Frau Prinz pfeift nicht mehr - Asta Scheib - E-Book

Frau Prinz pfeift nicht mehr E-Book

Asta Scheib

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Beschreibung

Ein spannender Psychothriller um den Tod einer mißgünstigen Frau und schrecklichen Nachbarin. »Nun lag Frau Prinz in ihrem Vorgarten, für immer verstummt. Sie trug ihren knallroten Anorak und die Schirmmütze mit den Ohrenklappen. Eine seltsame Bekleidung für eine Leiche. Aber so war sie gewesen, ohne Rücksicht auf die Umwelt.« Das Scheusal ist tot, erschlagen - und die Nachbarn im vornehmen Münchner Stadtteil Nymphenburg zeigen klammheimliche oder offene Freude, denn Frau Prinz hat sie alle drangsaliert. War es Mord? Die Zahl der Verdächtigen ist groß, und Kommissar Kemper gerät immer tiefer in ein Geflecht von Haß und Rache. Ungekürzte Ausgabe im augenfreundlichen Großdruck.     

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Seitenzahl: 158

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Asta Scheib

Frau Prinz pfeift nicht mehr

Roman

Deutscher Taschenbuch Verlag

Neuausgabe

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

© 2003 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.

eBook ISBN 978-3-423-40151-7 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-25297-3

www.dtv.de

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Die Bewohner der Max-Ernst-Straße liebten ihre Hunde, ihre Häuser, ihre Religion und ihre Partei. So einen Schrei, wie er am Dienstag, dem 2.Februar, plötzlich in der ruhigen Mittagsstunde aufstieg, hoch und anhaltend hysterisch, voll Entsetzen und Lust am Schrecklichen, solch einen Schrei liebten sie nicht. Bayern schrien höchstens für die Sechziger oder für Bayern München, und daher war es nur natürlich, daß es eine Preußin war, Frau Tinius, die am Gartenzaun der Nummer 75 stand und nach einem Arzt rief, nach einem Pfarrer, nach der Polizei, welche letztere, von irgend jemandem benachrichtigt, sich rasch durch Blaulicht und Sirene ankündigte. Kunststück, wo das Revier um die Ecke war.

Immer mehr Leute liefen vor der Nummer 75 zusammen, drängten sich durch bis ganz nach vorn, aber niemand trat durch die Tür zum Vorgarten, obwohl die offenstand. Frau Tinius starrte in einer Mischung von Entsetzen und Behagen durch den Zaun, murmelte abund zu »ach du heiliger Bimbam, die Frau Prinz«.

»Lassen Sie gefälligst unsere Heiligen aus dem Spiel, Sie haben die Frau Prinz ja gar nicht gemocht«, wurde Frau Tinius von Frau Schierl korrigiert, die es für die höchste und lebenslang ausreichende Eigenleistung hielt, als Bayerin geboren zu sein, und sie duldete es nicht, daß eine Preußin mit bayerischen Werten fahrlässig umging. Die traditionelle, in manchen Bayern stets abrufbereite Abneigung gegen die Zugereisten stieg hoch in Frau Schierl. Doch schon vereinte die Ankunft der Gesetzeshüter Preußen und Bayern wieder zu gesammelter Aufmerksamkeit.

Zwei Polizisten stiegen aus dem Streifenwagen, ihre jungen robusten Gesichter wirkten jovial im Bewußtsein ihrer Bedeutung. Die Umstehenden machten ihnen Platz, doch der jüngere Polizist versuchte mit herablassender Geduld die Zaungäste zum Abzug zu überreden. »Kommen Sie, gehen Sie doch, hier gibt’s nichts zu sehen.«

Der andere Polizist kniete bei der Toten, man sah, daß er bemüht war, nichts zu berühren, er schaute nur aufmerksam die Leiche an und ging dann wortlos zu seinem Wagen, um zu telefonieren, und sein junger Kollege schloß das Tor, damit niemand mehr nahe an die Tote herankommen konnte. Die Umstehenden, auch Frau Tinius und Frau Schierl, zogen sich folgsam ein wenig zurück. Das sah man ja ein, die Polizei mußte hier ihre Pflicht tun, schließlich gehörte man sozusagen zu diesem Drama dazu, immerhin kannte Frau Schierl die Tote seit gemeinsamen Kindertagen, und Frau Schierl fühlte mit jeder Sekunde mehr, wie teuer ihr Frau Prinz trotz allem gewesen war. Schon als Schulkinder waren sie zerstritten, eines war selig, wenn das andere nachsitzen mußte, spätere Schicksalsschläge wurden wechselseitig mit Genugtuung registriert, wobei man mitleidsvoll Anteilnahme bekundete. Das gehörte sich so. In Streitzeiten waren sie mit hochgerecktem Kinn auf die andere Straßenseite gewechselt, um einander nicht begegnen zu müssen. Ach ja, schön war es gewesen, und nun auf immer vorbei.

Frau Tinius dagegen war auch angesichts des Todes von keiner sentimentalen Strömung durchflutet, eher vom Gefühl einer ausgleichenden Gerechtigkeit. Unmerklich, wie die Cellulite an ihren Schenkeln, hatte sich in Frau Tinius Abscheu entwickelt gegen die ständigen Pöbeleien der Frau Prinz, die alle Preußen aus der nachbarschaftlichen Gemeinschaft ausschließen wollte. Ließen sich Frau Tinius oder die junge Nachbarin zur Linken, Frau Molden, im Garten sehen, pfiff Frau Prinz so schrill wie der Vogeljakob auf dem Oktoberfest. Dann verließ man den Garten freiwillig, obwohl jedem klar war, daß Frau Prinz gerade deshalbso schauerlich pfiff. Jetzt war sie tot. Plötzlich und unerwartet. Ein Wunder, das Frau Tinius der Sorge enthob, Frau Prinz könnte mindestens zweihundert Jahre alt werden, so daß zu Lebzeiten keine Erlösung von ihr zu erwarten sei. Seit Frau Prinz sich ein Mobiltelefon angeschafft hatte, war es noch schlimmer geworden. Das Handy am Ohr, ragte Frau Prinz wie ein Schreckensmonument auf ihrem Balkon auf und ließ ihre Stimme über die Gärten schallen. Selber schwerhörig, teilte sie ihren Gesprächsteilnehmern brüllend mit, daß die Preußen ihr schönes Nymphenburg zerstörten. Sie beschwor ihre Gesprächspartner, sie doch zu besuchen, um sie über diesen Mißstand hinwegzutrösten. »Ich bin die Beherrscherin der Gärten«, brüllte sie. »Die Preußen sind nicht da, die Moldens-Bagaasch auch nicht. Das müssen wir ausnutzen.«

Hin und wieder traf sich dann eine kleine geriatrische Runde im Garten, die mit rostigen Stimmen Witze erzählte, über die sie dann scheppernd lachte. Später sangen sie Schunkellieder, in denen merkwürdigerweise immer der Rhein und die Nordseewellen vorkamen.

Nun lag Frau Prinz in ihrem Vorgarten, für immer verstummt. Sie trug ihren knallroten Anorak und die Schirmmütze mit den Ohrenklappen. Eine seltsame Bekleidung für eine Leiche. Aber so war sie gewesen, ohne Rücksicht auf die Umwelt. Man sollte Toten nichts Böses nachsagen, aber Frau Prinz hatte nicht nur akustisch, sondern zweifellos auch optisch zur Umweltverschmutzung beigetragen. Wenn sie in ihrer bedrohlichen Fülle in den Garten hinausgetreten war, schienen die Blätter der Bäume apathisch hinabzusinken, Kinder und Katzen drückten sich in die Büsche, sogar der Pudel von Frau Seifert verzog sich leise jaulend ins Haus. Alle Gärten wirkten trostlos, als hinge eine schwere Wolke über der Max-Ernst-Straße.

Nun waren sie erlöst. Was für ein Tag! Frau Tinius mochte um keinen Preis von der Nummer 75 weichen. Sie fürchtete, aus diesem denkwürdigen Traum aufzuwachen und Frau Prinz würde sich zur Haustür hinauswälzen und wie alle Tage das Unkraut aus ihrem Vorgarten in den der Nachbarn hinüberwerfen. Aber nein, es war kein Traum, die Prinz lag immer noch auf den Steinen, immer noch tot. Frau Tinius würde sich zwar vom Tatort zurückziehen, wenn die Polizei das verlangte und auch die Schierl und die anderen vertrieb, aber weggehen, einfach ins Haus hineingehen und nichts mehr mitkriegen von diesem wundersamen Tod der Frau Prinz, das wollte sie auf keinen Fall. Schließlich mußte sie doch erfahren, wie dieses Wunder geschehen war. Ein Unfall? Ein Mord? Schauer des Behagens durchfluteten Frau Tinius.

Sie reckte ihre hohe, dürre Gestalt, machte großzügig dem Taxidoktor Platz, damit der auch an dem Drama teilhaben konnte. Der Taxidoktor hieß eigentlich Lersch, war ein praktischer Arzt, aber da er sich seit Jahren darauf beschränkte, nur noch Taxifahrer auf ihre Berufstauglichkeit zu untersuchen, hieß er Taxidoktor. Ehe Frau Tinius ihn in ihre Beobachtungen und Überlegungen einbeziehen konnte, kam auch schon der nächste Wagen vorgefahren, natürlich, das war die Mordkommission, das waren Beamte in Zivil, man hätte sie für Schauspieler halten können, »die sehen ja richtig gut aus, Frau Schierl, gucken Sie mal, da könnte man sich ja direkt verlieben. Schade, daß die Prinz das nicht mehr erlebt, die war ja so lange Witwe, und dann zwei so knackige junge Kommissare, jetzt, wo alles zu spät ist.« Halb ohnmächtig aus Abscheu vor der Preußin, suchte Frau Schierl Trost in den Gesichtern der anderen Nachbarn, sie forschte in den Zügen des Taxidoktors.

»Sie, Herr Doktor, von alleine sind die Steine doch nicht hinuntergefallen, was meinen Sie?«

»Ich meine gar nichts«, sagte der Doktor schwer atmend. Er hatte Asthma, und wenn etwas Ungewöhnliches geschah, bekam er Probleme mit der Atmung. Jetzt inhalierte Doktor Lersch von seinem Taschenspray. Es war nicht klar, ober Frau Schierl zuhörte, die laut darüber nachdachte, daß unter den Dachdeckern des Hauses 77 so ein Dunkler gewesen sei. Zwar habe er ein Dirndltuch um die Stirn gewunden gehabt, Edelweißmuster, was sie ja schon unpassend finde für einen aus der tiefsten Türkei oder wer weiß woher, aber der sei ihr gleich unheimlich vorgekommen. Am Gerüst habe er das große Wort geführt, die wollten jetzt alle hier bestimmen, sogar deutsche Pässe wollten die.

»Herr Doktor, wir Deutschen sind ja bald eine Minderheit, bald gibt’s ja nur noch Gelbe und Schwarze, die machen Kinder wie die Karnickel, und bei uns erlauben die Sozis die Abtreibung – ich sag’, wie ich denke, mir kann nix mehr passiern, ich bin ja alt, ich erlebes nicht mehr, wenn die uns rausjagen aus unserem Land und uns massakrieren. Die ganze Ausländer-Bagaasch.«

Der Taxidoktor atmete tief durch. Sein Spray wirkte rasch, eigentlich war Lersch immer homöopathisch orientiert gewesen, doch in der Not frißt der Teufel Fliegen. Und überhaupt war Lersch froh, zeitlich und nervlich aufwendige Patientinnen wie die Schierl los zu sein, seit er nur noch Taxifahrer behandelte. Die Schierl redete ja genauso einen Schmarrn daher wie manche der alten verqueren Taxler, denen offenbar der Teufel das Hirn zugegipst hatte. Da fachsimpelte Lersch lieber mit dem Apotheker über die Gehirnmasse, die unter der rechten Ohrenklappe der prinzlichen Mütze heraustrat. Frau Schierl ließ von Lersch abund formulierte schon einmal vor, was sie ihrem Mann berichten würde, der in der Wirtschaft Strauß beim Schafkopfen war. Frau Tinius tippte leicht an ihre Schläfe, weil die Schierl sich immer mehr in ihren Ausländerhaß hineinsteigerte, doch niemand achtete auf die beiden Frauen, man wartete gebannt, was der Kommissar, offensichtlich der Hauptkommissar, jetzt tun würde.

Kommissar Konstantin Kemper läutete an der Klingel, auf der Prinz stand, und dann an der zweiten mit dem Namen Prinz-Papke. Im Haus rührte sich nichts, und Frau Schierl und Frau Tinius riefen fast synchron und sich überschlagend vor Eifer, daß da niemand daheim sei, die Papkes gingen beide in die Arbeit, die kämen immer erst am Abend heim.

»Den Tag über war Frau Prinz immer allein zu Haus«, rief Frau Schierl anklagend.

»Immer ganz schön einen gehoben hat die«, merkte Frau Tinius an.

Kommissar Kemper sah sich um in dem trostlosen Vorgarten, auf dessen grauem Beton die tote Frau lag. Ihr Kopf unter der Schildmütze sah ziemlich beschädigt aus, und Frau Schierl informierte ihn von ihrem Beobachterposten aus, daß das die Frau Prinz sei und sie wohne schon immer in der Max-Ernst-Straße, aber so etwas sei hier noch nie passiert.

»Und schon gar nicht Frau Prinz, schließlich ist sie Witwe, schon seit vielen Jahren. Der Mann ist verunglückt, der einzige Sohn auch – und jetzt das. Ist ja kein Wunder, bei all den Auswärtigen, die heutzutage überall herumlungern.«

Die anderen Passanten schienen zu akzeptieren, daß Frau Schierl und Frau Tinius ihr Herrschaftswissen ausbreiteten, und beschränkten sich darauf, den Fortgang des Geschehens stumm zu beobachten.

Der jüngere Beamte, Obermeister Strobl, klingelte an der 73, worauf ihm Frau Tinius zurief, das sei ihr Haus, er könne sie alles fragen, dazu sei sie schließlich als Nachbarin da. Strobl winkte ab, schaute mürrisch zu Kemper, der bei der 77 schellte, einem Haus, das ähnlich aussah wie die 73 und die 75, aber völlig eingerüstet war. Offensichtlich war das Dach neu gedeckt worden und die Arbeiten noch nicht beendet. Die Häuser in der Max-Ernst-Straße waren fast ohne Ausnahme Reihenhäuser im Jugendstil, die um die Jahrhundertwende erbaut worden waren und damals meist Malern als Wohnung und Atelier gedient hatten. Daher trugen viele Straßen im Viertel die Namen berühmter Künstler, obschon keine mehr dort lebten. In der 77, wo jetzt Kemper klingelte, rührte sich zunächst nichts, und wieder fühlte sich Frau Tinius berufen, den Kommissar mit ihrem Wissen zu unterstützen. »Da wohnen die Moldens, sie ist Sozialarbeiterin oder so was, kümmert sich um Asoziale, er ist Heilpraktiker, aber kein Doktor.« Alle sahen nun zu der Tür, die sich nach kurzer Zeit einen Spalt öffnete.

Die junge Frau hatte eine Brille in ihre dunkellockigen Haare geschoben, trug ein sehr kurzes Kleid und sah Kemper, der seinen Ausweis hochhielt, feindselig blinzelnd an. »Was ist los? Sie haben mich bei einem wichtigen Telefongespräch unterbrochen.«

Kempers Gesicht wirkte für einen Moment verblüfft, unwillig, dann mißtrauisch.

»Hören Sie, ich komme von der Mordkommission, Hauptkommissar Kemper.«

Immer noch gleichgültig, aber etwas aufmerksamer, die Frau: »Und was wollen Sie?«

»Nebenan liegt eine Frau mit eingeschlagenem Schädel. Und ich wüßte ganz gern, obdas ein Unfall war oder ein Mord.«

Die Frau trat jetzt hinaus auf die Treppe, sah die Menschen am Zaun, sah die Leiche, und sie wurde noch blasser, als sie ohnehin schon war.

»Nun«, fragte Kemper ungeduldig, »kennen Sie die Tote?«

»Leider. Sie ist unsere Nachbarin«, sagte die Frau, der sichtlich speiübel war, die aber sonst merkwürdig ungerührt wirkte.

In die Stille rief plötzlich triumphierend Frau Tinius: »Frau Molden, jetzt ist alles vorbei – Frau Prinz pfeift nicht mehr.«

Frau Molden schaute nochmals kurz zu der Leiche, sah dann Kemper zum erstenmal offen und erbittert an. »Sehen Sie, die hat wieder ihre Hand in unserem Vorgarten. Schon ehe wir hier eingezogen sind, hat sie einen Bonsai durch den Zaun hindurch abgebrochen und gestohlen. Unsere Handwerker haben es gesehen, sonst hätte sie es abgestritten. Die lügt wie gedruckt . . .«

Mit einem weiteren Blick auf die Tote verbesserte sich die Frau rasch. »Ich meine, sie log wie gedruckt. Wir haben das Beet neu gestalten lassen, darüber hat sie ständig hergezogen, dauernd brach sie Sträucher und Büsche heraus. Das wollte sie offensichtlich heute auch wieder machen.«

Konstantin Kemper schaute die Frau eindringlich an. Er sprach leise zu ihr, fast sanft, doch man hörte die Drohung in seiner Stimme.

»Mag ja alles sein, aber ich würde das nicht unbedingt überall herumerzählen, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Die Frau hat einen verdammt dicken Stein an den Schädel gekriegt und noch zwei Dachpfannen. Richtig schöne Beweisstücke mit den Kopfhaaren dran. Und Sie sind die einzige, die in der Nähe war. Außer Ihnen ist nämlich niemand von der Nachbarschaft daheim.«

Die Frau zog hörbar die Luft ein und pustete sie wieder von sich, was sehr kindlich wirkte, doch Kemper schien entschlossen, sich von diesem seltsamen Wesen nicht verwirren zu lassen. Die Frau ging wieder die Treppe hinauf zu ihrem Haus. Flüchtig schaute sie zu den Leuten am Zaun, und dann sagte sie ironisch zu Kemper: »Ich hoffe, daß ich es nicht gewesen bin, aber ich war den ganzen Vormittag oben, wissen Sie. An meinem Telefon. An meinem Schreibtisch. Ich habe keine Ahnung, wie die Steine auf Frau Prinz gefallen sind.«

Kemper sah seinen jungen Kollegen Strobl an, der hinzugekommen war und die Worte der Frau noch mitbekommen hatte. Strobl schaute zu Kemper, deutete mit dem Kinn auf die Frau.

»Was hat sie gesagt?«

Kemper sah genervt nach oben, und Strobl betrachtete die Frau genauer, die ihn aus zusammengekniffenen Augen ebenfalls musterte.

Strobl sagte: »Ich würde an Ihrer Stelle nicht so hochnäsig sein. Auf Sie kommt ein Haufen Ärger zu, junge Frau.«

»Bestimmt nicht mehr, als ich mit der da hatte.« Die Frau machte eine knappe Bewegung zu der Leiche, sah dann aber provozierend auf Strobl. »Ich weiß, ich sollte jetzt entsetzt sein, aber ich muß noch üben.«

»Laß uns gehen«, sagte Kemper, »hier kommen wir nicht weiter. Aber Sie halten sich zur Verfügung. Klar?«

Die Frau schloß wortlos die Tür hinter den beiden Kommissaren. Sie gingen die paar Stufen zum Vorgarten hinunter, als ein Taxi vor der 77 hielt, eine stämmige ältere Frau sprang heraus, Kemper und Strobl schauten verblüfft von ihr zu der Toten. Dieselbe Körpergröße, der breite Busen, die kräftige Statur – das war ja Frau Prinz noch einmal. Sie trug einen Trachtenhut, hatte ihn wohl in der Aufregung etwas schräg aufgesetzt, so daß ihr rechtes Ohr abgeknickt unter dem Hut vorlugte. Sie schaute gebannt zu, wie die Leute von der Spurensicherung zusammenpackten, schluchzte auf, als die beträchtlichen sterblichen Reste der Frau Prinz in den Blechsarg gelegt und in den Leichenwagen geschoben wurden.

Frau Tinius korrigierte diese Gemütsaufwallung sofort: »Nun haben Sie sich mal nicht so. Sie haben sich doch ständig angekeift. Gestern habich noch gehört, wie Sie zu Ihrer Schwester gesagt haben, daß sie eine alte neurotische Zicke sei.«

Die Schwester der Toten reagierte nicht, sie stürzte auf Kemper und Strobl zu, faßte Kemper am Arm und schrie, daß die Moldens das gewesen seien. »Dafür kommen nur die Moldens in Frage, die haben meine Schwester auf dem Gewissen. Besonders sie, die Molden, das ist ein freches Luder, kein Wunder, daß die Kinder so mißraten sind, die Molden hat meine Schwester gehaßt, sage ich Ihnen, und was die ihr immer an den Kopf geworfen hat, richtig ordinär . . .«

Kemper sah Strobl an, dann schaute er wieder fasziniert auf das abgeknickte Ohr unter dem Trachtenhut. Obwohl er es sich verbieten wollte, mußte er immerzu hinsehen, er konnte sich nur schwer ablenken und sich auf die Frau konzentrieren, die ihn erwartungsvoll ansah. »Jetzt beruhigen Sie sich, Frau . . .«

»Schwinghammer, Ellen Schwinghammer, mein Gott, diese Molden, ich habes ja immer gesagt!«

»Frau Schwinghammer. Sie müssen sich jetzt beruhigen. Wir werden schon herausbringen, wer das getan hat. Wir werden Sie sehr bald aufsuchen . . .«

»Hast du das Ohr von der gesehen«, fragte Strobl, und Kemper mußte sich das Grinsen verbeißen.

»Um die Molden müssen wir uns kümmern«, sagte Kemper zu Strobl, als sie zum Wagen gingen.

Frau Tinius schoß auf ihn zu. »Jaja, die Molden, die ist schon rabiat. Wie die Jungen heute so sind. Letzte Woche, als es so heiß war, hat sie den Garten gesprengt. Mit dem Schlauch, wissen Sie. Da hat die Prinz rübergebrüllt, daß die Molden stinkfaul sei, den Garten verkommen ließe, aber kostbares Wasser vergeuden, für das die Leute in Afrika stundenweit laufen müßten, das könne sie. Daraufhin hat die Molden einfach den Schlauch auf die Prinz gehalten, die hätten Sie mal hören sollen, wie die gekreischt hat. Sie hat die Molden bei der Polizei angezeigt. Man weiß noch nicht, was dabei herauskommt. Aber ich kann die Molden verstehen, ich hätte die Prinz auch ganz gern umgebracht, die hat uns allen die Freude am Garten vermasselt, die hat gepfiffen wie ein Flötenkessel. Und gesungen. Uraltes Volksgut, Bierzeltmischung, nicht zum Aushalten. Immer durch die Gärten, gnadenlos. Und immer schlecht geredet über die junge Molden. Dabei war sie nur neidisch, daß sie eine Matrone ist und die Molden jung und bildschön. Und über ihn hat sie verbreitet, daß er was mit einer Patientin hat. Er ist Heilpraktiker, wissen Sie, kein richtiger Doktor, aber er sieht knackig aus.«

Die beiden Beamten stiegen in ihren Wagen, sie gaben nicht zu erkennen, ob sie die Familienverhältnisse der Moldens interessant fanden. Kemper gabStrobl ein Zeichen loszufahren. Strobl hätte fast Frau Tinius mit dem automatischen Fensterheber den Hals eingeklemmt, weil sie unbedingt noch die Information loswerden wollte, daß die Frau Molden ihre Zwillinge nicht richtig erziehe. »Die ist selber fast noch ein Kind! Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen über die... Wenn Sie Informationen wollen, Tinius mein Name, Max-Ernst-Straße 73, ich habnämlich die tote Prinz gefunden!«