Crown of Blood and Feathers 1: Verrat - Kira Borchers - E-Book
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Kira Borchers

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Beschreibung

**Vertraue auf das Vermächtnis der Feen** Magie auszuüben steht im Land Ilandmera unter Todesstrafe. Für Freya kein Problem, denn schließlich ist sie nur eine unbedeutende Bewohnerin eines kleinen Dorfes. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Krieger des Königs über ihre Heimat herfallen: Um das Wohl ihrer Lieben fürchtend, entfesselt Freya eine unglaublich mächtige und vor allem tödliche Gabe. Doch die Kraft, die sie als Skafi in sich trägt, macht die Fee zur Gejagten. Schweren Herzens flieht sie vor ihren Verfolgern und muss sich nicht nur ihrem wahren Erbe stellen, sondern auch einem Mann, der geschickt wurde, sie zu töten. Ein gefährliches Spiel beginnt, das nicht nur über Freyas Schicksal, sondern über das des gesamten Landes entscheidet … Was, wenn die Magie in dir eine ganze Welt vernichten könnte? Textauszug: »Es gibt immer wieder Momente im Leben, in denen sich alles verändern kann. Ob wir wollen oder nicht. Dann bleibt uns nur eines: Unser Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen.« //Dies ist der erste Band der magisch-fantastischen Dilogie »Crown of Blood and Feathers«. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Crown of Blood and Feathers 1: Verrat -- Crown of Blood and Feathers 2: Vertrauen -- Sammelband der magisch-fantastischen Dilogie Diese Reihe ist abgeschlossen. //

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Kira Borchers

Crown of Blood and Feathers 1: Verrat

**Vertraue auf das Vermächtnis der Feen**

Magie auszuüben steht im Land Ilandmera unter Todesstrafe. Für Freya kein Problem, denn schließlich ist sie nur eine unbedeutende Bewohnerin eines kleinen Dorfes. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Krieger des Königs über ihre Heimat herfallen: Um das Wohl ihrer Lieben fürchtend, entfesselt Freya eine unglaublich mächtige und vor allem tödliche Gabe. Doch die Kraft, die sie als Skafi in sich trägt, macht die Fee zur Gejagten. Schweren Herzens flieht sie vor ihren Verfolgern und muss sich nicht nur ihrem wahren Erbe stellen, sondern auch einem Mann, der geschickt wurde, sie zu töten. Ein gefährliches Spiel beginnt, das nicht nur über Freyas Schicksal, sondern über das des gesamten Landes entscheidet …

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Vita

Glossar

Danksagung

© Holger Borggrefe

Kira Borchers ist ein Nordlicht aus Schleswig-Holstein. Nach ihrer abgeschlossenen Verlagsausbildung zur Medienkauffrau Digital und Print studiert sie nun Buchwissenschaft an der LMU in München. Neben dem Schreiben eigener Geschichten arbeitet sie in einem Buchverlag. In ihrer Freizeit entwirft sie Illustrationen oder lässt sich von Ausflügen in die Berge inspirieren. Ihre Leidenschaft zu Büchern teilt sie auf ihrer Instagramseite @kiras.zeilen.

Für meine Mutter und für meinen Vater.Danke.

Für Dich.Weil jeder einen Funken Magie in sich trägt.

Kapitel 1

Sacrande – Midre

»Wer ist das?«

Ich folgte dem ausgestreckten Finger meiner kleinen Schwester Aylin. Was ich daraufhin sah, ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben und nach ihrem Arm greifen, um auch sie zurückzuhalten.

Das konnte nicht sein. Was wollten sie hier? Seit die Lafrander die Macht in der Hauptstadt übernommen hatten und ihr König Thorn auf dem Thron saß, waren sie nur selten so tief ins Gebiet von Sacrande vorgedrungen.

Ich starrte die Gruppe von Männern an, auf die meine Schwester gedeutet hatte, und konnte meinen Blick nicht mehr von ihnen abwenden. Kapuzen versteckten ihre Gesichter in dunklen Schatten und obwohl ihre Körper von schwarzen, bis zum Boden reichenden Mänteln verdeckt waren, wusste ich, dass diese Männer Waffen bei sich trugen. Neben Isandona und Sacrande hatte das Königreich Lafrand die am besten ausgebildeten Krieger in ganz Ilandmera.

»Freya?«, fragte Aylin mit ihrer hohen Kinderstimme und drückte sich enger an mich.

»Das sind Lafrander«, erklärte ich ihr. »Lauf sofort zu Mutter und Vater zurück, in Ordnung? Sprich mit niemandem, nimm keine Umwege. Ihr müsst von hier verschwinden. Sofort. Vater weiß, was zu tun ist. Unsere Eltern werden in der Hütte auf uns warten.«

Meine Stimme zitterte mit jedem meiner ausgesprochenen Worte mehr. Eindringlich sah ich Aylin ins Gesicht. Weit aufgerissene helle Augen schauten mich an, spiegelten meine eigene Panik wider.

»Hier, nimm den Korb von Vater mit zurück. Dann habt ihr etwas Proviant, um euch die nächsten Tage in den Wäldern verstecken zu können.« Ich reichte ihr unseren aus Schilf geflochtenen Korb und warf erneut einen Blick zu den Lafrandern, die mit großen Schritten über den Marktplatz marschierten. Die Augen der Soldaten wanderten über die Menschenmenge.

»Los, Aylin! Mach schon!«, flüsterte ich, als hätte ich Angst, die Männer könnten mich aus so weiter Entfernung hören.

Lafrander kamen niemals in friedlicher Absicht. Das letzte Dorf, das sie in den vergangenen Monaten besucht hatten, existierte nun nicht mehr. Es wurde nicht darüber gesprochen, was dort vorgefallen war, und die genauen Hintergründe waren nicht bekannt. Denn kaum einer der Bewohner hatte überlebt. Es wurde nur gemunkelt, dass die Krieger nach jemandem gesucht hatten, aber nicht fündig geworden waren.

Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Was, wenn sie mit demselben Ziel zu uns gekommen waren?

Plötzlich schaute einer der Männer zum Rand des Marktplatzes und damit in meine Richtung. Seine Kapuze rutschte ein Stück zurück, sodass ich einen Blick in sein Gesicht erhaschen konnte. Mir war, als würde mir das Blut in den Adern gefrieren.

»Du stehst ja immer noch neben mir!«, rief ich aufgebracht an Aylin gewandt. »Jetzt geh! Verdammt nochmal, renn! Verschwinde von hier!«

»Aber ich will nicht von dir weg!«, quengelte sie und klammerte sich noch fester an meinen Arm, um ihre Worte zu unterstreichen. »Mama hat gesagt, dass wir uns nicht trennen dürfen!«

»Das ist eine Ausnahmesituation. Tu einfach, was ich dir sage. Nur dieses eine Mal. Vertraue mir, ich komme gleich hinterher!« Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie der Lafrander in meine Richtung ging und sich von den übrigen Männern der Gruppe entfernte. Mein Herz fühlte sich an, als würde es mir jeden Moment aus der Brust springen, so schnell, wie es schlug.

Bestimmt bildete ich mir nur ein, dass er auf mich zukam. Bestimmt lief er ganz woanders hin, ging zu jemandem, der bloß in derselben Richtung stand wie ich.

Aylin löste sich von mir und lenkte meine Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. »Und du kommst wirklich hinterher?«, hakte sie nach. Dieser Blick, den sie mir von unten zuwarf, brach mir beinahe das Herz.

»Ganz sicher, versprochen«, erwiderte ich und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen.

Wie gern ich meine kleine Schwester zu unseren Eltern begleitet hätte und einfach von diesem Ort verschwunden wäre. Und obwohl sich mir vor Angst die Kehle zuschnürte, hielt mich etwas wie eine unsichtbare Kraft davon ab, mich von der Stelle zu rühren. Zugleich brannte sich mir immer noch die Frage in den Kopf, was diese Lafrander so tief im Gebiet von Sacrande machten.

Aylin nickte. Ich konnte förmlich das Misstrauen in ihren Augen glitzern sehen. »Dann sehen wir uns bei Mama und Papa?«

»Versprochen.« Mehr musste ich nicht mehr zu ihr sagen, damit sie endlich loslief.

Ich hob mein Kinn in die Höhe, drückte den Rücken durch und holte tief Luft. Dann ging ich dem Lafrander entgegen, um meiner Schwester einen Vorsprung zu verschaffen. Schließlich kam ich mit sicherem Abstand vor ihm zum Stehen. Wie von selbst griff ich an einen meiner Lederarmschoner, in denen ich je einen Dolch versteckt hatte.

»Was treibt euch her?«, wollte ich von ihm wissen, da nun klar war, dass er doch zu mir gewollt hatte. Aber warum?

»Ganz schön wortgewandt. Das kennt man gar nicht von euch Sacrandern. Wie alt bist du?« Der Fremde hob einen Mundwinkel, sodass ein Grübchen in seiner rechten Wange entstand. Mit der nächsten Handbewegung zog er seine Kapuze vom Kopf und nickte mir zu. »Aber zu deiner Frage: Wir suchen jemanden, der seit einigen Jahren als verschollen gilt, und haben den Hinweis erhalten, dass sich die gesuchte Person womöglich in eurem Dorf aufhält.«

Ich stieß ein höhnisches Lachen aus. »So wie ihr in dem anderen Dorf vor einigen Wochen nach diesem Jemand gesucht und dann einfach die ganze Siedlung samt Bevölkerung dem Erdboden gleichgemacht habt, nur weil ihr nicht fündig geworden seid? Und falls es dich wirklich interessiert, ich bin zwanzig Jahre alt.«

Als ich mein Alter nannte, meinte ich, eine kaum merkliche Veränderung in seiner Mimik zu erkennen. Doch er ging nicht näher darauf ein. »Das stimmt nicht ganz.« Der Lafrander verschränkte die Arme vor der Brust und trat noch einen Schritt auf mich zu.

»Ach ja?« Ich tat es ihm gleich und verschränkte ebenfalls meine Arme. Wenn er einschüchternd wirken wollte – das konnte ich auch. Gleichzeitig zog ich eine Augenbraue hoch. Es war mir selbst ein Rätsel, wie ich so ruhig bleiben konnte, während mein Herz einen halben Marathon in meiner Brust absolvierte. Das Wummern spürte ich wie Trommelschläge an meinen Rippen.

Der Fremde stieß ein Schnauben aus und sah kurz zu den anderen Männern seiner Gruppe hinüber. Ich nutzte den Moment, um ihn von oben bis unten zu mustern. Doch keine Sekunde später bohrten sich seine blauen Augen wieder in meine eigenen und mir schoss die Hitze ins Gesicht.

»Urteile nicht über Dinge, über die du nur Gerüchte gehört hast. Wie gesagt, wir suchen jemanden. Du siehst so aus, als hättest du einen guten Draht zu den Menschen hier.« Er deutete mit einer flüchtigen Handbewegung über den gefüllten Markt. »Kennst du jemanden, der noch nicht immer in diesem Dorf gelebt hat? Jemanden, der womöglich aus einer anderen Ecke des Landes stammt?«

Die Fragen ließen ein seltsames Gefühl der Unruhe in mir aufsteigen. Ich wollte hier weg, wollte das Gespräch möglichst schnell beenden und dass diese Männer von hier verschwanden. Die Frage bereitete mir Bauchschmerzen, obwohl ich sie ehrlich beantworten konnte. »Nein, hier gibt es niemanden aus einer anderen Ecke. Da muss ich euch enttäuschen.«

Plötzlich hörte ich eine Frau kreischen und ein lautes Poltern vom Marktplatz her. Ich zuckte zusammen, schaute in die Richtung des Lärms. Sofort stellten sich mir alle Nackenhaare auf. Einer der Männer hatte eine ältere Frau in einen aufgestapelten Turm Weinfässer gestoßen, die nun in alle Richtungen gerollt waren.

Davon abgesehen, dass Wein eines unserer kostbarsten Güter war, da wir es in der Nähe nicht selbst produzieren konnten, erschreckte mich die Geste. Wie konnte er es wagen, eine ältere, wehrlose Person so zu behandeln? Mir schnürte sich die Kehle zu.

»Bist du sicher?« Der Lafrander tat erneut einen Schritt auf mich zu und dieses Mal konnte ich mich nicht zurückhalten. In einer fließenden Bewegung zog ich einen Dolch aus meinem Lederband am Arm und streckte dem Mann die Waffe entgegen.

»Keinen Schritt näher, wenn du keine Klinge im Magen stecken haben möchtest«, drohte ich.

Zugleich bekam ich es mit der Angst zu tun. Der Kerl war über einen Kopf größer als ich und sein gesamter Körper spiegelte die harte Kampfausbildung der Lafrander wider. Ich würde es im Ernstfall wohl kaum eine Minute mit ihm aufnehmen können …

Dennoch blitzte Überraschung in seinen eisigen Augen auf, was mir für einen Wimpernschlag die Hoffnung schenkte, dass meine Handlung nicht vollkommen ohne Effekt geblieben war.

»Für eine Sacranderin steckst du wirklich voller Wunder. Dein Haar ist nahezu schwarz, deine Augen sind viel zu dunkel für diese Gegend und du wirkst auf mich eher wie eine Kriegerin. Wer bist du?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte er mich.

Seine Worte raubten mir den Atem. Das war mir in der Tat schon aufgefallen, aber bisher hatte ich mir nichts dabei gedacht. Wieso auch? »Was soll das?«, stieß ich atemlos hervor.

»Das fragst du mich?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe eine klare Anweisung bekommen. Mein König sucht ein Mädchen. Eines, das anders ist.« Er machte Anstalten, nach mir zu greifen.

»Wag es nicht!«, rief ich. »Fass mich ja nicht an.« Ich stolperte mehrere Schritte nach hinten und geriet so an die Kante des Stegs, auf dem wir standen. Voller Entsetzen stellte ich fest, dass hinter mir bereits der Sumpf begann, aus dem das Schilf am Rande des Meeres hervorwucherte.

»Wieso läufst du vor mir weg, wo du doch nichts zu befürchten hast?« Und noch ein Schritt näher zu mir. Als wäre ich ein erlegtes Tier, das er einsammeln wollte, streckte der Lafrander eine Hand nach mir aus.

Ein Rumpeln riss mich aus den Gedanken und lenkte auch die Aufmerksamkeit des Mannes von mir ab. Ich nutzte den Moment, um ihn zur Seite zu stoßen – mit Erfolg. Er verlor das Gleichgewicht, ruderte noch einen Augenblick mit den Armen in der Luft und stürzte dann in das knietiefe Wasser.

Ich zögerte keine Sekunde länger und ergriff die Flucht. Jetzt, wo ich wusste, was diese Männer suchten, und dass ausgerechnet ich in ihr Beuteschema passte, wollte ich nichts lieber, als von hier zu verschwinden.

Es war das erste Mal, dass ich unser kleines Dorf und die Tatsache, dass es auf Holzpfeilern am Meer errichtet worden war, verfluchte. Denn nur wenige Pfade führten ins Zentrum hinein und wieder hinaus, sodass ich verzweifelt nach einem Weg durch das Chaos auf dem Markt suchte. Dabei entdeckte ich den Ursprung des Polterns: Einer der Lafrander hatte den Stand eines Händlers zum Einsturz gebracht und die dort zum Verkauf ausgelegten Stoffe entzündet.

Heiße und kalte Schauer liefen über meinen Körper. Unser Dorf durfte nicht das gleiche Schicksal ereilen wie unseren Nachbarort. Die Menschen durften nicht ihre Heimat verlieren. Meine Familie … Panisch sah ich in die Richtung, in die meine Schwester verschwunden war. Hoffentlich schaffte sie es bis zu unseren Eltern.

»Dachtest du wirklich, so leicht wirst du mich los?«, fragte jemand unmittelbar hinter mir und ich wirbelte herum. Keinen Meter von mir entfernt stand der Fremde. Das blonde Haar klebte ihm in kurzen Strähnen an der Stirn. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt.

»Was willst du von mir? Ich bin nicht diejenige, die ihr sucht!«, rief ich verzweifelt und wollte schon wieder die Flucht über den Marktplatz ergreifen, als sich mir zwei weitere Krieger in den Weg stellten. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich war umzingelt.

»Wen haben wir denn da?«, wollte einer der anderen Männer wissen und schaute an mir vorbei zum ersten Lafrander, der mit mir gesprochen hatte. Ihr Akzent war so hart, dass er keinen Zweifel an ihrer Herkunft bestehen ließ.

Verdammt, ich musste hier weg. Ich musste sofort aus diesem Dorf verschwinden. Ganz egal, weswegen sie mich angeblich suchten, es konnte nichts Gutes bedeuten.

»Ihr verwechselt mich! Ich bin definitiv nicht die Person, die ihr sucht.« Immer wieder drehte ich mich im Kreis, starrte abwechselnd die fremden Männer an, suchte nach Verbündeten aus meinem Volk, die mir helfen konnten. Doch inzwischen war solch eine Panik auf dem Platz ausgebrochen, weil sich das Feuer rasend schnell auf die umliegenden Häuser ausbreitete, dass mich kaum einer zu bemerken schien. Dass kaum jemand bereit war, sein Leben für meines zu riskieren.

»Schau mal, die hier haben wir noch gefunden. Wollte wohl weglaufen«, bemerkte einer der Männer und Tränen stiegen in meine Augen, als ich sah, wen er meinte. Aylin.

»Das Mädchen gehört zu ihr.« Der erste Lafrander nickte in meine Richtung, nachdem er seinen Blick über mich hatte gleiten lassen. Er legte einen Arm um meine Schwester und hielt sie eng an sich gedrückt.

»Freya!«, schrie Aylin und hatte ihr Gesicht verzogen.

»Still jetzt«, zischte der blonde Mann und presste sie fester an sich. An seine Männer gewandt fügte er hinzu: »Ich bin mir sicher. Sie ist es.« Mehr sagte der erste Lafrander nicht und es schien zu genügen, damit sich die anderen beiden auf mich zubewegten. Viel zu spät bemerkte ich die Waffen, die sie auf mich gerichtet hatten.

Ich musste Aylin befreien. Was hatte ich nur getan? Sie war doch erst sieben! Wir hätten zusammen weglaufen sollen, solange es noch möglich gewesen war. Wieso hatte ich noch mit ihr diskutiert? Mein Brustkorb zog sich schmerzlich zusammen bei dem Anblick, der sich mir bot. Die Lage war ausweglos und das war einzig meine Schuld.

Aylin schrie weiter meinen Namen und weinte. Doch der starke Arm des ersten Lafranders hielt sie zurück, während dieser mich aus funkelnden Augen musterte und einen Dolch mit einem aus dunklem Holz geschnitzten Griff zückte.

Plötzlich explodierte ein gewaltiger Schmerz in mir, sodass ich auf die Knie sank. Ein greller Blitz zuckte vor meinen Augen auf und der Trubel um mich herum war auf einmal nur noch ein Rauschen in meinen Ohren. Ich fühlte mich, als stünde mein gesamter Körper in Flammen.

Ich wusste nicht, wer den Schrei ausstieß. Aber es war das Letzte, was ich vernahm, bevor mich vollkommene Schwärze umfing. Ich war verloren.

Kapitel 2

Sacrande – Midre

»Keiner tut dem Mädchen etwas!«

Mit dem nächsten Herzschlag riss ich meine Augen wieder auf und die Schwärze wandelte sich in grelles Licht. Kleine Punkte tanzten noch vor meinen Pupillen, sodass ich lediglich verschwommen wahrnahm, was geschah.

Um mich herum flimmerte die Luft und gegen die helle Umgebung konnte ich nur einen Schatten ausmachen, von dem der Ruf gekommen sein musste. Was war passiert?

»Wer noch auf zwei Beinen stehen kann, sollte von hier verschwinden. Und glaubt mir, wenn ihr es auch nur wagt, einem anderen Menschen von dem Vorfall hier zu erzählen, werdet ihr schneller euer Leben verlieren, als euch lieb ist.« Kaum dass die Gestalt die letzten Worte über die Lippen gebracht hatte, erfasste mich eine Energiewelle und Wärme durchströmte mich.

Hatte ich mich zuvor aufgesetzt, fiel ich unter dem Druck erneut auf den Boden. Ich fühlte mich, als wäre eine ganze Horde Pferde über mich hinweggaloppiert. Mein Körper zitterte unkontrolliert und kribbelte, als ob mir sämtliche Gliedmaße eingeschlafen wären.

In meinem Mund schmeckte ich Erde und Blut, was mir die Galle in den Rachen trieb. Dennoch riss ich mich zusammen und richtete mich auf. Wenn auch unsicher und sehr wackelig, gelang es mir, auf die Beine zu kommen. Allerdings nur kurz, denn kaum, dass ich einen Schritt allein machen wollte, sackte ich wieder in mich zusammen.

Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das Licht und ich erkannte, dass all die Holzhütten, die sonst einen Ring um unser Marktzentrum gebildet hatten, in Flammen standen. All die wunderschönen Schnitzereien und Gebilde wurden vom Feuer zerfressen und verschwanden in der Glut.

Von den Ständen der Händler auf dem Markt war nichts mehr zu sehen. An einigen Stellen waren selbst die Stege, die den Boden unseres Dorfes bildeten, bereits verschwunden. Midre war teils auf dem Wasser errichtet worden und stand auf Holzbalken. So gab es einige große Löcher im Untergrund, durch die ich das Wasser erkennen konnte.

Als sich der Dachträger eines Hauses löste, in die Mitte des Platzes fiel und mit einem gewaltigen Knacken einen ellenlangen Krater im Boden zurückließ, schnürte sich mir die Kehle zu. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht passieren.

»Du bist wach.«

Ich zuckte zusammen, als sich die Gestalt, die ich eben erblickt hatte, zu mir gesellte und direkt vor mir stehen blieb. Als ich in die blauen Augen schaute, die mich bereits einmal durchbohrt hatten, lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Doch es brauchte nicht lange, um vorerst jegliche Sorgen und Ängste aus meinem Kopf zu verbannen, als er seinen Mantel zurückstrich, unter dem eine mir nur allzu vertraute Person zum Vorschein kam.

»Freya!«, quietschte eine hohe Stimme. Die Aufregung übertrug sich auf mich und keine Sekunde später konnte ich die Arme um meine kleine Schwester schlingen. Dabei spürte ich einen stechenden Schmerz auf meinem Rücken und zuckte instinktiv zusammen. Glücklicherweise schien Aylin das jedoch nicht zu stören.

»Aylin«, seufzte ich erleichtert. Ich hustete und merkte erst mit dem einen ausgesprochenen Wort, wie kratzig und rau meine Stimme klang.

Genauso plötzlich, wie meine gesamte Anspannung von mir abgefallen war, kehrte die Panik zurück. Ich kniete vor einem Lafrander, von dem ich gedacht hatte, dass er Aylin töten würde …

»Du …« Ich versuchte erneut mich aufzurichten und zog die Augenbrauen zusammen. Doch ich schaffte es nicht, auf die Beine zu kommen. Ich bemühte mich das einfach zu überspielen, blieb hocken und fuhr fort: »Warum hast du sie …« Ich deutete auf meine Schwester, woraufhin sich wieder ein Grübchen in der Wange des jungen Mannes bildete.

»Wir müssen hier weg. Für Erklärungen ist später noch Zeit. Am besten nimmst du deine Schwester und dann hauen wir ab. Ich bin mir sicher, dass bald Verstärkung kommen wird.«

Sprachlos starrte ich ihn an. Keine Antworten auf all meine Fragen? Keine Erklärungen und ich sollte einem meiner Feinde plötzlich vertrauen? So weit kam es noch!

»Vergiss es. Keine falschen Spielchen«, stellte ich klar. »Was geht hier vor sich?«

Er seufzte und damit wurde auch sein Gesichtsausdruck wieder ernst, sodass seine Kieferknochen hervortraten. »Ich weiß, dass es schwer ist, mir zu vertrauen. Aber falls das etwas ändern sollte: Ich … bin kein Lafrander. Ich musste nur bei ihnen untertauchen. Mehr kann ich dir nicht verraten.« Sein Blick sprach Bände, als er mich betrachtete. »Und ich fürchte, es dauert noch eine Weile, bis du wieder auf eigenen Beinen stehst.«

Machte der Kerl Scherze? »Was meinst du denn jetzt damit?«

Es brauchte keine weiteren Worte, damit ich erneut nach Luft rang. Er deutete um uns.

Überall lagen Männer mit schwarzen Umhängen am Boden verteilt, auch die übrigen Lafrander standen nicht mehr aufrecht. Die Holzbalken unter den Überresten waren dunkel verfärbt und ein unangenehmer Gestank ging von den Gestalten aus. Erst jetzt bemerkte ich bewusst neben dem Geruch von Ruß auch den nach verbranntem Menschenfleisch und musste würgen.

»Was … was ist passiert?«, stotterte ich und traute mich kaum noch dem Lafrander in die Augen zu schauen.

Doch er starrte mich erbarmungslos in Grund und Boden. »Ich müsste eher Angst vor dir haben. Schließlich hab nicht ich, sondern du all diese Menschen umgebracht.«

»Das kann nicht sein. Wie soll das passiert sein?« Ich schüttelte vehement den Kopf. Mein Schädel begann zu dröhnen. »Daran könnte ich mich ja wohl erinnern.«

Der Lafrander zuckte mit den Schultern. »Nicht, wenn du währenddessen das Bewusstsein verloren hast.«

Ich schluckte. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Mein eigenes Dorf – die übrigen Gestalten, die um uns herum ihre Sachen retteten, die noch zu retten waren, und noch nicht geflohen waren – warf nicht dem Lafrander, sondern mir immer wieder Blicke mit weit aufgerissenen Augen zu. Wieso tat dann aber meine Schwester so, als wäre alles in Ordnung, und betrachtete mich nicht wie ein Monster?

»Das ist nicht möglich. Das kann nicht sein.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich würde niemals einem anderen Menschen grundlos ein Haar krümmen und wie …«

Es wollte mir nicht in den Kopf gehen. Wieso lebten einige Bewohner meines Dorfes noch, aber diese Eindringlinge, die doch allem Anschein nach das Ziel verfolgt hatten, meinem Volk etwas anzutun, nicht mehr? Wie sollte ich überhaupt für den Tod so vieler Menschen verantwortlich sein?

»Manchmal passieren Dinge, die wir nicht wollen, aber die wir nicht verhindern können.« Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich es beinahe als Mitleid bezeichnet, was da in der Stimme des Mannes mitschwang. Die Frage war nur, wenn er kein Lafrander war, wer war er dann? Und wieso half er mir?

»Wir sollten jetzt wirklich verschwinden«, fuhr der Fremde fort. »Das war ernst gemeint.«

Alles in mir sträubte sich dagegen, einem Unbekannten zu vertrauen und ihm zu folgen. Doch auch mein erneuter Versuch, mich auf eigenen Beinen zu halten, scheiterte. Meine Füße knickten unter dem Gewicht meines Körpers weg, sodass ich erneut stürzte.

»Du brauchst meine Hilfe. Vertrau mir«, erwiderte der Mann. »Ich bringe deine Schwester und dich bis in die nächste Stadt.«

Widerwillig beobachtete ich, wie er sich zu mir kniete. Seine blauen Augen bohrten sich in mich. Ich wollte seine Hilfe nicht annehmen. Allein bei dem Gedanken, einem Fremden vertrauen zu müssen, stellten sich all meine Nackenhaare auf. Gleichzeitig wusste doch ein kleiner Teil von mir, dass ich keine andere Wahl hatte. »Unter zwei Bedingungen.«

Er stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Schnauben und Lachen klang. »In Ordnung?«

»Erstens: Du verrätst mir endlich deinen Namen.«

»Wenn es weiter nichts ist«, erwiderte er. »Ich bin Luan. Und du bist?«

»Freya.« Ich legte meinen geflochtenen Zopf über meine Schulter und holte tief Luft.

»Und zweitens?«, kam mir Luan abermals zuvor.

»Werde ich nirgendwohin gehen, ohne meine Eltern aus der Stadt zu retten.« Ich ballte meine Hände zu Fäusten zusammen, damit mich das Zittern nicht ablenken konnte.

Noch immer brannte meine Haut und auch mein Inneres schmerzte mit jeder noch so kleinen Bewegung. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, das Letzte, an das ich mich erinnerte, war der Lichtblitz, der mich von den Füßen gerissen hatte.

Ich musste zu Mutter und Vater. Bestimmt waren sie zu unserer Hütte zurückgekehrt und hofften nun, dass Aylin und ich uns auch dort einfinden würden. Unsere Eltern würden wissen, was nun zu tun war. Vor allem konnte mein Vater sich notfalls um den Lafrander kümmern.

Ein Grummeln drang aus Luans Kehle. »Ich will dich nicht beunruhigen, aber …«

»Kein Aber. Wir gehen zur Hütte meiner Eltern«, entschied ich. Aylin hüpfte aufgeregt auf und ab und klammerte sich an meinen Arm.

Ich hatte es so eilig, dass ich einfach ihre Hand ergriff und loslaufen wollte, jedoch keine zwei Schritte weit kam, ohne ins Schwanken zu geraten.

»Vorsicht!« Luan griff nach meinem freien Arm und stützte mich. »Du hast wahnsinnig viel Kraft verloren. Dein Körper muss sich erst erholen.«

Wenn ich gedacht hatte, dass mir bisher heiß gewesen war, dann hatte ich mich deutlich unterschätzt. Durch Luans Berührung auf meiner Haut fühlte es sich an, als würde mein gesamter Körper in Flammen stehen.

Es fiel mir schwer, zu zeigen, dass mir die Kraft fehlte, um selbst zu laufen oder Aylin aus dieser Situation herauszubringen. Ich war für meine kleine Schwester immer die Kämpferin gewesen. Ich hatte sie beschützt und ihr Dinge gezeigt. Jetzt vor ihren Augen zusammenzubrechen oder mich von einem fremden Mann stützen zu lassen zerriss mich innerlich.

»Aylin, du hast schon eine echte kleine Kämpferin als Schwester, weißt du das?«

Stillschweigend verfluchte ich diesen Fremden. Meine Wangen glühten und ich warf einen flüchtigen Blick zu meiner Schwester, die mich jedoch nur besorgt aus ihren großen Kinderaugen musterte. »Alles in Ordnung«, sagte ich mehr zu mir selbst und zu ihr als zu Luan. Um mich herum schwankte jedoch immer noch alles und ich merkte, wie meine Beine erneut zu zittern begannen.

Für einige Herzschläge schloss ich die Augen und hörte einfach in mich hinein. Lauschte dem Knacken des Holzes, dem Flüstern der Flammen und den lauten Schlägen meines Herzens.

»Sicher?«, hakte Luan nach und sein Griff um meine Taille verstärkte sich.

»Sicher«, brachte ich kraftlos hervor.

»Und? Wohin müssen wir nun, Kriegerin?«, fragte er nach und ich bemerkte, wie er mich von der Seite musterte.

»Einfach dem Weg in Richtung der Ebenen von Karden folgen.«

Wenn ich ehrlich war, blieb uns auch kaum eine andere Möglichkeit, vom Meer wegzukommen. Denn Midre war ganz im Süden von Ilandmera direkt am Rand des Midrenischen Meeres auf Holzbalken errichtet worden und der anschließende Sumpf mit Tümpeln und jeder Menge Schilf machte es unmöglich, ohne diese Stege zum Festland zu kommen. Nur zwei Pfade führten zu den Ebenen und nur einer der Wege führte zu der Hütte meiner Eltern.

»Ah, dann können wir von dort aus direkt weiter nach Karden laufen«, stellte nun auch Luan fest. »Ist es weit vom Zentrum zu der Hütte deiner Familie?«

»Nein, es ist nicht weit.« Ich schüttelte den Kopf. »Von den Fenstern der kleinen Hütte können wir sogar bis zu den vordersten Häusern am Meer schauen.« Und je bewusster mir wurde, wie nahe sich auch meine Eltern zum Zeitpunkt des Unglücks am Marktplatz aufgehalten hatten, desto mehr zog sich mein Brustkorb zusammen.

»Ja! Und im Sommer kommen die Sterne zu uns herunter und tanzen uns etwas vor«, berichtete Aylin mit glitzernden Augen, wie ich mit einem Seitenblick zu ihr feststellen konnte.

»Die Sterne kommen zu euch?«, hakte Luan nach.

Ich schmunzelte. »Ja, kleine Glühwürmchen.«

Auf meine Erklärung hin musste auch er lächeln und strich sich mit seiner freien Hand durch sein immer noch feuchtes Haar.

Ein Blick zurück über meine Schulter ließ mein Lächeln jedoch einfrieren. Fast der komplette Holzboden hatte Feuer gefangen und die Zungen der Flammen breiteten sich gierig in alle Richtungen des Dorfes aus. Die Lafrander hatten kleine Fackelkugeln in die Gassen geworfen, aber dass sich der Brand nun so rasch ausbreitete, hatte ich nicht erwartet. Und so wie die Häuser in der Glut aufleuchteten und anschließend in sich zusammenstürzten oder im Rauch verschwanden, so fühlte ich mich selbst auch.

Denn das Leuchten und die Hitze waren das Einzige, woran ich mich erinnern konnte. Alles danach war vom Rauch verschlungen worden, wie nun die Überreste meines Dorfes. Das Bild brannte sich in mich hinein und trieb mir Tränen in die Augen. Wobei ich mir nicht sicher war, ob es allein der Anblick war, denn auch der beißende Geruch, der in der Luft lag, kroch unaufhörlich in meine Nase, sodass ich abermals husten musste.

»Ist wirklich alles in Ordnung?« Luan warf erneut einen Blick zu Aylin und mir, bevor er den Arm von mir löste, den er stützend um mich gelegt hatte. »Vertrau mir.« Und dann verschwand er zum Rand des Stegs, kniete sich ans Wasser und zerriss sein Oberteil, das er unter dem Mantel getragen hatte.

Das Ratschen ließ mich zusammenzucken und auch Aylin kauerte sich wieder enger an mich. »Glaubst du, es geht Mutter und Vater gut?«, meinte sie und beugte sich ganz nah zu meinem Ohr.

»Ganz bestimmt.« Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen, bis mir eine Frage in den Kopf kam, die mir schon die ganze Zeit keine Ruhe gelassen hatte. »Aylin, warum bist du nicht zu ihnen gelaufen, wie ich es dir gesagt habe? Du bist doch losgelaufen, aber wieso bist du zurückgekommen?«

Sie wandte den Blick ab. »Ich …«

»Was tuschelt ihr denn?« Luan tauchte neben uns auf und reichte jeder von uns einen Teil des durchtränkten Stoffes. »Haltet euch das vor Mund und Nase, ja?«

Beinahe wäre mir die Kinnlade hinuntergefallen. Auf die Idee hätte ich auch kommen können.

»Danke«, brachte ich hervor, bevor ich mir das Tuch vor das Gesicht hielt und Aylin es mir gleichtat.

Ich war keine drei Schritte weitergehumpelt, als ich wie versteinert stehen blieb und nach Luft rang. Mir fehlte die Luft zum Atmen und ich riss das Tuch vom Mund weg. Das konnte nicht sein. Die Flammen waren hinter uns gewesen. Wieso …

Vor uns, an der Stelle, an der einst unsere Hütte gestanden hatte, konnte ich nur noch einen Haufen aus Brettern und Balken erkennen, die kreuz und quer durcheinander lagen und kaum einen Meter über den Boden hinausragten. Funken stoben in den vom Rauch verdunkelten Himmel und mit ihnen verbrannte meine letzte Hoffnung.

Ich konnte nicht länger stark bleiben, konnte mich nicht länger auf den Beinen halten und sank abermals zu Boden. Ein stummes Schluchzen drang aus meiner Kehle, doch durch den Rauch hustete ich erneut.

Nie wieder würde ich mit meiner Mutter oder Aylin zum täglichen Markt gehen. Nie wieder die gefangenen Fische meines Vaters dort verkaufen oder sie mit meiner Mutter braten.

Zu gut erinnerte ich mich daran, wie Vater und ich erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit Aylin eine Mehlschlacht in der Küche veranstaltet hatten. Mutter war gar nicht erfreut gewesen, dass wir mit Lebensmitteln um uns geworfen hatten, aber beim Anblick unseres Vaters hatte auch sie lachen müssen. Nass vom Meer und dem Wind, sodass das weiße Pulver an ihm besonders gut haften geblieben war, hatte er in der Tür gestanden. Sein dunkler Vollbart war schneeweiß geworden, während uns seine Augen belustigt angefunkelt hatten.

Nie wieder würden wir abends am Kaminfeuer zusammensitzen und den Geschichten unserer Eltern lauschen.

»Frey …« Aylin drückte sich wieder an mich. »Wo sind Mutter und Vater? Können wir sie bitte holen gehen?«

»Das geht nicht.« Ich suchte nach den richtigen Worten, um meine kleine Schwester zu beruhigen und auch mir einzureden, dass alles gut war. Aber das war es nicht. »Mutter und Vater sind … sind weg. Aber vielleicht …«

»Weg?« Aylin riss ihre Augen auf. »Was heißt weg, Freya?«

Panik stieg in mir auf und mein Herz überschlug sich beinahe, während immer mehr Tränen meine Wangen hinunterliefen. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich befürchtete das Schlimmste beim Anblick der zerstörten Hütte. Dennoch sprach ich es nicht aus, sondern versuchte Aylin Mut zu machen. Unter all den Trümmern wollte ich nicht nach Leichen suchen, wollte meiner kleinen Schwester ersparen, womöglich unsere Eltern darunter zu finden. Denn das konnten sie nicht überlebt haben. »Mutter und Vater sind weggegangen. Wir sehen sie bestimmt bald wieder. Ich … ich denke … wir finden sie in der nächsten größeren Stadt, ja? So lange müssen wir allein durchhalten und stark bleiben.« Doch mit jedem Wort, das meine Lippen verließ, wurde mir mehr bewusst, dass unsere Eltern unmöglich das Dorf verlassen haben konnten. Nicht bei all den Männern, die hier aufgekreuzt waren und Midre verwüstet hatten. Wenn Mutter und Vater nicht in der Hütte gewesen waren, konnten sie nicht mehr am Leben sein. Sie hatten uns stets eingeredet, uns bei einem Notfall in der Hütte einzufinden.

»Bringen die Sterne sie zu uns?« Die Art, wie Aylin so hoffnungsvoll nachfragte, gab mir den Rest und ließ mich zu Boden sinken. Die Geschichte mit den Sternen …

»Vielleicht.« Ein weiterer Schluchzer schüttelte meinen Körper und ich schloss kurz die Augen, um sie dann wieder auf das Bild unseres zusammengestürzten Hauses zu richten. Um all die Erinnerungen, die an dieser kleinen Hütte hingen, in Sekundenschnelle vor meinem inneren Auge zu sehen. Um Mutter und Vater glücklich lachend vor mir zu haben … und jetzt zu wissen, dass sie weg waren … für immer.

»Meine … unsere Eltern …« Tränen schossen mir abermals in die Augen, brannten auf meinen Wangen und tropften von meinem Kinn in Richtung Boden, als ich mich leise an Luan wandte.

»Es sind nicht nur deine Eltern, die es nicht geschafft haben, Freya. Die Sacrander haben ein nahezu komplettes weiteres Dorf verloren. Midre existiert nicht länger«, wisperte er mir ins Ohr.

Am liebsten hätte ich laut aufgeschrien. Wie konnte er zuvor so hilfsbereit gewesen sein und nun derart gefühlskalt so etwas heraushauen? »Lafrander bringen nichts als Unglück und Krieg«, flüsterte ich mehr zu mir selbst, ballte meine Hände zu Fäusten und erschrak, als Luan den Kopf schüttelte.

»Mag sein. Aber deine Eltern … Dieses Dorf hast ganz allein du zerstört.«

Kapitel 3

Sacrande – Ebene von Karden

Ich wollte schreien. Wollte rennen, mich fallen lassen. Wollte weinen und nicht mehr weiter. Mit dem Anblick des zerstörten Hauses vor mir war auch etwas tief in meinem Inneren zerbrochen. Meine Kindheit, all die letzten Jahre, hatte ich in dem Haus und in diesem Dorf verbracht. Nun alles in einem einzigen Trümmerfeld hinter mir lassen zu müssen, zerriss mich in all meine Einzelteile.

Aber ich durfte nicht weinen. Ich musste stark bleiben. Für Aylin. Also holte ich tief Luft und stellte die erste Frage, die mir in den Sinn kam. »Wieso zu den Kardenern?«

»Ich kenne da wen, der uns vorerst einen Unterschlupf geben kann, ohne dass jemand von dem hier erfährt und dass wir es überlebt haben.« Er richtete sich auf und streckte mir eine Hand entgegen. »Dort wirst du auch mehr Antworten erhalten.«

Ich riss den Kopf in seine Richtung. Diese Aussicht schenkte mir einen Funken Hoffnung.

Und er hatte recht … Die gigantische Rauchwolke, die durch unsere schlichten Hütten aus Holz und Schilf in den Himmel zog, hing wie eine bedrohliche Warnung, nahezu wie ein zu später Hilferuf des verlorenen Dorfes, über uns. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten vorbeiziehenden Händler die Botschaft in den umliegenden Dörfern und Städten verbreiten würden.

»Wieso erzählst du mir nicht jetzt schon ein bisschen mehr? Wer bist du, dass du deine Kameraden einfach verrätst und mir hilfst? Warum tust du das?«, warf ich Luan vor. Es widerstrebte mir noch immer, einem Fremden einfach so zu vertrauen. Denn auf welcher Seite stand er, wenn er zuvor noch die Dörfer mit den anderen Soldaten überfallen hatte, um ihnen nun so in den Rücken zu fallen? Das ergab doch alles keinen Sinn. Auch wenn er nur bei den Lafrandern untergetaucht war, so musste er sie doch einige Zeit begleitet und vielleicht auch Freunde gefunden haben, die er nun im Stich ließ.

»Ich habe einen Pakt mit jemandem geschlossen, dich zu retten, solltest du auftauchen. Ich war nie einer von denen und werde es auch nie sein«, entgegnete er. »Aber wir haben jetzt keine Zeit, um Fragen zu beantworten.«

Ich wollte widersprechen. In absehbarer Zeit Antworten zu erhalten gab mir einen Teil meines Mutes und meiner Zuversicht zurück. Als würde der winzige Funke, den mir Luan mit seinen Worten gegeben hatte, eine kleine Flamme in meinem Inneren zum Leuchten bringen. Doch zugleich war da dieses Kribbeln tief in mir. Ich musste ihm vertrauen, auch wenn es mir widerstrebte. Was blieb mir anderes übrig?

»Versprochen?«, hakte ich nach. »Versprich mir, dass du in Karden all meine Fragen beantwortest.«

»Nicht alle, aber viele. Versprochen.« Er nickte mir zu und zog dann eine Augenbraue in die Höhe.

Abermals schoss mir die Hitze in die Wangen. Seine ausgestreckte Hand hing noch immer wie eine Einladung zwischen uns. Ein Angebot, in das ich nur einzuwilligen brauchte, damit ich wieder die Kraft zum Aufstehen fand.

»Danke«, sagte ich, als ich meine Hand in seine legte und mir auf die Füße helfen ließ. Dieses Mal stand ich bereits sicherer und zitterte weniger. Meine Kraft kehrte zurück. »Wie lange werden wir brauchen?«

»Nicht allzu lange, wenn wir gleich aufbrechen. Dann schaffen wir es ohne Proviant. Ich habe einen Trinkbeutel bei mir. Wenn wir uns das alle ein wenig einteilen, genügt es für die kurze Strecke.« Wie zur Bestätigung holte er unter seinem Mantel einen kleinen Beutel hervor. »Wir sollten hier noch ein wenig Wasser trinken und den Beutel gefüllt mitnehmen.«

Ich nickte unter dem fragenden Blick von Aylin. »Es ist ziemlich heiß auf den Ebenen, weil sie auf einem Plateau oberhalb von Midre liegen«, erklärte ich ihr. »Die Sonne dürfte in wenigen Stunden ihren höchsten Punkt erreicht haben und dadurch, dass es auf den Wiesen manchmal sehr trocken sein kann – obwohl sie so nah am Wasser liegen – kann es unangenehm werden.«

Luan nickte, als würde er meine Antwort bestätigen wollen. Schon oft hatte ich am Rand der Sandfläche gestanden. Einmal hatte unsere Mutter uns erklärt, dass die Ebene ihren Namen den Pflanzen verdankte, die sich darauf ausgebreitet hatten: den Karden-Gewächsen.

Luan verzog das Gesicht. »Trinkt jetzt etwas und dann lasst uns aufbrechen.« Er reichte mir den Beutel.

»Nach dir«, erwiderte ich, sehr zur Belustigung von Luan, wie mir das Grübchen in seiner Wange verriet.

Nachdem er selbst einen großen Schluck genommen hatte und mir abermals den Beutel reichte, nahm ich ihn schließlich. Prüfend hielt ich meine Nase darüber und stellte fest, dass es tatsächlich Wasser sein musste. Aber sicher war sicher.

Nachdem Aylin und ich getrunken hatten und Luan den Beutel aufgefüllt hatte, brachen wir auf. Ich warf einen letzten Blick auf unser Haus, das kaum noch zu erkennen war. Das Schilf, das sonst im Wind wiegte, hatte mittlerweile auch Feuer gefangen und schwelte in einem leuchtenden Rotorange. Das hinter uns liegende Dorf war im Rauch bereits kaum noch wiederzuerkennen.

Es würde nie wieder so sein, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich würde es wohl nie wiedersehen, nie wieder über die Stege um das Zentrum herumlaufen. Nie wieder direkt von einem der Häuser in ein Fischerboot einsteigen und auf das Meer hinausfahren.

Luan zog mich sanft vorwärts und lenkte so auch meine Augen weg von dem Feuer auf den Boden vor uns. Er hatte ja recht. Wir hatten schon viel zu lange gewartet, hatten Glück, dass die Flammen noch nicht den Weg bis zu den Ebenen zerfressen hatten und uns noch gehen ließen.

»Verschwinden wir«, brachte ich mühsam hervor. Frische Tränen brannten in meinen Augen, aber ich blinzelte sie weg. Ich musste stark bleiben. Für Aylin. Allein das zählte jetzt. Das redete ich mir immer und immer wieder ein.

Aylin klammerte sich an mich, als wir an den Rand des letzten Steges traten und sich vor uns die weite Ebene von Karden öffnete. Hier am Rand standen noch vereinzelte Bäume, aber vor uns lag eine Wiese aus krautartigen Gewächsen, so weit ich blicken konnte.

Am liebsten wäre ich auf der Stelle wie angewurzelt stehen geblieben, Aylin kam mir damit jedoch zuvor.

»Mutter hat gesagt, dass wir die Stege nicht verlassen dürfen!«, klagte sie und drückte sich noch enger an mich.

Auch mir wurde mulmig zumute, wenn ich daran dachte, dass ich noch nie außerhalb der gewohnten Gegend gewesen war. Unsere Mutter hatte es uns nicht ohne Grund verboten … »Du hast recht, Aylin. Aber das hier ist eine besondere Situation. Es gibt Momente, da müssen wir die Regeln brechen. Mutter und Vater hätten nicht gewollt, dass wir hierbleiben und auf sie warten. Sie hätten genau jetzt von uns erwartet, dass wir sie suchen gehen. Und dafür müssen wir diesen Schritt wagen.« Ich schenkte ihr ein möglichst aufmunterndes Lächeln.

Doch zu meinem Entsetzen schüttelte sie den Kopf. Das tat sie doch sonst nicht. Bisher hatte sie mir immer vertraut, hatte getan, was ich gesagt hatte …

Ich atmete tief durch, um mir die nächsten Worte der Überzeugung einfallen zu lassen. Aber Luan kam mir zuvor. Er ging vor meiner kleinen Schwester in die Knie.

»Hör mal, kleine Lady. Deine Schwester hat recht. Und ich bin bei euch. Eure Eltern wollten nur nicht, dass ihr allein und ungeschützt die Weiten von Ilandmera betretet. Aber jetzt habt ihr einen starken Krieger an eurer Seite, der euch beschützt.« Er zwinkerte Aylin zu und sie blickte verlegen zu Boden. »Siehst du …« Er nahm seinen Mantel zurück und gab damit die Sicht auf sein Schwert frei, das er am Gürtel befestigt hatte. »Das ist die Waffe eines echten Kriegers und damit werde ich dich und Freya mit meinem Leben verteidigen.«

Kurz weiteten sich Aylins Augen beim Anblick des Schwertes. Dann hob sie entschlossen das Kinn in die Höhe und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Ich bin nicht klein«, widersprach sie zu meinem Erstaunen.

Luan lachte. »Auf große Ladys muss man noch viel besser aufpassen, das stimmt.« Zu meiner Überraschung schaute er auf und zwinkerte dieses Mal mir zu. War das sein Ernst?

»Versprochen?«, hakte Aylin nach.

»Versprochen«, entgegnete Luan.

Danach erhob er sich und trat wieder an meine Seite. Legte schützend seinen Arm um mich und tat einen Schritt in Richtung der unendlichen Grasebenen, die vor uns lagen.

Ich schluckte. Weiter war ich noch nie von zu Hause weg gewesen. Weiter war ich überhaupt noch nie gegangen und es jetzt zu tun, fühlte sich befreiend und falsch zugleich an. Denn es gab mir die Gewissheit, dass ich nie wieder an diesen Ort zurückkehren würde und dass ab jetzt nichts mehr so werden würde, wie ich es gewohnt war.

»Ich will zu Luan!«, meinte Aylin und verschwand plötzlich von meiner Seite, um kurz darauf neben Luan zu stehen und die freie Hand des Kriegers zu ergreifen.

Erschrocken öffnete ich den Mund, um etwas zu sagen. Schloss ihn jedoch wieder, weil ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Ich war immer für Aylin dagewesen. Ich war diejenige gewesen, der sie stets vertraut und auf die sie gehört hatte. Warum um alles in der Welt fühlte sie sich nun bei einem Fremden sicherer als bei mir?

Die Eifersucht raubte mir den Atem und ein weiteres Stück meiner Kräfte. Aber ich blieb stumm.

Mit jedem Schritt, den wir in die Ebene taten, den wir durch die Karden-Gewächse liefen, stieg die Sonne höher in den Himmel hinauf. Immer ungestümer brannten ihre Strahlen auf meiner Haut und immer mehr Dornen rissen mir die Haut an den Beinen auf, bohrten sich in meine Schienbeine und Waden. Währenddessen zitterte mein Körper noch immer unkontrolliert. Wieso kam ich mir nur so schwach und hilflos vor?

Ich biss die Zähne fest aufeinander. Ich hasste dieses Gefühl jetzt schon. Dieses Gefühl, dem Fremden schutzlos ausgeliefert zu sein, mich auf ihn verlassen zu müssen und nicht allein auf Aylin aufpassen und für sie sorgen zu können.

»Meine Füße tun weh«, jammerte Aylin. Wie gern ich ihr zugestimmt hätte, denn auch ich spürte erste Blasen an meinen Hacken und wollte mich am liebsten an Ort und Stelle auf den Boden fallen lassen. Doch auch von dort ging eine enorme Hitze aus.

»Am Abend werden wir in Karden sein«, bemerkte Luan. Auch wenn er es aufmunternd meinte, trieb mich die Aussicht auf noch mehrere Stunden Fußmarsch beinahe an den Rand der Verzweiflung.

Doch das war nur eine der Tatsachen, die sich stetig in meine Gedanken drängten. Zusätzlich sah ich all die Bilder meines brennenden Dorfes ununterbrochen vor meinem inneren Auge aufflackern. Und mit jedem dieser Bilder fühlte ich mich, als würde eine Dolchspitze immerzu in meine Brust gerammt werden.

Nur nicht aufgeben. Nicht weinen …

Als ich das nächste Mal in den wolkenlosen Himmel blickte, erkannte ich, dass die Sonne tatsächlich beinahe den höchsten Stand erreicht hatte. Noch nie hatte ich mir so sehnlichst eine einzige Wolke und ein wenig Schatten gewünscht.

»Vielleicht haben wir Glück«, Luan war meinem Blick gefolgt, »und es zieht am Nachmittag ein bisschen zu und kühlt sich ab.«

Ich war zu schwach, fühlte mich zu kraftlos, um etwas darauf zu erwidern. Die Luft vor mir flimmerte und immer wieder bildete ich mir Dinge ein. Dass vor uns Seen auf der Ebene lägen, dass sich die Gewächse in einer Windböe bewegten. Aber nichts davon entsprach der Realität. Leider.

»Runter«, zischte Luan plötzlich und zog Aylin und mich gleichzeitig zwischen die Gewächse in den Sand.

»Au!«, beschwerten Aylin und ich uns beinahe zur gleichen Sekunde, woraufhin wir nur ein »Pssscht!« von Luan abbekamen.

Als ich es wagte, kurz aufzuschauen, entdeckte ich in der Ferne einige Reiter im Flimmern der Hitze. Ihre Köpfe wanderten über die Ebene und in Richtung des Rauches. Trotz der verschwommenen Luft meinte ich erkennen zu können, dass sie sich umschauten und dass es um die sechs Männer sein mussten.

»Sind das …?«, flüsterte ich.

»Ja.« Luan nickte. »Das sind Lafrander.«

Ein eiskalter Schauer lief mir über den gesamten Körper und brachte mich zum Frösteln. War das die Verstärkung, von der Luan gesprochen hatte?

»Nach was sucht ihr Lafrander denn bitte so verzweifelt?«, fragte ich nach. So leise, dass ich meine Worte kaum selbst noch verstand. Die Reiter schienen weit weg, aber riskieren wollte ich nichts.

»Das habe ich dir doch bereits erklärt. Nach einem Mädchen, das anders ist. Einem Mädchen, vor dem wir uns alle fürchten müssen.«

»Aber warum?! Wieso sollte das ausgerechnet ich sein? Ich verstehe das nicht«, rief ich verzweifelt aus. »Das ergibt keinen Sinn. Bisher hat sich auch keiner um mein verdammtes Leben geschert.«

»Psst!« Er zuckte mit den Schultern. »Es gibt immer wieder Momente im Leben, in denen sich alles verändern kann. Ob wir wollen oder nicht. Dann bleibt uns nur eines: unser Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Das solltest du jetzt tun.«

Lustig. Der Kerl hatte gut reden. Wer hatte denn gerade das Bewusstsein verloren, die Augen wieder aufgeschlagen und plötzlich das ganze Dorf zerstört gesehen? Wer hatte gerade seine Eltern verloren?

Inzwischen zitterte ich nicht mehr nur wegen mangelnder Kräfte, sondern wegen panischer Angst um meine Schwester und mich. Wurden wir gerade tatsächlich von ganz Lafrand gesucht?

»Ich verstehe das alles trotzdem nicht. Du kannst mir doch nicht weismachen, dass mich von jetzt auf gleich halb Ilandmera jagt und ich keinen blassen Schimmer habe warum!«

»Doch. So ist es aber.« Und mit seiner Antwort brachte Luan an diesem Tag erneut meine gesamte Welt durcheinander. Warf alles über Bord, an das ich mich bisher geklammert hatte. »Ich bin mir inzwischen mehr als nur sicher, dass du keine Sacranderin bist.«

Kapitel 4

Sacrande – Karden

Am späten Nachmittag erreichten wir schließlich die südliche Handelsstadt Karden, die Hauptstadt Sacrandes. Damit ließen wir die Hitze der Ebene hinter uns.

»Was führt Euch her?« Aus zusammengekniffenen Augen musterte uns einer der Wächter vor den Toren der Stadt. »Ein Lafrander – der Kleidung nach zu urteilen –, eine Sacranderin und ein kleines Mädchen. Seltsame Gefährten für Zeiten wie diese.«

»Es hat Euch einen Scheiß zu interessieren, was uns herführt. Steckt Eure Nase nicht in Angelegenheiten anderer Leute, die Euch nichts angehen!«, fauchte Luan. »Und jetzt sagt mir nichts von wegen Wächteraufgabe! Ich bin im geheimen Auftrag des Königs der Hauptstadt hier.«

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht überrascht den Kopf zu Luan zu drehen. Es stimmte also. Luan würde Aylin und mich König Thorn vorführen. Obwohl er kein Lafrander war?

Die Wächter schien die Antwort zu überzeugen – zumindest den Mann vor uns. Denn er zögerte nicht länger und hob die Hand zu einer einfachen Geste, woraufhin ein Horn geblasen wurde und sich die riesigen Tore der Stadt langsam öffneten.

»So macht man das, Prinzesschen. Ich hoffe, du hast dir das gut angeschaut und gemerkt.« Luan grinste breit.

Ich hielt den Atem an, aber der Wächter hatte sich längst einige Schritte von uns entfernt und war zur Öffnung des Tores gegangen.

»Prinzesschen?«, entgegnete ich scharf.

»Reg dich ab!«, meinte er daraufhin nur, was ich mit zusammengebissenen Zähnen zu ignorieren versuchte.

»Du … bist gar nicht im Auftrag des Königs unterwegs?«, hakte ich nach und beinahe wäre mir erneut die Kinnlade nach unten geklappt.

»Was denkst du denn? Besser, du hinterfragst die Dinge, die dir erzählt werden, in Zukunft mehr. Wenn ich wirklich im Sinne von Thorn handeln würde, müsste ich dich hinrichten, weil du Magie in dir trägst.« Luan zwinkerte mir zu. Dann wandte er sich von mir ab und folgte dem Wächter der Kardener.

Magie. Ich fröstelte. Das ergab doch alles keinen Sinn. Ja, er hatte mir erzählt, dass er ein Mädchen im Auftrag seines Königs suchen würde. Aber warum hatte er mich damit angelogen? Und wieso um alles in der Welt schleppte er mich zu den Kardenern? Nur weil hier eventuell jemand war, der uns helfen konnte?

Aylin schaute zu mir auf. »Ich habe Angst.«

O ja. Das hatte ich auch. Und wie. Aber das sagte ich nicht laut. Nicht vor meiner kleinen Schwester. »Wird schon gut gehen. Wir haben doch Luan dabei«, versuchte ich sie aufzumuntern und hoffte auch meine Zweifel damit wegwischen zu können.