FEUERPROBE (Retreat 5) - Stephen Knight - E-Book

FEUERPROBE (Retreat 5) E-Book

Stephen Knight

0,0

Beschreibung

Eine unbekannte, mysteriöse Krankheit verwandelt die Einwohner Bostons in sadistische, blutgierige, irre lachende Killer - die Crazies! Nur ein tapferes Infanterie-Bataillon kämpft gegen die irren infizierten Horden an und versucht, die wenigen verbliebenen Überlebenden zu beschützen. Und das gesamte Land zu retten … "Wow. Scheiße, ich brauche einfach mehr Sterne." - Amazon.de Nach den Ereignissen von Band 4 haben die Lightfighters von Colonel Lees 10th Mountain herbe Verluste erlitten. Die übrig gebliebenen Soldaten sind von den anhaltenden Kämpfen erschöpft und zermürbt. Und doch wartet bereits die nächste Mission auf die Einheit: Sie sollen sich nach Fort Stewart begeben und dort Dr. Courtney Moreau finden, eine der Entwicklerinnen jenes Virus, welches nun die Menschheit ausrottet. Deren Immunität könnte der Grundstein für die Entwicklung eines Gegenmittels sein. Die Sache hat nur einen Haken; Fort Stewart wird bereits von den Crazies belagert …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 356

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Retreat 5

Feuerprobe

von Stephen Knight

THE RETREAT, Episode 5: CRUCIBLE © 2018 Retreat-Series, LLC

Das ist ein fiktives Werk. Alle Charaktere, Organisationen und Ereignisse, die im Roman dargestellt werden, sind entweder fiktiv oder werden fiktiv verwendet. Veröffentlicht von The Retreat Series, LLC. www.TheRetreatSeries.com

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: CRUCIBLE Copyright Gesamtausgabe © 2019 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Wolfgang Schroeder

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2019) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-483-8

Du liest gern spannende Bücher? Dann folge dem LUZIFER Verlag aufFacebook | Twitter | Pinterest

Um keine Aktion, News oder Angebote zu verpassen, 

empfehlen wir unseren Newsletter.

Für weitere spannende Bücher besuchen Sie bitte 

unsere Verlagsseite unter luzifer-verlag.de

Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf deinem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn du uns dies per Mail an [email protected] meldest und das Problem kurz schilderst. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um dein Anliegen und senden dir kostenlos einen korrigierten Titel.

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Feuerprobe
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Über den Autor

Kapitel 1

»Hier spricht die Präsidentin der Gespaltenen Staaten von Amerika. Meinen infizierten amerikanischen Mitbürgern sage ich … HAW, HAW, HAW, HAW, HAW HAW, HAW, HAW, HAW! Die Zeit zum Töten ist da!

Doch jetzt im Ernst. Ich will, dass sich alle militärischen Einheiten unter meinem Kommando nach Fort Stewart, Georgia, in Bewegung setzen. Einer der Vier Reiter ist dort. Ich weiß nicht, welcher, aber das ist mir auch egal! Ich will, dass er oder sie vor den widerwärtigen Nichtinfizierten gerettet und an einen sicheren Ort gebracht wird, wo ich ihm meine persönliche Ehrerbietung erweisen kann.

Infiziert alle, die sich euch entgegenstellen. Falls ihr sie nicht infizieren könnt? Dann tötet sie! Tötet jeden, der sich euch in den Weg stellt – aber bringt mir den Reiter!

Macht es jetzt!

HAW, HAW, HAW, HAW, HAW, HAW, HAW, HAW, lasst die Wichser bluten!«

Kapitel 2

Lee erwachte durch das ferne Geräusch gluckernder Rohre, das Flüstern der Klimaanlage und das widerhallende Brummen weit entfernter Maschinen, die taten, wozu auch immer sie konstruiert worden waren. Die Dunkelheit, die ihn umgab, war absolut und machte seine Augen im Grunde nutzlos. Selbst Stevie Wonder hätte besser erkennen können, was nur einen halben Meter entfernt vor ihm lag, als er es konnte. Wenn er sich jemals bildlich vorstellen müsste, wie es aussehen würde, in die dunkle Leere hinauszuschreien, dann würde es so sein wie hier.

Er lag in der Dunkelheit und lauschte. Nichts deutete auf Gefahr hin. Das leuchtende Zifferblatt seiner Uhr sagte ihm, dass es 0423 war; lange vor seiner geplanten Aufwachzeit um 0500. Trotzdem fühlte er sich nicht müde. Matt, ja … die Mattigkeit würde ihn noch monatelang, wenn nicht sogar jahrelang begleiten, angesichts dessen, was das Bataillon bereits während seiner kurzen Kommandozeit durchgemacht hatte. Aber die wachsende Erschöpfung, die ihn aus der Bahn zu werfen gedroht hatte, wurde zumindest für den Moment in Schach gehalten. Sein XO hatte recht gehabt. Etwas Schlaf in einer Umgebung zu bekommen, in der er sich nicht darüber Sorgen machen musste, dass ihm ein Klown eine Tasse infizierte Pisse ins Gesicht goss, war eine großartige Idee gewesen.

Doch die Abschottung vom Bataillon und vom Kommandostab sorgte dafür, dass er sich unruhig und haltlos fühlte. Er musste den wiedereroberten High-Point Komplex verlassen und sich auf den Weg zurück an die Oberfläche machen, wo das 55ste weiterhin in Verteidigungsposition lagerte und auf die nächste Angriffswelle der Infizierten wartete. Lee befand sich mehr als zwanzig Meter unter ihnen, eine schwere, explosionsgeschützte Tür und Tonnen von behauenen Felsen und befestigten Aufbauten trennten ihn von den Truppen. Das war nicht richtig. Er sollte auch an der Oberfläche sein und sich den gleichen Risiken aussetzen wie sie, nicht auf einem Bett unter der Erde liegen, wo er eine heiße Dusche und drei Mahlzeiten bekam und in eine normale Toilette anstatt in einen Müllsack scheißen konnte.

Lee hatte inzwischen erkannt, dass er den Kompanieführer in sich immer noch nicht hatte abschütteln können. In seinem letzten Karriereabschnitt war er stets viel näher am Ort des Geschehens dran gewesen. Natürlich hatte er auch da Soldaten kommandiert. Aber er war immer noch einer von ihnen gewesen. Nun sorgten die silbernen Eichenblätter, die er trug, für einen Bruch, den er so nicht empfand. Es wurde erwartet, dass er einer von ihnen blieb und sich gleichzeitig abschottete, ein hervorragender Militärstratege, der zwar die gleiche Uniform trug, aber auch in der Lage war, Gefechtsverluste als akzeptable Folge zu betrachten, um die Mission zu erfüllen. Harry Lee fand das verrückt. Die Soldaten waren das Öl, das die Militärmaschinerie am Laufen hielt. Wenn man zu viele davon verlor, erfasste es den gesamten Apparat und ließ ihn vollständig stillstehen.

Er musste wieder zur Oberfläche.

Lee hatte seine paar Stunden ungestörte Ruhe gehabt, war geborgen gewesen, während er gleichzeitig zugelassen hatte, dass die Männer und Frauen unter seinem Kommando seinen blassen weißen Arsch bewachten und die Klowns in Schach hielten.

Es war an der Zeit, zurückzukehren.

Kapitel 3

Das Bataillon blutete aus.

Command Sergeant Major Doug Turner richtete sich auf und sah seine höherrangigen Unteroffiziere über die verbeulte Motorhaube seines Humvee hinweg an. Die Morgendämmerung war noch nicht ganz angebrochen, sodass die Männer eher wie Trugbilder als wie Soldaten wirkten, ihre Mienen waren trotz des sich im Osten langsam aufhellenden Himmels nicht zu deuten. Er hätte seine Rotlicht-Taschenlampe auf sie richten können, aber das war unnötig. Turner wusste, was er sehen würde. Bei vier Männern mit zusammengenommen über hundert Jahren militärischer Erfahrung würde sie ihm nicht mehr als einen Haufen knallharter Arschlöcher zeigen.

»Bist du dir da sicher?«, fragte er. »Weide? Bist du wirklich sicher?«

»Sie werden nicht nur vermisst, Doug. Das haben uns die Kommandeure ihrer Einheiten bestätigt und trotzdem haben wir auch noch selbst nachgesehen. Sie sind abgehauen.«

Turner sah den Mann an, der neben Weide Zhu stand. »Boats?«

First Sergeant Boats zuckte leicht mit den Achseln, die Bewegung war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Er hielt seine zuverlässige Remington 870 Schrotflinte in beiden Händen. »Was soll ich sagen? Der Scheiß ist wirklich wahr.«

»Es passiert schon eine ganze Weile«, sagte Master Sergeant Riggs. »Zunächst waren es immer nur einer oder zwei, und wir konnten nicht sicher sein, ob sie nicht während der ganzen Feindkontakte im Kampf getötet worden waren. Doch jetzt? Wir sind uns inzwischen ziemlich sicher.«

»Nachdem jeder herausgefunden hat, dass die Präsidentin ein Klown ist, fangen immer mehr Soldaten an, sich aus dem Staub zu machen«, ergänzte Sergeant First Class McAllister. »Um die Wahrheit zu sagen, ich würde vermutlich dasselbe tun, wenn meine Familie nicht hier wäre. Zu wissen, dass sich die oberste Führung des Landes mit diesen Monstern einlässt, reicht aus, um mich dazu zu bringen, euch allen sagen zu wollen: Fickt euch!«

Turner richtete seine Taschenlampe wieder auf die handschriftliche Liste, die ihm die Soldaten erst vor wenigen Minuten übergeben hatten. Er betrachtete die Namen, die alle in Boats’ makelloser Blockschrift notiert worden waren. Und am Ende war die Auflistung zusammengerechnet worden.

»Ihr wollt mir also erzählen, dass innerhalb von vier oder fünf Tagen über sechzig Soldaten vom Bataillon desertiert sind und ihre ganze Ausrüstung mitgenommen haben.« Das war keine Frage. Turner hatte bereits selbst gespürt, wie die Stärke des Bataillons versickerte, eine Art seltsame Vorahnung, die er in seinen Knochen spürte. Dass seine Bully-Boys ihm die Beweise für diesen Auflösungsprozess gebracht hatten, hätte ihn nicht überraschen sollen, aber für Turner fühlte es sich trotzdem so an, als wäre er direkt in den Bauch geschlagen worden. Soldaten beim Heer waren auch nur Menschen, und Menschen wurden unter ständigem Stress müde und erschöpft. Doch Lightfighter spielten in einer ganz anderen Liga. Sie sollten in der Lage sein, das alles abzuschütteln. Sicher, auch sie hatten genörgelt, aber alle Soldaten meckerten herum, das war eine Grundvoraussetzung. Doch reichte das wirklich aus, um zu desertieren?

»Ja, aber erst, nachdem sie sich mit zusätzlicher Munition und weiteren Vorräten versorgt hatten«, sagte Riggs. »Allerdings haben sie sich nicht mit irgendwelchen Fahrzeugen aufgehalten. Da draußen gibt es viele zivile Transportmittel, die höherwertiger sind.«

»Keine Sorge, Doug«, sagte Boats. »Sie sammeln sich wahrscheinlich gerade beim nächstgelegenen Cadillac-Händler und reißen sich alle Escalades unter den Nagel, die sie in die Finger bekommen können, um damit ihre Stripper-Freundinnen aufzugabeln. Sie sollten also leicht aufzuspüren sein.«

Weide regte sich. Als er sprach, hatte seine Stimme keinen scherzhaften Unterton. Er klang absolut geschäftsmäßig. »Nun, okay. So sieht es aus, Sarmajor. Je länger wir hierbleiben, desto mehr werden wir ausbluten. Wenn wir ausrücken, werden die Jungs und Mädchen weniger Lust aufs Desertieren bekommen. Sie werden viel zu beschäftigt sein, um darüber nachzudenken. Im Moment haben wir dieses Gebiet unter Kontrolle, und die Klowns können sich nicht mit uns anlegen. Aber hier es ist einfacher für Soldaten, über den Zaun zu verschwinden. Auf der Straße ist das etwas ganz anderes.«

»Aber wir haben etwa sechzig Gewehre weniger als noch am Montag. Für mich sieht das auf dem Papier überhaupt nicht positiv aus«, sagte Riggs. »Scheiße, vielleicht sollte ich ja auch desertieren.«

»Würdest du das machen? Bitte?«, antwortete Boats.

»Leck mich, Boats. Du warst doch bei der Küstenwache, da kannst du das, und ich bin mir sicher, du bist darin fantastisch.«

»Was glaubst du, wie ich zum reichsten Mann des ganzen Regiments geworden bin, Schnuckelchen?«

»Du hast diese Zahlen von den jeweiligen Kommandeuren der Einheiten bekommen?«, fragte Turner und sah Weide an. Der Verlust von etwa sechzig Gewehren in einer knappen Woche war ein ernstes Problem. Die wiederholten Angriffe der Crazies, die das Bataillon auf dem Weg von seiner ursprünglichen Militärbasis in Boston nach Süden hatte abwehren müssen, hatte die Einheit bereits erheblich geschwächt.

»Ja. Und wenn nicht von ihnen, dann von den höherrangigen Unteroffizieren.« Weide machte eine kurze Pause. »Einige der Jungs sagten, sie hätten es dem Hauptquartier gemeldet.«

»Tatsächlich? An wen denn?«

»Dem XO.« Die Art und Weise, wie er den Dienstgrad betonte, zeigte Turner, dass Weide nicht viel von Major Walker hielt, dem Executive Officer des Bataillons. Turner selbst teilte diese Meinung nicht unbedingt, da er mit Walker, seit dessen Ankunft im Bataillon, mehr oder weniger die ganze Zeit über zusammengearbeitet hatte, aber das war im Moment nicht wichtig. Wirklich wichtig war hingegen, ob Walker den Colonel nicht über die Situation ihrer militärischen Stärke informiert hatte.

»Ich werde es Lee melden«, sagte Turner, faltete die Liste zusammen und steckte sie in eine seiner Taschen.

»Ja, das sollte jemand machen«, bestätigte Boats, »weil es so aussieht, als ob Major Buddy Fucker es nicht getan hat.«

»Ich hab’s verstanden, Boats. Ich kümmere mich darum. Danke, dass ihr die Lauferei erledigt habt, Leute. Jetzt macht euch wieder an eure Aufgaben … wir müssen uns um etwas kümmern, was immer noch für ein leichtes Infanterie-Bataillon gehalten wird.«

Die Männer nickten und verschwanden in der Dunkelheit. Turner blieb allein bei seinem Humvee stehen und überlegte, was zum Teufel gerade passierte. Gleichzeitig fragte er sich, ob Florida wirklich ein realistisches Ziel war, oder nur ein Traum, der es nicht wert war, geträumt zu werden.

Kapitel 4

»Tut mir leid, Major. Der Kerl will einfach nicht verschwinden und …« Der junge Sergeant, der Walker gegenüberstand, wirkte im schwachen Licht des Trailers der Taktischen Einsatzzentrale, als würde er sich unbehaglich fühlen. »Nun, er scheint Führungserfahrung zu haben.«

»Führungserfahrung?«, fragte Walker und rieb sich die Augen. Sie brannten, als stünden sie in Flammen. Auf der Straße hatte er die Situation unter Kontrolle behalten können und nicht mit so vielen unwichtigen Unterbrechungen zu kämpfen gehabt – das Marschieren unter Beschuss hielt solche Dinge ziemlich gut in Schach. Aber seitdem das Bataillon um den aktuellen Standort herum sein Lager aufgeschlagen hatte, waren die ganz normalen und alltäglichen Schreckgespenster mit voller Wucht über ihn hergefallen. Normalerweise störte das Walker nicht. Er war bisher clever genug gewesen, um fast jedes triviale Problem mit Leichtigkeit zu lösen, doch das galt nur für die normalen Einsätze in Friedenszeiten. Hier und jetzt, wo grausame Irre die Welt regierten, war nichts mehr alltäglich. Jede Beschwerde, jedes Problemchen und jeder noch so beschissene Fehler musste sehr genau überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie nicht irgendwann mal das Bataillon – oder, was noch wichtiger war, ihn – am Arsch kriegten.

Und jetzt wollte einer der Zivilisten, für die das Bataillon Kindermädchen spielte, mit ihm sprechen. Nicht mit Lee, sondern mit ihm. Mit nur drei Stunden Schlaf auf seinem Konto war eine weitere Beschwerdeliste von jemandem, der verdammt dankbar sein sollte, dass er vom Bataillon gerettet worden war, das letzte, was Walker hören wollte.

»Ja, Sir«, sagte der Sergeant. »Eindeutig Führungserfahrung.«

»Definieren Sie das, wenn es Ihnen nichts ausmacht?«

»Wie ein O-6.«

Walker blinzelte. »Wie bitte? Ein Colonel?« Er musste sich zurückhalten, um nicht ein echter Colonel zu fragen. »Ich dachte, Sie sagten, er sei Zivilist?«

»Ja, Sir. Das ist er, oder zumindest ist er wie einer angezogen. Aber, äh, er hat Befehlsautorität, wenn Sie wissen, was ich meine?«

Walker rieb sich das Kinn. Es war stoppelig. Rasieren war auf seiner Prioritätenliste etliche Positionen nach unten gerutscht. »Was will er?«

Der Soldat zuckte unter seiner kompletten Kampfausrüstung mit den Achseln. »Sie könnten ihn selbst fragen, Sir.«

Walker seufzte und sah sich im Tactical Operation Center um. Die Generatoren, die draußen brummten, leuchteten es komplett aus, und obwohl momentan lediglich die Überwachung der Patrouillen als Aufgabe anstand, war die Zentrale voll besetzt. Viele unliebsame Mithörer, weswegen Walker entschied, dass er das Gespräch lieber vertraulich führen wollte.

»Ich treffe ihn draußen«, sagte er dem Sergeant. »Ich will hier drin keine Zivilisten haben.«

Der Sergeant nickte. »Ihre Entscheidung, Sir. Ich bringe Sie zu ihm.«

Walker zu dem Mann zu bringen, der ihn treffen wollte, bedeutete, sich umzudrehen und die Tür des Anhängers, die nach draußen führte, zu öffnen. Sobald der Sergeant durch die Tür getreten und auf dem Boden gelandet war, konnte Walker die Person sehen, die mit ihm sprechen wollte. Es war ein großer, hochgewachsener Mann, der in dem Licht, das aus dem TOC nach draußen fiel, etwas knochig wirkte – die Verdunkelungsvorhänge im TOC waren nicht heruntergelassen worden, aber da es ohnehin bald hell wurde, spielte das keine Rolle mehr. Der Mann trug verblasste Jeans und ein marineblaues T-Shirt, das eine beachtliche Muskulatur erkennen ließ. Obwohl sein Haar weitestgehend grau war und an den Schläfen weiß wurde, war er in guter Form. Walker schätzte sein Alter auf etwa sechzig Jahre.

Und tatsächlich zeigte etwas an seiner Körperhaltung, dass dies ein Mann war, den man besser nicht verarschen sollte.

»Sir, Sie wollten mich sprechen? Ich bin Major Walker, Executive Officer des Bat…«

»Walker, wissen Sie, dass Ihre Einheit ein Problem mit Deserteuren hat?«, unterbrach ihn der Mann.

Walker blinzelte. Die Frage hatte ihn kalt erwischt, und schlimmer noch, sie sorgte dafür, dass sich der Sergeant, der den Mann zu ihm geführt hatte, umdrehte und Walker fragend ansah. Walker wandte sich dem Mann zu und deutete in die Ferne.

»Sergeant, Sie können wegtreten«, sagte er. »Danke für Ihre Hilfe.«

»Verstanden, Sir.« Der Soldat griff nach seinem M4, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in die Dunkelheit davon. Walker seufzte, wandte sich wieder dem älteren Mann zu und sah ihm direkt in die Augen. Da war kein Respekt in dessen Körperhaltung, kein Hinweis darauf, dass Walkers Rang oder die Uniform, die er trug, den Mann irgendwie beeindruckten. Das störte ihn. Auch wenn er noch nicht viele der Zivilisten getroffen hatte, die unter dem Schutz des Bataillons standen, so waren es doch einige gewesen, und bei denen schwang immer ein Hauch von Dankbarkeit mit. Der Mann vor ihm schien ein Stück von Walkers Arsch zu wollen, und das beunruhigte ihn.

»Sir, können Sie sich identifizieren?«

»Kief Tackaberry. Ehemaliger Kommandant der 7. Leichten Flugbrigade. Wie in … Colonel Kief Tackaberry. Lightfighter, genau wie Sie.«

Walker blinzelte erneut. »Aah, ja, … die Siebente … wurde die nicht außer Dienst gestellt?« Mühsam versuchte er sich an Einzelheiten zu dieser alten Division zu erinnern. Ihm war, als wäre die Einheit in Fort Ord in Kalifornien stationiert gewesen, das man bereits während der Clinton-Administration geschlossen hatte, damals, als er noch selbst auf die Highschool gegangen war. Er rechnete kurz nach. Wenn der Mann vor ihm in den Neunzigern Brigadekommandant gewesen war, dann müsste er jetzt mindestens siebzig Jahre alt sein.

»Wurde es, und zwar 1994«, bestätigte Tackaberry. »Ich war der letzte Kommandant der Flugbrigade. Ich mag zwar alt sein, Major, aber ich bin kein Idiot.«

Walker hob beschwichtigend die Hände. »Sir, vielleicht können wir noch mal von vorn anfangen. Was genau wollen Sie von mir?«

»Sie scheinen ein Problem mit Desertionen zu haben, Major. Als XO sollten Sie darüber unbedingt Bescheid wissen.« Der große, pensionierte Colonel hielt einen Moment inne und beugte sich dann nach vorn. »Sie wissen doch darüber Bescheid, oder?«

Während sich Walker bemühte, eine passende Antwort zu formulieren, tauchte der kommandierende Sergeant Major des Bataillons aus der Dunkelheit neben dem TOC auf. Er warf Tackaberry einen Blick zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Walker.

»Entschuldigen Sie, Major. Wir müssen uns unterhalten«, sagte Turner.

»Aah, Sergeant Major Turner. Okay. Darf ich Ihnen Colonel Tackaberry … pensionierter Lightfighter aus Fort Ord vorstellen?«, antwortete Walker.

»Der Sarmajor und ich werden uns gleich miteinander bekannt machen, Walker«, antwortete Tackaberry. »Aber, mein Junge, ich habe Ihnen eine konkrete Frage gestellt, die Sie bisher noch nicht beantwortet haben.«

»Colonel, bei allem Respekt, ich glaube nicht, dass ich Ihnen auch nur das Geringste erklären muss«, erwiderte Walker heftig.

»Ach, wirklich.« Tackaberry legte seinen Kopf zur Seite. »Okay, na dann. Sarmajor Turner, wie viele Desertionen gab es um die letzte Woche herum?«

Während er die Frage stellte, drehte sich der hochgewachsene Colonel so schnell zu Turner um, wie ein automatisches Maschinengewehr, das sich auf sein Ziel ausrichtet.

Dieser trat automatisch einen Schritt zurück, dann lächelte er wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht eines herandonnernden Sattelschleppers gefangen war.

»Sir, nach meinen Berechnungen waren es annähernd sechzig Desertionen«, antwortete Turner.

Walker starrte ihn mit offenem Mund an und fragte sich, warum um alles in der Welt ausgerechnet der kommandierende Sergeant Major ihm den Dolch in den Rücken stieß.

Tackaberry richtete seinen Blick wieder auf Walker. »Major? Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass Ihr CO darüber Bescheid weiß? Weil ich nämlich keine Bemühungen erkennen kann, mit denen die Leute bei der Stange gehalten werden sollen, und das ist ein ziemlich ernstes Problem.«

»Um das wir uns kümmern werden, Sir«, entgegnete Walker. Die Antwort klang selbst in seinen Ohren ziemlich lahm.

Tackaberry drehte sich abrupt zu Turner um. »Stimmt das, Sergeant Major?«

»Äh …«, stammelte Turner und warf zuerst Walker einen Blick zu, dann sah er den vor ihm aufragenden pensionierten Colonel an.

»Sir, ich bin mir sicher, dass man sich damit befassen wird …«

»Wann haben Sie das Problem mit den Fahnenflüchtigen entdeckt, Sarmajor?«

»Vor einiger Zeit, Sir«, antwortete Turner.

»Und wann genau, Turner?«, fragte Tackaberry drängend.

»Vor … vor einiger Zeit, Sir«, wiederholte Turner.

»Das ist ein wenig ungenau, Sarmajor.«

»Ja, Sir. Entschuldigen Sie, Sir, aber meine Erinnerung lässt mich gerade in Stich. Geben Sie mir und dem Major ein paar Minuten, dann werden wir die Sache klären.«

Tackaberry grunzte. »Ja, genau. Das glaube ich gern. Ich erkenne das Lightfighter-Gemauschel, wenn ich es sehe. Wie viele Jahre sind Sie dabei, Sarmajor?«

»Inzwischen fast dreißig, Sir. Und Sie?«

»Ich hatte dreiunddreißig Jahre. Die Army hat sich zwar seitdem ein wenig verändert, aber ich bin kein Idiot. Sie können das Spiel gern weiter treiben und so tun, als wüssten Sie nicht, wovon ich gerade spreche, Sarmajor … aber ich werde die Angelegenheit hier und jetzt mit Ihrem XO klären.«

»Ähm, ja, Sir«, antwortete Turner.

Tackaberry wandte sich unvermittelt wieder Walker zu. »Walker. Wie viele Jahre sind Sie dabei? Stehen Sie schon zur Beförderung an?«

»Äh, nein, Sir. Ich war erst vor zwei Jahren dran.«

»Gut. Dann verstehen Sie bestimmt, wenn ich Ihnen sage, dass ich zwanzig kampferfahrene Schützen habe, die sich Ihrer Truppe anschließen wollen. Wir mögen vielleicht alt sein, aber wir können immer noch alles, was wir früher gemacht haben und wir verfügen alle über Führungserfahrung.«

»Ähm … was? Sir, ich bin mir nicht sicher, ob das möglich …«

»Tut mir leid, Major. Lassen Sie mich das klarstellen. Ich bitte Sie verdammt noch mal um nichts. Ich teile Ihnen gerade mit, dass ich diese Angelegenheit direkt mit Ihrem CO klären werde. Und zwar von Angesicht zu Angesicht.« Tackaberry drehte sich wieder abrupt zu Turner um. »Irgendwelche Probleme damit, Sarmajor?«

»Nein, Sir«, antwortete Turner wie aus der Pistole geschossen.

»Major?«, fragte Tackaberry fordernd.

»Sir, Colonel, wer auch immer Sie sind … das glaube ich nicht. Colonel Lee ist ein viel beschäftigter Mann und …«

»Walker, was sind Sie eigentlich? So was wie eine KI? Existiert Ihre gesamte Lebenserfahrung nur irgendwo in einer Konfigurationsdatei?«

Walker war echt verwundert. »Entschuldigung?«

Tackaberry trat näher an ihn heran und sorgte damit dafür, dass seine mehr als 1,90 Meter große Gestalt über Walker aufragte. Der alte Mann sah auf ihn herab und in der Morgendämmerung konnte Walker sein geradezu mitleidiges Lächeln sehen.

»Walker, Sie sind hundertprozentig einer von diesen Typen, dem seine Leute scheißegal sind. Ich kann das sehen. Turner sieht es auch. Jeder, der mit Ihnen zu tun hat, kann das sehen. Sie sind ein hinterhältiger Mistkerl, und Sie haben Ihrem kommandierenden Offizier das Problem mit den Fahnenflüchtigen verschwiegen, weil Sie ihn nicht ablenken wollten. Richtig?«

Walker war schockiert. »Hören Sie, ich muss mir diesen Scheiß hier nicht antun und …«

»Ganz sicher?« Tackaberry beugte sich so weit nach vorn, dass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von Walkers entfernt war.

»Sind Sie absolut sicher, dass Sie sich das nicht von mir sagen lassen müssen? Denken Sie wirklich, Sie sind der erste Buddy-Ficker, den ich treffe?« Dann machte der hochgewachsene Mann einen großen Schritt nach hinten. »Meinen Sie, Ihr CO hat noch nicht herausgefunden, was Sie für einer sind? Glauben Sie, Sie sind echt so gut darin, die Leute zum Narren zu halten?« Er wandte sich wieder an Turner. »Sarmajor, hat Sie dieser Mann hinters Licht geführt?«

Turners Schweigen war vernichtend.

Tackaberry grinste hämisch, während die Sonne am Horizont auftauchte. Dann starrte er zornig auf Walker herab.

»Ich treffe mich mit Ihrem CO, sobald es seine Terminplanung zulässt«, tönte er. »Sorgen Sie dafür, Walker.«

»Ja, Sir«, antwortete Walker automatisch.

Kapitel 5

Lee war gerade auf dem Weg zum Aufzug, der ihn zur großen Panzertür und damit zum Hauptausgang der Basis bringen würde, als ein Soldat der 3rd Infantry auf ihn zugestapft kam.

»Colonel! Warten Sie!«

Lee wandte sich um. Er kannte den Mann nicht, aber dieser wirkte so jung und jugendlich frisch, wie man noch aussehen konnte, wenn man wochenlang gegen die Klowns gekämpft hatte. Dass die fraglichen Klowns Mitglieder des Kongresses und der Einsatztruppe der Präsidentin gewesen waren, war in dem Zusammenhang nicht relevant.

»Wo liegt das Problem, Sergeant?«

»General Reynolds will mit Ihnen in der Kommunikationszentrale sprechen«, antwortete ihm der große, schlaksige Soldat. Wie die meisten Mitglieder der Old Guard war er wegen seiner Größe angeworben worden. In der Vergangenheit war die 3rd eine Einheit gewesen, die überwiegend zeremonielle Aufgaben wahrgenommen hatte; so war sie die Division gewesen, die verstorbene Präsidenten zum Arlington National Cemetery begleitet hatte. Erst nachdem die Konflikte in Afghanistan und dem Irak hochgekocht waren, war sie wieder in einen eher aktiveren Dienststatus versetzt worden. Die Vergangenheit der 3rd hatte Lee nicht gestört. Er wusste, dass die Mitglieder dieser Einheit bereits einige ernstzunehmende Missionen erledigt hatten, und sie hatten ihm das persönlich bewiesen, als sie zu verhindern versuchten, dass die Basis überrannt wurde.

»Wann?«, fragte Lee.

»Jetzt, Sir«, antwortete der Soldat.

Lee schnaubte. »Meinen Sie, dass Reynolds auf mich wartet? Das muss ich mir im Kalender notieren.«

Wenn der Soldat den sarkastischen Humor mitbekam, ließ er sich das nicht anmerken. »Ja, Sir. Er wartet in diesem Moment auf Sie.«

»Okay. Dann sehen wir mal, was er will.«

Lee folgte dem großen Soldaten wieder den Flur hinunter und eine enge Treppe hinab. Die Kommandozentrale war ein sehr großer Raum, der von Bildschirmarbeitsplätzen und Videomonitoren dominiert wurde. Als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war der Raum weitestgehend verlassen gewesen. Nun waren Soldaten der 3rd und befreite Zivilisten aus den unteren Sicherheitszonen anwesend, die die verschiedenen Systeme von High Point am Laufen hielten. Die Kommandozentrale war Schauplatz mehrerer blutiger Kämpfe gewesen, und die pockennarbigen Wände legten stilles Zeugnis darüber ab, dass einige offene Gefechte innerhalb dieser Mauern stattgefunden hatten. Einige von Lees eigenen Männern waren bei dem Versuch gestorben, die Zentrale einzunehmen und danach zu halten, und er spürte ihren Verlust deutlich.

Es war nicht der Vorsitzende der Vereinigten Generalstabschefs, der auf ihn wartete, sondern sein Attaché, ein Colonel namens Stewart. Stewart war ein schlanker und hochgewachsener Offizier, die Art von Anführer, der sich in einer Büroumgebung wohler fühlte als im Tactical Operation Center einer Kampfbrigade. Lee gab sich große Mühe, den Mann nicht vorschnell zu beurteilen, aber als er Stewarts fahles Gesicht auf einem der großen Flachbildschirme betrachtete, war es schwer, ihn sich nicht in der Rolle des Kommandanten einer Nachhut vorzustellen.

»Lee, ich bin froh, dass ich Sie erwischen konnte«, sagte Stewart, als Lee sich vor den Monitor und die daran installierte Kamera setzte. »Wie laufen die Dinge in High Point?«

»Wir sind hier bereit, Sir. Feindliche Kontakte erfolgen nur noch sporadisch und die Einrichtung untersteht weiterhin der Kontrolle der Nichtinfizierten.«

»Das sind ausgezeichnete Neuigkeiten, Lee. Ihr Lightfighter habt da unten wirklich einige gewaltige Kastanien aus dem Feuer geholt.«

»Danke, Sir. Ähm … mir wurde gesagt, dass General Reynolds mich sprechen will?«

»Das will er … er bekommt nur gerade in letzter Minute ein Briefing. Wir haben nicht erwartet, dass Sie so schnell in der Kommunikationszentrale auftauchen würden. Ich habe ihn im Blick, er wird jeden Moment bei Ihnen sein. Bevor sie beginnen … haben Sie Ihren aktuellen Lagerbestand parat?«

Lee runzelte die Stirn. »Jetzt hier, bei mir? Nein, Sir, das habe ich nicht.« Er hielt einen Moment inne. »Wollen Sie unsere Vorräte aufstocken?«

»Genau darüber wird der General gerade informiert. Wir haben im Moment einige Kapazitäten, und wir versuchen, etwas für das 55ste loszueisen. Wir brauchen allerdings eine Aufstellung. Nicht sofort, aber bald. Verstanden?«

»Habe verstanden, Sir.«

Stewart wandte sich für einen Moment von der Kamera ab und drehte sich dann wieder zu Lee um. »In Ordnung, der General ist auf dem Weg hierher. Viel Glück, Lee.«

»Danke, Sir.« Obwohl Lee keine Ahnung hatte, warum ihm Stewart Glück wünschte.

Stewart erhob sich aus dem Stuhl, in dem er gesessen hatte, und entfernte sich aus dem Sichtfeld des Flachbildschirms. Einen Moment später ließ sich General Armand Reynolds, Mitglied des United States Marine Corps und derzeitiger Vorsitzender der Vereinigten Generalstabschefs, in den engen Stuhl hineinsinken. Reynolds sah genau wie der typische Marine aus; zerfurcht, verwittert und unerbittlich. Der General betrachtete den Bildschirm vor sich, und Lee wünschte sich plötzlich, dass er sich etwas besser rasiert hätte, bevor er seinen Aufstieg zur Oberfläche begonnen hatte.

»Gut geschlafen, Harry?«, fragte Reynolds.

»So gut wie man das heutzutage kann, Sir. Und Sie?«

»Schlaf und ich sind nicht gut aufeinander zu sprechen, mein Junge. Ich habe mitbekommen, dass Stewart bereits mit der Beschreibung dessen, was hier unten vor sich geht, Ihren Puls in die Höhe getrieben hat. Die Sache ist die, ich kann zwei C-15er mit sechs Paletten von allem, was Sie benötigen, in Ihre Richtung schicken. Sie sind auf dem Weg nach DC, um die 82ste mit Nachschub zu versorgen, und wir haben gerade noch genug Platz, um dem 55sten ein kleines verfrühtes Weihnachtsgeschenk zu machen. Diese Flugzeuge heben in fünfunddreißig Minuten ab. Sie haben zehn, um mir Ihre Liste zu geben.«

»Sir, wir nehmen zwei Paletten der Klasse VIII a und b, eine Palette der Klasse I, und der Rest sollte alles Klasse V sein«, antwortete Lee sofort, obwohl er von dem plötzlichen Angebot verblüfft war. »Wir könnten auch etwas Treibstoff für die Fahrzeuge brauchen, also wenn Sie es schaffen sollten, uns etwas Klasse III abzuwerfen, plündere ich den nächsten Schnapsladen und schicke Ihnen, was immer Sie wollen.«

»Colonel Stewart schreibt das bereits auf, während Sie sprechen«, sagte Reynolds. »Definieren Sie die Klasse V.«

»Gewehrmunition, Pistolenmunition, HE-Granaten für das Mörser-Team«, antwortete Lee. »Uns hat sich eine MANPADS-Einheit angeschlossen, sie könnten ein paar neue Granaten gebrauchen. 40mm-Granaten wären neben der Kaliber-.50-Munition eine tolle Draufgabe.«

»Versuchen Sie nicht, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen, Lee. Das ist keine Wohltätigkeitsmission und ich habe hier nur begrenzte Vorräte zum Verteilen. Wir werden unser Bestes geben, aber das wird für Sie vielleicht keine weiße Weihnacht werden.«

»Verstanden, Sir. Alles, was Sie entbehren können. Die Munition ist am wichtigsten, und dann die medizinischen Versorgungsgüter. Besonders die Blutprodukte. Essen kann bei Bedarf weggelassen werden; da können wir, was wir brauchen, hier im Umland auftreiben.«

»Lee, sagen Sie mir, was Sie mit den Zivilisten unter Ihrer Kontrolle machen werden?«, fragte Reynolds.

»Wir haben sie hier unten einquartiert, Sir. Es ist sicherer, als sie an der Oberfläche unterzubringen, zumal es ja schlagartig jede Menge Platz in High Point gibt. Wir haben alle Klowns ausgemerzt, und das 3rd Infantry Regiment hält in High Point den Frieden aufrecht. Es wird hier keinen weiteren Ausbruch geben. Niemand geht dieses Risiko ein. Jeder, der Anzeichen einer Infektion zeigt, wird sofort unter Quarantäne gestellt, und wenn die Infektion offen ausbricht … werden die Infizierten getötet. Es werden keine Fragen gestellt.«

»Strenge Regel«, sagte Reynolds, »aber momentan der einzig sichere Weg. Wie verkraftet es die 3rd?«

»Es sind noch genug von ihnen übrig, um weiterhin effektiv sein zu können, Sir. Wir haben sie mit Mitgliedern der Pennsylvania-Guard aufgestockt. Tatsächlich haben wir ständig etwa siebzig Schützen in High Point vor Ort. Mehr als genug für eine schnelle Eingreiftruppe.«

»Das sind alles gute Nachrichten, Lee. Also haben Sie da unten alles im Griff? Was ist mit Major Scott?«

Lee zögerte einen Moment zu lange. »Sir?«

»Major Scott«, wiederholte Reynolds mit einem ungeduldigen Unterton in der Stimme. »Der ranghöchste Offizier des 3rd. Was haben Sie mit Scott gemacht? Wurde seine Bitte von Ihnen oder einem Ihrer Männer erfüllt?«

Lee wusste nicht, was er sagen sollte. Major Scott war der ranghöchste Offizier der 3rd Infantry Unit gewesen, die in High Point stationiert war, und er war während des ursprünglichen Ausbruchs infiziert worden. Der einzige Grund, der den Offizier davon abgehalten hatte, vollkommen den Verstand zu verlieren, waren die Rasierklingen, die man in den Stuhl eingebettet hatte, an den er gefesselt gewesen war. Dadurch rückte der Schmerz für den Mann so sehr in den Mittelpunkt, dass er konzentriert und zielorientiert bleiben konnte, aber auch die Rasierklingen waren immer weniger verlässlich geworden. In den wenigen Tagen, seit das 55ste High Point zurückerobert und mit der Herstellung von stabilen Verhältnissen begonnen hatte, hatte sich Scotts Fähigkeit, den Auswirkungen des Wahnsinnsvirus zu widerstehen, Stück für Stück verringert.

Und Scott wusste das. Der Wirkung des Virus zu widerstehen, hatte einen enormen Tribut gefordert, aber er war trotzdem so lange einsatzbereit geblieben, wie er konnte. Er hatte tagelang nach seiner endgültigen Erlösung gefragt und schließlich sogar darum gebettelt. Lee wollte damit nichts zu tun haben, aber die Wahrheit war, dass der Offizier ein Klown war. Es würde niemals wieder besser werden, es gab keinen Weg zur Genesung, kein Zwölf-Schritte-Programm.

»Ich habe mich selbst um ihn gekümmert, Sir«, antwortete Lee schließlich. »Es gab keinen anderen Ausweg für ihn. Er litt.«

Reynolds ließ das einen Moment sacken und nickte dann. »Ich kannte ihn nicht persönlich, aber es scheint mir, dass er sich in einem endlosen Kreislauf der Qual befand. Scott war trotz seines Zustandes ein Frontkämpfer, und er hätte von einem Mitglied seiner eigenen Truppe getötet werden sollen. Ich bin froh, dass Sie Ihren Mann gestanden und sich darum gekümmert haben, Lee. Es musste getan werden, nicht wegen einer unmittelbaren Gefahr, sondern weil es das einzig Humane war, was getan werden konnte.«

»Es war nicht ganz so einfach, Sir. Auch, wenn er ein Klown war.«

»Der einzig leichte Tag war der gestrige, Harry. Aber es ist erledigt, und ich danke Ihnen dafür. Nun. Ich muss Ihre Einheit mit einer Mission betrauen.«

Lee bewegte sich unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Verstehe, Sir. Fahren Sie fort.«

»Ich brauche die 55ste in Fort Stewart, und zwar so schnell, wie Sie die Einheit dort hinbringen können. Dringen Sie gewaltsam ein, lokalisieren Sie eine bestimmte Person und bringen Sie diese in Ihre Gewalt. Es wird blutig werden, Lightfighter. Ich weiß, das hatten Sie auch schon vorher, als Sie aus Boston ausgebrochen sind und oben in Drum. Das hier wird nicht anders werden, aber dort ist mehr Infanterie konzentriert.« Reynolds hielt für einen Moment inne. »Auf beiden Seiten.«

Nach außen hin versuchte Lee sich als ruhiger, cooler Militäroffizier zu präsentieren. Innerlich brachte ihn die plötzliche Aufgabe zum Kochen. Das First Bataillon war bereits zu Staub zermahlen worden. Der Auftrag, den Reynolds ihm erteilte, würde wahrscheinlich zu seinem endgültigen Untergang führen.

»Verstanden, Sir«, sagte er trotzdem. »Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun? Wer ist das Ziel?«

»Das Ziel ist eine der Personen, die das Virus erschaffen haben. Sie wurde vor fast sechs Wochen von Bundesbehörden in Georgia festgenommen. Sie sollte nur vorübergehend in Stewart festgehalten werden, aber dann überschlugen sich die Ereignisse. Um ehrlich zu sein, wurde sie bis vor kurzem fast vollständig vergessen, weshalb wir beide diese Unterhaltung führen«, antwortete Reynolds. »Hier fällt eine Menge durch das Raster, Lee. Wirklich eine Menge.«

»Daran zweifle ich nicht, Sir. Können Sie mir den Namen und den Standort der Person nennen?« Während er sprach, griff Lee in eine seiner Taschen und zog einen kleinen Notizblock heraus, an dem ein Stift befestigt war. Er öffnete den Block und begann zu schreiben.

»Courtney Moreau. Anscheinend das jüngste Mitglied des Teams, das den Virus erschaffen hat, aber nach allem, was ich gehört habe, so verrückt wie ein Hutmacher. Wir brauchen sie dort, wo wir auf sie zugreifen können, Lee. Und das ist im Moment in Stewart nicht der Fall, da dieser Standort kurz davor steht, überrannt zu werden. Haben Sie eine der Übertragungen gehört?«

»Übertragungen?«

»Die Präsidentin sendet über jede Radiostation, die noch in Betrieb ist. Sie fordert die Infizierten dazu auf, nach Stewart zu marschieren und Moreau zurückzubringen. Wie auch immer ihre Verfassung ist, Doktor Moreau ist jetzt von nationaler Wichtigkeit, und wir müssen als Erste zu ihr gelangen. Stewart liegt zwar näher an uns als an Ihnen dran, aber momentan können wir keine Einsatzkräfte entbehren. Meine gesamten Bodentruppen halten die Stellung gegen einen sehr entschlossenen Feind, und ich kann dort im Moment keine einzige Einheit herausziehen. Alle Spezialeinheiten befinden sich anderswo in Einsätzen, sodass es nicht infrage kommt, sie für eine Befreiungsaktion abzuziehen. Wir gehen davon aus, dass es das Bataillon in maximal zwölf Stunden nach Stewart schaffen kann. Sie müssen den Abzug planen und sich so schnell wie möglich auf den Weg machen.«

Lee fühlte einen scharfen Schmerz in seinem Bauch, sowohl angesichts der Tatsache, dass Präsidentin Marion Gray weiterhin versuchte, einen Pfahl durch das Herz des Bataillons zu treiben, als auch bei der unbewussten Ahnung, dass Reynolds ihr dabei behilflich sein könnte. »Ja, Sir.«

»Ich lasse die Einsatzbefehle an ein sicheres Fax bei Ihnen vor Ort senden, sodass Sie nichts aufschreiben müssen. Sparen Sie sich die Mühe. Ich schicke Ihnen auch noch die wichtigsten Informationen mit, die wir vom United States Special Operations Command erhalten haben, das von General Stanton geleitet wird. Unsere Luftaufklärung hat das Gebiet von Fort Stewart überflogen, und es ist dort im Moment nicht angenehm. Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, Junge, aber solange ihr Lightfighter dort nicht angekommen seid, wird es auch nicht wieder besser werden. Wir werden veranlassen, was wir können, aber momentan ist zeitweilige Luftunterstützung das Beste, was wir anbieten können.«

»Ich schätze, das würde ich begrüßen, Sir.«

Reynolds starrte Lee für einen Moment über die Videokonferenzausrüstung hinweg an. »Ich weiß, das ist eine Riesenscheiße und Ihr Bataillon ist ziemlich erschöpft, Lee. Aber Sie tragen immer noch eine Uniform und sind immer noch einsatzfähig. Also halten Sie sich an den Plan. Benehmen Sie sich wie ein Stabsoffizier und führen Sie Ihre Befehle aus.«

Lee fühlte, wie sein Gesicht vor Verlegenheit errötete. »Es tut mir leid, falls ich Sie verärgert haben sollte, Sir. Das First wird tun, was immer Sie vom First verlangen.«

»Die Einsatzbefehle werden gerade übertragen. Schicken Sie Ihre Einkaufsliste an die Absenderadresse. Es gibt in High Point SATCOM-Ausrüstungen – nehmen Sie einige davon mit, damit wir während Ihres Vormarsches in Kontakt bleiben können. Das Rufzeichen hier in der Operationszentrale ist Rock. Out.«

Damit wurde der Bildschirm so schwarz wie Lees Stimmung.

Kapitel 6

Sandra Rawlings sah dabei zu, wie Muldoon seine Lightfighter und die Soldaten, die sie unterstützten, zusammenstauchte. Drei Fünftonner standen am Rand einer kleinen Lichtung, ihre leeren Ladeflächen waren mit heruntergelassenen Ladeklappen zum gerodeten Waldboden hin ausgerichtet. Der kleine Fuhrpark wurde von einem der verbliebenen Stryker Kampffahrzeuge bewacht, das ungefähr fünfzig Meter entfernt stand, während sein Dieselmotor im Leerlauf tuckerte. Der vierachsige Radschützenpanzer war mit einem GAU-19, .50-Kaliber-Maschinengewehr bestückt, das in einem fernlenkbaren Geschützturm montiert war. Es war eines der beiden Fahrzeuge dieses Typs, die das Bataillon noch in Betrieb hatte. Rawlings hielt grundsätzlich nicht viel vom Stryker – er war ein Miststück, wenn man daran arbeiten musste, und als ehemalige Schraubenschlüsselschwingerin hasste sie diesen Scheiß, der einem die Arbeit schwer machte – aber das GAU-19 war eine ganz andere Sache. Die Waffe war eine Wunderleistung der Ingenieure, und die Menge an Blei, die das Teil verschießen konnte, war wirklich beeindruckend.

Außer für die Klowns, rief sie sich in Erinnerung.

Sie brachte ihr M4 in Anschlag und beobachtete Muldoon dabei, wie er zu Nutter hinüberging, der gerade geschäftig aus einem Glasbehälter Essen in seinen Mund löffelte. Das war ziemlich ungewöhnlich; Armeeproviant wurde, wenn überhaupt, nur selten in Glas verpackt, also vermutete sie, dass er ihn aus der Kantine in High Point organisiert hatte. Muldoon näherte sich von hinten, sodass Nutter ihn nicht kommen sah. Und obwohl das Gras auf der Wiese, auf der sie stand, hoch wuchs, hörte Rawlings kein Geräusch. Trotz seiner Größe bewegte sich der Mann mit der Geschmeidigkeit eines Ninjas.

»Colonel Nutter, Sir«, bellte Muldoon.

Beim Klang von Muldoons Stimme verschluckte sich Nutter etwas und wandte sich mit einem verblüfften Gesichtsausdruck um. Während Muldoon dem kleineren Mann gegenüber spöttisch salutierte – direkt aus seinem Lauf heraus – beeilte sich Nutter, schneller zu kauen und das herunterzuschlucken, was auch immer sich in seinem Mund befand.

»Oh, hey, Duke«, sagte er.

»Was isst du denn da, Slick? Büffeleier oder was?«

»Ähm, nein, keine Büffeleier, Duke.«

Muldoon blieb vor Nutter stehen und sah leicht grinsend auf ihn herab, seine Hände hatte er dabei in die Hüften gestemmt, obwohl sie eigentlich sein M4 halten sollten.

Rawlings wusste, dass Muldoon mit seiner entspannten Pose ein Statement machen wollte. Alles war in Ordnung. Die Augen des großen Unteroffiziers waren hinter seiner Sonnenbrille nicht zu erkennen.

»Okay, wenn das keine Büffeleier sind … was denn dann?«

»Ähm, eingelegte Pilze.« Nutter räusperte sich. »Willst du, äh, mal kosten?«

»Pilze?« Muldoon machte einen kleinen Schritt nach hinten und grinste. »Pilze? Hey Rawlings, hast du diesen Scheiß gehört, Ba…«

Im allerletzten Moment stoppte Muldoon sich selbst. Das Letzte, was Rawlings hören wollte, war, wie ein Kerl wie Muldoon sie Baby nannte.

»Ich kann von hier aus alles hervorragend verstehen«, antwortete Rawlings. »Auch während ich mein Schussfeld und alles andere bewache.«

Muldoon schnaubte und sah wieder auf Nutter hinunter. »Okay, Colonel. Wo hast du denn die eingelegten Pilze her? Sind das etwa spezielle Pilze? Gewürzt mit PCP oder etwas in der Richtung?«

»Nein, nein, einfach nur ein paar gute alte eingelegte Pilze, Duke.«

»Ich denke, eigentlich ist das hier doch eher eine Frage von Klasse, Nutter. Warum isst du überhaupt eingelegte Pilze? Ist dir der Rest des Salats, auf den sie eigentlich gehören, ausgegangen? Ich meine, echt, das musst du doch zugeben. Ein Soldat, der mitten in einem Kampfgebiet eingelegte Pilze isst, das ist doch ziemlich kranker Scheiß, oder?«

»Komm schon, Duke. Die schmecken großartig. Nicht so wie das Zeug, das wir mit den Feldrationen bekommen.« Nutter machte eine kurze Pause. »Okay, vielleicht mit Ausnahme des Jalapeno Käses, aber den will ja auch keiner mit mir tauschen. Das ist wie die Währung einer neuen Nation, verstehst du? Also muss ein Mann mit dem zurechtkommen, was er hat. Hab ich recht?«

»Ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, jemals eingelegte Pilze gegessen zu haben«, antwortete Muldoon. »Verpasse ich da gerade eine große Delikatesse, Colonel? Wirst du das etwa alles deinen kleinen Gibbonhals heruntergleiten lassen, ohne dem Rest von uns etwas davon anzubieten?«