Freie Schule gründen -  - E-Book

Freie Schule gründen E-Book

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Beschreibung

Mit diesem Handbuch stellt der Bundesverband der Freien Alternativschulen seine jahrzehntelangen Erfahrungen in der Begleitung und Beratung von Schulgründungsinitiativen zur Verfügung. In einem nach Schritten angelegten Prozess gehen die Autor*innen auf die wesentlichen Punkte ein, die es bei der Gründung einer Schule zu beachten gilt u.a.: - Eine Gründungsgruppe finden - Inspirierende Schulen kennenlernen - Ein eigenes Schulkonzept entwickeln - Entscheidungsstrukturen klären - Die Wirtschaftlichkeit der Schule herstellen - Finanzplanung - Räume finden - Antrag stellen Abgerundet wird das Buch mit einem umfangreichen Teil an Anhängen u.a. mit Beispielsatzungen, Finanzplänen sowie Artikeln zu wesentlichen Inhalten Freier Alternativschulen.

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Inhalt

Einleitung

Erster Baustein: Eine Gründer*innengruppe bilden

Zweiter Baustein: Inspirierende Schulen kennen lernen

Dritter Baustein: Inspirierende Orte und Menschen kennen lernen, Netzwerke nutzen

Vierter Baustein: Ein eigenes Schulkonzept entwickeln

Fünfter Baustein: Schulrecht kennen und verstehen lernen

Sechster Baustein: Einen Verein gründen

Siebter Baustein: Entscheidungsstruktur klären

Achter Baustein: Geld beschaffen

Neunter Baustein: Die Wirtschaftlichkeit der Schule herstellen – Finanzplanung

Zehnter Baustein: Die Personalplanung

Elfter Baustein: Räume finden

Zwölfter Baustein: Türen öffnen

Dreizehnter Baustein: Antrag stellen

Vierzehnter Baustein: Genehmigungsbescheid prüfen – falls Antrag abgelehnt – Widerspruch einlegen/Klage einreichen

Fünfzehnter Baustein: Die Schuleröffnungsfeier

Und jetzt beginnt die Arbeit… :-)

Danksagung

Anhangsverzeichnis

Einleitung

Im Grundgesetz ist uns allen das Recht zur Gründung einer Schule zugesichert. Es handelt sich dabei sogar um ein unveränderliches Grundrecht! Es hat den gleichen Verfassungsrang wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Freiheit der Berufswahl.

Jedes Bundesland ist deshalb grundsätzlich verpflichtet, die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft zu bewilligen. Die Regeln und die Praxis, nach denen die Genehmigung tatsächlich erteilt wird, weichen allerdings zum Teil erheblich voneinander ab. Dies hat nicht nur mit der jeweils geltenden Rechtslage zu tun, sondern auch mit der bildungspolitischen Haltung der jeweiligen Landesregierung und dem Agieren einzelner Behörden sowie deren Mitarbeiter*innen.

Schulgründung ist politisches Handeln

Es gibt meist vielfältige Gründe für die Unterstützung wie auch die Ablehnung von Initiativen, die eine neue Schule gründen wollen. Steht in Aussicht, dass eine Schule im Dorf erhalten oder wiedereröffnet werden kann, oder wenn die vorhandenen Schulen ohnehin gesichert sind und großen Zulauf von Eltern und Kindern haben, dann werdet ihr wahrscheinlich eher Unterstützung finden. Sieht eine Gemeinde, Stadt, Kreis oder Landesregierung „ihre“ Schulen – d.h. die in Öffentlicher Trägerschaft – eher als gefährdet, dann braucht es deutlich mehr Anstrengung und Überzeugungskraft um erfolgreich zu sein. Nehmt Kontakt zu den Entscheidungsträger*innen (Gemeinderät*innen, Bürgermeister*innen, Landtagsabgeordneten etc.) auf und versucht herauszufinden, was deren aktuelle Haltung zu Schulen in privater Trägerschaft ist. Bindet Sympathisant*innen frühzeitig in den Gründungsprozess ein.

Mit der UN-Kinderrechtskonvention gibt es eine global gültige, politische Vereinbarung, die für die Gestaltung Freier Alternativschulen von besonderer Bedeutung ist. Wir fühlen uns in besonderer Weise verpflichtet, das Bildungsrecht, das Selbstbestimmungsrecht und die Schutzrechte aller Kinder und Jugendlichen in unseren Schulen in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen.1

Im Folgenden findet Ihr 15 Bausteine für die erfolgreiche Gründung einer Freien Alternativschule.

1 Siehe auch Übereinkommen über die Rechte des Kindes, in Deutschland in Kraft getreten am 5. April 1992

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-86530

Erster Baustein: Eine Gründer*innengruppe bilden

Für eine Schulgründung braucht ihr eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsam erarbeitete, alle Beteiligten begeisternde Idee über eine längere Zeit Wirklichkeit werden lassen wollen. Die Gründung einer Freien Alternativschule ist keine Aufgabe für Einzelkämpfer*innen oder für Menschen, die nur eine „Lösung“ für ihre eigenen Kinder suchen. Teamgeist und Teamfähigkeiten sind gefragt. Ein erfolgreiches Gründungsteam braucht darüber hinaus mindestens vier Schlüsselkompetenzen in den eigenen Reihen:

1. die Fähigkeit, über grundlegende pädagogische Themen konzeptuell nachdenken und sprechen zu können

2. die Fähigkeit, eine handlungsorientierte Organisation zu erarbeiten, sie dauerhaft durch eigenes Handeln weiter zu entwickeln und am Leben zu erhalten

3. die Fähigkeit, (betriebs-)wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und für die Ziele eines pädagogisch geprägten, ideellen Unternehmens nachhaltig nutzbar zu machen

4. die Fähigkeit, Gesetze und juristische Texte zu verstehen und ihre Bedeutung für die Schulgründung einordnen zu können.

Eine Freie Alternativschule ist ein Unternehmen, bei dem in der Gründungsphase die Grundlage für den späteren Erfolg – oder auch Misserfolg – gelegt wird. In dieser Phase ist neben der Leidenschaft für das gemeinsame Projekt viel Zeit, Geduld und gemeinsames Lernen erforderlich. Unserer Erfahrung nach ist es nicht sinnvoll, eine Schule im Schnelldurchlauf innerhalb eines Jahres zu gründen.2

Bei den meisten Schulgründungsinitiativen sind zu Beginn die notwendigen Kompetenzen nur teilweise und mit unterschiedlichem Gewicht vertreten. So mag es in der Gruppe die engagierte Mutter geben, die direkt das betriebswirtschaftliche Verständnis mitbringt – oder die Pädagogikstudenten, die sich seit Längerem mit alternativen Schulkonzepten auseinandergesetzt haben. Oder die Sozialpädagogin, die langjährige Erfahrung im Management einer Sozialorganisation hat. Immer werden zu eurer Gruppe Menschen stoßen, die zunächst vor allem eine Alternative zum lokalen schulischen Angebot für ihre Kinder schaffen wollen. Das ist gut so! Aus der Vielfalt der unterschiedlichen Voraussetzungen und Perspektiven gilt es, die gemeinsame Perspektive auf ein eigenes Schulprojekt im Dialog zu entwickeln. Die dafür notwendige Zeit ist dann gut investiert, wenn ihr sie nutzt um wechselseitig voneinander und miteinander zu lernen.

Gerade bei der Diskussion des eigenen Schulkonzepts (siehe vierter Baustein) wird sich zeigen, dass es kritische Punkte gibt, an denen es um zentrale Grundüberzeugungen der Beteiligten geht. Das kann das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern betreffen oder eure Vorstellung von Gerechtigkeit bei der Ausgestaltung von Elternbeiträgen zur Schulfinanzierung; da kann es um pädagogische Inhalte gehen, die für die Eine im Zentrum stehen und für den Anderen völlig nebensächlich sind. Da kann es um den Umgang mit Sachen, um Fragen der richtigen Ernährung oder um die Beteiligung von Eltern am schulischen Alltag gehen.

Grundlegende pädagogische Themen und der pädagogische Index des BFAS

Zu den bleibenden pädagogischen Themen gehört das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern, die Bedeutung demokratischen Handelns, die Rolle von Nachhaltigkeit, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft; „Erziehung“ oder „Unerzogen“.

Der pädagogische Index des BFAS ist eine Sammlung von Fragen und Arbeitsmaterialien, die vom Vorstand des BFAS in den Jahren von 2016 bis 2019 zusammengestellt worden ist. Diese Arbeitshilfe für Teams und Kollegien von Freien Alternativschulen ist auch für Schulgründungsinitiativen geeignet. Wir laden mit diesen Materialien dazu ein, sich (immer wieder) mit der eigenen Entwicklung der pädagogischen Orientierungen und der Verfasstheit der eigenen Schule zu beschäftigen.

Themen:

Regeln und EntscheidungenSicherheit und SchutzMenschenbilder und GlaubensbekenntnisseÜbergang von Freier Schule zu Berufsausbildung oder anderen SchulenDokumentation und (Be)WertungStrukturen und RahmenbedingungenNo-Go-OrdnungenReflexion – Supervision – Self-care

Unserem Selbstverständnis nach ist diese wiederkehrende Beschäftigung mit grundlegenden Haltungsfragen, die unsere pädagogische Arbeit prägen, ein wesentlicher Bestandteil unserer Weiterentwicklung. Der Index kann auch für den Austausch über die eigene Schulwelt hinaus in den Evaluationsverbünden genutzt werden. Den pädagogischen Index findet ihr auf der Homepage des BFAS.

Möglicherweise führen diese Klärungen zu einer Teilung der Gründungsgruppe, weil die pädagogischen Vorstellungen und weltanschaulichen Überzeugungen zu weit auseinanderliegen. Eine solche Teilung im frühen Gründungsstadium ist besser als letztlich unvereinbare Grundüberzeugungen zuzudecken. Sie können im einmal laufenden Schulbetrieb zum Scheitern des Projekts zulasten der Kinder führen. Die Haltung aller Beteiligten während dieser Diskussionen sollte von der Maxime geprägt sein: Die allein seligmachende Pädagogik und Organisationsform von Schule gibt es nicht. Wo ihr einerseits die unvereinbaren Vorstellungen herausarbeiten müsst, ist es andererseits für das Gelingen notwendig, die Vielfalt der Perspektiven als eine zentrale Qualität einer Gründer*innengruppe zu würdigen und sie für das gemeinsame Ziel der eigenen Schule zu nutzen. Freie Alternativschulen zeichnet in ihrem pädagogischen Alltag genau das aus: eine Gemeinschaft, die die Verschiedenheit ihrer Mitglieder vorbehaltlos anerkennt.

Damit wird unsere Unterschiedlichkeit als etwas Normales gedacht und eine gemeinsame Kultur als eine, die heterogen ist. Die Selbstbestimmung jeder Person ist die Orientierung für Alle. Zu dieser Selbstbestimmung gehört dann unter Umständen auch, dass ihr euch in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang in die Arbeit einer Gründungsgruppe einbringt. Wichtig bei diesem Einbringen sind aber die jeweiligen klaren Verbindlichkeiten: was ich an Aufgaben in der Gründungsphase übernehme, muss ich dann tatsächlich als Leistung für die Gruppe erbringen. Berücksichtigt von Anbeginn, dass es in eurer Initiative unterschiedliche Arten und Grade von Engagement geben kann und wird.

Gleichheit und Verschiedenheit

Pädagogik der Vielfalt ist ein von Annedore Prengel entwickeltes pädagogisches Konzept, das die Gleichberechtigung von Verschiedenem und Verschiedenen in den Mittelpunkt pädagogischen Handelns setzt.

„Selbstachtung und Anerkennung der Anderen sind grundlegende Prinzipien der demokratischen, an Menschenrechten orientierten Erziehung im Sinne einer Pädagogik der Vielfalt. Dabei werden universelle Gleichheit, vielfältig sich überschneidende Gruppenzugehörigkeiten und individuelle Einzigartigkeit in Beziehung zueinander gesetzt.“ A. Prengel: Gleichberechtigung der Verschiedenen.3

Wie gelingt es aber überhaupt, Menschen zu finden, die sich mit euch auf den langen Weg einer Schulgründung begeben wollen? Mitstreiter*innen finden Ihr dort, wo auch Ihr seid – im Kindergarten, in Sportvereinen, im Wartezimmer usw. Oft reicht schon der berühmte Zettel am „schwarzen Brett“ oder die Eröffnung einer Gruppe in den digitalen sozialen Netzwerken. Trefft euch online oder offline, besprecht eure Wünsche, Vorstellungen und Ideen; gleicht eure Grundhaltung ab und klärt ganz realistisch und offen, ob ihr auf einer ähnlichen Welle schwimmt.

Denn nur, wenn ihr in grundlegenden Orientierungen eurer zukünftigen Schule und deren Pädagogik das Gleiche wollt, werdet Ihr Mitstreiter*innen und nicht nur Streiter*innen.

2 Zeitdruck entsteht oft dadurch, dass eigene Kinder der Gründer*innen schulpflichtig werden. Sucht lieber nach vorübergehenden Lösungen für diese Kinder anstatt eine überstürzte Gründung zu probieren.

3https://liga-kind.de/fk-603-prengel/

Zweiter Baustein: Inspirierende Schulen kennen lernen

Andere haben es schon getan! Heute gibt es in jeder Region interessante und zukunftsweisende Schulen, die einen mehr oder weniger großen Unterschied zur „normalen“ Schule machen. Das sind natürlich die im Bundesverband Freier Alternativschulen organisierten Mitglieder, aber auch manche Waldorfschule, staatliche Reformschulen oder die evangelische Grundschule im 30 Kilometer entfernten Dorf.4

Unsere Mitgliedsschulen sind darauf vorbereitet, dass sich andere Menschen für sie interessieren und von ihnen lernen wollen. Bevor ihr euch an die Arbeit macht, ein eigenes Schulkonzept zu entwickeln: Besucht eine oder mehrere davon! Die Schulen in unserem Verband unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: in ihrer pädagogischen Grundorientierung, ihrer Größe, ihrem Alter, ihrer Organisationsform etc. Man sollte mehrere Schulen besuchen, da es zwischen den Schulen teilweise erhebliche Unterschiede gibt.5 Das Ziel solcher Schulbesuche ist zunächst, einen unmittelbaren, eigenen Eindruck von alternativer pädagogischer Praxis zu gewinnen. Überlegt euch zuvor, was euch besonders interessiert und ihr vor Ort unter Umständen mit den Kindern und Erwachsenen besprechen wollt. Versucht aber auch, unvoreingenommen und offen zu sehen und erleben, wie dort „Schule gemacht wird“.

4 Blick über den Zaun, Deutscher Schulpreis als Orientierung

5 Die meisten Freien Alternativschulen bieten auf ihren Webseiten erste Informationsmöglichkeiten.

Dritter Baustein: Inspirierende Orte und Menschen kennen lernen, Netzwerke nutzen

Freie Alternativschulen sind auf verschiedenste Weisen miteinander vernetzt. Erste Zugänge zu den Netzwerken könnt ihr über öffentliche Veranstaltungen bekommen. Neben dem Bundesverband Freier Alternativschulen gibt es die Vereinigung European Democratic Education Community (EUDEC) oder die Freinet-Kooperative. Das jährliche Bundestreffen des BFAS bietet hervorragende Gelegenheiten, Menschen aus Freien Alternativschulen kennen zu lernen und mit ihnen über alle Aspekte von Schule und Bildung zu diskutieren.

Bundestreffen des BFAS und Mitgliederversammlungen

Für die engagierten Menschen in unseren Mitgliedsschulen sind die jährlichen Bundestreffen wichtige und erfahrungsreiche Gelegenheiten um mit Gleichgesinnten ins Gespräch und in dauerhaften Kontakt miteinander zu kommen. Berlin, Bremen, Halle, Dresden, Stuttgart, Darmstadt, Prenzlau, Wülfrath, Kreßberg waren zuletzt die Schulstandorte, an denen wir mit vielen Pädagog*innen und Kolleg*innen, Eltern und Schüler*innen Theorie und Praxis besprochen und erprobt haben. Gerade in den letzten Jahren hat die inhaltliche Vielfalt der angebotenen Workshops und der besprochenen Themen die Lebendigkeit der Alternativschulbewegung gezeigt.

Die Bundestreffen sind zugleich die Mitgliederversammlungen unseres Verbandes. Die Mitgliederversammlung nimmt neue Mitglieder, insbesondere Mitgliedsschulen auf. Deshalb müsst ihr auf alle Fälle an einer Mitgliederversammlung teilnehmen und euer Projekt dort vorstellen.

Darüber hinaus finden in Deutschland und anderen europäischen Ländern selbstorganisierte EUDEC Treffen statt.6

Die European Democratic Education Community (EUDECe.V.)

Die EUDEC ist ein Zusammenschluss Demokratischer Schulen und Einzelpersonen, die sich für und an Demokratischen Schule einsetzen und zwar in ganz Europa.

Ihr Ziel ist es Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen ihre eigenen Entscheidungen bezüglich ihres Lernens, und auch darüber hinaus in Alltäglichkeiten zu treffen.

Außerdem sollen Schüler*innen an Demokratischen Schulen in die Entscheidungsprozesse der Schule mit all ihren Belangen, gleichberechtigt eingebunden und beteiligt sein. Insbesondere bei der Erstellung eines Schulregelwerkes und möglicher Sanktionen.

Die EUDEC ist europaweit in so genannte Chapter eingeteilt, die sich nicht notwendigerweise an die Grenzen der Nationalstaaten halten, sondern ggf. auch sprachliche Verbindungen haben.

Einmal im Jahr trifft sich die EUDEC im Sommer zu einer 3 bis 8tägigen Konferenz, immer in einem anderen Land. In den einzelnen Chaptern gibt es je nach Engagement der Mitglieder auch noch Treffen.

Viele Mitglieder der EUDEC sind außerdem noch eingebunden in die International Democratic Education Conference (IDEC), die seit über 20 Jahren einmal jährlich jeweils auf einem anderen Kontinent stattfindet.

Der Bundesverband Freier Alternativschulen bietet Gründungsinitiativen Workshops, Anfangsberatung und eine Mitgliedschaft an.

Unsere Mitgliedsinitiativen beraten wir zu:

Informationen zum Genehmigungsverfahren (An welche Behörden müssen wir uns wenden? Welche Voraussetzungen gibt es? Hinweise zum zeitlichen Ablauf)

Beratung bei der Konzeptentwicklung (Unterstützung bei der Strukturierung, Wichtiges für die Genehmigungsbehörden, Literaturhinweise)

Stellungnahmen zum Konzept (durch den Vorstand im Rahmen des Aufnahmeverfahrens und ggf. Vermittlung an Fachpersonal)

Hilfe bei Finanzplanung (Stellungnahme zum Finanzplan, Vorlagen und Tipps)

Tipps zur Organisationsstruktur (Hinweise zur juristischen Organisationsform und zur internen Selbstverwaltung)

Unterstützung im Umgang mit Behörden

7

Außerdem gibt es vom BFAS thematische Angebote bei öffentlichen Fachtagen oder Treffen der regionalen Organisationen.

Die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe) setzt sich dafür ein, „dass Kinder von klein an Demokratie lernen, leben und gestalten können“. Die Freinet-Kooperative fördert die Reformpädagogik im Sinne von Elise und Célestin Freinet.

Neben diesen Möglichkeiten der überörtlichen Vernetzung mit „Gleichgesinnten“ erfordert eine erfolgreiche Schulgründung auf alle Fälle eine vielfältige lokale Einbindung. Schulgründung ohne unterschiedliche Verbündete vor Ort ist ein mühevolles Unterfangen und erschwert die Herstellung einer wohlwollenden lokalen Öffentlichkeit! Mit einer frühzeitig eingebundenen, informierten Öffentlichkeit wird die Gewinnung von Eltern und Schüler*innen für den zukünftigen Schulbetrieb um ein Vielfaches erleichtert.

Keine Gründungsgruppe verfügt über all das Wissen und die Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Gründung an einem konkreten Ort notwendig sind. Vernetzung heißt deshalb für euch, Beratungsmöglichkeiten für alle nur denkbaren Themen frühzeitig zu sichern. Wer weiß über die bildungspolitischen Positionen der relevanten Lokalpolitiker*innen Bescheid? Welche städtebaulichen Überlegungen gibt es zum beabsichtigten Standort? Wer weiß über potentiell nutzbare Immobilien Bescheid? Wo sitzen die lokalen Gegner*innen privater Schulen, wo die Sympathisant*innen? Das sind nur ein paar der Dinge, die in Erfahrung gebracht werden müssen.

Zur Vernetzung gehört darüber hinaus, dass ihr herausfindet, wer für eure Schulgründung die wichtigen Akteure sind. Die gilt es kennenzulernen. Sie sitzen insbesondere in den Schulverwaltungen (Genehmigungsbehörde), in der Stadt-, Kreis- und Gemeindeverwaltung und in den verschiedenen Ämtern: Bauamt, Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt.

6 Am einfachsten erfährt man davon über Facebook oder den Newsletter von https://eu-dec.org/

7 Alle Informationen zur Mitgliedschaft findet ihr hier: https://www.freie-alternativschulen.de/index.php/startseite/ueber-uns/mitglied-werden

Vierter Baustein: Ein eigenes Schulkonzept entwickeln

Die Diskussion um das eigene Schulkonzept (nicht eines Textes, sondern einer Konzeption) ist eine der zentralen gemeinsamen Aktivitäten jeder Gründungsgruppe. Nehmt euch Zeit dafür! Oft sind es Einzelne, die schon ganz konkrete Ideen haben, wie ein solches Konzept aussehen soll. Delegiert diese Aufgabe trotzdem nicht an eine oder einzelne Personen. Mit der Konzeptdiskussion werden nämlich idealerweise mehrere gemeinsame Aufgaben erledigt. Die wichtigste ist dabei nicht ein genialer und bis ins letzte ausformulierter Text, der eine ideale Schule beschreibt. Die wichtigste Aufgabe ist es, einen stabilen und dauerhaften persönlichen wie inhaltlichen Zusammenhalt unter den Gründungsmitgliedern zu stiften. Was wollt ihr für euch und eure Kinder? Was ist eure gemeinsame Zielsetzung? Was sind die wichtigsten Elemente, die eure Schule prägen sollen? Erst wenn diese Fragen in einer offenen Auseinandersetzung klare Antworten gefunden haben, kann ein für die weitere Arbeit hilfreiches, schriftliches Konzept entstehen.

Das eigene, in einem Text verschriftlichte Schulkonzept hat dann die zusätzliche Funktion, die staatliche Genehmigung eurer Schule zu ermöglichen. Für die Genehmigungsbehörde ist der später eingereichte Text der zentrale Ausgangspunkt um genehmigen zu können oder abzulehnen. Deshalb muss in diesem Text alles vermieden werden, von dem ihr schon vorher wisst, dass es die Genehmigenden daran hindert, es überhaupt zu genehmigen. Dies können z.B. Formulierungen oder Aussagen sein, die gegen geltendes Recht verstoßen.

Zugleich müssen all die Themen und Aspekte zur Sprache kommen, die für eine Genehmigung nach Ansicht der genehmigenden Menschen notwendigerweise schon vor Beginn des Schulbetriebs überlegt werden müssen. Deshalb ist es am Einfachsten, zuallererst die allgemein zugänglichen Informationen zu den im Bundesland geltenden Genehmigungsvoraussetzungen zu erheben. Darüber hinaus ist es klug, wenn ihr sehr frühzeitig Kontakt zu den für euch zuständigen Menschen in der Genehmigungsbehörde aufnehmt. Skizziert, was ihr vorhabt, fragt sie, was für sie die notwendigen Aspekte eines Schulkonzepts sind. Findet außerdem heraus, wie die Genehmigungspraxis von Privatschulgründungen in den letzten Jahren bei euch in der Region war. Erkundigt euch in eurem Bundesland bei den jüngsten Gründungen Freier Alternativschulen und beim Bundesverband (BFAS).

Die dritte Funktion eines Schulkonzepttextes ist die werbende. Sobald ein gemeinsamer Text „steht“, kann und muss er als Mittel in der öffentlichen Kommunikation verwendet werden. Die wenigsten Menschen lesen Dutzende von Seiten eines solchen Textes. Deshalb ist es sinnvoll, wenn ihr gleichzeitig eine einfach zu lesende „barrierefreie“ Kurzfassung erstellt, die darüber hinaus als eine Zusammenfassung für die Genehmigungsbehörde wirken kann. Erweiterungen der Gründungsgruppe, Suche nach Sponsoren, Spender*innen und Unterstützer*innen erfordern klare, für pädagogische Laien verständliche Texte.

Der Schulkonzepttext ist kein Schulrezept!

Leider passiert es immer wieder, dass Gründer*innen versuchen das Schulkonzept wie ein Schulrezept zu schreiben. Oder dass Leser*innen später einfordern, dass etwas genauso gemacht wird, „wie es im Konzept steht“. Manchmal scheint beim Verfassen eines Schulkonzepts die Angst dahinter zu stehen, dass bei der „Umsetzung“ die zukünftigen Kolleg*innen und Kinder nicht verstehen, wie sie „es“ eigentlich machen sollen. Schulkonzepte Freier Alternativschulen sind jedoch idealerweise Texte, die erst in der Kommunikation der Beteiligten miteinander zu praktischem Handeln gemacht werden. Als Verschreibungen, Vorschriften oder Verordnungen führen sie nicht zum Ziel einer lebendigen, lernfähigen Schulorganisation! Das heißt, dass ihr die Freiheit und die Kompetenz der zukünftigen Akteur*innen in der Formulierung des Konzeptes mitdenken müsst. Das unterscheidet die Konzepte Freier Alternativschulen grundlegend von dogmatischen Schulkonzepten.

Anstelle davon, etwas vorzuschreiben und Vorschriften zu verfassen, solltet ihr an konkreten Umsetzungsbeispielen erklären, wie konzeptuelle Überlegungen „eigentlich“ gemeint sind. Gerade dafür können Anregungen aus den Schulbesuchen bei inspirierenden Schulen hilfreich sein. (Siehe zweiter Baustein).

In der letzten Zeit gibt es die Tendenz, dass Schulgründer*innen ihr „Konzept gegen Veränderungen schützen“ wollen. Dazu zwei Hinweise:

1) Die Genehmigungsbehörde „schützt“ das Konzept (die genehmigte Konzeption), denn wenn die Schule nicht gemäß dem genehmigten Konzept betrieben wird, dann erlischt die Genehmigung und die Schule wird im Extremfall geschlossen.

2) Je „besser“ das Konzept anfangs geschützt wird (was nur von Einzelnen oder einer sehr kleinen Gruppe ausgehen kann), umso schwerer ist es, den Schulbetrieb im Laufe der Zeit anzupassen (z.B. nach einem Personalwechsel, neuen Schüler*innen, neuen gesellschaftlichen Herausforderungen, …)

Schulkonzept konkret

Im Anhang (Anhänge 1-3 hinten im Buch) findet Ihr Beiträge zu den Grundorientierungen Freier Alternativschulen.

Wahrscheinlich sind es bei euch wie bei anderen Gründungen konkrete Erfahrungen mit einzelnen Schulen oder pädagogischen Ansätzen, die den Ansatzpunkt für euer eigenes Schulkonzept bilden.

In eurem Text sollte möglichst genau beschrieben werden,

welche Schulform geplant ist,

bei der Gründung einer Grundschule oder Gemeinschaftsschule worin das besondere pädagogische Interesse besteht,

welche pädagogischen Prinzipien die Schule bestimmen,

welches die Besonderheiten eurer Schulkonzeption sind (inhaltlich, methodisch, organisational, …)

welche Besonderheiten ihr mit anderen Freien Alternativschulen teilt.

Schulformen sind in jedem Bundesland gesetzlich festgelegt. Diese Festlegungen geben auch den Rahmen für Freie Alternativschulen ab. Überall gibt es die vier- bzw. sechsjährige Grundschule, zum Teil mit Eingangsstufen und/oder jahrgangsübergreifenden Gruppen. Ebenso gibt es in allen Bundesländern das acht- oder neunjährige Gymnasium. Daneben gibt es eine Vielfalt unterschiedlicher Schulformen im Bereich der 5. bis 13. Jahrgangsstufe.

Schulen in freier Trägerschaft können nur eine Schulform beantragen und genehmigt bekommen, die nach dem Schulgesetz des Bundeslandes vorgesehen sind.

Manchmal kann das auch eine andere exotische Form sein, wenn zu dem Zeitpunkt gerade eine Form als Versuchsschule möglich ist und am besten zum Konzept passt. Aber Vorsicht: Versuchsschulen sind immer nur ein vorübergehendes Phänomen und es muss bedacht werden, wie es nach dem offiziellen Ende des (allgemeinen) Schulversuchs weitergeht.

Ein Genehmigungskonzept erfordert möglichst klare Aussagen dazu

wie der „Unterricht“ bzw. Lehr-/Lernprozess zeitlich organisiert ist,

welche besonderen inhaltlichen Schwerpunkte für die Arbeit gesetzt werden,

welche Mitwirkungsmöglichkeiten die Kinder bzw. Jugendlichen haben sollen,

welche Formen der Entwicklungs- und Leistungsbeschreibung es an der Schule geben soll (z.B. Notenzeugnis ab dem 9. Jahrgang),

wie viele Schüler*innen die Schule im Endausbau haben wird,

an welche Klassen- bzw. Gruppenstärke gedacht ist,

ob jahrgangsgemischt oder in Jahrgangsklassen gelernt wird,

wie die Möglichkeit eröffnet wird, grundsätzlich alle Kinder aufnehmen zu können,

welche Möglichkeiten bzw. Grenzen es für Elternmitarbeit gibt und

wie sich die Schule finanzieren will.

Im Prozess der Erstellung des schriftlichen Schulkonzepts stehen der Bundesverband mit seiner Geschäftsführung, seinen Vorstandsmitgliedern und den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats gerne beratend zur Verfügung. Nutzt dazu außerdem Schulkonzepte anderer Freier Alternativschulen. Beispiele findet ihr auf den Webseiten der BFAS-Mitgliedsschulen und auf Anfrage direkt beim BFAS. Viele Aspekte der Gestaltung einer Freien Alternativschule sind dort schon gut beschrieben und können mit entsprechender Genehmigung bzw. klarem Hinweis auf die originale Autorenschaft übernommen werden. Kein Schulkonzepttext muss vollständig neu geschrieben werden!

Hilfreiche Materialien zur Schulentwicklung

Im Jahr 2012 startete die Initiative „Schule im Aufbruch“. Ziel der Initiative ist unter anderem die Anregung der Transformation der Bildungs- und Schulorganisation an „Regelschulen“ (in staatlicher Trägerschaft).

Dabei wurden zwei Dokumente erarbeitet, die für den Prozess der Transformation eine wichtige Handreichung darstellen: ein „Reiseführer“ und ein „Kompass“. Diese beiden Handreichungen sind auch für Initiativen zur Schulgründung sehr interessant.

Der „Reiseführer“ beschreibt empfehlenswerte Vorgehensweisen, Abläufe und Aspekte zu den Prozessen bei der Transformation bereits arbeitender Schulen. Sie sind jedoch zum größten Teil auch auf die Prozesse bei der Schulgründung übertragbar und decken inhaltlich einen sehr großen Bereich ab (es beginnt mit „Einer fängt an“ und geht bis zur großen Feier beim Start eines neuen Konzepts).

Der „Kompass“ zeigt viele Themen auf, die im Schulbetrieb wichtig sind und zu denen die Beteiligten am Schulleben eine Position und Vereinbarungen finden sollten, die also dabei helfen, ein durchdachtes Schulkonzept zu entwickeln.

Beide Dokumente beinhalten geeignete und bewährte Methoden, mit deren Hilfe es möglich ist, nachhaltig und effektiv zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Dabei bleiben die Dokumente ergebnisoffen und geben keine Richtungen der Haltung, Ausprägung oder praktischen Umsetzung vor. Es wird angesprochen, wie und womit sich die Gruppe beschäftigen sollte, die Diskussion und Meinungsbildung bleibt aber bei den Beteiligten.

Kompass – Themenbereiche einer Lernkultur der Potentialentfaltung:

http://schule-im-aufbruch.de/wp-content/uploads/2020/12/schule-im-auf-bruch_kompass.pdf

Reiseführer – Prozessleitfaden für den Transformationsprozess in Schule:

http://schule-im-aufbruch.de/wp-content/uploads/2020/12/schule-im-auf-bruch_reisefuehrer.pdf

Sichere Orte – Schutzkonzepte!

Warum ist uns das Thema wichtig?

Kinderrechte und Kinderschutz sind siamesische Zwillinge.

Das Schutzkonzept ist in der Erarbeitung genauso wichtig wie das pädagogische Konzept der Schule. Es muss in der Priorität auf der gleichen Ebene wie dieses stehen, und bedarf der kontinuierlichen Pflege. So wie es mindestens jährlich pädagogische Tage gibt, muss es auch Sichere-Orte-Tage geben. Hier ist es empfehlenswert diese extern begleiten zu lassen.

Freie Alternativschulen berufen sich auf die weiten Ideen der Reformpädagogik, mit einem besonderen Schwerpunkt auf eine gleichberechtigte bzw. gleichwürdige Beziehungskultur. In jeder Beziehung findet Lernen statt und zum Lernen brauchen wir Beziehungen. Das ist eine der grundsätzlichen Ideen Freier Alternativschulen. Zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen gibt es ein strukturelles Machtgefälle, das Bewusstsein braucht und aus dem sich eine besondere Verantwortung für den Kinderschutz ergibt.

Erwachsene sind hier aufgefordert mit einer hohen Sensibilität für körperliche Berührungen und Nähe zu arbeiten, denn auch kleinste (ungefragte) Berührungen, z.B. an der Schulter, können als Übergriff erlebt werden. Körperlichkeit ist als besonders vulnerabler Aspekt von Beziehung zu sehen, der Bewusstheit und Reflektion braucht. Die Konzepte müssen im Schulalltag als gelebt sichtbar und spürbar sein.

Uns ist bewusst, dass das Thema nicht leicht ist und einer hohen Sensibilität bedarf. Schulteams und Gründungsinitiativen müssen bei der Bearbeitung immer auch im Blick haben, dass Menschen anwesend sein werden, die eigene Lebenserfahrungen mit dem Thema haben.

Folgende Dilemmata begegnen uns immer wieder:

Der Umgang mit dem Generalverdacht: Insbesondere als männlich identifizierte Menschen, die in pädagogischen Einrichtungen arbeiten, sehen sich schnell einem Generalverdacht ausgesetzt. Ein Schutzkonzept kann nicht nur Kinder und Jugendliche sondern eben auch Mitarbeitende schützen, wenn die Organisation darauf verweisen kann, wie das Schutzkonzept verankert ist und gelebt wird.

Es gibt keinen 100%igen Schutz. Der Druck mit den Fehlern von Anderen perfekt umzugehen ist im Fall der Fälle riesig und es kann viel zu schnell passieren, dass mit Übergriffen auf Übergriffe reagiert wird. Oder mit Übergriffen Übergriffe verhindert werden sollen.

In der Organisation “Schule” gibt es Grenzen der Bearbeitung für Übergriffsfälle – das heißt vor allem, dass dringend externe Begleitung nötig ist und die Verantwortlichen dafür u.U. auch Finanzen zur Verfügung stellen müssen.

Therapeutische Aufarbeitungen können nicht in der Schule stattfinden.

Die Wichtigste übergeordnete Frage bevor mit der Arbeit an einem Schutzkonzept begonnen werden kann ist: Gibt es in unserer Organisation Bedarf an der Aufarbeitung vergangener Fälle?

Diese mögliche Aufarbeitung hat absoluten Vorrang vor allem anderen, denn wenn sie nicht ausreichend gemacht ist, wird der vergangene Fall im Laufe des Prozesses der Erarbeitung eines Konzeptes immer wieder auftauchen. Diese Aufarbeitung braucht externe Begleitung und muss für jede Organisation entwickelt werden. Hier können auch individuelle Bedarfe abgedeckt werden, sowohl in Einzelgesprächen als auch in Gesprächsrunden mit mehreren freiwillig Beteiligten, moderiert von Fachkräften.

Es kann sinnvoll sein, anfangs mit der Recherche nach Personen und Beratungsstellen zu beginnen, um sich ein Netzwerk und externe Kooperationen aufzubauen.

Der zweite Schritt:

In allen Arbeitsbereichen der Organisation sollte eine Risiko- und Potentialanalyse durchgeführt werden. Hierbei ist es wichtig sich systematisch den Fragen zu stellen, die nach Lücken im System suchen:

Welche Strukturen, räumliche Gegebenheiten, Situationen oder Gepflogenheiten bergen besondere Risiken für Formen von Gewalt, wie z.B. sexualisierte Gewalt und Mobbing?

Wie groß ist die Gefahr, dass ein*e Betroffene*r in dieser Organisation keine Hilfe findet oder gar nicht danach sucht?

Die unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gibt auf ihrer Webseite dazu viele Hinweise8.

Im Vorfeld zu dieser Analyse nennt es die Unabhängige Beauftragte für unabdingbar, dass sich die Personen, die sich in der Organisation mit der Risiko- und Potentialanalyse beschäftigen, intensiv mit den Fakten rund um das Thema auseinandersetzen, insbesondere auch mit den Strategien der Täter*innen9.

Das Schutzkonzept

Ein Schutzkonzept hat mehrere Ziele:

eine sichere Umgebung zu gestalten, die vor Gewalt und Ausbeutung schütztkompetente Unterstützung anzubieten und zu vermittelnVerfahrenswege für Verdachtsklärungen aufzuzeigen.

Es umfasst verschiedene Bausteine, die nicht unbedingt linear hintereinander weg erarbeitet werden sollten, sondern an unterschiedlichen Stellen der Organisation nacheinander entstehen können.

Hier eine Übersicht:

Rahmen, Leitbild, LeitlinienPersonalverantwortung (Führungszeugnis/Leitung)Verhaltenskodex/AmpelPrävention - InterventionThematisierung & Fortbildung für MitarbeitendePartizipation der Mitarbeitenden & SchutzbefohlenenInformations- & Präventionsmaßnahmen (z.B. sexualpädagogische Angebote)Beschwerdeverfahren/AnsprechpersonenInterventionsplanExterne Kooperation & Vernetzung

Organisationen, die ein Schutzkonzept erarbeiten wollen, um sowohl Schutzbefohlene als auch Mitarbeitende abzusichern, wird empfohlen schrittweise und bausteinhaft vorzugehen und sich bei Bedarf externe Begleitung zu holen.

Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen

Ein besonderes Thema in Bildungseinrichtungen sind in diesem Feld Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen. Diese können schon im Kindergartenalter stattfinden und gehen weit über die so genannten Doktorspiele hinaus. Während sogenannte Doktorspiele aus kindlicher Neugier und Forschungsdrang entstehen und eben spielerisch und freiwillig sind, haben sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen vor allem folgende Kriterien:

Unfreiwilligkeit

Machtgefälle

Geheimhaltungsdruck

In solchen Fällen brauchen alle beteiligten Kinder und Jugendliche professionelle Hilfe. Pädagogisches Fachpersonal muss geschult sein hier professionell und achtsam zu agieren. Insbesondere die Arbeit mit den Eltern der betroffenen und übergriffig gewordenen Kinder und Jugendlichen ist hier wesentlich.

Hintergründe und Fakten

Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, dass, wenn es sich um einen Verdacht handelt, es wichtig ist, ein Konzept zur Verdachtsklärung unter Einbeziehung externer Fachkräfte zu haben. Den Aussagen von Kindern und Jugendlichen sind zuallererst zu glauben. Danach sind weitere Schritte zur Erhellung des Vorgefallenen zu ergreifen und die Schwere des Verdachts entweder als Grenzverletzung, übergriffiges Verhalten oder Straftat einzuordnen. Falschbeschuldigungen von Kindern und Jugendlichen gibt so gut wie nie, es ist also immer davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt wirklich erlebt haben, wenn sie davon berichten. Dabei ist auch wichtig, auf Übergriffe unter Kindern und Jugendliche zu achten. 75-90% der Täter sind männlich identifiziert und 1025% weiblich identifiziert10. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass es in Deutschland aktuell eine Millionen Kinder und Jugendliche gibt, die sexualisierte Gewalt erlebt haben oder erleben. Das sind ein bis zwei Kinder/ Jugendliche pro Schulklasse. Das Risiko für Menschen mit Behinderung ist noch größer11.

Hierbei sind ausschließlich die strafrechtlich relevanten Handlungen (Sexueller Missbrauch) gemeint, grenzverletzendes Verhalten (einmalig und unbewusst) sowie übergriffiges Verhalten (bewusstes Ausnutzen von Macht) fließen in diese Statistiken nicht mit ein.

Fragen, mit denen ihr beginnen könnt:

Welche Beratungsstellen kennt ihr?

Welche weitere Vernetzung, auch in andere Schulen, habt ihr?

Welche sexualpädagogischen Angebote plant ihr?

Welche Interventionspläne habt ihr?

Welche besonders engen Beziehungen – familiäre Beziehungen – Liebesbeziehungen zwischen Kolleg*innen, Jugendlichen… sind an eurer Schule möglich?

Welchen strukturellen Rahmen für die regelmäßige Beschäftigung mit dem Thema habt ihr?

Wer geht wann auf welche Fortbildung zum Thema?

Wie oft gibt es gemeinsame Fortbildungen zum Thema?

Wie oft gibt es Elternabende zum Thema?

Wie oft gibt es Projektwochen für die Kinder und Jugendlichen?

Habt ihr eine insoweit erfahrene Fachkraft (ISEF nach § 8a SGB VIII) im Team oder seid ihr in Kooperation mit einer Organisation, die dies anbietet (z.B. Kinderschutzbund)?

Tools/Methoden

Perspektivwechsel üben

Eine Übung kann darin bestehen, sich mit externer Begleitung einem möglichen Vorfall in einer Schule zu widmen. Dabei geht es z.B. um den Verdacht (!), dass ein Lehrer einer Schülerin emotional und körperlich zu nahe getreten war.

Anhand von so genannten Bodenankern (z.B. Zettel auf dem Boden mit der Rollenbezeichnung) können verschiedene Perspektiven der Beteiligten und Betroffenen eingenommen und ihnen jeweils eine Stimme gegeben werden. Rollen in der Übung können sein: Das Mädchen, ihre beste Freundin, ihre Eltern, die Lehrerin, der sie sich anvertraut hat, der beschuldigte Lehrer, die Schulleitung, das Kollegium, die anderen Eltern, die anderen Schüler*innen und der Schulträger. Es ist sehr aufschlussreich, wie viele unterschiedliche Perspektiven und Ansichten in so einem Fall zusammen kommen und sich dann ja auch früher oder später Bahn brechen. Die Übung kann anstrengend sein und dennoch sehr erhellend, weil die Vielschichtigkeit und Komplexität des Problems so sichtbar wird, gegenüber dem Wunsch nach einer schnellen Lösung.

Die Teilnehmenden müssen extern begleitet werden.

Links

https://bage.de/publikationen/bage-kinderschutzleitfaden/

https://www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/initiative

https://www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de/einstieg/

https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/fragen-antworten

https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-telefon

https://www.sichere-orte.de/

https://nina-info.de/save-me-online/

8https://www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/schutzkonzepte

9 Fragen, die für diese Analyse helfen findet ihr hier: https://www.elk-wue.de/fileadmin/Downloads/Seelsorge/Sexualisierte_Gewalt/Praevention/02_Risikoanalyse/Anlage_2_Checkliste_zur_Unterstuetzung_einer_Risikoanalyse.pdf

https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/kinder-und-jugendschutz-in-einrichtungen-2016_web.pdf

10 Stand Mai 2022; https://beauftragte-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Zahlen_und_Fakten/220810_UBSKM_Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_.pdf

11 Siehe vorhergehende Quelle

Fünfter Baustein: Schulrecht kennen und verstehen lernen

Schulrecht ist Landesrecht. Jedes Bundesland regelt die Bedingungen für Schulgenehmigungen selbstständig und in Bezugnahme auf Artikel 7 des Grundgesetzes. Zuständigkeiten und Dienstwege von Genehmigungsverfahren sind vielfältig. Es ist notwendig, für den konkreten, geplanten Standort die verfügbaren, aktuellen Gesetze, Erlasse und Verordnungen zu sammeln und zu kennen. In den Kultus-/Bildungsministerien gibt es in der Regel benannte Ansprechpartner, die darüber Auskunft geben können. Gegebenenfalls sind es außerdem – je nach Struktur der Verwaltungen – Regierungspräsidien, Schulämter und Schulverwaltungen auf regionaler oder kommunaler Ebene, die hier weiterhelfen können.12

Artikel 7 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Das Recht ist auf der Seite der Gründer*innen: Seid euch immer bewusst, dass ihr ein Grundrecht ausübt! Solange sich die Gründung nicht erkennbar außerhalb der Gesetze des Bundes und des Bundeslandes bewegt, steht einer Genehmigung rechtlich nichts im Wege. Auch wenn es einem Schulamt oder Kultusministerium nicht in die eigene politische Linie passen mag oder sie Konkurrenz zu den „eigenen“ Schulen vermeiden wollen: Dies sind keine benennbaren Ablehnungsgründe gegenüber eurer Schulgründung. Wohl aber die „Sonderung“ von Kindern/Eltern, dass ihr eure Lehrer*innen schlecht bezahlt oder kein qualifiziertes Personal beschäftigen wollt. Problematisch ist die Genehmigung auch dann, wenn für die Behörde nicht erkennbar ist, dass die Kinder zu bestimmten Zeiten zu Lehr-/ Lernzwecken anwesend sind und diese Anwesenheit dokumentiert wird.

Sonderfall Grundschule

Das Recht auf Gründung einer Grundschule ist grundgesetzlich eingeschränkt: „Eine private Volksschule [=Grundschule; d. Verf.] ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.“ (Art. 7(5) GG) Gerade dieses für die Genehmigungsbehörde nicht erkennbare „besondere pädagogische Interesse“ kann im Zuge von Genehmigungsverfahren zur Ablehnung führen. Deshalb bedarf es bei der Gründung von Grundschulen eigener Überlegungen und Strategien.13

Grundschulen „müssen“ rechtlich betrachtet nur dann genehmigt werden, wenn die Genehmigungsbehörde nicht umhinkann, ein „besonderes pädagogisches Interesse“ an der beantragten Schule anzuerkennen. Was ist darunter zu verstehen? Nach jahrelangem Rechtsstreit um die Genehmigung einer Freien Alternativschule in Berlin hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) fünf Bedingungen beschrieben, die das „besondere pädagogische Interesse“ als „objektive Voraussetzung für die Genehmigung privater Volksschulen“ begründen können. (Ausführlich dazu im Anhang „Juristisches zum besonderen pädagogischen Interesse“)14