Fräulein Gewürzzauber und das Wunder der Liebe - Stephanie Marzian - E-Book
SONDERANGEBOT

Fräulein Gewürzzauber und das Wunder der Liebe E-Book

Stephanie Marzian

0,0
9,99 €
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein entzückender Roman in 24 Kapiteln, humorvoll und romantisch wie ein zu Papier gebrachter Weihnachtfilm


Lena ist eine echte Frohnatur. Mit ihrem zahmen Eichhörnchen Ruprecht wohnt sie in dem alten Stadthaus, in dem sich seit Generationen auch die Zuckerbäckerei ihrer Familie, das "Fräulein Gewürzzauber", befindet. Nach dem Tod ihrer Oma hat Lena das Café übernommen und zu ihrer eigenen süßen Welt gemacht. Einzig in der Liebe hatte sie bisher kein Glück. Doch am ersten Dezember findet Lena unverhofft eine Postkarte in der Handschrift ihrer Großmutter in ihrem Briefkasten. Sie ist das erste "Türchen" eines Adventskalenders, den Oma Greta ihr für den Fall hinterlassen hat, dass sie noch nicht ihre große Liebe gefunden hat. Wird ihr Kalender Lena den richtigen Weg weisen?



Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 268

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungProlog1. Dezember2. Dezember3. Dezember4. Dezember5. Dezember6. Dezember7. Dezember8. Dezember9. Dezember10. Dezember11. Dezember12. Dezember13. Dezember14. Dezember15. Dezember16. Dezember17. Dezember18. Dezember19. Dezember20. Dezember21. Dezember22. Dezember23. Dezember24. DezemberEpilogRezepteDankeschön!

ÜBER DAS BUCH

Ein entzückender Roman in 24 Kapiteln, humorvoll und romantisch wie ein zu Papier gebrachter Weihnachtfilm

Lena ist eine echte Frohnatur. Mit ihrem zahmen Eichhörnchen Ruprecht wohnt sie in dem alten Stadthaus, in dem sich seit Generationen auch die Zuckerbäckerei ihrer Familie, das »Fräulein Gewürzzauber«, befindet. Nach dem Tod ihrer Oma hat Lena das Café übernommen und zu ihrer eigenen süßen Welt gemacht. Einzig in der Liebe hatte sie bisher kein Glück. Doch am ersten Dezember findet Lena unverhofft eine Postkarte in der Handschrift ihrer Großmutter in ihrem Briefkasten. Sie ist das erste »Türchen« eines Adventskalenders, den Oma Greta ihr für den Fall hinterlassen hat, dass sie noch nicht ihre große Liebe gefunden hat. Wird ihr Kalender Lena den richtigen Weg weisen?

ÜBER DIE AUTORIN

Stephanie Marzian wurde 1978 in Dortmund geboren, studierte Kommunikationsdesign und arbeitete nach ihrem Studium als Designerin bei einem großen Fotobuchhersteller, bevor sie sich als Illustratorin und Grafikerin selbstständig machte. Stephanie Marzian lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in der Nähe von Xanten am Niederrhein. Mit ihrem ersten Weihnachtsroman um das FRÄULEIN GEWÜRZZAUBER erfüllt sie sich einen lang gehegten Wunsch.

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch-Download erschienen

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Michael Gaeb.

Copyright © 2022 by Stephanie Marzian

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Dr. Stefanie Heinen

Umschlaggestaltung und -motiv: Stephanie Marzian

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-2837-9

luebbe.de

lesejury.de

 

Für Steffi,

mein Frohlöckchen, mein Nachhausekommen

und mein Ideenwirbelsturm.

PROLOG

Diese Geschichte hat mit Erinnerungen zu tun, die lebendig werden, mit Sternen und viel Zuckerguss und einem schlauen, wenn nicht gar dem schlausten Eichhörnchen der Welt.

Fräulein Gewürzzauber lag in einer kleinen Seitengasse, fernab der hektischen Innenstadt, wo sich die Menschen gerade jetzt zur Weihnachtszeit noch mehr als sonst schubsten, drängten und auf die Füße traten.

Watteweiche Schneeflocken tanzten im Schein der gusseisernen Straßenlaterne vor dem altehrwürdigen Stadthaus, das das kleine Lädchen beherbergte. Die pausbackigen Putten-Reliefs über jedem der hohen Fenster der Gründerzeitfassade reckten erwartungsvoll ihre Stupsnasen in den wolkenverhangenen Dezemberhimmel. Das weiße Messingschild über der Eingangstür gab jedes Mal ein wohliges Knarzen von sich, wenn eine Windböe es erfasste. Fräulein Gewürzzauber – seit 1884 stand in elegant geschwungenen Buchstaben darauf.

Lena hatte das Haus und die kleine Zuckerbäckerei mit Café nach alter Familientradition nach dem Tod ihrer Großmutter vor einem Jahr übernommen und daraus ihre eigene feine und zauberhafte Welt der süßen Naschereien gemacht. Die Umstände waren denkbar traurig, aber sie war kein Mensch, der sich in Trauer vergrub. Das hätte ihre Großmutter auch nicht gewollt. Sie sagte immer: Lenchen, die Sterne beleuchten unseren Weg. Auch wenn mal am Himmel dunkle Wolken aufziehen und du sie nicht sehen kannst, leuchten sie trotzdem. Sie leuchten in dir und in mir.

Lena wollte sich nicht hinter dunklen Wolken verkriechen. Sie liebte die Abgeschiedenheit ihrer kleinen Welt, denn genau dort konnte sie ihren Kindheitstraum zum Leben erwecken und wie ihre Oma vor ihr mit viel Ruhe und Sorgfalt mit den wundervollsten Leckereien einen Zauber in den Herzen der vom Alltagsstress geplagten Menschen entfachen. Einen Schokoladen-Puder-Keks-Zauber, der sie glücklich beseelt nach Hause gehen ließ. Ihr kleines Café war einfach der magischste Ort, den Lena sich vorstellen konnte.

Nicht selten verirrte sich ein verzweifelter Geschenkejäger vom süßen Duft gebrannter Mandeln angelockt in ihren gemütlichen Laden und ließ sich bei einem dampfenden Glas Punsch einen Lebkuchen, feinste Schokopralinen oder mit Himbeermarmelade gefüllte Marzipankugeln schmecken.

Wenn das helle Glöckchen der Eingangstür erklang, sah Lena wenig später die leuchtenden Augen ihrer Kunden, die sich staunend im Raum umsahen und ihre Leckereien betrachteten. In unzähligen Fächern der deckenhohen Regale lagen Lenas Schokoladenspezialitäten auf weißen Etageren, reich verzierte Küchlein türmten sich unter gläsernen Kuppeln auf dem Verkaufstresen, und die Pralinenpyramiden glänzten wie braunes und cremeweißes Gold in der hohen Vitrine daneben.

Es gab drei kleine Tischchen, liebevoll weihnachtlich gedeckt, mit je vier einfachen Holzstühlen darum. So kam sie oft mit den verirrten Seelen ins Gespräch, die ihr, spätestens wenn sie die Bestellung brachte, ihre Sorgen und Nöte anvertrauten. Erst gestern hatte ein junger Mann ermattet von einer missglückten Prüfung erzählt, eine elegant gekleidete Dame sich über die Unfreundlichkeit der Boutique-Verkäuferinnen empört, und eine unscheinbare Buchhändlerin hatte niedergeschlagen vom Tod der Tante berichtet, die sie seit zwei Jahren gepflegt hatte. Es mochte ihnen nicht bewusst sein, und doch spürten sie das aufrichtig gemeinte Mitgefühl und die Offenheit, die Lena ihnen entgegenbrachte.

All diesen Menschen zauberte sie Tag für Tag mit den kleinen Wundern ihrer süßen Welt ein Lächeln ins Gesicht. Wenn auch nur für einen Moment, so fühlten sie sich von aller Alltagslast befreit und waren ganz bei sich.

 

 

1. DEZEMBER

An diesem bitterkalten Morgen hingen die waschkittelgrauen Wolken besonders tief über den Giebeldächern der Stadt. Der trübe Schein der Straßenlaterne schaffte es kaum durch das dichte Schneetreiben zum Schaufenster des Fräulein Gewürzzaubers. Über Nacht hatte der Winter mit seinen eisigen Fingern wundervolle Kristallblumen wachsen lassen, die nun die kleine mit Zuckerguss bedeckte Lebkuchenstadt in der Auslage umrahmten.

Lena hastete zur Haustür hinaus, um den Briefkasten zu leeren. Es war nicht viel darin. Ein Werbeflyer für das neue Fitnessstudio in der Innenstadt und drei Briefe. Einer davon weckte ihr Interesse. Der Umschlag war größer als die anderen, eisblau, und als Absender stand darauf: Notariat Himmelreich & Sohn. Lena fröstelte, und ihre Zähne fingen an zu klappern. Sie beschloss daher, erst einmal wieder ins Warme zu gehen. Dann würde sie bei einer heißen Tasse Kakao das Geheimnis dieses Briefes lüften.

Sie sah auf das Eichhörnchen am Fuß der Treppe. »Na, Puschelchen, kommst du mit?«

Ein Bein vorsichtig vor das andere setzend stakste das Eichhörnchen durch den frischen Schnee. Dabei hinterließ es kleine Tapsen. Feine Flöckchen fingen sich in seinem buschigen Schwanz, sodass es wirkte, als sei es mit Puderzucker bestäubt. Doch schon bald hüpfte und flitzte das Eichhörnchen hin und her, ein roter Blitz in der weißen Pracht. Blinzelnd hob es sein Näschen und sah Lena an, als ob es überlegte, mit ihr zu gehen. Draußen schien es ihm aber doch interessanter zu sein, denn es versuchte mit viel Körpereinsatz und Ausdauer, die fallenden Flocken mit seinen winzigen Pfoten zu fangen. Die linke Vorderpfote kam dabei immer ein bisschen zögerlich zum Einsatz.

Lena lächelte und ließ ihm die Freude. Ihr puscheliger kleiner Freund würde schon wieder reinkommen, wenn er genug hatte. So war es, seit sie das Eichhörnchen bei sich aufgenommen hatte. Es war im letzten Winter von einem Terrier angegriffen worden, hatte sich tapfer verteidigt, aber am Ende doch den Kürzeren gezogen. Die Hundebesitzerin hatte das schwer verletzte Tier ganz aufgelöst zur Wildtierstation gebracht, in der Lenas Freundin Emma aushalf. Die Wunden hatten sie dort gerade noch rechtzeitig versorgen können, doch das possierliche Tier hatte viele Schnittwunden, und das linke Vorderbein war gebrochen. An quirliges Herumwuseln und Kletterpartien war nicht mehr zu denken.

Lena erinnerte sich noch gut daran, wie sie das in dicke Verbände verpackte Eichhörnchen zum ersten Mal in den Händen gehalten hatte. An das wild klopfende Herzchen unter dem weichen Fell, als sie beruhigend darüberstreichelte.

Seither sorgte Lena für das Tier, dem sie den Namen Ruprecht gegeben hatte – weil sie Weihnachten so sehr liebte und das Eichhorn schließlich Von drauß’ vom Walde kam. Mensch und Tier waren unzertrennlich, und entgegen aller Belehrungen erfahrener Tierärzte wollte Ruprecht kaum mehr Wildtier sein. Er genoss sein neues Zuhause, in dem es Nüsse in Hülle und Fülle gab. Durch die Katzenklappen in den Türen konnte er kommen und gehen, wann immer er wollte, und in den hohen Bäumen im Park gegenüber herumtollen.

Gedankenverloren sah Lena auf ihre Armbanduhr. Es war bereits 9:30 Uhr. Herrje, sie war spät dran! Sie musste sich noch umziehen, die gebrannten Mandeln in kleine Papiertüten abfüllen und den Laden um zehn Uhr öffnen! Mit einem Seufzer beeilte sie sich, ins Haus zu kommen. Der Brief musste leider noch warten.

Kaum hatte Lena die Ladentür geöffnet, erklangen auch schon die kleinen Glöckchen. Nach und nach huschten dick vermummte Gestalten ins Innere, schüttelten bibbernd den Schnee von Kopf und Schultern und stampften ihre Schuhe auf der großen Fußmatte trocken. Lena beantwortete ihre Fragen, verkaufte ihnen aus der süßen Welt, was ihr Herz begehrte, und servierte ihnen heißen Kakao – auf Wunsch auch mit Schuss.

Am späten Vormittag trat ein älterer Herr zu ihr an den Tresen, einen alten Gründerzeit-Schreibtisch, in dessen Schnörkel sie sich auf einem Antiktrödelmarkt schockverliebt und den sie selbst restauriert und zum Verkaufstresen umfunktioniert hatte. Sie kannte ihn schon. Er war ein sportlicher, hochgewachsener Mann Ende siebzig. Den weiß melierten Bart trug er wie ein Seemann, und auch sein doppelreihiger Mantel erinnerte Lena an die Ausgehuniform eines Kapitäns. Jede Woche kam er ins Fräulein Gewürzzauber, seit einem Jahr. Und jedes Mal kaufte er dasselbe.

»Geben Sie mir bitte ein Tütchen von denen mit Erdbeer-Trüffel«, verlangte die sonore Stimme auch heute.

»Gerne, Herr Bonifazius«, antwortete Lena freundlich und ließ die goldbraunen Pralinen mit roter Puderhaube vorsichtig in einen mit Sternen verzierten Cellophanbeutel gleiten. »Wie geht es Ihrer Frau denn heute?«, fragte sie, denn sie wusste, dass die Schokolade eine kleine Aufmerksamkeit für sie war. Daher hatte sie ihm die Pralinen mit Erdbeeren empfohlen. Sie passten perfekt zu der so begeisterungsfähigen, temperamentvollen und lebensbejahenden Person, von der Herr Bonifazius immer mit leuchtenden Augen erzählte.

»Ach, gut, danke. Sie ist ja nicht mehr so gut zu Fuß. Aber für mein Trudchen würde ich um den ganzen Globus laufen«, versicherte er feierlich.

Lena lächelte. Sie wusste aus seinen Erzählungen, dass es stimmte. Als das Ehepaar jung war, hatten die beiden mit dem Rucksack die ganze Welt bereist. Ein solches gemeinsames Abenteuer mit seinen Höhen und Tiefen führte zu einer ganz besonderen Verbundenheit. Lena war ganz ergriffen von der Romantik. Und sie bemerkte mit einem Mal, wie einsam sie sich selbst fühlte.

Nachdem ihre Großmutter im vergangenen Herbst gestorben war, hatte ihr ein himmlisches Schicksal das kleine Eichhörnchen geschickt. Bei ihrer morgendlichen Tasse Kakao japste Ruprecht noch schläfrig in seinem Kobelbau, einem kugeligen Nest aus Schilfgras, das von der Küchendecke hing. Beim Mittagessen huschte er ihr quiekend und piepsend um die Beine, und abends, wenn sie sich auf dem Sofa ausstreckte und ein Buch las, rollte er sich auf ihrem Schoß zusammen und ließ sich hinter den pinseligen Öhrchen kraulen. Diese Eichhörnchenliebe war einzigartig, und doch sehnte Lena sich nach einer liebevollen Umarmung, die ein Feuerwerk kribbelnder Funken in ihrem Bauch entfachte.

Warum aber sollte sie sich darüber ärgern, dass es ihr nicht gelang, den Einen zu finden? Natürlich könnte sie mehr ausgehen. Das hätten ihre Freundinnen bestimmt gern gesehen. Sie fürchteten schon, Lena würde aus lauter Frust ihr eigenes Lager plündern und tonnenweise Schokolade in sich hineinschaufeln. Besonders Milla prophezeite ihr das Hinterteil eines Nilpferdes, wenn sie weiterhin mit ihrer Retro-Rüschenschürze wie ein Hausmütterchen den Backlöffel schwingen und Kummerkasten für die Wehwehchen wildfremder Leute spielen würde. Was totaler Quatsch war, denn zum einen neigten ihre Gene nicht im Geringsten dazu, ihrem Körper zu erlauben, auch nur ein paar Gramm Fett zu viel anzusetzen, und zum anderen glaubte Lena fest daran, dass sich die Dinge auf schicksalhafte Weise fügten. Vielleicht war es einfach noch nicht an der Zeit für ihr eigenes kleines Wunder. Aber irgendwann würde es so weit sein.

Nachdem sie an diesem Abend die Ladentür abgeschlossen hatte und die Lichter im Lädchen erloschen waren, stieg Lena die Holztreppen hoch in ihre Wohnung. Wie immer hatte sie ein warmes Gefühl im Bauch, wenn sie an die lächelnden Gesichter ihrer Kunden dachte.

Lena trat im Halbdunkel in ihre gemütliche Wohnküche. Sie schaltete die Lichterketten über dem Sofa und den Hängeschränken ein und zündete die Kerzen auf dem runden Couchtisch an. Ruprecht schob nur kurz verschlafen den Kopf aus dem Loch seines Kobels und fiepte einmal zur Begrüßung.

»Na, Puschelchen? Hast wohl genug Schneeflocken gejagt heute, was?« Lena ging ein Weihnachtslied summend vor dem kleinen Holzhäuschen in die Hocke, streichelte Ruprecht sacht über die Schnauze und ging dann zum Teekessel. »Was hältst du von einer heißen Tasse Ingwertee?«, fragte sie mehr sich als ihn und gab sich gleich selbst die Antwort: »Oh ja, mit Zimt und Kardamom! Und noch etwas leise Musik – ja, du hast recht, die Weihnachtsplaylist ist jetzt genau das Richtige!«

Während sich Lena am Gewürzregal zu schaffen machte, sprang Ruprecht auf einmal putzmunter auf den Küchentisch und stolzierte zwischen den Kringeln vergangener Tee-Plaudereien herum.

»Wem gehört der Tisch?« Lena hob tadelnd die Augenbrauen, stemmte die Hände in die schmalen Hüften und lachte. »Runter da, Ruprecht!«

Sie nahm das Eichhörnchen mit einem gekonnten Griff hoch, was das Tier mit einer Schimpftirade quittierte, die sich anhörte, als sei er Weltmeister im Zungeschnalzen. Dabei musste Lena etwas mit sich gerissen haben, das kurz und kaum hörbar über den Steinboden schlitterte.

Lena drehte sich verwundert um, reichte dem Tier auf ihrer Schulter eine Nuss und schaute an den Tischbeinen vorbei. Da lag er, der Brief! Den ganzen Tag hatte sie nicht mehr an ihn gedacht. Sie konnte sich nicht erklären, warum er sie so faszinierte, obwohl nichts Besonderes an ihm war. Ihre Adresse war durch ein Sichtfenster auf dem Anschreiben zu lesen, der Absender war aufgedruckt. Vielleicht war es die ungewöhnlich eisblaue Farbe des Umschlags, vielleicht das gewölbte Papier, das einen reichhaltigen Inhalt vermuten ließ?

Mit Knabbergeräuschen im Ohr, der dampfenden Tasse Tee in der einen und dem Umschlag in der anderen Hand machte Lena es sich auf dem Sofa bequem und knipste die Leselampe an. Vorfreude wie vor der weihnachtlichen Bescherung machte sich in ihrem Bauch breit. Sie kannte den Notar Nikolaus Himmelreich schon, seit sie denken konnte, denn er war ein guter Freund ihres Großvaters gewesen. Niemand von seinen Jugendfreunden hatte es für möglich gehalten, dass er einmal einen so bodenständigen Beruf ausüben würde. Doch genau für seine Flausen im Kopf und die Späße, die er mit ihr machte, hatte Lena den alten Herrn schon immer gemocht (obwohl er so gar nicht wie der Nikolaus aussah). Dass sie sich das letzte Mal begegnet waren, war allerdings schon ein Jahr her. Damals hatte er ihr, so gut er konnte, bei der Organisation der Beerdigung ihrer Großmutter geholfen.

Lena freute sich über dieses Lebenszeichen von ihm, wunderte sich aber gleichzeitig, was er wohl für eine Überraschung für sie hatte. Sie fühlte sich plötzlich wieder wie das kleine Mädchen, das auf seinem Schoß saß und mit großen Augen zusah, wie er seinen Daumen verschwinden und mit einem Schwups wieder anwachsen ließ.

Lena öffnete den Umschlag mit Bedacht und zog einen gefalteten Bogen Papier heraus, in dem wiederum ein gefüllter Briefumschlag steckte. Dieser war aus braunem Naturpapier, und darauf klebte ein glitzerndes Glanzbild, ein üppiger Tannenbaum mit nostalgischem Weihnachtsschmuck behängt, Zuckerstangen und einem Stern auf der Spitze. Als Lena ihren Namen in der geschwungenen Handschrift ihrer Großmutter daneben entdeckte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Was war das für ein Brief? Warum schickte Nikolaus ihn gerade jetzt?

Sie las das kurze Anschreiben aufmerksam durch.

Liebe Lena,

da wir uns ein wenig aus den Augen verloren haben, hoffe ich sehr, dass es Dir gut geht.

Die Übergabe meiner Kanzlei an meinen Sohn steht kurz bevor, und ich muss gestehen, dass ich nur widerwillig zugestimmt habe, mich voll und ganz dem Rentnerdasein zu widmen.

Bevor es aber so weit ist, habe ich noch eine letzte Amtshandlung, nein, es ist eher eine Aufgabe von großer Wichtigkeit und zugleich eine Herzensangelegenheit, zu erfüllen.

Du hältst ihn bereits in den Händen, den Brief, den Deine Großmutter mir vor langer Zeit mit den Worten überreichte: »Nikolaus, gib ihn ihr, nachdem ich nicht mehr bin.«

Damals scherzten wir noch über den Nachsatz, denn Deine Großmutter erfreute sich bester Gesundheit. Aber Du weißt ja, wie beharrlich und überzeugend Deine Großmutter sein konnte. Sie bestand darauf, dass ich Dir diesen Brief im Jahr nach ihrem Tod am ersten Dezember gebe. Warum? Tja, das mein liebes Kind, musst Du wohl selbst herausfinden.

Über ein Wiedersehen mit Dir würden Theresa und ich uns sehr freuen.

Onkel Nikolaus

Lena legte das Anschreiben mit einem Lächeln beiseite und lehnte sich zurück in die weichen Kissen. Ruprecht hatte es sich auf ihrem Schoß bequem gemacht. Gedankenverloren kraulte sie ihn hinter den Ohren und strich mit den Fingerspitzen der anderen Hand über die erhabenen Zweige des Weihnachtsbaums.

»Wollen wir es wagen, Puschelchen? Bist du auch neugierig?« Lena überlegte kurz. »Ganz ehrlich? Ich bin überwältigt und glücklich und aufgeregt und auch ein kleines bisschen ängstlich. Oma Greta, was hast du dir nur wieder ausgedacht?«

Sie drehte den Umschlag um. Die Lasche war nur an der Spitze verklebt und ließ sich schnell öffnen. Sie zog eine Karte heraus, die genau wie der Umschlag aus braunem Papier gefertigt war. In einem verschnörkelten Oval, umgeben von ganz viel Glitzer, prangte eine Eins und darunter der Spruch: Der Stern von Bethlehem war definitiv ein Zimtstern!

Lena lächelte, drehte die Karte um und machte große Augen. Ihr Herz tat plötzlich einen Hüpfer, und es wurde ganz warm in ihrem Bauch, als sie las:

Mein liebes Lenchen,

all die Jahre habe ich es Dir versprochen, aber wegen des weihnachtlichen Trubels im Fräulein Gewürzzauber habe ich es nie in die Tat umgesetzt.

Sicher kannst Du Dir schon denken, was es ist. Lass mich Dir sagen, dass es mir unendlich leidtut, dass ich nicht genug Zeit für Dich hatte. Die Weihnachtszeit soll doch die schönste Zeit im Jahr sein! Aber nun möchte ich mein Versprechen endlich erfüllen und Dir wie früher, als Du ein kleines Mädchen warst, Deinen lang ersehnten Adventskalender schenken. Ich hoffe, Du kannst mir mein Versäumnis verzeihen, denn: besser spät als nie, und vor allem von Herzen!

Weißt Du noch, wie Tante Hedi immer Weihnachtsschmuck mit Dir gebastelt hat? Sie hat die wundervollsten Dinge mit Dir gezaubert. Erinnerst Du Dich noch an ihre Girlande, die Du so schön fandest? Ich dachte, Du würdest Dich darüber freuen. Nun schmückst Du damit Dein Wohnzimmer. Aber achte darauf, dass Du nicht so viel Glitzer verstreust …

In Liebe

Oma Greta

Lena drehte den Umschlag um, und heraus purzelte tatsächlich ein Stapel glitzernder Pappsterne, die ihr sehr vertraut waren. Sie hingen an einem dünnen Naturfaden.

»Ruprecht, siehst du das? Tante Hedwigs gutes Stück!« Ein vergnügtes Lächeln machte sich auf Lenas Gesicht breit. Als Kind hatte sie die Kette immer nur von Weitem betrachten, nie aber berühren dürfen. Der Glitzer würde sich sonst auf Tantchens gutem Sofa ausbreiten, hieß es damals. Und das wollte ja niemand.

Im Durchbruch zwischen Küche und Wohnraum hatte Lena eine Tannengirlande aufgehängt, in der sich eine Kette mit kleinen Lämpchen schlängelte. Die Sternchen waren der perfekte i-Tupfer und hingen hoch genug, dass kein Eichhörnchen sie herunterreißen konnte.

Lena betrachtete ihr glitzerndes Werk vom Sofa aus, nippte am Tee und war so von Glückseligkeit erfüllt, dass sie Ruprechts immer lauter werdendes Tschiep-tschiep-tschiep erst hörte, als es sehr energisch wurde und in verärgertes Keckern überging.

»Ach, Puschelchen! Entschuldige bitte!«

Lena sprang auf und bereitete dem Eichhörnchen das verlangte Abendessen. Sie schüttete eine Mischung aus Hasel- und Erdnüssen, Mandeln und Sonnenblumenkernen in eine Tonschale und stellte frisches Wasser in einem Eierbecher daneben. Dann setzte sie sich wieder aufs Sofa, nahm erneut die Karte in die Hand und strich über die filigranen Buchstaben. Auf einmal stutzte sie. Seit wann nannte Oma Greta ihre Tante Hedi? Es war ein ungeschriebenes Gesetz in ihrer Familie, dass ihre Großtante Hedwig genannt wurde. Ohne Ausnahme.

Und noch etwas wunderte sie: Wenn dies das erste Kärtchen des Adventskalenders war, wo waren dann die restlichen dreiundzwanzig?

2. DEZEMBER

Lena war früh wach. Ihr Wecker hatte noch nicht geklingelt, und draußen war tintenschwarze Nacht, also musste es noch vor acht Uhr sein.

Vorsichtig richtete sie sich auf. Während sie geschlafen hatte, war Ruprecht in ihr Bett geschlüpft, und jetzt lag er leise japsend in einer Federkissen-Kuhle zusammengerollt neben ihrem Kopf, den Puschelschwanz um seinen Körper geschlungen. Sie strich ihm zart über das glatte Fell und verharrte einen kurzen Moment. Dann kam ihr ein Gedanke, der einen Schwarm Glühwürmchen durch ihren Bauch schwirren ließ. Gab es vielleicht schon ein neues Postkärtchen von Oma Greta?

Schnell schlüpfte sie in ihre flauschigen Puschen, zog den Mantel über den Pyjama und eilte nach unten zum Briefkasten. Nur die Morgenzeitung! Enttäuscht zog Lena sie heraus und schloss die Klappe wieder. Entweder war der Postbote noch nicht da gewesen, oder er hatte heute nichts für sie dabeigehabt. Was hatte sie erwartet? Dass Oma Greta ihr jetzt jeden Tag von ihrer Puderwolke einen Brief schickte? Seufzend ging sie wieder ins Haus, um sich anzuziehen und zu frühstücken. Danach würde sie wahrscheinlich alle zwei Minuten auf die Uhr sehen. Vielleicht würde sie auch versuchen, den Zeiger dazu zu überreden, sich schneller fortzubewegen, oder sie würde vor Nervosität durchdrehen, bis Onkel Nikolaus’ Kanzlei endlich besetzt war und sie nach dem Rest des Adventskalenders fragen konnte.

Eine Stunde später wartete Lena aufmerksam auf das Freizeichen und das erlösende Klicken, das ertönte, wenn jemand am anderen Ende der Leitung abnahm.

Da war es!

»Notariat Himmelreich und Sohn, Magda Frohsinn am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?« Eine angenehme Frauenstimme trällerte die Worte beinahe wie einen Weihnachtsschlager in Lenas Ohr.

»Hier ist Lena Sonnenschein. Könnte ich bitte Herrn Himmelreich senior sprechen?«

»Oh, Liebes, Herr Himmelreich hat deinen Anruf schon erwartet. Ich darf doch du sagen? Der Chef hat schon so viel von dir erzählt.«

Lena lächelte. »Aber gerne!«

»Fein«, flötete Frau Frohsinn. »Allerdings tut es mir sehr leid: Herr Himmelreich ist heute nicht im Haus. Außentermine, du verstehst? Ich schreibe ihm aber gern eine Nachricht. Dann meldet er sich morgen bei dir.«

»Oh ja, das wäre nett.« Lena konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen, verabschiedete sich aber höflich und legte auf. »Dann warten wir eben bis morgen«, seufzte sie und sah auf Ruprecht hinab, der Nuss für Nuss aus der Schale piepsend in seinem Kobel verstaute.

Wenn sie frustriert war, traurig oder verärgert – oder alles auf einmal –, half Lena eines ganz besonders: in ihrer kleinen Backküche im hinteren Teil von Fräulein Gewürzzauber zu wirbeln und neue Leckereien für ihre Kunden zu kreieren. Es war ein magischer Ort. Der geheimnisvolle Duft orientalischer und heimischer Gewürze und der honigsüße Schokoladengeruch verströmten eine göttliche Sinnlichkeit, die sie immer beflügelte und ihr ein unbeschreibliches Wohlbehagen schenkte.

Genau das brauchte Lena jetzt. Bis sie das Lädchen öffnen würde, blieben ihr noch fast zwei Stunden für eine kleine Backsession gegen ihr Grummeln im Bauch. Also spurtete sie die Treppe hinunter und durch die schwere Holztür in ihre Süßigkeiten-Wunderwelt. Die Lichterketten im Schaufenster verwandelten den Verkaufsraum mit ihrem schummrigen Schein in eine Wohnstube am Weihnachtsabend.

Lena umrundete die Pralinenvitrine, den Verkaufstresen und ein kleines Regal, dann erreichte sie die Tür zur Backküche. Sie kippte den alten Drehschalter und entflammte die beiden nostalgischen Industrielampen unter der hohen Decke. Ein warmweißes Licht erhellte den Raum wie eine Theaterbühne und schloss die Dunkelheit draußen aus. Lenas Spiegelung in den Glasscheiben der deckenhohen Fenster schaute ihr missmutig und verwackelt entgegen.

Unschlüssig schaute sie sich um. Die linke Wand bestand aus einem Einbauschrank mit vielen großen und kleinen Türen und Schubladen. In ihnen verbarg sich jede erdenkliche Art von Backzubehör. An der Wand gegenüber bewachte eine wuchtige, weiß getünchte Anrichte, in der sich das Geschirr für Lenas Kuchengäste befand, die hölzernen Gewürz- und Vorratsregale zu ihren beiden Seiten. Der große Eichentisch in der Mitte diente als Arbeitsfläche. Es hatte sich kaum etwas verändert, seit Großmutter Greta nicht mehr da war. In ihren Erinnerungen stob eine Mehlwolke auf, und Lena sah sich in ihrer Kinderschürze um den Tisch hüpfen. Ihre Oma bearbeitete Plätzchenteig mit einem Nudelholz, und beide lachten.

Mit einem kleinen Seufzer gab sich Lena einen Ruck und schaltete den CD-Player ein. Die ersten Töne von Vonda Shepards Silver Bells erklangen und erfüllten den Raum mit vertrauten ruhigen Klängen. Das war schon mal ein guter Anfang. Ein Lächeln verirrte sich in ihr Gesicht, verschwand aber direkt wieder. Warum war Onkel Nikolaus nur nicht da gewesen? Ein Wink des Schicksals, oder war sie einfach nur zu ungeduldig? Vielleicht ein bisschen von beidem.

Lenas Blick fiel auf die vier Schalen frischer Himbeeren auf der Arbeitsfläche. Sie beugte sich darüber. Automatisch schloss sie die Augen und sog den verführerischen Duft der Beeren ein. Ihr Spürnäschen war wie ein Duft-Detektor, und ihre Nasenspitze kribbelte voller Vorfreude, wann immer sie den ersten Star ihrer neuen Pralinen gefunden hatte. So war es auch jetzt.

Als sie am Gewürzregal vorbeiging, um Förmchen für die Hohlkörper und weiße Schokolade zu holen, streifte sie mit der Schulter ein trockenes Sträußchen. Eine herbsüße Duftwolke explodierte um sie herum und ging mit dem Beerenduft eine unglaublich stimmige Verbindung ein.

Das war die perfekte Kombination! Ein Glücksgefühl strömte durch Lenas Körper, ließ allen Unmut verpuffen und wie Puderwölkchen davonschweben.

Mittlerweile swingten Ella Fitzgerald und Michael Bublé die schönsten Weihnachtslieder aus den Lautsprechern, und Lena sang leise mit, während sie die gehackte Schokolade im Wasserbad langsam schmelzen ließ. Schokolade war zickig und mochte es nicht zu heiß. Sobald die Masse die richtige Konsistenz erreicht hatte, füllte Lena die Hohlkörperformen, schwenkte sie und drehte sie um, damit die überschüssige Schokolade abfließen konnte. Während die weißen Kugeln fest wurden, kümmerte sie sich um das Herz der Praline: die Himbeer-Lavendel-Moussefüllung. Lena drehte sich mit dem Spritzbeutel im Kreis und füllte im Takt der Musik die Hohlkörper mit dem rosa Gold.

Aber das Schönste kommt ja bekanntlich immer zum Schluss, und so mahlte sie, nachdem sie die Pralinen verschlossen hatte, getrocknete Himbeeren im Mörser zu rosafarbenem Feenstaub und wälzte sie dann darin. In einer Vorratskiste fand Lena schließlich noch den i-Tupfer: ein lila Sternchen, das als Topping oben draufkam. Sie arrangierte die fertigen Pralinen unter einer Glashaube, stellte sie neben die anderen in die Vitrine neben dem Verkaufstresen und besah überglücklich ihr Werk.

Draußen wurde es langsam hell.

Es war Zeit, die Ladentür zu öffnen.

»Entschuldigung?«

»Ja?« Lena hatte gerade hinter der Theke nach den Spitztüten für die Zuckerstangen gekramt und richtete sich rasch wieder auf, um dem Kunden zu helfen, der sie angesprochen hatte.

»Ich bin am Sonntag bei meinen Eltern eingeladen. Es sollte ihnen zwar Freude genug sein, dass ich sie mit meiner Anwesenheit beehre, aber ich würde ihnen auch gern eine Kleinigkeit mitbringen.« Der junge Mann, der vor ihr stand, war groß, und seine schlanke Figur steckte in sportlicher Kleidung. Den Gurt seiner Fototasche hatte er sich quer über die Schultern gehängt. Seine vollen Lippen lächelten verschmitzt aus seinem Dreitagebart.

»So.« Lena war für einen Moment so von seinem Lächeln eingenommen, dass sie kurz blinzeln musste, um sich zu fangen. Hektisch stopfte sie die Zuckerstangen in die Tüten, um ihren zittrigen Händen etwas zu tun zu geben. Was war nur los mit ihr?

Lena, statt Vollpfosten bist du jetzt bitte wieder Vollprofi!, ermahnte sie sich innerlich. »Ähm, erzählen Sie mir doch bitte etwas über Ihre Eltern«, sagte sie dann. »Ich bin mir sicher, dass wir etwas für die beiden finden werden.« Ihr Lächeln fiel ein bisschen schief aus, was ihr Gegenüber nicht zu stören schien.

Er dachte nach. Lena wartete höflich und besah sich seine sanften Gesichtszüge. Seine grünen Augen waren von langen schwarzen Wimpern umrahmt und blitzten schelmisch hinter der dunklen Hornbrille.

»Könnten Sie mir etwas für einen Akademiker mit schwarz-weißer Weltanschauung und für eine Jazz liebende Zahnarzthelferin empfehlen?«

»Hmm …« Lena schürzte die Lippen und tat, als überlegte sie fieberhaft. Dabei hatte sie schon längst die Lösung. »Sie geben mir eine harte Nuss«, sagte sie und lächelte schon etwas selbstsicherer, »aber ich glaube, ich habe da etwas für Sie. Kommen Sie mit.«

In der Eile ließ Lena die Zuckerstangen so ungelenk auf die Ablage vor ihr gleiten, dass einige herunterpurzelten.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Schon war der junge Mann bei ihr und las die Ausreißer vom Boden auf.

Ein Hauch von Zimt und Honig stupste Lena an der Nasenspitze, und sie sog den Duft ein. »Danke schön«, nuschelte sie nervös an ihren Rüschen zupfend. Zum ersten Mal war sie wegen ihrer Arbeitskleidung peinlich berührt. Was hatte sie nur geritten, dieses rosa geblümte Prachtstück von Schürze zu kaufen und jeden Tag zu tragen?

Um die peinliche Pause zu beenden, die nun entstand, huschte sie hinter der Theke hervor. »Bitte, kommen Sie!«

Sie blieb vor der Vitrine mit ihren Pralinenkreationen stehen. »Ihre Mutter scheint warmherzig zu sein, elegant und bestimmt auch sorgfältig in dem, was sie tut.«

»Pingelig und rigoros trifft es eher«, warf der junge Mann ein.

Lena kicherte und nickte. »Wie wäre es dann mit diesen Pralinenblüten? Sie sind aus weichem weißen und braunen Nougat und mit Kokosraspeln, getrockneten Erdbeeren und Mandelstückchen verziert. Ich kann sie auch gern in eine dieser hübschen weißen Schachteln verpacken.«

»Perfekt! Und mein Vater?«

»Das ist die härtere Nuss. Aber auch für ihn habe ich etwas …« Lena griff in eines der hohen Regale und nahm eine flache Holzkiste heraus.

Der junge Mann sah sie irritiert an. »Mein Vater raucht nicht.«

Dummerchen, dachte Lena und triumphierte innerlich. »Ich nehme an, bei Ihrem Vater kommt Qualität vor Quantität. Und die hier«, sie schob den Deckel ein Stück heraus, sodass er den Inhalt betrachten konnte, »ist fünfundneunzigprozentige Zartbitterschokolade. Die beste aus Frankreich!«

Der junge Mann zog die rechte Augenbraue hoch, und Lena stutzte. »Ist es nicht das Richtige?«, fragte sie enttäuscht.

»Doch, doch! Ich wollte Sie nicht verunsichern. Ich bin nur verblüfft. Obwohl Sie meine Eltern nicht kennen, haben Sie genau ins Schwarze getroffen!« Er grinste nun wie ein Honigkuchenpferd.

Erleichtert packte Lena die Geschenke ein. Da kam ihr spontan ein Gedanke, und sie griff nach einer Tüte Zimtsterne. »Die sind für Sie. Nach einem Rezept meiner Großmutter.«

»Oh, danke, das sind meine Lieblingskekse!« Seine Augen verengten sich. »So langsam frage ich mich, woher Sie das alles wissen?«

»Ich habe das Zuckerbäckerinnen-Spürnäschen, das mir sagt, was meine Kunden sich wünschen«, grinste Lena und tippte sich auf die Nasenspitze.

»Und hübsch ist es noch dazu.« Er zahlte. »So, ich werd’ dann mal wieder – die Arbeit wartet. Haben Sie vielen herzlichen Dank. Wenn die alle sind, hole ich bestimmt Nachschub. Versprochen!« Er winkte noch mit den Zimtsternen, und im nächsten Moment fiel die Ladentür mit Glöckchengebimmel hinter ihm zu.

Lena wusste gar nicht, wie ihr geschah. Was war da gerade passiert? Hatte ihr ein wildfremder Mann ein Kompliment zu ihrer Nase gemacht? Sie hatte es als Kind immer gehasst, wenn alle meinten, ihr auf ihr »niedliches Sprungschanzen-Näschen« stupsen zu müssen – und zu viele Sommersprossen tummelten sich auch darauf.

»Ein netter junger Mann«, riss sie eine zaghafte Stimme aus ihren Gedanken, und die von kleinen Lachfalten umrahmten blauen Augen einer älteren Dame lächelten sie an.

»Meinen Sie? Ja, vielleicht«, überlegte Lena. »Kann ich Ihnen denn weiterhelfen?«

Als Lena an diesem Tag den Laden schloss, ging ihr vieles durch den Kopf. Es waren seit gestern seltsame, wundersame und zauberhafte Dinge passiert, über die sie bei einem heißen Kakao nachdenken musste. Doch bevor sie die Holzstufen nach oben stieg, ging sie einem Impuls folgend durch die Haustür. Die Flocken fielen wieder dicht und verdeckten die Fußabdrücke der Passanten schnell. Aber darauf achtete Lena jetzt nicht. Sie öffnete den Briefkasten und starrte fassungslos auf den braunen Umschlag, der zwischen zwei Rechnungen steckte. Es war eindeutig wieder ihr Name in Oma Gretas Handschrift darauf. Daneben klebte wieder ein Glanzbild, diesmal ein nostalgischer Mond mit Schlafmütze, von der ein glitzernder Stern baumelte.

Sie flog beinah die Treppen zu ihrer Wohnung empor, legte den Umschlag auf den Küchentisch und besah ihn sich einen Moment lang ehrfürchtig. In Windeseile schaltete sie dann die gemütliche Beleuchtung in Küche und Wohnzimmer an, entzündete die Kerzen am Couchtisch, kochte eine große Tasse Kakao und stellte Ruprecht eine Holzschale mit Nüssen vor die Nase.