Frauen unterwegs - Aline Pfeil - E-Book

Frauen unterwegs E-Book

Aline Pfeil

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Beschreibung

Pack den Rucksack, zieh die Wanderschuhe an und los geht das Abenteuer ... Ob das Abenteuer nun am anderen Ende der Welt oder im Hauswald statt findet, ist dabei nicht entscheidend, vielmehr geht es um all das, was während dem Unterwegs sein passiert. Unterwegs in der Natur können Dinge, die das Leben reicher machen erkannt, Schicksalsschläge geheilt, Träume verwirklicht und Entscheidungen fürs Leben getroffen werden. Es geht nicht ums Ankommen, sondern vielmehr ums unterwegs sein. Tage wie diese, wenn das Glück des Wanderns in jedem Muskel gespürt wird werden rückblickend oft als "Das Abenteuer meines Lebens" bezeichnet. Frauen unterwegs ist ein inspirierendes Buch mit 10 persönlichen Geschichten die glücklich machen. Reiseberichte und Reiseerzählungen aus nah und fern - von kleinen und großen Wander-Abenteuern auf Fernwanderwegen in Deutschland und Europa, der Wildnis Alpen und weiteren unfassbaren Wundern, die das Glück des Wanderns mit sich bringen. Das Buch ist gefüllt mit Abenteuer und Reiseberichten und zahlreichen Ratschlägen des Herzens. Ein Wanderlust Buch, das Fernweh macht, aber vor allem auch ein Buch zur Selbstfindung sein kann. Die 10 Geschichten mitten ins Herz und sind ein wunderbares Geschenk für Frauen, die das Glück des Gehens ebenfalls erleben wollen. Natürlich ist das Buch auch für Männer sehr lesenswert, da die Erfahrungen und Tipps & Tricks uns alle prägen und bereichern.

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Gehe einmal im Jahr irgendwohin,

wo du noch nie warst.

Dalai Lama

INHALTSVERZEICHNIS

Vom Unterwegssein - ein Vorwort.

Elfen, Trolle und Naturwunder

Pfade Finden Coaching-Reise, Island, August 2019

von Laura Pfaffenbach

Zwei Tage Grenzen überwinden

Vulkanbesteigung, Guatemala, Januar 2018

von Aline Pfeil

Im Kalender steht Sommer.

Wildcamping, Irland, August 2009

von Michela König

Für immer unvergesslich

Alpenüberquerung, Deutschland/Italien, Juli - August 2017

von Andrea Ernst

Der Beginn von etwas Neuem

Tafelbergwanderung, Südafrika, Februar 2018

von Romy Schneider

Eins mit der Natur.

Momentaufnahme, Deutschland/Fichtelgebirge, Mai 2005

von Beate Tschirch

Das Leben ist ein Wanderweg

Trekkingtour, Schottland, Oktober 2017

von Anne Abendroth

Tausche Büromuff gegen Frischluft

Wanderreise, Portugal, Oktober 2020

von Valeska von Karpowitz

Nächtliche Grenzerfahrung

Bergsteigertour, Georgien, August 2019

von Melanie Lenz

Von den kleinen großen Momenten

Entdeckungstour, Deutschland/Pfälzerwald, 2018 – 2020

von Patricia Seither

Das Glück des Wanderns - ein Nachwort

DANKE an alle, die mich unterstützt haben!

Vom Unterwegssein - ein Vorwort

Laut Duden bedeutet „unterwegs sein“ auf Reisen sein. Dabei weckt „unterwegs sein“ sicherlich viele weitere Assoziationen. So können wir beim Reisen mit verschiedenen Vehikeln unterwegs sein, doch auch bei unserer schulischen Laufbahn oder in der Karriere sind wir unterwegs. Dabei geht es immer darum, von A nach B zu kommen. Wir gehen in die Schule, um zu studieren. Wir studieren, um zu arbeiten. Wir arbeiten, um befördert zu werden. Bis hin zur Rente und nehmen uns kaum eine Auszeit, damit wir möglichst viel Geld verdienen, um uns materielle Dinge, die uns vermeidlich glücklich machen, zu leisten.

Wenn wir Menschen im Sterbebett fragen würden, ob es im Leben ums Ankommen geht, dann würden diese uns sicherlich eines Besseren belehren. Im Leben geht es darum, unterwegs zu sein und dabei den Weg als Ziel zu sehen. Mutig zu sein, Erfahrungen zu machen und das eigene Leben mit Leben zu füllen. Seit dem Moment, als wir aus Liebe entstanden sind, entdecken wir Neues und Unbekanntes. Gerade als Kinder sind wir unglaublich neugierig und erkunden die Welt mit all unseren Sinnen. – Wir springen in Pfützen, naschen an Gänseblümchen, umarmen Bäume oder fallen in den Dreck, amüsieren uns darüber, wischen uns die Träne weg, stehen auf und machen weiter. Wir sind neugierig, urteilsfrei und haben eine kindliche Leichtigkeit, die mit steigendem Alter immer mehr verloren geht.

Mit meinem Eintritt in die Roverrunde bei den Pfadfindern hatte ich 2007 zum ersten Mal Berührungspunkte mit dem Begriff „unterwegs sein“. „Unterwegs sein“ ist nämlich das Motto der 15-20-jährigen der DPSG Pfadfinder. Gerade in dieser Altersspanne sind Jugendliche nicht nur unterwegs zu verschiedenen Orten, sondern vor allem auch unterwegs zum Erwachsenwerden und zu sich selbst. Gerade hier ist es unglaublich spannend anzusetzen, um die kindliche Neugierde weiter aufrechtzuerhalten.

In meinen Augen endet das Unterwegssein aber nicht mit dem Erwachsensein, da wir jeden Tag neue Erfahrungen machen und uns weiterentwickeln. Es kommt vielmehr darauf an, welche Beachtung wir dem Unterwegssein geben. Unterwegs sein bedeutet „in Bewegung sein“, also aktiv sein, lebendig sein und damit auch in der Bewegung ich selbst sein. Genau das ist es, was ich seit meinem Rover-Sein und weit darüber hinaus auf der Reise meines Lebens erfahren durfte. Herausfinden, wer ich bin. Herausfinden, was meine Fähigkeiten, Stärken, Schwächen und Bedürfnisse sind. Herausfinden, was mich beflügelt und welche unglaubliche Kraft in mir steckt.

Im Alltagstrott – getrieben vom Ankommen und Höher-Schneller-Weiter – vergessen wir manchmal, wer wir sind und welche Kraft wir haben. Die verschiedenen Rollen – als Tochter, Freundin, Arbeitskollegin, Mutter, Unternehmerin usw. – bringen unterschiedliche Verantwortungen mit sich. Gefühlt rennen wir von einer zur nächsten Verpflichtung und stellen uns selbst dabei oft ganz hinten an, was bei einem vollen Tagesablauf schon mal hinten runterfallen kann. Aber was soll’s, morgen ist ja ein neuer Tag, vielleicht dann. So vergehen Tage, Monate, Jahre und schwups erinnert uns vielleicht ein Schicksalsschlag an all die Träume, die wir noch haben und dann vielleicht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erleben können.

Doch warum und worauf warten?

Die folgenden 10 Geschichten sollen ein Beispiel dafür sein, welche Wunder das Unterwegssein bringt. Welches persönliche Wachstum entsteht, wenn der Mut gefasst wird, das Unbekannte zu entdecken. Die Natur ist ein Ort voller Möglichkeiten. Hier können wir alle Masken und Verpflichtungen für einen Moment ablegen. Hier können wir ganz wir selbst sein und uns mit uns und unserem Ursprung verbinden. Hier können wir Abenteuer erleben, über uns hinauswachsen und Geschichten schreiben.

Ich bin davon überzeugt, dass wir am Ende unseres Lebens genau von diesen Erfahrungen erzählen werden. Von den Momenten, wo wir „unterwegs waren“: Wo wir von Plänen abgewichen sind, weil wir auf unser Bauchgefühl gehört haben. Wo wir völlig erschöpft am Gipfel standen und eine tiefste Dankbarkeit uns durchflutet hat. Momente, in denen wir in die Knie gezwungen wurden und aufgeben mussten, weil die Natur uns etwas lehren wollte. Wo wir an uns geglaubt und Unmögliches möglich gemacht haben. Wo wir gelernt haben, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein – lediglich ein paar Wanderschuhe und den Entschluss, sich auf den Weg zu machen.

Genau deshalb ist das Unterwegssein zu Fuß eine der schönsten Arten, um sich selbst eine Auszeit zu schenken.

Dieses Buch soll dich inspirieren, mehr (R)Auszeiten in dein Leben zu integrieren und dein Leben zu einem bunten Abenteuer zu machen. Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen und hoffe, dass das Glück des Wanderns überspringt und auch deine Seele beflügelt.

Mehr Geschichten über Mut, Abenteuer und berufliche Neuorientierung findest du im Pfade Finden-Podcast.

Bei meinen Streifzügen in der Natur oder auch bei Interviews im Wald nehme ich dich mit und gebe Anregungen zur Selbstreflexion oder auch Vorschläge, wie du die Natur mehr und mehr in deinen Alltag holen kannst, um Ruhe und Klarheit für deinen privaten und beruflichen Pfad zu finden. Alles Liebe und gut Pfad, deine Laura

Elfen, Trolle und Naturwunder

Pfade Finden Coaching-Reise Island, August 2019

von Laura Pfaffenbach

Mit 44 Kilo schwerem Gepäck stehe ich nun also am Flughafen von Reykjavík. Noch nie bin ich mit so viel Gewicht verreist, wobei ich schon auf so einige Reisen mit einem Lächeln im Gesicht zurückblicken darf. Bereits in meiner Kindheit bin ich mit meinen Eltern viel unterwegs gewesen – Campervan-Urlaube in Spanien, mit Zelt in Kroatien oder auch der Besuch der Tante in den USA. Mit 19 Jahren hat mich das Reisefieber endgültig gepackt, als ich mich für ein Jahr auf Weltreise begeben habe. Seitdem gibt es für mich nichts Schöneres, als unterwegs zu sein: Semesterferien in Norwegen, Auslandssemester in Thailand, Seminare in London, Yogaausbildung auf Bali, Workation in Portugal oder eben eine Coaching-Reise nach Island.

Doch warum um alles in der Welt nimmt man ein 44 Kilo schweres Gepäck mit auf eine Reise? Ja, das frage ich mich aktuell auch. Denn mit zwei Rucksäcken und zwei Taschen ist es wirklich ein anstrengendes Prozedere am Flughafen. Zum Glück gibt es kostenlose Gepäckwagen und nette Busfahrer. Ohne zu fragen, was ich mit all dem Kram vorhabe, hilft mir der Busfahrer, die Taschen in den Bus zu hieven. Ziel ist das Reykjavík City Hostel, das zum internationalen Jugendherbergsverband gehört und direkt am Laugardalur Park liegt.

In den Taschen befinden sich, neben meinem eigenen Outdoor-Equipment, drei Zelte, 50 Tüten Trekkingnahrung, mehrere Tütensuppen und 50 einzeln, von Hand verschweißte Frühstückstüten mit einer Mischung aus Haferflocken, Couscous, Nüssen, Zucker, Zimt und Cranberrys. Alles, was wir für die anstehende Coaching-Reise durch Island brauchen werden.

Nachdem die 44 Kilo im Mehrbettzimmer so einigermaßen gut verstaut sind, muss ich mich erst mal ins Bett fallen lassen, um zu verstehen, was hier gerade passiert. Da bin ich nun: In Island – im Land der Kontraste. Bereits der Anflug war spektakulär. Aus dem Fenster konnte ich schon die ersten heißen Quellen und Geysiere (Wasserfontänen, die in unregelmäßigen Abständen aus dem Boden schießen), die schroffen Felsen und das karge Land der Insel, die weltweit für ihr Feuer und Eis bekannt ist, bewundern. Hier wird sie also in wenigen Tagen starten: Die erste ausgebuchte Pfade Finden Coaching-Reise.

Die Idee von Pfade Finden und dem Angebot von Coaching-Reisen kam mir ein knappes Jahr zuvor – während meiner Coaching-Weiterbildung. In einer Visualisierungsübung hatte ich das Bild vor meinem inneren Auge, wie ich mit Rucksack und Wanderschuhen mit einer Gruppe durch die Prärie ziehe und wir gemeinsam an Grenzen stoßen, mutig sind und uns selbst finden.

Es hieß, du darfst groß träumen.

Es hieß, es gibt keine Grenzen.

Es hieß, alles ist möglich.

Und auch, wenn ich in den Monaten zuvor vieles über die Macht der Gedanken gelesen hatte, war das für mich noch nicht greifbar. So heißt es beispielsweise, dass das Gehirn nicht zwischen tatsächlicher und ausgedachter Realität unterscheiden und jeder mit ein bisschen Übung und mentaler Vorstellungskraft alles in seine Wirklichkeit ziehen kann. Klingt im ersten Moment vielleicht etwas fragwürdig. Doch jetzt, wo ich hier in meinem Hostelbett in Reykjavík liege und in wenigen Tagen genau diese Vorstellung, eine Gruppe von Frauen durch die Natur Islands zu führen, Realität wird, kann ich schon eher behaupten: Da scheint was Wahres dran zu sein!

Ich kann es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden. Außerdem gibt es noch einige Dinge zu erledigen, bevor es losgehen kann. Zunächst muss ich den Brennstoff für unseren Multifuel-Kocher besorgen – und wer weiß, vielleicht finde ich ja einen Elfen oder Troll auf dem Weg. In Island gibt es nämlich bis heute noch die Vermutung, dass Trolle und Elfen existieren. Deshalb gibt es auch einen offiziellen Elfenbeauftragten, der bei Baugenehmigungen prüfen muss, ob Kulturgut geschädigt und Trolle und Elfen gestört werden. Kein Witz, das ist nur einer der vielen Fun-Facts, die ich über Island bei meiner Reisevorbereitung herausgefunden habe.

Die Stadt ist in Regenbogenfarben gehüllt. In diesem Jahr ist das 20-jährige Jubiläum des Pride Days – der weltweite Gedenktag für die Schwulen- und Lesbenbewegung – in Reykjavík, deshalb wird ganze zehn Tage lang gefeiert. Am Samstag, wenn unsere Tour losgeht, findet eine große Parade und ein Outdoor-Festival statt. Etwas schade, dass wir da schon in ganz anderen Welten sein werden.

Das Auffinden des Brennstoffs ist ein leichtes Spiel. In der Stadt gibt es zahlreiche Outdoorläden – liegt wahrscheinlich daran, dass der Tourismus in Island boomt. Die Popularität des Landes ist seit der Fußball-EM 2016, durch spektakuläre Filmszenen bei Game of Thrones und Star Wars, die dort gedreht wurden, oder auch durch Musikvideos von Musik-Ikonen wie Justin Bieber mehr und mehr gestiegen. Die Touristenzahlen sind sogar regelrecht explodiert. 2018 kamen 2,34 Millionen Touristen, das ist mehr als das Sechsfache der Bevölkerung des Landes. Gerade auf der Ringstraße und an den Hauptattraktionen in Reykjavík ist die Überfüllung der Insel deutlich zu spüren. Es wird davon gesprochen, eine Regulierung einzuführen und nur noch eine bestimmte Anzahl von Touristen in das Land zu lassen, da der Tourismus Spuren hinterlässt. Trotz Verbote werden Absperrungen übertreten und Wege verlassen, um Fotos zu machen. Sogar Gegenstände werden mitgenommen. Das ist oftmals nicht nur respektlos, sondern schadet vor allem auch der Natur und bringt das sensible Ökosystem der Insel aus dem Gleichgewicht. Das isländische Moos beispielsweise ist sehr empfindlich und benötigt Hunderte von Jahren, bis es nachwächst oder sich erholt. Deshalb ist im Hochland auch das Wildcampen strengstens verboten. Weshalb wir während unserer Tour die Campingplätze der gut organisierten Iceland Touring Association ansteuern.

Unbedingt zu berücksichtigen ist auch das Wetter in Island, denn es ist unberechenbar. Plötzlich auftretende Schneestürme können bei fehlender Erfahrung zu Orientierungslosigkeit und fatalen Fehlern führen. Deshalb sind Wanderungen in Island immer mit einem hohen Risiko verbunden. Auch, wenn wir mit Kompass, Karten und zusätzlichem GPS-Gerät ausgestattet sind und ich durch meine jahrelange Tätigkeit als Pfadfinderin eine gewisse Expertise habe, werde ich unsere geplante Tour bei Savetravel.is anmelden. Sicher ist sicher. Denn genau solche Themen dürfen nicht unterschätzt werden – egal welches Erfahrungslevel mitgebracht wird.

Bevor es zurück ins Hostel geht, muss ich noch zum Supermarkt. Frische Äpfel, Müsliriegel und Schokolade dürfen bei der Tour nicht fehlen. Und weil Klaudia gleich ankommen wird, brauche ich zusätzlich noch ein kleines Willkommensgeschenk. Klaudia war von der ersten Minute an Fan von Pfade Finden. Eigentlich war sie sogar bei der Geburt des Projekts dabei. Im September 2018 waren wir gemeinsam mit unserer Mastermind bei einer Workation in Portugal.

Eine „Mastermind“ ist eine kleine Gruppe gleichgesinnter Menschen, die selbstständig sind und sich in regelmäßigen Abständen treffen, um für ihre aktuell größten Herausforderungen Feedback und Lösungsvorschläge zu bekommen. „Workation“ ist eine Kombination aus „Work“ und „Vacation“, also Urlaub und Arbeiten. Gemeinsam eine Unterkunft anmieten, an den eigenen Projekten arbeiten, gemeinsam brainstormen, aber eben auch nicht nur arbeiten, sondern auch die Zeit zusammen in der neuen Umgebung genießen.

„Mastermind“ und „Workation“, Begriffe, die mir zwei Jahre zuvor noch nichts gesagt haben. Zwei Jahre zuvor sah mein Leben noch deutlich anders aus. Normal – würde ich rückblickend sagen. Ich war in einem 40 Stunden Bürojob angestellt, habe zweimal die Woche Sport gemacht, mich mit Freunden zum Feiern verabredet und von Wochenende zu Wochenende gelebt. Montag war jede Woche aufs Neue eine Überwindung. Mittwochs haben wir Bergfest gefeiert. Und Freitag haben wir liebevoll „Freutag“ genannt, weil wir dem kommenden Wochenende entgegengefiebert haben. Mein Job war sehr interessant und ich durfte spannende Konzepte für die größten Automobilhersteller erstellen. Ich hatte tolle Kollegen und eine herzliche Chefin. Nach meinem Praktikum, das ich zunächst absolviert hatte, wurde ich wunderbar in der Agentur aufgenommen, was mir den Start in die Berufswelt nach meinen vielen Reisen und dem gefühlten Abschied von diesen leichter gemacht hat.

Doch so schön alles war, kann ich mich noch genau an diesen Moment im September 2017 am Frankfurter Flughafen erinnern: Lisa, die ich 2010 in Südafrika kennengelernt habe, war auf dem Weg nach Myanmar. Weil wir uns schon lange nicht mehr gesehen hatten, trafen wir uns auf eine Tasse Kaffee in der Besucherhalle. Und zu gerne wäre ich anschließend mit ihr in den Flieger gestiegen, aber ich musste zurück zur Arbeit.

Zwischen Lisa und mir ist seit unserem Kennenlernen eine besondere Freundschaft gewachsen. Insbesondere unsere Zeit in Uganda und das Slumkids-Projekt Hope4Katanga Kids, das wir seit 2016 unterstützen und an das Pfade Finden auch jährlich einen Teil des Gewinns spendet, hat uns zusammengeschweißt.

Kurz bevor Lisa dann durch die Sicherheitskontrolle am Frankfurter Flughafen lief, meinte sie mit ernster Stimme zu mir: „Du hast dich verändert Laura.“

Ihre Worte haben mich sehr getroffen. Auch, wenn ich es anfangs nicht wahrhaben wollte, wusste ich genau, was sie meinte. Der Bürojob hatte mich verändert. Zwar habe ich jede Woche etwas Neues gelernt, aber der Job hat mir meine Abenteuerlust und das Funkeln in den Augen genommen. Mein Leben ist eintönig, vorhersehbar und fremdbestimmt geworden. Es ist nur so an meinem hart erkämpften Fensterplatz vorbeigezogen. Ich habe ständig die Bedürfnisse von anderen erfüllt und mich dabei immer hintenangestellt. Dieser innere Kampf hat mich zerrissen und tagein, tagaus erschöpft ins Bett fallen lassen. Es war höchste Zeit für eine Auszeit und ein Abenteuer, um mich und mein Leben mal wieder zu spüren. Um herauszufinden, was passiert ist. Und um das Funkeln in meinen Augen wieder zu entfachen.

Ich entschied mich damals, Lisa in Myanmar zu besuchen. Blöd nur, dass der Jahresurlaub schon ausgeschöpft war. Und so kam es schneller als erwartet, dass die Kündigung auf dem Tisch meiner Chefin lag und ich ein Jahr, nachdem Lisa diese vier Worte zu mir gesagt hatte, selbst dort am Flughafen stand und ein völlig neues Kapitel in meinem Leben begann.

Da war sie wieder, die Abenteuerlust und Vorfreude, gepaart mit Unsicherheit, Angst und Respekt. Ein Gefühlscocktail, der mir immer wieder aufs Neue bewusst macht, dass ich am Leben bin.

Klaudia hat ihr Leben ebenfalls ziemlich auf den Kopf gestellt und ist eine der taffsten Frauen, die ich kenne. Die optimale Partnerin an meiner Seite, um diesen verrückten Traum der Coaching-Reise in Island zu verwirklichen.

Mit einem breiten Grinsen fallen wir uns in die Arme. Auf meine Frage, ob wir bereit sind, sagt sie nur: „Ich denke schon.“

Tag 1 – Wenn Fremde zusammenkommen und ein gemeinsames Ziel haben

Heute ist der 17. August 2019, die Nacht im Hostel war kurz, da wir uns schon um 06:45 Uhr an der vereinbarten Bushaltestelle in Reykjavík treffen. Die Aufregung ist groß, gleich werden die Teilnehmerinnen das erste Mal aufeinandertreffen. Vier Stunden dauert die Busfahrt bis zum Landmannalaugar, unserem Wanderstartpunkt. Genügend Zeit, um sich mit den Mitreisenden vertraut zu machen. Schon spannend, oder?

Und hier sitzen wir nun: Zehn fremde Frauen von Anfang 20 bis Mitte 40. Frauen, die nur hier sind, weil ich den Mut hatte, Pfade Finden ins Leben zu rufen und meiner Mission, die Welt abenteuerreicher und naturverbundener zu machen, gefolgt bin. Wenn ich genauer darüber nachdenke, macht es mich sprachlos. Doch wir sind nicht ohne Grund hier. Wir haben alle ein gemeinsames Ziel: Ein unvergessliches Abenteuer in Island erleben. Wir werden an Grenzen stoßen und uns selbst dadurch besser kennenlernen. Genau das ist es, was uns verbindet, was aus Fremden Weggefährtinnen macht und was uns die nächsten Tage, wenn die Kräfte schwinden werden, antreiben wird.

Bereits die Anfahrt zum Landmannalaugar ist spektakulär. Die unter Naturschutz stehende Gegend, nahe dem Hekla-Vulkan im Südwesten von Island, gilt als eine der schönsten und beeindruckendsten der Insel. Wir fahren vorbei an Wasserfällen und grün-schwarzen Lavafeldern, alles einzigartige Panoramen. Die Straßen hier sind nur in den Sommermonaten geöffnet – und das auch nur für 4x4-Fahrzeuge. Warum das so ist, wird mir schon nach wenigen Metern abseits der geteerten Ringstraße klar: Schotterstraße, Schlaglöcher und Flussquerungen fordern 100% Konzentration unseres Busfahrers.

Am Landmannalaugar, was übersetzt „die warmen Quellen der Leute von Land(sveit)“ bedeutet, heißen uns die Naturgewalten willkommen. Ein kalter, kräftiger Wind bläst uns um die Ohren und lässt uns realisieren: Wir sind in Island.

Nachdem die Gruppe angemeldet ist, heißt es: Zeltbuddy finden. Mit diesem wird die nächsten fünf Nächte die Privatsphäre auf wenigen Quadratmetern geteilt. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen, geht der ein oder anderen Teilnehmerin sicherlich ein unwohler Gedanke durch den Kopf.

Als die Zelte aufgestellt und eingerichtet sind, treffen wir uns in einem großen Mannschaftszelt, das von der Iceland Touring Association zum Schutz aufgestellt wurde. Hier können wir uns aufwärmen und ohne Wind über den Couscous-Salat, unserem ersten gemeinsamen Essen auf dieser Reise, hermachen.

Die Stimmung ist gut. Es wird gelacht und die Gruppe lernt sich mehr und mehr kennen. Doch auch die ersten Sorgen kommen hoch: So wundert sich Janin, ob ihr Schlafsack wohl dick genug ist. Auch Maria macht sich Gedanken darüber, ob es nachts nicht zu kalt werden wird.

Das Thema Unterkühlung ist nicht zu unterschätzen und selbst in unseren Breitengraden Notfallgrund Nummer 1. Genau deshalb haben wir auch in der Vorbereitung viel über die Wichtigkeit von Funktionskleidung, Merinowolle, dem Zwiebelprinzip oder auch einem guten Schlafsack gesprochen. Für den Fall der Fälle habe ich noch zwei Notfall-Biwaksäcke und jede Menge Rettungsdecken dabei.

Bevor wir es uns zu gemütlich machen, aktiviere ich die Mädels: „Habt ihr Lust, die Gegend zu erkunden? Na kommt schon, los geht’s!“

Wir packen uns dick ein und machen uns auf den Weg.

„Sammelt alle Naturmaterialien, die euch gerade ansprechen“, gebe ich als Aufgabe mit.

Fragende Blicke.

„Einfach mal machen“, sage ich.

Nach den ersten Metern auf dem Laugavegur Wanderweg erkläre ich die Übung weiter: „Es geht darum, deine aktuelle Situation in einem Bild darzustellen. Wo stehst du gerade im Leben? Warum bist du hier? Welches Thema beschäftigt dich? Lass deiner Kreativität freien Lauf. Es gibt kein Richtig und Falsch. Die Natur wird dir die richtigen Hinweise geben, was zu deiner aktuellen Situation im Leben passt und warum du hier bist.“

Stirnrunzeln und ein paar Rückfragen. Als klar ist, was zu tun ist, verteilen sich alle und beginnen, Steine, Blätter, Stöcke und viele weitere kleine und große Naturschätze zu sammeln und in ein Bild zu legen. Jedes Bild ist einzigartig.

„Wer möchte, kann uns nun etwas über sein Bild erzählen“, sage ich, als wir uns nach einiger Zeit wieder sammeln.

Kurzes Zögern, bis die Erste anfängt zu erklären, warum sie was gesammelt und welche Bedeutung und Übertragung es auf ihr Leben hat.

„Möchtest du Feedback von uns haben?“, frage ich und beginne bei Zustimmung, das Bild aus meiner Sicht zu interpretieren.

„Stell dich mal auf die gegenüberliegende Seite, was macht das Bild jetzt mit dir? Stört dich was an deinem Bild? Nimm es mal weg. Wie geht es dir damit?“

Und so steigen wir schon voll ins Natur-Coaching ein. Die Landart-Übung ist eins meiner Lieblingstools, da hier schon sehr viel Reflexionsarbeit stattfindet und auch das Mitgefühl und Vertrauen in der Gruppe gestärkt werden.

Das Hochland von Island, und gerade die Region von Landmannalaugar, ist eine riesige geothermische Oase. Nur wenige Meter von unseren Zelten entfernt, befindet sich eine heiße Quelle. Genau das Richtige, um die ausgekühlten Knochen aufzuwärmen und die Muskeln vor der 55 Kilometer langen Wanderung nochmals zu entspannen. Badewannenwarmes Wasser – einfach nur herrlich.

Auch wenn wir heute kaum gewandert sind, war es dennoch ein anstrengender Tag. Deshalb sind wir auch schon früh im Zelt. Gerade in der ersten Nacht braucht man meistens ein wenig mehr Zeit, bis man sich organisiert hat.

„Wie fandest du den ersten Tag?“, frage ich Klaudia.

„Aufregend“, antwortet sie, „spannende Gruppe – jeder ganz auf seine eigene Art besonders.“

„Absolut“, entgegne ich ihr.

Und so tauschen wir uns noch etwas über die Teilnehmerinnen aus und gehen gemeinsam das Programm und die Strecke des nächsten Tages durch.

Als wir das Licht unserer Taschenlampen löschen, habe ich nur einen Gedanken im Kopf: Unfassbar, dass wir tatsächlich hier sind und morgen die Wanderung im Herzen Islands losgeht.

Tag 2 – Wir brechen auf (Landmannalaugar bis Hrafntinnusker: 12 km)

Der Tag startet um sieben Uhr. Entgegen meiner Erwartungen sind bei meinem Weckrundgang schon alle wach. Die erste Nacht bei Temperaturen, die an den Gefrierpunkt rangehen, ist etwas Besonderes. Ich blicke in müde und verfrorene Gesichter. Doch kurze Zeit später im Gemeinschaftszelt, bei warmem Tee, Kaffee und Porridge, werden die ersten Zeltgeschichten, die sich in der letzten Nacht auf den knapp zwei Quadratmetern abgespielt haben, ausgetauscht.

Nach dem Frühstück geht’s ans Packen. Heute sind Klaudia und ich noch gefragt und können nützliche Tipps beim Organisieren der Rucksäcke geben: Regenjacke, Müsliriegel und Traubenzucker immer griffbereit verstauen; schwere Sachen an den Rücken und tendenziell eher nach oben packen; schauen, dass nichts am Rucksack baumelt; das Auffüllen der Trinkflaschen nicht vergessen usw. Den Regenschutz machen wir lieber schon mal um die Rucksäcke, denn das Wetter scheint recht durchwachsen zu sein.

Wir sammeln uns vor der Island-Flagge und ich beginne mit meiner kleinen Motivationsrede: „Ein spannender Tag wartet heute auf uns, voller Abenteuer und eindrucksvoller Landschaftsbilder. Bis zu unserem Schlafplatz, der auf 1.075 Höhenmetern liegt, sind es 12 Kilometer. Wir werden heute also auch ein paar Berge erklimmen und sicherlich hier schon an die ersten Grenzen stoßen. Deshalb macht euch gerade auf den ersten Metern nochmal bewusst, warum ihr hier seid. Das wird euch helfen in den Momenten, wenn es anstrengend wird. Und keine Sorge, wir schaffen das!“

Und so starten wir unsere Wanderung mit einem lauten und dreifachen: „Pfade – Finden, Pfade – Finden, Pfade – Finden!“

Auf den ersten Metern begrüßen uns ein paar Schafe und andere Wanderer. Der Laugavegur Wanderweg ist sehr beliebt und deshalb in der Hochsaison stark frequentiert. Meine Empfehlung ist, ihn in der Randsaison zu begehen, auch wenn in dieser Zeit das Wetter unbeständiger ist. Eine gute Planung, Flexibilität und ein wenig Glück werden letztlich entscheiden, wie deine Tour verlaufen wird.

Zunächst führt uns der Weg durch das Lavafeld Laugahraun – eine recht karge Landschaft, die an eine Mondlandschaft erinnert. Doch dieses Bild bleibt nicht lange bestehen. Die Farben verändern sich und werden intensiver. Die Berge leuchten in unterschiedlichen Tönen: rot, orange, schwarz, braun, grün. Eine Wahnsinnskulisse. Das Grün kommt vom Moos, das Schwarz vom Lavastein und das Rot vom Rhylitgestein, das ebenfalls eine vulkanische Gesteinsart ist, die in ihrer Zusammensetzung einem Granit entspricht. Gerade der Brennisteinsalda – der auch als „Regenbogenvulkan“ bezeichnet wird – ist durch die Kombination aus Schwefel, dem Pflanzenleben und dem roten Eisen spektakulär gefärbt. Er zählt deshalb zu den schönsten Vulkanen der Welt.

Wir kommen ins Schwitzen. Der Steilhang bringt uns körperlich bereits jetzt schon an die Grenzen – die einen mehr, die anderen weniger. Die Gruppe spaltet sich. Ein erstes Murren ist zu hören. Nun ist Mentaltraining gefragt.

Was sagst du dir selbst in diesen Situationen, in denen du nicht mehr kannst? Welche Worte werden laut? Schaffst du es, dich selbst zu motivieren, durchzuhalten und weiterzumachen?

Aufgeben ist keine Option, deshalb sind wir nicht hier. Dennoch ist es unglaublich herausfordernd, ruhig und konzentriert zu bleiben und Schritt für Schritt diesen Berg zu erklimmen.

Auch im Alltag haben wir immer wieder diese Berge, die an unseren Kräften zerren. Genau dann kann die Erfahrung von einer Wanderung helfen, um fokussiert zu bleiben und den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren.

In solchen Momenten liebe ich meinen Job als Outdoor-Coach. Genau hier setzen wir an, um blockierende Glaubenssätze aufzulösen und Emotionen freizusetzen. Genau in solchen Momenten können wir die innere Antriebskraft aktivieren.

Ich muss grinsen, als ich dem Gespräch von Andrea und Janin lausche: „Ich bin eine weiße Massai“, sagt Andrea.

Dieses Mantra hat ihr schon bei der ein oder anderen Bergtour einiges an Konzentration und Durchhaltevermögen gegeben. Janin ist skeptisch, probiert es aber aus. Und siehe da, es hilft. Zumindest sieht es von außen betrachtet so aus.

Die gegenseitige Motivation in der Gruppe bestärkt weiterhin, nicht aufzugeben. Gerade in einer reinen Frauengruppe besteht mehr Mitgefühl als Konkurrenzkampf. Wenn wir in die Coaching-Themen eintauchen, habe ich die Erfahrung gemacht, dass in reinen Frauengruppen sehr schnell ein sehr vertrauter Rahmen entsteht.

Für unsere Mittagspause suchen wir uns einen windgeschützten Ort inmitten von kleineren Schneefeldern. Wir lassen uns auf ein paar Steine nieder und saugen wohltuende Sonnenstrahlen auf. Die Pause nutze ich, um einen kleinen Input zu Karte, Kompass und GPS zu geben.

„Verlass dich niemals nur auf ein GPS-Gerät“, sage ich, „die Technik kann immer mal versagen, und was dann? Dann solltest du mit Karte und Kompass umgehen können“, erkläre ich weiter. „Diese Fähigkeit solltest du dir, wenn du alleine losziehst, schon vor der Tour aneignen, damit du sie im Ernstfall auch anwenden kannst.“

Mir war beispielsweise lange Zeit nicht bekannt, dass das geografische Norden nicht mit dem magnetischen Norden übereinstimmt. Erst durch das intensive Auseinandersetzen und dem Besuch von weiterführenden Trainings habe ich das Wissen aufgebaut.

„Je nachdem, wo du dich auf der Erde befindest, entsteht eine Missweisung oder auch „Deklination“ genannt. Gerade in Island ist diese erheblich und muss berechnet oder am Kompass eingestellt werden“, erkläre ich den gespannt lauschenden Teilnehmerinnen.

Gestärkt und mit neuer Energie begeben wir uns auf Teil zwei der heutigen Tour. Der Ausblick ist atemberaubend.

„Schaut mal, da hinten sind wir gelaufen“, meint Janin und wir blicken uns verwundert um. Kilometerweit können wir unsere zurückgelegte Strecke verfolgen.

Der Blick nach vorne zeigt aufsteigenden Dampf der idyllischen Quelle von Storihver, welche wir gleich passieren. Daran anschließend begeben wir uns in einen weiteren spannenden Streckenabschnitt: Das erste große Schneefeld. Beim Anblick daran erinnere ich mich an meine Norwegen-Tour 2012, wo unser Weg überraschenderweise auch auf ein Schneefeld führte. Damals konnten wir nicht einschätzen, was sich unter dem Schnee befindet, und ein mögliches Risiko einzubrechen, war uns zu groß. Deshalb haben wir einen großen Umweg gemacht und sind außen entlanggewandert. Da hier im Schnee allerdings deutlich ein schmaler Trampelpfad zu erkennen ist, trauen wir uns drauf. Ein ungewohntes Gefühl, wenn der Schnee so unter den Wanderschuhen knirscht. Ich vermute, dass hier unter dem Schnee ein Felsen ist, doch sicher kann man sich bei solchen Schneefeldern nie sein, deshalb ist immer Vorsicht geboten.

Wir überwinden es ohne große Vorkommnisse und werden sogar mit einem in den Schnee gemalten Herz begrüßt.

Die Kräfte schwinden so langsam. Gerade der erste Tag ist meistens der härteste, weil sich der Körper erst an das Gewicht des Rucksacks und die Belastung gewöhnen muss. Noch ein letzter Anstieg auf 1.132 Meter zum Söðull – dem höchsten Punkt unserer Wanderung – steht uns bevor. Insgesamt 565 Höhenmeter haben wir heute zurückgelegt. Ich bin richtig stolz auf meine Mädels.

Am Panoramagipfel angekommen erblicken wir den Zeltplatz. Erleichterung. Fast geschafft. Die letzten Meter führen uns durch die feuersteinhaltige, rabenschwarze Glasachatwüste, die zum Namen Hrafntinnusker inspirierte, da hrafn „Rabe“ auf isländisch bedeutet.

Der Zeltplatz macht im ersten Moment einen merkwürdigen Eindruck auf uns. Überall sind runde, kleine Steinmauern. Als wir näherkommen und den kräftigen Windzug spüren, verstehen wir warum.

Die Zeltbuddys sichern sich jeweils eine kleine Mauer und können so ihr Zelt windfest aufschlagen. Da die letzte Nacht sehr kalt war und viele gefroren haben, verteile ich noch die mitgebrachten Rettungsdecken und rufe den fleißigen Händen zu: „Wenn ihr fertig seid, treffen wir uns im Gemeinschaftszelt.“

Dort gibt es erst mal einen heißen Tee zum Aufwärmen.

„Ich hasse Wandern“, meint Janin, die heute wirklich an Grenzen gestoßen ist und große Zweifel bekämpft hat. Genau das hat sie allerdings auch stärker gemacht.

Während wir unsere Hände an der Trekkingnahrung aufwärmen, meint Anja: „Den heutigen Tag werde ich wie einen wunderbaren Schatz in mir tragen, den ich bestimmt in manchen Situationen gut gebrauchen kann, um wieder bei mir anzukommen.“

Solche Sätze berühren mich jedes Mal aufs Neue.

Für viele der Teilnehmerinnen ist es das erste Mal, dass sie Trekkingnahrung probieren. Genau deshalb startet Klaudia auch direkt einen Contest: „Welche Note gibst du deinem Essen? Zur Auswahl stehen Couscous mit Gemüse, Pasta Primavera oder Spaghetti mit Soja-Bolognese.“

Der große Vorteil von Trekkingnahrung ist das geringe Gewicht, da die Zutaten gefriergetrocknet sind. Außerdem ist die Zubereitung sehr ressourcenschonend, weil lediglich heißes Wasser in die Tüte gegossen werden muss.

Mit vollgeschlagenem Bauch begeben wir uns nach dem Essen zügig ins Zelt, um uns in den warmen Schlafsack zu kuscheln. Für Klaudia und mich heißt es zunächst Reflexion, Abstimmung und Planung, bis auch wir die Augen zumachen können.

Tag 3 – Freiheit pur zwischen Schneefeldern und Gipfeln (Hrafntinnusker – Álftavatn: 12 km)

Was für eine Nacht! Mehrmals werde ich aus dem Schlaf geschüttelt. Geschüttelt vor Kälte. Obwohl ich meine Funktionsunterwäsche anhabe und mein Daunenschlafsack normalerweise locker diese Temperaturen um den Gefrierpunkt abkann, friere ich. Doch meine aufblasbare Isomatte scheint Luft zu verlieren, denn ich liege direkt auf dem eiskalten Boden, der meinem Körper die Wärme entzieht. Diesen Effekt nennt man „Konduktion“. Ein erneutes Aufblasen meiner Isomatte hält knappe drei Stunden, bis ich wieder aufwache und erneut auf dem Boden liege.

„So ein Mist“, fluche ich innerlich, „das kann jetzt wohl nicht wahr sein!“

Doch Aufregen bringt mich nicht weiter, ich brauche eine Lösung.

Von meinem Wildnistrainer Marco Plass habe ich, als es um das Thema Unterkühlung ging, folgendes gelernt: Um Konduktion vorzubeugen, ist es wichtig, eine Distanz zwischen den Körper und den kalten Boden zu bringen. Das kann mit Laub, Reisig, einer Matte oder in meinem Fall mit dem Rucksack sein.

Mit dem Rucksack? Ganz genau, das ist meine Lösung! Bequem ist das auf keinen Fall, aber darum geht es jetzt nicht. Durch die dicke Polsterung des Rucksacks, den ich vorher ausleere, kann sich meine Körpermitte wieder aufwärmen. Was bedeutet, dass ich doch noch ein paar weitere Stunden Schlaf finden werde.

Etwas gerädert und in Nebel eingehüllt, sammeln wir uns am nächsten Morgen im Gemeinschaftszelt. Meine Isomattengeschichte behalte ich zunächst für mich, das ist mir als Trainerin, die zigmal erwähnt hatte, das Equipment vor Tourstart auch ja zu testen, zu peinlich. Dass mich Klaudia ausgelacht hat, hat mir schon gereicht.

Wir sind eingehüllt in Wolken, deren Feuchtigkeit sich auf unsere Zelte gelegt hat. Um den Zelten noch eine kleine Chance zum Trocknen zu geben, verabreden wir uns auf der Terrasse der Wanderhütte. Zeit für einen kleinen Morgenimpuls zum Thema Atem.

„Unser Atem ist ein wunderbares Geschenk, mit dem wir gezielt arbeiten können“, erkläre ich dick eingepackt.

„Gerade bei Stress und Angst können wir verschiedene Atemtechniken nutzen, um uns zu beruhigen. Die wechselseitige Nasenatmung ist eine von vielen Atemtechniken, die ich euch heute beibringen möchte. Sie hat eine harmonisierende Wirkung auf unseren Körper und unseren Geist. Gerade in stressigen Situationen im Alltag, aber auch bei einer Outdoor-Tour, ist es ein tolles Werkzeug, um sich selbst zu beruhigen“, erkläre ich weiter. „Bring deinen rechten Daumen an dein rechtes Nasenloch, atme durch links ein, verschließe mit dem Ringfinger dein linkes Nasenloch – atme durch rechts aus, atme rechts ein – verschließe dein rechtes Nasenloch, öffne dein linkes Nasenloch, atme aus“, leite ich die Gruppe an.

Nach ein paar Atemzügen merke ich, wie die ersten Hände kurz ausgeschüttelt und in die Tasche gesteckt werden, was mich darauf aufmerksam macht, dass solch eine Übung bei einstelligen Temperaturen ohne Handschuhe vielleicht nicht die beste Idee ist. Das Wetter scheint jedoch gnädig mit uns zu sein. Gestartet haben wir die Übung in einem Meer von Nebel, beenden dürfen wir sie bei aufgezogenem Himmel und mit Blick auf ein unglaubliches Panorama. Eine Landschaft wie auf einem fremden Planeten: Zahlreiche karge Berge, gefleckt mit weißen Schneedecken, die hier auf dem Hochplateau kaum schmelzen. Es wirkt als wäre diese Umgebung unendlich.

„Lasst uns zusammenpacken und dieses Panorama erkunden“, sage ich mit funkelnden Augen zu den Mädels.

Bevor wir uns auf die heutige 12-km-Tour begeben, ein kurzer Check-In und eine Wie-geht’s-mir-Runde. Solche Runden sind mir gerade bei einer Gruppenreise sehr wichtig. Denn nicht nur für jeden persönlich sind diese Momente der Innenschau wertvoll, sondern auch für die Gruppe ist es wichtig zu erfahren, was den anderen beschäftigt, um mögliche Emotionen besser einordnen zu können.

„Mir geht es gut. Ich bin total gespannt, was wir heute erleben und sehen werden. Und ich freue mich riesig, jetzt aufzubrechen“, teile ich als Letzte der Gruppe mit.

Trotz einer kurzen Nacht bin ich richtig energiegeladen. Diese unglaublich beeindruckende Landschaft, die Gruppe und die Verantwortung, die ich trage, geben mir sehr viel Kraft, wie ich merke. Der Spaß und das Lachen beflügeln mich ebenfalls. Auch Stina freut sich und hat ein Leuchten in den Augen und Jeanette kann es kaum erwarten, endlich loszulaufen. Ihr dauert das Zusammenpacken morgens immer eindeutig zu lange.

Ich mag es, Klaudia als Co-Trainerin dabeizuhaben, weil sie mit ihrem Humor die Gruppe immer wieder erheitert und selbst in grenzwertigen Momenten zum Lachen bringt. Heute ist es wieder soweit. Als ich nach einigen Metern zurückblicke, traue ich meinen Augen kaum. Klaudia rutscht auf dem Popo den Berg herunter und fuchtelt wild mit ihren Wanderstöcken umher. Dass sie bei dieser Aktion die Schutzhülle unseres Zeltes zerstört, kann ich ihr nicht übelnehmen. Zu witzig ist dieser Anblick. Das Profil von ihren Wanderschuhen ist schon zu sehr abgenutzt und hat keinen Grip mehr, was bei diesem Geröll hier am Hang jedoch fatal ist.

„Bei der nächsten Tour werde ich neue Wanderschuhe haben“, verspricht sie mir.

Ich hoffe, sie hält ihr Versprechen, denn ohne gutes Schuhwerk und der ständigen Vorsicht nicht abzurutschen, macht das Wandern keinen Spaß und strengt deutlich an.

Der erste Abschnitt der Strecke führt uns durch ein paar Gletscherrinnen und mehrere Schneefelder. Hier ist jetzt Vorsicht geboten, denn teilweise fließen Bäche darunter und nicht jede Schneedecke ist automatisch auch tragend!

Entlang der Reykjafjoll-Berge folgen wir dann den rot markierten Holzpollern und kommen aus dem Staunen kaum heraus. Inzwischen haben wir die bunten Rhyolith-Berge hinter uns gelassen und erreichen Palagonit-Berge, die vereinzelt von schneebedeckten Gletschern bedeckt sind.

Die Kulisse und die Aussichten sind fantastisch. Deshalb müssen wir uns auch die Zeit für ein kleines Fotoshooting nehmen. Die Gesichter strahlen eine Mischung aus Glück, Freude, Anstrengung und Faszination aus, und ich weiß jetzt schon, dass dieses Gruppenbild von diesem Ort eins meiner Lieblingsbilder von der gesamten Reise sein wird.

Immer wieder nehme ich mir ein paar Minuten, in denen ich ganz für mich allein laufe. Das brauche ich, um all das, was gerade passiert, zu reflektieren. Aber auch, um weitere Impulse für die Themen, die mir im Eins-zu-eins-Gespräch offenbart werden, zu sammeln.

Ein paar Schritte vor mir höre ich auf einmal: „Und 1 und 2 und 3 und 4 und 5 und 6 und 7 und 8 …“

Das muss ich mir genauer anschauen und lege einen kleinen Sprint hin.

„… ein Hut, ein Stock, ein Re-gen-schirm und vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran, Hacke, Spitze, hoch das Bein.“

Ich muss schmunzeln, mich freut es, wenn die Teilnehmerinnen Kindheitserinnerungen aufleben lassen. Das Singen bringt ein Strahlen auf die Gesichter.

Wir erreichen den Jökultungur und genießen einen Weltklasse-Blick über eine bizarre Landschaft von moosbewachsenen Vulkankegeln und glitzernden Seen bis zu den südlichen Eiskappen Islands. Diese Weite macht mich ehrfürchtig und lässt das Gefühl endloser Freiheit in mir aufkommen.

Genau hier und genau jetzt muss ich diesem Gefühl Ausdruck verleihen und stoße einen kräftigen Schrei aus. Auch wenn mir bewusst ist, dass man das in den Bergen aufgrund von Lawinengefahren lieber nicht machen sollte. Bei der zweiten Runde machen die Mädels mit und es gibt ein herrliches Echo. Das musste jetzt einfach raus. Hoffentlich haben sich die Schafe, die wir ein paar Meter weiter beim Abstieg ins Tal antreffen, nicht allzu sehr erschreckt.

Die Temperaturen steigen, die Sonne strahlt und der Fluss, an dem wir vorbeikommen, bietet frisches, klares Gletscherwasser. Der optimale Platz für eine Rast und eine leckere Sternchensuppe. Normalerweise bin ich kein Tütensuppen-Fan, vor allem versuche ich, Produkte von Nestlé weitgehend zu vermeiden. Doch die Sternchensuppe von Maggi ist von meiner Outdoor-Essensliste kaum mehr wegzudenken.

Da ich selbst auch zum ersten Mal den Laugavegur Wanderweg laufe, muss ich sehr flexibel entscheiden, wo und wann der richtige Moment für einen weiteren Coaching-Input ist. Natürlich muss es auch zur allgemeinen Stimmung in der Gruppe passen, da die mentale Anstrengung nicht zu unterschätzen ist. Hier in der Sonne am Flussbett habe ich ein gutes Gefühl. Nachdem wir schon einen kleinen Outdoor-Input zum Kompass hatten, widmen wir uns jetzt dem Thema innerer Kompass: Wer bin ich? Was zeichnet mich aus? Was ist meine Identität?

„Schließe deine Augen und spüre einmal in dein Herz. Stell dir vor, du könntest dir selbst eine neue Identität geben. Wer würdest du sein? Welche Charakterzüge würdest du haben? Wie würdest du dich fühlen? Mit wem würdest du dich umgeben?“, beginne ich, eine kleine Visualisierungsübung anzuleiten.

Nach einem regen Austausch über unser Identitäts-Statement satteln wir die Rucksäcke wieder auf. Bis zum Schlafplatz liegen noch dreieinhalb Kilometer vor uns.

„Ah“, höre ich es stöhnen, als der Rucksack auf die ersten Druckstellen an Hüftknochen und Schlüsselbein stößt. Auch hieran muss sich der Körper erst gewöhnen und eine leichte Hornhaut bilden.

Der Schmerz ist bald vergessen, als wir auf den ersten Fluss, den wir durchqueren müssen, stoßen. „Furten“ sagt man hier im Norden. Der Gletscherbach ist etwa knöcheltief. Und auch, wenn ein Balancieren auf den Steinen eventuell möglich wäre, gebe ich die Anweisung, die Wanderschuhe gegen die Wasserschuhe zu tauschen. Das Risiko, mit samt dem Gepäck auf dem Rücken auf den nassen Steinen auszurutschen, ist zu hoch. Während die ersten schon selbstsicher durch das Wasser furten, gebe ich noch vereinzelt Tipps: „Nutze die Wanderstöcke als Wattstock. Halte immer drei Punkte zur Stabilisierung am Boden.“

Wacker schlagen wir uns ans andere Ufer, wo die nassen Schuhe wieder gegen die warmen und trockenen Wanderschuhe getauscht werden.

Die letzten Meter bis zum Zeltplatz ziehen sich wie Kaugummi. Nach einiger Zeit plagt mich der Alptraum eines jeden Wanderers. Die Blase drückt. Weit und breit kein Baum, nicht mal ein Busch – diese haben wir seit Tagen schon nicht mehr gesehen. Da wir uns dem nächsten Zeltplatz nähern, sind nun auch mehrere Wanderer um uns herum, was meine aktuelle Lage deutlich herausfordernder macht. Irgendwann kann ich nicht mehr. Ich lasse mich etwas nach hinten fallen und verlasse den Weg für ein paar Meter. Hose runter und … Erleichterung.

Die Gruppe hole ich erst am Zeltplatz wieder ein, wo das Sonnenlicht wunderschön in dem danebenliegenden See glitzert.

„Wir haben es geschafft, ich bin stolz auf euch!“, rufe ich der Gruppe laut und freudig zu.

Die Zeltbuddys sind mittlerweile ein eingespieltes Team, deshalb geht das Aufstellen der Zelte auch richtig fix. Vielleicht treibt uns aber auch der Wunsch einer heißen Dusche an. Auch wenn die meisten Zeltplätze kein Strom haben, gibt es fast überall Duschen. Hier in Álftavatn sogar mit heißem Wasser, erhitzt durch Gas.

Nach drei Tagen ist die heiße Dusche eine richtige Wohltat. Die Wartezeit in der eisigen Kälte wird mit einer Chips-Spende von Anja aufgelockert.

Auf dem heutigen Zeltplatz gibt es kein Gemeinschaftszelt, deshalb findet das Abendessen heute etwas isoliert statt. Der Wind bläst so stark, dass ein Draußensitzen nach der heißen Dusche uns unnötig auskühlen würde. Deshalb entschließe ich kurzerhand, einfach das Wasser in der Mitte unseres Zeltkreises zu kochen und einen Room-Service bzw. Tent-Service anzubieten. Ein Abendessen im Bett quasi. Hat was, oder?

Später im Zelt schau ich mir mit Klaudia die Tour für den nächsten Tag an. Es wartet ein kniffliger Weg auf uns – eine Sandwüste und ein breiter Fluss, der durchquert werden muss. Das Wetter soll unbeständiger werden, heißt es – das macht mir etwas Sorgen. Von der Leistung der Gruppe jedoch bin ich wirklich beeindruckt. Wir sind die letzten zwei Tage definitiv alle schon an unsere Grenzen gekommen. Aber die Mädels kämpfen und unterstützen sich gegenseitig, das freut mich ungemein.

Tag 4 – Naturgewalten und Wunder der Natur (Álftavatn – Hvanngil – Emstur: 15 km)

Jeden Morgen beim Öffnen des Zeltreißverschlusses ist dieser kurze Moment der Spannung: Welches Wetter erwartet uns wohl? Heute blickt mir eine dichte Wolkendecke entgegen. Ganz leicht ist ein Regenbogen zu erkennen. Das heißt dann wohl: Regen liegt in der Luft.

„Endlich!“, höre ich mich sagen. Seitdem mir Klaudia im Hostel ihre pinkfarbene Regenhose gezeigt hat, freue ich mich auf diesen Moment. Die allgemeine Stimmung ist jedoch verhalten. Ohne große Worte wird zusammengepackt. Alle wollen zügig den Platz verlassen. Es windet. Es regnet. Es ist kalt. Die Sicht ist eingeschränkt und zu allem Übel hat Klaudia auch noch ihren Handschuh verloren. Was bei Temperaturen von drei Grad die Stimmung nicht unbedingt besser macht.