Fledermäuse - Phantastische Geschichten - Gustav Meyrink - E-Book

Fledermäuse - Phantastische Geschichten E-Book

Gustav Meyrink

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Beschreibung

Die Kurzgeschichtensammlung erschien vor etwa 100 Jahren zum ersten Mal. Diese Sammlung enthält 9 Kurzgeschichten des berühmten Autors. Vor allem sein "Golem" hat es zu einer Weltberühmtheit geschafft. Er fing mit Kurzgeschichten an, um später zu den Romanen zu wechseln.

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Seitenzahl: 77

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Herausgeber

Erik Schreiber

Gustav Meyrink

Fledermäuse

Phantastische Geschichten

Arcanum Fantasy Verlag

e-book 213

Mystische Schriften 10

Gustav Meyrink - Fledermäuse - Phantastische Geschichten

Erstveröffentlichung:

Erste Auflage 01.12.2023

© Saphir im Stahl Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.arcanum-fantasy-verlag.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Vertrieb: neobooks

Inhaltsverzeichnis

Das dicke Wasser

Die Urne von St. Gingolph

Das ganze Sein ist flammend Leid

Das Automobil

Blamol

Bocksäure

Das Fieber

Der violette Tod

Biographie

Das dicke Wasser

Im Ruderklub „Clia“ herrschte brausender Jubel. Rudi, genannt der Sulzfisch, der zweite „Bug“, hatte sich überreden lassen und sein Mitwirken zugesagt. -- Nun war der „Achter“ komplett. -- Gott sei Dank.

Und Pepi Staudacher, der berühmte Steuermann, hielt eine schwungvolle Rede über das Geheimnis des englischen Schlages und toastierte auf den blauen Donaustrand und den alten Stefansturm (duliö, duliö). Dann schritt er feierlich von einem Ruderer zum andern, jedem das Trainingsehrenwort -- vorerst das kleine -- abzunehmen.

Was da alles verboten wurde, es war zum Staunen! Staudacher, für den als Steuermann all dies keinerlei Geltung hatte, wusste es auswendig: „Erstens nicht rauchen, zweitens nicht trinken, drittens keinen Kaffee, viertens keinen Pfeffer, fünftens kein Salz, sechstens -- -- siebentens -- -- -- achtens -- -- --, und vor allem keine Liebe -- hören Sie -- keine Liebe! -- weder praktische noch theoretische -- -- -- --!“

Die anwesenden Klubjungfrauen sanken um einen halben Kopf zusammen, weil sie die Beine ausstrecken mussten, um ihren Freundinnen vis-à-vis bedeutungsvolle Fußtritte unter dem Tisch zu versetzen. Der schöne Rudi schwellte die Heldenbrust und stieß drei schwere Seufzer aus, die anderen schrien wild nach Bier, der kommenden schrecklichen Tage gedenkend.

„Eine Stunde noch, meine Herren, heute ausnahmsweise, dann ins Bett, und von morgen an schläft die Mannschaft im Bootshause.“

„Mhm“, brummte bestätigend der Schlagmann, trank aus und ging. „Ja, ja, der nimmt's ernst“, sagten alle bewundernd.

Spät in der Nacht traf ihn die heimkehrende Mannschaft zwar Arm in Arm mit einer auffallend gekleideten Dame in der Bretzelgasse, aber es konnte ja gerade so gut seine Schwester sein. -- Wer kann denn in der Dunkelheit eine anständige Dame von einer Infektioneuse unterscheiden!

Der „Achter“ kam dahergesaust, die Rollsitze schnarchten, die schweren Ruderschläge dröhnten über das grüne, klare Wasser.

„Jetzt kommt der Endspurt, da schauen S', da schauen S'!“

„Eins, zwei, drei, vier, fünf -- -- -- -- -- -- aha -- ein Vierundvierziger!“

Staudachers Kommandogeheul ertönte: „Achtung, stopp. Achter, Sechster: zum Streichen! Einser, Dreier: fort. -- Ha--alt!“

Die Mannschaft stieg aus, keuchend, schweißbedeckt.

„Da schauen S' den Nummer drei, die Pratzen! Wie junge Reisetaschen, was? Überhaupt die Steuerbordseiten is gut beisamm'. -- Der beste Mann im Boot ist halt doch Nummer sieben. -- Ja, ja unser Siebener. Gelt, Wastl, ha, ha.“

„No, und die Haxen von Nummer acht san gar nix, was?“

„Wissen S', wievüll mür heut g'fahren san, Herr von Borgenheld?“ wandte sich Sebastian Kurzweil, der zweite Schlagmann, an den Vizeobmann, der verständnislos dem Herausheben des vierzehn Meter langen, einem Haifisch gleichenden Achtriemers zusah.

„Dreimal“, riet der Vizeobmann.

„Wievüll, sag' ich“, brüllte Kurzweil.

„Fünfmal“, stotterte erschreckt Herr von Borgenheld.

„Himmelsakra!“ -- der Ruderer schüttelte den Arm.

„Er meint: -- wie lang,“ warf ein Junior ein, der schüchtern dabei stand und einen schmutzigen Fetzen in der Hand hielt.

„Ach so! -- Fünf Kilometer!“

Die Mannschaft machte Miene, sich auf Herrn von Borgenheld zu stürzen. Sie hätten ihn zerrissen, da rief sie eine Serie rätselhafter Kommandos wieder an das Boot: „Mann an Rigger -- aufff -- auf mich (prschsch -- da lief das Wasser aus dem umgewendeten Boot) -- schwen--ken -- fort!“

Und acht rot-weiß und spärlich bekleidete Gestalten, ohne Strümpfe und mit phantastischem Schuhwerk hantierten an dem Boot herum und schleppten es mit tiefem Ernst in den Schuppen.

„No, raten Sie jetzt!“ und der Steuermann schwenkte eine silberne Taschenuhr an einem roten Strick hin und her. „Also wie viel?“ -- der Vizeobmann aber mochte nicht mehr. Staudacher zündete sich eine Virginia an, denn ein echter Steuermann muss gewissenhaft alles tun, was gesundheitsschädlich ist, um leichter zu werden.

„Also raten Sie, Herr Dr. Hecht!“

„Füglich -- äh -- füglich -- soll man die Zeit geheim halten,“ näselte dieser fachgewandt und zwinkerte nervös mit den Augenlidern.

„No, dann schauen Sie selbst“, sagte Staudacher. Alle beugten sich vor.

„5 Minuten 32 Sekunden“, kreischte der Junior und schwenkte den schmutzigen Fetzen über dem Kopf.

„Jawohl 5: 32! -- Wissen Sie, was das heißt, meine Herren, 5: 32 für 2000 Meter -- stehendes Wasser, ich bitte!“

„Fünfi zwoadreiß'g, fünfi zwoadreiß'g,“ brüllte Kurzweil, der jetzt splitternackt auf der Terrasse des Bootshauses stand, wie ein Stier herunter.

Eine wilde Begeisterung ergriff alle Mitglieder.

5: 32!!

Sogar der Obmann Schön machte einen dicken Hals und meinte, dass man selbst seinerzeit in Zürich, im Seeklub, keine bessere Zeit gefahren sei.

„Jawohl 5: 32! Und kennen Sie auch den Hamburger Rekord im Training?“ fuhr Staudacher fort. -- -- „6 Minuten 2 Sekunden!! Bei Windstille -- -- mir hat es ein Freund telegraphiert. -- -- 6: 2! -- -- -- und wissen Sie auch, was 30 Sekunden Differenz sind? 11 Längen -- klare Längen -- jawohl!“

„Sie, Ihre Zeit kann absolut nich stimm',“ wandte sich ein Berliner Ruderer, der als Gast zugegen war, an Staudacher, „sehen Se mal, der englische Professionalrekord is 5: 55, da wären Sie ja um 23 Sekunden besser. Nu, hören Se mal! -- Überhaupt die Wiener Zeiten sind verflucht verdächtig, -- vielleicht jehen Ihre Stoppuhren falsch!“

„Schauen S', dass S' weiter kommen, Sö -- fünfifünfafufz'g Sö, -- setzen S' ös in d'Lotterie dö fünfifünfafufz'g. Haben S' überhaupt an Idee -- bereits -- -- was mür Weana für a Kraft hab'n,“ höhnte Kurzweil von der Terrasse, dann hob er die Arme und brüllte, wie weiland Ares im Trojanischen Krieg, dass es durch die Erlenwäldchen an den Ufern des Donaukanals gellte.

„Hören Se doch nu endlich mit dem Jebrülle auf -- Sie da oben -- oder wollen Se vielleicht 'n dreibänd'jes Buch über planloses Jeschrei herausjeben!“ rief der Berliner ärgerlich.

„Pst, pst -- nur keinen Streit,“ besänftigte Staudacher. -- „Übrigens, meine Herren, -- ich nehme heute schon die Glückwünsche zu unserem künftigen großen Siege in Hamburg entgegen. -- Meine Herren, auf diesen Sieg --, meine Herren -- hip -- hip -- --“

Die harmonischen Töne einer Drehorgel schnitten ihm die Worte ab -- einen Augenblick Totenstille, dann rhythmisches Trampeln im Ankleideraum der Mannschaft und alle stimmten begeistert mit ein in das Lied:

„Dös is wos für 'n Weana,

Für a wean'risches Bluat,

Wos a wean'rischer Walzer

An 'm Weana all's tuat.“

Der Ausschuss des Klubs war auf dem Bahnhof versammelt und wartete auf die aus Hamburg heimkehrende Mannschaft in größter Erregung, denn in den Morgenblättern war ein schreckliches Telegramm abgedruckt gewesen:

„Hamburg -- Achterrennen um den Staatspreis. Resultate: Favorit

Hammonia, Hamburg -- erste: 6 Min. 2 Sek.; Ruderklub „Clia“,

Wien -- letzte: 6 Min. 32 Sek.

Interessantes Rennen zwischen Favorit Hammonia, Hamburg und Berliner Ruderklub. Wien unter acht Booten achtes, kam nie ernstlich in Betracht. Die Arbeit der Österreicher saft- und kraftlos und auffallend marionettenhaft.“

„Sehen Se wohl, was hab ich jesagt,“ höhnte der Berliner, der schon eine Stunde auf dem Perron wartete, „jerade ne janze Minute schlechtere Zeit als anjeblich hier im Training.“

„Ja, es ist schrecklich fatal,“ lispelte der Obmann, „und wir haben schon gestern Einladungen zum Siegesfest verschickt und das Bootshaus beflaggt und mit Reisig geschmückt.“

„Es muss rein etwas passiert sein“, meinte zögernd ein alter Herr -- dann schrien plötzlich alle durcheinander: „Der Nummer zwei is schuld -- -- der Sulzfisch, der zieht ja nicht einmal das Gewicht seiner Kappe -- der ganze Kerl ist schwabberig wie Hektographenmasse.“

„Was denn Nummer zwei! Die ganze Backbordseite ist keinen Schuss Pulver wert.“

„Überhaupt der Einsatz fehlt. Catch the water! -- verstehen Sie mich, -- verstehen Sie Englisch? Catch the water. Schauen Sie her, so! catch, catch, catch!“

„Meine Herren, meine Herren, was nutzt das alles: catch, catch, catch, wenn man Swivels hat, wie wollen Sie da einsetzen. Hab' ich nicht immer gesagt: feste Dollen, was, Herr von Schwamm? -- Ja, feste Dollen, haha, zu meiner Zeit: rum -- bum -- rum -- bum --“

„Hätt' alles nicht g'schadt, aber natürlich knapp vorm Training bei der Nacht mit Weibern rumlaufen, daran liegt's. Haben S' damals unsern Stroke g'segn in der Bretzelgass'n? Wissen S', wer die Frauensperson war? Die blonde Sportmirzl, wann Sö's no nöt kenna!“

Ein gellender Pfiff. Der Zug fährt ein.

Aus verschiedenen Coupés steigen die „Clianesen“ aus. Ärgerliche Gesichter, müde, abgespannte Mienen: -- -- -- „Träger! Träger! -- Himmelsakra, sind denn keine Träger da!“

„Erzählt's doch, was ist denn g'schehn? Letzte, immer letzte?“

„Der Sulzfisch“, murmelt Kurzweil ingrimmig.

Der schöne Rudi hat es gehört und tritt mit geschwellter Heldenbrust an ihn heran: „Mein Herr, ich bin Reserveleutnant im Artillerieregiment Nr. 23, verstehen Sie mich?“ Und er zwinkert mit entzündeten Lidern, und sein Gesicht ist klebrig und rußgeschwärzt, als ob er auf einem Stempelkissen geschlafen hätte.

„Ruhe, meine Herren, Ruhe!“ Staudacher ist es, der eine Flasche in der Hand hält.

„Erzählen, Staudacher, erzählen!“ -- Alles umdrängt ihn. Der kleine Steuermann hebt die Flasche in die Höhe, „Hier ist des Rätsels Lösung, -- wissen Sie, was da drin ist? -- Alsterwasser, Hamburger Alsterwasser!