Frank Goosen über The Beatles - Frank Goosen - E-Book

Frank Goosen über The Beatles E-Book

Frank Goosen

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Beschreibung

Frank Goosen über The Beatles. Dass Frank Goosen Beatles-Fan wurde, hatte mit Schwarzarbeit zu tun. Mit den Worten »Gib mir kein Geld, gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!« ließ Goosen Senior sich Ende der Siebziger von einem Elektrohändler für ein paar nach Feierabend angeschlossene Steckdosen mit Beatles-Scheiben bezahlen. Damit war es um den 13-jährigen geschehen. In diesem Buch spürt Goosen seiner lebenslangen Obsession für die »Fab Four« nach: in der Erinnerung an seine Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet und an den Originalschauplätzen in Liverpool: kenntnisreich, berührend-persönlich und irre witzig!

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Seitenzahl: 153

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Frank Goosen

The Beatles

Frank Goosen über The Beatles

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Frank Goosen

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Teil 1

Acht Tage die Woche

Teil 2

Ein Tag im Leben

Teil 3

Durch die Glaszwiebel

Noch mehr Lesespaß

Inhaltsverzeichnis

Für Robert und Ludwig

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Acht Tage die Woche

Born under hundert Mann

Kurz nach meiner Geburt hörten die Beatles auf, Konzerte zu geben. Der ursächliche Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen ist unter Historikern umstritten.

Nur fünfundzwanzig Tage nachdem meine Mutter mit mir niedergekommen war, traten sie noch im Rahmen der Bravo Beatles Blitztournee in der Essener Grugahalle auf, etwa 20 Kilometer von der Alleestraße in Bochum entfernt, wo ich die ersten einundzwanzig Jahre meines Lebens verbrachte. Während ich mir die Seele aus dem Leib brüllte, weil ich mehr Muttermilch wollte, schrie John Lennon in Essen vielleicht gerade Twist and Shout ins Mikro.

Näher bin ich ihnen räumlich nie gekommen.

Die Beatles trennten sich, als ich gerade mal vier Jahre alt war. Trotzdem wurde ich mit dreizehn ein leidenschaftlicher Fan. Wie konnte es dazu kommen? Nun, es wurde mir nicht gerade an der Wiege gesungen, wie man so sagt. Ich habe mal nachgeforscht, welche Musik die Deutschen gehört haben, als ich das Licht der Welt erblickte. In der Woche vor meiner Geburt war die Nummer eins der deutschen Charts (damals noch »Hitparade« genannt) These Boots Are Made For Walking von Nancy Sinatra. Es wäre sehr schön gewesen, zu dieser Nummer eins den ersten Schrei zu tun. Auch den Spitzenreiter der Woche nach meiner Geburt hätte ich mir noch gefallen lassen: Sloop John B von den Beach Boys. Doch am Tag meiner Geburt, und nur in dieser einen Woche, war der Spitzenreiter in Deutschland welche Nummer? Hundert Mann und ein Befehl! Von Freddy Quinn! Das nenne ich born under a bad sign. Hundert Mann und ein Befehl / und ein Weg, den keiner will, heißt es da. Genau, hinterher will es wieder niemand gewollt haben und keiner gewesen sein. Einundzwanzig Jahre nach Kriegsende kam man damit immer noch ganz nach vorne. Auch wenn es in der Nummer vorgeblich um die Fremdenlegion geht.

In meinem direkten Umfeld wurde so etwas durchaus gerne gehört. Meine Familie steckte knietief im deutschen Schlager. Zu meinen ersten (unfreiwilligen) Hörerlebnissen gehörte Heißer Sand von Mina, ein knallhartes Eifersuchtsdrama. Die Nina war dem Rocco schon im Wort, was der »schwarze Tino« aber nicht akzeptieren wollte, weshalb er den Rocco meuchelte und sich auf und davon machte, wahrscheinlich zur Fremdenlegion, denn die war ja ständig in heißem Sand unterwegs.

Meine Omma schwärmte für Karel Gott und sang für mich immer wieder Einmal um die ganze Welt / Und die Taschen voller Geld, dass man keine Liebe und kein Glück versäumt / Viele fremde Länder sehen, auf dem Mond spazieren gehen. Unser Mond hieß erst Holland, später Bregenz am Bodensee. Auch Weißt du wohin, die Schiwago-Melodie, ebenfalls in der Version von Karel Gott (»unser sympathischer Freund aus der Tschechoslowakei«, wie Dieter Thomas Heck ihn in der Hitparade nannte), gehörte zu Ommas Repertoire. Später schwärmte sie für Freddy Breck und seine Roten Rosen, und wenn es frivol sein durfte, dann war Volker Lechtenbrink angesagt mit Hitch Hike Baby (Kleine Rasthaus-Lady).

1976 kam ich aufs Gymnasium am Ostring, und zwei Jahre später fing ich an, mich für Popmusik zu interessieren. Zuerst ging ich durch eine kurze Abba-Phase, induziert durch eine frühe Hormonverwirrung, da ich in Agnetha verknallt war. Aktuelle Musik, Chartfutter, war in unserer Klasse allerdings weitgehend verpönt. Die Musik der Sechziger und frühen Siebziger war allenthalben virulent, auf Partys wurde noch in den Achtzigern zu Satisfaction im Kreis getanzt. Es muss 1982 oder 83 gewesen sein, dass ich mit dem schönsten Mädchen der Stufe Klammerblues zu Bob Dylans Joey tanzte, und obwohl mir die Nummer elf Minuten und fünf Sekunden Zeit gab, gelang es mir nicht, ihr das gemeinsame Leben voller Liebe und Abenteuer, das sie an meiner Seite erwartete, auch nur ansatzweise zu skizzieren.

Neben Dylan und den Stones standen auch die Beatles hoch im Kurs. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Jörg K., der mich auf den richtigen Weg brachte. Er hatte mir Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band auf Kassette überspielt, und ich weiß noch, dass sie mich bei Lucy in the Sky with Diamonds schon hatten. Oder erst. Ist ja immerhin die dritte Nummer auf der Platte. Das klang wie nichts, das ich jemals gehört hatte. Das Intro – war das eine verfremdete Gitarre oder ein Spinett? Oder etwas ganz anderes? Dann diese Stimme, ein bisschen gequetscht, aber doch voll da, ein wenig nasal und doch so deutlich. Und dann der Text: tangerine trees and marmelade skies, cellophane flowers of yellow and green, plasticine porters with looking-glass ties – keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber allein der Klang der Wörter haute mich um. Das war sehr weit weg von den hundert Mann im heißen Sand.

»Gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!«

Dass ich den Beatles dann komplett und endgültig verfiel, hatte mit Schwarzarbeit zu tun. Mein Vater war Elektriker und betrieb eine kleine Ein-Mann-Firma. Eines Abends galt es, im traditionsreichen Bochumer Fachhandel für Elektrogeräte und Unterhaltungselektronik Radio Zerfass ein paar Steckdosen zu montieren, und zwar in der Filiale im Gebäude des damaligen Bochumer Stadtbades, neben Hut Müller, dessen Chef früher Eiskunstläufer gewesen war. Der Blick meines Vaters muss über die Schallplatten, die dort ebenfalls angeboten wurden, gewandert sein, und er muss gedacht haben, dass sein Sohn zurzeit diese eine Kassette von den Beatles rauf und runter hörte, jedenfalls sagte er zu Herrn Zerfass: »Gib mir kein Geld, gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!« Ich weiß noch, wie er in seinem grauen Elektromeister-Kittel in mein orange-beige-braunes Siebziger-Jahre-Jugendzimmer kam, wo ich in einem braunen Sessel mit cordbezogenen Polstern und Füßen sowie Lehnen aus verchromtem Stahlrohr saß und mir erzählte, was er bei Zerfass gearbeitet hatte, und dann sagte: »Ich hab dem gesagt: Gib mir kein Geld, gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!«

Dann überreichte er mir das Rote und das Blaue Album sowie Abbey Road.

Mein Vater hat mir nur selten etwas mitgebracht. Abgesehen von den Beatles-Platten erinnere ich mich eigentlich nur an eine herrlich hässliche Seppelfigur mit grünem Hut, Goldkettchen, vorstehenden Zähnen und unentwegt nickendem Kopf, die er während einer Messe in München erstanden hatte, als er noch bei einer anderen Firma angestellt gewesen war, bevor er seine eigene gründete.

Beinahe übrigens hätte mein Vater auch noch das Weiße Album mitgebracht, aber laut Herrn Zerfass war darauf das Gleiche wie auf dem Roten und dem Blauen.

Ich kommentiere das jetzt nicht.

Ich war von den Socken! Noch mehr allerdings, als ich mir die Platten genauer ansah. Das Rote Album, The Beatles 1962–1966, war ganz normal. Aber das blaue – bei dem waren die beiden Scheiben blau! Blaues Vinyl! So was hatte ich noch nie gesehen. Das sah unfassbar cool aus! Und Abbey Road? War eine Picture-Disc! Das obere Drittel wurde von der Mauer mit dem Straßenschild eingenommen, die unteren zwei Drittel von dem legendären Zebrastreifen-Covermotiv. Ich war völlig fertig. Diese Picture-Disc ist leider irgendwann in den letzten vierzig Jahren verloren gegangen oder geklaut worden, aber das Rote und das Blaue Album gehören zu den Dingen, die ich heute noch als Erstes aus unserem Haus schaffen würde, wenn es brennt. Nach der Familie. Obwohl – die können ja mittlerweile alle selber laufen.

Als Plattenspieler stand mir zunächst nur der mittlerweile sagenumwobene Mister Hit von Telefunken zur Verfügung, mit rotem Sockel, der schmale Lautsprecher rechts im transparenten Deckel. Ich ging chronologisch vor, arbeitete mich also von Rot nach Blau. Love Me Do kam recht simpel daher, aber ein bisschen was blitzte schon auf, zum Beispiel, wenn John Lennon dieses leicht verschleifte love me do nach dem lang gezogenen Plea-he-he-hease sang, wobei das v kaum zu hören ist, also mehr so: »Lamme do«. Kann man nicht schreiben, muss man hören.

Der zweite Song, Please Please Me, ging einen Schritt weiter. Ich dachte nur: Fehlt da zwischen dem ersten und dem zweiten please nicht ein Komma? Andererseits, was sollte das heißen: bitte, bitte – mich? Nein, bitte bitte mich! Ein Mensch forderte den anderen auf, ihn um etwas zu bitten. Liebe wahrscheinlich. Please please me, oh yeah, I got please you, verstand ich. Bitte bitte mich (um Liebe), ich habe dich auch gebeten. Da ich mit Latein im fünften Schuljahr, der Sexta, wie sie auf unserer altsprachlichen Lehranstalt noch hieß, angefangen und Englisch erst im Schuljahr 78/79, in der Quarta, dazubekommen hatte, war ich noch nicht so sattelfest. Hatte aber schon mal meinen ersten Beatles-Text begriffen. Glaubte ich damals. Und war stolz.

From Me To You begann mit einem etwas kindlichen Dada-da-dada-damm-damm-da und wirkte wieder etwas einfacher, hielt aber auf der Textebene die eine oder andere Herausforderung für mich bereit. I got arms that long to hold you, hieß es da. Ich habe Arme, so lang, dich zu halten. Bedeutete wahrscheinlich, dass die Arme des Sängers lang genug waren, sein Mädchen festzuhalten. Klang logisch. Dann aber hieß es: I got lips that long to kiss you. Seine Lippen waren lang genug, sie zu küssen?

Ich musste in Englisch dringend besser werden.

Darüber konnte ich erst mal nicht länger nachdenken, denn plötzlich wurde ich von She Loves You förmlich aus dem Schneidersitz vor dem Plastikdeckel gehauen. Die Drums am Anfang, dann gleich der Refrain und dieses aufreizende, mitreißende Yeah, Yeah, Yeah. Gleich beim ersten Mal gefiel mir die Stelle with a love like that am besten: with a Bamm-Bamm-Bamm!

Ich hörte mich durch das Rote Album und ging zum Blauen über. Durch das blaue Vinyl konnte ich durchgucken, erkannte jedenfalls den Schatten meiner Hand, wenn ich sie dahinterhielt. Und wie sich diese blaue Scheibe dann auf dem Plattenteller drehte!

Am ersten Abend, an dem ich die Platten bekommen hatte, machte ich also einen Parforceritt durch die ganze Geschichte der Beatles.

Jochen Schimmang schreibt in seinem wunderbaren Text Gummiseele in der Anthologie We’d love to turn you on, er könne sich nie verkneifen, wenn er von jüngeren Menschen auf die Beatles angesprochen werde, zu betonen, dass er diese Musik im Original erlebt habe, also dass sie ursprünglich für Leute wie ihn gemacht worden sei. Und weiter: »Es hat einige Zeit gedauert, aber inzwischen habe ich längst begriffen, welch unfassbares Glück es bis heute bedeutet, in den Sechziger Jahren jung gewesen zu sein. Ganz ohne eigenes Verdienst, nur durch die Gnade der passgenauen Geburt.«

Ja, es war die Generation der Schimmangs und Modicks und Ohnemus’ und Heidenreichs (die alle über die Beatles geschrieben haben) und vieler anderer, für die die Musik ursprünglich gemacht war, weil es Popmusik ist, die in erster Linie für den Moment da ist und sich erst im Nachhinein als zeitlos erweist – oder eben nicht. Der größte Unterschied zwischen den Zeitgenossen und uns Nachgeborenen ist aber, dass jene diese Musik als Soundtrack einer sich schrittweise vollziehenden Veränderung, ja Umwälzung der populären Kultur erlebten. Sie fieberten jeder neuen Platte entgegen, sei es von den Beatles, den Stones oder von Dylan oder anderen, gingen mit diesen Songs durch ihre Jugend und Adoleszenz, entwickelten sich genauso weiter, wie die Musik es tat. Schimmang war fünfzehn, als die Beatles mit der ungestümen Naivität von She Loves You durch den deutschen Mief fegten, neunzehn, als sie mit Strawberry Fields, dem Walrus und Sergeant Pepper in einer anderen Zeitrechnung angekommen waren, und zweiundzwanzig, als sie sich trennten. Und auch, wenn anfangs zwei LPs pro Jahr erschienen, dazwischen noch Singles, EPs und Filme, musste man doch immer eine gewisse Zeit warten, bis man mit neuem Material versorgt wurde. Klaus Modick formuliert es in seinem nicht minder wunderbaren Text in derselben Anthologie so: »Wenn damals eine neue Beatles-Platte angekündigt wurde, wartete ich darauf wie auf eine Offenbarung, wie auf ein allerneuestes Testament.«

Bei mir war das anders. Vor mir, dem Nachgeborenen, lag die gesamte Geschichte der Beatles schon in Gänze ausgebreitet. Der Mythos wurde gleich mitgeliefert, musste sich nicht erst bilden, nicht erst erschlossen werden. Für mich ging es vom ersten Song auf dem Roten Album, Love Me Do, bis zum letzten auf dem Blauen, The Long and Winding Road, in zweieinhalb Stunden. Schon während dieser zweieinhalb Stunden war allerdings klar: Ich hatte jetzt ein Projekt. Es war nun meine heilige Pflicht, mich in das Gesamtwerk dieser vier Typen aus Liverpool zu versenken.

Das Blaue und das Rote Album blieben erst mal die Basis für die Reise ins Beatles-Land. Zu den Kulturtechniken, die im Streamingzeitalter verloren gehen, gehört die Beschäftigung mit dem haptischen Aspekt des Tonträgers. Das Gewicht der schwarzen (oder blauen) Scheibe, die Qualität des Labeldrucks, das Reinigen der Platte, vor allem aber die Begutachtung des Covers während des Hörens. Stundenlang saß ich da und studierte jedes Detail.

Auf dem Roten Album standen sie auf der Vorderseite auf einem Balkon und blickten nach unten in Richtung des Betrachters, also in meine Richtung. Auf dem Foto ganz links stand Ringo, dem man noch nicht den Pilzkopf verpasst hatte, er trug noch Tolle und Scheitel. Seinen rechten Arm hatte er auf die Balkonbrüstung gelegt, die eine Hand auf der anderen, am Handgelenk ein Goldkettchen, am kleinen Finger einer der Ringe, denen er seinen Spitznamen verdankte.

Der Zweite von links war Paul McCartney, ganz leicht zurückgesetzt. Von ihm sah man nur das erstaunlich jung wirkende Gesicht und seinen Ellenbogen und Oberarm auf der Brüstung. Neben ihm George Harrison, von dem wieder etwas mehr zu sehen war. Ein wenig nach rechts eingedreht (von ihm ausgesehen), stützte auch er seinen Arm auf. Von John Lennon war am meisten zu erkennen. Beide Schultern, beide Hände. Alle vier lachten und trugen braune Anzüge mit offenbar rosafarbenen Hemden und dunklen Krawatten.

Klappte ich das Album auf, sah ich ein doppelseitiges, lang gestrecktes Schwarz-Weiß-Foto mit einem leichten Rotstich, das einen Jungen in einem Strickpullover mit Rautenmuster vor einem Metallzaun zeigte, hinter dem eine Reihe anderer Leute stand, Kinder und Erwachsene, und mittendrin die Beatles, um einiges älter als auf dem Bild vorne. Links unten hatte sich Ringo neben einen kleinen Jungen gehockt. Paul stand in zweiter Reihe, ein paar Meter rechts von ihm John mit Nickelbrille, der genau zwischen zwei Zaunspießen hindurchschaute, dabei aber eher gleichgültig und desinteressiert wirkte. Auch Ringo und Paul schienen nirgendwo so richtig hinzuschauen. Nur George, der rechts stand und ein T-Shirt mit einer aufgedruckten Krawatte trug, das Kinn leicht angehoben, schien irgendetwas genau zu betrachten.

Stell dir vor, dachte ich, du selber wärst der kleine Junge da vorne und jetzt für ewig mit den Beatles auf diesem Foto vereint.

Hintendrauf waren sie auf demselben Balkon abgebildet, in ungefähr den gleichen Posen, aber mit sehr viel längeren Haaren. Ringo und George hatten sich Schnauzbärte stehen lassen, John einen Vollbart, nur Paul war glatt rasiert, dafür im Gesicht ein bisschen fülliger.

Beim Blauen Album war es umgekehrt: das Foto mit den alten Beatles vorne, das mit den jungen hinten. Außerdem war schräg in die linke obere Ecke gedruckt: »Neu – Limitierte Sonderauflage blaue LP’s«. Herrje, es gab damals schon den Deppen-Apostroph! Innendrin das gleiche Foto wie im Roten Album, nur mit einem leichten Blaustich.

Während ich so dasaß und mich durch die beiden Doppel-Alben hörte, studierte ich sogar die eigentlichen Plattenhüllen, auf denen Werbung für allerlei Dinge gemacht wurde, die man angeblich als Musikfreak brauchte. STUDIOFORM stand oben drüber. DAS ZUBEHÖR DER PROFIS. PERFEKT IN FORM UND FUNKTION. Was man nicht alles brauchte, wenn man ein Profi sein wollte: die Reinigungsbürste, das Anti-Static-Tuch, die Static-Stop-Plattenunterlage, den Single-Puck (»für schonende Behandlung aller Singles«), den Single-LP-Greifer (»für schonende Ablage und Aufnahme«), das LP-Center (»für optimale und sachgerechte Aufbewahrung«), für Musikkassetten das MC-Center (»für optimale und …«) und die »geblisterte« Reinigungs-MC, die »gründliche und schonende Reinigung der Tonköpfe« garantierte. Auf der Rückseite wurden einem das LP- und das MC-Center noch mal besonders ans Herz gelegt, »empfohlen von HÖRZU«. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt. Einstweilen aber konnten meine wenigen Platten noch auf dem Boden stehen, an die Wand neben dem Sofa in meinem »Jugendzimmer« gelehnt.

Dann legte ich die Picture-Disc von Abbey Road auf. Mann, sah das merkwürdig und cool aus, wie sich die vier über den Zebrastreifen laufenden Beatles im Kreis drehten! Sie liefen und liefen und konnte mir doch nicht entkommen!

Irgendwann sagte mein Vater: »Hätte ich gewusst, was ich damit auslöse …«

»Was dann?«

»Dann hätte ich dir noch mehr Platten mitgebracht.«

Freischwimmer

Das alles trug sich zu im Jahre des Herrn 1979. Der Zustand mit dem alten Mister-Hit-Plattenspieler war natürlich unhaltbar, wenn man die klangliche Finesse vor allem der späten Beatles-Alben wirklich würdigen wollte. Zum Glück wurde ich am 27. April 1980 konfirmiert, und dank eines Urgroßvaters und zweier Großmütter konnte ich mir danach einen halbwegs ordentlichen Plattenspieler zulegen. Da ich allerdings nie ein Hi-Fi-Gourmet war, außerdem leidenschaftlich gern Mixtapes aufnahm und Platten von Schulfreund*innen überspielte, entschied ich mich für eine Kompaktanlage der Marke Schneider. Keine drei Wochen später erschien mit McCartney II die erste LP eines Beatle, die ich als Zeitgenosse erlebte. George Harrisons George Harrison kam zwar bereits Anfang 1979 heraus, war aber an mir erst mal vorbeigegangen – ein weiterer Beleg dafür, dass meine endgültige Beatles-Initiation durch die Schwarzarbeit meines Vaters erst im Laufe des Jahres 1980 stattgefunden haben kann.

Ende Mai ließ ich mir McCartney II zum Geburtstag schenken. Aktuelle Musik eines Beatle, ganz frisch, praktisch zu meinem Geburtstag auf den Markt geworfen – ich war fasziniert. Vielleicht ist diese Platte dafür verantwortlich, dass ich das Klischee von Lennon als dem zynischen Genie und McCartney als dem netten, süßlichen, allzu kommerziellen Schmeichler nie so richtig mitgemacht habe. Zwar zeigt er auf dem körnigen Porträtfoto auf dem Cover seinen patentierten Paulchen-Blick, die Augen im kalkulierten Staune-Modus, die Lippen geöffnet und leicht gespitzt, als sei er gerade mit der Hand im Marmeladentopf erwischt worden, doch sprachen die Songs eine ganz andere Sprache. Die waren kein süßes Gedudel, sondern bisweilen recht experimentelle, aber immer noch eingängige Popsongs. Auch kamen ausgiebig Synthesizer zum Einsatz, was ich eigentlich nicht ausstehen konnte, hier aber wunderbar funktionierte. Und Paule hatte alles ganz alleine aufgenommen, alle Instrumente selbst gespielt. Und zwar zu Hause. This Album was recorded at home, war auf der Innenhülle zu lesen. Auf der LP-Hülle sieht man ihn von hinten