4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
"Ich habe keine andere Wahl!" Vor sechs Jahren hat Heather den attraktiven Turner Brooks das letzte Mal gesehen - als er ihr das Herz brach und sie ihm eine gewaltige Lüge erzählte. Doch jetzt bleibt Heather kein anderer Ausweg; sie muss Turner auf seiner Ranch am Whitefire Lake besuchen, um ihm alles zu beichten. Denn nur Turner kann ihr helfen, das Kostbarste in ihrem Leben zu retten: Ihren Sohn …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 363
Lisa Jackson
Flammende Lügen
Aus dem Amerikanischen von Thomas Hase
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins GermanyGmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
He’s Just A Cowboy
Copyright © 1993 by Susan Crose
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold& gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Autorenfoto: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
ISBN eBook 978-3-95649-462-8
www.mira-taschenbuch.de
Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Gold Creek, KalifornienGegenwart
Manche Männer lassen einen einfach nicht los.
Heather Leonetti parkte ihren Mercedes unter einer tiefgrünen Pinie. Ihr Puls spielte verrückt und pochte in ihren Schläfen. Durch die Windschutzscheibe fiel ihr Blick auf den friedlich vor ihr liegenden Whitefire Lake. Sie betrachtete die ruhige Wasserfläche und fragte sich, woher sie die Kraft nehmen sollte, das Lügengebäude, das sie vor sechs Jahren errichtet hatte, einzureißen. Lügen, die sie nie hatte äußern wollen, die niemals jemandem schaden sollten. Lügen jedoch, in die sie sich derart verstrickt hatte, dass sie nicht mehr wusste, wie sie da herauskommen sollte.
Schon vor Jahren hatte es ihre Mutter auf den Punkt gebracht: „Das Dumme beim Flunkern ist, dass man, wenn man einmal damit angefangen hat, offenbar nie mehr aufhören kann. Nimm nur deinen Vater! Eine Lüge nach der anderen …“
Heather schloss einen Moment lang die Augen und massierte sich die Schläfen. Bald würde ihre Mutter die Wahrheit erfahren wie jeder andere in Gold Creek auch – einschließlich Turner.
Ihm musste sie zuerst alles beichten. Er hatte ein Recht darauf, es zu wissen, auch wenn es dafür eigentlich zu spät war. Er hätte es schon vor sechs Jahren erfahren sollen. Sie hätte eine Möglichkeit finden müssen, ihn zu erreichen, um ihm mitzuteilen, dass er Vater geworden war. Stattdessen war sie nach ein paar vergeblichen, halbherzigen Versuchen den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Und nun musste ausgerechnet Adam, ihr Sohn, dafür den Preis bezahlen. Das war nicht fair.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber sie wollte sich davon nicht überwältigen lassen. Noch nicht. Nicht, solange es noch Hoffnung gab. Sie kniff die Augen zusammen und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Manches würde sie gern ungeschehen machen. Irgendwie musste sie es schaffen, ihrem Jungen die Chance auf ein normales Leben zu ermöglichen. Die Lösung lag möglicherweise bei Turner. Auch wenn die entsetzliche Krankheit gegenwärtig im Begriff war, abzuklingen, und die Ärzte Adams Chancen für so gut hielten, wie sie nur eben sein konnten, hatte Heather eine panische Angst um ihren fünfjährigen Sohn. Und das seit fast zwei Jahren. Es wurde höchste Zeit, Turner gegenüberzutreten. Also zwang sie sich, die Augen wieder zu öffnen und biss die Zähne zusammen. Es musste sein.
Manche Männer lassen einen einfach nicht los. Turner Brooks war einer von dieser Sorte: wortkarg, verschlossen. Sie sah ihn genau vor sich. Sein braunes Haar mit den goldblonden Strähnen, sein markantes Profil, vielleicht etwas zu zynisch für sein Alter, und diese Augen, denen nichts verborgen blieb. Ein Cowboy. Ein Rodeoreiter. Ein mittelloser Taugenichts, würde ihre Mutter sagen.
Sechs Jahre war ihre letzte Begegnung mit ihm nun her. Heather hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn sie plötzlich bei ihm vor der Tür auftauchte und ihn mit einer Nachricht überraschte, die ihn eigentlich schon längst hätte erreichen sollen. Und was würde er machen, wenn sie ihn dann um seine Hilfe bat? Er hatte keinen ihrer Briefe beantwortet; es war ziemlich offensichtlich, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Allerdings konnte er sich nicht seinem Sohn verweigern!
Oder doch?
Heather verlor den Mut. Im Grunde wusste sie kaum etwas von diesem Mann, der der Vater ihres Sohnes war. Viel mehr hatte sie auch vor sechs Jahren nicht von ihm gewusst.
„Himmel hilf“, flüsterte sie. Schließlich nahm sie all ihre Kraft zusammen und stieg aus. Gerade als sie losgehen wollte, meldete ihr Mercedes mit einem dezenten Warnsignal, dass sie die Wagentür offen gelassen hatte, aber sie kümmerte sich nicht darum. Piniennadeln dämpften ihre Schritte. Mit den Händen in den Jackentaschen stapfte sie das kurze Stück zum Seeufer.
Sie hörte das Schimpfen eines Eichhörnchens, das verborgen im Geäst über ihr hockte, während sie weiter weg einen Schwarm von Wachteln aufscheuchte, der sich mit großem Geflatter in einer Wolke von Federn erhob. Ruhig lag der See da. Nur einige wenige Fischerboote waren hinter den trüben Nebelschleiern der Morgendämmerung auf dem Wasser zu erkennen. Heather musste an die alte Legende denken, als sie sich zwischen den Steinen am Ufer niederkauerte und mit der Hand durchs kühle Wasser fuhr. Blass wirkte ihre Hand unter der klaren Wasseroberfläche. Blass und nackt ohne den Diamantring. Die Scheidung von Dennis war nun auch schon wieder fast zwei Jahre her.
Noch ein Stoßgebet für ihren Sohn, dann schöpfte Heather mit der hohlen Hand etwas von dem Wasser und benetzte ihre Lippen. Viel zu viel in ihrem Leben hatte sie für selbstverständlich gehalten – den teuren Wagen, ihr Haus in San Francisco, ihr Atelier, ihren Schmuck und ihre Kleider, all das, was ihr inzwischen nichts mehr bedeutete. Was jetzt allein zählte, war Adam.
Sie gab nichts auf die Legende vom Whitefire Lake. Dennoch war sie bereit alles, wirklich alles zu tun, um das Leben ihres Sohns zu retten. Auch wenn das bedeutete, Turner wieder gegenübertreten zu müssen.
Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Sie starrte in das kristallklare Wasser und dachte an den Sommer vor sechs Jahren. Die Erinnerung war plötzlich so lebendig und nah, dass es ihr fast vorkam, als wäre sie wieder achtzehn und arbeitete auf der Ranch Lazy K.
Lazy-K-Ranch, KalifornienSechs Jahre früher
Es war stickig und schwül, und das Licht flimmerte. Pferdebremsen und Bienen umschwärmten Heather, als sie dabei war, den Putzlappen auszuschütteln. Das Abendessen war schon eine Weile beendet, und die Gäste von Lazy K hatten sich in kleinere Gruppen zerstreut. Einige hatten sich früh zur Ruhe begeben, andere ließen sich in der großen Halle das Gitarrespielen beibringen und wieder andere saßen im Esszimmer bei einer Partie Poker oder Dame. Musik und Gelächter drangen aus den geöffneten Fenstern.
Nach zwölf Stunden Schufterei in der Küche tat Heather jeder Knochen weh. Ihre Füße waren angeschwollen, und sie roch bestimmt kein bisschen besser als mancher Stallbursche. Wenn sie ehrlich war, wusste sie, dass sie für dieses Leben nicht geboren war. Und doch war sie als Küchenhilfe auf dieser abgelegenen Ferienranch am Fuße der Siskiyou Mountains gelandet. Nun, es hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel, wenn es sie wieder zurück nach Gold Creek verschlagen hätte.
Allein der Gedanke an ihren Geburtsort, dieses verschlafene Nest, in dem sie aufgewachsen war, ließ sie erschauern. Versonnen betrachtete sie die Hügel in der Ferne. Nein, an Gold Creek hingen zu viele schmerzhafte Erinnerungen, als dass sie jemals dorthin zurückkehren wollte. Mochten Familien wie die Fitzpatricks oder die Monroes auch dort seit Generationen leben, Heather hatte nicht die Absicht, in Gold Creek Wurzeln zu schlagen, wo es so viel gehässigen Klatsch gab.
Über ihre eigene Familie, die Tremonts, hatte man sich jahrelang die Mäuler zerrissen. Da war zuerst ihr Vater mit seinem Verhältnis zu einer wesentlich jüngeren Frau, das schließlich zur Scheidung ihrer Eltern führte und ihre Mutter unglücklich und verbittert zurückließ. Und dann war da noch die Sache mit ihrer Schwester Rachelle und Jackson Moore.
Nur zu deutlich konnte Heather sich an einige der sogenannten Freundinnen ihrer Mutter erinnern und an ihr Geflüster, gerade laut genug, um die entscheidenden Brocken aufzuschnappen. „Du wirst es nicht glauben … Dabei war sie doch ihre ganze Hoffnung! Jetzt ist das Stipendium dahin … Ellen trifft es wirklich hart, die Arme! Erst ihr Mann, dieser Schürzenjäger, und jetzt das … Und die Kleine? Die hat doch keinen Funken Verstand … Wenn Gott gerecht ist, heiratet sie wenigstens den Leonetti-Jungen, damit ihre Mutter mal zur Ruhe kommt …“
So ging es pausenlos, und Heather hörte es mit vor Scham brennenden Wangen von allen Seiten: in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, an den Nebentischen im Diner, selbst auf den Stufen vor der Kirche nach dem Gottesdienst. Nein, den Rest ihres Lebens eingesperrt in Gold Creek zu verbringen, kam überhaupt nicht infrage.
Aber das Leben auf einer Ranch? Viel besser war das auch nicht. Aber es war ja nur für diesen einen Sommer, bis sie das Geld zusammenhatte, um sich auf der Kunstschule einschreiben zu können. Sie wollte auf keinen Fall zu jenen Frauen zählen, die des Geldes wegen heirateten, damit sie ihr Bedürfnis nach Luxus befriedigen konnten. Und sie wollte sich auf gar keinen Fall genötigt sehen, Dennis Leonetti, den Sohn eines der reichsten Bankiers in Nordkalifornien, zu heiraten.
Heather hängte den alten Wischlappen, den sie eben ausgewrungen hatte, über den Zaun und ließ ihren Blick über das ausgedehnte Weideland der Lazy-K-Ranch schweifen. Im Schatten einer einzelnen Pinie standen ein paar Pferde beisammen, zwei Fuchsstuten, zwei Braune und ein Schimmelwallach, das Fell stumpf vom Staub der Koppel, in dem sie sich gewälzt hatten. Sie schlugen mit ihren Schweifen und bemühten sich, die lästigen Bremsen zu vertreiben. Ab und zu wirbelte eine Staubwolke auf, wenn eines von ihnen mit dem Huf aufstampfte.
Die Sonne hing über den Bergen im Westen, und dort in der Ferne erspähte Heather einen einsamen Reiter. Sie beschattete mit der Hand die Augen und blickte angestrengt in die Richtung, um zu erkennen, welcher der Rancharbeiter dort mutterseelenallein am Devil’s Ridge entlang ritt. Denn es musste mit Sicherheit einer der Männer von Lazy K sein. Er war groß gewachsen, breitschultrig und schmal in den Hüften, soweit sie das gegen den Schein der untergehenden Sonne ausmachen konnte. Da sie im Gegenlicht aber nur eine Silhouette sah, war es Heather unmöglich ein Gesicht zu erkennen, das ihr vertraut war. Es war nur auffällig, dass dieser Reiter so sicher im Sattel saß, als sei er auf dem Rücken eines Pferdes geboren, eine perfekte, elegante Art zu reiten, wie sie es bei noch keinem der Cowboys hier erlebt hatte.
Ein Windstoß fuhr ihr ins Haar, und trotz der Wärme kriegte sie eine Gänsehaut, sowie sich der Reiter nach ihr umzuschauen und sie anzublicken schienen. Aber das musste sie sich einbilden, denn dazu war er viel zu weit weg. Dennoch schlug ihr das Herz bis zum Hals hinauf, und sie konnte nicht aufhören zu rätseln, wer er war. Kurz darauf trieb er das Pferd an und war im Wald verschwunden, während er Heather mit dem Gefühl zurückließ, dass sich das alles nur in ihrer Fantasie abgespielt hatte und der Reiter ein Produkt ihrer lebhaften und ein bisschen zum Romantischen neigenden Vorstellungskraft war.
Die Hände waren ihr vor Aufregung feucht geworden, und sie wischte sie vorn an der Schürze ab
„Heather!“ Es war Mazies Stimme, die aus einem offenen Küchenfenster erschallte und wie der Schrei einer Krähe klang. „Kommst du noch mal wieder, um die Küche fertig zu machen?“
Schuldbewusst zuckte Heather zusammen. Sie griff nach dem Lappen, schüttelte ihn wie besessen und rümpfte dabei angewidert die Nase.
„Hast du gehört? Vielleicht wird das heute noch was.“ Mazie fluchte halblaut über die Mädchen aus der Stadt, die sich mehr für Cowboys interessierten als für die Arbeit.
„Bin gleich da!“, rief Heather über die Schulter. Dann hörte sie, wie das Fenster zugeknallt wurde, dass die Scheiben klirrten. Sie wischte sich noch einmal den Schweiß von der Stirn und eilte dann über die hintere Veranda in die Küche, wo die anderen Mädchen dabei waren, Töpfe und Pfannen zu schrubben, den Fußboden zu putzen und die Arbeitsflächen zu reinigen. Mazie Fenn duldete auch nicht die kleinste Spur von Schmutz in ihrer Küche.
„Das wurde aber auch Zeit! Du kannst dich um die Abfälle kümmern. Stell die Eimer auf die hintere Veranda, damit Seth sie für seine Schweine mitnehmen kann.“ Seth Lassiter war einer der Cowboys. Er arbeitete tagsüber auf der Ranch und hatte daneben ein eigenes Stück Land, auf dem er Schweine züchtete und sich ein paar Rinder hielt.
Jill, die rothaarige Kellnerin, eines der Mädchen, mit denen Heather sich das Zimmer teilte, musste sich ein Grinsen verkneifen, während Heathers Blick auf die beiden überquellenden Eimer mit Küchenabfällen fiel. Diese stinkenden, schweren Dinger hinauszuschleppen gehörte zu den unangenehmsten Arbeiten, die im Haus anfielen. Es amüsierte Jill so sehr, dass Heather ein Abonnement auf diesen Job zu haben schien, dass sie ihre Schadenfreude kaum verbergen konnte, während sie sich bemühte, das abgewetzte Linoleum in der Küche sauber zu bekommen.
Heather griff sich also die schweren Behälter mit den halb verflüssigten Überresten vergangener Mahlzeiten und schaffte sie, ohne einen Tropfen zu verschütten, hinaus auf die Veranda. Danach beeilte sie sich, in die Küche zurückzukehren, aber nicht ohne noch einmal einen sehnsüchtigen Blick dorthin zu werfen, wo sie den einsamen Reiter gesehen hatte.
Solange sie denken konnte, hatte ihre Mutter ihr vorgehalten, dass sie so verträumt war und in einer Scheinwelt lebte, in der es nur die wahre große Liebe gab. Wieder und wieder hatte sie den Kopf über ihre jüngere Tochter geschüttelt. Heathers Schwester Rachelle war ein anderer Typ. Sie war die Vernünftige, stand mit beiden Beinen fest auf der Erde.
„Wenn du dich schon so sehr danach sehnst, dich zu verlieben, warum dann nicht in Dennis Leonetti?“, hatte Ellen Heather ein ums andere Mal gefragt. „Er ist nett, klug – und reich. Was möchtest du mehr?“
Das hatte sich Heather selbst manchmal auch gefragt. Aber Dennis hatte etwas an sich, das ihr Misstrauen weckte, etwas Kaltes, Berechnendes. Warum er sie heiraten wollte, konnte sie sich nicht erklären. Sie wusste nur, dass sie ihn nicht liebte und niemals lieben könnte. Ihn zu heiraten erschien ihr wie ein Betrug, wie das Eingeständnis einer Niederlage und in letzter Konsequenz nichts weiter, als den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Auch wenn Heather zu romantischen Träumereien neigte, wusste sie doch, dass man für alles bezahlen musste. Da brauchte sie sich nur an das harte Schicksal erinnern, das ihre Mutter ereilt hatte.
„Heather?“
Oh verdammt! Mazie schon wieder. Heather konnte sich keine Nachlässigkeiten leisten. Sie brauchte diesen Job. So spurtete sie zurück in die Küche.
„Ich dachte schon, du wärst uns wieder verloren gegangen“, meinte Mazie, die an dem kleinen Tisch am Fenster saß und sich gerade eine Zigarette angesteckt hatte. „Lieber Himmel, ich habe noch nie jemanden erlebt, der so den Kopf in den Wolken trägt wie du!“
„Es tut mir leid.“ Heather wischte am Herd herum, um geschäftig zu erscheinen. Dabei war das Aufräumen und Putzen zum größten Teil bereits erledigt, und die drei anderen Mädchen drängten sich an der Pendeltür, die von der Küche zum Speisezimmer führte.
„Ist schon gut. Du hast Feierabend“, erwiderte Mazie und bedachte Heather mit der Andeutung eines Lächelns, das man bei ihr nur selten sah. Dann nahm sie einen Zug von ihrer Zigarette und fügte mit einer Kopfbewegung zu den Mädchen an der Tür hinzu: „Außerdem verpasst du gerade das Beste. Die Jungs sind zurück.“
„Die … was?“
„Ich hab’s dir ja gesagt! Er ist umwerfend“, flüsterte Jill halblaut.
Mazie kicherte.
„Sind sie alle“, entgegnete Maggie und spähte durch den schmalen Spalt in der Tür, „heiße Typen. Jeder Einzelne von ihnen.“ Sie ließ einen tief befriedigten Seufzer hören.
„Aber sie machen nur Ärger“, wandte Sheryl ein. Sie war ein hoch aufgeschossenes, schlankes Mädchen, das schon im sechsten Sommer auf der Ranch arbeitete. „Besonders der da.“ Sie zeigte mit dem Finger, aber Jill schüttelte den Kopf.
„Was gibt’s denn?“ Heather konnte ihre Neugier nicht länger zurückhalten.
„Die Cowboys sind wieder da! Nur für eine Weile, zwischen ihren Rodeos“, erklärte Jill aufgeregt.
Cowboys? Heather war nicht sonderlich an ungehobelten Westernhelden interessiert. Sie musste an Dennis, den Bankierssohn, denken, der ihr plötzlich gar nicht mehr so übel erschien. Dagegen diese Outdoor-Typen, die nach Leder, Pferdedung und Tabak rochen? Da hatte sie doch andere Ansprüche.
Dennoch fiel ihr der einsame Reiter wieder ein, und ihr Puls beschleunigte sich unwillkürlich ein wenig. Aber das war ja auch nur eine Traumgestalt gewesen und kein Rancher aus Fleisch und Blut. Sie hatte keine Lust, sich daran zu beteiligen, die Männer durch den Türspalt anzustarren. Stattdessen wuchtete sie gewissermaßen als Wiedergutmachung für ihre früheren Versäumnisse die Säcke mit den Kartoffeln und den Zwiebeln zurück in die Vorratskammer, wo sie noch einmal überprüfte, ob die Deckel auf den großen Behältern für den Zucker und das Mehl auch wirklich fest saßen.
Cowboys! Sie fand sich selbst etwas lächerlich. Wenn man Kinofilmen Glauben schenkte, waren das Typen, für die man Spucknäpfe aufstellen musste und die in dreckigen Stiefeln herumtrampelten. Sie liebten die Weite und interessierten sich sonst nur für ihre Pferde, Countrymusic und Frauen in viel zu knappen Jeansröckchen.
Trotzdem hatte dieses Cowboy-Image etwas Reizvolles an sich. Echte Kerle, die nichts und niemanden fürchteten, die für ihre Ideale noch kämpfen konnten und für Fitnessclubs, Sportwagen und überhaupt das Stadtleben nur Verachtung übrighatten. Selbst Rachelle, die vernünftige, immer klar und nüchtern denkende Rachelle hatte sich für einen dieser harten Buschen entschieden. Für Jackson Moore, anerkanntermaßen der Bad Boy von Gold Creek. Der Junge, von dem alle glaubten, dass er Roy Fitzpatrick getötet hatte. Rachelle hatte zu Jackson gehalten, auch dann noch, als die ganze Stadt bereit war, ihn hängen zu sehen. Sie hatte ihm das Alibi verschafft, das er dringend brauchte, und sie hatte es weiter geschafft, in der Stadt zu leben und musste das Gerede über sich ertragen, weil sie zugegeben hatte, eine Nacht mit Jackson verbracht zu haben, wobei dieser sich einfach aus dem Staub gemacht hatte und Rachelle ihrem Schicksal überlassen hatte.
Und diese kurze Affäre war für alle Zeit an ihr und ihren Eltern haften geblieben.
„Ich werde nicht hier sitzen und zuschauen, wie du den gleichen Fehler begehst wie deine Schwester“, hatte Ellen Heather erklärt. „Dabei war sie doch immer die Vernünftigere von euch beiden! Du mit deinen wirren Fantasien und deinem Romantikfimmel – meine Güte! Aber du wirst es auch noch mal begreifen.“ Ellen machte ein ernstes Gesicht. „Nur sammle deine Erfahrungen möglichst nicht auf die harte Tour, so wie Rachelle es musste. Dieser Moore-Junge hat sie benutzt! Genau das war es. Er hat sich eine Nacht mit Rachelle vergnügt und ist abgehauen, als es brenzlig wurde und man ihn des Mordes anklagen wollte. Weg war er, und sie kann nun allein zusehen, wie sie ihn gegen all die Anwürfe verteidigt und nebenbei mit ihrem Liebeskummer zurechtkommt.“ Ellen schüttelte heftig den Kopf, sodass ihre braunen Locken hin und her flogen. „Hör auf mich, Heather! Liebe – das Einzige, was du davon hast, ist Kummer. Deinen Vater habe ich auch geliebt. Mein Gott, jeden Abend Punkt sechs stand das Essen auf dem Tisch. Und was ist passiert? Hm? Er ist ausgeflippt. Mit einem Mal musste es eine Jüngere sein.“ Ellens Miene verfinsterte sich. „Mach dir mit deinen Träumereien nichts vor, Heather! Du hast die Chance auf ein angenehmes Leben. Heirate Dennis.“
Heather runzelte die Stirn, als sie an diese Worte dachte. Sie schloss die Tür zur Vorratskammer und ging in ihr Zimmer, das sie sich mit den anderen Mädchen teilte. Dort legte sie ihre Schürze und ihre Dienstkleidung ab und streifte sich Shorts und ein T-Shirt über.
Ein paar Minuten später holte sie ihre Lieblingsstute Nutmeg von der Koppel, sattelte sie und ritt mit ihr den staubigen Pfad zwischen den Pinien hindurch. Ein Ausritt aufs Geratewohl. Und dass sie gerade diese Gegend gewählt hatte und Nutmeg immer weiter die Hügel des Vorgebirges hinauftrieb, hatte natürlich nichts mit dem einsamen Reiter zu tun, den sie gesehen hatte. Das jedenfalls redete sie sich ein. Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont. Heather fühlte sich wie befreit, und zum ersten Mal an diesem Tag mit sich selbst im Reinen. Mit wehenden blonden Haaren ritt sie dahin und summte im Takt von Nutmegs gleichmäßigem Hufschlag. Ringsherum war keine Menschenseele. Nur das Wiehern eines anderen Pferdes glaubte sie zu hören.
Schon wieder dieser einsame Reiter, den sie nicht aus dem Kopf kriegte. Jetzt hatte sie schon Halluzinationen!
Aufmunternd schnalzte Heather mit der Zunge, um die Stute anzutreiben, wobei sie dem Pfad folgte, der zum Fluss führte. Die Luft wurde spürbar frischer, was allerdings nicht bedeutete, dass das Summen der Insekten um sie herum abnahm. Am Fluss angekommen, stellte sie erfreut fest, dass sie einen natürlichen Teich entdeckt hatte, ein Wasserloch, in dem sich der Fluss staute, bevor er in einer scharfen Biegung Richtung auf die Berge nahm.
„Das hab ich mir verdient“, sagte sie halblaut zu Nutmeg, stieg ab und begann, ohne zu zögern und an das Pferd einen weiteren Gedanken zu verschwenden, sich auszuziehen, wobei sie ihre Sachen Stück für Stück einfach auf den Boden fallen ließ. Danach lief sie über den Felsvorsprung, der den Teich ein Stück überragte und sprang mit einem lauten Juchzer hinab ins kühle Nass.
Es war nicht nur kühl, es war eisig, als sie eintauchte, sodass es ihr den Atem verschlug. Der Fluss kam hoch aus den Bergen, und das Wasser fühlte sich an wie knapp über dem Gefrierpunkt. Heather machte es nach einem ersten, gewaltigen Schock nichts aus. Nachdem sie sich den ganzen Tag in der von den Herdfeuern aufgeheizten Küche abgeplagt hatte und die Sommerhitze draußen ihr Übriges tat, war das kalte Wasser die reinste Erholung. Ihre Lebensgeister erwachten wieder.
Nachdem sie aufgetaucht war, schwamm sie ans gegenüberliegende Ufer und merkte schon bei den ersten Schwimmzügen, mit denen sie das Wasser durchschnitt, wie die Anspannung allmählich aus ihrem Körper wich. Es begann schon dunkel zu werden, als sie einen weiteren Kopfsprung wagte. Sie tauchte hinab, bis sie mit den Fingerspitzen den felsigen Grund des Teichs berühren konnte, dann stieß sie sich ab und strebte rasch nach oben, wo sie, als sie aufgetaucht war, glücklich nach Luft schnappte. Sie warf ihr nasses Haar zurück. Kaum hatte sie wieder freie Sicht, stockte ihr vor Schreck der Atem. Denn sie war nicht allein.
Oben auf dem Felsvorsprung stand ein groß gewachsener Mann mit sonnengebräuntem Gesicht und markanten Zügen. Er trug schmutzige Jeans, ausgetretene Stiefel und ein aufgeknöpftes, kariertes Baumwollhemd, unter dem sich sein durchtrainierter Oberkörper abzeichnete. Aus blaugrauen Augen blickte er auf sie herab. Er mochte gut und gerne über einen Meter achtzig groß sein, und sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
Das musste der Mann sein, den sie am Nachmittag in der Ferne hatte reiten sehen. Dessen war sie sich sicher. Heather blieb das Herz fast stehen. Ihre ganzen Schwärmereien von dem einsamen Reiter zerstoben in einem einzigen Augenblick.
Sie kannte diesen Mann nicht, hatte keine Ahnung, wozu er imstande war. Er konnte ihr gefährlich werden, und so, wie er aussah, zweifelte sie nicht daran, dass er das auch wirklich war. Zwar war ihm eine gewisse Attraktivität nicht abzusprechen, besonders die goldblonden Strähnen in seinem braunen Haar sahen verdammt gut aus. Aber diese arrogante Haltung, in der er dastand – da war etwas an ihm, das nichts Gutes verhieß.
Am liebsten wäre Heather zum nächsten Felsbrocken gekrault, um sich dahinter zu verstecken, aber dafür war es natürlich längst zu spät. Er stand da, hielt in einer Hand einen großen graubraunen Wallach am Zügel, am Zeigefinger der anderen Hand hingen ihre Klamotten.
Heather war eingeschüchtert. Wie kritisch diese Situation für sie war, darüber wollte sie lieber nicht so genau nachdenken.
„Vermissen Sie etwas?“, fragte er in gedehntem Tonfall.
Sie biss sich auf die Lippen. Was sollte sie darauf antworten? Sie war ausgeliefert, splitterfasernackt, und wem sonst sollten die Sachen gehören? Wasser tretend und in der Hoffnung, dass er in der Abenddämmerung unter dem Wasserspiegel nicht allzu viel von ihr sah, entschied sie sich tapfer, zum Angriff überzugehen. „Legen Sie meine Sachen gefälligst wieder hin!“, rief sie hinauf, während sie ihre Shorts weiter an seinem Zeigefinger baumeln sah.
„Davon habe ich gar nicht gesprochen.“ Er warf Shorts, T-Shirt, Höschen und BH fast in Reichweite vor sie ans Ufer.
Gütiger Himmel! Jetzt fing er anscheinend an, ein Spielchen mit ihr zu spielen. Warum hatte sie nur auf der Farm niemandem gesagt, wohin sie ausreiten wollte? Sie kam sich unendlich dumm vor und hatte vor Angst einen dicken Kloß im Hals. Dann betrachtete sie ihr Gegenüber genauer. Er war ein Cowboy, ohne Frage. Er hatte seinen Stetson in den Nacken geschoben. Ein leicht verschwitzter, staubiger Rand zeigte an, wo die Krempe zuvor gesessen hatte. Auch seine Jeansjacke war staubig und wies wie seine engen Jeanshosen deutliche Gebrauchsspuren auf. Unter seinem offen stehenden Hemd entdeckte sie auf seiner sonnenverbrannten Haut eine feine Spur von dunklen Brusthaaren. Der Mann sah fantastisch aus, aber auch müde und schlecht gelaunt.
„Ich meinte Ihr Pferd“, erklärte er.
Heather blickte zum Waldrand, wo sie Nutmeg kurz zuvor zum Grasen zurückgelassen hatte. Aber von der Stute war nichts zu sehen. „Oh nein!“
Ein Anflug von Belustigung blitzte in seinen kalten Augen auf. „Die ist bestimmt bald wieder zurück im Stall. Tja, sieht so aus, als müssten Sie zu Fuß gehen. Oder Sie fragen mich artig, ob ich Sie mitnehme.“
Sie hielt sich nicht länger mit den Gedanken daran auf, wie gut er aussah, ja, wie ungeheuer attraktiv er auf eine gewisse ungehobelte Weise sogar war. Sie war viel zu beschäftigt damit, ihre Blößen zu bedecken. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich komme schon zurück“, erwiderte sie trotzig. Mit ihm zu reiten kam nicht infrage. Das würde sie nur in Schwierigkeiten bringen.
„Ach, tatsächlich?“, sagte er lang gezogen. Seine Stimme war rau wie Sandpapier.
„Ja, tatsächlich.“ Sie schielte nach dem kleinen Haufen mit ihren Sachen. Wenn es nur noch dunkler wäre! dachte sie.
„Wie heißen Sie?“
Jetzt kam es darauf auch nicht mehr an. Wenn sie ihn dadurch schneller loswurde, sollte er seine Antwort haben, damit sie endlich aus dem Wasser kam und sich anziehen konnte. „Heather.“
„Sie arbeiten in der Küche, nicht wahr?“, fragte er nach einer kurzen, nachdenklichen Pause.
„Ja, stimmt.“ Mit dieser Frage war klar, dass er zu den Männern gehören musste, um die die Mädchen in der Küche so viel Aufhebens gemacht hatten.
Der Cowboy sagte nichts darauf und schaute nur auf sie herab, sodass sie sich fragte, was für ein Bild sie für ihn wohl abgab. Blasse Umrisse unter der dunklen, bewegten Fläche, die strampelnden weißen Beine, mit denen sie sich über Wasser hielt, das nasse Haar, das ihr am Kopf klebte.
„Hören Sie zu“, sagte sie schließlich verlegen. „Ich möchte jetzt hier raus. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich dabei keine Zuschauer haben.“
Er verzog seinen Mund zu einem breiten Grinsen. „Und wenn es mir doch etwas ausmacht?“
Dieser verdammte Kerl! Sie tauchte einen Moment ab, kam mit dem Kopf wieder an die Oberfläche, spuckte eine kleine Wasserfontäne aus und sagte dann vorwurfsvoll: „Sie sind kein Gentleman.“
„Ja, und? Sie sind in meinen Augen auch keine Lady“, entgegnete er, und begann mit der rechten Stiefelspitze sich den linken Stiefel abzustreifen.
Heather war entsetzt. Er dachte doch wohl nicht im Ernst daran, hier ins Wasser zu hüpfen und ihr Gesellschaft zu leisten! Mit wachsender Panik sah sie zu, wie er sich seiner Stiefel und anschließend seiner Socken schon entledigt hatte. Jetzt war er dabei, einen Arm aus dem Ärmel seiner Jacke zu ziehen.
„Halt – stopp! Moment, warten Sie mal“, rief sie atemlos.
„Worauf soll ich warten?“
„Was immer es ist, was Sie jetzt gerade vorhaben …“
Er streifte sich die Jacke ab und zog sich das Hemd aus. Auf seinem mächtigen Oberkörper konnte Heather kein Gramm Fett entdecken. Nur eine feine Spur von dunkelblondem Haar, die die breite Brust hinab zwischen dem durchtrainierten Sixpack nach unten führte. Obwohl es immer dunkler wurde, war an seiner linken Schulter eine purpurne und grüne Verfärbung zu sehen, offenbar eine Prellung. „Ich kann Ihnen genau sagen, was ich vorhabe. Ich nehme jetzt ein Bad.“
„Aber Sie können doch nicht …“, protestierte sie verzweifelt, während das Hemd und die Jacke auf den Stiefeln und den Socken landeten.
„Warum nicht? Ich bade hier schon, seitdem ich zehn bin.“
„Aber jetzt bin ich hier und …“
„Sie stören mich nicht“, unterbrach er sie schief grinsend. Er ließ sich nicht aufhalten und öffnete den Gürtel. Plopp, plopp, plopp machten die Hosenknöpfe und die Jeans fielen ihm auf die Füße.
Heather wandte den Blick ab. Sie hatte nie zuvor einen nackten Mann gesehen, und gerade dieser sollte nicht der Erste sein.
„Außerdem sind Sie nicht die Erste, mit der ich hier schwimme, Mädchen.“
„Das ist ja äußerst tröstlich“, meinte sie spitz. „Und für Sie heiße ich nicht Mädchen.“
„Ach ja, mein Fehler! Sie sind ja eine Lady.“
Heather spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie war hier komplett fehl am Platz. Und doch lockte es sie, einen Blick aus den Augenwinkeln zu riskieren, und sie sah, wie er zu einem eleganten Kopfsprung ansetzte. Im Sprung erhaschte sie noch einen Blick auf etwas Weißes, seine Unterhose vermutlich, aber das war’s dann auch. So schnell, wie er im Wasser war, war sie draußen und raffte ihre Kleidungsstücke zusammen.
Gütiger Himmel, wie hatte sie in diese Bredouille kommen können? Erst träumte sie von diesem Typen mit offenen Augen, im nächsten Augenblick stand er vor ihr, machte sich über sie lustig, provozierte sie mit seinem Grinsen und spielte überhaupt allerhand gefährliche Spielchen mit ihr.
Sie war noch triefend nass, als sie mit klammen Fingern die Sachen überstreifte, wobei sie sich nicht erst mit ihrem Slip oder dem BH aufhielt. Die Kleider klebten ihr am Körper. Egal. Das Einzige, was sie interessierte, war, so schnell wie möglich so viel wie möglich von sich zu bedecken. Zitternd und unter Herzklopfen bekam sie just in dem Augenblick, da sie hörte, wie der Cowboy prustend aus den Fluten wieder auftauchte, den Reißverschluss ihrer Shorts zugezogen.
Bloß weg hier! Sie wandte sich gerade zum Gehen, da rief er ihr hinterher: „Du willst schon weg, Darling? Ich habe dich doch nicht verscheucht, oder?“
Dieses elende Scheusal! Er hielt das wohl immer noch für ein Spiel. Sie versuchte, die Provokation in seinen Worten zu überhören. „Ich war sowieso fertig.“
„Na klar“, spottete er.
„Allerdings“, beharrte sie. Aber was spielte das jetzt für eine Rolle. Sieh zu, dass du wegkommst, Heather!
„Ich habe wirklich kein Problem mit Ihnen.“
„Wie schön. Aber ich habe eines … Sie rauben mir den letzten Nerv!“
Er ließ ein Lachen ertönen, dass dunkel aus tiefster Kehle kam. „Ich nehme das mal als Kompliment.“
„Wenn Sie das unbedingt brauchen.“ Sie wusste selbst nicht, was sie ritt. Einerseits ängstigte sie dieser Kerl fast zu Tode, andererseits faszinierte er sie. Er mochte tatsächlich nicht älter als Mitte zwanzig sein, aber er hatte eine so trockene, abgeklärte Art wie ein alter Mann.
„Sie sollten Ihre Zunge hüten“, meinte er. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er näher geschwommen kam. Dabei behielt er den Kopf über Wasser, um sie keine Sekunden aus den Augen zu lassen. „Sie bringen sich sonst noch mal in große Schwierigkeiten.“
„Besten Dank für die Warnung.“
„Ist mir ein Vergnügen.“ Wieder kam dieses tiefe, polternde Lachen. Er hatte den Rand des Teichs erreicht und lehnte die Arme auf die Felsplatte, während er sich zufrieden im Wasser ausstreckte. Kräftige, muskelöse Arme, von denen sie die Blicke gar nicht losreißen konnte. Er hatte etwas an sich, das ihr unter die Haut ging, das ihr seit seinem Auftauchen zusetzte wie eine Stechfliege, die unter der Satteldecke gefangen ist, fortwährend einem Pferd zusetzt. Es irritierte sie maßlos. Aber obwohl sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, konnte sie doch nicht einfach davonlaufen und ihm damit das Gefühl geben, dass er sie hatte in die Flucht schlagen können, nur weil sie sich schämte, dass er sie nackt gesehen hatte.
Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen! Rachegelüste regten sich in ihr. Die Frage war nur, ob sie auch bereit war, dafür den Preis zu bezahlen. Er gehörte zu den Leuten, die auf der Ranch arbeiteten. Wenn sie ihn jetzt ärgerte, könnte er ihr das Leben die nächsten zwei Monate zur Hölle machen. Aber es war das Risiko wert. „Ich habe das nicht mitbekommen“, sagte Heather. „Wie war gleich Ihr Name?“
„Ich habe Ihnen meinen Namen gar nicht genannt.“ Er sah ihr in die Augen, und ihr stockte unwillkürlich der Atem. „Turner Brooks“, antwortete er dann.
Also war er nicht nur bloß irgendein Cowboy. Turner Brooks war der Neffe des Mannes, dem Lazy K gehörte. Für gewöhnlich tingelte er von einem Rodeo zum nächsten durch die Staaten. Ein Mann mit Vergangenheit, nach den Brocken zu urteilen, die Heather aufgeschnappt hatte, irgendetwas von seinem Vater und einer Frau – oder einer Geliebten. Es gab jede Menge Gerüchte. Angeblich hatte er in den vergangenen Jahren überall gebrochene Herzen hinterlassen, und angeblich gab es bei jedem Rodeo mindestens eine Frau, die ihn sehnsüchtig erwartete.
„Was führt Sie auf die Ranch zurück?“, erkundigte sich Heather.
„Ich will zwischen den Rodeos ein bisschen arbeiten“, erklärte er.
„Wieso? Sind Sie nicht gut genug, um von den Preisgeldern zu leben?“ Ein spöttischer Unterton klang in ihrer Frage mit, aber das schien ihm nichts auszumachen. Stattdessen wieder dieses verdammt freche Grinsen. Mir erzählst du nichts Neues, Mädchen, schien es zu sagen und brachte sie jedes Mal leicht aus der Fassung.
„Ich bin gut“, sagte er und musterte sie von oben bis unten mit einem Blick, der bei ihr ein nervöses Kribbeln in allen Gliedern verursachte. „Ich bin sehr gut.“
Sie musste trocken schlucken.
„Ich bin zurückgekommen, um ein wenig auszuhelfen, und auch, um mir ein bisschen was dazuzuverdienen. Hatte vor einer Weile eine Schulterverletzung, die mich etwas ausgebremst hat. Deshalb muss ich die nächste Zeit kürzertreten.“ Immer noch starrte er sie unverwandt an. Im Grunde fühlte sie sich unter seinen Blicken genauso nackt wie vorhin im Wasser. Jetzt war sie zwar halbwegs angezogen, wusste aber, dass sie, nachdem er sie vorhin gesehen hatte, nichts mehr vor ihm zu verbergen hatte. Er hatte sich auf ihre Kosten amüsiert. Es war Zeit, den Spieß umzudrehen.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Haufen, auf dem er seine Sachen abgelegt hatte. Aber als ahnte er, was in ihrem Kopf vor sich ging, schnalzte er mit der Zunge. „Denken Sie nicht einmal daran! Sie bekommen sonst größeren Ärger, als Sie sich vorstellen können.“
Sie biss sich auf die Unterlippe. Nein, ihm die Jeans wegzunehmen, war dann doch zu kindisch und außerdem nicht Strafe genug. Überdies würde er sie rasch eingeholt haben. Aber nicht, wenn sie ihm das Pferd nahm. Gab es eine schimpflichere Schmach für einen Cowboy, sich ausgerechnet von einer Frau seinen bestgehüteten Schatz, das Pferd, stehlen zu lassen? Sie hatte den Gedanken noch nicht ganz beendet, da griff sie schon nach den Zügeln des Wallachs.
„Auch das würde ich nicht tun, wenn ich Sie wäre“, warnte er sie. „Sampson mag keine Leute, die er nicht kennt.“
„Dann werde ich mich ihm doch besser einmal vorstellen“, meinte sie schadenfroh. Sie ließ sich von ihm nicht ins Bockshorn jagen. Sie schwang sich in den Sattel und trieb das Pferd an, wobei sie die Zügel fest anzog. Das mächtige Tier ließ seine Muskeln spielen, wendete auf der Hinterhand und setzte sich in Bewegung. In einem atemberaubenden Tempo durchquerte er das freie Gelände. Heather klammerte sich an der Mähne fest und beugte sich tief hinunter, als Sampson mit weit ausgreifenden Schritten auf den Wald zusteuerte. Die Bäume huschten an ihr vorüber. Heathers Herz schlug wie wild, und sie flehte zum Himmel, dass der Wallach nicht strauchelte, denn hier zwischen den Bäumen war es schummrig und der Weg war uneben. Gleichzeitig stellte sie sich den entsetzten Blick und das wutverzerrte Gesicht des Mannes hinter ihr vor, und in ihr erwachte ein Gefühl des Triumphes, weil sie ihm eins ausgewischt hatte, wenn es auch riskant war. Denn das würde der Cowboy ihr nie verzeihen.
Sie blickte über die Schulter hinter sich. Halbwegs erwartete sie, ihn nass und nackt und barfuß hinter sich zu sehen, wie ein Wilder tobend und schreiend. Aber nichts dergleichen. Turner dachte offenbar gar nicht daran, die Verfolgung aufzunehmen oder herumzubrüllen, und das beunruhigte sie. Dieser Mann war anscheinend nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.
Ein lauter, tiefer Pfiff drang zu ihr und ließ sie erschauern. Der Wallach blieb mit einem Ruck stehen, sodass sie fast unfreiwillig über seinen Kopf hinweg abgestiegen wäre. „Los, komm! Weiter“, sagte sie mit leiser Stimme und versuchte ihn anzutreiben.
Ein weiterer Pfiff ertönte. Schnaubend wendete Sampson auf der Stelle um hundertachtzig Grad. Wieder hatte Heather Mühe, sich im Sattel zu halten. Der Wallach ging los, so sehr sie auch die Zügel anzog. Das Rodeopferd hatte seinen eigenen Willen. Heather konnte protestieren, so viel sie wollte. Im leichten Galopp ging es zurück zum Fluss und zurück zu Turner, der sich wahrscheinlich schon die fürchterlichsten Vergeltungsmaßnahmen ausgedacht hatte. Sie konnte nichts weiter tun, als es buchstäblich auf sich zukommen zu lassen. „Du blöde Schindmähre“, murmelte sie vor sich hin und zerrte weiter an den Zügeln. Aber der Wallach hatte die Kandare zwischen den Zähnen und ließ sich nicht einmal aus dem Tritt bringen.
Verdammt, verdammt und noch mal verdammt! Was nun? Der Wald lag hinter ihr, und vor ihr rauschten die dunklen Wasser des Flusses. Turner, der nur seine Jeans und die Stiefel trug, saß mit steinerner Miene, aber vor Zorn funkelnden Augen auf einem Felsblock. Ein paar Wassertropfen glänzten noch in seinem Haar oder liefen ihm seitlich am Gesicht herunter.
„Netter Versuch“, höhnte er.
„Ach, Sie sind ein Scheusal!“
„Wenn ich nicht gerade ein Gentleman bin, bin ich gern mal ein Scheusal“, meinte er und erhob sich.
Er ging zu seinem Pferd, und plötzlich, ehe Heather die Gelegenheit hatte, abzusteigen, hatte er sich mit einem Satz hinter ihr in den Sattel geschwungen, sodass sie halbwegs bei ihm auf dem Schoß saß.
„Hey! Moment mal!“, protestierte sie.
„Wenigstens bin ich kein Pferdedieb.“ Er nahm ihr die Zügel ab, die sie widerstrebend aus der Hand gab, und gab Sampson mit einem Schnalzen ein Zeichen. Sie lag halbwegs in seinen Armen und spürte seinen heißen Atem durch ihr noch feuchtes Haar hindurch. Himmel, wo war sie da nur hineingeraten!
Ihr Herz pochte so heftig, dass sie meinte, er müsse es auch hören können. In ihrem Rücken, an dem ihr nasses T-Shirt klebte, spürte sie seine stahlharten Muskeln, unverrückbar wie eine Wand. Rechts und links umklammerten sie seine Beine, Schenkel an Schenkel. Aber das Schlimmste war der delikate Druck, den sie an ihrem Po fühlte, wo er im Rhythmus von Sampsons Hufschlag gegen sie stieß. In einer Hand hielt er die Zügel, die andere hatte er ihr auf den Bauch gelegt, sodass sein Daumen fast die Unterseite ihrer Brüste streifte.
„Ich gehe lieber zu Fuß“, versuchte sie es zaghaft noch einmal.
„Kommt nicht infrage.“
„Dann laufen Sie.“
„Sampson kommt locker mit uns beiden klar.“
Aber ich komme mit dir nicht klar, dachte sie, entschied sich für dieses Mal aber, ihre vorlauten Bemerkungen für sich zu behalten. Sie hatte ohnehin genug damit zu tun, auszublenden, dass sie seine warme Haut durch ihr T-Shirt hindurch auf dem Rücken fühlte, dass sie seinen Geruch, eine Mischung aus Moschus und Tannenadeln, in der Nase hatte, und zu ignorieren, wie das Wiegen in diesem leichten Galopp sie stimulierte. Sie spürte seinen Atem im Nacken, und eine Gänsehaut nach der anderen überlief sie. Es war einfach zu viel auf einmal.
Schweigend ritten sie fort. Nur Sampsons regelmäßiger Hufschlag, das Rauschen des Bachs, das sich allmählich hinter ihnen verlor, und ein paar Geräusche aus ihrer nächtlichen Umgebung begleiteten sie – hier das Zirpen einer Grille, da mal der Flügelschlag einer aufgescheuchten Fledermaus. Heather nahm kaum etwas davon wahr. Zu wild pochte ihr das Herz. Wie kann man nur so dumm sein! schalt sie sich selbst. Mit diesem Mann allein zu sein, war schon gefährlich. Wie konnte man ihn dann noch reizen, indem man auf so lächerliche Weise versuchte, ihn zu übertölpeln?
„Hören Sie, ich kann jetzt wirklich zu Fuß gehen“, begann sie wieder, drehte sich halb zu ihm um und sah aus den Augenwinkeln, wie er die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst hatte.
„Und ich soll mir dann vorwerfen lassen, ich wäre kein Gentleman? Nein, bestimmt nicht“, antwortete er und gab sich keine Mühe, seinen Spott zu verbergen.
Heather wollte noch widersprechen, da hatte Sampson den Wald hinter sich gelassen und über ein paar ausgedörrte Felder hinweg war schon die Ranch zu sehen. Die grelle Parkplatzbeleuchtung tauchte die Scheunen und Ställe in ein unwirkliches weiß-blaues Licht. Das Haupthaus selbst, das mit seinen zwei Stockwerken aus mächtigen Zedernstämmen gebaut war, lag im Nachtdunkel wie die sanften Hügel des Weidelands ringsum auch. Nur die Fenster erschienen als helle, von einem warmen Licht erfüllte Flecken. Als sie näher kamen, konnte man sehen, dass die Terrassentüren weit geöffnet waren. Auf der hinteren Veranda übten einige Paare den Texas-Twostep zu einem bekannten Countrysong von Ricky Skaggs. Einige Takte davon wehten bis zu ihnen herüber.
Die tanzenden Paare lachten und amüsierten sich. Aber trotz dieser anheimelnden Szenerie wünschte Heather sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als an irgendeinem anderen Ort auf der Welt zu sein. Vor allem nicht hier im Sattel mit diesem Mann. Wie hatte sie auf die Idee kommen können, ausgerechnet in Turner Brooks einen romantischen Lonesome Cowboy zu sehen?
Sie sah und hörte, wie einige der Tiere sich regten, als sie an den Koppeln vorbeiritten. Auch ein paar von den Rancharbeitern konnte sie ausmachen. Sie hatten es sich am Weidezaun bequem gemacht und die Füße in ihren Stiefeln auf die untere Querstange hochgelegt. Die Glut ihrer Zigaretten glomm in der Dunkelheit, und Heather nahm einen schwachen Tabakduft wahr, der sich in den Geruch des trockenen Staubs mischte.
Turner lenkte sein Pferd in den Innenhof. Einige der Cowboys, die am Sattelplatz herumlungerten, fanden den Anblick der Ankömmlinge anscheinend sehr unterhaltsam.
Na toll! Das war es gerade, was sie brauchte – dass sie als Turners neueste Eroberung gebrandmarkt war. Dabei musste sie zugeben, dass sie beide, sie und Turner, bestimmt ein bemerkenswertes Bild abgaben: eng aneinandergeschmiegt, beide nur halb bekleidet und immer noch triefend nass.
Heather wartete nicht ab, bis Sampson ganz zum Stehen gekommen war, sondern schwang vorher das eine Bein über den Nacken des Wallachs und landete etwas unsicher mit den Füßen auf der Erde. Ohne ein Wort zu verlieren, wandte sie sich dem Hintereingang des Hauses zu und war schon unterwegs dorthin, als Turner ihr hinterherrief: „Wie wär’s mit einem Dankeschön?“
Sie blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Danke wofür?“ Sie sah ihm trotzig ins Gesicht. „Dafür, dass Sie mich gedemütigt haben? Dass Sie mich beim Baden wie ein Spanner angeglotzt haben? Dass Sie mich genötigt haben, mit Ihnen zurückzureiten?“
„Nun bilden Sie sich mal nichts darauf ein“, entgegnete er gelassen.
„Ach, fahren Sie doch zur Hölle!“
„Da war ich schon, kleine Lady“, erwiderte er so aufreizend lächelnd, dass sie noch mehr aus der Fassung gebracht wurde.
Schweigend drehte sie sich endgültig um und eilte, ohne sich noch einmal umzusehen, die Stufen der Veranda hinauf zur Küche, wobei sie versuchte, dieses Lachen zu überhören, das sie verfolgte wie ein Geruch, den man nicht aus der Nase bekam.
Kaum hatte sie die Küche betreten, als Mazie von ihren Kochbüchern, die sich auf ihrem kleinen Tisch am Fenster stapelten, aufsah und fragte: „Schwierigkeiten?“
„Äh … nein.“
„Dein Pferd ist allein zurückgekommen. So etwas hat Zeke nicht so gern, und er hat sich ziemliche Sorgen um dich gemacht. Er war sogar drauf und dran, eine Suchexpedition nach dir loszuschicken. Du solltest besser mit ihm reden.“