Fräulein Söderbaum und die vertauschte Russin - Kristina Ruprecht - E-Book

Fräulein Söderbaum und die vertauschte Russin E-Book

Kristina Ruprecht

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Beschreibung

Bad Ems 1863. Klara arbeitet weiterhin als Gouvernante für die Bankiersfamilie Rotherbruch, aber die Bedingungen werden immer schwieriger. Ihre Herrin ist launisch und der neue Hauslehrer schikaniert sie. Ein mysteriöser Zettel bringt sie auf die Spur der Intrige um eine russische Fürstin, die in Bad Ems weilt. Eine Täuschung, die ursprünglich erdacht wurde, damit alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können, wird von einem falschen Haushofmeister für ein groß angelegtes Verbrechen ausgenutzt. Klara entdeckt, dass auch der Betrüger, der einst den Tod ihres Vaters und den Ruin ihrer Familie verschuldete, in den Fall verwickelt ist. Als es an ihr liegt, das Vermögen einer Freundin zu retten, zögert sie nicht lange und riskiert dabei Anstellung und Leben.

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Seitenzahl: 213

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Über dieses Buch

Bad Ems 1863.

Klara arbeitet weiterhin als Gouvernante für die Bankiersfamilie Rotherbruch, aber die Bedingungen werden immer schwieriger. Ihre Herrin ist launisch und der neue Hauslehrer schikaniert sie. Ein mysteriöser Zettel bringt sie auf die Spur der Intrige um eine russische Fürstin, die in Bad Ems weilt. Eine Täuschung, die ursprünglich erdacht wurde, damit alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können, wird von einem falschen Haushofmeister für ein groß angelegtes Verbrechen ausgenutzt. Klara entdeckt, dass auch der Betrüger, der einst den Tod ihres Vaters und den Ruin ihrer Familie verschuldete, in den Fall verwickelt ist. Als es an ihr liegt, das Vermögen einer Freundin zu retten, zögert sie nicht lange und riskiert dabei Anstellung und Leben.

Die Autorin

Kristina Ruprecht studierte Germanistik und Politikwissenschaft in Stuttgart und arbeitete als PR-Texterin und freie Journalistin in den Bereichen Wirtschaft und IT.

Seit ihrem Umzug in die Nähe von Bad Ems widmet sie sich verstärkt dem Schreiben von historischen Romanen.

Fräulein Söderbaum und die vertauschte Russin ist der zweite Teil einer Trilogie um eine Gouvernante im Bad Ems des 19. Jahrhunderts.

Bereits erschienen:

Fräulein Söderbaum und der allzu liebenswürdige Bräutigam Weitere historische Romane:

Sauerwasser und Jungfernpalme

Franziska, der Schatz des Doktors und die preußische Marine

Personenverzeichnis:

Im Hotel Russischer Hof:

Lucille Ottilie Rotherbruch – Bankiersgattin

Theodora Rotherbruch – ihre Tochter

Adalbert Rotherbruch – ihr Sohn

Klara Söderbaum – Gouvernante

Joseph Krause – neuer Hauslehrer

Im Haus zu den vier Türmen:

Sergej Borisoff – Haushofmeister

Madame Bolinska – Gesellschafterin

Fürstin Natalja Dobrinskaja – Sweta

Im Dorf Ems:

Cornelia von Wandelbach – einsames Freifräulein Herrmann von Wandelbach – ihr Bruder

Sonstige:

Konstantin von Borodin, Konni – Adalberts Freund

Rudolf Lichtblau – früherer Hauslehrer

Maestro Igor Tugajew – Klaviervirtuose

In Langenschwalbach:

Hans Dante Moorheim – alias Sigismund Sumpfleben

Charlotte/ Lottchen Köhlering – Klaras Jugendfreundin Eduard Köhlering – ihr Mann

Georg Retzlinger – gieriger Vermögensverwalter Baron von Hinderlingen – Betrüger

August von Laubewitz – Verlobter der Fürstin

Dobrinskaja

Laurentz – sein Freund

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Nachwort

Wie ungeschickt von mir! Entschuldigen Sie bitte!“ Klara Söderbaum sah dem Zettel hinterher.

Sie hatte ihn hinuntergefegt, als sie nach einem der Modemagazine griff, die auf dem Ladentisch auslagen.

„Pas du tout!“ Die Schneiderin gab ihrem Lehrmädchen einen kurzen Wink und das magere Ding kroch auf dem Fußboden herum, um das Stück Papier aufzuheben.

„Dieses Feuille fliegt schon seit Tagen in meinem Atelier herum und macht nichts als Durcheinander.“ Hoheitsvoll streckte sie die Hand aus. Das Lehrmädchen rappelte sich auf und reichte ihr den Zettel. Klara konnte sehen, dass er mit einer kurzen Notiz in kyrillischer Schrift bekritzelt war.

Die Schneiderin hatte ihren neugierigen Blick bemerkt. „Ich möchte das Papier der Fürstin Dobrinskaja gerne unter vier Augen zurückgeben.“ Sie lächelte geziert. „Wer weiß schon, was darauf steht?“

„Wie ist es denn hierhergekommen?“ Die Frage war Klara einfach herausgerutscht, obwohl sie sich geschworen hatte, ihre Unterhaltungen mit der Schneiderin auf das Allernotwendigste zu beschränken. Zu oft hatte sie sich in der Vergangenheit über diese Frau mit ihrem schlechten Geschmack und dem französischen Akzent – der einfach nicht echt sein konnte – geärgert.

„Nun, wie schon gesagt“, die Nähkünstlerin strich zärtlich den Zettel mit den unverständlichen Schriftzeichen glatt. „Unsere Fürstin Dobrinskaja lässt gerade bei mir ein Morgenkleid anfertigen, tout simple, gestreifte Seide in Elfenbein, Rosenfarben und Tannengrün. Zu ihrem blassen Teint und den honigbraunen Augen sieht das allerliebst aus …“

Klara bereute bereits ihre Frage. Es war vorauszusehen gewesen, dass diese Frau jede Gelegenheit ergreifen würde, mit ihrer glanzvollen Kundschaft zu prahlen. Die junge Fürstin war schon seit Tagen eines der Hauptgesprächsthemen unter den Kurgästen in Bad Ems.

Mit einem sehnsüchtigen Blick streifte Klara das zierliche Sofa, das an einer Seitenwand des Raumes stand – unter den eingerahmten Dankesschreiben von begeisterten Kundinnen. Bei näherer Betrachtung stellte man fest, dass sich die Handschrift und die verwendete Tinte dieser Episteln erstaunlich glichen und dass die Unterschrift in allen Fällen überraschend unleserlich war. Dennoch hätte sich Klara jetzt gerne auf das Sitzmöbel zurückgezogen, in der neuesten Ausgabe des Moniteur de la Mode aus Paris geblättert und in aller Ruhe auf Frau Rotherbruch und Theodora gewartet.

Die Schneiderin sah die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerin schwinden und räusperte sich. „Als mein Lehrmädchen das Kleid der Fürstin nach der letzten Anprobe zusammenlegte, fiel dieser Zettel heraus. Leider war die Dame zu diesem Zeitpunkt schon gegangen. Deshalb hebe ich ihn auf, bis sie wiederkommt.“ Sie strich sich ein nicht vorhandenes Fädchen von der aufwendig gearbeiteten Manschette ihres Kleiderärmels. „Ich weiß schließlich, welche Diskretion ich meinen Kundinnen schuldig bin.“ Nachdrücklich platzierte sie ein Maßband auf dem Briefchen, das sie wieder auf die Ladentheke gelegt hatte.

Klara begnügte sich damit, die Augenbrauen hochzuziehen. Die Schneiderin war jedoch in bester Plauderlaune und ließ sich von der sparsamen Reaktion ihrer Zuhörerin nicht entmutigen. Sie zwinkerte ihr vertraulich zu. „Möglicherweise ist es ein Lettre d’amour, der nicht für die Augen von Außenstehenden bestimmt ist.“

„Wie kommen Sie denn darauf? Ich habe gehört, die Fürstin sei so gut wie verheiratet.“ Klara beschimpfte sich im Stillen dafür, dass sie schon wieder auf diese Klatschgeschichten reagiert hatte. Warum konnte sich die Bankiersgattin nicht beeilen? Ihre Herrin hatte sie vorausgeschickt, weil sie auf der Promenade noch eine Freundin getroffen hatte, mit der sie sich unbedingt unterhalten musste. Die Gouvernante ihrer Tochter störte dabei nur. Also hatte sie Klara angewiesen, im Schneideratelier auf sie zu warten.

Die Schneiderin wiegte den Kopf. „Das sagt man. Aber ich habe noch nichts davon gehört, dass sie irgendwo ein Hochzeitskleid bestellt hätte – und glauben Sie mir, das hätte sich herumgesprochen!“

„Wahrscheinlich ist es schon längst fertig.“ Klara konnte sich einfach nicht zurückhalten. „Ich denke mir, dass solch eine vornehme Dame ein Kleid für diesen Anlass in Paris anfertigen lässt. Vielleicht bei Worth.“

„Non, oh non“, die kleine Frau schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Warum sollte sie reisen? Pariser Chic kann sie auch bei mir bekommen! Warum sollte sie zu Worth gehen?“ Der Name des berühmten Modeschöpfers schien sie bis aufs Blut zu reizen. „Das ist nicht einmal ein Franzose. Was versteht ein englischer Stoffverkäufer schon von schönen Kleidern? C’est impossible!“

„Immerhin kaufen sogar die französische und die österreichische Kaiserin …“

„Ah, ba!“ Die Schneiderin gestikulierte heftig. „Die Damen waren wahrscheinlich neugierig, curieuses, deshalb sind sie einmal in seinen Laden gegangen. Aber das wird nicht von Dauer sein. Das ist eine pfft – Luftblase!“ Sie wedelte vor dem Gesicht ihrer Besucherin herum.

„Wenn Sie meinen.“ Klara wollte endlich das Gespräch beenden. Wo blieb nur Frau Rotherbruch so lange?

„Allerdings, das meine ich. Außerdem bezweifle ich, dass die Fürstin jemals in Paris war.“

„Warum nicht?“, fragte Klara betont gleichgültig und schlug entschlossen ihre Zeitschrift auf. „Nach allem, was ich gehört habe, sind die Zugverbindungen dorthin hervorragend.“ Wenn man sich den Fahrpreis leisten kann, fügte sie im Stillen hinzu.

Einen Moment lang schien die Schneiderin zu überlegen, welche Details sie über ihre Kundin preisgeben durfte, doch die Lust am Klatsch wischte ihre Bedenken weg.

„Die Fürstin scheint leidend zu sein. Sie sieht sehr blass und schwach aus. Auch hier oben ist wohl nicht alles so, wie es sein sollte.“ Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn.

Klara staunte nun doch. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Haben Sie schon einmal eine russische Dame getroffen, die so unkultivée ist, dass sie kein Französisch spricht?“ Die Schneiderin lächelte geziert.

Das war in der Tat ein Argument. Hier in Bad Ems redete buchstäblich jeder französisch. Sogar die Dienstboten beherrschten die Sprache, zumindest bruchstückhaft.

„Entweder sie ist nicht imstande, es zu lernen“, meinte die Schneiderin, „oder sie kommt aus einer vollkommen entlegenen Gegend. Tageweit von der nächsten Stadt entfernt und umgeben von Bären und Wölfen und meterhohem Schnee – brrr!“ Sie schauderte demonstrativ. Wie die meisten Leute konnte sie sich Russland nicht ohne Schnee vorstellen.

„Oder ihre Erziehung wurde vollkommen vernachlässigt“, fügte Klara hinzu. „Wenn sie weder Lehrer noch Gouvernanten hatte …“

„Das will ich mir gar nicht vorstellen“, die dunkelhaarige Frau schüttelte affektiert mit dem Kopf. „Aber Sie könnten recht haben. Ich bin jedenfalls sicher, dass sie noch nie bei einer Schneiderin war. Die Fürstin hat stets eine Gesellschafterin dabei, die das Reden übernimmt und sie, so wie es bei einer Anprobe erforderlich ist, hin und her schiebt.“ Sie seufzte theatralisch. „Dabei ist die Dame so schön und kommt aus einer wirklich vornehmen Familie.“

„Das ist wohl nicht immer eine Gewähr“, Klara raschelte mit der Modezeitschrift.

„Ich werde schon einmal alles für Frau Rotherbruchs Anprobe vorbereiten“, meinte die Schneiderin und trug ihrem Lehrmädchen auf, das magentafarbene Gesellschaftskleid, das sie für die Bankiersgattin anfertigte, bereitzulegen. Sie selbst blieb hartnäckig neben Klara stehen. „Ich hoffe, das Fräulein Theodora ist mit seiner neuen Ballrobe d’accord?“

„Sicher.“ Klara wäre am liebsten hinausgegangen und hätte vor der Tür auf Frau Rotherbruch gewartet. Jetzt auch noch über dieses unglückselige Kleid zu plaudern, wegen dem sie sich mit ihrer Arbeitgeberin angelegt und mit der Schneiderin gestritten hatte, ging fast über ihre Kräfte.

Aber die Frau schien das alles vergessen zu haben. „Es ist immer mein Bestreben, dass meine Klientinnen mit ihren Kleidern restlos heureuses sind!“

„Ich habe nichts Gegenteiliges von Theodora gehört“, sagte Klara.

„C’est bien. Nicht jedes junge Mädchen hat das Glück, von einer Gouvernante mit Geschmack beraten zu werden.“

Klara schaute erstaunt auf. Was bezweckte die Schneiderin mit dieser Schmeichelei?

Die Frau lächelte ihr verstohlen zu. „Für die gnädige Dame habe ich noch etwas besonders Schönes …“

Gefolgt von ihrer Tochter Theodora betrat nun endlich die Bankiersgattin Lucille Ottilie Rotherbruch, geborene von Birkenbach, den Laden.

„Wie gut Sie heute aussehen … und das Fräulein Tochter, eine wahre Augenweide. Gerade berichtete mir das Fräulein Söderbaum, wie zufrieden Sie mit dem neuen Ballkleid sind.“

Unter zahllosen Komplimenten und Schmeicheleien lotste die Schneiderin die beiden Damen in den hinteren Raum des Ladens, in dem das Podest für die Anproben stand.

Klara folgte ihnen. Theodora, die sich ebenfalls eine Modezeitung vom Ladentisch gegriffen hatte, verzog sich auf einen der Stühle, die hier standen, damit die Begleitung der Kleiderkäuferinnen bequem bei der Anprobe zusehen konnte.

Nachdem Frau Rotherbruch ihr Alltagskleid ausgezogen hatte, stieg sie in Korsett und Unterrock auf das kniehohe Podest. Die Schneiderin drapierte das neue Kleid um ihren Körper und steckte es dort, wo es noch angepasst werden musste, mit Nadeln zusammen. Als sie damit fertig war, trat sie einige Schritte zurück und betrachtete ihr Werk mit schief gelegtem Kopf. Klara hatte nichts für solche Theateraufführungen übrig, aber Frau Rotherbruch verfolgte das Gehabe der Schneiderin voller Spannung.

„Ist es nicht gut?“, sie sah an sich herunter. „Nun bringen Sie mir endlich einen Spiegel.“

Das Lehrmädchen wandte sich schon um und wollte den großen Spiegel heranschleppen, aber die Schneiderin hob gebieterisch die Hand. „Es ist so, wie ich mir dachte.“ Sie legte den Kopf auf die andere Seite. „Es ist gut. Aber es fehlt noch der letzte Chic. Das Tüpfelchen auf dem i sozusagen.“

Jetzt blickte auch Theodora neugierig von ihrem Modemagazin auf.

„Et voilá! Ich habe mir da etwas ausgedacht.“ Sie nahm ein bereits vorbereitetes Teil vom Arbeitstisch. „Falls Sie es nicht mögen, dann kann ich die Spitze ganz leicht wieder entfernen.“

Die kleine Frau kletterte behände auf das Anprobepodest und legte der Bankiersgattin ein Seidenband, auf dem sie eine breite Spitze angeheftet hatte, so an das Oberteil, dass die zarten Rüschen den Ausschnitt umrahmten. Frau Rotherbruch stieß einen Ruf der Begeisterung aus. Theodora blickte auf und klatschte in die Hände. Auch Klara musste anerkennend nicken. Bisher war ihr die magentafarbene Seide des Kleides immer viel zu grell vorgekommen – besonders in Kombination mit dem blassen Teint und dem blonden Haar der Bankiersgattin. Aber die dünnen cremefarbenen Spitzen, die nun über den Stoff fielen, milderten die kräftige Farbe.

Die Schneiderin winkte dem Lehrmädchen. Jetzt war der Spiegel erwünscht.

„Das ist wunderbar, hervorragend.“ Lucille Ottilie Rotherbruch drehte sich vorsichtig, um die Wirkung aus allen Richtungen zu betrachten. Dann richtete sie den Blick auf Klara. „Was sagen Sie?“

Die Gouvernante wusste, dass die Bankiersgattin hinter ihrer zur Schau getragenen Arroganz höchst unsicher war, was Auftreten und Stil betraf.

„Das sieht sehr schön aus.“

„Meine Idee findet die Zustimmung der gestrengen Gouvernante“, die Schneiderin lächelte katzenhaft, „dann ist sie wohl wirklich gelungen!“

Klara wusste nicht genau warum, aber sie fühlte sich veralbert. Sie trat an das Podest heran, um die Spitzen aus der Nähe zu betrachten.

„Das sind echte Brüsseler Spitzen! Sie werden weit und breit keine feineren finden – auch nicht bei Worth.“ Die Schneiderin betonte den Namen, als handele es sich um einen unanständigen Ausdruck.

„Diese Spitzen will ich unbedingt haben!“ Frau Rotherbruch war restlos begeistert.

„Echte Brüsseler Ware hat natürlich ihren Preis“, meinte die Schneiderin, „aber sie ist es absolut wert. Ich arbeite mit nichts anderem.“

Klara wusste, wie schwierig es war, echte handgearbeitete Spitzen von Fälschungen oder gar von Maschinenware zu unterscheiden. Früher hatte sie selbst das eine oder andere Kleid mit Spitzenverzierungen besessen und auch da hatte sie sich auf das Wort ihrer Schneiderin verlassen müssen. Aber von einem solchen Vertrauen konnte hier keine Rede sein.

„Wenn Sie sich etwas näher zum Fenster begeben würden“, sagte sie zu Frau Rotherbruch, „dann könnte ich …“

„Wirklich, Fräulein Söderbaum! Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann doch nicht so durch das Zimmer laufen – mit Nadeln gespickt wie ein Rollbraten!“

Die Schneiderin konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen, während sie weiterarbeitete, raffte, umschlug und absteckte.

Als sie damit fertig war, breitete sie die Arme aus. „Parfaitement!“ Sie wartete auf den Beifall ihres Publikums, und den bekam sie auch von der Bankiersgattin und ihrer Tochter. Nach dem dritten „Süperb!“ von Frau Rotherbruch erlaubte sie ihr, sich wieder umzuziehen.

Das Lehrmädchen nahm das fragile Stoffgebilde, das einmal ein elegantes Gesellschaftskleid werden sollte, vorsichtig auf den Arm und wollte es aus dem Zimmer tragen. Da trat ihm Klara in den Weg und bat es zum Fenster, durch das ein breiter Streifen Sonnenlicht hereinfiel.

„Sie besitzen doch sicher eine Lupe“, sagte sie zur Schneiderin.

„Naturellement“, die Frau griff in ihre Kleidertasche und zog das Gewünschte hervor. Sie sah sich schnell um. Die Bankiersgattin befand sich immer noch hinter dem Wandschirm, wo sie ihre Straßenkleidung anlegte, und Theodora half ihr dabei.

„Es wird Ihr Schaden nicht sein“, flüsterte sie, während sie Klara die Lupe reichte, dann wieselte sie hinüber zu Frau Rotherbruch und machte ihr Komplimente über ihren Hut.

Die Gouvernante war so entgeistert über das Ansinnen der Schneiderin, dass sie es am liebsten laut von sich gewiesen hätte. Das Lehrmädchen stand immer noch in unterwürfiger Haltung vor ihr und präsentierte eine magentafarbene Stoffmasse, auf der zuoberst die Spitzen lagen.

Klara beugte sich darüber und betrachtete die cremefarbenen Gebilde. Dass es sich um Seidengarn handelte, dessen war sie sich sicher, aber es fehlte das leicht Unregelmäßige und Lebendige, das eine handgeklöppelte Spitze ausmacht. Das feine Gewebe war etwas zu perfekt und zu flach, aber dennoch … fast hätte sie laut aufgelacht. Sie war wahrhaftig keine Spezialistin, die mit unfehlbarer Sicherheit eine maschinell gefertigte Spitze erkannt hätte, aber der Bestechungsversuch der Schneiderin zeigte schon deutlich genug, wie es um die Echtheit bestellt war.

„Was denken Sie darüber, wenn wir auch den unteren Abschluss der Puffärmel mit der cremefarbenen Spitze verzieren?“, die Nadelkünstlerin hatte wirklich Nerven. Sie versuchte der Bankiersgattin noch mehr von der angeblichen Brüsseler Ware aufzuschwatzen.

„Das ist eine sehr gute Idee“, meinte Frau Rotherbruch, während sie hinter dem Wandschirm hervortrat und ihren Rock zurechtzupfte, damit er gleichmäßig über die Krinoline fiel.

Dann entdeckte sie Klara, die immer noch mit der Lupe in der einen Hand und der Spitze in der anderen am Fenster stand.

„Fräulein Söderbaum, Sie führen sich auf, als verdächtigten Sie diese Person mit ihren wundervollen Ideen des Betruges.“ Sie schüttelte den Kopf. „Manchmal sind Sie wirklich kleingeistig.“

Diese Spitzen …“

Nachdem die Damen Rotherbruch mit der Gouvernante den Laden der Schneiderin verlassen hatten, versuchte Klara, ihre Zweifel nochmals anzubringen.

„Sie sind wunderschön, nicht wahr?“, unterbrach Theodora sie.

„Sicherlich“, sagte Klara, „aber ob sie echt sind?“

Die Bankiersgattin blieb stehen. „Wollen Sie etwa unterstellen, dass mich die Schneiderin betrügen will?“

„Nicht unbedingt.“ Klara ahnte, dass kaum etwas Gutes dabei herauskommen würde, wenn sie die von Frau Rotherbruch bewunderte Nähkünstlerin schlechtmachte. „Vielleicht sind sie ihr für echt verkauft worden.“

„Wenn nicht einmal eine Schneiderin in der Lage ist, zweifelsfrei festzustellen, ob es sich um echte Brüsseler Ware handelt oder nicht, dann glaube ich kaum, dass Sie es können.“ Mit einer heftigen Bewegung spannte die Bankiersgattin ihren Sonnenschirm auf.

Die Gouvernante senkte den Kopf. „Ich wollte Ihnen lediglich zur Vorsicht raten.“

„Danke, das habe ich jetzt verstanden. Theodora, trödle nicht herum.“

Das junge Mädchen verzog kurz die Lippen und folgte dann seiner Mutter.

Es war ein sonniger Nachmittag Anfang Juli. Auf der Römerstraße und der parallel verlaufenden Promenade an der Lahn drängte sich eine glänzende Gesellschaft. Wohlhabende Bürger, Adlige und einfache Erholungssuchende aus nahezu aller Herren Länder wollten sehen und gesehen werden, flirteten, plauderten, betrachteten die Auslagen der prächtigen Geschäfte oder ließen es sich in Cafés und Restaurants gut gehen.

Vor einem Schaukasten blieb Theodora stehen. „Tugajew gibt ein Konzert“, sagte sie sehnsüchtig.

Klara legte ihr die Hand auf die Schulter. Bei dem russischen Klaviervirtuosen hatte die Bankierstochter Stunden genommen, bis ihre Eltern entschieden, dass sie für die zukünftige Gattin eines Frankfurter Bankiers oder eines Brandenburger Grafen gut genug spielte.

„Wir könnten hingehen“, sagte sie zu ihrer Mutter.

„Ein Klavierkonzert. Wie langweilig. Da passiert doch gar nichts, kein Gesang, keine Handlung, nur Geklimper.“

„Maman!“

Frau Rotherbruch seufzte. „Du darfst mit Fräulein Söderbaum hingehen.“

Theodoras Gesicht hellte sich auf. Sie blickte noch einmal auf das Plakat. „Es findet bereits am nächsten Sonnabend im Kurhaus statt. Wir sollten zusehen, dass wir noch Karten bekommen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele Leute zu einem Klavierkonzert dieses Russen gehen.“ Lucille Ottilie Rotherbruch unterdrückte ein Gähnen.

„Aber es würde nicht schaden, wenn wir die Karten beizeiten kauften.“ Klara hatte Theodoras enttäuschten Gesichtsausdruck gesehen.

„Wenn Sie meinen“, Frau Rotherbruch wedelte gelangweilt mit der Hand, „dann gehen Sie los und reservieren zwei Plätze. Im Moment habe ich ohnehin nichts zu tun für Sie. Theodora und ich werden jetzt ins Hotel zurückkehren.“

Klara wusste, dass am Nachmittag Konstantin von Borodin, ein entfernter Verwandter der Zarenfamilie, auf einen Besuch vorbeikommen wollte. Der Zwölfjährige hatte sich mit Adalbert, dem gleichaltrigen Sohn der Bankiersgattin, angefreundet. Gemeinsam stellten die Jungen entweder Unfug an oder sie gingen an der Lahn angeln – was in den Augen von Adalberts neuem Hauslehrer auf das Gleiche hinauslief.

Die Gelegenheit, einen Vertreter des russischen Hochadels zu treffen, wollte sich Frau Rotherbruch natürlich nicht entgehen lassen. Die Bankiersgattin und Theodora wandten sich zum nahe gelegenen Hotel, während die Gouvernante umkehrte und die Römerstraße wieder hinunterging.

Bald hatte sie den offenen Platz erreicht, der zwischen den Gebäuden von Marmorsaal und Kurhaus lag. Hier hatten sich fliegende Händler niedergelassen und präsentierten ihre Waren.. Klara schlenderte zwischen Ständen mit sorgfältig arrangierten Tüchern, Bändern, Modeschmuck, Obst und Blumen hindurch und malte sich aus, welche Stücke sie in ihrem früheren Leben als Tochter eines vermögenden Reeders wohl gekauft hätte. Vom Gehalt einer Gouvernante konnte sie sich nichts davon leisten, aber das Anschauen konnte ihr niemand verbieten. Während sie noch darüber rätselte, ob die günstig angebotenen Seidentücher wirklich aus Seide bestanden, hörte sie eine Stimme, die ihr vage bekannt vorkam.

Sie ging einige Schritte weiter. „Schönen guten Tag, Herr Doktor.“

Der Mann, der gerade mit einer Blumenhändlerin verhandelt hatte, drehte sich um. Als er Klara erkannte, lächelte er verlegen. „Ich weiß, dass Sie schon mehrfach einen meiner Patienten im Spital besucht haben – leider ist mir Ihr Name entfallen.“

Klara stellte sich erneut vor. Dann erkundigte sie sich nach Rudolf Lichtblau, dem früheren Hauslehrer der Rotherbruchs, der nach einem Unfall und seiner Entlassung aus den Diensten der Bankiersfamilie im Spital gelandet war. Da er hier in Bad Ems weder Stellung noch Wohnung besaß und sich weigerte, in sein Frankfurter Elternhaus zurückzukehren, blieb er in dem neu eingerichteten Dienstbotenspital und machte sich dort als Krankenpfleger nützlich. „Ich hoffe, er fühlt sich wohl.“

„Das wechselt“, sagte der Arzt und Klara schaute ihn alarmiert an.

„Die Verletzungen, die sich Lichtblau bei seinem Sturz vom Felsen zugezogen hatte, sind – bis auf das gebrochene Bein – weitgehend verheilt. Leider wurde ihm kürzlich auch noch die Nase gebrochen. Ich habe sie wieder eingerichtet, aber es ist trotzdem eine schmerzhafte und lästige Geschichte.“

Der Arzt seufzte resigniert und Klara tat das Gleiche. Der frühere Hauslehrer schien Unfälle und Verletzungen geradezu magisch anzuziehen.

„Wie hat er das denn geschafft?“, fragte Klara.

„Letzte Woche brachten uns Fuhrleute einen Kameraden, dessen rechter Fuß von einem Wagenrad zerquetscht worden war. Da ich den Fuß nicht retten konnte, entschloss ich mich zur Amputation und Lichtblau hatte die Aufgabe, den Patienten festzuhalten.“

„Ich ahne, was passiert ist“, meinte Klara.

Der Arzt grinste. „Glücklicherweise habe ich noch den alten Walter als Pfleger, der zwar nicht mehr sehr kräftig ist, aber dafür mit Patienten umgehen kann, die vor Schmerzen fast verrückt sind. Und davon hatte ich jetzt ja zwei.“

„Für diese Aufregung entschädigen Sie sich, indem Sie einen Blumenstrauß kaufen?“ Klara deutete auf das Gebinde, das die Verkäuferin dem Arzt immer noch geduldig entgegenhielt.

„Der Strauß ist für meine Frau“, der Mann bekam tatsächlich rote Wangen, „wir haben vor einem Monat geheiratet und sie bekommt mich leider nicht so oft zu sehen, wie wir beide es gern hätten.“

„Über die Blumen freut sie sich bestimmt!“ Klara wollte weitergehen.

„Besuchen Sie Herrn Lichtblau“, sagte der Arzt. „Sie haben sich schon eine ganze Weile nicht mehr blicken lassen.“

„Wir waren lediglich im gleichen Haushalt angestellt“, meinte Klara abwehrend, „wir haben keine nähere Beziehung.“

„Das ist mir bewusst. Aber vielleicht könnten Sie trotzdem auf ihn einwirken …“, der Arzt schaute Klara hilfesuchend an. „Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich bin ich froh darüber, eine zusätzliche Hilfskraft zu haben. Aber nachdem der Mann so gar nicht geeignet für diese Aufgabe ist …“

Klara versprach, bei Gelegenheit das Dienstbotenspital aufzusuchen, und ging weiter. Im Grunde hatte sie wenig Lust, sich um den früheren Hauslehrer zu kümmern, der seine momentane Situation zum größten Teil seiner eigenen Unfähigkeit und seiner blinden Vernarrtheit in die Bankiersgattin zu verdanken hatte. Aber so, wie es aussah, war sie die einzige Person in Bad Ems, der es nicht völlig gleichgültig war, was aus Lichtblau wurde.

Im Kurhaus kaufte Klara die Konzertkarten, dann machte sie sich auf den Rückweg ins Hotel. Bei der Blumenhändlerin blieb sie wieder stehen und bewunderte die feilgebotenen Sträuße.

„Kann ich Ihnen helfen, gnädige Dame?“ Die rundliche, einfach gekleidete Frau musterte sie neugierig. Ihr sonnengebräuntes Gesicht, das verriet, dass sie sich viel im Freien aufhielt, war schon von feinen Fältchen durchzogen, obwohl sie kaum älter als Klara sein dürfte.

Die Gouvernante schüttelte den Kopf. „Solch ein schönes Gebinde kann ich mir leider nicht leisten, ich stehe hier nur, um den Duft zu genießen.“

„Den liebe ich auch.“ Die Blumenverkäuferin dachte kurz nach, dann bückte sie sich und zog einen kleinen Rosenstrauß aus dem Eimer, der hinter ihr stand. „Den lasse ich Ihnen für die Hälfte – da fangen schon die Blütenblätter an abzufallen, aber er duftet trotzdem noch wunderbar.“

Klara kramte nach einigen Münzen und ging dann weiter, die Nase zwischen den Rosen vergraben. Sie hatte vor, den Strauß an das Fenster ihres Zimmers zu stellen, wo er hoffentlich die Gerüche, die von den Müllkübeln im Hinterhof aufstiegen, etwas erträglicher machen würde.

Ihre Gedanken wanderten zu der Frau des jungen Arztes. Es müsste schön sein, einen so aufmerksamen Ehemann zu haben. Klara wusste, dass sie sich eines Tages ebenfalls verheiraten musste, sonst stand ihr ein Alter in Armut bevor. Schließlich konnte sie nicht ewig als Gouvernante arbeiten. Sie schob dieses unangenehme Thema schnell beiseite. Dabei fiel ihr unvermittelt ein, dass sie auch schon eine ganze Zeit lang nichts mehr von Hans Dante Moorheim gehört hatte.

In der Halle des Hotels zum „Russischen Hof“, traf Klara auf Frau Rotherbruch, die es sich nicht hatte nehmen lassen, ihren Adalbert und den Sohn des Großfürsten Borodin hinunterzubegleiten und ihnen von der Vortreppe aus hinterherzuwinken.

„Fräulein Söderbaum, gut dass Sie auch wieder hier sind!“ Ihr Blick fiel auf den Blumenstrauß. „Das wäre doch nicht nötig gewesen. Aber es ist schön, dass Sie Ihren Irrtum bezüglich der Spitzen zugeben.“

Bevor Klara etwas sagen konnte, hatte Lucille Ottilie Rotherbruch den Strauß schon an sich genommen und versenkte die Nase in den Rosen. Dann gab sie ihn wieder an die Gouvernante zurück. „Besorgen Sie doch bitte eine Vase und stellen Sie die Blumen in den Salon.“

Am Abend unterwies Klara Theodora im Sticken. Eine Aufgabe, die ihr mindestens ebenso schwerfiel wie ihrer Schülerin. In ihrer sorglosen Jugend hatte sie das Sticken gehasst, und weil auch ihre Mutter nicht gerade eine glühende Verfechterin weiblicher Handarbeiten war, wurde es ihr leicht gemacht, sich darum zu drücken. Heute war sie gezwungen, selbst Unterricht in dieser Kunst zu erteilen. Glücklicherweise gab es eine Flut von Zeitschriftenartikeln und Anleitungen, durch die sie sich zähneknirschend hindurchgearbeitet hatte, um danach Theodora die gewonnenen Erkenntnisse häppchenweise weitervermitteln zu können.

„Das sieht doch schon recht ordentlich aus.“ Die Bankiersgattin hatte den Blick von ihrer eigenen Stickarbeit – einem Wandteppich, der sich nur sehr langsam weiterentwickelte – gehoben und musterte das Erzeugnis ihrer Tochter.