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Farbenprächtig, bildgewaltig, romantisch – dieser historische Roman von Petra Schier entführt seine Leser in das Rheinland des 17. Jahrhunderts. Er erzählt eine dramatische Liebesgeschichte vor der Kulisse eines verheerenden Krieges, ausgelöst durch die Expansionspolitik des Sonnenkönigs Ludwig des XIV. Zeiten der Gefahr Rheinbach, 1673. Madlen Thynen weiß, dass Krieg herrscht. Als Tochter eines Tuchhändlers ist es unmöglich, die ausbleibenden Lieferungen zu ignorieren. Doch sie weiß nicht, was Krieg bedeutet. Bis er ihre Heimat erreicht … Zeiten des Schicksals Noch bevor die ersten feindlichen Truppen nahen, ist die Stadt Schauplatz des Konflikts zwischen Franzosen und Holländern: Ein Verräter hat sich hier eingenistet. Auf der Suche nach ihm kommt Madlens Jugendliebe zurück nach Rheinbach. Und bittet ausgerechnet ihren Verlobten um Hilfe. Zeiten der Entscheidung Madlen sollte sich nicht zerrissen fühlen zwischen diesen beiden Männern. Und doch tut sie es. Wird sie nun selbst zur Verräterin? Und wenn ja, wen verrät sie: ihre Pflicht oder ihr Herz?
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Seitenzahl: 596
Petra Schier
Historischer Roman
Farbenprächtig, bildgewaltig, romantisch – dieser historische Roman von Petra Schier entführt seine Leser in das Rheinland des 17. Jahrhunderts. Er erzählt eine dramatische Liebesgeschichte vor der Kulisse eines verheerenden Krieges, ausgelöst durch die Expansionspolitik des Sonnenkönigs Ludwig des XIV.
Zeiten der Gefahr
Rheinbach, 1673. Madlen Thynen weiß, dass Krieg herrscht. Als Tochter eines Tuchhändlers ist es unmöglich, die ausbleibenden Lieferungen zu ignorieren. Doch sie weiß nicht, was Krieg bedeutet. Bis er ihre Heimat erreicht …
Zeiten des Schicksals
Noch bevor die ersten feindlichen Truppen nahen, ist die Stadt Schauplatz des Konflikts zwischen Franzosen und Holländern: Ein Verräter hat sich hier eingenistet. Auf der Suche nach ihm kommt Madlens Jugendliebe zurück nach Rheinbach. Und bittet ausgerechnet ihren Verlobten um Hilfe.
Zeiten der Entscheidung
Madlen sollte sich nicht zerrissen fühlen zwischen diesen beiden Männern. Und doch tut sie es. Wird sie nun selbst zur Verräterin? Und wenn ja, wen verrät sie: ihre Pflicht oder ihr Herz?
Lucas Cuchenheim Sohn des verstorbenen Rheinbacher Lederwarenhändlers Johann Cuchenheim, Hauptmann über ein Regiment des Fürstbischofs Bernhard von Galen
Hedwig Cuchenheim Lucas’ Mutter
Madlen Thynen Tochter des Rheinbacher Tuchhändlers Gerlach Thynen
Anne-Maria Thynen Madlens Mutter
Gerlach Thynen Madlens Vater, Tuchhändler, Ratsherr
Marie Thynen Madlens jüngere Schwester
Marianne / Janni Thynen Madlens jüngste Schwester
Mattis Thynen Madlens jüngerer Bruder
Peter von Werdt Obrist in einem Regiment der kurkölnischen Armee, Sohn des Kaufmanns Erasmus von Werdt
Erasmus von Werdt Peters Vater, Kaufmann, Ratsherr
Gislinde von Werdt Peters Mutter
Ludwig von Werdt Peters jüngerer Bruder
Alma Magd bei der Familie von Werdt
Pascal d’Armond Leutnant unter König Ludwig XIV.
Hermann Becker Ratsherr, Notar und Gerichtsschreiber
Bridlin Magd bei der Familie Thynen
Carel Hausdiener bei der Familie von Werdt
Friedrich Eick Wachtmeister und Torwart am Voigtstor
Else Magd bei der Familie Velde
Barbara Falckenbach Tochter von Margarete und Christoph Leinen, verheiratet mit Werner Falckenbach
Werner Falckenbach Bauer, Torwächter, alter Freund von Lucas
Gerinc ehem. Armeeknecht, jetzt bei Lucas angestellt
Gregor Haffemeister Waidkrämer
Gertrud Halfmann Gattin eines Holzhändlers
Jonata Köchin der Familie Thynen
Karl Büttel
Henns Klötzgen Schustermeister
Veronica Klötzgen Henns’ Tochter
Christoph Leinen Großbauer
Emilia Leinen Tochter von Margarete und Christoph
Georg Leinen Sohn von Margarete und Christoph
Margarete Leinen Gattin von Christoph Leinen
Lotti Magd bei der Familie Cuchenheim
Rudolf Offermann Schöffe
Hermann Overkamp Schöffenmeiser
Pitter Knecht bei der Familie Haffemeister
Lutter Reitz Büttel
Thönnes Schubknecht Tuchhändler
Toni Handelsgehilfe und Hausknecht bei der Familie Cuchenheim
Paul Wicke fahrender Krämer
Wilhelmi Handelsgehilfe der Familie Thynen
Christoph Bernhard von Galen Fürstbischof von Münster
Freiherr Wilhelm Jakob
Schall von Bell Amtmann zu Flerzheim
(Heinrich) Averdunk Bürgermeister der Stadt Rheinbach (Vorname nicht historisch belegt)
Heinrich Diefenthal Schöffe (belegt 1686)
Edmund Fröhlich Schöffe (belegt 1689)
George de Hertoghe, Herr von Valkenburg Leutnant-Kolonel der Infanterie unter Wilhelm III. von Oranien
Herbert Horst Schöffe (belegt 1686)
Constantijn Huygens Sekretär Wilhelms III. von Oranien
Johann Matthias Reimbach Vogt
Antonius Hepp Ratsherr
Wilhelm III. Prinz von Oranien, Statthalter von Holland und Zeeland
Ludwig XIV. König von Frankreich
Rheinbach, 18. April 1668
«Hör auf damit! Nicht!» Madlen wich kichernd zurück, als Lucas an einer ihrer langen hellbraunen Locken zupfte. «Lass mich durch, ich muss die Kräuter ins Haus bringen. Mutter und Jonata brauchen sie in der Küche.»
Da Lucas strategisch günstig in dem von noch kahlen Rosen überwucherten Torbogen stand, der den Garten der Thynens von Haus und Hof trennte, blieb er einfach, wo er war, um das hübsche Mädchen noch ein bisschen weiter zu necken. «Hast du gerade gesagt, dass ich aufhören oder dass ich nicht aufhören soll?» Er grinste breit und zupfte erneut an der Strähne. Er mochte Madlens glänzende weiche Locken, besonders wenn sie vom Frühlingswind leicht zerzaust waren, so wie jetzt. Sie hatte sie nicht hochgesteckt, wie es sich eigentlich gehörte.
Das angenehm kribbelnde Gefühl, das sich bei Madlens Anblick stets in Lucas’ Magengrube ausbreitete, versuchte er jedoch zu ignorieren. Er war immerhin ein Mann von vierundzwanzig und sie ein junges, unerfahrenes Ding, gerade mal sechzehn Jahre alt. Ganz und gar nicht die Art Frau, die ihn normalerweise reizte. Zumal er sie praktisch schon seit ihrer Geburt kannte. Trotzdem konnte er sich nicht zurückhalten, das schüchterne Mädchen noch ein wenig weiter zu reizen. Er liebte es, wenn sie ihre Zurückhaltung vergaß. «Ich könnte schwören, dass du da gerade etwas von ‹nicht aufhören› gesagt hast.»
«Hab ich überhaupt nicht. Ich hab gesagt, du sollst aufhören.» Madlen wich erneut zurück, als er einen Schritt auf sie zu machte und tat, als wolle er mit beiden Händen nach ihren Haaren greifen. «Nicht!»
«Siehst du, da ist es wieder, das Wörtchen ‹nicht›.» Triumphierend grinste er sie an. «Also tue ich bloß, was du von mir verlangst.» Obgleich er wusste, dass es sich nicht gehörte, nahm er ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Die Geste bewirkte, dass sich ihre Augen weiteten und sich das kribbelnde Gefühl in seinem Magen bedrohlich verstärkte. Deshalb besann er sich und zwickte sie rasch mit der anderen Hand in die Seite.
«He!» Mit einem Quietschen wich Madlen ihm aus und ließ dabei das Körbchen mit den Wildkräutern fallen. «Was machst du denn da?» Rasch bückte sie sich und sammelte die kleinen Blätter und Stiele wieder ein. «Mutter wird mich schelten, wenn ich die Kräuter auf dem Weg ins Haus zertrete. Es sind sowieso nur so wenige und noch ganz winzig, weil sich der Winter so hartnäckig gehalten hat.» Ihre Wangen hatten sich gerötet, was ihr ganz bezaubernd zu Gesicht stand.
«Bitte entschuldige.» Entschlossen, es nicht weiterzutreiben, behielt Lucas seine Hände nun bei sich. «Ich wollte dir nur guten Tag sagen und ein bisschen mit dir klaafen. Hast du schon das Neueste gehört?»
Madlen entspannte sich sichtlich und lächelte, sodass die kleinen Grübchen neben ihren Mundwinkeln zutage traten. «Nein, aber du wirst es mir ganz bestimmt erzählen. Was hast du nun wieder angestellt?»
«Ich?» Er tat vollkommen unschuldig. «Wie kommst du darauf, dass ich etwas angestellt haben könnte?»
«Weil du du bist und weil du gerne mit deinen Missetaten angibst.»
Mit dieser Einschätzung traf sie zugegebenermaßen genau ins Schwarze. Mit einem erneuten Grinsen hob er die Schultern. «Schuldig in allen Anklagepunkten. Hast du heute schon mal Offermanns Remise angeschaut?»
«Nein.» Sie zog die Augenbrauen verwundert hoch. «Warum sollte ich?»
«Weil der Anblick eines Pflugs auf einem Dach nicht zu verachten ist. Vor allem, wenn der Pflug noch mit einem Berg Schweinemist garniert ist.»
«Ach du Schreck!» Madlen riss die Augen auf. «Warum hast du das getan?»
«Woher willst du wissen, dass ich das war?»
Sie bedachte ihn nur mit einem beredten Blick, woraufhin er lachte. «Er hat dafür gesorgt, dass sein Sohn Hans zum Flurschütz des Reihs[*] ernannt wurde und nicht ich. Mir wollen sie jetzt das Amt des Knuwelshalfen andrehen.»
«Du wolltest Flurschütz werden?» Verblüfft starrte Madlen ihn an, dann lachte sie laut auf. «Du liebe Zeit, was für ein Witz. Da würden sie ja den Bock zum Gärtner machen. Ausgerechnet der Junggeselle mit dem schlimmsten Ruf in ganz Rheinbach …»
«Na, na, ganz so arg ist es nun auch wieder nicht.»
Sie ließ sich von seinem Einwand nicht beirren. «Und ob. Ausgerechnet du sollst auf die Einhaltung der Reihgesetze, auf Zucht und Ordnung achten? Da lachen ja unsere Hühner.»
«Eigentlich wollte ich das Amt gar nicht», gab er zu. «Mein Onkel Averdunk hat mich dafür vorgeschlagen. Wahrscheinlich hoffte er, das würde vorteilhaft auf meinen Charakter abfärben. Was mir nur stinkt, ist, dass Offermann sich eingemischt hat. Ich bitte dich, Hans als Flurschütz? Das ist doch wohl noch mehr ein Witz, als wenn ich den Posten übernähme. Er wird nicht mal genug respektiert, dass die Leute den Hut zum Gruß vor ihm ziehen. Wie soll er denn dann durchsetzen, dass alle Welt die Gesetze des Reihs einhält und sich züchtig und ordentlich benimmt? Anscheinend hat Offermann dem Reih eine große Spende fürs Maifest getätigt. Du kannst dir wohl vorstellen, wie gut das bei der Vereinigung von Junggesellen ankommt. Dementsprechend ist dann natürlich auch die Wahl des Flurschützen verlaufen.»
«Also hast du dem alten Offermann seinen Pflug aufs Dach gestellt und einen Kübel Mist drüber ausgeschüttet», folgerte Madlen. «Glaubst du nicht, dass sie dich dafür bestrafen werden?»
«Erst mal müssen sie beweisen, dass ich das war.»
Madlen legte den Kopf leicht schräg. «Du hast es mir gegenüber doch gerade zugegeben. Wenn sie mich fragen würden …»
«Dann würdest du mich nicht verraten.» Er zwinkerte ihr zu.
«Ach nein? Und warum nicht?»
«Weil …», er trat wieder etwas näher an sie heran, «wir gute Freunde sind.»
Sie errötete erneut. «Sind wir das?»
«Etwa nicht?»
«Doch, ja, natürlich.» Sie blickte sich vorsichtig um, doch im Haus war alles still. «Ich muss jetzt wirklich rein, sonst kommt Mutter mich holen.»
«Guckst du dir Offermanns Remise noch an?»
Sie zögerte. «Vermutlich hat er den Pflug längst heruntergeholt.»
«Ich hab ihn an den Dachbalken zwischen den Sparren festgebunden. Damit ist er eine Weile beschäftigt.»
Lachend schüttelte sie den Kopf. «Wann wirst du endlich erwachsen? Kein Wunder, dass dein Onkel versucht, dir ein verantwortungsvolles Amt zuzuschustern. Andere in deinem Alter sind schon Herr ihres eigenen Hausstandes, und du …»
«Ich drücke mich erfolgreich um diese grauenhafte Aussicht herum. Wer würde mich schon ertragen?»
«Jetzt tu doch nicht so. Es gibt in Rheinbach und den Dörfern ringsum genügend nette Mädchen. Du bräuchtest dir bloß eine auszusuchen.» Sie knabberte verlegen an ihrer Unterlippe. «Oder ersteigere ein Mailehen. Kommende Woche Samstag ist doch die Versteigerung.»
Lucas grinste wieder. «Vielleicht sollte ich dich als Mailehen ersteigern.»
«Mich?» Mit einem Ruck hob Madlen den Kopf.
«Sicher. Du bist jetzt sechzehn und nimmst zum ersten Mal an der Versteigerung teil, nicht wahr?»
«Ja, schon …» Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. «Aber warum willst du mich ersteigern?»
«Warum nicht? Wir haben doch gerade festgestellt, dass wir gute Freunde sind. Außerdem bist du klug und nicht so leichtgläubig wie manche anderen Mädchen. Bei dir muss ich mir nicht ständig Gedanken machen, dass du etwas, das ich sage, falsch verstehst. Du kennst mich.» Er zupfte erneut an einer ihrer Locken. «Und du bist hübsch, also werden wir ein sehr ansprechendes Maipaar abgeben.»
«Das ist doch Unsinn, Lucas.» Sichtlich verlegen nestelte Madlen am Griff des Körbchens herum. «Man ersteigert doch kein Mailehen, bloß weil man nett zusammen aussieht.»
«Das habe ich ja auch nicht gesagt, Madlen.»
«Oder weil man befreundet ist. Die Leute werden denken …»
«Was?» Forschend sah er Madlen ins Gesicht, bis sie ihren Blick zu seinem hob. Das kribbelnde Gefühl verstärkte sich abermals.
«Außerdem bin ich schon jemandes Mailehen.» Sie schluckte hörbar. «Also natürlich jetzt noch nicht, aber Peter hat gesagt, dass er mich beim Schultheißen des Reihs schon vorab freikaufen will, damit niemand auf mich bieten kann.»
«Peter von Werdt, natürlich.» Lucas behielt sein heiteres Lächeln bei, obgleich ihn das Gefühl der Enttäuschung härter traf, als er erwartet hätte. Natürlich war ihm klar gewesen, dass Madlen Thynen nicht sein Mailehen sein wollen würde. Nicht wegen des Altersunterschieds, denn von Werdt war noch einmal zwei Jahre älter als er, sondern wegen seines fragwürdigen Rufs. Er hatte noch nie viel darum gegeben, was die Rheinbacher von ihm dachten, und er scheute sich auch nicht, sich mit den falschen Leuten anzulegen. Nach dem Tod seines Vaters hatte er zudem angefangen, einigen halbseidenen Geschäften nachzugehen. Sein Vater war, ähnlich wie der von Madlen, Kaufmann gewesen. Allerdings war die Konkurrenz im Lederwarenhandel groß, und das Geschäft, das Lucas mit zwanzig Jahren geerbt hatte, war kaum der Rede wert gewesen. Das Einkommen hätte niemals ausgereicht, um Lucas und seine Mutter am Leben zu erhalten. Also hatte er sich nach anderen Einkommensquellen umgesehen, und wenn er dafür seine Kundschaft übers Ohr hauen musste, dann war das eben so. Stolz war er nicht darauf, doch wenigstens hatte er nie etwas wirklich Ungesetzliches getan – oder war zumindest nicht erwischt worden. Inzwischen hatte er sich wieder überwiegend dem Lederwarenhandel verschrieben, doch so wirklich war es nicht das Richtige für ihn. In letzter Zeit dachte er immer häufiger daran, fortzugehen, sich der Armee anzuschließen. Vielleicht den Kurkölner Regimentern. Dort war es in diesen schwierigen Zeiten sicher leicht, zu Ruhm und Ehre zu gelangen … und zu einem annehmbaren Einkommen, das ihn nicht zwang, jeden Kreuzer dreimal umzudrehen.
Deshalb war es sicher besser, dass Madlen kein Interesse an ihm hatte. Er lächelte ihr schief zu. «Ich hatte mir schon gedacht, dass von Werdt dich allen anderen Junggesellen vorenthält. Immerhin seid ihr so gut wie verlobt.» Auch wenn dieser Gedanke ihm mehr widerstrebte, als er vor sich selbst zugeben wollte.
«Sind wir nicht!» Erschrocken schüttelte Madlen den Kopf. «Er ist einfach nur ein guter Freund der Familie und …» Sie geriet ins Stocken, denn offenbar wurde ihr klar, wie unsinnig dieses Argument war. Sie hatte schließlich abgelehnt, sein Mailehen zu werden, weil niemand sie nur für Freunde halten würde. «Na ja, vielleicht … Glaubst du wirklich, er hat so ernsthafte Absichten?»
Lucas zuckte mit den Achseln. «Es würde mich nicht wundern. Ihr zwei gebt das perfekte Paar ab – und er ist eine gute Partie.»
«Ich weiß.»
«Wer ist eine gute Partie?»
Peter von Werdt war hinter Lucas aufgetaucht, so als hätte er gewittert, dass von ihm die Rede war. Dieses leidige Talent hatte er schon immer besessen. Lucas drehte sich langsam zu ihm um und musterte ihn mit neutraler Miene – so hoffte er wenigstens. «Du, wer sonst? Oder soll ich Madlen jemand anderen anempfehlen?»
Peter von Werdt, groß, schwarzhaarig und vom Herrgott mit geradezu anstößig ebenmäßigen Gesichtszügen versehen, lächelte mit einer Spur Ingrimm in den Augen. «Untersteh dich, Cuchenheim. Nicht, dass ich Angst vor Konkurrenz hätte, aber es lebt sich so viel leichter ohne, nicht wahr?» Er wandte sich dem Mädchen zu. «Guten Tag, Madlen. Wie geht es dir? Du bist wie immer eine Augenweide. Dieses Kleid steht dir ausnehmend gut.»
«Danke sehr.» Madlen senkte geschmeichelt den Kopf. «Mir geht es ausgezeichnet.» Ihr Blick fiel auf die Ledermappe, die von Werdt bei sich trug. «Bist du auf dem Weg zu meinem Vater? Er ist drinnen in seinem Kontor.»
«Gut, ich will ihm die Abschriften der letzten beiden Ratssitzungen bringen. Geht es ihm nach dieser scheußlichen Erkältung wieder besser?»
«Ja, glücklicherweise hat er sie endlich überstanden.»
«Sehr schön.» Mit einem fragenden Blick wandte von Werdt sich an Lucas. «Entschuldige, wolltest du auch zu Thynen? Ich will mich nicht vordrängen.»
Fast hätte Lucas mit den Zähnen geknirscht. Als ob er einen Grund gehabt hätte, den reichen Tuchhändler und Ratsherrn Gerlach Thynen aufzusuchen. «Nein, von Werdt, geh nur. Ich bin rein zufällig hier vorbeigekommen und habe Madlen mit einem Schwatz von ihren Pflichten abgehalten.»
«Soso.» Von Werdt wandte sich mit einem Stirnrunzeln ab. «Nun gut, dann will ich mal reingehen.» Er hielt inne und lächelte Madlen traulich zu. «Ich hoffe, du hast für die Mailehenversteigerung dein schönstes Kleid herausgelegt. Ich möchte, dass du an dem Abend besonders hübsch aussiehst, damit ich mit dir angeben kann.»
«Oh, ja, natürlich.» Madlen nickte verlegen. «Ich freue mich schon. Das wird bestimmt sehr nett.»
«Und feuchtfröhlich», fügte Lucas trocken hinzu. «Bring sie bloß vor Mitternacht nach Hause und halte sie vom Bierbrunnen fern.»
«Ich trinke doch gar kein Bier!»
Madlens empörte Miene reizte Lucas zum Lachen. «Noch nicht. Aber wer weiß, was passiert, wenn dich mal der Übermut reitet.»
«Ich werde nie übermütig», widersprach das Mädchen erneut.
Lucas blinzelte schelmisch. «Pass auf, was du sagst, sonst versteht jemand diese Aussage noch als Herausforderung.»
«Hör auf mit dem Blödsinn!» Madlen schlug nach seiner Hand, als er versuchte, noch einmal eine ihrer Locken zu erhaschen.
«Wie du wünschst.» Betont fröhlich trat Lucas den Rückzug an, denn von Werdts Miene hatte sich zusehends verfinstert. «Ich muss weiter.»
Von Werdt nickte. «Du hast sicher noch irgendwo Unruhe zu stiften.»
«Allerdings. Also auf bald, Madlen, und viel Spaß bei der Versteigerung.» Er zwinkerte ihr zu. «Auch wenn du die typische Aufregung ja gar nicht ausstehen musst, weil dein von Werdt dich schon freigekauft hat. Das hast du doch, nicht wahr?»
«Natürlich. Ich komme gerade von dort.»
Lucas grinste von Werdt zu. «Hoffentlich hast du ordentlich was springen lassen.»
Von Werdt straffte die Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, womit er durchaus respekteinflößend wirkte. «Ich habe einen angemessenen Preis bezahlt.»
«Der Reih wird es dir danken.»
«Bist du nicht zum Knuwelshalfen ernannt worden?» Von Werdt zog spöttisch eine Augenbraue hoch. «Dann darfst du dich dieses Jahr um die Sitzengebliebenen und die Mauerblümchen kümmern.»
«Ich habe dankend abgelehnt.» Lucas nickte Madlen noch einmal zu und wandte sich zum Gehen, blieb aber abrupt stehen, als er die beiden städtischen Büttel auf sich zukommen sah, gefolgt von seinem Onkel, dem Bürgermeister Heinrich Averdunk, und einigen neugierigen Nachbarn und Gaffern.
«Madlen? Madlen!» Anne-Maria Thynen, Madlens Mutter, war in der Haustür erschienen. «Wo bleibst du denn bloß so lange? Wir brauchen die Kräuter und …» Verblüfft stockte sie, als sie Lucas entdeckte. «Was treibst du denn hier?» Ohne auf seine Antwort zu warten, richtete sie ihren Blick als Nächstes auf von Werdt. «Und der liebe Peter ist auch hier! Na, das ist aber eine Überraschung. Guten Tag. Geht es dir gut? Na, bestimmt, denn du siehst so schneidig aus wie immer. Willst du zu meinem lieben Thynen? Er sitzt in seinem Kontor und brütet über seiner Korrespondenz. Dein Besuch wird ihn ganz bestimmt freuen.»
«Ich wollte in der Tat zu ihm, Frau Thynen. Und danke der Nachfrage, es geht mir ausgezeichnet. Wie sollte es das auch nicht in Gegenwart dieser zauberhaften jungen Dame und ihrer hübschen Mutter.»
Lucas verdrehte innerlich die Augen über so viel Schmeichelei, war aber abgelenkt, weil die Büttel immer näher kamen und sein Onkel heftig gestikulierend auf sie einredete.
«Ach, du bist ja so ein Charmeur!» Madlens Mutter lachte geschmeichelt und strich beiläufig über ihren gewölbten Leib. «Aber übertreib bitte nicht so. Ich bin dieser Tage alles andere als hübsch anzusehen. Das Kind trägt sich von Tag zu Tag schwerer. Mutter Amalie, die Hebamme, sagt, das sei ein gutes Zeichen dafür, dass es diesmal ein Sohn wird.»
«Ich bin vollkommen sicher, dass der Herrgott Euch einen Jungen schenken wird.» Peter von Werdt lächelte ihr herzlich zu, wurde dann aber ebenfalls auf die näher kommenden Männer aufmerksam.
«Da ist er!», schrie eine ältliche Frau, die den Bütteln folgte. «Da, bei Thynens im Hof!» Sie deutete mit dem ausgestreckten Finger auf Lucas. «Schnappt ihn euch, den Unhold, bevor er flieht!»
Lucas runzelte die Stirn. Was machten die Leute denn für ein Gewese wegen eines simplen Streichs? Mit einem unguten Gefühl trat er auf die Männer zu. «Stimmt etwas nicht, Onkel Averdunk? Gibt es ein Problem?»
«Ja, verdammt.» Heinrich Averdunk wischte sich mit dem Ärmel seines Ratsherrenmantels über die Stirn. In seinem Alter und mit seinem nicht unerheblichen Wanst war es ihm offensichtlich schwergefallen, mit den Bütteln mitzuhalten. «Was in drei Teufels Namen hast du diesmal wieder angestellt?»
Ehe Lucas antworten konnte, traten die beiden Büttel auf ihn zu und ergriffen ihn bei den Armen. «Lucas Cuchenheim, Ihr seid verhaftet.» Der eine Büttel, Lutter Reitz, schnallte schwere eiserne Handschellen von seinem Gürtel ab und versuchte, sie Lucas anzulegen. «Ihr werdet beschuldigt, Veronica, die Tochter des Schusters Henns Klötzgen, mit falschen Versprechungen zu einem heimlichen Stelldichein im Wald verführt und dann gegen ihren Willen entehrt zu haben.»
«Was?» Schockiert starrte Lucas den Mann an und vergaß darüber, sich gegen die Handschellen zur Wehr zu setzen.
«Verleumdung!», schimpfte sein Onkel indes und gestikulierte wieder wild. «Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen. Ich verlange …»
«Das Gesetz schreibt vor, dass wir Lucas Cuchenheim festsetzen, damit die Schöffen ihn verhören können», unterbrach Reitz ihn. «Er wird einen Prozess bekommen.»
«Lucas?» Madlen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Das Entsetzen war ihr deutlich anzusehen, und sie bemerkte nicht einmal, dass sie ihn in aller Öffentlichkeit beim Vornamen genannt hatte, obwohl sich das eigentlich nicht gehörte. Nicht einmal ihre Mutter sprach ihren Vater in der Öffentlichkeit vertraulich mit dem Vornamen an.
Lucas schüttelte ungläubig den Kopf, dann blickte er auf seine gefesselten Hände. «Das ist ein Irrtum. Ich habe mit Veronica Klötzgen nichts zu tun.»
«Das werden die Schöffen schon herausbekommen», beschied ihn der Büttel.
«Schmeißt ihn ins tiefste Gefängnisloch!», schrie jemand aus der Menschenmenge. Die Leute waren den Bütteln nicht in den Hof gefolgt, sondern drängten sich auf der Straße.
«Büßen soll er für seine Missetaten», kam es von einem anderen.
«Das Mädchen ist für alle Zeiten entehrt! Den Tod hat er dafür verdient, der Unhold. Hängt ihn auf!»
«Ruhe!» Reitz hatte eine laute, unangenehm krächzende Stimme, die ihre Wirkung nicht verfehlte. «Niemand wird aufgehängt, bevor ihm nicht der Prozess gemacht wurde.»
«Dann bringt ihn endlich vor Gericht!»
«Nun mal ganz ruhig.» Peter von Werdt trat auf den Büttel und den aufgeregten Bürgermeister zu. «Was genau ist denn geschehen?»
Reitz, der von Werdt und dessen Vater, einen angesehenen Ratsherrn und Freund des Vogtes, natürlich gut kannte, antwortete bereitwillig: «Der Vater von Veronica Klötzgen hat für sie Anklage erhoben, nachdem sie ihm von der Ungeheuerlichkeit erzählt hat. Es ist schon etwas her, denn sie hat sich aus verständlichen Gründen geschämt, jemandem davon zu erzählen. Nun aber ist sie, bestärkt durch den Zorn ihres Vaters, bereit, gegen Cuchenheim auszusagen.»
«Ich habe Veronica nicht angefasst.» Lucas bemühte sich um einen ruhigen Ton, obgleich ihn der Schreck über die Situation ebenso gepackt hatte wie der Zorn über diese infame Anschuldigung. «Das letzte Mal habe ich sie vor vielleicht zwei Wochen gesehen, und da habe ich sie allenfalls ein wenig geneckt.»
«Ihr gebt also zu, Euch mit ihr getroffen zu haben.» Der Büttel blickte ihn scharf an.
«Nicht in dem Sinne, wir Ihr es mir vorwerft, und ganz sicher habe ich sie nicht entehrt.»
«Sie schwört, dass Ihr es getan habt, noch dazu gegen ihren Willen. Es gibt Zeugen, deshalb werdet Ihr in den Baseller Turm gebracht und dort in einer Gefängniszelle verbleiben, bis Euch der Prozess gemacht wird.»
«Ja, sperrt ihn endlich ein, den Schweinepriester!»
«Büßen soll er!»
«Die Höchststrafe hat er verdient!»
Immer lauter wurden die Rufe und Schreie der aufgebrachten Menschen, sodass der Büttel sich erneut gezwungen sah, für Ruhe zu sorgen.
«Bestimmt handelt es sich um einen Irrtum.» Peter von Werdt blickte besorgt von Lucas zu der Menschenansammlung und dann zu Madlen, die ganz bleich geworden war. Er griff nach ihrem Ellenbogen. «Komm, Madlen, geh mit deiner Mutter ins Haus, das hier ist nichts für dich. Es wird sich sicher bald aufklären.»
«Nein, lass mich.» Unwirsch schüttelte Madlen seine Hand ab. «Das ist doch alles ein großer Irrtum, oder nicht?» Ihr Blick glitt hektisch zwischen den Bütteln, seinem Onkel und den Menschen auf der Straße hin und her. «Lucas würde niemals … Er ist ein Schelm, aber so etwas Schreckliches würde er doch nicht tun. Das würdest du doch nicht?» Beinahe flehentlich sah sie Lucas an.
«Nein, natürlich nicht.» Allmählich brach Lucas der Schweiß aus. Madlens ängstlicher Blick schnitt ihm mindestens ebenso schmerzhaft ins Herz wie sein eigenes Entsetzen. «Wie ich schon sagte, ich habe Veronica nicht angefasst. Niemals. Warum sie das behauptet, ist mir ein Rätsel.»
«Komm, Madlen, Peter hat recht, wir sollten ins Haus gehen.» Anne-Maria Thynen, ebenfalls blass vor Schreck, nahm die Hand ihrer Tochter und zog sie mit sich in Richtung Haustür.
«Was geht denn hier draußen vor?» Gerlach Thynen trat aus dem Haus, noch bevor die beiden Frauen den Eingang erreicht hatten. Der Blick des schlanken, fast hageren Mannes richtete sich in ungläubigem Erstaunen auf Lucas und die eisernen Handschellen. «Ist das ein verfrühter Maispaß?»
«Leider nicht.» Der Büttel wandte sich sichtlich ungern von den erregten Menschen auf der Straße ab, denn sobald er das tat, wurden erneut wütende Rufe laut. Sie drängten sich am Tor, und es sah so aus, als wollten sie im nächsten Moment in den Hof einfallen. «Verzeiht bitte die Störung, Herr Thynen. Wir tun bloß unsere Arbeit.» Er winkte dem zweiten Büttel zu. «Karl, geh vor und mach uns den Weg frei. Der Gefangene soll heil im Gefängnisturm ankommen.»
«Er soll überhaupt nicht in den Turm gebracht werden.» Wütend rang sein Onkel die Hände. «Diese Anklage ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten! Lucas mag ja nicht der bravste Kerl innerhalb unserer Stadtmauern sein, aber solch eine Anschuldigung ist nichts anderes als infame Verleumdung!»
«Wie gesagt, Herr Bürgermeister, es gibt Zeugen», erklärte Reitz geduldig. «Andernfalls hätte das Schöffengericht nicht seine Verhaftung veranlasst.»
«Wer sind denn diese Zeugen und was behaupten sie, gesehen zu haben?» Gerlach Thynen trat noch weiter auf den Hof. Seine Frau und seine Tochter blieben hinter ihm zurück.
«Das ist nichts, was wir auf offener Straße besprechen dürfen.»
«Verleumderisches Pack, allesamt!», brüllte Averdunk, dem offenbar allmählich die Nerven durchgingen.
«Beherrscht Euch.» Thynen maß ihn mit einem bezeichnenden Blick. «Es führt zu nichts, wenn Ihr Euch derart ereifert.» Eingehend und streng musterte er Lucas. «Du sagst, du hast dir nichts zuschulden kommen lassen?»
Lucas nickte. Ihm war inzwischen mehr als nur mulmig zumute. «Ja, Herr Thynen, das sage ich, und dabei bleibe ich.»
«Lügner! Lügner, vermaledeiter! Ich bringe dich eigenhändig um!» Ein gedrungener Mann mit Vollbart und schütterem schwarzem Haar drängte sich durch die Menge, stürmte durch das Tor und hätte sich auf Lucas gestürzt, wenn Karl ihn nicht zurückgehalten hätte. «Loslassen! Der Kerl hat meine Tochter entehrt. Ich drehe dir den Hals um, du Drecktier!»
«Haltet ein, Henns Klötzgen!» Reitz stieß den erregten Mann unsanft vor die Brust. «Ihr habt hier nichts zu suchen. Lasst uns unsere Arbeit tun.»
«Aber er hat meine Tochter vergewaltigt. Dafür soll er in der Hölle braten, und ich will ihn persönlich dorthin schicken!»
«Ich kann Euren Zorn verstehen, aber nicht Ihr bestimmt die Strafe für seine Missetat, sondern das Schöffengericht und der Vogt.»
«Komm endlich ins Haus, Madlen!» Lucas drehte den Kopf, als er die strenge Stimme von Anne-Maria Thynen vernahm. Madlen hörte jedoch nicht auf sie, sondern entzog sich ruckartig ihrem Griff und rannte an die Seite ihres Vaters. «Bitte, das ist doch alles nicht wahr. Vater, Ihr müsst etwas unternehmen. Lucas Cuchenheim würde doch niemals etwas so Schreckliches tun.»
«Ach nein?» Klötzgen warf ihr geradezu mörderische Blicke zu. «Hat er Euch vielleicht auch schon eingewickelt und um Eure Ehre gebracht, Mädchen? Wie könnt Ihr jemanden wie ihn verteidigen?»
Madlen wurde noch blasser und starrte den Mann fassungslos an. «Lucas ist …» Sie verstummte unsicher, fuhr dann aber fort: «Lucas ist mein Freund.» Ihre Stimme schwankte. «Ein guter Freund, schon solange ich denken kann. Ich glaube nicht, dass er zu so etwas in der Lage …»
«Ihr glaubt es nicht?», unterbrach Klötzgen sie mit überkippender Stimme. «Dann wartet, bis Ihr und alle Welt hört, was meine Tochter aussagt. Ich will, dass Cuchenheim büßt für das, was er ihr und unserer Familie angetan hat. Jawohl, büßen soll er, und wenn ich ihn eigenhändig am nächsten Baum aufknüpfen muss.»
«Madlen, geh mit deiner Mutter ins Haus.» Gerlach Thynen legte seiner Tochter eine Hand auf die Schulter.
«Aber Vater, jemand muss doch …»
«Ich werde die Büttel und den Bürgermeister begleiten.» Thynen nickte Averdunk zu. «Gemeinsam werden wir der Sache schon auf den Grund gehen.»
«Nun komm endlich.» Die Mutter war erneut neben Madlen getreten und zerrte sie diesmal energisch und äußerst unsanft mit sich ins Haus. «Das ist nichts für ein unbescholtenes Mädchen. Dein Vater wird sich schon kümmern.»
«Ich will aber nicht, dass Lucas ins Gefängnis gebracht wird», protestierte Madlen eigensinnig. «Er hat nichts getan, das weiß ich.»
«Schon gut, Madlen.» Nun mischte sich auch von Werdt ein, ging zu Madlen und lächelte ihr beruhigend zu. «Ich werde mit deinem Vater gehen. Wir sorgen schon dafür, dass alles aufgeklärt wird.»
Madlen zögerte, entspannte sich dann aber etwas. «Ganz sicher? Versprochen?»
Von Werdt nickte ihr zu. «Versprochen.»
Lucas atmete auf, als das Mädchen sich schließlich doch von ihrer Mutter ins Haus führen ließ. In der Haustür drehte sie sich noch einmal kurz um, und ihre Blicke trafen sich. Ein Stich durchfuhr ihn, überraschend heftig. Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum ihn Madlens ängstlicher und zugleich so ehrlich von seiner Unschuld überzeugter Blick derart berührte.
«Los jetzt, bewegt Euch.» Die beiden Büttel postierten sich vor und hinter ihm, und zwischen den Menschen tauchten plötzlich noch weitere Gerichtsknechte auf, die dafür sorgten, dass die Leute Abstand hielten. Harsch wurde Lucas vorangetrieben und hörte hinter sich seinen Onkel, Gerlach Thynen und Peter von Werdt leise und aufgeregt miteinander sprechen.
Alles kam ihm unwirklich und wie ein böser Traum vor, doch als sich nur wenig später die Tür der Gefängniszelle mit einem lauten Knall hinter ihm schloss und der Riegel mit einem metallischen Knirschen vorgeschoben wurde, war ihm klar, dass er aus diesem Albtraum wohl nicht so rasch erwachen würde.
Rheinbach, 15. Juli 1673
«Fühlt mal, Vater, diesmal hat Wilhelmi uns ausgezeichnete Qualität mitgebracht.» Mit einem Lächeln legte Madlen den kleinen, lindgrün eingefärbten Stoffballen auf dem großen Tisch im Kontor ab. «Diese Seide können wir für den Höchstpreis weiterverkaufen, zum Beispiel an die Familie Schall von Bell oder die Scheiffarts drüben in Morenhoven.»
«Hab ein gutes Geschäft gewittert und zugeschlagen», kam die brüchige Stimme des Handelsgehilfen Wilhelmi von der Tür her. Der kleine, gedrungene Mann trat ein und zog dabei die einfache braune Kappe ab, mit der er seinen allmählich kahl werdenden Kopf gegen die stechende Sommersonne geschützt hatte. «Mitte September soll noch eine weitere Schiffsladung über den Rhein kommen, von Basel herunter. Italienische Seide von erster Güte, und Anfang Oktober englische Wolle, die über Rotterdam auf dem Wasserweg nach Köln geliefert wird. Wir sollten zur Stelle sein, wenn das Schiff in Köln vor Anker geht. Hab uns schon vormerken lassen.»
«Ausgezeichnet.» Mit erfreuter Miene streichelte ihr Vater mit der linken, verkrüppelten Hand über die glatte Seide, während seine Rechte eine Schreibfeder hielt, mit der er sich Notizen in seinem Rechnungsbuch machte. Umständlich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und rückte die kleine Öllampe zurecht, die ihm bei der Arbeit Licht spendete.
«Was ist, Vater? Plagt Euch die Hüfte wieder?» Eilfertig trat Madlen an seine Seite und zupfte an dem Kissen herum, das ihr Vater sich in den Rücken geschoben hatte.
«Nein, schon gut. Pack nur den Seidenballen fort, damit er nicht noch schmutzig wird.»
«Natürlich, sofort, Vater.» Madlen wandte sich an den Gehilfen. «Wilhelmi, würdet Ihr bitte die Seide und alles, was noch vorne vor der Tür steht, hinüber ins Lager bringen? Und sagt Bridlin oder Jonata Bescheid, dass sie die Knechte holen sollen. Irgendwer muss ja die ganzen Sachen ordnen.»
«Bin ich vielleicht Euer Laufbursche?» Wilhemis dunkle kleine Äuglein musterten Madlen verdrießlich.
«Nein, aber der meines Vaters», erwiderte sie gelassen. «Ihr seht doch, dass er beschäftigt ist und Hilfe benötigt. Also tut, wofür ich Euch bezahle.»
«Ihr, Mädchen? Noch bezahlt Euer Vater mich.»
«Ja, aber ich händige Euch Euren Lohn aus, und wenn das so bleiben soll, bewegt Ihr jetzt Euren Hintern zur Tür hinaus und tut, worum ich Euch höflich gebeten habe.»
«Aufsässiges Weibervolk», brummelte Wilhemi verdrossen vor sich hin. «Kommt nix Gutes bei heraus, wenn die anfangen, Befehle zu geben, und meinen, die Hosen anzuhaben.»
«Nun tut schon, was meine Tochter sagt.» Ihr Vater seufzte abgrundtief. «Dass ihr euch aber auch andauernd in den Haaren liegen müsst.»
«Das ist nicht meine Schuld, Vater.»
«Doch, ist es», grollte Wilhelmi. «Und Eure auch, Herr Thynen, weil Ihr das Mädchen nicht nur gewähren lasst, sondern sie in ihrer Aufsässigkeit auch noch bestärkt.»
«Ich bin nicht aufsässig.» Ärgerlich verschränkte Madlen die Arme vor dem Körper.
«Madlen tut nur, was getan werden muss.» Ihr Vater rutschte erneut auf seinem Stuhl hin und her. «Wer sollte es auch sonst tun? Ich bin ein Krüppel und kann froh sein, dass wenigstens eine meiner Töchter einen hellen Kopf und mein Talent fürs Verkaufen geerbt hat. Meine Frau ist mit den anderen beiden Mädchen und dem kleinen Mattis mehr als beschäftigt und hat vom Geschäft keine Ahnung. Sagt mir, wer sonst als Madlen soll mich denn wohl allenthalben vertreten?»
Wilhelmi verschränkte nun ebenfalls mit beleidigter Miene die Arme vor der Brust. «Jedenfalls kein Frauenzimmer, das ist wider die Natur. Ich an Eurer Stelle hätt’ wenigstens die beiden ältesten Mädchen verheiratet. Dann wären jetzt zwei Schwiegersöhne da, die Euch zur Hand gehen könnten.»
Ein leiser Unmutslaut mischte sich mit tiefem Seufzen. «Marie ist noch viel zu jung und unbedarft zum Heiraten.»
Wilhelmi schnaubte. «Das Mädchen ist siebzehn, genau das richtige Alter, um verheiratet zu werden. Wenn Ihr noch länger wartet, wird sie am Ende noch genauso närrisch wie Madlen und bildet sich ein, die Männer herumkommandieren zu dürfen.»
«Überlasst das mir, Wilhelmi.» Ihr Vater winkte ungeduldig ab.
«Muss ich ja wohl. Aber gefallen tut es mir nicht, wie Ihr Euren Hausstand führt.» Mit einem finsteren Blick drehte Wilhelmi sich um und verließ das Kontor.
Madlen presste die Lippen zusammen. «Ich habe ihn doch nun wirklich nett und höflich gebeten.»
Ihr Vater lachte leise. «Nett und höflich, ja.»
«Etwa nicht?» Sie runzelte die Stirn.
«Der Ton macht die Musik, liebes Kind.»
«Soll ich vielleicht vor ihm niederknien und ihn anbetteln?» Sie hörte selbst, dass sich ein rebellischer Ton in ihre Stimme schlich.
«Nein. Nimm ihn einfach, wie er ist. Du wirst ihn nicht mehr ändern. Seiner Meinung nach gehört eine Frau nicht in ein Kontor, sondern hinter den Herd.»
«Oder ins Wochenbett.»
«Oder das, ja.» Ihr Vater ächzte leise, als er sich ein drittes Mal bemühte, eine bequemere Sitzposition zu finden. «Hilf mir bitte mal beim Aufstehen. Ich fürchte, mir schläft der Hintern ein, wenn ich mich nicht ein bisschen bewege.»
«Natürlich, Vater, hier, stützt Euch auf meinen Arm.» Rasch griff Madlen nach den Krücken ihres Vaters und half ihm, sich zu erheben. Seit ihm vor knapp vier Jahren bei einem schrecklichen Unfall mit einer Postkutsche der linke Fuß und die Hand zerquetscht worden waren, konnte er sich nur noch umständlich mit den Krückstöcken voranbewegen. Ein aus Bonn herbeigerufener Chirurg hatte ihm damals das Bein knapp unterhalb des Knies abgenommen und die Hand geschient, so gut es ging. Dennoch waren drei der fünf Finger schief zusammengewachsen und steif geblieben.
Inzwischen ging es ihm sogar wieder recht gut. In den ersten beiden Jahren nach dem Unfall war er so schwach gewesen, dass Madlen die Arbeit im Kontor fast ganz alleine ausgeführt hatte, nur unterstützt von Wilhelmi und einigen zuverlässigen Freunden wie den von Werdts, die ebenfalls schon seit Generationen Handel trieben, aber auch als Bankiers auftraten und an andere Händler Sicherheiten verkauften. Sie hatte schnell lernen müssen, um zu gewährleisten, dass der Tuchhandel ihres Vaters das blieb, was er stets gewesen war: erfolgreich und angesehen.
«Möchtet Ihr ein paar Schritte nach draußen gehen?», schlug sie vor. «Allmählich müsste die ärgste Hitze nachgelassen haben.»
«Ja, ich glaube, das ist eine gute Idee. Gib mir die Krücken.»
«Soll ich Euch begleiten?»
«Nur bis vor die Tür.»
«Wie Ihr wollt, Vater.» Mit einer Mischung aus Erleichterung, weil ihr Vater endlich wieder in der Lage war, sich einigermaßen fortzubewegen, und Besorgnis, weil er häufiger als früher in sich gekehrt und grüblerischer Stimmung war, blickte sie ihm von der Haustür aus nach, wie er langsam, aber zielstrebig mit seinen Krücken vorwärtshumpelte. Bei den Nachbarn blieb er kurz stehen und grüßte die dortige Hausherrin, Grete Hamacher, mit freundlichen Worten.
Als Madlen sich sicher war, dass ihr Vater ohne weitere Hilfe zurechtkommen würde, kehrte sie ins Kontor zurück und setzte sich an den Tisch, um die Eintragungen ins Rechnungsbuch fertigzustellen. Danach nahm sie sich den Stapel Geschäftskorrespondenz vor, der bereits von ihrem Vater fein säuberlich nach Dringlichkeit sortiert worden war. Sie vertiefte sich so sehr in die Lektüre und die Antworten, die sie verfasste, dass sie nur am Rande wahrnahm, wie ihre Mutter sowie ihre jüngeren Schwestern Marie und Marianne, die von allen nur Janni gerufen wurde, vom Einkaufen nach Hause kamen. Auch den erst sechsjährigen Mattis hörte sie krakeelen und lachen. Offenbar hatte er auf dem Markt von irgendwem ein neues Spielzeug geschenkt bekommen, das er nun unbedingt der Köchin Jonata und der Magd Bridlin vorführen wollte.
Diese Geräusche ignorierte sie ebenso wie das Geraschel der Röcke, als ihre beiden Schwestern an der geöffneten Tür des Kontors vorbeirannten, um ihre Beute, wie sie es gerne nannten, hinauf in ihre Schlafkammer zu bringen. Vermutlich handelte es sich um Spangen und Kämme, von denen weder die siebzehnjährige Marie noch die zwölfjährige Janni jemals genug bekommen konnten.
Madlen strich sich eine Locke nachlässig hinters Ohr, während sie mit halb zusammengekniffenen Augen über einer besonders kniffligen Formulierung brütete. Geschäftsbriefe zu schreiben, war eine Kunst, die sie mit viel Mühe erlernt hatte. Nicht die Buchstaben an sich waren ein Problem für sie, sondern die manchmal komplizierten und hintersinnigen Phrasen und Redewendungen, die von einigen Geschäftspartnern ihres Vaters benutzt wurden wie Waffen in einem Krieg. Freilich fand dieser Krieg nur auf Papier statt, aber wenn es um Verhandlungen, Angebote und Preise für die besten Tuche ging, musste ein Kaufmann nicht weniger gewitzt und strategisch agieren als ein Feldmarschall in der Schlacht.
Als es nach einer Weile wieder ruhig im Haus wurde, nahm Madlen auch das nur am Rande wahr. Es ging auf den Abend zu, und vermutlich halfen ihre Schwestern Jonata in der Küche, während die Mutter sich mit Mattis zu einer Lektion in Lesen oder Rechnen zurückgezogen hatte. Zwar gab es in Rheinbach eine Volksschule, doch Mattis würde erst im Herbst dorthin gehen, und ihr Vater hatte sich dafür ausgesprochen, dem Jungen erste wichtige Grundkenntnisse bereits vorher beizubringen. So hatte er es auch bei seinen drei Töchtern gehalten, von denen inzwischen nur noch Marianne die Schulbank drückte, und das auch nur noch für knapp zwei Jahre.
Eine umfassende Bildung war natürlich nicht zu erwarten, obgleich sich die beiden Schullehrer redliche Mühe gaben, das bisschen Wissen über die Welt, das sie besaßen, in die Köpfe ihrer Schüler zu hämmern. Angenehm war dies nicht immer, denn einer der beiden Lehrer, der alte Theodor Korres, war der Ansicht, dass ein Kind nur mit Hilfe der Rute vernünftig lernen konnte. Madlen erinnerte sich nur zu gut an das gemeine kleine Stöckchen, mit dem sie, wie alle ihre Klassenkameraden, regelmäßig Bekanntschaft gemacht hatte, ob nun aus gutem Grund oder nicht.
Madlens Vater war deutlich gebildeter als der Durchschnitt der Rheinbacher Bürger, weil sein Vater ihn einst auf ein Kölner Gymnasium geschickt hatte. Danach war Gerlach Thynen jahrelang durch die Lande gereist und hatte den Tuchhandel bei diversen ausländischen Handelspartnern gelernt. Er sprach mehrere Sprachen und hatte auch seine Töchter darin unterrichtet – allerdings mit recht unterschiedlichem Erfolg. Madlen gab sich redlich Mühe und sprach inzwischen die englische und niederländische Sprache weitgehend fließend. Französisch hingegen lag ihr nicht so sehr, obwohl diese Sprache immer wichtiger wurde. Die Rheinlande waren von französischen Truppen besetzt, und allerorten wurde deren Sprache auch in offiziellen Ämtern benutzt.
Marie wiederum liebte Französisch, war jedoch zu faul, um es zu wirklicher Perfektion zu bringen. Vielleicht lag es auch daran, dass der Vater hauptsächlich die für ihn wichtige Geschäftssprache an seine Töchter weiterzugeben versuchte, während Marie viel lieber die blumigen Formulierungen erlernt hätte, mit denen die Damen und Galane bei Hofe sich unterhielten.
Janni hatte mit dem Sprachstudium gerade erst begonnen, und es war noch nicht abzusehen, ob sie ein Talent dafür besaß oder nicht.
Glücklicherweise war der nächste Brief, den Madlen von dem dringlichen Stapel nahm, in ihrer Muttersprache verfasst. Er kam von Hermann Löher, einem Handelspartner aus Amsterdam, der einmal Rheinbacher Bürger gewesen war, dann aber hatte fliehen müssen, weil er wegen angeblicher Hexerei angeklagt worden war. Madlen mochte die Briefe des alten Mannes, der immer sehr gewandt und zugleich forsch auf den Punkt seines Anliegens kam und dabei stets interessante Neuigkeiten aus dem Weltgeschehen einstreute. Die Anklage gegen ihn – so unsinnig sie Madlen auch erschien – war nie aufgehoben worden, deshalb war Löher auch Jahrzehnte nachdem die scheußlichen Hexenverfolgungen beendet worden waren nie in seine Heimat zurückgekehrt. Lediglich seine Söhne und Töchter kamen mehr oder weniger regelmäßig in die Stadt, um Verwandte und Bekannte zu besuchen.
Als Madlen die ersten Zeilen überflog, stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Der alte Kaufmann sprach sie diesmal ausdrücklich mit Namen an. Offenbar hatte er sich gemerkt, dass sie inzwischen häufig die geschäftliche Korrespondenz für ihren Vater übernahm.
«Muss ich eifersüchtig sein, weil du aussiehst, als würdest du gerade einen Liebesbrief lesen?»
Die amüsierte männliche Stimme ließ Madlen erst heftig zusammenzucken und dann ruckartig den Kopf heben. «Peter!» Rasch legte sie den Brief auf den Tisch und erhob sich. Strahlend ging sie auf den hochgewachsenen, gutaussehenden Mann zu. «Das ist ja eine Überraschung. Wo kommst du denn so plötzlich her? Ich dachte, du wärst noch für mindestens zwei oder drei Wochen unterwegs.» Dicht vor ihm blieb sie stehen und hob erwartungsvoll den Kopf.
Prompt neigte Peter sich ein wenig zu ihr herab, zögerte kurz, warf einen Blick hinter sich und hauchte ihr im nächsten Moment einen raschen Kuss auf den Mundwinkel. «Ich konnte meine Pflichten schneller als gedacht erfüllen und durfte dementsprechend früher meinen Dienst quittieren und nach Hause zurückkehren.»
Das Lächeln auf Madlens Lippen vertiefte sich, und sie ergriff mit ehrlicher Freude seine Hand. «Bedeutet das, du musst jetzt nicht mehr fort?»
«Genau das bedeutet es.» Er umschloss ihre Finger sanft mit den seinen. «Natürlich wird noch einiges zu regeln und zu planen sein, aber sobald ich mir ein eigenes Haus zugelegt und mich dort eingerichtet habe, werde ich in das Geschäft meines Vaters einsteigen. Außerdem wurde mir der ehrenvolle Posten als Schreiber beim Amtmann Schall von Bell angeboten, den ich selbstverständlich mit Freude antreten werde.» Er hielt inne, blickte noch einmal prüfend über die Schulter, ob auch niemand sie beobachtete, dann zog er Madlen sanft zu sich heran, bis ihre Körper einander beinahe berührten. «Und wenn du es mir erlaubst, werde ich endlich offiziell bei deinem Vater um deine Hand anhalten – natürlich nicht, ohne zuvor in alter Manier und standesgemäß um dich zu werben.»
Madlen schmunzelte. «Glaubst du, das ist wirklich nötig? Vater hat mich dir doch schon lange versprochen …»
«Selbstverständlich ist das notwendig.» Peter lachte. «Ich habe dich so furchtbar lange auf mich warten lassen, da werde ich dich doch wohl zum Ausgleich und zur Wiedergutmachung eine Weile auf Händen tragen dürfen. Oder möchtest du das nicht?»
«Auf Händen getragen werden?» Bei der Vorstellung musste auch Madlen lachen. «Ich weiß nicht. Könnte wacklig sein. Aber du brauchst doch nun wirklich nicht um mich zu freien. Du weißt doch schon, dass ich mit unserer Verbindung einverstanden bin.»
Peters Augen leuchteten auf. «Auch wenn ich das weiß, möchte ich, dass du meiner Zuneigung und Liebe vollkommen sicher bist. Ich möchte es in die Welt hinausrufen und allen Menschen zeigen, dass wir fortan zusammengehören.»
«Und ein bisschen angeben natürlich auch», fügte sie grinsend hinzu.
«Na klar. Immerhin bekomme ich das schönste und liebreizendste Mädchen in ganz Rheinbach und Umgebung zur Braut.»
«Und sie bringt auch noch eine anständige Mitgift mit.»
«Die interessiert mich nicht, Madlen, das müsstest du doch wissen.»
«Aber sie schadet auch nicht, oder? Ebenso wenig wie die Verbindung zu unserer Familie.»
Peters Miene wurde eine Spur ernster, verlor jedoch nicht den liebevollen Ausdruck. «Du hattest schon immer eine ausgesprochen praktische und realistische Seite an dir.»
«Na und, ist das schlimm?»
«Nein, ganz und gar nicht.» Wieder neigte er den Kopf und küsste sie, diesmal mitten auf den Mund.
Obgleich sie normalerweise zurückhaltender war, lehnte Madlen sich diesmal in den Kuss hinein. Sie freute sich so, dass Peter heil und unbeschadet aus dem Militärdienst zurückgekehrt war. Vor knapp zehn Jahren war er in das kurkölnische Regiment eingetreten, und seit gut fünf Jahren wartete sie nun darauf, dass er seine Karriere beendete und nach Rheinbach zurückkehrte, um sie zu heiraten. Sie kannte ihn schon, seit sie auf der Welt war, und es hatte nie Zweifel gegeben, dass ihre beiden Familien mit dieser Verbindung einverstanden waren. Peter von Werdt war ein freundlicher, liebevoller und zuverlässiger Mann, an dessen Seite Madlen, da war sie ganz sicher, ein zufriedenes und gutes Leben führen würde. Sie hatte ihn gern. Sehr gern sogar. Früher war er mehr wie ein großer Bruder gewesen, und so ganz hatte sich dieses Gefühl nie aus ihrem Herzen verabschiedet. Aber mit ihren fast zweiundzwanzig Jahren war sie inzwischen klug genug, um zu verstehen, dass seine Liebe ihr gegenüber anders geartet war und dass sie gewisse Facetten dieser Liebe mit kaum einem besseren Mann als ihm erforschen könnte.
Seine Lippen fühlten sich warm und weich an, sanft strichen sie über ihren Mund und hinterließen ein wohliges Gefühl der Vertrautheit. Aber mehr auch nicht. Manch eine ihrer Freundinnen schwärmte hin und wieder von heißen Küssen und den Flammen der Leidenschaft, die ein Mann in einer Frau entfachen konnte, doch Madlen stand solchen verzückt zum Ausdruck gebrachten Gefühlswallungen eher skeptisch gegenüber. Sie hatte bisher noch nie so empfunden und war sich ziemlich sicher, dass dies einfach nicht in ihrer Natur lag. Sie war keine Frau, die sich leicht aus dem Gleichgewicht bringen ließ, und vor allem wusste sie, was gut und richtig für sie war.
Peters Liebe und Treue über all die Jahre waren ihr lieb und teuer; sie konnte sich nicht vorstellen, diese Tugenden gegen irgendetwas anderes einzutauschen. Und wenn sie in seiner Gegenwart keine Schmetterlinge im Bauch verspürte, bedeutete das nicht, dass sie ihn nicht liebte. Wahrscheinlich kannten sie einander einfach schon viel zu lange, als dass solche Gefühlsanwandlungen noch natürlich gewesen wären.
Nur ein einziger Mann hatte ihr jemals Herzklopfen und weiche Knie beschert – Lucas Cuchenheim. Und im Rückblick konnte sich Madlen diese Gefühlsverwirrung nur mit jugendlicher Unbedarftheit erklären. Mit vierzehn und in den Jahren darauf war sie für seinen schelmenhaften Charme anfällig gewesen. Obwohl sie selbst damals schon gewusst hatte, dass Lucas von jeher ein Tunichtgut war, dessen schlechter Ruf ihn gewissermaßen zu einer verbotenen Frucht machte.
Gleichwohl hatte ihr Vater ihn immer gemocht und stets angeführt, dass der Junge sich einfach noch nicht die Hörner abgestoßen hätte, was auch immer damit gemeint sein mochte.
Madlen zuckte innerlich zusammen, als sie bemerkte, in welche Richtung ihre Gedanken gewandert waren. Es war ganz sicher nicht recht, sich in solchen Erinnerungen zu ergehen, während sie von ihrem zukünftigen Verlobten zärtlich geküsst wurde. Und sie führten unweigerlich zu schmerzlichen Gedanken, denn was vor fünf Jahren geschehen war, hatte sie tief getroffen. Selbst heute noch fragte sie sich manchmal insgeheim, wie es zu jenen schrecklichen Ereignissen hatte kommen können.
Ihr schlechtes Gewissen drängte sie umgehend, für einen Ausgleich zu sorgen, deshalb küsste sie Peter mit mehr Inbrunst zurück, als sie es je zuvor getan hatte.
Mit einem überraschten Laut zog er sie fester an sich, und der bisher noch verhaltene Druck seiner Lippen auf ihren verstärkte sich.
Als irgendwo im Haus eine Tür klappte, ließ er sie jedoch rasch los und schmunzelte, ein wenig außer Atem. «Ich habe dich vermisst, Madlen. Mir scheint, dir ging es ähnlich.»
«Natürlich habe ich dich vermisst.» Sie lächelte verlegen. «Was dachtest du denn?»
«Was ich gerade gedacht habe, darf ich dir eigentlich gar nicht sagen. Jedenfalls nicht, solange wir nicht mindestens offiziell verlobt sind.» Sachte strich er ihr über die Wange.
Madlen errötete, kam jedoch nicht dazu, etwas zu antworten, denn in diesem Moment erschien ihre Mutter auf dem Gang. «Habe ich doch richtig gehört, dass da jemand zu Besuch gekommen ist. Peter, mit dir hatten wir ja noch gar nicht gerechnet! Welch eine schöne Überraschung.» Wie es ihre Art war, umarmte Anne-Maria Peter herzlich und küsste ihn auf die Wange. «Und wie stattlich Ihr in Eurer Uniform ausseht, Herr Obrist.» Sie blinzelte fröhlich bei diesen überförmlichen Worten. «Bei dem Anblick bekomme ja sogar ich noch weiche Knie!» Sie lachte und trat einen Schritt zurück, um Peters stattliche Gestalt zu bewundern.
«Peter, Peter! Guck mal, hab einen neuen Ball gekriegt. Hat die Witwe Cuchenheim mir geschenkt.» Mattis’ wilder brauner Lockenschopf erschien in der Tür zur Stube, in der er bis eben Unterricht bekommen hatte. Der Sechsjährige hielt dem Besucher stolz den neuen Lederball hin und lächelte dabei engelhaft. Neben seinen Mundwinkeln erschienen dieselben entzückenden Grübchen wie bei der Mutter und den drei älteren Schwestern. Ihr Vater murrte jedes Mal, wenn er sie sah. Er fand die etwas mädchenhaften Züge seines einzigen männlichen Sprösslings recht unpassend.
Peter ging in die Hocke und betrachtete das Spielzeug eingehend und sehr ernsthaft. «Das ist ja ein toller Ball. Hast du ihn schon ausprobiert?»
«Nö, darf nicht. Muss noch lesen üben.» Der Junge schob schmollend die Unterlippe vor, doch in seinen Augen glitzerte es hoffnungsvoll. «Spielst du mit mir?»
Lächelnd wuschelte Peter ihm durchs Haar. «Später vielleicht. Erst einmal musst du deine Lektionen beenden.»
«Echt? Wirklich? Lesen ist so langweilig.»
«Lesen ist sehr wichtig für einen Mann.» Peter erhob sich wieder. «Wenn du brav gelernt hast, können wir nachher gerne ein wenig draußen spielen.»
«Bedeutet das, du bleibst zum Essen?» Madlen sah ihn hoffnungsvoll an.
«Wenn ich darf.»
«Was für eine Frage!» Madlens Mutter legte ihm vertraulich eine Hand auf den Arm. «Wir freuen uns doch immer so sehr, wenn du Zeit für uns hast. Ich gehe gleich zu Jonata und gebe ihr Bescheid, dass wir heute einen Esser mehr am Tisch haben. Und du, Mattis?» Sie warf ihrem Sohn einen vielsagenden Blick zu.
Der Junge zog den Kopf ein. «Ja, Mutter, ich geh schon und übe weiter.»
«Er ist groß geworden.» Lächelnd blickte Peter dem Kleinen nach, als dieser in die Stube zurückkehrte.
«Das ist er.» Die Mutter nickte stolz. «Aber nun entschuldigt mich, ihr beiden, ich muss in die Küche.»
«Einen Augenblick, Frau Thynen.» Sanft hielt Peter sie zurück. «Würdet Ihr mir erlauben, Madlen bis zum Abendessen zu entführen? Nur zu einem kleinen Spaziergang – in allen Ehren selbstverständlich.»
«Natürlich, natürlich, sehr gerne. Geht nur, das Wetter ist ja so schön heute, und um diese Zeit ist es auch nicht mehr so schrecklich heiß.» Unbekümmert winkte die Mutter ab und verschwand in der Küche.
«Nun denn.» Galant hielt Peter Madlen seinen Arm hin. «Sollen wir?»
«Also eigentlich …» Verunsichert blickte Madlen über die Schulter ins Kontor. «Ich war gerade dabei, Vaters Korrespondenz zu erledigen.» Sie hasste es, eine Arbeit unvollendet zu hinterlassen, und fühlte sich ein wenig von seinem Vorschlag überfahren.
«Das kann doch warten, oder nicht?»
«Ich weiß nicht. Wenn Vater von seinem Spaziergang zurückkehrt und diese Unordnung auf seinem Pult vorfindet, wird er nicht sehr erfreut sein.»
«Ich werde ihm beichten, dass ich dafür verantwortlich bin. Bitte, Madlen, komm mir zuliebe mit. Du wirst es auch bestimmt nicht bereuen. Ich möchte dir unbedingt etwas zeigen.»
«Ach ja?» Nun war ihre Neugier geweckt. «Was denn?»
«Das ist geheim. Du erfährst es nur, wenn du mich begleitest.»
Seufzend gab sie nach. «Also gut, aber nur dieses eine Mal. Und ich muss erst das Tintenfass schließen und die Federn säubern.» Eilig ging sie ins Kontor und ordnete alles. Löhers Brief legte sie zurück auf den dringlichen Stapel und beschwerte ihn mit einem ovalen Stein.
Bonn, 15. Juli 1673
«Hauptmann, ich glaube, da hinten gibt es Ärger.» Der junge Knecht Gerinc deutete mit vielsagender Miene auf eine Gruppe Männer, die an einem der hinteren Tische in der gut besuchten Bonner Taverne saß. Laut ging es dort her; die ersten Streitlustigen hatten sich bereits erhoben und schrien einander in zwei verschiedenen Sprachen an.
Lucas Cuchenheim nahm stirnrunzelnd den Arm von den Schultern der drallen, rothaarigen Schankmagd, die sich nach ein paar Scherzen bereitwillig zu ihm auf die Bank gesetzt und fröhlich mit ihm geschäkert hatte. Er konnte aus dem Geschrei die Stimmen seiner Kameraden heraushören, wenn sie nicht gerade von französischem Gebrüll übertönt wurden. Offenbar hatten seine Männer sich mit einem Trupp der Besatzer angelegt. Das war nie eine gute Idee, und schon gar nicht, wenn man bedachte, dass ihr Befehlshaber, der Bischof von Münster, Bernhard von Galen, mit den Franzosen verbündet war. Alle Arten von Querelen schadeten diesem Bündnis, und deshalb war es Lucas’ Aufgabe, diese zu unterbinden – zumindest, wenn es um seine Leute ging.
Gerade goss einer seiner Männer einem Franzosen einen Krug Bier über den Kopf, woraufhin eine wilde Schubserei begann.
Seufzend erhob Lucas sich, strich seine Uniform glatt und rückte seinen Säbel zurecht. «Entschuldige mich einen Augenblick, Bella. Ich bin gleich wieder zurück.»
«Na hoffentlich.» Die Schankmagd klimperte mit den Wimpern. Sie war hübsch und leidlich sauber, und nachdem er mehrere Monate ohne weibliche Gesellschaft hatte auskommen müssen, war das alles, was er wollte. Doch zunächst musste er für Ruhe sorgen, wenn er nicht riskieren wollte, samt seinen Männern aus dem Gasthaus geworfen zu werden.
«He, he, he, immer mit der Ruhe, Soldat.» Als er an den Tisch mit den Streitenden trat, hätte einer seiner Männer ihm beinahe den Ellenbogen in die Rippen gerammt. Lucas packte den Soldaten am Arm und einen weiteren französischer Herkunft an der Schulter. «Was geht hier vor? Könnt ihr nicht mal eine Stunde lang hier sitzen und friedlich bleiben?»
«Hauptmann.» Der Soldat zog den Kopf ein und wurde sogleich ruhiger. «Die Schweinehunde haben uns verhöhnt.»
«Ach ja, habt ihr das?» Lucas blickte den Franzosen an und wiederholte seine Frage sicherheitshalber in dessen Muttersprache. Der Mann spuckte daraufhin vor ihm aus und überfiel ihn mit einem Schwall französischer Worte.
«Aha.» Lucas ließ ihn einfach weiterreden und blickte in die Runde. Sein Auftauchen hatte auch den Rest seiner Truppe dazu bewogen, in ihrem Schlagabtausch innezuhalten. Er konnte von Glück sagen, dass ihm eine hochgewachsene, muskulöse Statur zu eigen war, die ihm zusammen mit der finsteren Miene, die er sich für derartige Anlässe zugelegt hatte, genügend Respekt in solchen Situationen verschaffte. «Wenn ich den Mann hier recht verstehe, habt ihr angefangen, indem ihr dümmliche Witze über französische Damen gemacht habt.»
«Nur über diese überparfümierten, gepuderten Weiber, die so tun, als seien sie was Besseres als wir.» Der Soldat, den Lucas noch immer am Wickel hatte, zuckte mit einem schiefen Grinsen die Achseln. «War ja nicht bös gemeint.»
«So wurde es aber aufgenommen.» Lucas stieß den Soldaten von sich, an dessen Namen er sich gerade nicht erinnern konnte, weil der Mann erst seit kurzem seinem Regiment unterstellt worden war. «Hört gefälligst mit diesem Unsinn auf und haltet euch an unsere eigenen Weiber, wenn ihr schon wisst, dass die französischen euch nicht nehmen. Ich will hier keinen Ärger.»
«Is’ ja gut, Herr Hauptmann.»
«Nein, ist es nicht. Wenn ihr nicht sofort friedlich seid, verderbt ihr mir nämlich den Abend.» Er warf einen kurzen Blick auf die Schankmagd an seinem Tisch. «Also vertragt euch gefälligst mit unseren französischen Freunden.»
«Freunde, pah.» Der Franzose spie erneut vor ihm aus. «Mit Eusch wir sind kein’ Freunde. Dies’ Stadt ge’ört uns, ihr ’abt zü ge’orchen üns. Wer ünser’ Frauen beleidigt, müss büßen dafür.»
«Seht Ihr, Herr Hauptmann, wir können nix dafür. Die Franzmänner wollen Streit, nicht wir.»
«Halt den Mund, Soldat.» Lucas ärgerte sich, dass ihm der vermaledeite Name des Mannes nicht einfallen wollte. Mit abschätzender Miene musterte er den Franzosen, der sich von Lucas’ Statur und Rang offenbar nicht im Geringsten einschüchtern ließ. Aus den Augenwinkeln bemerkte Lucas, dass einige der anderen Franzosen mehr oder weniger unauffällig unter ihre Mäntel griffen; offenbar waren sie allesamt bewaffnet. Das sah nicht gut aus.
«Raus mit euch, sofort», befahl er seinen Männern. «Ich habe keine Lust, heute Abend noch ein Blutbad aufzuwischen. Also macht, dass ihr ins Quartier zurückkehrt – und keine Umwege über die Hurenhäuser. Habt ihr verstanden?» Er warf nacheinander jedem seiner Männer einen harten Blick zu, woraufhin diese murrend gehorchten.
Lucas atmete auf, als die Soldaten nach und nach ihre Zeche bezahlten und das Wirtshaus verließen. Womit er nicht gerechnet hatte, war das gemeine kleine Messer, das der Anführer der Franzosen plötzlich in der Hand hielt.
«Isch will eine Düell!», rief der Kerl mit überkippender Stimme. «Niemand beleidigt ünser’ Frauen, ohn’ dafür zü büßen!»
«Scheißdreck.» Lucas konnte gerade noch verhindern, dass der Franzose sich rücklings auf den letzten der abziehenden Soldaten stürzte. «Halt mal die Luft an, du Giftzwerg!» Er versetzte dem Franzosen einen Schlag gegen die Brust, sodass dieser rückwärts gegen seine Kumpane stolperte.
Damit löste er eine Kettenreaktion aus, denn nun stürzten sich natürlich sämtliche Franzosen auf ihn, woraufhin seine Soldaten zurückkehrten, um ihm beizustehen. In Sekundenschnelle war eine wüste Schlägerei im Gange, der auch Lucas sich nicht entziehen konnte. Allerdings war er aufgrund jahrelanger Erfahrung deutlich fähiger als seine überwiegend grünschnäbligen Soldaten. Rasch hatte er mehrere Franzosen mit Kinnhaken oder gezielten Schwingern so weit außer Gefecht gesetzt, dass er sich erneut Gehör verschaffen konnte. «Raus jetzt, allesamt!», brüllte er seine Männer an. «Und Ihr», er hatte den französischen Rädelsführer schnell wieder am Wickel, «bleibt hier sitzen, bis meine Leute weg sind. Ist das klar?»
«Dreckiges Soldatenpack», schimpfte der Franzose unbeirrt weiter. «Isch bring’ Eusch alle üm!»
«Ist das klar, habe ich gefragt.» Lucas zog seinen Säbel und tippte mit der Spitze die Brust des Franzosen an.
Dessen Augen weiteten sich zwar, aber seine wutverzerrte Miene blieb unverändert. «D’accord.» Er spuckte ein drittes Mal vor Lucas aus. «Isch werde Meldung machen über Eusch.»
«Tut das. Mein Name ist Lucas Cuchenheim, Hauptmann im Regiment des Bischofs von Münster. Und nun nennt mir freundlicherweise Euren Namen, Monsieur, damit ich diesen bei meiner eigenen Meldung korrekt angeben kann.»
«Lieutenant Pascal d’Armond aus dem ’ier stationierten Regiment seiner Majestät, Könisch Luis XIV.» Der Franzose blickte ihn giftig an. «Ihr ’abt keine Rescht, Eusch über üns zü beschweren.»
«Welches Recht ich habe oder nicht habe, werden wir noch sehen. Lasst meine Männer in Ruhe, andernfalls …» Vielsagend tippte Lucas noch einmal mit der Spitze seines Säbels gegen die Brust des Franzosen. Dann wandte er sich mit einem bedauernden Blick zu der Schankmagd um, die nach wie vor auf der Bank saß, so als habe nicht gerade eine wilde Schlägerei stattgefunden. «Tut mir leid, Bella, aber ich muss gehen.»
Die Rothaarige zuckte mit den Schultern. «Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Herr Hauptmann. Vielleicht ein andermal?»
«Vielleicht.» Lucas ging hinüber zu dem Tresen, hinter dem der Wirt mit zwei Knechten die Stellung hielt und vermutlich eingegriffen hätte, falls die Schlägerei noch weiter ausgeartet wäre. Oder vielleicht hätte er auch gewartet, bis sie sich alle gegenseitig umgebracht hätten. Das würde es deutlich leichter machen, sie rauszuwerfen. «Verzeiht den Tumult, guter Mann. Falls etwas zu Bruch gegangen ist, bezahle ich den Schaden.»
«Habt Eure Männer ja gut im Griff. Sieht man nicht oft, so was. Die Franzmänner sind ständig auf Krawall aus.» Der Wirt, groß und mit einem beeindruckenden Wanst, lächelte grimmig. «Und sie drehen es immer so, dass unsere Leute am Ende schuld sind.» Als Lucas seine Geldbörse zückte, winkte er ab. «Lasst mal gut sein, Herr Hauptmann. Waren ja nur zwei Bierkrüge, die zerbrochen sind. Ihr habt übrigens einen gefährlichen rechten Schwinger.»
Lucas zuckte nur mit den Schultern. «Meine Zeche muss ich aber noch zahlen.» Er reichte dem Wirt gerade das Geld, als hinter ihm ein Stuhl umfiel.
«Vorsicht, Herr Hauptmann, der will Euch …» Gerincs Stimme verstummte, da Lucas bereits herumgefahren war und den Angriff des Franzosen mit einem Schlag und einem gezielten Tritt gegen die Knie parierte.
«… umhauen.» Gerinc hüstelte.
Der Franzose lag auf dem Boden und heulte wutentbrannt. Einen Schwall französischer Flüche ausstoßend, versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen, doch Lucas stellte ihm einen Fuß auf die Brust. «Lasst es.» Seine Stimme blieb vollkommen ruhig. «Andernfalls blamiert Ihr Euch noch mehr vor Euren Männern, als Ihr es jetzt schon getan habt.» Er nickte dem Wirt noch einmal zu. «Nichts für ungut. Gerinc, wir gehen.»
«Das war unglaublich, wie Ihr die ganzen Franzmänner umgelegt habt. Na ja, nicht umgelegt, aber eine ganz schöne Abreibung habt Ihr denen verpasst.» Mit ehrlicher Bewunderung strahlte Gerinc Lucas an, während er neben ihm her durch die Bonner Gassen ging. Der Abend war gerade erst angebrochen, die Sommerluft mild, und dementsprechend viele Passanten begegneten ihnen, sodass der Knecht immer wieder ausweichen musste. «Das war wirklich sagenhaft, Herr Hauptmann!»
«Ja, sagenhaft lästig und überflüssig wie ein Furunkel.» Immer noch verärgert, weil ihm die Gelegenheit genommen worden war, sich mit Bella ein wenig zu verlustieren, rieb Lucas sich über die Stirn. Nach einem kurzen Blick über die Schulter bog er in einen schmalen Weg ab, der links und rechts von hohen Holundersträuchern gesäumt war, deren dichtes Laub die tiefstehende Sonne abschirmte.
«Was wollt Ihr denn hier?» Verblüfft sah Gerinc sich in der Gasse um, die zwischen Hintergärten in Richtung Rhein führte. «Ich dachte, wir gehen zurück ins Quartier.»