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Anthony Storr

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Beschreibung

Sigmund Freuds Theorien über das Unbewusste, Neurosen, die Verdrängung, das Ich und viele mehr revolutionierten die Art, wie wir über uns selbst denken. Freuds Einfluss ist ungebrochen, nicht nur in der Psychologie und Psychiatrie, sondern auch in benachbarten Disziplinen wie der Philosophie, den Kulturwissenschaften und der Literaturtheorie. Diese Sehr kurze Einführung wurde von einem herausragenden Kenner von Freuds Leben und Werk verfasst und ist interessant für alle Leser, die sich aus persönlichem oder beruflichem Interesse prägnant und fundiert über diesen Giganten der Psychologie informieren möchten. Weitere sehr kurze Einführungen

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Anthony Storr

Freud

Anthony Storr

Freud

Eine sehr kurze Einführung

Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer

Verlag Hans Huber

Programmleitung: Tino Heeg

Herstellung: Jörg Kleine Büning

Umschlaggestaltung: Anzinger/Wüschner/Rasp, München

Druckvorstufe: punktgenau gmbh, Bühl

Druck und buchbinderische Verarbeitung: AALEXX Buchproduktionen GmbH, Großburgwedel

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe Verlag

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

CH-3000 Bern 9

[email protected]

www.hogrefe.ch

Die englische Originalausgabe erschien 1989 unter dem Titel «Freud: A Very Short Introduction» bei Oxford University Press.

© 1989 by Anthony Storr

1. Auflage 2013

© 2013 by Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-456-95296-3)

(E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-456-75296-9)

ISBN 978-3-456-85296-6

Inhalt

1. Leben und Persönlichkeit

2. Vom Trauma zur Fantasie

3. Die Erforschung der Vergangenheit

4. Freie Assoziation, Träume und Übertragung

5. Ich, Über-Ich und Es

6. Aggression, Depression und Paranoia

7. Witze und die Psychopathologie des Alltagslebens

8. Kunst und Literatur

9. Kultur und Religion

10. Freud als Therapeut

11. Psychoanalyse heute

12. Die Anziehungskraft der Psychoanalyse

Weiterführende Literatur

Register

Kapitel 1

Leben und Persönlichkeit

Sigmund Freud kam am 6. Mai 1856 in der mährischen Kleinstadt Freiberg, dem heutigen Prˇíbor im Osten der Republik Tschechien, zur Welt. Seine Mutter Amalie war die dritte Frau von Jacob Freud, einem jüdischen Wollhändler, und etwa zwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Im Jahr 1859, als Sigmund Freud drei Jahre alt war, zog seine Familie nach Wien. Dort sollte er 79 Jahre lang leben und arbeiten; obwohl er wiederholt sein Missfallen über die Stadt äußerte, verließ er sie ausgesprochen ungern. Im Jahr 1938 sah er sich gezwungen, vor den Nationalsozialisten zu fliehen, und verbrachte seine letzten Lebensjahre in England, wo er am 23. September 1939, wenige Tage nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, starb.

Freuds Mutter, eine lebhafte und charmante Frau, die 95 Jahre alt wurde, war zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes erst 21 Jahre alt. Sie sollte sieben weitere Kinder zur Welt bringen, doch Sigmund, den sie «mein goldener Sigi» nannte, sollte ihr unumstrittener Liebling bleiben, ein Umstand, dem Freud später sein großes Selbstvertrauen zuschrieb. Freud war auch überzeugt, dass sein späterer Erfolg direkt mit seiner jüdischen Herkunft zusammenhing. Obwohl Freud diese Religion nie praktizierte und jeglichen religiösen Glauben als Illusion bezeichnete, war er sich seiner jüdischen Herkunft sehr bewusst, unterhielt kaum Freundschaften zu Nichtjuden, nahm regelmäßig an den Treffen der Wiener Sektion der jüdischen Loge B’nai B’rith teil und lehnte Honorarzahlungen für die jiddischen und hebräischen Lizenzausgaben seiner Bücher ab. Vor allem seine intellektuelle Unabhängigkeit schrieb er seiner jüdischen Abstammung zu; er schrieb, als er an der Universität von Wien erstmals dem Antisemitismus begegnet sei, habe ihn diese Ablehnung durch die akademische Gemeinschaft in die Opposition gezwungen und in seinem unabhängigen Urteilsvermögen bestärkt.

Abbildung 1: Auf dem Weg nach London kommt Freud in Paris an. Aufnahme aus dem Jahr 1938 mit Marie Bonaparte und William C. Bullitt. Marie Bonaparte bezahlte die Summe, die die Nationalsozialisten für die Ausreise Freuds aus Österreich verlangt hatten, da sein Vermögen konfisziert worden war. William Bullitt, Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris, hatte zusammen mit Freud ein (ausgesprochen schlechtes) Buch über den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson veröffentlicht.

Freud war ein intellektuell frühreifer und ausgesprochen fleißiger Junge. Sechs Jahre in Folge war er Schulbester; in seiner Schulzeit erwarb er nicht nur gründliche Kenntnisse in Griechisch, Latein und Hebräisch, sondern er lernte außerdem Französisch und Englisch und brachte sich selbst die Grundkenntnisse des Spanischen und Italienischen bei. Im Alter von acht Jahren begann er mit der Lektüre von William Shakespeare, der neben Johann Wolfgang von Goethe ein Leben lang sein Lieblingsautor bleiben sollte. Von frühester Kindheit an war Freud ein ernsthafter und strebsamer Schüler, in den Familie und Lehrer hohe Erwartungen setzten und der selbst zu der Überzeugung gelangte, dass er später einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaft liefern würde. Seine Studien standen ganz im Mittelpunkt des familiären Lebens. Er nahm sein Abendessen getrennt von der Familie ein, und als er sich vom Klavierspiel seiner Schwester Anna gestört fühlte, entfernten die Eltern das Instrument aus der Wohnung.

Abbildung 2: Ein Brief Freuds an Martha, der in großer Erregung verfasst wurde (daher die Tintenflecken). Freud bittet sie, keine Erklärungen von ihm zu verlangen.

Im Herbst 1873 schrieb sich Freud an der Universität von Wien zum Medizinstudium ein und schloss sein Studium am 30. März 1881 ab. Sein ursprüngliches Interesse galt der Zoologie. Zwischen 1876 und 1882 forschte er am Physiologischen Institut von Ernst Brücke, den er als Koryphäe bewunderte und der sein Denken stark prägte. Brücke und seine Mitarbeiter vertraten die damals noch kaum anerkannte Vorstellung, dass sich sämtliche Lebensprozesse mithilfe der Chemie und der Physik erklären lassen, und befreiten die Biologie von religiösen und vitalistischen Erklärungen. Freud blieb zeitlebens ein Determinist und war überzeugt, dass alle Phänomene des Lebens, darunter auch psychologische Phänomene wie Gedanken, Gefühle und Fantasien, ausschließlich dem Prinzip von Ursache und Wirkung unterliegen.

Freud zögerte, sich als niedergelassener Arzt selbstständig zu machen, und hätte sein Leben gern der Forschung gewidmet. Doch im Jahr 1882 verliebte er sich in Martha Bernays, und wenig später verlobten sich die beiden. Da er als Mitarbeiter in Brückes Labor nicht genug verdiente, um Frau und Kinder zu ernähren, gab er widerstrebend seine Forscherlaufbahn auf und arbeitete drei Jahre lang am Wiener Allgemeinen Krankenhaus, um später eine eigene Praxis zu eröffnen. Im Jahr 1885 erhielt er eine Stelle als Privatdozent für Neuropathologie an der Universität Wien. Von Oktober 1885 bis Februar 1886 arbeitete er am Hôpital Salpêtrière in Paris unter dem berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot, dessen Vorlesungen zur Neurose sein Interesse an nicht organischen Nervenkrankheiten weckte. Im April 1886 eröffnete Freud schließlich seine Praxis in Wien, und am 13. September heiratete er seine Verlobte Martha.

Abbildung 3: Freud und seine Verlobte Martha Bernays am Tag ihrer Verlobung im Jahr 1885.

Ihr erstes Kind, Mathilde, kam im Oktober 1887 zur Welt. Es folgten fünf weitere Kinder, zuletzt Anna, die im Jahr 1895 geboren wurde und als einziges von Freuds Kindern die Psychoanalyse zu ihrer Berufung machte. Während der langen und ruhigen Ehe war es seine Frau Martha zufrieden, sich ausschließlich dem Wohl ihres Mannes und ihrer sechs Kinder zu widmen. Aus ihren Briefen wissen wir, dass ihr aktives Sexualleben relativ früh endete, doch das Familienleben blieb harmonisch. Nach dem Tod ihres Mannes schrieb Martha an Ludwig Binswanger:

Wie furchtbar schwer ist es, ihn entbehren zu müssen. Ohne so viel Güte und Weisheit neben sich weiterzuleben! Ein schwacher Trost ist für mich das Bewusstsein, dass in 53 Jahren unserer Ehe kein böses Wort zwischen uns gefallen und dass ich immer nach Möglichkeiten getrachtet habe, ihm die Misere des Alltags aus dem Weg zu räumen. Nun hat mein Leben Sinn und Inhalt verloren.

In der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre wurde Freuds Leben eins mit der Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse. Der Aufsatz «Studien über Hysterie», den er zusammen mit Josef Breuer veröffentlichte, erschien im Jahr 1895. Wenn man bedenkt, welchen Einfluss Freud bis heute hat und dass sein Beitrag zur Psychoanalyse in der deutschen Gesamtausgabe 19 Bände füllt, ist es erstaunlich, dass er sein erstes psychoanalytisches Werk erst im Alter von 39 Jahren veröffentlichte.

Abbildung 4: Freud mit seiner Tochter Anna in den Dolomiten. Aufnahme aus dem Jahr 1913.

Welche Persönlichkeit ist in der Lage, innerhalb nur eines halben Lebens so viel zu erreichen? Die meisten Menschen, die auf geistigem Gebiet außergewöhnliche Leistungen vollbringen, weisen Persönlichkeitsmerkmale auf, die Psychiater als «zwanghaft» bezeichnen würden, das heißt, sie sind gewissenhaft, sorgfältig, exakt, verlässlich, ehrlich und sehr auf Sauberkeit, Kontrolle und Ordnung bedacht. Erst wenn diese bewundernswerten Züge in übertriebenem Maße auftreten, sprechen wir von einer Zwangsneurose, einer Störung, die von einer schwach ausgeprägten Neigung zu dauernder Kontrolle bis hin zu einem Zustand vollständiger Handlungsunfähigkeit reicht, in dem die Existenz des Patienten so weitgehend von Ritualen beherrscht wird, dass ein normales Leben unmöglich wird.

Freud selbst wusste um seine zwanghafte Persönlichkeit und erklärte Jung, wenn er unter einer Neurose leiden würde, dann unter einer Zwangsneurose. Seine intellektuelle Frühreife und sein von Kindheit an zwanghafter Fleiß sind kennzeichnend. An seinen Freund Wilhelm Fließ schrieb er, er benötige eine beherrschende Leidenschaft. Ein Leben ohne Arbeit sei für ihn unvorstellbar, behauptete er, und für ihn seien Kreativität und Arbeit eins. Er war ein immens produktiver Autor. Die meisten seiner Schriften verfasste er sonntags oder spätabends nach einem Tag, an dem er acht oder neun Stunden lang Patienten behandelt hatte. Er genehmigte sich zwar lange Sommerurlaube, auf denen er ausgedehnte Spaziergänge unternahm, doch unter der Woche gestattete er sich kaum Ruhepausen.

Wie die meisten Menschen dieses Persönlichkeitstyps legte Freud großen Wert auf seine Kleidung und sein Äußeres, selbst wenn die Armut dies in jungen Jahren nicht einfach machte. Aus einem Brief an Wilhelm Fließ geht hervor, dass er sich täglich rasieren ließ. Er wies die positivsten Eigenschaften dieses Persönlichkeitstyps auf, er war sorgfältig, beherrscht, ehrlich und leidenschaftlich um die Erkenntnis der Wahrheit bemüht. Freud selbst beschrieb zwanghafte Persönlichkeiten als «besonders ordentlich, sparsam und eigensinnig» («Charakter und Analerotik»). Ordentlich und eigensinnig war er zweifelsohne, und in frühen Jahren mag er auch sparsam gewirkt haben, als er in relativer Armut lebte und auf finanzielle Unterstützung von Freunden wie Josef Breuer angewiesen war. Sein Geschmack blieb zeitlebens einfach, und Ernest Jones weiß zu berichten, dass er nie mehr als drei Anzüge, drei Paar Schuhe und drei Paar Unterhosen besaß. In späteren Jahren konnte er es nicht ertragen, anderen Menschen Geld zu schulden, und obwohl er seinen betuchten Klienten hohe Honorare in Rechnung stellte, war er großzügig in seiner Unterstützung für Bedürftige, darunter Patienten, Verwandte und arme Studenten.