Fräulein Cosima erlebt ein Wunder - Steffi von Wolff - E-Book
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Fräulein Cosima erlebt ein Wunder E-Book

Steffi von Wolff

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Beschreibung

Ein Ausflug in die wilden 50er: Die romantische Komödie »Fräulein Cosima erlebt ein Wunder« von Steffi von Wolff jetzt als eBook bei dotbooks. Jetzt geht das süße Leben endlich los! Cosima ist frisch geschieden und freut sich auf neue Abenteuer. Doch als sie bei einer Wahrsagerin einen Blick in die Zukunft riskieren will, macht es »Schwupps« – und sie findet sich im Jahr 1954 wieder, die Zeit des Wirtschaftswunders, der Petticoats … und des allerspießigsten Frauenbilds, das man sich vorstellen kann! Getreu dem Motto »Wer sich nicht wehrt, endet am Herd« nimmt Cosima den Kampf gegen merkwürdig miefige Moralvorstellungen auf. Nur der sympathische Paul scheint Verständnis für sie zu haben. Wäre er möglicherweise ein Grund, um sich in der Vergangenheit wohlzufühlen? »Hebt sich auf sehr besondere Art von der Vielzahl der ›Liebe auf der rosa Wolke‹-Unterhaltung ab und hat dafür bei weitem mehr als fünf Punkte verdient!« herzgedanke.de Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die romantische Zeitreise-Komödie »Fräulein Cosima erlebt ein Wunder« von Bestseller-Autorin Steffi von Wolff! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 268

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Über dieses Buch:

Jetzt geht das süße Leben endlich los! Cosima ist frisch geschieden und freut sich auf neue Abenteuer. Doch als sie bei einer Wahrsagerin einen Blick in die Zukunft riskieren will, macht es «Schwupps» – und sie findet sich im Jahr 1954 wieder, die Zeit des Wirtschaftswunders, der Petticoats … und des allerspießigsten Frauenbilds, das man sich vorstellen kann! Getreu dem Motto »Wer sich nicht wehrt, endet am Herd« nimmt Cosima den Kampf gegen merkwürdig miefige Moralvorstellungen auf. Nur der sympathische Paul scheint Verständnis für sie zu haben. Wäre er möglicherweise ein Grund, um sich in der Vergangenheit wohlzufühlen?

»Hebt sich auf sehr besondere Art von der Vielzahl der ›Liebe auf der rosa Wolke‹-Unterhaltung ab und hat dafür bei weitem mehr als fünf Punkte verdient!« herzgedanke.de

Über die Autorin:

Steffi von Wolff, geboren 1966 in Hessen, war Reporterin, Redakteurin und Moderatorin bei verschiedenen Radiosendern. Heute arbeitet sie freiberuflich für Zeitungen und Magazine wie »Bild am Sonntag« und »Brigitte«, ist als Roman- und Sachbuch-Autorin erfolgreich und wird von vielen Fans als »Comedyqueen« gefeiert. Steffi von Wolff lebt mit ihrem Mann in Hamburg.

Die Autorin im Internet: www.steffivonwolff.de und www.facebook.com/steffivonwolff.autorin

Steffi von Wolff veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Bestseller »Glitzerbarbie«, »Gruppen-Ex«, »ReeperWahn« und Rostfrei«, »Das kleine Segelboot des Glücks«, »Der kleine Buchclub der Träume«, »Das kleine Hotel an der Nordsee«, »Das kleine Haus am Ende der Welt« und »Das kleine Appartement des Glücks« sowie die Kurzgeschichten-Sammelbände »Das kleine Liebeschaos für Glückssucher« und »Das kleine Glück im Weihnachtstrubel«. Eine andere Seite ihres Könnens zeigt Steffi von Wolff unter ihrem Pseudonym Rebecca Stephan im ebenso einfühlsamen wie bewegenden Roman »Zwei halbe Leben«.

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eBook-Neuausgabe Oktober 2021

Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel »Fräuleinwunder« und dem Pseudonym Pia Osterwald bei Rowohlt.

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, Memmingen, unter Verwendung verschiedener Bildmotive von shutterstock/foto-select, KathySG, Tara Patta

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-456-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Steffi von Wolff

Fräulein Cosima erlebt ein Wunder

Roman

dotbooks.

Prolog

An meinem 44. Geburtstag passierte etwas, an das ich eigentlich schon gar nicht mehr glaubte. Ich hielt es für unmöglich und absolut unrealistisch, womit ich auch nicht falschlag, weil ich es jahrelang versucht hatte; trotzdem ist es passiert, und ich konnte mein Glück kaum fassen: Es war 9 Uhr 25, als ich zum ersten Mal ohne fremde Hilfe die versteckte kleine Maus auf der Kinderseite in meiner Lieblingszeitschrift, der Brigitte, fand.

Das mit der Maus war so eine Sache. Es war eine regelrechte Manie. Alle zwei Wochen suchte ich sie. Jeder fand sie, nur ich nicht. Klar, wenn jemand mit dem Finger drauf zeigte und sagte: »Da ist sie doch«, dann hab ich sie natürlich auch gesehen. Aber das war etwas anderes – ich wollte sie selbst finden.

Der Tag würde einfach wunderbar werden. Über die Zahl 44 ärgerte ich mich nicht, warum auch? Man kann ja nichts dagegen tun. Also beschloss ich, meinen Geburtstag einfach nur zu genießen. Mit der Maus. Ich riss mir die Seite sogar aus. Ich dachte, dass mir nun nichts mehr passieren konnte. Jedenfalls nichts Schlimmes.

Ja, das dachte ich, an meinem 44. Geburtstag um 9 Uhr 25.

Kapitel 1

»Was macht denn die Liebe?«, will mein Frauenarzt wissen, während er mit einem Spekulum in mir herumwühlt und dann mit einem langen Holzstab Gewebeproben entnimmt. Ich finde das jedes Mal wieder so grauenhaft, dass ich am liebsten nach ihm treten möchte. Es ist sowieso schon entwürdigend genug, mit gespreizten Beinen auf so einem Untersuchungsstuhl zu liegen, und ich habe jedes Mal entsetzliche Panik davor, dass meine Füße, die sich ja direkt neben Doc Gyns Kopf befinden, unangenehm riechen könnten.

»Die Liebe macht gar nichts«, erkläre ich, während er das Ultraschallgerät klarmacht. »Ich hab auch kein Interesse daran.« Natürlich wäre es schön, sich noch mal zu verlieben. Aber verbiegen möchte ich mich nicht. Hier und da hat sich in den letzten Jahren mal was ergeben, aber nie auf Dauer. Weil ich es nämlich nicht einsehe, um irgendeinen Mann herumzuscharwenzeln. Ich habe meine eigene Wohnung, mein eigenes Einkommen, mein eigenes Leben, und das wird sich auch nicht ändern.

»Heute ist der Krebsabstrich dran und der Ultraschall«, erklärt Doc Gyn, der eigentlich Dr. Scheidengruber heißt und das auch gar nicht schlimm findet. Er würde nicht im Traum daran denken, seinen Namen aus gegebenem Anlass zu ändern. »Warum denn auch?«, sagt er immer. »Allein dadurch bin ich ja zu meinem Beruf gekommen. Das war Fügung.«

Ich bin schon lange Jahre bei Dr. Scheidengruber, und mit der Zeit hat sich zwischen uns so was wie Freundschaft entwickelt. Außerdem ist sein Sohn mit einer Bekannten von mir verheiratet, und so sieht man sich hin und wieder auch privat. Irgendwann waren wir dann per Du.

Viele meiner Freundinnen gehen ebenfalls zu ihm in die Praxis, und keine hat jemals gewechselt. Er macht seine Sache nämlich gut, und mit Frauenärzten ist das wie mit Schuhen: Sie müssen passen. Wir nennen ihn allerdings nie Dr. Scheidengruber, sondern eben Doc Gyn. Das findet er gut, weil es ihn dynamischer und jünger wirken lässt. Er ist nämlich schon Mitte sechzig, und wir alle haben Angst vor dem Tag, an dem er in Ruhestand geht. Das darf nicht passieren. Niemals.

»Willst du denn wirklich für immer alleine bleiben?«, fragt er und schiebt schon das Ultraschallgerät in mich rein. »Schau mal, meine Frau und ich, wir sind jetzt fast vierzig Jahre verheiratet, und ich würde sie sofort wieder heiraten.«

»Weil sie dir alles hinterherträgt, Johannes. Ich war oft genug bei euch zu Hause.«

»Aber das ist doch auch gut so«, erwidert er. »Immerhin stehe ich den ganzen Tag in der Praxis. Nur Unterleibe, den ganzen Tag nur Unterleibe. Da will man doch abends mal verwöhnt werden.«

»Warum hat Elisabeth eigentlich nie gearbeitet? Hat sie nicht auch Medizin studiert?« Ich merke schon wieder, dass ich reizbar werde, wenn es um dieses Thema geht.

»Ja, hat sie.« Er hört kurz auf, das Ultraschallgerät kreisen zu lassen, und überlegt. »Wenn ich mich recht erinnere, war sie sogar besser als ich.«

»Und wieso ist sie dann keine Ärztin geworden?«

»Ach, Cosima, wir haben ein Haus gebaut, dann kamen die Kinder ... Der große Garten ... Du weißt doch, wie das ist.«

»Nein, das weiß ich nicht. Aber ich kann dir versichern, dass ich garantiert nicht den ganzen Tag zu Hause rumgesessen hätte, um dich abends zu fragen, ob du lieber Bratwurst oder Gulasch essen möchtest. Das ist doch überhaupt nicht erfüllend, so ein Hausfrauenleben.«

»Wie kannst du das wissen? Du warst doch nie eine Hausfrau.«

»Ich war immer auch eine Hausfrau, aber ich habe auch immer gearbeitet. Und das, obwohl ich einen Sohn großgezogen habe.«

Philipp ist jetzt achtzehn und lebt sein eigenes Leben. Er ist das Ergebnis einer heißen Nacht mit einem französischen Fischer, den ich kurz nach der Trennung von Max in der Bretagne kennengelernt hatte. Es war toll damals mit Pierrick. Eine Zeit, die ich bis heute nicht vergessen habe. Wir hatten Sex in der Hütte, in der er sein Angelzeug aufbewahrte. Wir hatten Sex auf seinem Kutter. Und wir hatten Sex am Strand. Damals war ich für eine Woche in die Bretagne gefahren, um mal ein bisschen zu mir zu kommen, und da saß Pierrick in einer Hafenspelunke und hat mich mit seinen großen braunen Augen angeschaut. Seine muskulösen Unterarme gaben mir den Rest. Ich weiß noch, dass im Radio keltische Musik lief. Tja, und dann wurde ich schwanger. Obwohl ich nicht die geringste Absicht hatte, mit Pierrick zusammenzukommen, habe ich ihm von der Schwangerschaft erzählt, und er hat sich in der Tat gefreut. Bis heute haben wir ein nettes und freundschaftliches Verhältnis. Philipp war schon ein paar Mal bei ihm in Frankreich, was ich auch unterstütze. Unterhaltszahlungen habe ich niemals bekommen und auch nie eingefordert; ich wusste ja, dass Pierrick ganz wenig verdiente. Aber er und Philipp verstehen sich bestens, und das ist doch prima. Philipp ist auch jetzt gerade bei ihm. Nach dem Abitur will er sich mal drei Monate Pause gönnen, bevor er mit dem Jurastudium anfängt. Pierrick ist mittlerweile schon lange verheiratet, aber auch mit der Frau und seinen beiden Halbgeschwistern versteht Philipp sich wunderbar. Er fühlt sich dort als vollwertiges Familienmitglied. Auch das freut mich.

»Du bist eben anders, Cosima.« Erneut wühlt Doc Gyn in mir herum.

»Ich bin nicht anders, ich bin vernünftig. Man verblödet doch total, wenn man nur mit dem Kinderwagen herumfährt und bei Elternabenden auf viel zu kleinen Stühlchen hockt, um darüber zu diskutieren, mit welcher umweltschonenden Farbe das Klassenzimmer gestrichen wird«, rege ich mich auf. »Nur Haushalt und Kinder, das ist doch nicht erfüllend.« Als Doc Gyn mir nicht gleich antwortet, werde ich trotzig. »Wer weiß«, sage ich. »Vielleicht bekomme ich ja auch noch ein Kind. Ich bin gesund und kann es mir leisten. Und trotzdem würde ich weiterarbeiten.«

»Hm, hm«, macht Doc Gyn und säubert das Ultraschallgerät. »Dann musst du dich aber beeilen, meine Beste.«

»Warum?«

»Du bist in den Wechseljahren«, erklärt er und sieht mich an, als hätte er mir gerade gesagt, dass ich nach jahrzehntelangem Warten mit Vierlingen schwanger sei. Dann drückt er mir ein Rezept in die Hand und sagt, ich soll mir Hormone besorgen oder etwas ohne Hormone, und dann lässt er mich ziehen. Völlig verwirrt tapere ich die Eppendorfer Landstraße entlang, um dann in die Rosen-Apotheke zu Dr. Klingelhöfer zu gehen, dem Apotheker meines Vertrauens. Er ist schon relativ alt und wackelt ständig mit dem Kopf, aber er ist ein lieber Mann, auch wenn er meistens alle Medikamente bestellen muss. Aber die Hormone hat er vorrätig. »Irgendwann trifft es jede Frau«, sagt Dr. Klingelhöfer und nickt mir huldvoll zu.

***

Eine halbe Stunde später sitze ich schockgefrostet in meiner Wohnung und starre auf den Küchentisch. Es ist Mittwoch, und ich habe diese und nächste Woche Urlaub. Nein, ich habe mir nicht wegen meines Geburtstags Urlaub genommen, sondern weil meine Urlaubstage sonst irgendwann verfallen.

Heute Abend habe ich einige Leute zum Essen eingeladen, und der Partyservice hat versprochen, gegen siebzehn Uhr hier zu sein, um alles aufzubauen. Ich kann nämlich nicht besonders gut kochen. Ich will auch gar nicht besonders gut kochen können. Wenn ich schon mal zu Hause bin und nicht als Pressefrau für meine Hotelkette in der Weltgeschichte herumreise, möchte ich gern das machen, was ich will. Und Kochen gehört nun mal nicht zu meinen Hobbys. Außerdem sorge ich mit meiner Bestellung bei einem Partyservice immerhin dafür, dass andere Leute ihre Miete bezahlen können.

Aber wohl nicht mehr lange, denn ich bin ja jetzt offiziell in den Wechseljahren. Meine Hände sind kalt, und mein restlicher Körper auch. Ich verfalle. Ich werde bald Staub sein. Dabei sehe ich doch eigentlich noch ganz gut aus. Meine Freundin Bille sagt immer: »Cosima hat sich gut gehalten, der sieht man ihr Alter nicht an«, und damit hat sie ganz recht. Ich bin groß, schlank, habe blonde Haare und grüne Augen, hätte allerdings lieber dunkle. Ich gehe regelmäßig zur Kosmetikerin und zum Friseur, kaufe mir gern schicke Klamotten und achte auch sonst auf mein Äußeres. Aber all das ist jetzt unwichtig. Ich werde künftig Lumpen tragen, weil es egal ist und ohnehin niemand mehr genau hinschaut. Ich bin eine Frau, die sich im Anfangsstadium des Klimakteriums befindet. Und das ist schlimmer als eine Amputation oder ein Genickbruch.

Der Schlüssel in der Wohnungstür dreht sich, und ich höre ein »Ach, ach, ach« und dann ein »Oh, oh, oh«. Und eine Sekunde später steht Murmel in der Küche.

Murmel ist meine Putzhilfe, und sie behauptet steif und fest, eine deutsch-deutsche Polin zu sein, was ziemlich außergewöhnlich ist, wie ich finde.

‹Reiß dich zusammen›, denke ich heroisch. ‹Du musst deine Umwelt nicht mit deinen Problemen belasten. Jetzt sei nett und freundlich und lächle. Heulen kannst du später immer noch.›

»Ach, ach, ach, Cosima.« Schwer atmend lässt Murmel sich auf einen Küchenstuhl fallen. »Brauch ich erst mal Kaffee.«

Da ich im fünften Stock wohne und das Haus keinen Fahrstuhl hat, ist es für Murmel immer eine Katastrophe, hier hochzukommen. Sie braucht für die zehn Treppen schätzungsweise drei Monate. An schlechten Tagen ein halbes Jahr. Dafür kennt sie alle Nachbarn, weil sie in jedem Stockwerk haltmacht und laut jammert, was natürlich dazu führt, dass immer besorgt die Türen geöffnet werden.

Ich hole Murmel eine Tasse und gieße ihr Kaffee aus der Thermoskanne ein.

»Is so heiß heute«, sagt sie und wischt sich den Schweiß von ihrem Damenbart.

»Das stimmt.« Ich nicke und stehe wieder auf, um die Tür des kleinen Küchenbalkons zu öffnen, auf dem Murmel frische Kräuter in kleine Kübel gepflanzt hat. Sie selbst hat nämlich keinen Balkon, kocht aber gern mit frischen Kräutern und erntet hier regelmäßig für sich und ihren Mann.

»Is nicht gut fur mich«, klagt Murmel. »Vertrag ig Hitze nigt so gud. Hast du kein Probläm mit warme Wetter? Ig schon. Bin ig klatschnass geswitzt. Bin ig aug nigt mehr Jüngste. Bin ig neunundfünfzig schon.«

»Du solltest Sport treiben und weniger essen«, empfehle ich Murmel zum tausendsten Mal. Aber sie hat mir mal verraten, dass sie aufgehört hat, über ihr Gewicht nachzudenken, nachdem der Zeiger der Waage die magische 100-Kilo-Grenze überschritten hatte. Seitdem stopft Murmel in sich hinein, was sie kriegen kann, weil es angeblich sowieso nicht mehr darauf ankommt. Und was sie alles verdrücken kann, war und ist nicht wenig.

Wie gesagt, eigentlich ist Murmel meine Putzhilfe, aber sie hat ein kleines Problem: die Hausstauballergie nämlich. Sie verträgt einfach keinen Schmutz, und deswegen verkompliziert das ihren Job etwas. Im Klartext heißt das, dass Murmel gar nicht bei mir putzt, sondern zweimal pro Woche für jeweils drei Stunden in meiner Wohnung sitzt, Kräuter erntet und meine Tiefkühltruhe und den Kühlschrank leerräumt. Zu Hause achtet ihr Mann, der deutschdeutsche Fred, nämlich darauf, dass sie es mit dem Essen nicht übertreibt.

Dafür, dass Murmel also sechs Stunden pro Woche in meiner Wohnung hockt, erntet und nicht putzt, zahle ich ihr im Monat ungefähr dreihundert Euro.

Bille hält mich deshalb für naiv. Aber ich bin nun mal ein guter Mensch. Zumindest was Murmel betrifft. Ansonsten bin ich sehr emanzipiert und lasse mir die Butter nicht vom Brot nehmen. Nur von Murmel halt. Ich mag sie einfach.

Aber jetzt kommt es nicht mehr drauf an, ob ich ein netter Mensch bin. Ich bin einfach nur alt. Steinalt. Bestimmt bietet man mir ab morgen überall, wo ich hinkomme, einen Sitzplatz an. Oder man fragt mich, ob ich einen Rollator oder Windeln brauche. Wahrscheinlich werde ich sogar ja sagen.

Jetzt muss ich aber erst mal diesen Geburtstag hinter mich bringen. Murmel bleibt, um ein wenig zu helfen. Na ja, ehrlich gesagt bleibt sie wahrscheinlich, weil sie Hunger hat.

***

Abends sind wir insgesamt zwölf Personen, und ich bin stolz darauf, dass mein Esstisch so groß ist und alle, ohne drängeln zu müssen, Platz haben. Und ich bin stolz darauf, dass ich mir alles, was ich habe, alleine erarbeitet habe. Ganz alleine.

Natürlich hatte ich Beziehungen und habe mit meinen Partnern zusammengewohnt. Ich war sogar mal verheiratet. Mit Maximilian von Troplowitz, der seinen Namen so toll fand, dass er sich ungefragt immer allen Leuten vorstellte, auch vorbeilaufenden Passanten. Leider ist mir diese Macke erst nach unserer Hochzeit aufgefallen. Ebenso wie seine anderen. Aber mich hätte damals schon warnen sollen, dass seine Mutter mir eher kondoliert hat, anstatt mir zur Hochzeit zu gratulieren. »Na, da bin ich ja mal gespannt«, hat sie gesagt und mich dabei so skeptisch angesehen. Letztlich hatte sie mit ihrer Vermutung auch vollkommen recht. Meine Ehe war eine einzige Katastrophe und hielt ungefähr zwei Jahre.

Dabei war Max kein schlechter Mensch, wirklich nicht. Aber er war einfach ... nun ja, er war einfach sehr einfach. Sehr simpel gestrickt. Da nützte auch der schöne Name nichts.

»Weiß eigentlich irgendeiner von euch, was Max heute so treibt?«, frage ich in meine Geburtstagsrunde. Meinen Freunden habe ich natürlich von Max erzählt, und einige waren sogar damals zur Hochzeit eingeladen.

Mein langjähriger Kollege Robin, der mit mir gemeinsam neue Pressestrategien für die Hotelkette entwirft, schaut auf. »Wusstest du das noch gar nicht?«, fragt er und stellt sein Glas ab.

»Was soll ich wissen?« Oh, Schreck! Nicht dass Max etwas zugestoßen ist.

»Der hatte doch letztens sein Coming out und wohnt jetzt mit irgendeinem schwulen Schauspieler zusammen. Irgend so ein Seriendarsteller. Den Namen hab ich vergessen. Das hat jedenfalls so in der Presse gestanden. Hab ich neulich im Flugzeug gelesen und dann wohl vergessen, dir zu sagen.«

Vergessen? Wie kann er so eine Neuigkeit vergessen haben?

»Da war auch ein kleines Interview mit Max und seiner großen Liebe«, fährt Robin fort. »Max hat gesagt: ‹Meine Exfrau hat mich so weit gebracht, dass ich nur noch Männer lieben kann.› Dein Name wurde übrigens auch genannt. Natürlich nur dein Vorname.«

»Das ist nicht dein Ernst«, jammere ich, während meine Gäste anfangen zu kreischen.

Wie peinlich ist das denn? Erst bekomme ich gesagt, dass ich in der Menopause bin, und dann wird mein Exmann wegen mir schwul! Ja, hat sich denn die ganze Welt gegen mich verschworen? Bin ich wirklich so schlimm?

Während meine Gäste das kaltwarme Buffet eröffnen und sich alle um den Tisch drängeln, gieße ich mir noch ein Glas Champagner ein und denke nach.

Nein, ich habe Max immer freundlich behandelt. Na ja, fast immer. Manchmal konnte er einen schon zur Weißglut bringen. Allein die Tatsache, dass er Fremdwörter grundsätzlich falsch benutzt hat und so Sachen sagte wie »Ist das auch frisch infiziert?« oder »Im Tatort hat einer den Toten observiert«. Das war mir einfach peinlich. Mehr als einmal habe ich ihn auf seine Fehler hingewiesen, wenn andere dabei waren. Das war natürlich nicht so gut. Aber muss man denn deswegen gleich zum anderen Ufer wechseln?

»Sag mal«, ich drehe mich zu Bille um. »Bin ich wirklich so ein schlechter Mensch?«

»Unsinn«, sagt Bille und knabbert an einem Hähnchenschenkel. »Du machst vielen Männern einfach nur Angst, weil jeder sofort denkt, du hast die Hosen an. Und das stimmt ja auch. Aber schlecht bist du nicht. Sonst wäre ich auch gar nicht mit dir befreundet.« Sie wischt sich die Finger mit einer Serviette sauber und nimmt mich in den Arm. »Jetzt mach dir mal keine Gedanken wegen Max. Das war bestimmt nur gekränkte Eitelkeit. Männer sind manchmal so. Aber davon lassen wir uns doch nicht die gute Laune verderben! Jetzt trinkst du noch einen Champagner, und wir feiern schön deinen Geburtstag.«

Ich seufze und will uns gerade noch mal nachschenken, als Bille stockt und mich merkwürdig mustert.

»Hoppla, was ist das denn? Sehe ich da etwa graue Haare, die eigentlich blond sein müssten? Meine Güte, vierundvierzig«, stöhnt sie theatralisch. Und dann lässt sie die Bombe platzen. »Da kommst du ja vielleicht schon bald in die Wechseljahre.«

Kapitel 2

»Das stimmt doch nicht«, schniefe ich, während Murmel neben mir sitzt und meinen Arm streichelt. Damit mich meine Gäste nicht mit Tränen in den Augen sehen, bin ich schnell zu ihr in die Küche geflohen. »Wie kann Bille nur von Menopause reden? An meinem Geburtstag!«

»Geht vorbei, geht vorbei«, sagt Murmel, steht auf und gießt mir ein Glas Wasser ein.

»Ich will kein Wasser, ich will einen Schnaps«, lamentiere ich.

»Nein, Schnaps ist jetzt nigt gud fur dig«, erklärt Murmel und fächert sich mit dem Abendblatt Luft zu. »Mach ig mal Fenster auf. Ist gud gegen deine Hitzewallung.«

»Ich habe keine Hitzewallung. Es ist Sommer!«, schreie ich wütend und heule noch mehr, weil ich mich so darüber aufrege, dass ich in der Tat schwitze. Aber das ist doch nur die Aufregung. Ich meine, wenn einem gesagt wird, dass man sich in den Wechseljahren befindet, dann ist das so, als ob einem gesagt wird, dass man einen bislang unentdeckten siamesischen Zwilling hat. Oder dass man gerade festgestellt hat, kein Mensch, sondern ein Pavian zu sein (wobei man sich all die Jahre schon darüber gewundert hat, dass man immer so komisch angeschaut wurde).

»Wie hat Doktor festgestellt?«, will Murmel besorgt wissen, während Bille den Kopf durch die Tür steckt und nach einem bösen Blick von mir schnell wieder verschwindet.

Ich putze mir die Nase. »Keine Ahnung, ich hab nicht mehr richtig zugehört. Irgendwas von Eiern und Follikeln. Und er hat mich noch gefragt, ob ich Stimmungsschwankungen habe.«

»Hast du?«

»Nein. Natürlich nicht.«

Na, ja, das ist so nicht ganz richtig. Letztens bin ich beim Schlachter weinend rausgelaufen, weil es keinen Parmaschinken mehr gab. Und erst kürzlich musste ich heulen, als ich eine tote Ente an der Alster gesehen habe. Das wäre mir früher nie passiert. Aber man kommt doch nicht einfach so in die Wechseljahre! Das heißt also, ich werde alt. Alt, alt, alt. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass einem im Klimakterium überall da Haare wachsen, wo man sie nicht haben will. Über der Oberlippe beispielsweise oder am Kinn. Dann kann ich mich gleich Hexe Schrumpeldei nennen.

Und da ist es auch nicht besonders hilfreich, wenn die beste Freundin einem Salz in die Wunde streut. Aber noch schlimmer fühle ich mich, als Murmel sagt: »Wenn du Gluck hast, in zehn Jahren Wechseljahre vorbei.«

Sofort heule ich wieder los. Aber diesmal richtig.

Eine halbe Stunde später ist meine Geburtstagsfeier zu Ende. Noch nicht mal die Geschenke hab ich ausgepackt, und bis auf Bille sind alle gegangen. Murmel hat so getan, als sei es ein Abschied für immer. Sie hat sich dauernd noch mal umgedreht und gewunken. Es fehlte nur, dass sie noch mit einem weißen Taschentuch gewedelt hätte.

»Mein Leben ist so gut wie vorbei, was soll jetzt noch passieren?«, frage ich traurig und starre aus dem Fenster. Draußen lachen Leute. Natürlich, es sind ja auch bestimmt junge Menschen.

»Sei doch nicht so negativ.« Bille schüttelt den Kopf. »Du musst das Ganze mit Humor nehmen.«

Ja, sie hat gut reden. Bille ist immer gut gelaunt. Sie hat ihre Jugendliebe Rupert geheiratet, und die beiden sind seit fünfundzwanzig Jahren glücklich. Also wirklich so richtig glücklich. Unbegreiflich, so was. Bille geht ihrem Mann zuliebe an den Wochenenden sogar auf Dinosaurier-Safari. Rupert ist von Beruf Zahnarzt und geht in seiner Freizeit einem ungewöhnlichen Hobby nach: Er sucht Überreste von Therizinosauriern, Pflanzenfresser mit langen Armen und kleinen Köpfen, hat aber bislang noch keine gefunden.

Vielleicht liegt das Geheimnis ihrer glücklichen Ehe aber auch an Billes Beruf, denn sie ist eine äußerst begehrte Paartherapeutin und hat monatelange Wartelisten. Ständig sieht sie, was in anderen Beziehungen falsch läuft. Sie muss sich das Gejammer von unglücklichen Ehefrauen aus Blankenese oder dem versnobten Pöseldorf anhören, die ihren Mann verlassen wollen, weil das Lederarmband der geschenkten Chopard-Uhr die falsche Farbe hatte. Eine Patientin beklagte sich, dass ihr Mann sie im Haushalt nicht unterstützt, obwohl sie vier oder fünf Angestellte hatte. Und dann der Garten ... Ich meine, solche Frauen gehören doch in ein Arbeitslager, damit sie mal merken, wie gut sie es haben. Jede Frau sollte schließlich für sich selbst sorgen können. Aber diese Jammerlappen werden rundum versorgt und sind trotzdem unzufrieden. Der Status einer Nur-Hausfrau sollte verboten werden.

»Du hast dich schon verändert in letzter Zeit, Cosima. Das ist mir aufgefallen«, erklärt Bille und schenkt uns noch ein Glas Champagner ein. »Du siehst viel öfter schwarz und bist irgendwie ganz schnell auf hundertachtzig. Trotzdem ist es doch nicht schlimm, in die Wechseljahre zu kommen. Das hat schließlich auch seine Vorteile. Man kriegt seine Tage nicht mehr, muss nicht mehr verhüten. Und gegen die schlechte Stimmung gibt’s Hormone. Denk einfach nicht weiter drüber nach.«

»Hat es bei dir auch schon angefangen?«, will ich wissen.

»Nein«, sagt Bille. »Aber selbst wenn, kann man ja eh nichts dagegen machen. Man muss sich damit abfinden.«

»Ja, ja.« Ich trinke einen Schluck und werde plötzlich ganz melancholisch. »Aber das kann es doch noch nicht gewesen sein. Ich meine, das Leben hört doch jetzt nicht auf. Es muss doch noch mehr zu bieten haben«, höre ich mich sagen. »Ob ich jemals richtig glücklich werde? Ob ich mich nochmal verliebe? Einen Mann finde, mit dem ich den Rest meiner Tage verbringen will?«

»Du sagst doch immer, dass du keinen willst.« Bille kichert. »Sind das jetzt erste Symptome des Klimakteriums?«

»Das ist nicht witzig. Ich meine, wer soll mich denn schon noch wollen?«, klage ich weiter. »Mich alte Frau.«

»Ach«, sagt Bille und prustet los. »Es gibt so viele Perverse ...«

Genau deswegen liebe ich meine Freundin so. Sie bringt die Dinge immer so reizend auf den Punkt.

»Lass die blöden Sprüche«, maule ich, als sie sich wieder eingekriegt hat. »Ich meine es ernst. Ich würde wirklich gern wissen, was das Leben noch an Überraschungen bereithält.«

»Dann ist ja mein Geschenk vielleicht genau das Richtige für dich«, sagt Bille plötzlich ganz aufgeregt, steht auf und wirft dabei fast ihr Glas um. »In der Paartherapie hatte ich nämlich mal eine total sympathische Wahrsagerin. Ihr Mann meinte immer, es sei alles Humbug, was sie macht, und hat sie nie richtig ernst genommen. Jedenfalls haben wir gemeinsam einen goldenen Mittelweg gefunden.«

»Aha, schön für die beiden«, brummle ich, während Bille ins Wohnzimmer flitzt und mit einem grünen Umschlag zurückkehrt.

»Ich habe für dich eine Sitzung bei ihr gebucht«, erklärt sie und reicht mir den Gutschein. »Eigentlich nur als Gag, aber jetzt sieht die Sache anders aus. Sie kann dir vielleicht wirklich helfen.«

»Was ist denn das für eine alberne Idee? Ich wollte noch nie zu einer Wahrsagerin. Tolles Geschenk, wirklich toll, danke Bille.«

»Es war lustig gemeint.« Nun ist meine Freundin leicht angesäuert. »Vielleicht erfährst du ja was über deine Zukunft und bist zufriedener, wenn du weißt, wie es weitergeht. Dann kannst du auch wieder lachen.«

Ja, ja, Bille und ihr Optimismus: Was kommt, das kommt. Sie ist einfach grundzufrieden, eine Tatsache, die ich ihr sehr gönne, um die ich sie aber auch sehr beneide.

Bille und ich kennen uns seit dreißig Jahren, wir haben zusammen geweint und gelacht, gemeinsam Cat Stevens gehört und uns gegenseitig bei Sechsern in Mathe getröstet. Wir haben indische Kleider und diese Samtpantöffelchen getragen, die in den Achtzigern total hip waren. Und selbstverständlich haben wir uns geschworen, für immer beste Freundinnen zu bleiben. Was wir auch heute noch sind.

Dabei ist Bille das genaue Gegenteil von mir. Sie ist klein, mopsig, hat rotbraune Haare und unzählige Sommersprossen. Sie selbst bezeichnet sich als kugelrund und gesund. Auf Mode legt sie nicht viel Wert, am liebsten sind ihr weite Kleider oder Hosen in Pink oder Türkis. Gerne trägt sie auch lange, kaftanartige Gewänder mit orientalischen Mustern. Wohingegen ich eher diejenige bin, die Designerware trägt und für einen Hosenanzug von Jil Sander eine Fingerkuppe opfern würde. Wir sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht, aber wir lieben uns.

»Also, morgen weißt du mehr über deine Zukunft«, sagt Bille und holt uns noch einen Wein. »Morgen Nachmittag um vier.«

»Wie bitte?« Ich verschlucke mich fast. »Du hast schon einen Termin ausgemacht? Warum hast du mich vorher nicht gefragt, ob mir das überhaupt recht ist?«, frage ich und kenne natürlich die Antwort.

»Weil du es dann eh nicht gemacht hättest. Und du hast doch morgen frei«, sagt Bille und entkorkt die Flasche. »Das wird bestimmt aufregend. Und danach gehen wir was Nettes essen und stoßen auf deine Zukunft an. Na, was sagst du?«

»Nichts.«

»Gut. Dann treffen wir uns also um kurz vor vier bei Frau Nasila. Sie ist wirklich nett. Und sehr vertrauenswürdig.«

Während sie uns Wein einschenkt, denke ich über ihren Vorschlag nach.

»Also gut, lass uns das machen«, erkläre ich, als wir anstoßen, und frage mich gleichzeitig, ob ich jetzt völlig bescheuert bin. Aber irgendwie will ich es wissen.

»Warum bist du eigentlich so zukunftssüchtig?«, fragt Bille und hockt sich auf die Arbeitsfläche der Küche.

»Bin ich gar nicht.«

»Natürlich bist du das. Du willst sogar zu einer Wahrsagerin gehen.«

»Weil du es mir geschenkt hast«, sage ich vorwurfsvoll. »Aber warum nicht? Wie soll man denn sonst herausfinden, was die Zukunft bringt? Ich befinde mich in der Mitte des Lebens«, sinniere ich vor mich hin. »Und ich möchte eben gerne wissen, was der Rest mit mir vorhat.«

»Sei froh, dass du nicht zur Zeit der Wikinger lebst«, kommt es von Bille. »Die sind, wenn überhaupt, gerade mal dreißig Jahre alt geworden. Entweder sie haben sich vorher gegenseitig gemeuchelt oder sind an einem faulenden Zahn, giftigen Pilzen, einer Blutvergiftung oder sonst was gestorben.«

»Vielleicht gehe ich doch nicht hin«, sage ich. »Möglicherweise klopft ja schon morgen die Zukunft an meine Tür. Vielleicht treffe ich jemanden im Supermarkt. Einen netten Mann, der auf eigenen Füßen steht und ein bisschen was auf dem Kasten hat. Und der es zu schätzen weiß, dass eine Frau selbständig und trotzdem eine Frau ist.«

»Ich sag’s ja, das Mysterium Klimakterium.« Bille schüttelt den Kopf. »Was ist bloß los mit dir? Du kannst es doch viel einfacher haben. Moment!« Sie lässt sich von der Arbeitsplatte fallen und rennt in den Flur.

»Nein!«, schreie ich ihr hinterher. »Du holst nicht deine komischen Karteikarten!«

»Es sind neue Namen dabei«, ruft sie zurück.

Wenig später wedelt Bille mit einem kleinen Kasten, den sie immer dabeihat, vor meiner Nase herum. Sie findet es total klasse, als Kupplerin zu fungieren und Frauen an den Mann bzw. Männer an die Frau zu bringen. Bei einigen hat es sogar schon geklappt, bei mir aber noch nie. Meistens sind es Leute, bei denen die Paartherapie nicht funktioniert hat und die nun wieder Single sind.

»Ich will das nicht«, jammere ich und hoffe, dass meine Stimme streng klingt. »Lass es einfach.«

Doch Bille studiert bereits ihre rosa Karten. »Ja! Der ist genau der Richtige«, kommt es dann. »Emilio Gazotti!«

»Wer ist das denn? Ein liebeskranker Mafioso?«

»Ein sizilianischer Kaufmann«, erwidert Bille, »ziemlich reich. War mit seiner Frau ungefähr vier- oder fünfmal bei mir. Die beiden hatten sich ständig in der Wolle, weil er ihr zu oft weg war und dauernd komische Anrufe bekam.«

»Welche Anrufe denn? Von der sizilianischen Mafia?«

»Keine Ahnung. Komische Anrufe halt. Er pendelt ständig in der Weltgeschichte rum, hat aber auch noch ein Haus in Italien. Oder waren es mehrere?«

»Bestimmt mehrere. Das ist bei der Mafia so.«

»Quatsch. Du musst doch nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Allerdings ...« Plötzlich wird Bille stutzig. »Mmh ... Hier ist noch eine Anmerkung von mir. Ach je, er hat seine Frau mit einem Messer bedroht.«

Ich muss laut lachen. »Bitte ruf ihn sofort an! Ich nehme ihn auf der Stelle.« Nun muss auch Bille grinsen. »Ehrlich, Bille, lass den Quatsch. Ich suche nicht verzweifelt irgendjemanden. Ich will lediglich wissen, ob ich mich irgendwann noch mal verliebe. Das muss weder heute noch morgen sein. Und die Männer, die du mir bisher andrehen wolltest, haben absolut nicht zu mir gepasst. Du weißt doch, wie ich bin. Ich bin bodenständig, selbständig und unabhängig.«

»Und einsam.«

»Nein, herrje. Und jetzt ist Schluss. Lass uns lieber noch was trinken.«

»Komm, Kurt war nicht schlecht«, versucht Bille mich zu überzeugen. »Er war groß, sah gut aus und hatte ein eigenes Unternehmen.«