Geschichte von Barbara

Lass mich nicht in der Kälte stehen!

7Körperfett und Biorhythmus

Ein heftig gestörter Rhythmus: Die Geschichte von Femke

Unsere biologische Uhr

Wie bringen Lebensgewohnheiten unsere biologische Uhr aus dem Takt?

Zu wenig Schlaf macht Appetit auf Fast Food: Die Geschichte von Erik

Wie wenig Schlaf dick machen kann

Was passiert mit unserem Biorhythmus, wenn wir nicht frühstücken?

Der Stoffwechsel und der Jo-Jo-Effekt

Der Jo-Jo-Effekt nach einer Crashdiät: Die Geschichte von Chantal

Einige Trenddiäten

Der Menstruationszyklus und Hungerattacken

8Wie macht Stress dick?

Psychischer Stress, körperlicher Stress und Gewichtszunahme

Extremer Stress und die Folgen: Die Geschichte von Mischa

Warum macht extremer Dauerstress nicht jeden dick?

Ist Stress messbar?

Wie macht Cortisol dick?

9Versteckte Dickmacher

Injizierter Stress: Die Geschichte von Julie

Chemischer Stress

Hormonelle Schadstoffe

Dick durch Darmbakterien? Die Rolle unseres Mikrobioms

Dick durch ein Virus?

Eine Epidemie versteckter Dickmacher

10Übergewicht effektiv bekämpfen

Schlank durch eine Magenoperation: Die Geschichte von Patty Brard

Ein gesundes Gewicht halten durch Prävention

Schlank werden oder bleiben – was können wir selbst dafür tun?

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse für die eigene Praxis

Nicht jedes Pfund geht durch den Mund

Abnehmen bei Übergewicht oder Adipositas

Medikamente gegen Adipositas

Die Magenoperation: Eine dauerhafte Lösung für Übergewicht?

Ein Magenbypass bringt die Darmhormone in Schwung

Das Leben nach einer Magenoperation

11»Fatshaming« und die psychischen Folgen von Adipositas

Tagebuch einer »Fatty«: Die Geschichte von Asha

Die letzte sozial akzeptierte Form von Diskriminierung

Das Adipositas-Stigma im Gesundheitswesen

Adipositas und Depression: Gemeinsame biologische Ursachen

Adipositasbehandlung bei einer Depression

Dankwort

Glossar

Quellennachweise

Sachregister

Vorwort

Bei dem Wort »Körperfett« denken Sie wahrscheinlich zuerst an die kleine Speckrolle, die über den Hosenbund quillt, wenn Sie über die Weihnachtstage zu viel gegessen haben. Oder an die gut gepolsterten Pobacken, auf denen sich, wenn das Licht ungünstig fällt, kleine »Wölkchen« abzeichnen – zumindest bei den meisten Frauen. Viele Menschen pflegen eine Hassliebe zu ihrem Körperfett, wobei der Hass oft überwiegt.

Dieses Bild wird eindeutig durch die Medien verstärkt. Man kann keine Zeitschrift aufschlagen, in der nicht mindestens ein Artikel über Diäten, Schlankheitskuren oder Nahrungsergänzungsmittel steht, die uns zu einer schlankeren Figur verhelfen sollen. Und das natürlich möglichst mühelos. Eine Erfolgsgeschichte jagt die andere, und die Supermodels lassen Neid aufkommen. Auch im Fernsehen wird die unmissverständliche Botschaft verbreitet, dass wir allesamt schlanker und fitter werden und uns von unserem Körperfett verabschieden müssen. Aber wie alles, was mit unserem Körper zu tun hat, wird auch das wohl einen bestimmten Sinn und Zweck haben. Oder? Was also ist Fett eigentlich und welche Funktion hat es? Und ist es wirklich so schlecht, wie allgemein behauptet wird?

Über kein anderes Organ haben wir bis vor Kurzem so wenig gewusst wie über unser Körperfett. Denn ja, Fett ist genauso ein Organ wie das Herz oder die Lungen. Jahrelang, nein jahrhundertelang, war man der Auffassung, dass Fett nicht viel mehr ist als eine Isolierschicht, ein wabbeliger Haufen Speck, der unsere inneren Organe vor Kälte und Einwirkungen von außen schützt. Aber nichts ist weniger wahr. Fett ist, wie man inzwischen weiß, eines der größten Organe unseres Körpers. Das Interesse der Forschung daran ist in der letzten Zeit exponentiell gestiegen und hat uns viele neue Erkenntnisse gebracht. Wenn wir als Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen in den zurückliegenden Jahren etwas gelernt haben, dann, dass unser Körperfett nicht nur ein wichtiges, sondern sogar ein unverzichtbares Organ ist. Es sorgt dafür, dass den anderen Organen ständig Brennstoff zugeführt wird, wenn wir längere Zeit nichts gegessen haben. Für unsere Vorfahren war dies unerlässlich, um überleben zu können. Aber das Körperfett kann und macht noch so viel mehr! Es produziert zahllose Hormone, Botenstoffe, die in die Blutbahn ausgeschüttet werden, um mit anderen Organen, einschließlich des Gehirns, zu kommunizieren. Dazu gehören auch Hormone, die den Appetit zügeln, wenn man sich zum Beispiel gerade eine ordentliche Portion Pommes frites einverleibt hat, sodass man nicht endlos weiterisst. Praktisch, oder?

Unser Körperfett hat deutlich zwei Gesichter. Solange es im Umfang nicht ausufert, ist es uns wohlgesonnen und hält uns gesund. Haben wir jedoch zu wenig oder zu viel Körperfett, kehrt es sich gegen uns. Bei Untergewicht produziert es nicht genügend wichtige Hormone, sodass der gesamte Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht gerät, bis hin zur Unfruchtbarkeit. Und bei Übergewicht kommt es zu einem Überschuss an ungesunden Hormonen und anderen Stoffen, die sich auf diverse Prozesse im Körper negativ auswirken und krank machen können. Zu den Erkrankungen, die in Zusammenhang mit Übergewicht stehen, zählen unter anderem die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2, im Folgenden der Einfachheit halber »Diabetes« genannt), Unfruchtbarkeit, Depressionen sowie manche Krebsarten. Nicht von ungefähr lassen es sich die Hersteller einiges kosten, um ihre diversen Pillen, Pülverchen und andere höchst innovative Produkte – wie spezielle Westen, durch die Wasser strömt –, an den Mann oder die Frau zu bringen – mit dem Versprechen, dass sie schlank und gesund machen. Diese Dinge finden bei der entsprechenden Zielgruppe zwar reißenden Absatz, können die Erwartungen aber oft nicht erfüllen.

Uns liegt am Herzen, Ihnen zu vermitteln, was Sie selbst tun können, um Ihr Körperfett zu reduzieren – oder im Gegenteil mehr Fett anzusetzen –, wir möchten Ihnen Tipps geben, wie Sie Ihr Fett gesünder machen oder verhindern können, gegen Ihren Willen zuzunehmen.

Wir machen Sie in diesem Buch mit einigen Patient*innen bekannt, denen wir in unserer Berufspraxis begegnet sind. Manche haben Probleme mit ihrem Körperfett, zum Beispiel Übergewicht, oder leiden unter häufigen Folgeerkrankungen, die vielen Menschen nicht fremd sein dürften. Aber Sie werden sehen, dass jeder und jede einen eigenen Weg gefunden hat, mit dieser Problematik umzugehen. Und das ist, so meinen wir, durchaus inspirierend. Wir haben uns auch dafür entschieden, von sehr seltenen Krankheitsbildern zu berichten, weil sie uns ganz besonders beeindruckt haben. Und darüber hinaus haben gerade diese Fälle der Wissenschaft in den letzten Jahren zu vielen Einblicken und Erkenntnissen im Hinblick auf die verblüffende Funktion unseres Körperfetts verholfen und dazu beigetragen, dass viele seiner Geheimnisse enträtselt werden konnten.

Anhand alltäglicher und weniger alltäglicher Geschichten nehmen wir Sie mit auf eine Erkundungsreise zu diesem faszinierenden Organ. Wie funktioniert unser Körperfett genau? Und wie kommt es, dass manche Menschen zu viel und andere zu wenig Fett haben? Spielen hierbei Hormonstörungen eine Rolle? Ist zu viel Fett in jedem Fall gleich schädlich? Warum funktionieren Diäten oft nicht oder nur für eine begrenzte Zeit und was können Sie tun, um auf lange Sicht ein gesundes Gewicht zu halten? Sollte man Stress vermeiden, sich in die Kälte stellen, um die Fettverbrennung anzukurbeln? Oder gibt es noch andere schlaue Tricks? Wie wird das Körperfett durch den Schlaf-Wach-Rhythmus, appetitregulierende Hormone und bestimmte Medikamente beeinflusst? Wir alle wissen, dass ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel an der epidemischen Ausbreitung von Adipositas wesentlich beteiligt sind. Aber in den letzten Jahren sind auch sehr viele andere Dinge ans Licht gekommen und man hat eine ganze Welt versteckter Dickmacher entdeckt. Die gute Nachricht ist, dass wir selbst einiges zum Positiven wenden und dadurch die Kontrolle über unser Gewicht zurückgewinnen können. All diese Fragen und Aspekte werden in diesem Buch zur Sprache kommen. Ergänzt durch praktische Tipps, die Sie als Leser*in sofort in Ihrem Alltag anwenden können. Willkommen im Wunderland unseres Körperfetts!

Mariette Boon & Liesbeth van Rossum, April 2019

1

Die Geschichte des Fetts in einem kurzen Überblick

Warum Fett in der Evolution unverzichtbar war

In den hoch entwickelten Gesellschaften gibt es Nahrungsmittel im Überfluss und es kostet wenig Mühe, sich für eine ganze Woche mit Lebensmitteln einzudecken. Man geht am Samstagmorgen einfach in den Supermarkt und lädt seinen Einkaufswagen voll. Oder – noch besser – man erledigt seine Bestellungen online. Für unsere prähistorischen Vorfahren sah die Nahrungsbeschaffung ein wenig anders aus, sie mussten sich ihr Essen erjagen und dafür weite Wege gehen. Und es konnte durchaus Tage geben, an denen sie mit leeren Händen »nach Hause« kamen. Aber zum Glück besaßen sie einen Energievorrat, auf den sie jederzeit zurückgreifen konnten: ihr Körperfett. So konnten wichtige Organe wie das Gehirn und das Herz auch an Tagen, an denen es nichts zu essen gab, ihre Funktionen wahrnehmen. Fett war überlebenswichtig.

Manche unserer Vorfahren hatten das Glück, mit einem besonders effektiven Energiesystem ausgerüstet zu sein. Sie waren in der Lage, aus wenig Nahrung viel Energie zu gewinnen, um sie in ihrem Körperfett zu speichern, und sie hatten zudem eine sparsame Verbrennung. Diese günstige Kombination machte es ihnen möglich, größere Fettreserven anzulegen, von denen sie in Zeiten, in denen die Nahrung knapp war, entsprechend länger zehren konnten.

Prähistorische Menschen konnten in schweren Zeiten oder Hungersnöten also nur dann überleben, wenn sie reichlich Körperfett angesetzt hatten. Mit anderen Worten: Sie waren, wenn sie viel Körperfett hatten, evolutionär gesehen im Vorteil, ein Aspekt, der für den Fortbestand unserer Art von existenzieller Bedeutung gewesen ist. Folglich stand viel Körperfett in prähistorischen Zeiten in hohem Ansehen, möglicherweise wurde es sogar vergöttert. Das zeigt der Fund einiger rätselhafter Skulpturen aus der Steinzeit, deren bekannteste die Venus von Willendorf (etwa 25.000 v. Chr.) ist (siehe Abb. 1). Dargestellt ist eine dickbäuchige Frau mit großen Brüsten und breiten Hüften, die als Fruchtbarkeitssymbol gedeutet werden kann. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, wenn man bedenkt, dass starkes Übergewicht (Adipositas) nachweislich auf Kosten der Fruchtbarkeit geht.

Abbildung 1: Die Venus von Willendorf

Nach der Zeit der Jäger und Sammler kam es vor rund 10.000 Jahren zu einer bedeutenden Wende. Die Menschen begannen, sich an festen Orten anzusiedeln und taten damit den ersten Schritt auf dem Weg zur Gründung von Dörfern und Städten. Da sie dazu übergingen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, war es ihnen möglich, Nahrungsvorräte anzulegen. Von nun an waren die Zeiten großer Hungersnöte vorbei, auch wenn die Menschen nach wie vor den Launen der Natur ausgeliefert waren. Von daher war und blieb das Körperfett ein lebenswichtiger Verbündeter, und zwar bis weit ins 18. Jahrhundert hinein.

Dann brach eine Zeit an, die von Robert Fogel, der 1993 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, auch als die »zweite Agrarrevolution« bezeichnet wird. In seinem Buch: The escape from Hunger and Premature Death, 1700–21oo(Die Überwindung von Hunger und vorzeitigem Tod) stellt er dar, welch tiefgreifende Veränderungen sich in dieser Zeit vollzogen haben. Auf den Punkt gebracht, sagt er Folgendes: Durch die Entwicklung effizienterer Ackerbaumethoden konnte mehr Nahrung produziert werden; die verbesserte Ernährungslage führte dazu, dass die bis dato kleinen und mageren Menschen sowohl größer als auch breiter und somit stärker wurden. Sie verfügten dadurch über mehr Kraft und Energie, um noch härter arbeiten zu können, was wiederum das wirtschaftliche Wachstum förderte, neue technologische Entwicklungen (unter anderem Maschinen und Ähnliches) ermöglichte und … noch mehr Nahrungsmittelressourcen schuf. Die Bevölkerung der westlichen Welt geriet auf diese Weise in eine permanente Aufwärtsspirale.

Aber es gab auch eine Kehrseite. Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem der Mensch die Obergrenze seines genetisch festgelegten Längenwachstums erreicht hatte, aber weiterhin über ein Überangebot an Nahrung verfügen konnte. Hinzu kam, dass Maschinen zunehmend einen Teil der Arbeiten übernahmen, die ursprünglich von Menschen erledigt worden waren. Von nun an begann sich die Evolution langsam gegen uns zu wenden. War es eine Zeit lang von Vorteil gewesen, dass wir unsere Energie effizient speichern und sparsam mit ihr haushalten konnten, führten die reichliche Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und weniger körperliche Arbeit dazu, dass der Mensch jetzt mehr Kalorien zu sich nahm, als er verbrennen konnte. Es kam zu einem Überschuss an Fettreserven. Während die Menschen früher im Allgemeinen eher klein und dünn gewesen waren, gab es nun zunehmend mehr Übergewichtige und Adipöse, da der Körper schlichtweg zu viel Fett speicherte. Es hat lange gedauert, bevor die Medizin Fettleibigkeit als Problem erkannt hat – und das hat zweifellos damit zu tun, dass unser Körperfett über lange Zeit in einem derart exzellenten Ruf stand.

Wie Fett von einem guten Freund zu einem großen Feind wurde

Unsere Wahrnehmung von Körperfett hat sich im Laufe der Geschichte drastisch verändert. Die Frage, wie dick jemand sein darf, um noch als attraktiv zu gelten, ist immer wieder unterschiedlich beantwortet worden und ähnlich wie Frisuren oder der Teint dem jeweiligen Zeitgeschmack unterworfen. Man denke nur an die üppigen Frauen mit breiten Hüften und kleinen Brüsten, die uns auf den Gemälden des flämischen Malers Peter Paul Rubens aus dem frühen 17. Jahrhundert begegnen. Dieser Typus hat sich offensichtlich so sehr in den Köpfen festgesetzt, dass die Bezeichnung »Rubensfrauen« inzwischen zu einem festen Begriff geworden ist.

Im alten Ägypten war das Schönheitsideal ein ganz anderes, geprägt von schlanken, durchtrainiert wirkenden Frauen mit tiefschwarzem Augen-Make-up und hoch komplizierten Frisuren. Auch im antiken Griechenland galt es (vor allem für den männlichen Teil der Bevölkerung) als erstrebenswert, schlank und fit zu wirken. In Sparta ging man laut Überlieferung sogar so weit, dicke Menschen aus der Stadt zu verbannen. Und der griechische Philosoph Sokrates soll jeden Morgen Sprungübungen gemacht haben – der Figur zuliebe. In der Spätrenaissance begann sich der Geschmack zu wandeln, ab jetzt galt eine mollige Figur als ausgesprochen attraktiv. Wie Peter Paul Rubens stellte auch Michelangelo auf seinen Fresken in der Sixtinischen Kapelle Frauen mit ausgeprägten Rundungen dar. Im 19. Jahrhundert blieb dieser Typus weiterhin populär, Körperfülle wurde mit Reichtum, Macht und Erfolg assoziiert. Das ist durchaus nachvollziehbar in einer Zeit, in der Nahrungsmittel für breite Schichten der Bevölkerung immer noch relativ knapp waren. Und wenn etwas nur spärlich vorhanden ist, wird alles, was man damit verbindet, zu einem Objekt der Begierde.

Machen wir nun einen Sprung in das frühe 20. Jahrhundert. In dieser Zeit wurde die US-amerikanische Kleinstadt Wells River in Vermont einmal im Jahr zum Mekka zahlloser dickbäuchiger Männer mit imponierenden Doppelkinnen, die dort im örtlichen Gasthof ein Wochenende lang die Korken knallen ließen. Hier war das Hauptquartier des New England Fat Men’s Club – jawohl, Sie haben ganz richtig verstanden, es handelte sich um einen Club, der speziell von und für dicke Männer gegründet worden war. Um Mitglied werden zu können, musste man mindestens 100 Kilo wiegen und außerdem gut betucht sein. Und so bestand der Hauptzweck dieser Vereinigung auch darin, Netzwerke zwischen reichen Geschäftsleuten zu knüpfen. Auch einflussreiche Politiker gehörten zum New England Fat Men’s Club, der bei Weitem nicht der einzige seiner Art war. Ähnliche Zusammenschlüsse dicker Männer schossen zu Anfang des 19. Jahrhunderts wie Pilze aus dem Boden, vor allem in den USA, aber auch in Frankreich. Fett hatte sozusagen Hochkonjunktur. Wie positiv Körperfett in der Gesellschaft besetzt war, spiegelt sich auch in der Literatur jener Jahre wider. In diversen Romanen, unter anderem von Charles Dickens, war der dicke Junge ein »wonderfully fat boy«. Auch andere Schriftsteller dichteten dicken Menschen Charaktereigenschaften wie »fröhlich«, »liebenswert« und »gut gelaunt« an. Das sollte sich allerdings bald ändern …

Die Trendwende setzte damit ein, dass Fettleibigkeit schlicht und einfach nicht mehr als ästhetisch empfunden wurde. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert galt ein schlanker Körper als schön. Diese Vorstellung wurde ab den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts von großen Unternehmen ausgebeutet, die hofften, damit eine Menge Geld zu verdienen. 1925 startete der Zigarettenfabrikant Lucky Strike eine Werbekampagne mit dem Slogan Reach for a Lucky instead of a sweet (Greif zu einer Lucky statt zu einer Süßigkeit).Genau genommen funktioniert das auch, denn das in Zigaretten enthaltende Nikotin unterdrückt tatsächlich den Hunger. Aber eine Zigarette ist natürlich alles andere als eine gute Alternative zu Süßigkeiten. Ein schlauer Reklametrick war es aber trotzdem. In den dreißiger Jahren kam mit Dinitrophenol (DNP) eine sehr erfolgreiche, aber gefährliche Diätpille auf den Markt. Sie sorgte dafür, dass der Energieumsatz extrem angekurbelt wurde. Die Kilos purzelten nur so, aber der Körper wurde durch die hohe Verbrennung im wahrsten Sinne des Wortes überhitzt. Nachdem dieses Schlankheitsmittel einige Frauen sogar das Leben gekostet hatte, wurde es schon 1938 wieder vom Markt genommen. Umso schockierender ist es, dass Dinitrophenol auch heute, achtzig Jahre später, immer noch illegal über das Internet vertrieben wird. In den fünfziger Jahren machte ein neues »Wundermittel« Furore, mit dessen Hilfe die berühmte Opernsängerin Maria Callas rund 30 Kilo abgenommen hatte. Die besagte Pille enthielt die Eier eines Bandwurms, die sich zu langen und gefräßigen Bandwürmern entwickelten und auf diese Weise für einen rasanten Gewichtsverlust sorgten. Zweifellos eine effektive, aber auch sehr unappetitliche und, nicht zu vergessen, gefährliche Methode. In den sechziger Jahren bekam das herrschende Schönheitsideal noch mehr Strahlkraft durch die schmächtige Lesley Hornby, besser bekannt unter dem Namen »Twiggy«, die zum begehrten Topmodel wurde. Hauptsächlich junge und sehr junge Frauen wollten so aussehen wie sie und nicht nur schlank, sondern superschlank sein. Dieser hartnäckige Schlankheitswahn brachte Jean Nidetch, eine Hausfrau, die nach eigener Aussage eine Leidenschaft für Kuchen und Gebäck hatte, auf die Idee, den Diätclub Weight Watchers ins Leben zu rufen, eine Vereinigung, die sich inzwischen zu einem weltweiten Imperium ausgewachsen hat. In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder neue Diäten propagiert, darunter Atkins, South Beach etc., etc. und es gibt sogar Fernsehprogramme, in denen man Menschen bei ihren Bemühungen um eine möglichst schlanke Figur zusehen konnte, wie The Biggest Loser. Der Wunsch, schlank zu sein, ging ab Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend mit einem negativen Blick auf Menschen mit Übergewicht oder Adipositas einher. In der Literatur war nicht mehr vom »fröhlichen Dickerchen« die Rede, sondern vom »hässlichen Fettsack«. Man war sich darin einig, dass die Betroffenen an ihrem Übergewicht selbst schuld sind und jemand, der beim Essen kein Maß halten kann, »willensschwach« ist. Obwohl unmäßiges Essen keineswegs immer die Ursache für Adipositas ist, hat dieses Stigma für viele, die zu viele Pfunde mit sich herumschleppen, schwerwiegende psychische Folgen (siehe dazu Kapitel 11).

Keine Frage, das Körperfett war in Verruf geraten. Gestützt wurde diese Sichtweise zu Anfang des 20. Jahrhunderts durch wissenschaftliche Studien, die einen unwiderlegbaren Zusammenhang zwischen Adipositas und höheren Sterberaten herstellten – wobei durchaus bemerkenswert ist, dass die ersten dieser Untersuchungen im Auftrag von Versicherungsunternehmen durchgeführt wurden. Seitdem hatte das Fett seinen guten Ruf endgültig verloren, und ab den dreißiger Jahren wurde Adipositas allgemein als ein gesundheitliches Problem gesehen. Aber auf welche Weise Fett die Gesundheit negativ beeinflussen konnte, war lange Zeit ein Rätsel.

Die Entdeckung der Fettzelle

Noch einmal zurück in die Antike. Dem griechischen Arzt Hippokrates, der als Begründer der modernen Medizin gilt, war schon im 4. Jahrhundert v. Chr. aufgefallen, dass mehr übergewichtige Menschen von einem plötzlichen Tod ereilt wurden als dies bei schlanken der Fall war. Außerdem sah Hippokrates in Fettleibigkeit eine Ursache für Unfruchtbarkeit bei Frauen. Und er hatte recht auch wenn er mit seiner Erklärung daneben lag. Er führte die geringere Fruchtbarkeit darauf zurück, dass Übergewicht den Geschlechtsakt selbst erschwert. Man hatte seinerzeit natürlich noch keine Ahnung, dass es so etwas wie Hormone gibt oder auf welche Weise zu viel Körperfett unseren Hormonhaushalt ernsthaft dereguliert.

Nach der Antike schwieg die medizinische Literatur lange Zeit über das Thema Übergewicht. Es lässt sich kaum noch sagen, ab wann man genau wusste, dass Übergewicht durch zu viel Körperfett entsteht und andere Stoffe, wie beispielsweise Blut, keine Rolle spielen. Irgendwann im Verlauf der Geschichte muss bei einer Obduktion aufgefallen sein, dass die subkutane Fettschicht, die gelb und schwammig aussieht, bei einem übergewichtigen Menschen dicker ist als bei einer schlanken Person. Dazu sollte man wissen, dass es – zumindest in der westlichen Welt – bis zur Renaissance aus religiösen Gründen tabu war, einen menschlichen Körper aufzuschneiden. Die Körper von Verstorbenen mussten unangetastet bleiben. Wahrscheinlich gibt es deshalb diesbezüglich nur so wenige schriftliche Quellen. Das änderte sich jedoch im 18. Jahrhundert. In dieser Zeit erschienen zahlreiche Bücher und Artikel über die Ursachen und Folgen von Übergewicht, darunter hochinteressante und – im Rückblick betrachtet – manchmal auch ausgesprochen fantasievolle Theorien.

So verkündete der schottische Arzt Thomas Short 1727, dass das Fettorgan aus kleinen Fettsäckchen besteht, die vom Blut isoliert sind. Zu einer Zeit, in der die Theorie, dass Organe aus einzelnen Zellen aufgebaut sind, noch in den Kinderschuhen steckte, war das sehr weit gedacht. Short war auch der Meinung, dass Übergewicht durch eine zu große Menge an Blut und »ölähnlichen Stoffen« verursacht wurde, ein Phänomen, für das er eine zu schwache Transpiration verantwortlich machte. Folglich schlug er zur Behandlung von Übergewicht vor, mehr zu schwitzen. Wenn er damit im Sinn gehabt haben sollte, dass dicke Menschen mehr Sport treiben sollten, hat er ihnen damit natürlich ungewollt einen guten Rat gegeben.

Der schottische Physiologe Malcolm Flemyng, ein Schüler des niederländischen Forschers Boerhaave, trat um 1760 mit Überlegungen über die verschiedenen möglichen Ursachen von Übergewicht an die Öffentlichkeit. Schon mit seiner ersten These, dass die Aufnahme von zu viel – vor allem fettreicher – Nahrung vermutlich zu Adipositas führt, lag er vollkommen richtig. Er merkte allerdings an, dass nicht alle dicken Menschen starke Esser und nicht alle schlanken per se schwache Esser seien. Eine andere mögliche Ursache für Fettleibigkeit vermutete Flemyng im Zusammenhang mit den »Fettsäckchen«, über die Thomas Short geschrieben hatte. Auch Flemyng glaubte, dass Fett in Säckchen gespeichert wird, die von einer Membran umschlossen sind. Waren diese Membrane, so der schottische Wissenschaftler, zu schlaff, konnten sich die Säckchen leichter ausdehnen und somit rascher zu Übergewicht führen. Und er schrieb auch, dass ein solches Phänomen in bestimmten Familien gehäufter auftreten könne als in anderen. Damit gehörte er zu den Ersten, die eine genetische Ursache von Übergewicht in Betracht zogen. Als eine weitere mögliche Ursache von Adipositas nannte Flemyng, wiederum in Anlehnung an die Theorie von Thomas Short, eine Störung beim Ausscheiden flüssiger Substanzen. Er glaubte, dass ein Teil des in der Nahrung enthaltenen Fetts über den Schweiß, Urin und Stuhl ausgeschieden werden musste. Geschah das nicht in ausreichendem Maße, wurde es in den Fettsäckchen gespeichert und der Mensch wurde dick. Um dieses »Problem« zu lösen, hatte er einige gute Vorschläge parat, die allesamt auf eine Intensivierung der Ausscheidung hinausliefen. Eine seiner Ideen klingt ziemlich eklig. Flemyng schlug nämlich vor, jeden Tag ein Stückchen Seife zu essen und erwähnt in diesem Zusammenhang einen Patienten, der innerhalb von zwei Jahren angeblich 14 Kilo abgenommen hatte, indem er jeden Tag 2 bis 4 Gramm Seife aß.

Die Theorie von Short und Flemyng, dass unser Fettgewebe aus mit Fett gefüllten Säckchen besteht, war sicherlich nicht ganz abwegig. Die Entwicklung des Mikroskops durch Antony van Leeuwenhoek im 17. Jahrhundert machte es möglich, kleine Gewebeteile aus unserem Körper, aus dem Blut und aus Pflanzen mikroskopisch vergrößert zu betrachten. Auf der Grundlage dieser Untersuchungen wurde letztendlich die »Zelltheorie« entwickelt (siehe Infokasten 1) und mit ihr gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Fettzelle als Baustein unseres Fettgewebes entdeckt. Sehr lange war man allerdings der Auffassung, dass die »Fettzelle« nur dazu diente, Körperfett zu speichern. Man nahm an, dass unser Fettorgan aus der Gesamtheit der Fettzellen gebildet wurde, unseren Körper in eine behaglich warme Schicht verpackte und die inneren Organe vor Stößen und Erschütterungen von außen schützte.

Infokasten 1 Die Zelle als Baustein

Alle Organismen, Menschen wie Pflanzen, sind aus einzelnen Zellen aufgebaut. Ein Mensch besteht aus etwa 100.000 Milliarden Zellen. Eine Zelle ist der kleinste Bestandteil eines Organismus. Sie besitzt einen Zellkern, in dem das genetische Material (die DNA) gespeichert ist. Des Weiteren enthält sie viele Organellen – kleine Maschinen, die für die Funktionsfähigkeit der Zelle sorgen. Ein Beispiel für ein Organell ist das Mitochondrium, das für den Stoffwechsel der Zelle verantwortlich ist. Alle Zellen haben denselben »Bauplan«, aber jedes Organ besitzt völlig andere Zellen mit völlig anderen Eigenschaften. So ist beispielsweise eine Muskelzelle ganz anders als eine Fettzelle. Zellen bilden die Bausteine der verschiedenen Organe wie das Herz, die Lungen und … das Fettgewebe.

Dieses Bild veränderte sich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts drastisch, als man erkannte, dass Fettzellen selbsttätig Hormone produzieren können, Botenstoffe, die an das Blut abgegeben werden und diverse Auswirkungen auf andere Organe haben. Aber damit nicht genug! Man fand außerdem heraus, dass das Körperfett bestimmte Signale an unser Gehirn sendet und zum Teil sogar unser Verhalten beeinflussen kann. Und zwar nicht nur unser Essverhalten, sondern auch unsere Stimmung. Aus einem passiven wurde plötzlich ein aktives Organ. Damit tat sich für die Wissenschaft mit der Untersuchung des Körperfetts ein neues Forschungsgebiet auf. Eine hochinteressante Disziplin und ein Feld, auf dem spannende Entdeckungen in raschem Tempo aufeinanderfolgten. Immer noch erscheinen Jahr für Jahr hunderte wissenschaftlicher Studien, in denen weitere Geheimnisse unseres Körperfetts enthüllt werden. Aber zunächst soll es um die grundsätzliche Frage gehen, wie Fett eigentlich funktioniert.

2

Fett als unverzichtbares Speicherorgan

Wie ein Auto Benzin braucht, um fahren zu können, haben auch wir einen Brennstoff nötig, um – im Sinne des Wortes – vorwärtszukommen. Unser täglicher Energiebedarf ist ziemlich hoch. Das Herz pumpt unablässig Blut durch unseren Körper, wir atmen im Durchschnitt zwölf Mal pro Minute und unsere Leber und die Nieren reinigen das Blut von Schadstoffen. Und das alles auch im Ruhezustand. Wenn wir Sport treiben, erhöht sich unser Energieumsatz und der Körper benötigt noch mehr Brennstoff. Allgemein gesagt nutzt der menschliche Körper zwei Arten von Brennstoffen: Zucker und Fette. Im Gegensatz zu der vorherrschenden Meinung sind Fette der wertvollste Brennstoff für die meisten Organe, da sie bei der Verbrennung die meiste Energie liefern, viel mehr als Zucker. Das hat sich unser Körper schlau ausgedacht und deshalb haben wir in der Regel auch genügend Fettmasse. Der Körper geht damit sehr sparsam um, denn Fett ist nicht nur der wertvollste Brennstoff, sondern besitzt noch zahlreiche andere lebenswichtige Funktionen. So sind unsere Körperzellen wie auch die Nervenbahnen in eine Fettschicht eingebettet. Dadurch können die Nerven ihre Signale so weiterleiten, dass wir in der Lage sind, schnell zu denken und rasche Bewegungen auszuführen. Na, wie sieht’s aus, entwickeln Sie schon ein wenig Sympathie für Ihr Körperfett?

Aber wo befindet sich unser Brennstoff eigentlich? Bei einem Auto ist diese Frage eindeutig zu beantworten: im Benzintank. In unserem Körper ist er hingegen auf diverse Stellen verteilt. Eine begrenzte Brennstoffmenge – sowohl Fette wie auch Zucker – zirkuliert frei durch das Blut, bereit, in jedem beliebigen Augenblick von den Organen aufgenommen zu werden. So wird der Brennstoff im Blut fortwährend von den Organen absorbiert und wieder aufgefüllt, wenn man etwas isst. Und hier taucht schon eine erste Frage auf. Was passiert eigentlich, wenn wir eine Weile nichts essen, zum Beispiel, wenn wir nachts schlafen? Oder weil einfach keine Nahrung verfügbar ist, wie das bei unseren Vorfahren regelmäßig der Fall war? Oder wir zwar etwas gegessen haben, anschließend aber Sport treiben und dadurch den Verbrennungsprozess ankurbeln? In all diesen Fällen greift unser Körper dankbar auf unser Brennstoffdepot zurück. Diese Vorräte sorgen dafür, dass wir nicht zusammenbrechen, wenn wir mal eine Mahlzeit ausgelassen haben und sie garantieren uns, dass wir eine Stunde problemlos laufen oder Tennis spielen können, vorausgesetzt natürlich, die Kondition reicht. Da unser Körper über zwei Arten von Brennstoffen verfügt, besitzen wir mit einem Zucker- und Fettdepot auch zwei unterschiedliche Vorräte, auf die wir zurückgreifen können, wenn der Brennstoff im Blut zur Neige zu gehen droht.

Der Zuckerspeicher Glykogen

Am kleinsten ist unser Vorrat an Zucker. Wir sprechen hier nicht von Kristallzucker, Rohrzucker oder Rübenzucker, sondern von der Zuckerform, die als Glucose bezeichnet wird. Um Glucose so effizient wie möglich speichern zu können, werden die Moleküle im sogenannten Glykogen in langen weitverzweigten Ketten zusammengefügt. Dieses Glykogen befindet sich an zwei verschiedenen Stellen in unserem Körper, und zwar in der Leber und in den Muskeln (siehe Abb. 2).Sinkt der Glucosespiegel im Blut unter den Sollwert (Unterzuckerung), zum Beispiel, weil man mehrere Stunden lang nichts gegessen hat, wird von dem Glykogen in der Leber Glucose »abgespalten« und in das Blut abgegeben. Dies führt zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Auch unsere Muskeln besitzen einen Glykogenvorrat, aber sie nutzen die freigesetzte Glucose ausschließlich für sich selbst, unter anderem bei intensiver sportlicher Betätigung. Das ist schlau, denn Glucose kann schneller abgebaut werden als Fett und setzt somit auch schneller Energie frei.

Wie viel Energie liefert dieser Glucosevorrat nun genau? Insgesamt sind in der Leber und in den Muskeln ungefähr 200 Gramm Glykogen gespeichert. Da die Verbrennung von 1 Gramm Glucose 4,1 Kilokalorien ergibt, sind im Glykogen insgesamt 2870 Kilokalorien gespeichert. Ist das viel? Das hängt davon ab, wie man es sieht. Geht man bei einer erwachsenen Frau mit einem durchschnittlichen Gewicht, die sich mäßig intensiv bewegt, von einem täglichen Verbrauch von 2000 Kilokalorien aus, wird sie nicht einmal anderthalb Tage von ihrem Glykogenvorrat »zehren« können, wenn sie nichts isst. Bei genauerem Hinsehen ist diese Zeitspanne sogar noch kürzer, weil der Mensch anfangs nur von dem Glykogenvorrat in der Leber »zehrt«. Ein Energiespeicher dieser Größe hätte unseren Vorfahren also nicht gereicht, wenn sie gezwungen waren, längere Zeit ohne Nahrung auszukommen.

Abbildung 2: Speicherung von Glykogen und Fett im Körper

Abbildung 3: Nutzung von Fettsäuren und Glucose als Brennstoff

Aber dafür ist dieses Depot auch nicht vorgesehen. Es wird gerade dann angegriffen, wenn der Körper schnell Energie braucht. Das Glykogen kann nämlich binnen kürzester Zeit in Glucosemoleküle zerlegt werden (siehe Abb.3), während die Glucose ihrerseits schnell in Energie umgewandelt werden kann. Das erweist sich als äußerst praktisch, zum Beispiel dann, wenn man einen Sprint einlegen muss, um den Zug noch zu bekommen. Oder wenn man, wie unsere Vorfahren, vor einem hungrigen Tiger auf der Flucht ist. Haben wir mehr als drei Stunden nichts gegessen oder uns über einen längeren Zeitraum angestrengt, greifen wir auf unser Körperfett zurück.

Fett: Ein nützlicher Speicher

Unser Fettvorrat versorgt uns mit der lebensnotwendigen Energie, wenn über längere Zeit keine Nahrung verfügbar ist. So hat sich unser Körperfett im Verlauf der Evolution zu einem wahren Energiespeicher entwickelt. Körperfett wird schon in einer frühen Phase der Schwangerschaft angelegt, wenn der Fötus kaum walnussgroß ist, und es entwickelt sich nicht nur unter der Haut, sondern auch im Bauchbereich rund um die Organe. Anfangs ist das Körperfett eines Fötus noch sehr bescheiden, er besitzt kaum Fett. Das ist auch nicht unbedingt nötig, denn solange er in der Gebärmutter geschützt ist, wird er von der Plazenta über die Nabelschnur versorgt. Auf einen Reservevorrat ist er also noch nicht angewiesen. Gegen Ende der Schwangerschaft muss ein Fötus jedoch für das Leben außerhalb der Gebärmutter entsprechend fit gemacht werden. Es kann dort kalt sein und eventuell reicht die Muttermilch nicht aus. Um diese erste Zeit zu überbrücken, legt der Fötus gegen Ende der Schwangerschaft einen praktischen kleinen Fettvorrat an. Zu früh geborene Babys besitzen ein solches Fettdepot noch nicht und haben deshalb auch nicht genügend eigene Körperwärme. Aus diesem Grund werden sie zunächst in einen Brutkasten gelegt – ein wohlig warmes Nest, in dem »die Frühchen« nur wenig Energie brauchen, um sich warm zu halten. Und mit der Zeit entwickelt sich der notwendige Fettvorrat von selbst.

So klein unser Fettvorrat kurz vor der Geburt ist, so groß wird er mit zunehmendem Alter. Als eines der größten Organe ist das Fett über den ganzen Körper verteilt, das kann man »am eigenen Leib« spüren, auch wenn man das vielleicht nicht immer begrüßen mag. Die beiden größten Fettansammlungen befinden sich im Bauch rund um die Organe (auch Bauchfett genannt) sowie als subkutanes Fett unter der Haut. Die letztgenannte Fettschicht kann wirklich überall sitzen, unter anderem im Gesicht, inklusive des wohlbekannten Doppelkinns, sowie in den Füßen und Oberarmen. Die dicksten subkutanen Fettschichten bilden sich jedoch – leider, werden viele sagen – in der Bauch-, Gesäß- und Oberschenkelregion.

Wie ist das eigentlich möglich, fragt man sich, dass unser Körperfett eine so große Speicherkapazität besitzt? Das hat damit zu tun, dass es aus unglaublichen 50 Milliarden äußerst dehnbaren Bläschen besteht, die als Fettzellen bezeichnet werden. Jede einzelne dieser Zellen ist in der Lage, Fett zu speichern und sich bei Bedarf in einem erstaunlichen Umfang auszudehnen. Dass Fettzellen wirklich kleinen Bläschen ähneln, sieht man, wenn man eine Gewebeprobe unter dem Mikroskop betrachtet. Witzigerweise sehen diese Fettzellen tatsächlich aus wie »mit Fett gefüllte Säckchen« (siehe Abb. 2), genau wie Short und Flemyng schon im 18.Jahrhundert vermutet hatten.

Eine Fettzelle ist sicher nicht nur ein »mit Fett gefülltes Bläschen« – damit würden wir unserem Fettgewebe wirklich nicht gerecht. Eine Fettzelle ist und tut weitaus mehr. So besitzt sie unter anderem einen Zellkern und Organellen (kleine Maschinen), mit denen sie Eiweiße (Proteine) herstellen kann, die sie zu etwas Einzigartigem machen. Wie auch die verschiedenen Botenstoffe oder Hormone das Körperfett zu einem sehr besonderen Organ machen. Außerdem besitzt die Fettzelle wie jede andere Körperzelle auch spezielle kleine Kraftwerke, die für die Verbrennung sorgen. Wie wichtig unser Körperfett ist, beweist der Fall von Natalie, die unter einer seltenen Fettanomalie leidet.

Was, wenn man kein Fett hat? Die Geschichte von Natalie

Vor zwanzig Jahren war Natalie eine schlanke, unternehmungslustige junge Frau, die in einer intakten Familie aufwuchs. Aber als ihre Menstruation mit achtzehn unregelmäßig wurde, war es mit dem unbeschwerten Leben schlagartig vorbei. Und nicht nur das. »Ich war todmüde und jede Bewegung tat mir weh. Auch nachdem die Ärzte ein Pfeiffer-Drüsenfieber diagnostiziert hatten, fühlte ich mich weiterhin hundeelend und meine Beschwerden verschlimmerten sich. Ich vertrug kein fettes Essen mehr, mir war ständig übel und ich musste mich häufig übergeben. Das konnte doch nicht alles mit dem Pfeiffer-Drüsenfieber zusammenhängen?«

Die Zeit verstrich und Natalie erholte sich nicht. Bei einer Blutuntersuchung stellte sich heraus, dass ihr Blutzuckerspiegel viel zu hoch war. Mit einundzwanzig Jahren bekam sie die Diagnose Diabetes. Sollte diese Erkrankung die Ursache aller Probleme gewesen sein? »Ich musste Insulin spritzen, aber ich konnte so viel spritzen, wie ich wollte, der Blutzucker sank kaum, es war zum Verzweifeln. Und ich fühlte mich immer noch so erschöpft, dass ich kaum in der Lage war, zur Arbeit zu gehen. Meine ganze Energie war danach aufgebraucht, zum Radfahren fehlte mir die Puste. Die Ärzte standen vor einem Rätsel und ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Jeder begann sich zu fragen, ob nicht vielleicht mehr dahinter steckte.«

Natalie wurde an einen Internisten überwiesen, dem ihre extrem dünnen Arme und Beine und der auffallend pralle Bauch auffielen. Ein MRT zeigte einen auffälligen Befund. »Wie zu sehen war, hatte ich so gut wie kein Fett unter der Haut. Stattdessen saß es reichlich an Stellen, wo es nicht hingehörte, zum Beispiel auf dem Herzen. Auch die Leber war extrem fett und dadurch vergrößert. Von daher der dicke Bauch! Und deshalb war mir auch ständig übel, deshalb vertrug ich das Essen nicht. Obwohl ich kein subkutanes Fett hatte, waren meine Triglyceriden (Blutfette) stark erhöht.«

Natalie litt offensichtlich unter einer »Lipodystrophie«, einer krankhaften Veränderung des Unterhautfettgewebes, die nur bei einem von zehn Millionen Menschen vorkommt. In der subkutanen Fettschicht kann kein Fett gespeichert werden. Die durchaus vorhandenen Fettzellen sind so gut wie leer und sehen aus wie platte verschrumpelte Säckchen. Die Folge ist, dass sich die Fette einen anderen Platz suchen müssen. Sie schweben durchs Blut und setzen sich andernorts fest, unter anderem im Bauchfett, das noch Speicherkapazität hat. Außerdem werden große Mengen Fett in anderen Organen gespeichert, bei Natalie geschah dies auf dem Herzen und auf der Leber, in anderen Fällen können auch die Nieren betroffen sein. Auf längere Sicht kann eine Fettspeicherung an diesen Stellen sehr gefährlich werden und beispielsweise zu kardiovaskulären Erkrankungen, zu Nierenversagen und Leberschäden führen. Hinzu kommt, dass die Anhäufung von Fett in bestimmten Organen die Aufnahme von Glucose beeinträchtigt. Die Glucose verbleibt im Blut, der Blutzuckerspiegel steigt an und die Betroffenen laufen Gefahr, einen Diabetes zu entwickeln. Also: Ohne gut funktionierendes Fettorgan zirkulieren die Fette und Zucker weiterhin durch das Blut und setzen sich letztendlich an Stellen fest, wo sie nicht hingehören.

Und wie geht es Natalie heute? »Ich bekomme jetzt ein Medikament aus den USA, das noch in der Erprobung ist. Das kann zwar nicht bewirken, dass sich wieder subkutanes Fett bildet, aber es sorgt dafür, dass sich das Fett auf meinen Organen etwas zurückbildet. Mein Bauch ist inzwischen nicht mehr so aufgebläht und mein Glucosestoffwechsel hat sich verbessert. Außerdem habe ich wieder mehr Energie, ich habe mein Leben zurückbekommen.« Inzwischen ist Natalie siebenunddreißig, verheiratet und arbeitet fast in Vollzeit bei einem Großhandel. Ihre Energie reicht jetzt sogar für ihre Hobbys. Sie fährt gerne Rad und liebt es, in der Natur zu sein. Das Medikament aus den USA nimmt sie nach wie vor.

Von Fett kann man lange zehren