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Ein Roman über Football, Cheerleading und neue Wege. Für Leser:innen von Nicole Alfa und Rebekka Weiler Für das Cheerleading-Team des Coulden College wird es aufregend: Zur Vorbereitung auf ein wichtiges Turnier geht es in ein Trainingscamp in Florida. Doch Grace hat ganz andere Probleme. Während sie versucht, darüber hinwegzukommen, dass ihr Schwarm, der Footballstar Finn, nun mit ihrer Freundin Liv zusammen ist, lässt sie sich auf eine Nacht mit ihrem besten Freund Jaydon ein. Dieser gesteht ihr daraufhin seine Gefühle. Grace war doch unsterblich in Finn verliebt – nur was ist dann dieses Kribbeln, das sie bei Jaydon empfindet? Aber egal, wie sie sich entscheidet, ob für Freundschaft oder für Liebe, wenn er herausfindet, was sie verbirgt, wird sie ihn verlieren. Oder? »Football, Cheerleading und ein Chaos der Gefühle werden hier abwechslungsreich gemixt und ich gebe gern eine Leseempfehlung!« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Wow. Ich war gefesselt, gefangen und konnte nicht aufhören. Diese Spannung, diese Emotionen und diese Gedanken, waren einfach grandios.« ((Leserstimme auf Netgalley))
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© Piper Verlag GmbH, München 2022
Redaktion: Mira Manger
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Cover & Impressum
Widmung
Prolog
Kapitel 1 – Grace Collin
Kapitel 2 – Grace Collin
Kapitel 3 – Grace Collin
Kapitel 4 – Jaydon Carter
Kapitel 5 – Grace Collin
Kapitel 6 – Grace Collin
Kapitel 7 – Jaydon Carter
Kapitel 8 – Grace Collin
Kapitel 9 – Jaydon Carter
Kapitel 10 – Grace Collin
Kapitel 11 – Jaydon Carter
Kapitel 12 – Grace Collin
Kapitel 13 – Jaydon Carter
Kapitel 14 – Grace Collin
Kapitel 15 – Grace Collin
Kapitel 16 – Jaydon Carter
Kapitel 17 – Grace Collin
Kapitel 18 – Jaydon Carter/Grace Collin
Kapitel 19 – Grace Collin
Kapitel 20 – Grace Collin
Kapitel 21 – Jaydon Carter/Grace Collin
Kapitel 22 – Grace Collin
Kapitel 23 – Jaydon Carter
Kapitel 24 – Grace Collin
Kapitel 25 – Grace Collin
Epilog
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für alle, die Angst haben, einen neuen Weg einzuschlagen.
Habt Vertrauen in euch. Ihr schafft das.
Das hier ist eine Geschichte über verlorene Träume.
Denn muss wirklich jeder Traum in Erfüllung gehen, damit man glücklich ist? Ist nicht gerade der Weg dorthin das, was uns erfüllen sollte – unabhängig vom Erreichen unserer Ziele?
Vor zehn Jahren
»Bleibt nicht zu lange draußen, hört ihr? Ihr seid zurück, bevor es dunkel wird!« Die Stimme meiner Mutter verklang hinter meinem Rücken und vermengte sich mit meinem Kichern.
»Wetten, ich bin schneller an der alten Eiche als du?« Jay warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und schenkte mir ein übermütiges Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf, während mein Herz Purzelbäume schlug. »Das hättest du wohl gern. Ich bin viel schneller als du!«
Obwohl er etwas älter war als ich, überragte ich meinen besten Freund um einen ganzen Kopf. Meine Beine waren einfach viel länger als seine, meine Statur wesentlich zierlicher, und beides nutzte ich jetzt zu meinem Vorteil.
Der Wind blies meine langen roten Haare zurück und kaum dass wir die Wiese hinter dem Haus meiner Eltern überquert hatten, peitschten mir tiefhängende Äste ins Gesicht. Einzelne Locken kitzelten meine Wangen. Doch ich dachte nicht daran, auch nur einen Moment innezuhalten oder zurückzusehen. Ganz egal, wie sehr das Blut in meinen Adern pulsierte und mein Herz mit meinen Gedanken um die Wette raste.
Ich würde dieses Rennen gewinnen. Da hatte Jay die Rechnung ohne mich gemacht. Seinen winzigen Vorsprung hatte ich längst aufgeholt und so trugen meine Beine mich rasch den Hügel am Rand der Stadt hinauf. Schon von Weitem waren die Äste der alten Eiche zu sehen. Der Baum war auf einem Vorsprung gewachsen und streckte seine Zweige der Sonne entgegen.
Einige der Äste wuchsen so weit unten, als wollte der Baum förmlich dazu einladen, sich in seinen gewaltigen Astgabeln niederzulassen, dem Himmel ein Stück näher zu kommen und einen unglaublichen Ausblick auf meine Heimat zu werfen.
»Ich bin schneller als du«, rief da plötzlich jemand neben mir und stolperte an mir vorbei. Überrascht stieß ich die Luft aus. Das ließ ich mir nicht bieten. Jaydon hatte doch glatt aufgeholt und mir war es nicht aufgefallen.
Uns trennte mittlerweile lediglich eine Wiese von unserem erklärten Ziel. Ich bildete mir ein, nur noch den Arm nach der Rinde ausstrecken zu müssen. Den Sieg würde ich mir nicht nehmen lassen, wo er schon zum Greifen nahe war.
Mit jedem Schritt zog sich mein Brustkorb schmerzhaft zusammen und alles in mir rebellierte bereits, aber ich würde Jay nicht gewinnen lassen. Auf gar keinen Fall. Ich kniff die Augen zusammen und kämpfte mich vorwärts. Erst als meine Finger die raue Rinde des Baumes berührten, traute ich mich, wieder zu blinzeln. So konnte ich gerade noch erkennen, wie Jay keine fünf Sekunden nach mir den Stamm berührte.
»Erste«, verkündete ich und strahlte ihn an. Dabei rang ich atemlos nach Luft.
Keuchend ließen wir uns nebeneinander unter der Eiche ins Gras fallen. »Das nächste Mal gewinne ich«, meldete sich Jay zu Wort.
»Niemals, ich werde immer gewinnen«, widersprach ich triumphierend. Ich sah ihn an und entdeckte die Bauchtasche, die er bei sich trug. Die braunen Lederbänder hatte er eng um seinen Oberkörper gebunden, sodass sie nicht störte und nur den Bewegungen seines Körpers folgte. Das helle T-Shirt klebte ihm an der Brust. »Du hast sie also wirklich dabei«, stellte ich fest und wurde ernst, als ich auf seine Tasche deutete.
Er nickte. »Natürlich. Wir haben doch gesagt, dass wir sie heute vergraben – unsere Herzenswünsche.«
Auch wenn wir es abgesprochen hatten, so erfasste mich nun doch ein Kribbeln bei dem Gedanken, dass wir sie hier wir verstecken würden. Wir hatten entschieden, unsere Träume am Fuß unseres Baumes zu begraben, damit niemand sie uns nehmen konnte und wir immer einen Ort hatten, an den wir zurückkehren konnten, wenn wir unsere Ziele aus den Augen verloren. Etwas, das uns daran erinnerte, wonach wir strebten und das uns Kraft gab, wenn wir sie vielleicht einmal nicht hatten. Ich bewunderte den dicken Stamm des Baumes jedes Mal wieder und auch als ich mich nun zu der Eiche umwandte und meine Finger erneut über die Rinde glitten, erfasste mich Ehrfurcht. Wie alt der Baum wohl war? Was er alles schon erlebt hatte und wie tief die Wurzeln wohl unter uns in die Erde reichten?
»Hast du deinen Zettel dabei?«, hakte Jay nach, woraufhin ich die Hand sinken ließ.
Ich nickte und betrachtete die kleine weiße Schachtel, die wir auf dem Dachboden seiner Eltern gefunden hatten. »Du auch?«
»Na klar«, erwiderte er und hielt sie mir hin. »Ich habe meinen Zettel schon hineingetan. Jetzt fehlt nur noch deiner.«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und holte den Zettel aus meiner Hosentasche hervor. Nachdenklich betrachtete ich das gefaltete Stück Papier. Schlagartig packten mich doch Zweifel. Hatte ich auch den richtigen Wunsch aufgeschrieben? Was, wenn ich ihn vielleicht einmal ändern wollte?
Ich schüttelte innerlich über mich selbst den Kopf. Wie viele Nächte ich wachgelegen und gegrübelt hatte, um sicherzugehen, dass ich das Richtige auf dem Zettel festhielt. Ohne länger zu zögern, warf ich den Wunsch zu dem von Jay in die Schachtel. Sie war gerade so groß, dass unsere Zettel hineinpassten. Mein bester Freund verschloss sogleich den Deckel und kniete sich mit unseren Wünschen zwischen die Wurzeln. Dort, wo der Sandboden in Rasen überging, begann er, mit seinen Händen eine Kuhle zu schaufeln.
Ich hockte mich ihm gegenüber und half beim Buddeln. Dabei packte mich das Gefühl, dass das Loch im Boden nie tief genug sein konnte, um unsere Träume sicher zu verwahren. Aber ich wusste, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Dass wir nun ein Geheimnis teilten, das uns miteinander verband. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf meine Lippen und spornte mich an, eine besonders tiefe Grube zu graben.
»Das müsste reichen«, sagte Jay irgendwann und legte die Schachtel vor uns in das Loch hinein. »Was meinst du?«
Ich sah auf und wischte meine mit Erde beschmierten Hände an meiner Hose ab. Dann stimmte ich zu, indem ich meinen Kopf wiegte. Schweigend betrachtete ich, wie er daraufhin unser Geheimnis auf ewig vor aller Augen versteckte.
»Meinst du, sie wird auch sicher keiner finden?«, fragte ich, was ich schon hunderte Male hatte wissen wollen – im Stillen und von Jay.
»Nein, wer sollte denn unter unserem Baum auf die Idee kommen, nach einer Schachtel zu suchen? Es wird sie niemand entdecken und wegnehmen.« Er beachtete mich nicht, war ganz auf seine Aufgabe konzentriert. »Wir haben einen guten Platz ausgewählt.«
Dass er so überzeugt davon war, ließ mein Herz warm werden. Stille breitete sich zwischen uns aus. Vollkommen erfüllt, beobachtete ich Jay, lauschte dem Wind, dem Rascheln der Blätter über unseren Köpfen und meinem klopfenden Herzen. Es kam mir fast vor, als würde die Eiche mit uns reden und uns das leise Versprechen geben, gut auf unsere Geheimnisse gut achten. Als würde der Baum uns Mut zusprechen und uns verraten, dass wir es schaffen konnten, dass wir unsere Ziele erreichen würden – wenn wir nur daran glaubten. Und in dem Moment fasste ich den Entschluss, nie meinen Kampfgeist zu verlieren. Ich würde immer stark sein und nicht aufgeben.
Ob es Jay ähnlich ging? Ob auch er gerade daran dachte, wie er seinen Traum erfüllte und wie sich das wohl anfühlte? Ob er sich auch gerade ausmalte, wann wir das Ziel auf unseren Zetteln in die Realität umsetzten und es nicht mehr nur feine Linien auf Papier sein würden, sondern Gefühle, Bilder, Erinnerungen?
»Was hast du auf deinen Zettel geschrieben?«, wollte ich von ihm wissen, weil ich meine Neugier plötzlich nicht länger bändigen konnte.
Jay ließ sich nicht davon abbringen, die Schachtel weiter unter der frischen Erde zu verstecken. Allerdings zuckte er kaum merklich zusammen, was mir zeigte, dass ich ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. Erwischt. Röte schlich sich auf seine Wangen. Seine Antwort war jedoch bestimmt. »Wenn ich es dir verrate, ist es ja kein Geheimnis mehr.«
»Ich dachte, es sollten unsere Geheimnisse sein. Nur von uns beiden.« Ich richtete mich auf, verschränkte die Arme vor der Brust. »Was wir uns von der Zukunft erhoffen. Na los, sag schon, was hast du dir gewünscht?«
Als die Schachtel zu unseren Füßen bedeckt war und nur die dunkler gefärbte Erde verriet, dass dort etwas vergraben war, ließ Jay sich daneben auf den Boden fallen und legte sich flach auf den Rücken.
»Leg dich zu mir, Gray, dann erzähle ich es dir vielleicht.« Er schloss die Augen und sein Mundwinkel wanderte geheimnisvoll in die Höhe, sodass sich ein zartes Grübchen in seiner Wange bildete. Die Arme hatte er unter seinem Kopf verschränkt.
Ich gab mich geschlagen, auch wenn mich meine Neugier ganz unruhig machte und ich lieber durch den halben Wald gelaufen wäre, um das Kribbeln aus meinem Körper fortzujagen, als mich neben ihn zu legen. »Also?«
»Du lässt nicht locker, was?« Er drehte den Kopf zu mir, blinzelte und kniff wieder ein Auge zu.
»Du kennst mich doch«, entgegnete ich und grinste breit. Obwohl ich mich so selbstsicher gab, wollte ich keine weitere Sekunde auf seine Aufklärung warten. Geduld war einfach nicht meine Stärke und nichts hasste ich mehr als Geheimnisse, die ich nicht kannte.
»Schön, ich habe geschrieben …« Er stockte. »Du darfst nicht lachen, versprochen?«
Nun musste ich doch kichern. »Versprochen! Ich lache nicht.«
Er nickte langsam, wie um sich abzusichern. »Gut. Ich habe geschrieben, dass ich mir wünsche, ein großartiger Football-Spieler zu werden.«
Obwohl mich die Antwort überraschte, zog ich nur einen Mundwinkel in die Höhe. Mit einer Hand strich ich mir die roten Haare aus dem Gesicht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Jaydon. Ein Footballer. In Gedanken sah ich eine Gruppe großer Männer, die in Trainingsklamotten über den grünen Rasen in einem Stadion liefen. Ich stellte mir vor, wie er wohl in ein paar Jahren aussehen würde und wie sein Gesicht unter einem der Helme hervorguckte.
Ja, ich konnte ihn mir als Footballer vorstellen, auch wenn ich nie zuvor daran gedacht hatte. Wie war er nur darauf gekommen, ohne dass ich davon erfahren hatte? Wie konnte das sein größter Wunsch sein, wo er mir noch nie davon erzählt hatte?
»Und wovon träumst du, wenn du groß bist?« Seine braunen Augen bohrten sich mit einem neugierigen Funkeln in die meinen und rissen mich damit aus meinen Gedanken.
Ich sah hinauf in die Baumkrone über unseren Köpfen, ließ den Blick über die Astgabeln in den Himmel schweifen, der sich dahinter zeigte, und atmete tief durch, beobachtete die Wolken, die wie Watte am blauen Himmel hingen. Dabei schlug mein Herz laut in meiner Brust und ließ meine Gedanken ganz leise werden. Doch eine Sache blieb greifbar in meinem Kopf zurück. Mein Traum. Mein Ziel.
»Ich werde Cheerleaderin. Eine, an die man sich erinnert.«
29. Dezember, 05:24 Uhr
Diese eine Nacht
Ich konnte nicht mehr. Was hatte ich nur getan? Es war so falsch. Fühlte sich verkehrt an, und doch war da dieses Kribbeln, wenn ich daran zurückdachte.
Die Bilder aus dem Albtraum vernebelten noch immer meine Gedanken. Aus dem Albtraum, der meine Wirklichkeit war und mich nun seit einigen Tagen verfolgte. Mein Schlafanzug klebte an meinem Körper wie eine zweite Haut, während mein Atem nur stoßweise hervorkam. Alles um mich herum drehte sich. Und dann kam die Übelkeit.
Mit klopfendem Herzen sprang ich auf und rannte aus dem Zimmer. Gerade noch rechtzeitig fiel ich vor der Toilette auf die Knie, als sich mein Magen zusammenzog. Hitze durchströmte mich, während kalte Schauer mich zum Frösteln brachten. Weitere Krämpfe schüttelten meine Glieder. Als ich mich schließlich wieder aufrecht hinsetzen konnte, klammerte ich mich mit zittrigen Fingern an den Rand der Toilettenschüssel.
Das war sicher nur die Aufregung. Nur die Aufregung. Nichts weiter. Es war einfach alles zu viel. Das mit ihm war zu viel. Das hätte nie passieren dürfen. Und das mit Liv und Finn. Und das anstehende Camp.
Ich glaubte, mein Herz müsste aus meiner Brust springen, während der Druck auf meinem Brustkorb zunahm und ich versuchte, mir eher das Gegenteil weiszumachen. Als würde mein eigener Körper mich umbringen wollen und mein Herz zwischen meinen Rippen zerquetschen.
Ich legte eine Hand auf meine Brust, schloss die Augen und holte tief Luft. Alles würde gut werden. Ganz sicher. Es musste gut werden.
Ich wollte die Beste sein. Und nun hatte ich die Chance dazu. Wenn Finn mich schon nicht beachtet hatte, wenn Liv mich im Stich ließ, dann musste ich ihnen eben umso mehr beweisen, dass sie sich in mir getäuscht hatten. Im Camp hatte ich die Möglichkeit, über mich hinauszuwachsen, hatte die einmalige Gelegenheit, mehr aus dem zu machen, was mich erfüllte und kam meinem Traum ein Stück näher.
Nur weil mein Körper nicht mit der aufkeimenden Aufregung und dem Chaos um mich herum klarkam, würde ich nicht aufgeben. Ich konnte das. Ich durfte mich nicht ablenken lassen und auf gar keinen Fall aufgeben. Was geschehen war, musste ich vergessen. Es zählte nur, was jetzt auf mich zukam, und ich würde alles geben.
09. Dezember, 09:24 Uhr (Jetzt)
Weihnachten oder Wenn Männer mit Bärten Zipfelmützen tragen
»Aaaah! Ich liebe diese Tradition an unserem College!«, quiekte Cassy aufgeregt und wirbelte zu uns beiden herum, kaum dass sie die Türen zur Eingangshalle aufgestoßen hatte. Dabei fuhr sie sich durch ihre kurzen schwarzen Haare.
Sofort erstarrte ich neben ihr und betrachtete die festlich geschmückte Halle, in der überall Girlanden aus künstlichen Tannenzweigen um die Treppengeländer gewickelt waren, die sich zu beiden Seiten der Halle ins obere Stockwerk hinaufwanden. Bunte Kugeln und Lichter nahmen den kompletten Eingangsbereich des Coulden Colleges ein.
Tatsächlich war in der vergangenen Woche auch die Rockpflicht für uns Mädchen am College gefallen, damit war die Wintersaison eröffnet. Nun durften wir statt des karierten oder dunklen Rocks eine schwarze lange Jeans anziehen. Dennoch hatte ich mich dafür entschieden, einfach eine Strumpfhose unter meinem grauen Rock zu tragen, und einen karierten Pullover über die weiße Bluse gezogen. Genau wie Cassy.
»Wow«, murmelte Liv, legte den Kopf in den Nacken und blieb neben uns stehen. »Die fangen jedes Jahr früher an zu schmücken, was?«
»Ganz richtig, Darling!« Cassy grinste wie ein Kleinkind bis über beide Ohren. »Sie wollen einfach sichergehen, dass wir bis Weihnachten auch wirklich alle in Weihnachtsstimmung sind.«
Ich konnte ein Schnauben nicht unterdrücken, wodurch ich einen bösen Blick von Cassy erntete. An diese College-Tradition würde ich mich wohl nie gewöhnen und obgleich ich mich immer wieder auf diese Jahreszeit freute, zog sich mein Brustkorb schmerzlich bei dem Gedanken daran zusammen, dass es nun schon so weit war. Denn ich war noch nicht bereit für die Weihnachtszeit, die besinnlichen Stunden mit der Familie, den Trubel und die Suche nach Weihnachtsgeschenken, die damit einhergingen.
»Kann man irgendwo einen Antrag stellen, dass die Weihnachten dieses Jahr später feiern? Wir haben doch gerade erst den Herbst verabschiedet.« Es wunderte mich, dass Liv und ich ausgerechnet in dem Punkt einer Meinung waren, denn in ihrer Stimme war der Sarkasmus kaum zu überhören.
»Du kannst ja dein Glück versuchen und Santa Claus persönlich einen Brief schicken«, erwiderte Cassy und verdrehte die Augen.
»Vielleicht mache ich das, nur um zu sehen, was mir die lieben Angestellten von der Post antworten. So eine Bitte zwischen den Kinderbriefen fällt gewiss auf und für einen Artikel für die College-Zeitung reicht das bestimmt als Schlagzeile zum Schmunzeln.« Liv deutete an, sich das gleich in ihrem Notizbuch zu notieren, und griff bereits in ihren Jutebeutel, den sie wie so oft über der Schulter bei sich trug.
Doch in dem Moment wurde ihre und auch meine volle Aufmerksamkeit in den hinteren Teil der Eingangshalle gelenkt. Einige Männer versuchten, dort den diesjährigen Weihnachtsbaum aufzustellen, aber es war nicht das, was mich erstaunte. Plötzliches Kreischen und Gekicher ließen mich die Augenbrauen zusammenziehen. Ich wechselte einen irritierten Blick mit Liv, die nicht weniger ahnungslos mit den Schultern zuckte.
»Ich glaube, wir haben das Wichtigste vergessen«, meinte Cassy und verschränkte die Arme vor der Brust. »Verteilen nicht heute die Footballer unseres Colleges-Teams den ganzen Tag über Socken gefüllt mit Süßigkeiten?« Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als drei Jungs zwischen den anderen Studenten in unserem Blickfeld auftauchten. Sofort zog sich meine Brust abermals zusammen und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Finn, Jaydon und Alex standen dort mit knallroten Zipfelmützen, umringt von einer Horde Mädchen, die sie erfolglos abzuwimmeln versuchten. Durch ihre College-Uniform – den langen dunkeln Hosen und den weißen Hemden – stachen die knallroten Mützen umso mehr ins Auge.
Als Finn den Kopf hob, entdeckte er uns sofort. Das konnte selbst ich über die Entfernung seinem sich schlagartig aufhellendem Gesicht entnehmen. Ein Stich ging durch meinen Magen. Mich hatte er nie auch nur annähernd so beachtet. Nicht einmal meinen Namen hatte er gewusst, und ich hatte alles dafür getan, um diesem Mann aufzufallen. Nur damit er nun seine ganze Aufmerksamkeit auf die Freundin an meiner Seite richtete. Beinahe glaubte ich, er würde nur noch Liv in all dem Durcheinander aus Studenten sehen.
Aber um die Flucht zu ergreifen, war es zu spät. Die Ausrede, ich müsste ausgerechnet jetzt wohin verschwinden, würden mir weder Liv noch Cassie ernsthaft abnehmen. Innerlich verfluchte ich mich. Dann also Augen zu und durch.
Das nahm ich wörtlich und riss erschrocken die Lider auf, als zwei Hände mich an der Taille packten und in die Luft rissen. Da waren sie wieder, diese braunen warmen Augen, die mir stets Sicherheit gaben, wenn sich meine Welt auf den Kopf stellte.
»Jay!«, beschwerte ich mich lachend. Doch sein Name kam mir nicht annähernd so unbeschwert über die Lippen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Mein bester Freund zeigte seine weißen Zähne und drehte sich mit mir im Kreis, bevor er mich wieder neben meinen Freunden auf den Boden absetzte. Dabei strich er mit seinen Fingern über die Haut, die unter meinem bauchfreien Shirt zum Vorschein kam, und Gänsehaut kroch mir über die Arme. Zum Glück hatte ich noch eine Jeansjacke an, damit Jay das nicht sah. Was machte er nur?
»Guten Morgen«, begrüßte er mich und drückte mich noch einmal an sich. Als ich einen Schritt zurück machte, um Abstand zwischen uns zu bringen, warf ich einen flüchtigen Blick zur Seite. Sofort drangen das Kichern und das aufgeregte Kreischen in der Halle nur noch gedämpft zu mir durch. Finn beugte sich gerade herunter, um Liv zur Begrüßung einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Sie hatte ihre Hände in seinen Nacken gelegt und fuhr mit den Fingern über den Ansatz seiner braunen Haare. Dabei wippte ihr blonder Pferdeschwanz hin und her. Sie hatten nur Augen füreinander. Für Liv und Finn gab es ausschließlich sie beide. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich blinzelte, um das Brennen in meinen Augen zu verdrängen.
Wie sehr ich mir wünschte, mich für die beiden freuen zu können. Wie sehr ich hoffte, ich könnte diese bescheuerte Eifersucht unter Kontrolle bekommen. Dabei fehlte mir die Luft zum Atmen und mein Brustkorb fühlte sich an, als würden lauter kleine Nadeln darin stecken.
Frustriert ballte ich meine Hände zu Fäusten und betete inständig, dass niemandem auffiel, wie sehr mich der Anblick von Liv und Finn jedes Mal wieder mitnahm. Wie sie mir vorführten, was ich mir so lange Zeit erhofft und was Liv nun erreicht hatte.
»Grace? Ist doch so, oder?« Cassy stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite und ich rang mir ein Lächeln ab, obgleich ich keinen blassen Schimmer hatte, wovon sie gerade geredet hatten. Als sie das bemerkte, half sie mir auf die Sprünge. »Das anstehende Trainingscamp rückt unglaublich schnell näher. Kaum zu glauben, dass uns nur noch die Weihnachtsferien davon trennen.«
Eifrig nickte ich und warf einen flüchtigen Blick zu Jay. Meinem besten Freund traten Falten auf die Stirn, während er sich mit einer Hand durch seine zerzausten blonden Haare strich, die Weihnachtsmütze wieder aufsetzte und mich musterte.
»Ja, das ging jetzt wirklich schnell. Weißt du inzwischen schon, ob du mitkommen kannst?«, wandte ich mich an Cassy. Nach allem, was vorgefallen war, genügte die Vorstellung, allein mit Liv in das Camp zu fahren, um mir Bauchschmerzen zu bereiten. All die Zeit, die ich mit ihr und Finn dort verbringen würde und ihnen dabei zusehen musste, wie sie glücklich zusammen waren, während ich die Bilder nicht loswurde. Zu oft hatte ich mir ausgemalt, wie Finn mich so in den Arm nahm oder wie sich seine Lippen wohl auf meinen anfühlten.
»Ich bin noch im Gespräch mit der College-Leitung«, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern. Die Leichtigkeit, die dabei in ihrer Stimme mitschwang, schenkte mir Hoffnung. »Mein Vater hat ein gutes Wort eingelegt, dass ich Liv bei ihrer Arbeit für die College-Zeitung unterstützen sollte. Es braucht schließlich jemanden, der sich mit den geschneiderten neuen Uniformen für das Cheerleading-Team sowie die der Footballer auskennt.«
Das tiefe Lachen, das daraufhin erklang, ließ mein Herz stocken. Ich sah zu Jay. Als sich unsere Blicke trafen, verstummte er und zog einen Mundwinkel in die Höhe. Doch lautes Gekicher lenkte seine Augen weg von mir und in den hinteren Teil der Halle zurück, wo er mit Finn und Alex hergekommen war.
»Ey, Jungs«, wandte er sich dann an die anderen beiden und fügte mit einem leichten Kopfnicken in Richtung einer Gruppe weiterer Mädchen hinzu: »Wir sollten uns noch bis zu Beginn der ersten Vorlesungen in die Fachschaftsräume zurückziehen.«
Finn stieß ein Schnauben aus. Dabei hielt er noch immer Liv im Arm, die ihm gerade mal bis zur Schulter reichte. »Gute Idee.« Daraufhin drehte er seine Freundin an der Taille zu sich herum. »Wir sehen uns später. Ich weiß, in welchem Kurs ich dich finde, und vielleicht habe ich ja sogar eine Überraschung für dich.«
Ihre Augen leuchteten, bis sie die Lider schloss und Finns Abschiedskuss erwiderte. Hastig drehte ich meinen Kopf weg und räusperte mich. »Nun gut, euch viel Spaß«, sagte ich mit einem Augenzwinkern zu Jay und deutete auf die restlichen Kommilitoninnen, die es anscheinend kaum erwarten konnten, den Footballern die Schokoladenweihnachtsmänner abzunehmen. Aber wenn man mich fragte, sahen sie eher aus, als würden sie die Footballer und nicht die Schokolade vernaschen wollen.
»Danke!« Jay knuffte mich in die Seite. »Halt durch und lass dir all den Süßkram nicht zu Kopf steigen.«
Unwillkürlich löste sich die Regenwolke über mir auf und damit auch meine Gedanken an Liv mit Finn. Jay kannte mich einfach zu gut und wusste, was ich von dieser Tradition am Coulden College hielt. Mit der Schokolade konnte ich vor allem jetzt rein gar nichts anfangen. Eine wichtige Meisterschaft stand an und da durfte ich mir unnötige Kalorien nicht erlauben.
***
Die Zeit schien stillzustehen. Immer wieder wanderte mein Blick während der Vorlesung auf die Uhr, die neben dem Professor an der Wand hing, und betete inständig, die Zeiger würden sich schneller bewegen.
Die Stimme des Profs wurde eins mit dem Rauschen in meinem Kopf und statt einen Gedanken an Sinus-Milieus zu verschwenden, ging ich bereits die Abläufe der neuen Choreografie durch. Alles in mir kribbelte vor Aufregung, wenn ich an das bevorstehende Training am Nachmittag dachte. An die ersten Durchgänge, wenn sich unsere Trainerinnen Lucie und Anne genau ansahen, wer besonders sicher war und eventuell Solo-Parts übernehmen konnte.
»Ho, ho, ho!«
Ich zuckte zusammen, als die rauen Stimmen über die des Professors hinweg erklangen und drei nur allzu bekannte Männer mit roten Zipfelmützen den Hörsaal betraten.
»Die kommen ja wie gerufen«, kommentierte Cassy und legte ihren Stift beiseite, den sie vermutlich komplett aufgegessen hätte, wäre die Vorlesung nicht unterbrochen worden. Zumindest war der hintere Teil ihres Kugelschreibers mit Bissspuren gekennzeichnet.
»Das kannst du laut sagen«, murrte Liv, aber ihre Mimik hatte sich augenblicklich aufgehellt, kaum dass Finn vor die Studenten getreten war. »Affiliate, Inbound, Buzz Links, das ist doch alles dasselbe.«
Bei ihren Worten musste ich schmunzeln. Unser Professor wäre entsetzt, wenn er sie hören könnte. Doch im aufkeimenden Trubel, dem Gekreische und aufgeregten Gemurmel des Kurses kamen vermutlich alle einzelnen Sätze in einem riesigen Stimmengewirr bei unserem Professor an. Dieser rückte sich gerade die Brille auf seiner Nase zurecht und raufte sich die nur noch spärlich vorhandenen Haare. »Aber beeilen Sie sich, ja? Wir befinden uns in einer wichtigen Diskussion und die Zeit läuft davon.«
Die Zeit lief davon? Wohl eher nicht. Was würde ich nicht alles dafür tun, dass der Tag sich dem Ende neigte. Zu gern hätte ich den wirklich aufregenden Teil bereits erreicht und sah mich bereits in Trainingsklamotten in der Sporthalle.
Ich beobachtete, wie die drei Jungs eine Reihe nach der anderen abgingen und Socken mit Schokoladenweihnachtsmänner an die Anwesenden verteilten. Als ausgerechnet Finn in unserer Reihe ankam, versteifte ich mich und versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Es gelang mir nicht, ihn anzusehen, ohne dass sich alles in mir verkrampfte. Ob sich das je ändern würde?
»Jetzt schau nicht wie drei Tage Regenwetter«, tadelte Cassy mich. »Honey! Du bekommst gerade Schokolade!«, rief sie entzückt aus, nachdem Finn Socken mit kleinen Weihnachtsmännern aus dem schwarzen College-Jutebeutel vor uns auf den Tisch legte.
»Tu dir keinen Zwang an, die kannst du gern haben«, meinte ich und hielt ihr die Schokolade hin, dabei konzentrierte ich mich auf das Zettelchaos, das auf meinem Tisch herrschte, um bloß kein weiteres Mal zu Finn und Liv zu schauen. Ich ertrug es einfach nicht und erwischte mich doch immer wieder dabei, wie ich mir vorstellte, ich wäre an ihrer Stelle.
»Sehen wir uns heute Abend?«, wollte Finn in dem Moment von ihr wissen.
»Ja, klar«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Liv zurück.
Das konnte unmöglich ihr Ernst sein.
Sofort verkrampfte ich mich und mein Kopf schnellte zu Cassy herum. Waren wir nicht seit Wochen für den heutigen Abend verabredet gewesen? Ich wartete noch, bis Finn verschwunden war und wir Mädels wieder allein in der Reihe zurückblieben. Dann konnte ich mich keine Sekunde länger zurückhalten. »Was ist mit unserem Treffen?«, entfuhr es mir. Liv wandte sich überrascht um und öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, doch ich kam ihr zuvor. »Wir haben uns ewig auf diesen Tag gefreut und sonst bist es doch ausgerechnet du, die so sehr an ihrem Terminplan hängt. Und jetzt versetzt du uns?« Ich schüttelte den Kopf und ballte meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten, während mir Hitze den Hals hinaufkroch. All die Anspannung, die sich über den Tag in mir aufgebaut hatte, konnte ich nun nicht länger unterdrücken.
»Oh …« Liv schaute hilfesuchend zu Cassy. »Ich … das tut mir leid. Ich kann das mit Finn klären und verschieben. Wieso hast du nicht gleich etwas gesagt? Ich hab das ehrlich komplett vergessen.« Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dennoch explodierte ich innerlich.
»Mach dir keinen Kopf. Wir können unseren Filmabend auch um eine Woche verschieben. Die Weihnachtszeit ist ja glücklicherweise nicht gleich wieder vorbei und geht noch etwas länger.« Cassy versuchte, die Spannung aus der Luft zu nehmen.
Obwohl ich mir wünschte, so gelassen reagieren zu können wie sie, hielt sich mein Verständnis langsam in Grenzen. Ich konnte mich nicht mehr zusammenreißen. Seit Liv Finn kennengelernt hatte, gab es gefühlt nur noch ihn. Finn hier, Finn da. Und dass sie uns nun auch noch wegen ihm vernachlässigte, ging mir entschieden zu weit und setzte meiner Eifersucht die Krone auf. Wie oft hatte sie mich deshalb kritisiert, dass ich von nichts anderem gesprochen hatte als Finn, und nun war sie selbst nicht besser. Nun war sie es, die uns sogar vergaß.
Ja, ich hatte Mist gebaut und ich verstand, dass sie mir nicht einfach vergeben konnte, als wenn nichts gewesen wäre. Ich war so wütend gewesen. Sie hatte gewusst, was ich für Finn empfand, und ich verstand nicht, wie sie immer hatte vorgeben können, dass sie ihn lächerlich fand. Wie sie sich über ihn und mich hatte lustig machen können, mich mit Cassy zusammen aufgezogen hatte, und schließlich eines Tages aufgetaucht war, um zu verkünden, dass das zwischen ihr und Finn etwas Ernstes war.
Ich sah es genau vor mir, wie wir im Café gesessen und sie mir erklärt hatte, keine Kontrolle über ihre Gefühle zu haben und bis dato tatsächlich nichts für Finn empfunden hätte. Ich verfluchte Finn dafür, dass er es gewesen war, der mich am Abend zuvor von der Party nach Hause begleitet hatte, während Liv ihn hatte stehen lassen. Ich verfluchte ihn, weil er so freundlich und hilfsbereit war und ohne jeglichen Hintergedanken eine Cheerleaderin nach einer Feier sicher durch die Nacht gebracht hatte.
Und ich hatte es ihnen gedankt, indem ich sie hatte bloßstellen wollen. Nichts entschuldigte, was ich getan hatte. Dass ich ein Foto von den beiden an die Presse gegeben hatte, um ihnen eins auszuwischen. Nichts entschuldigte mein eifersüchtiges Handeln, aber noch immer brodelte es in mir und meine Augen brannten. Ich musste nur daran denken, wie meine ehemals beste Freundin sich ausgerechnet den Kerl krallte, in den ich mich Hals über Kopf verliebt hatte. Dass ihr meine Gefühle komplett egal gewesen waren.
»Ist das wirklich in Ordnung für euch, wenn wir das auf kommende Woche verschieben?«, hakte Liv unsicher nach, wobei ihre Stimme ganz leise wurde. Damit durchbrach sie mein Gedankenchaos zumindest kurz.
Am liebsten wäre ich aufgestanden und aus dem Raum gelaufen oder hätte sie angeschrien, dass das ganz und gar nicht okay war und ebendieser Abend mein Wochenhighlight hätte werden sollen. Wir hätten alle bei Cassy übernachtet und wären am Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück zum Lernen in die Bibliothek gefahren. Darauf hatte ich mich so gefreut und nun lastete die Enttäuschung schwer auf meiner Brust. Nichts war in Ordnung, und in dem Moment zweifelte ich daran, dass es das jemals wieder zwischen uns sein würde. Dafür tat es mir zu sehr weh, was in den letzten Wochen passiert war, und dafür hatte ich Liv vermutlich zu sehr verletzt, um diese Wunde in unserer Freundschaft zu heilen. Eine Narbe wäre das Mindeste, das blieb.
»Klar«, meinte Cassy sofort, woraufhin Livs Blick sich in meine Augen bohrte. Sie strich sich unsicher über den blonden Pferdeschwanz und legte ihre Hände schließlich auf ihrer schwarzen Jeans in den Schoß.
Ich bemühte mich, den Frust hinunterzuschlucken und nicht daran zu denken, was alles unausgesprochen zwischen uns stand. Denn trotz unserer Aussprache gab es eben Dinge, die sich nicht in Worte fassen ließen. Vielleicht konnte ich ihr deutlich machen, dass mir unsere Freundschaft nicht egal war und wie leid mir tat, was ich getan hatte, wenn ich nun Verständnis zeigte. »Ja«, log ich. »Ist okay.«
Wenn sie auch wenig von meinen Worten überzeugt zu sein schien, nickte sie. Ich wusste nicht, was ich ihr übler nahm: Dass sie das Treffen heute Abend vergessen hatte oder dass sie schon wieder ohne Rücksicht auf meine Gefühle handelte.
Während ich Livs Blick noch auf mir spürte, starrte ich auf den leeren Collegeblock, der vor mir auf dem Tisch lag. Jetzt wünschte ich mir erst recht, die Vorlesung wäre schon lange vorbei und die Footballer hätten uns nicht unnötige Zeit geraubt, was die Stunde noch mehr in die Länge zog.
Als die Jungs in Richtung Tür verschwanden, atmete ich erleichtert aus. Da landete plötzlich ein weiterer Schokoladenweihnachtsmann vor mir. Ich zuckte zusammen und blickte hoch.
Jay. Seine braunen Augen blitzen mich belustigt an, während seine Haare ihm in die Stirn hingen. Er zwinkerte mir zu und flüsterte: »Go for it, und vergiss dein Lächeln nicht.« Dann folgte er den anderen beiden aus dem Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Als ich hinunterschaute, erkannte ich neben dem Weihnachtsmann einen Zettel und mein Puls schoss in die Höhe. Irritiert faltete ich das Stück Papier auseinander und blickte einem Grinse-Smiley aus Kugelschreiberstrichen entgegen. Daneben stand in krakeliger Handschrift: Just smile, girl. You’ll rock it.
09. Dezember, 15:12 Uhr
Das Training der Trainings, die ersten Tryouts
Ich konnte die Treppen zur Trainingshalle kaum schnell genug hinunterlaufen. Mit jeder Stufe, die ich nahm, machte auch mein Herz einen Sprung. Eigentlich war ich immer voller Vorfreude auf das Training, freute mich, die Energie aus meinem Körper zu locken und das Beste aus mir herauszuholen. Nirgendwo sonst konnte ich so gut abschalten wie beim Cheerleading – einfach den Kopf frei bekommen und für einige Stunden die Welt ausblenden.
Aber heute war das etwas anderes. Die nächsten Wochen wäre es anders. Intensiver. Es war dann mehr als nur eine Leidenschaft. Es war mehr als Schweiß und harte Arbeit. Die Tryouts standen an – die Auswahl der Mädchen von uns, die Solo-Parts im Wettkampf-Team erhalten würden. Und das bedeutete, wir waren nicht länger eine große Familie, wir waren für einige Wochen auch größte Konkurrentinnen, denn nicht alle von uns würden es mit einem Solo auf die Matte schaffen.
Ich würde mich davon jedoch nicht unterkriegen lassen. Wie oft hatte ich schon bei anderen, entscheidenden Turnieren ein Solo erhalten? Dass ich in den letzten Wochen zur Star-Leaderin angehoben worden war, bestärkte mich bloß darin, dass ich es schaffen konnte. Dass das Potenzial in mir schlummerte, das ich brauchte, um ausgewählt zu werden. Wieder und wieder.
Und meine Eltern hatten mich dabei unterstützt. Wettkampf um Wettkampf, jedes Training – egal, wo dieses stattgefunden hatte. Sie waren mit mir dort hingefahren, und doch hatte ich mich vielleicht gerade deswegen unter Druck gesetzt gefühlt, auch eine entsprechende Leistung abzuliefern. Nicht nur, weil es mein Wunsch gewesen war, sondern weil ich mich verpflichtet gefühlt hatte, ihnen etwas zurückzugeben. Wie konnte ich es ihnen besser danken, als wenn ich bei den UCA College Nationals einen Solo-Part zeigen durfte? Wie konnte ich Finn, Liv und Cassy und vor allem mir selbst zeigen, dass ich es draufhatte und dieser Sport nicht nur meine Leidenschaft war, sondern sich mein Fleiß und all die Trainingsstunden gelohnt hatten?
Wie gern ich diesen Eifer ausblenden wollte. Wie gern ich einen Sommer oder einige Wochen einmal nicht ständig den Wettkampf und den Erfolg, die Anerkennung, vor Augen haben wollte. Aber so leicht ließ sich der Druck leider nicht pausieren. Wo der Ehrgeiz mehr denn je im Vordergrund stand, waren hitzige Gespräche vorprogrammiert. Neid, Eifersucht und Tränen. Nicht nur bei Konkurrentinnen, vor allem im eigenen Team, wenn die Kameradinnen plötzlich zu den größten Rivalinnen wurden. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und musste unwillkürlich an Jaydons Zettel denken. Just smile, girl. You’ll rock it.
»Hey!«, erklang plötzlich eine Stimme hinter mir, die mich zusammenzucken ließ. Irritiert hielt ich inne, wandte mich um und schaute Jaydon ins Gesicht.
»Ich will dich gar nicht lange aufhalten«, schnaufte er atemlos, als er vor mir zum Stehen kam. »Perfektes Timing. Ich wollte dich unbedingt noch kurz vor dem Training abfangen.«
»Warum? Was ist passiert?« Als seine braunen Augen sich in meine bohrten, fiel die Anspannung beinahe automatisch von mir ab.
»Nichts. Ich …« Er schaute zu Boden und kratzte sich am Hinterkopf. »Ich wollte dir noch einmal persönlich die Daumen drücken. Es geht heute los mit den Tryouts, oder?« Sein Blick fand den meinen und Wärme durchflutete mich. Ich musste lächeln, zog mit einer Hand den Riemen meiner Sporttasche weiter auf meine Schulter und nickte. »Ja, ab heute beginnt der wirkliche Kampf um die Positionen bei uns im Team.«
Jay wirkte nachdenklich. Mit seinen Händen umfasste er ebenfalls beide Träger seines Rucksacks. »Bist du sehr aufgeregt?«
Nun war ich diejenige, die den Blick für einige Sekunden zu Boden richtete, um danach erneut aufzusehen. »Würde ich Nein sagen, würde ich lügen. Keine Ahnung. Ich wünschte, es wäre nicht so. Es ist schwer zu beschreiben, obwohl ich total nervös bin, freue ich mich unglaublich auf diesen Moment. Ich freue mich, zu zeigen, wofür ich die letzten Wochen so hart trainiert habe.«
»Ich weiß.« Er wippte auf seinen Fußballen vor und zurück und obwohl er auf derselben Treppenstufe wie ich zum Stehen gekommen war, musste ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Früher war das einmal andersherum gewesen. »Du hast seit unserer Kindheit von nichts anderem gesprochen. Erinnerst du dich noch, wie du mir stundenlang davon erzählt hast?«
»Wie könnte ich das vergessen?« Während ich das sagte, ging ein Ziehen durch meinen Bauch. Er hatte es sich gemerkt. Ich hatte von nichts anderem geredet als von Cheerleading, den ganzen Tag. Und Jay hatte mir immer das Gefühl gegeben, es wäre das Interessanteste, was er je gehört hatte.
»Du hast so viel davon berichten können.« Ein tiefes Lachen drang aus seiner Kehle und jagte mir eine Gänsehaut über den Körper. Zugleich schüttelte er den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, dass er sich das immerzu angehört hatte. »Wer von deinen Vorbildern welche Positionen besetzt und welche du später einmal haben möchtest. Du wusstest einfach alles. Und jetzt sieh dich an. Du bist einundzwanzig. Wie du hier vor mir stehst, auf dem Weg zu den nächsten Tryouts: Nun bist du selbst Flyer. Du wirst dir diesen Wettkampf in Florida nicht nur ansehen, du wirst dabei sein. Du wirst die Beste sein.«
»Jay«, brachte ich mühsam hervor. Die Hitze brannte auf meinem Gesicht und ich konnte nichts dagegen tun. Ich legte mir beide Hände an die Wangen, in der Hoffnung, so verbergen zu können, wie vermutlich auch die Röte in meinen Kopf geschossen war.
»Ich sage nur die Wahrheit.«
Ich seufzte. Schon seit unserer Kindheit war er gut darin, mich in meinen Träumen zu bestärken, meinen Weg zu respektieren und mich darin zu unterstützen. Auf ihn konnte ich mich immer verlassen, und dass er mich nun extra vor dem Training abfing, freute mich riesig. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es nicht der Grund war, weshalb er tatsächlich aufgetaucht war und mit seiner Weihnachtsmütze vor mir stand.
»Weshalb bist du wirklich hier? Was wolltest du noch von mir?«, hakte ich nach und verschränkte die Arme vor der Brust. Kurz meinte ich, dass er die Luft anhielt. Als wollte er etwas sagen, aber nicht die richtigen Worte dafür finden. Als hätte er sich spontan umentschieden, es doch nicht anzusprechen – was auch immer es gewesen wäre.
»Nur deshalb. Ich wollte dir das nur noch einmal persönlich sagen. Das mit dem Zettel … kam mir dann irgendwie doch lächerlich vor.«
»Das mit dem Zettel war nicht lächerlich«, widersprach ich augenblicklich. »Ich habe mich sehr darüber gefreut. Danke.« Ohne zu überlegen, schlang ich meine Arme um ihn und vergrub mein Gesicht in seinem T-Shirt. »Ich werde das heute rocken. Mit einem Lächeln im Gesicht.«
»Das freut mich.« Jay erwiderte die Umarmung und drückte mich eng ans ich, bevor er mich an den Schultern festhielt und ein Stück von sich wegschob, um mir in die Augen sehen zu können. »In der Vorlesung vorhin, da sahst du alles andere als glücklich aus. Was war los?«
Sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals und ich schluckte einige Male. »Nichts. Es ist alles wieder gut.« Ich konnte ihn nicht länger ansehen, aber das duldete Jay nicht. Vorsichtig strich er mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, bevor er mein Kinn mit den Fingern anhob.
»Du kannst mit mir über alles reden. Das war immer so und daran wird sich auch nichts ändern.«
Ich ertrank in dem Braun seiner Augen, ging in dem Meer der ungeweinten Tränen meiner Verzweiflung unter und erstickte an den ungesagten Worten. Wie konnte jemand so lieb sein? Womit hatte ich einen besten Freund wie ihn verdient?