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Friedrich Schiller bietet in seinem Klassiker über den Dreißigjährigen Krieg spannende und unterhaltsame Geschichtsschreibung. In zahlreichen Passagen zeigen sich Schillers Qualitäten als Dramatiker und Schriftsteller. Der Dreißigjährige Krieg beschäftigte Friedrich Schiller über mehrere Jahre. Als geschichtlicher Chronist hatte Friedrich Schiller gegenüber der heutigen Geschichtsschreibung den Vorteil, dass der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) zu seiner Lebenszeit (1759-1805) erst rund 150 Jahre vorüber war. Man merkt den detailgetreuen und lebendigen Schilderungen an, dass die Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs auf das tägliche Leben der Menschen noch unmittelbarer spürbar waren, als heute. Schiller bringt Übersichtlichkeit und Struktur in die Wirren des Kriegsgeschehens. Anschaulich beschreibt er politische Zusammenhänge und die handelnden Personen. Sein Weg zum Verständnis der Akteure führt über die Offenlegung ihrer persönlichen Motive, Werte, und Interessen. Stellenweise liest sich das Buch wie ein Roman.
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Seitenzahl: 573
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Seit dem Anfang des Religionskriegs in Deutschland bis zum Münsterischen Frieden ist in der politischen Welt Europas kaum etwas Großes und Merkwürdiges geschehen, woran die Reformation nicht den vornehmsten Anteil gehabt hätte. Alle Weltbegebenheiten, welche sich in diesem Zeitraum ereignen, schließen sich an die Glaubensverbesserung an, wo sie nicht ursprünglich daraus herflossen, und jeder noch so große und noch so kleine Staat hat mehr oder weniger, mittelbarer oder unmittelbarer, den Einfluss derselben empfunden.
Beinahe der ganze Gebrauch, den das spanische Haus von seinen ungeheuren politischen Kräften machte, war gegen die neuen Meinungen oder ihre Bekenner gerichtet. Durch die Reformation wurde der Bürgerkrieg entzündet, welcher Frankreich unter vier stürmischen Regierungen in seinen Grundfesten erschütterte, ausländische Waffen in das Herz dieses Königreichs zog und es ein halbes Jahrhundert lang zu einem Schauplatz der traurigsten Zerrüttung machte. Die Reformation machte den Niederländern das spanische Joch unerträglich und weckte bei diesem Volke das Verlangen und den Muth, dieses Joch zu zerbrechen, so wie sie ihm größtenteils auch die Kräfte dazugab. Alles Böse, welches Philipp der Zweite gegen die Königin Elisabeth von England beschloss, war Rache, die er dafür nahm, dass sie seine protestantischen Untertanen gegen ihn in Schutz genommen und sich an die Spitze einer Religionspartei gestellt hatte, die er zu vertilgen strebte. Die Trennung in der Kirche hatte in Deutschland eine fortdauernde politische Trennung zur Folge, welche dieses Land zwar länger als ein Jahrhundert der Verwirrung dahingab, aber auch zugleich gegen politische Unterdrückung einen bleibenden Damm auftürmte. Die Reformation war es großenteils, was die nordischen Mächte, Dänemark und Schweden zuerst in das Staatssystem von Europa zog, weil sich der protestantische Staatenbund durch ihren Beitritt verstärkte, und weil dieser Bund ihnen selbst unentbehrlich ward. Staaten, die vorher kaum für einander vorhanden gewesen, fingen an, durch die Reformation einen wichtigen Berührungspunkt zu erhalten und sich in einer neuen politischen Sympathie an einander zu schließen. So wie Bürger gegen Bürger, Herrscher gegen ihre Untertanen durch die Reformation in andre Verhältnisse kamen, rückten durch sie auch ganze Staaten in neue Stellengen gegen einander. Und so musste es durch einen seltsamen Gang der Dinge die Kirchentrennung sein, was die Staaten unter sich zu einer engeren Vereinigung führte. Schrecklich zwar und verderblich war die erste Wirkung, durch welche diese allgemeine politische Sympathie sich verkündigte – ein dreißigjähriger verheerender Krieg, der von dem Innern des Böhmerlandes bis an die Mündung der Schelde, von den Ufern des Po bis an die Küsten der Ostsee Länder entvölkerte, Ernten zertrat, Städte und Dörfer in die Asche legte; ein Krieg, in welchem viele Tausend Streiter ihren Untergang fanden, der den aufglimmenden Funken der Kultur in Deutschland auf ein halbes Jahrhundert verlöschte und die kaum auflebenden bessern Sitten der alten barbarischen Wildheit zurückgab. Aber Europa ging ununterdrückt und frei aus diesem fürchterlichen Krieg, in welchem es sich zum ersten Mal als eine znsammenhängende Staatengesellschaft erkannt hatte; und diese Teilnehmung der Staaten an einander, welche sich in diesem Krieg eigentlich erst bildete, wäre allein schon Gewinn genug, den Weltbürger mit seinen Schrecken zu versöhnen. Die Hand des Fleißes hat unvermerkt alle verderblichen Spuren dieses Kriegs wieder ausgelöscht; aber die wohltätigen Folgen, von denen er begleitet war, sind geblieben. Eben diese allgemeine Staatensympathie, welche den Stoß in Böhmen dem halben Europa mitteilte, bewacht jetzt den Frieden, der diesem Krieg ein Ende machte. So wie die Flamme der Verwüstung aus dem Innern Böhmens, Mährens und Österreichs einen Weg fand, Deutschland, Frankreich, das halbe Europa zu entzünden, so wird die Fackel der Kultur von diesen Staaten aus einen Weg sich öffnen, jene Länder zu erleuchten.
Die Religion wirkte dieses alles. Durch sie allein wurde möglich, was geschah, aber es fehlte viel, dass es für sie und Ihretwegen unternommen worden wäre. Hätte nicht der Privatvorteil, nicht das Staatsinteresse sich schnell damit vereinigt, nie würde die Stimme der Theologen und des Volks so bereitwillige Fürsten, nie die neue Lehre so zahlreiche, so tapfere, so beharrliche Verfechter gefunden haben. Ein großer Anteil an der Kirchenrevolution gebührt unstreitig der siegenden Gewalt der Wahrheit, oder dessen, was mit Wahrheit verwechselt wurde. Die Missbräuche in der alten Kirche, das Abgeschmackte mancher ihrer Lehren, das Übertriebene in ihren Forderungen musste notwendig ein Gemüt empören, das von der Ahnung eines bessern Lichts schon gewonnen war, musste es geneigt machen, die verbesserte Religion zu umfassen.
Der Reiz der Unabhängigkeit, die reiche Beute der geistlichen Stifter musste die Regenten nach einer Religionsveränderung lüstern machen und das Gewicht der Inneren Überzeugung nicht wenig bei ihnen verstärken; aber die Staatsräson allein konnte sie dazu drängen. Hätte nicht Karl der Fünfte im Übermut seines Glücks an die Reichsfreiheit der deutschen Stände gegriffen, schwerlich hätte sich ein protestantischer Bund für die Glaubensfreiheit bewaffnet. Ohne die Herrschbegierde der Guisen hätten die Calvinisten in Frankreich nie einen Condé oder Coligny an ihrer Spitze gesehen; ohne die Auflage des zehnten und zwanzigsten Pfennigs hätte der Stuhl zu Rom nie die vereinigten Niederlande verloren. Die Regenten kämpften zu ihrer Selbstverteidigung oder Vergrößerung; der Religionsenthusiasmus warb ihnen die Armeen und öffnete ihnen die Schätze ihres Volks. Der große Haufe, wo ihn nicht Hoffnung der Beute unter ihre Fahnen lockte, glaubte für die Wahrheit sein Blut zu vergießen, indem er es zum Vorteil seines Fürsten verspritzte.
Und Wohltat genug für die Völker, dass diesmal der Vorteil der Fürsten Hand in Hand mit dem ihrigen ging! Diesem Zufall allein haben sie ihre Befreiung vom Papsttum zu danken. Glück genug für die Fürsten, dass der Untertan für seine eigene Sache stritt, indem er für die ihrige kämpfte! In dem Zeitalter, wovon jetzt die Rede ist, regierte in Europa kein Fürst so absolut, um über den guten Willen seiner Untertanen hinweggesetzt zu sein, wenn er seine politischen Entwürfe verfolgte. Aber wie schwer hielt es, diesen guten Willen der Nation für seine poetischen Entwürfe zu gewinnen und in Handlung zu setzen! Die nachdrücklichsten Beweggründe, welche von der Staatsräson entlehnt sind, lassen den Untertan kalt, der sie selten einsieht, und den sie noch seltener interessieren. In diesem Fall bleibt einem staatsklugen Regenten nichts übrig, als das Interesse des Cabinets an irgendein anderes Interesse, das dem Volke näherliegt, anzuknüpfen, wenn etwa ein solches schon vorhanden ist, oder, wenn es nicht ist, es zu erschaffen.
Dies war der Fall, worin sich ein großer Teil derjenigen Regenten befand, die für die Reformation handelnd aufgetreten sind. Durch eine sonderbare Verkettung der Dinge musste es sich fügen, dass die Kirchentrennung mit zwei politischen Umständen zusammentraf, ohne welche sie vermutlich eine ganz andere Entwicklung gehabt haben würde. Diese waren: die auf einmal hervorspringende Übermacht des Hauses Österreich, welche die Freiheit Europas bedrohte, und der tätige Eifer dieses Hauses für die alte Religion. Das Erste weckte die Regenten, das Zweite bewaffnete ihnen die Nationen.
Die Aufhebung einer fremden Gerichtsbarkeit in ihren Staaten, die höchste Gewalt in geistlichen Dingen, der gehemmte Abfluss des Geldes nach Rom, die reiche Beute der geistlichen Stifter waren Vorteile, die für jeden Souverän auf gleiche Art verführerisch sein mussten; warum, könnte man fragen, wirkten sie nicht eben so gut auf die Prinzen des Hauses Österreich? Was hinderte dieses Haus, und insbesondere die deutsche Linie desselben, den dringenden Anforderungen so vieler seiner Untertanen Gehör zu geben und sich nach dem Beispiel andrer auf Unkosten einer wehrlosen Geistlichkeit zu verbessern? Es ist schwer zu glauben, dass die Überzeugung von der Unfehlbarkeit der römischen Kirche an der frommen Standhaftigkeit dieses Hauses einen größeren Anteil gehabt haben sollte, als die Überzeugung vom Gegenteil an dem Abfalle der protestantischen Fürsten. Mehrere Gründe vereinigten sich, die österreichischen Prinzen zu Stützen des Papsttums zu machen. Spanien und Italien, aus welchen Ländern die österreichische Macht einen großen Teil ihrer Stärke zog, waren dem Stuhle zu Rom mit blinder Anhänglichkeit ergeben, welche die Spanier insbesondere schon zu den Zeiten der gotischen Herrschaft ausgezeichnet hat. Die geringste Annäherung an die verabscheuten Lehren Luthers und Calvins musste dem Beherrscher von Spanien die Herzen seiner Untertanen unwiederbringlich entreißen; der Abfall von dem Papsttum konnte ihm dieses Königreich kosten. Ein spanischer König musste ein rechtgläubiger Prinz sein, oder er musste von diesem Thron steigen. Den nämlichen Zwang legten ihm seine italienischen Staaten auf, die er fast noch mehr schonen musste, als seine Spanier, weil sie das auswärtige Joch am ungeduldigsten trugen und es am leichtesten abschütteln konnten. Dazu kam, dass ihm diese Staaten Frankreich zum Mitbewerber und den Papst zum Nachbar gaben; Gründe genug, die ihn hinderten, sich für eine Partei zu erklären, welche das Ansehen des Papstes zernichtete – die ihn aufforderten, sich letzteren durch den tätigsten Eifer für die alte Religion zu verpflichten.
Diese allgemeinen Gründe, welche bei jedem spanischen Monarchen von gleichem Gewichte sein mussten, wurden bei jedem insbesondere noch durch besondere Gründe unterstützt. Karl der Fünfte hatte in Italien einen gefährlichen Nebenbuhler an dem König von Frankreich, dem dieses Land sich in eben dem Augenblick in die Arme warf, wo Karl sich ketzerischer Grundsätze verdächtig machte. Gerade an denjenigen Entwürfen, welche Karl mit der meisten Hitze verfolgte, würde das Misstrauen der Katholischen und der Streit mit der Kirche ihm durchaus hinderlich gewesen sein. Als Karl der Fünfte in den Fall kam, zwischen beiden Religionsparteien zu wählen, hatte sich die neue Religion noch nicht bei ihm in Achtung setzen können, und überdies war zu einer gütlichen Vergleichung beider Kirchen damals noch die wahrscheinlichste Hoffnung vorhanden. Bei seinem Sohn und Nachfolger Philipp dem Zweiten vereinigte sich eine mönchische Erziehung mit einem despotischen finstern Charakter, einen unversöhnlichen Hass aller Neuerungen in Glaubenssachen bei diesem Fürsten zu unterhalten, den der Umstand, dass seine schlimmsten politischen Gegner auch zugleich Feinde seiner Religion waren, nicht wohl vermindern konnte. Da seine europäischen Länder, durch so viele fremde Staaten zerstreut, dem Einfluss fremder Meinungen überall offen lagen, so konnte er dem Fortgange der Reformation in andern Ländern nicht gleichgültig zusehen, und sein eigener näherer Staatsvorteil forderte ihn auf, sich der alten Kirche überhaupt anzunehmen, um die Quellen der ketzerischen Ansteckung zu verstopfen. Der natürlichste Gang der Dinge stellte also diesen Fürsten an die Spitze des katholischen Glaubens und des Bundes, den die Papisten gegen die Neuerer schlossen. Was unter Karls des Fünften und Philipps des Zweiten langen und tatenvollen Regierungen beobachtet wurde, blieb für die folgenden Gesetz; und je mehr sich der Riss in der Kirche erweiterte, desto fester musste Spanien an dem Katholizismus halten.
Freier schien die deutsche Linie des Hauses Österreich gewesen zu sein; aber wenn bei dieser auch mehrere von jenen Hindernissen wegfielen, so wurde sie durch andere Verhältnisse in Fesseln gehalten. Der Besitz der Kaiserkrone, die auf einem protestantischen Haupte ganz undenkbar war (denn wie konnte ein Apostat der römischen Kirche die römische Kaiserkrone tragen?) knüpfte die Nachfolger Ferdinands des Ersten an den päpstlichen Stuhl; Ferdinand selbst war diesem Stuhl aus Gründen des Gewissens und aufrichtig ergeben. Überdies waren die deutsch-österreichischen Prinzen nicht mächtig genug, der spanischen Unterstützung zu entbehren, die aber durch eine Begünstigung der neuen Religion durchaus verscherzt war. Auch forderte ihre Kaiserwürde sie auf, das deutsche Reichssystem zu beschützen, wodurch sie selbst sich als Kaiser behaupteten, und welches der protestantische Reichsteil zu stürzen strebte. Rechnet man dazu die Kälte der Protestanten gegen die Bedrängnisse der Kaiser und gegen die gemeinschaftlichen Gefahren des Reichs, ihre gewaltsamen Eingriffe in das Zeitliche der Kirche und ihre Feindseligkeiten, wo sie sich als die Stärkeren fühlten; so begreift man, wie so viele zusammenwirkende Gründe die Kaiser auf der Seite des Papsttums erhalten, wie sich ihr eigner Vorteil mit dem Vorteile der katholischen Religion aufs genauste vermengen musste. Da vielleicht das ganze Schicksal dieser Religion von dem Entschlusse abhing, den das Haus Österreich ergriff, so musste man die österreichischen Prinzen durch ganz Europa als die Säulen des Papsttums betrachten. Der Hass der Protestanten gegen letzteres kehrte sich darum auch einstimmig gegen Österreich und vermengte nach und nach den Beschützer mit der Sache, die er beschützte.
Aber eben dieses Hans Österreich, der unversöhnliche Gegner der Reformation, setzte zugleich durch seine ehrgeizigen Entwürfe, die von einer überlegenen Macht unterstützt waren, die politische Freiheit der europäischen Steten, und besonders der deutschen Stände, in nicht geringe Gefahr. Dieser Umstand musste letztere aus ihrer Sicherheit aufschrecken und auf ihre Selbstverteidigung aufmerksam machen. Ihre gewöhnlichen Hilfsmittel würden nimmermehr hingereicht haben, einer so drohenden Macht zu widerstehen. Außerordentliche Anstrengungen mussten sie von ihren Untertanen verlangen und, da auch diese bei weitem nicht hinreichten, von ihren Nachbarn Kräfte entlehnen und durch Bündnisse unter einander eine Macht aufzuwägen suchen, gegen welche sie einzeln nicht bestanden.
Aber die großen politischen Aufforderungen, welche die Regenten hatten, sich den Fortschritten Österreichs zu widersetzen, hatten ihre Untertanen nicht. Nur gegenwärtige Vorteile oder gegenwärtige Übel sind es, welche das Volk in Handlung setzen; und diese darf eine gute Staatskunst nicht abwarten. Wie schlimm also für diese Fürsten, wenn nicht zum Glücke ein anderes wirksames Motiv sich ihnen dargeboten hätte, das die Nation in Leidenschaft setzte und einen Enthusiasmus in ihr entflammte, der gegen die politische Gefahr gerichtet werden konnte, weil er in dem nämlichen Gegenstande mit derselben zusammentraf! Dieses Motiv war der erklärte Hass gegen eine Religion, welche das Haus Österreich beschützte, die schwärmerische Anhänglichkeit an eine Lehre, welche dieses Haus mit Feuer und Schwert zu vertilgen strebte. Diese Anhänglichkeit war feurig, jener Hass war unüberwindlich; der Religionsfanatismus fürchtet das Entfernte; Schwärmerei berechnet nie, was sie aufopfert. Was die entschiedenste Gefahr des Staats nicht über seine Bürger vermocht hätte, bewirkte die religiöse Begeisterung. Für den Staat, für das Interesse des Fürsten würden sich wenig freiwillige Arme bewaffnet haben; für die Religion griff der Kaufmann, der Künstler, der Landbauer freudig zum Gewehr. Für den Staat oder den Fürsten würde man sich auch der kleinsten außerordentlichen Abgabe zu entziehen gesucht haben; an die Religion setzte man Gut und Blut, alle seine zeitlichen Hoffnungen. Dreifach stärkere Summen strömen jetzt in den Schatz des Fürsten; dreifach stärkere Heere rücken in das Feld; und in der heftigen Bewegung, worein die nahe Religionsgefahr alle Gemüter versetzte, fühlte der Untertan die Schwere der Lasten nicht, die Anstrengungen nicht, von denen er in einer ruhigeren Gemütslage erschöpft würde niedergesunken sein. Die Furcht vor der spanischen Inquisition, vor Bartholomäusnächten eröffnet dem Prinzen von Oranien, dem Admiral Coligny, der britischen Königin Elisabeth, den protestantischen Fürsten Deutschlands Hilfsquellen bei ihren Völkern, die noch jetzt unbegreiflich sind.
Mit noch so großen eignen Anstrengungen aber würde man gegen eine Macht wenig ausgerichtet haben, die auch dem mächtigsten Fürsten, wenn er einzeln stand. überlegen war. In den Zeiten einer noch wenig ausgebildeten Politik konnten aber nur zufällige Umstände entfernte Staaten zu einer wechselseitigen Hilfsleistung vermögen. Die Verschiedenheit der Verfassung, der Gesetze, der Sprache, der Sitten, des Nationalcharakters, welche die Nationen und Länder in ebenso viele verschiedene Ganze absonderte und eine fortdauernde Scheidewand zwischen sie stellte, machte den einen Staat unempfindlich gegen die Bedrängnisse des andern, wo ihn nicht gar die Nationaleifersucht zu einer feindseligen Schadenfreude reizte. Die Reformation stürzte diese Scheidewand. Ein lebhafteres, näherliegendes Interesse als der Nationalvorteil oder die Vaterlandsliebe, und welches von bürgerlichen Verhältnissen durchaus unabhängig war, fing an, die einzelnen Bürger und ganze Staaten zu beseelen. Dieses Interesse konnte mehrere und selbst die entlegensten Staaten mit einander verbinden, und bei Untertanen des nämlichen Staats konnte dieses Band wegfallen. Der französische Calvinist hatte also mit dem reformierten Genfer, Engländer, Deutschen oder Holländer einen Berührungspunkt, den er mit seinem eigenen katholischen Mitbürger nicht hatte. Er hörte also in einem sehr wichtigen Punkte auf, Bürger eines einzelnen Staats zu sein, seine Aufmerksamkeit und Teilnahme auf diesen einzelnen Staat einzuschränken. Sein Kreis erweitert sich; er fängt an, aus dem Schicksale fremder Länder, die seines Glaubens sind, sich sein eigenes zu weissagen und ihre Sache zu der seinigen zu machen. Nun erst dürfen die Regenten es wagen, auswärtige Angelegenheiten vor die Versammlung ihrer Landstände zu bringen, nun erst hoffen, ein williges Ohr und schnelle Hilfe zu finden. Diese auswärtigen Angelegenheiten sind jetzt zu einheimischen geworden, und gerne reicht man dem Glaubensverwandten eine hilfreiche Hand, die man dem bloßen Nachbar, und noch mehr dem fernen Ausländer verweigert hätte. Jetzt verlässt der Pfälzer seine Heimat, um für seinen französischen Glaubensbruder gegen den gemeinschaftlichen Religionsfeind zu fechten. Der französische Untertan zieht das Schwert gegen ein Vaterland, das ihn misshandelt, und geht hin, für Hollands Freiheit zu bluten. Jetzt sieht man Schweizer gegen Schweizer, Deutsche gegen Deutsche im Streit gerüstet, um an den Ufern der Loire und der Seine die Thronfolge in Frankreich zu entscheiden. Der Däne geht über die Eider, der Schwede über den Belt, um die Ketten zu zerbrechen, die für Deutschland geschmiedet sind.
Es ist sehr schwer zu sagen, was mit der Reformation, was mit der Freiheit des deutschen Reichs wohl geworden sein würde, wenn das gefürchtete Haus Österreich nicht Partei gegen sie genommen hätte. So viel aber scheint erwiesen, dass sich die österreichischen Prinzen auf ihrem Wege zur Universalmonarchie durch nichts mehr gehindert haben, als durch den hartnäckigen Krieg, den sie gegen die neuen Meinungen führten. In keinen anderen Fall, als unter diesem, war es den schwächeren Fürsten möglich, die außerordentlichen Anstrengungen von ihren Ständen zu erzwingen, wodurch sie der österreichischen Macht widerstanden; in keinem andern Falle den Staaten möglich, sich gegen einen gemeinschaftlichen Feind zu vereinigen.
Höher war die österreichische Macht nie gestanden, als nach dem Sieg Karls des Fünften bei Mühlberg, nachdem er die Deutschen überwunden hatte. Mit dem Schmalkaldischen Bunde lag die deutsche Freiheit, wie es schien, auf ewig darnieder; aber sie lebte wieder auf in Moritz von Sachsen, ihrem gefährlichsten Feind. Alle Früchte des Mühlbergischen Sieges gehen auf dem Kongress zu Passau und dem Reichstag zu Augsburg verloren, und alle Anstalten zur weltlichen und geistlichen Unterdrückung endigen in einem nachgebenden Frieden.
Deutschland zerriss auf diesem Reichstag zu Augsburg in zwei Religionen und in zwei politische Parteien; jetzt erst zerriss es, weil die Trennung jetzt erst gesetzlich war. Bis hierher waren die Protestanten als Rebellen angesehen worden; jetzt beschloss man, sie als Brüder zu behandeln, nicht als ob man sie dafür anerkannt hätte, sondern weil man dazu genötigt war. Die Augsburgische Konfession durfte sich von jetzt an neben den katholischen Glauben stellen, doch nur als eine geduldete Nachbarin, mit einstweiligen schwesterlichen Rechten. Jedem weltlichen Reichsstande war das Recht zugestanden, die Religion, zu der er sich bekannte, auf seinem Grund und Boden zur herrschenden und einzigen zu machen und die entgegengesetzte der freien Ausübung zu berauben; jedem Untertan vergönnt, das Land zu verlassen, wo seine Religion unterdrückt war. Jetzt zum ersten Mal erfreute sich also die Lehre Luthers einer positiven Sanktion, und wenn sie auch in Bayern oder in Österreich im Staube lag, so konnte sie sich damit trösten, dass sie in Sachsen und in Thüringen thronte. Den Regenten war es aber nun doch allein überlassen, welche Religion in ihren Landen gelten und welche darniederliegen sollte; für den Untertan, der auf dem Reichstag keinen Repräsentanten hatte, war in diesem Frieden gar wenig gesorgt. Bloß allein in geistlichen Ländern, in welchen die katholische Religion unwiderruflich die herrschende blieb, wurde den protestantischen Untertanen (welche es damals schon waren) die freie Religionsübung ausgewirkt; aber auch diese nur durch eine persönliche Versicherung des römischen Königs Ferdinand, der diesen Frieden zu Staude brachte – eine Versicherung, die, von dem katholischen Reichsteile widersprochen und mit diesem Widerspruch in das Friedensinstrument eingetragen, keine Gesetzeskraft erhielt.
Wären es übrigens nur Meinungen gewesen, was die Gemüter trennte – wie gleichgültig hätte man dieser Trennung zugesehen! Aber an diesen Meinungen hingen Reichtümer, Würden und Rechte; ein Umstand, der die Scheidung unendlich erschwerte. Von zwei Brüdern, die das väterliche Vermögen bis hierher gemeinschaftlich genossen, verließ jetzt einer das väterliche Hans, und die Notwendigkeit trat ein, mit dem daheimbleibenden Bruder abzuteilen. Der Vater hatte für den Fall der Trennung nichts bestimmt, weil ihm von dieser Trennung nichts ahnen konnte. Aus den wohltätigen Stiftungen der Voreltern war der Reichtum der Kirche innerhalb eines Jahrtausends zusammengeflossen, und diese Voreltern gehörten dem Weggehenden ebenso gut an, als Dem, der zurückblieb. Haftete nun das Erbrecht bloß an dem väterlichen Hause, oder haftete es an dem Blut? Die Stiftungen waren an die katholische Kirche geschehen, weil damals noch keine andere vorhanden war; an den erstgeborenen Bruder, weil er damals noch der einzige Sohn war. Galt nun in der Kirche ein Recht der Erstgeburt, wie in adeligen Geschlechtern? Galt die Begünstigung des einen Teils, wenn ihm der andere noch nicht gegenüberstehen konnte? Konnten die Lutheraner von dem Genuss dieser Güter ausgeschlossen sein, an denen doch ihre Vorfahren mitstiften halfen, bloß allein deswegen ausgeschlossen sein, weil zu den Zeiten der Stiftung noch kein Unterschied zwischen Lutheranern und Katholischen stattfand? Beide Religionsparteien haben über diese Streitsache mit scheinbaren Gründen gegen einander gerechtet und rechten noch immer; aber es dürfte dem einen Teile so schwerfallen, als dem andern, sein Recht zu erweisen. Das Recht hat nur Entscheidungen für denkbare Fälle, und vielleicht gehören geistliche Stiftungen nicht unter diese; zum wenigsten dann nicht, wenn man die Forderungen ihrer Stifter auch auf dogmatische Sätze erstreckt – wie ist es denkbar, eine ewige Schenkung an eine wandelbare Meinung zu machen?
Wenn das Recht nicht entscheiden kann, so tut es die Stärke, und so geschah es hier. Der eine Teil behielt, was ihm nicht mehr zu nehmen war; der andere verteidigte, was er noch hatte. Alle vor dem Frieden weltlich gemachten Bistümer und Abteien verblieben den Protestanten; aber die Papisten verwahrten sich in einem eigenen Vorbehalt, dass künftig keine mehr weltlich gemacht würden. Jeder Besitzer eines geistlichen Stiftes, das dem Reich unmittelbar unterworfen war, Kurfürst, Bischof oder Abt, hat seine Benefizien und Würden verwirkt, sobald er zur protestantischen Kirche abfällt. Sogleich muss er seine Besitzungen räumen, und das Kapitel schreitet zu einer neuen Wahl, gleich als wäre seine Stelle durch einen Todesfall erledigt worden. An diesem heiligen Anker des geistlichen Vorbehalts, der die ganze zeitliche Existenz eines geistlichen Fürsten von seinem Glaubensbekenntnis abhängig machte, ist noch bis heute die katholische Kirche in Deutschland befestigt – und was würde aus ihr werden, wenn dieser Anker zerrisse? Der geistliche Vorbehalt erlitt einen hartnäckigen Widerspruch von Seiten der protestantischen Stände, und obgleich sie ihn zuletzt noch in das Friedensinstrument mit aufnahmen, so geschah es mit dem ausdrücklichen Beisatz, dass beide Parteien sich über diesen Punkt nicht verglichen hätten. Konnte er für den protestantischen Teil mehr verbindlich sein, als jene Versicherung Ferdinands zum Vorteil der protestantischen Untertanen in geistlichen Stiftern es für die katholischen war? Zwei Streitpunkte blieben also in dem Frieden zurück, und an diesen entzündete sich auch der Krieg.
So war es mit der Religionsfreiheit und mit den geistlichen Gütern; mit den Rechten und Würden war es nicht anders. Auf eine einzige Kirche war das deutsche Reichssystem berechnet, weil nur eine da war, als es sich bildete. Die Kirche hat sich getrennt, der Reichstag sich in zwei Religionsparteien geschieden – und doch soll das ganze Reichssystem ausschließend einer einzigen folgen? Alle bisherigen Kaiser waren Söhne der römischen Kirche gewesen, weil die römische Kirche in Deutschland bis jetzt ohne Nebenbuhlerin war. War es aber das Verhältnis mit Rom, was den Kaiser der Deutschen aufmachte, oder war es nicht vielmehr Deutschland, welches sich in seinem Kaiser repräsentierte? Zu dem ganzen Deutschland gehört aber auch der protestantische Teil – und wie repräsentiert sich nun dieser in einer ununterbrochenen Reihe katholischer Kaiser? – In dem höchsten Reichsgerichte richten die deutschen Stände sich selbst, weil sie selbst die Richter dazu stellen; dass sie sich selbst richteten, dass eine gleiche Gerechtigkeit allen zu Statten käme, war der Sinn seiner Stiftung – kann dieser Sinn erfüllt werden, wenn nicht beide Religionen darin sitzen? Dass zur Zeit der Stiftung in Deutschland noch ein einziger Glaube herrschte, war Zufall, – dass kein Stand den andern auf rechtlichem Wege unterdrücken sollte, war der wesentliche Zweck dieser Stiftung. Dieser Zweck aber ist verfehlt, wenn ein Religionsteil im ausschließenden Besitz ist, den andern zu richten – darf nun ein Zweck aufgeopfert werden, wenn sich ein Zufall verändert? – Endlich und mit Mühe erfochten die Protestanten ihrer Religion einen Sitz im Kammergerichte, aber noch immer keine ganz gleiche Stimmenzahl. – Zur Kaiserkrone hat noch kein protestantisches Haupt sich erhoben.
Was man auch von der Gleichheit sagen mag, welche der Religionsfriede zu Augsburg zwischen beiden deutschen Kirchen einführte, so ging die katholische doch unwidersprechlich als Siegerin davon. Alles, was die lutherische erhielt, war – Duldung; alles, was die katholische hingab, opferte sie der Not, und nicht der Gerechtigkeit. Immer war es noch kein Friede zwischen zwei gleichgeachteten Mächten, bloß ein Vertrag zwischen dem Herrn und einem unüberwundenen Rebellen! Aus diesem Prinzip scheinen alle Prozeduren der katholischen Kirche gegen die protestantische her geflossen zu sein und noch her zu fließen. Immer noch war es ein Verbrechen, zur protestantischen Kirche abzufallen, weil es mit einem so schweren Verlust geahndet wurde, als der geistliche Vorbehalt über abtrünnige geistliche Fürsten verhängt. Auch in den folgenden Zeiten setzte sich die katholische Kirche lieber aus, alles durch Gewalt zu verlieren, als einen kleinen Vorteil freiwillig und rechtlich aufzugeben; denn einen Raub zurückzunehmen, war noch Hoffnung, und immer war es nur ein zufälliger Verlust; aber ein aufgegebener Anspruch, ein den Protestanten zugestandenes Recht erschütterte die Grundpfeiler der katholischen Kirche. Bei dem Religionsfrieden selbst setzte man diesen Grundsatz nicht aus den Augen. Was man in diesem Frieden den Evangelischen preisgab, war nicht unbedingt aufgegeben. Alles, hieß es ausdrücklich, sollte nur bis auf die nächste allgemeine Kirchenversammlung gelten, welche sich beschäftigen würde, beide Kirchen wieder zu vereinigen. Dann erst, wenn dieser letzte Versuch misslänge, sollte der Religionsfriede eine absolute Gültigkeit haben. So wenig Hoffnung zu dieser Wiedervereinigung da war, so wenig es vielleicht den Katholischen selbst damit Ernst war, so viel hatte man dessen ungeachtet schon gewonnen, dass man den Frieden durch diese Bedingung beschränkte.
Dieser Religionsfriede also, der die Flamme des Bürgerkriegs auf ewige Zeiten ersticken sollte, war im Grunde nur eine temporäre Auskunft, ein Werk der Not und der Gewalt, nicht vom Gesetz der Gerechtigkeit diktiert, nicht die Frucht berichtigter Ideen über Religion und Religionsfreiheit. Einen Religionsfrieden von der letzten Art konnten die Katholischen nicht geben, und wenn man aufrichtig sein will. einen solchen vertrugen die Evangelischen noch nicht. Weit entfernt, gegen die Katholischen eine uneingeschränkte Billigkeit zu beweisen, unterdrückten sie, wo es in ihrer Macht stand, die Calvinisten, welche freilich eben so wenig eine Duldung in jenem bessern Sinne verdienten, da sie eben so weit entfernt waren, sie selbst auszuüben. Zu einem Religionsfrieden von dieser Natur waren jene Zeiten noch nicht reif und die Köpfe noch zu trübe. Wie konnte ein Teil von dem andern fordern, was er selbst zu leisten unvermögend war? Was eine jede Religionspartei in dem Augsburger Frieden rettete oder gewann, verdankte sie der Gewalt, dem zufälligen Machtverhältnis, in welchem beide bei Gründung des Friedens zu einander gestanden. Was durch Gewalt gewonnen wurde, musste behauptet werden durch Gewalt; jenes Machtverhältnis musste also auch fürs künftige fortdauern, oder der Friede verlor seine Kraft. Mit dem Schwerte in der Hand wurden die Grenzen zwischen beiden Kirchen gezeichnet; mit dem Schwerte mussten sie bewacht werden – oder wehe der früher entwaffneten Partei! Eine zweifelhafte schreckensvolle Aussicht für Deutschlands Ruhe, die aus dem Frieden selbst schon hervordrohte!
In dem Reiche erfolgte jetzt eine augenblickliche Stille, und ein flüchtiges Band der Eintracht schien die getrennten Glieder wieder in einen Reichskörper zu verknüpfen, dass auch das Gefühl für die gemeinschaftliche Wohlfahrt auf eine Zeitlang zurückkam. Aber die Trennung hatte das innerste Wesen getroffen, und die erste Harmonie wiederherzustellen, war vorbei. So genau der Friede die Rechtsgrenzen beider Teile bestimmt zu haben schien, so ungleichen Auslegungen blieb er nichtsdestoweniger unterworfen. Mitten in ihrem hitzigsten Kampfe hatte er den streitenden Parteien Stillstand auferlegt, er hatte den Feuerbrand zugedeckt, nicht gelöscht, und unbefriedigte Ansprüche blieben auf beiden Seiten zurück. Die Katholischen glaubten zu viel verloren, die Evangelischen zu wenig errungen zu haben; beide halfen sich damit, den Frieden, den sie jetzt noch nicht zu verletzen wagten, nach ihren Absichten zu erklären.
Dasselbe mächtige Motiv, welches so manche protestantischen Fürsten so geneigt gemacht hatte, Luthers Lehre zu umfassen, die Besitznehmung von den geistlichen Stiftern, war nach geschlossenem Frieden nicht weniger wirksam als vorher, und was von mittelbaren Stiftern noch nicht in ihren Händen war, musste bald in dieselben wandern. Ganz Niederdeutschland war in kurzer Zeit weltlich gemacht; und wenn es mit Oberdeutschland anders war, so lag es an dem lebhaftesten Widerstande der Katholischen, die hier das Übergewicht hatten. Jede Partei drückte oder unterdrückte, wo sie die mächtigere war, die Anhänger der andern; die geistlichen Fürsten besonders, als die wehrlosesten Glieder des Reicht, wurden unaufhörlich durch die Vergrößerungsbegierde ihrer unkatholischen Nachbarn geängstigt. Wer zu ohnmächtig war, Gewalt durch Gewalt abzuwenden, flüchtete sich unter die Flügel der Justiz, und die Spolienklagen gegen protestantische Stände häuften sich auf dem Reichsgericht an, welches bereitwillig genug war, den angeklagten Teil mit Sentenzen zu verfolgen, aber zu wenig unterstützt, um sie geltend zu machen. Der Friede, welcher den Ständen des Reichs die vollkommene Religionsfreiheit einräumte, hatte doch einigermaßen auch für den Untertan gesorgt, indem er ihm das Recht ausbedang, das Land, in welchem seine Religion unterdrückt war, unangefochten zu verlassen. Aber vor den Gewalttätigkeiten, womit der Landesherr einen gehassten Untertan drücken, vor den namenlosen Drangsalen, wodurch er dem Auswandernden den Abzug erschweren, vor den künstlich gelegten Schlingen, worein die Arglist, mit der Stärke verbunden, die Gemüter verstricken kann, konnte der tote Buchstabe dieses Friedas ihn nicht schützen. Der katholische Untertan protestantischer Herren klagte laut über Verletzung des Religionsfriedens – der evangelische noch lauter über die Bedrückungen, welche ihm von seiner katholischen Obrigkeit widerfuhren. Die Erbitterung und Streitsucht der Theologen vergiftete jeden Vorfall, der an sich unbedeutend war, und setzte die Gemüter in Flammen; glücklich genug, wenn sich diese theologische Wut an dem gemeinschaftlichen Religionsfeind erschöpft hätte, ohne gegen die eignen Religionsverwandten ihr Gift auszuspritzen.
Die Einigkeit der Protestanten unter sich selbst würde doch endlich hingereicht haben, beide streitende Parteien in einer gleichen Schwankung zu erhalten und dadurch den Frieden zu verlängern; aber, um die Verwirrung vollkommen zu machen, verschwand diese Eintracht bald. Die Lehre, welche Zwingli in Zürich und Calvin in Genf verbreitet hatten, fing bald auch in Deutschland an, festen Boden zu gewinnen und die Protestanten unter sich selbst zu entzweien, dass sie einander kaum mehr an etwas anderem als dem gemeinschaftlichen Hasse gegen das Papsttum erkannten. Die Protestanten in diesem Zeitraume glichen denjenigen nicht mehr, welche fünfzig Jahre vorher ihr Bekenntnis zu Augsburg übergeben hatten, und die Ursache dieser Veränderung ist – in eben diesem Augsburgischen Bekenntnis zu suchen. Dieses Bekenntnis setzte dem protestantischen Glauben eine positive Grenze, ehe noch der erwachte Forschungsgeist sich diese Grenze gefallen ließ, und die Protestanten verscherzten unwissend einen Teil des Gewinns, den ihnen der Abfall von dem Papsttum versicherte. Gleiche Beschwerden gegen die römische Hierarchie und gegen die Missbräuche in dieser Kirche, eine gleiche Missbilligung der katholischen Lehrbegriffe würden hinreichend gewesen sein, den Vereinigungspunkt für die protestantische Kirche abzugeben; aber sie suchten diesen Vereinigungspunkt in einem neuen positiven Glaubenssystem, setzten in dieses das Unterscheidungszeichen, den Vorzug, das Wesen ihrer Kirche und bezogen auf dieses den Vertrag, den sie mit den Katholischen schlossen. Bloß als Anhänger der Konfession gingen sie den Religionsfrieden ein; die Konfessionsverwandten allein hatten Teil an der Wohltat dieses Friedens. Wie also auch der Erfolg sein mochte, so stand es gleich schlimm um die Konfessionsverwandten. Dem Geist der Forschung war eine bleibende Schranke gesetzt, wenn den Vorschriften der Konfession ein blinder Gehorsam geleistet wurde; der Vereinigungspunkt aber war verloren, wenn man sich über die festgesetzte Formel entzweite. Zum Unglück ereignete sich Beides, und die schlimmen Folgen von Beidem stellten sich ein. Eine Partei hielt standhaft fest an dem ersten Bekenntnis; und wenn sich die Calvinisten davon entfernten, so geschah es nur, um sich auf ähnliche Art in einen neuen Lehrbegriff einzuschließen.
Keinen scheinbareren Vorwand hätten die Protestanten ihrem gemeinschaftlichen Feind geben können, als diese Uneinigkeit unter sich selbst, kein erfreuenderes Schauspiel, als die Erbitterung, womit sie einander wechselseitig verfolgten. Wer konnte es nun den Katholischen zum Verbrechen machen, wenn sie die Dreistigkeit lächerlich fanden, mit welcher die Glaubensverbesserer sich angemaßt hatten, das einzig wahre Religionssystem zu verkündigen? wenn sie von Protestanten selbst die Waffen gegen Protestanten entlehnten? wenn sie sich bei diesem Widerspruche der Meinungen an die Autorität ihres Glaubens festhielten, für welchen zum Teil doch ein ehrwürdiges Altertum und eine noch ehrwürdigere Stimmenmehrheit sprach? Aber die Protestanten kamen bei dieser Trennung auf eine noch ernsthaftere Art ins Gedränge. Auf die Konfessionsverwandten allein war der Religionsfriede gestellt, und die Katholischen drangen nun auf Erklärung, wen diese für ihren Glaubensgenossen erkannt wissen wollten. Die Evangelischen konnten die Reformierten in ihren Bund nicht einschließen, ohne ihr Gewissen zu beschweren; sie konnten sie nicht davon ausschließen, ohne einen nützlichen Freund in einen gefährlichen Feind zu verwandeln. So zeigte diese unselige Trennung den Machinationen der Jesuiten einen Weg, Misstrauen zwischen beide Parteien zu pflanzen und die Eintracht ihrer Maßregeln zu zerstören. Durch die doppelte Furcht vor den Katholiken und vor ihren eigenen protestantischen Gegnern gebunden, versäumten die Protestanten den nimmer wiederkehrenden Moment, ihrer Kirche ein durchaus gleiches Recht mit der römischen zu erfechten. Und allen diesen Verlegenheiten wären sie entgangen, der Abfall der Reformierten wäre für die gemeine Sache ganz unschädlich gewesen, wenn man den Vereinigungspunkt allein in der Entfernung von dem Papsttum, nicht in Augsburgischen Konfessionen, nicht in Koncordienwerken gesucht hätte.
So sehr man aber auch in allem Andern geteilt war, so begriff man doch einstimmig, dass eine Sicherheit, die man bloß der Machtgleichheit zu danken gehabt hatte, auch nur durch diese Machtgleichheit allein erhalten werden könne. Die fortwährenden Reformationen der einen Partei, die Gegenbemühungen der andern unterhielten die Wachsamkeit auf beiden Seiten, und der Inhalt des Religionsfriedens war die Losung eines ewigen Streits. Jeder Schritt, den der andere Teil tat, musste zu Kränkung dieses Friedens abzielen; jeder, den man sich selbst erlaubte, geschah zur Aufrechthaltung dieses Friedens. Nicht alle Bewegungen der katholischen hatten eine angreifende Absicht, wie ihnen von der Gegenpartei Schuld gegeben wird; Vieles, was sie taten, machte ihnen die Selbstverteidigung zur Pflicht. Die Protestanten hatten auf eine nicht zweideutige Art gezeigt, wozu die Katholischen sich zu versehen hätten, wenn sie das Unglück haben sollten, der unterliegende Teil zu sein. Die Lüsternheit der Protestanten nach den geistlichen Gütern ließ sie keine Schonung, ihr Hass keine Großmut, keine Duldung erwarten.
Aber auch den Protestanten war es zu verzeihen, wenn sie zu der Redlichkeit der Papisten wenig Vertrauen zeigten. Durch die treulose und barbarische Behandlungsart, welche man sich in Spanien, Frankreich und den Niederlanden gegen ihre Glaubensgenossen erlaubte, durch die schändliche Ausflucht katholischer Fürsten, sich von den heiligsten Eiden durch den Papst lossprechen zu lassen, durch den abscheulichen Grundsatz, dass gegen Ketzer kein Treu und Glaube zu beobachten sei, hatte die katholische Kirche in den Augen aller Redlichen ihre Ehre verloren. Keine Versicherung, kein noch so fürchterlicher Eid konnte aus dem Munde eines Papisten den Protestanten beruhigen. Wie hätte der Religionsfriede es gekonnt, den die Jesuiten durch ganz Deutschland nur als ein Interim, als eine einstweilige Konvenienz abschilderten, der in Rom selbst feierlich verworfen ward!
Die allgemeine Kirchenversammlung, auf welche in diesem Frieden hingewiesen worden, war unterdessen in der Stadt Trident vor sich gegangen; aber, wie man nicht anders erwartet hatte, ohne die streitenden Religionen vereinigt, ohne auch nur einen Schritt zu dieser Vereinigung getan zu haben, ohne von den Protestanten auch nur beschickt worden zu sein. Feierlich waren diese nunmehr von der Kirche verdammt, für deren Repräsentanten sich das Consilium ausgab. – Konnte ihnen ein profaner und noch dazu durch die Waffen erzwungener Vertrag vor dem Bann der Kirche eine hinlängliche Sicherheit geben – ein Vertrag, der sich auf eine Bedingung stützte, welche der Schluss des Consilium aufzuheben schien? An einem Scheine des Rechts fehlte es also nicht mehr, wenn sich die Katholischen sonst mächtig genug fühlten, den Religionsfrieden zu verletzen – von jetzt an schützte die Protestanten nichts mehr, als der Respekt vor ihrer Macht.
Mehreres kam dazu, das Misstrauen zu vermehren. Spanien, an welche Macht das katholische Deutschland sich lehnte, lag damals mit den Niederländern in einem heftigen Kriege, der den Kern der spanischen Macht an die Grenzen Deutschlands gezogen hatte. Wie schnell standen diese Truppen im Reiche, wenn ein entscheidender Streich sie hier notwendig machte! Deutschland war damals eine Vorratskammer des Kriegs für fast alle europäischen Mächte. Der Religionskrieg hatte Soldaten darin angehäuft, die der Friede außer Brod setzte. So vielen voneinander unabhängigen Fürsten war es leicht, Kriegsheere zusammenzubringen, welche sie alsdann, sei's aus Gewinnsucht oder aus Parteigeist, an fremde Mächte verliehen. Mit deutschen Truppen bekriegte Philipp der Zweite die Niederlande, und mit deutschen Truppen verteidigten sie sich. Eine jede solche Truppenwerbung in Deutschland schreckte immer eine von beiden Religionsparteien auf; sie konnte zu ihrer Unterdrückung abzielen. Ein herumwandernder Gesandte, ein außerordentlicher päpstlicher Legat, eine Zusammenkunft von Fürsten, jede ungewöhnliche Erscheinung musste dem einen oder dem andern Teile Verderben bereiten. So stand Deutschland gegen ein halbes Jahrhundert, die Hand an dem Schwert; jedes rankende Blatt erschreckte.
Ferdinand der Erste, König von Ungarn, und sein vortrefflicher Sohn, Maximilian der Zweite, hielten in dieser bedenklichen Epoche die Zügel des Reichs. Mit einem Herzen voll Aufrichtigkeit, mit einer wirklich heroischen Geduld hatte Ferdinand den Religionsfrieden zu Augsburg vermittelt und an den undankbaren Versuch, beide Kirchen auf dem Consilium zu Trident zu vereinigen, eine vergebliche Mühe verschwendet. Von seinem Neffen, dem spanischen Philipp, im Stich gelassen, zugleich in Siebenbürgen und Ungarn von den siegreichen Waffen der Türken bedrängt, wie hätte sich dieser Kaiser sollen in den Sinn kommen lassen, den Religionsfrieden zu verletzen und sein eigenes mühevolles Werk zu vernichten? Der große Aufwand des immer sich erneuernden Türkenkriegs konnte von den sparsamen Beiträgen seiner erschöpften Erblande nicht bestritten werden; er brauchte also den Beistand des Reichs, und der Religionsfriede allein hielt das geteilte Reich noch in einem Körper zusammen. Das ökonomische Bedürfnis machte ihm die Protestanten nicht weniger nötig, als die Katholischen, und legte ihm also auf, beide Teile mit gleicher Gerechtigkeit zu behandeln, welches bei so sehr widerstreitenden Forderungen ein wahres Riesenwerk war. Auch fehlte viel, dass der Erfolg seinen Wünschen entsprochen hätte: seine Nachgiebigkeit gegen die Protestanten hatte bloß dazu gedient, seinen Enkeln den Krieg aufzuheben, der sein sterbendes Auge verschonte. Nicht viel glücklicher war sein Sohn Maximilian, den vielleicht nur der Zwang der Umstände hinderte, dem vielleicht nur ein längeres Leben fehlte, um die neue Religion auf den Kaiserthron zu erheben. Den Vater hatte die Notwendigkeit Schonung gegen die Protestanten gelehrt; die Notwendigkeit und die Billigkeit diktierten sie seinem Sohne. Der Enkel büßte es teuer, dass er weder die Billigkeit hörte, noch der Notwendigkeit gehorchte.
Sechs Söhne hinterließ Maximilian, aber nur der älteste von diesen, Erzherzog Rudolph, erbte seine Staaten und bestieg den kaiserlichen Thron; die übrigen Brüder wurden mit schwachen Apanagen abgefunden. Wenige Nebenländer gehörten einer Seitenlinie an, welche Karl von Steiermark, ihr Oheim, fortführte; doch wurden auch diese schon unter Ferdinand dem Zweiten, seinem Sohne, mit der übrigen Erbschaft vereinigt. Diese Länder also ausgenommen versammelte sich nunmehr die ganze ansehnliche Macht des Hauses Österreich in einer einzigen Hand, aber zum Unglück in einer schwachen.
Rudolph der Zweite war nicht ohne Tugenden, die ihm die Liebe der Menschen hätten erwerben müssen, wenn ihm das Loos eines Privatmannes gefallen wäre. Sein Charakter war mild, er liebte den Frieden, und den Wissenschaften – besonders der Astronomie, Naturlehre, Chemie und dem Studium der Antiquitäten – ergab er sich mit einem leidenschaftlichen Hange, der ihn aber zu einer Zeit, wo die bedenkliche Lage der Dinge die angestrengteste Aufmerksamkeit heischte und seine erschöpften Finanzen die höchste Sparsamkeit nötig machten, von Regierungsgeschäften zurückzog und zu einer höchst schädlichen Verschwendung reizte. Sein Geschmack an der Sternkunst verirrte sich in astrologische Träumereien, denen sich ein melancholisches und furchtsames Gemüt, wie das seinige war, so leicht überliefert. Dieses und eine in Spanien zugebrachte Jugend öffnete sein Ohr den schlimmen Ratschlägen der Jesuiten und den Eingebungen des spanischen Hofs, die ihn zuletzt unumschränkt beherrschten. Von Liebhabereien angezogen, die seines großen Postens so wenig würdig waren, und von lächerlichen Wahrsagungen geschreckt, verschwand er nach spanischer Sitte vor seinen Untertanen, um sich unter seinen Gemmen und Antiken, in seinem Laboratorium, in seinem Marstalle zu verbergen, während dass die gefährlichste Zwietracht alle Bande des deutschen Staatskörpers auflöste und die Flamme der Empörung schon anfing, an die Stufen seines Thrones zu schlagen. Der Zugang zu ihm war Jedem ohne Ausnahme versperrt; unausgefertigt lagen die dringendsten Geschäfte; die Aussicht auf die reiche spanische Erbschaft verschwand, weil er unschlüssig blieb, der Infantin Isabella seine Hand zu geben; dem Reiche drohte die fürchterlichste Anarchie, weil er, obgleich selbst ohne Erben, nicht dahin zu bringen war, einen römischen König erwählen zu lassen. Die österreichischen Landstände sagten ihm den Gehorsam auf, Ungarn und Siebenbürgen entrissen sich seiner Hoheit, und Böhmen säumte nicht lange, diesem Beispiel zu folgen. Die Nachkommenschaft des so gefürchteten Karls des Fünften schwebte in Gefahr, einen Teil ihrer Besitzungen an die Türken, den andern an die Protestanten zu verlieren und unter einem furchtbaren Fürstenbund, den ein großer Monarch in Europa gegen sie zusammenzog, ohne Rettung zu erliegen. In dem Innern Deutschlands geschah, was von jeher geschehen war, wenn es dem Thron an einem Kaiser, oder dem Kaiser an einem Kaisersinne fehlte. Gekränkt oder im Stich gelassen von dem Reichsoberhaupt, helfen die Stände sich selbst, und Bündnisse müssen ihnen die fehlende Autorität des Kaisers ersetzen. Deutschland teilt sich in zwei Unionen, die einander gewaffnet gegenüberstehen; Rudolph, ein verachteter Gegner der einen und ein ohnmächtiger Beschützer der andern, steht müßig und überflüssig zwischen beiden, gleich unfähig, die erste zu zerstreuen und über die andere zu herrschen. Was hätte auch das Deutsche Reich von einem Fürsten erwarten sollen, der nicht einmal vermögend war, seine eigenen Erbländer gegen einen innerlichen Feind zu behaupten? Den gänzlichen Ruin des österreichischen Geschlechts aufzuhalten, tritt sein eigenes Haus gegen ihn zusammen, und eine mächtige Faktion wirft sich seinem Bruder in die Arme. Aus allen seinen Erbstaaten vertrieben, bleibt ihm nichts mehr zu verlieren, als der Kaiserthron, und der Tod reißt ihn noch eben zeitig genug weg, um ihm diese letzte Schande zu ersparen.
Deutschlands schlimmer Genius war es, der ihm gerade in dieser bedenklichen Epoche, wo nur eine geschmeidige Klugheit und ein mächtiger Arm den Frieden des Reichs retten konnte, einen Rudolph zum Kaiser gab. In einem ruhigeren Zeitpunkt hätte der deutsche Staatskörper sich selbst geholfen, und in einer mystischen Dunkelheit hätte Rudolph, wie so viele andre seines Ranges, seine Blößen versteckt. Das dringende Bedürfnisse der Tugenden, die ihm fehlten, riss seine Unfähigkeit ans Licht. Deutschlands Lage forderte einen Kaiser, der durch eigne Hilfsmittel seinen Entscheidungen Gewicht geben konnte, und die Erbstaaten Rudolphs, so ansehnlich sie auch waren, befanden sich in einer Lage, die den Regenten in die äußerste Verlegenheit setzte.
Die österreichischen Prinzen waren zwar katholische Fürsten, und noch dazu Stützen des Papsttums; aber es fehlte viel, dass ihre Länder katholische Länder gewesen wären. Auch in diese Gegenden waren die neuen Meinungen eingedrungen, und begünstigt von Ferdinands Bedrängnissen und Maximilians Güte, hatten sie sich mit schnellem Glück in denselben verbreitet. Die österreichischen Länder zeigten im Kleinen, was Deutschland im Großen war. Der größere Teil des Herren- und Ritterstandes war evangelisch, und in den Städten hatten die Protestanten bei weitem das Übergewicht errungen. Nachdem es ihnen geglückt war, Einige aus ihrem Mittel in die Landschaft zu bringen, so wurde unvermerkt eine landschaftliche Stelle nach der andern, ein Collegium nach dem andern mit Protestanten besetzt und die Katholiken daraus verdrängt. Gegen den zahlreichen Herren- und Ritterstand und die Abgeordneten der Städte war die Stimme weniger Prälaten zu schwach, welche das ungezogene Gespötte und die kränkende Verachtung der Übrigen noch vollends von dem Landtag verscheuchte. So war unvermerkt der ganze österreichische Landtag protestantisch, und die Reformation tat von jetzt an die schnellsten Schritte zu einer öffentlichen Existenz. Von den Landständen war der Regent abhängig, weil sie es waren, die ihm die Steuern abschlagen und bewilligen konnten. Sie benutzten die Geldbedürfnisse, in denen sich Ferdinand und sein Sohn befanden, eine Religionsfreiheit nach der andern von diesen Fürsten zu erpressen. Dem Herren- und Ritterstand gestattete endlich Maximilian die freie Ausübung ihrer Religion, doch nur auf ihren eigenen Territorien und Schlössern. Der unbescheidene Schwärmereifer der evangelischen Prediger überschritt dieses von der Weisheit gesteckte Ziel. Dem ausdrücklichen Verbot zuwider ließen sich mehrere derselben in den Landstädten und selbst zu Wien öffentlich hören, und das Volk drängte sich scharenweise zu diesem neuen Evangelium, dessen beste Würze Anzüglichkeiten und Schimpfreden ausmachten. So wurde dem Fanatismus eine immerwährende Nahrung gegeben und der Hass beider einander so nahestehenden Kirchen durch den Stachel ihres unreinen Eifers vergiftet.
Unter den Erbstaaten des Hauses Österreich war Ungarn nebst Siebenbürgen die unsicherste und am schwersten zu behauptende Besitzung. Die Unmöglichkeit, diese beiden Länder gegen die nahe und überlegene Macht der Türken zu behaupten, hatte schon Ferdinanden zu dem unrühmlichen Schritte vermocht, der Pforte durch einen jährlichen Tribut die oberste Hoheit über Siebenbürgen einzugestehen – ein schädliches Bekenntnis der Ohnmacht und eine noch gefährlichere Anreizung für den unruhigen Adel, wenn er Ursache zu haben glaubte, sich über seinen Herrn zu beschweren. Die Ungarn hatten sich dem Hause Österreich nicht unbedingt unterworfen. Sie behaupteten die Wahlfreiheit ihrer Krone und forderten trotzig alle ständischen Rechte, welche von dieser Wahlfreiheit unzertrennlich sind. Die nahe Nachbarschaft des türkischen Reichs und die Leichtigkeit, ungestraft ihren Herrn zu wechseln, bestärkte die Magnaten noch mehr in diesem Trotze; unzufrieden mit der österreichischen Regierung, warfen sie sich den Osmanen in die Arme; unbefriedigt von diesen, kehrten sie unter deutsche Hoheit zurück. Der öftere und rasche Übergang von einer Herrschaft zur andern hatte sich auch ihrer Denkungsart mitgeteilt; ungewiss, wie ihr Land zwischen deutscher und ottomanischer Hoheit schwebte, schwankte auch ihr Sinn zwischen Abfall und Unterwerfung. Je unglücklicher beide Länder sich fühlten, zu Provinzen einer auswärtigen Monarchie herabgesetzt zu sein, desto unüberwindlicher war ihr Bestreben, einem Herrn aus ihrer Mitte zu gehorchen; und so wurde es einem unternehmenden Edelmann nicht schwer, ihre Huldigung zu erhalten. Voll Bereitwilligkeit reichte der nächste türkische Bassa einem Rebellen gegen Österreich Zepter und Krone; ebenso bereitwillig bestätigte man in Österreich einem andern den Besitz der Provinzen, die er der Pforte entrissen hatte, zufrieden, auch nur einen Schatten von Hoheit gerettet und eine Vormauer gegen die Türken dadurch gewonnen zu haben. Mehrere solcher Magnaten, Bathori, Boschkai, Ragoczi, Bethlen, standen auf diese Art nach einander in Siebenbürgen und Ungarn als zinsbare Könige auf, welche sich durch keine andere Staatskunst erhielten, als diese: sich an den Feind anzuschließen, um ihrem Herrn desto furchtbarer zu sein.
Ferdinand, Maximilian und Rudolph, alle Drei Beherrscher von Siebenbürgen und Ungarn, erschöpften das Mark ihrer übrigen Länder, um diese beiden gegen die Überschwemmungen der Türken und gegen innere Rebellionen zu behaupten. Verheerende Kriege wechselten auf diesem Boden mit kurzen Waffenstillständen ab, die nicht viel besser waren. Verwüstet lag weit und breit das Land, und der misshandelte Untertan führte gleich große Beschwerden über seinen Feind und seinen Beschützer. Auch in diese Länder war die Reformation eingedrungen, wo sie unter dem Schutze der ständischen Freiheit, unter der Decke des Tumults, merkliche Fortschritte machte. Auch diese tastete man jetzt unvorsichtig an, und der politische Faktionsgeist wurde gefährlicher durch religiöse Schwärmerei. Der siebenbürgische und ungarische Adel erhebt, von einem kühnen Rebellen Boschkai angeführt, die Fahne der Empörung. Die Aufrührer in Ungarn sind im Begriff, mit den missvergnügten Protestanten in Österreich, Mähren und Böhmen gemeine Sache zu machen und alle diese Länder in einer furchtbaren Rebellion fortzureißen. Dann war der Untergang des Hauses Österreich gewiss, der Untergang des Papsttums in diesen Ländern unvermeidlich.
Längst schon hatten die Erzherzoge von Österreich, des Kaisers Brüder, dem Verderben ihres Hauses mit stillem Unwillen zugesehen; dieser letzte Vorfall bestimmte ihren Entschluss. Erzherzog Matthias, Maximilians zweiter Sohn, Statthalter in Ungarn und Rudolphs vermutlicher Erbe, trat hervor, Habsburgs sinkendem Hause sich zur Stütze anzubieten. In jugendlichen Jahren und von einer falschen Ruhmbegierde übereilt, hatte dieser Prinz, dem Interesse seines Hauses zuwider, den Einladungen einiger niederländischen Rebellen Gehör gegeben, welche ihn in ihr Vaterland riefen, um die Freiheiten der Nation gegen seinen eigenen Anverwandten, Philipp den Zweiten, zu verteidigen. Matthias, der in der Stimme einer einzelnen Faktion die Stimme des ganzen niederländischen Volks zu vernehmen glaubte, erschien auf diesen Ruf in den Niederlanden. Aber der Erfolg entsprach ebenso wenig den Wünschen der Brabanter, als seinen eigenen Erwartungen, und ruhmlos zog er sich aus einer unweisen Unternehmung. Desto ehrenvoller war seine zweite Erscheinung in der politischen Welt.
Nachdem seine wiederholtesten Aufforderungen an den Kaiser ohne Wirkung geblieben, berief er die Erzherzoge, seine Brüder und Vettern, nach Preßburg und pflog Rath mit ihnen über des Hauses wachsende Gefahr. Einstimmig übertragen die Brüder ihm, als dem Ältesten, die Verteidigung ihres Erbteils, das ein blödsinniger Bruder verwahrloste. Alle ihre Gewalt und Rechte legen sie in die Hand dieses Ältesten und bekleiden ihn mit souveräner Vollmacht, über das gemeine Beste nach Einsicht zu verfügen. Alsobald eröffnet Matthias Unterhandlungen mit der Pforte und mit den ungarischen Rebellen, und seiner Geschicklichkeit gelingt es, den Überrest Ungarns durch einen Frieden mit den Türken und durch einen Vertrag mit den Rebellen Österreichs Ansprüche auf die verlorenen Provinzen zu retten. Aber Rudolph, ebenso eifersüchtig auf seine landesherrliche Gewalt, als nachlässig, sie zu behaupten, hält mit der Bestätigung dieses Friedens zurück, den er als einen strafbaren Eingriff in seine Hoheit betrachtet. Er beschuldigt den Erzherzog eines Verständnisses mit dem Feind und verräterischer Absichten auf die ungarische Krone.
Die Geschäftigkeit des Matthias war nichts weniger als frei von eigennützigen Entwürfen gewesen; aber das Betragen des Kaisers beschleunigte die Ausführung dieser Entwürfe. Der Zuneigung der Ungarn, denen er kürzlich den Frieden geschenkt hatte, durch Dankbarkeit, durch seine Unterhändler der Ergebenheit des Adels versichert und in Österreich selbst eines zahlreichen Anhangs gewiss, wagt er es nun, mit seinen Absichten lauter hervorzutreten und, die Waffen in der Hand, mit dem Kaiser zu rechten. Die Protestanten in Österreich und Mähren, lange schon zum Aufstand bereit und jetzt von dem Erzherzog durch die versprochene Religionsfreiheit gewonnen, nehmen laut und öffentlich seine Partei, und ihre längst gedrohte Verbindung mit den rebellischen Ungarn kommt wirklich zu Stande. Eine furchtbare Verschwörung hat sich auf einmal gegen den Kaiser gebildet. Zu spät entschließt er sich, den begangenen Fehler zu verbessern; umsonst versucht er, diesen verderblichen Bund aufzulösen. Schon hat alles die Waffen in der Hand; Ungarn, Österreich und Mähren haben dem Matthias gehuldigt, welcher schon auf dem Wege nach Böhmen ist, um dort den Kaiser in seiner Burg aufzusuchen und die Nerven seiner Macht zu zerschneiden.
Das Königreich Böhmen war für Österreich eine nicht viel ruhigere Besitzung als Ungarn, nur mit dem Unterschied, dass hier mehr politische Ursachen, dort mehr die Religion die Zwietracht unterhielten. In Böhmen war ein Jahrhundert vor Luthern das erste Feuer der Religionskriege ausgebrochen, in Böhmen entzündete sich ein Jahrhundert nach Luthern die Flamme des dreißigjährigen Kriegs. Die Sekte, welcher Johann Huß die Entstehung gegeben, lebte seitdem noch fort in Böhmen, einig mit der römischen Kirche in Zeremonie und Lehre, den einzigen Artikel des Abendmahls ausgenommen, welches der Hussite in beiden Gestalten genoss. Dieses Vorrecht hatte die Baselische Kirchenversammlung in einem eigenen Vertrage (den böhmischen Compactaten) Hussens Anhängern zugestanden, und wiewohl es nachher von den Päpsten widersprochen wurde, so fuhren sie dennoch fort, es unter dem Schutz der Gesetze zu genießen. Da der Gebrauch des Kelchs das einzige erhebliche Unterscheidungszeichen dieser Sekte ausmachte, so bezeichnete man sie mit dem Namen der Utraquisten (der in beiderlei Gestalt Kommunizierenden), und sie gefielen sich in diesem Namen, weil er sie an ihr so teures Vorrecht erinnerte. Aber in diesem Namen verbarg sich auch die weit strengere Sekte der böhmischen und mährischen Brüder, welche in weit bedeutenderen Punkten von der herrschenden Kirche abwichen und mit den deutschen Protestanten sehr viel Ähnliches hatten. Bei beiden machten die deutschen sowohl als die schweizerischen Religionsneuerungen ein schnelles Glück, und der Name der Utraquisten, womit sie ihre veränderten Grundsätze noch immer zu bedecken wussten, schützte sie vor der Verfolgung.
Im Grunde war es nichts mehr als der Name, was sie mit jenen Utraquisten gemein hatten; dem Wesen nach waren sie ganz Protestanten. Voll Zuversicht auf ihren mächtigen Anhang und auf des Kaisers Toleranz, wagten sie sich unter Maximilians Regierung mit ihren wahren Gesinnungen an das Licht. Sie setzten nach dem Beispiel der Deutschen eine eigene Konfession auf, in welcher sowohl Lutheraner als Reformierte ihre Meinungen erkannten, und wollten alle Privilegien der ehemaligen utraquistischen Kirche auf diese neue Konfession übertragen haben. Dieses Gesuch fand Widerspruch bei ihren katholischen Mitständen, und sie mussten sich mit einem bloßen Wort der Versicherung aus dem Munde des Kaisers begnügen.
So lange Maximilian lebte, genossen sie einer vollkommenen Duldung auch in ihrer neuen Gestalt; unter seinem Nachfolger änderte sich die Scene. Ein kaiserliches Edikt erschien, welches den sogenannten böhmischen Brüdern die Religionsfreiheit absprach. Die böhmischen Brüder unterschieden sich in nichts von den übrigen Utraquisten; das Urteil ihrer Verdammung musste daher alle böhmischen Konfessionsverwandten auf gleiche Art treffen. Alle setzten sich deswegen dem kaiserlichen Mandat auf dem Landtag entgegen, aber ohne es umstoßen zu können. Der Kaiser und die katholischen Stände stützten sich auf die Compactaten und auf das böhmische Landrecht, worin sich freilich zum Vorteil einer Religion noch nichts fand, die damals die Stimme der Nation noch nicht für sich hatte. Aber wie viel hatte sich seitdem verändert! Was damals bloß eine unbedeutende Sekte war, war jetzt herrschende Kirche geworden – und war es nun etwas anders, als Chikane, die Grenzen einer neu aufgekommenen Religion durch alte Verträge bestimmen zu wollen? Die böhmischen Protestanten beriefen sich auf die mündliche Versicherung Maximilians und auf die Religionsfreiheit der Deutschen, denen sie in keinem Stücke nachgesetzt sein wollten. Umsonst, sie wurden abgewiesen.
So standen die Sachen in Böhmen, als Matthias, bereits Herr von Ungarn, Österreich und Mähren, bei Kollin erschien, auch die böhmischen Landstände gegen den Kaiser zu empören. Des Letzteren Verlegenheit stieg aufs höchste. Von allen seinen übrigen Erbstaaten verlassen, setzte er seine letzte Hoffnung auf die böhmischen Stände, von denen vorauszusehen war, dass sie seiner Not zu Durchsetzung ihrer Forderungen missbrauchen würden. Nach langen Jahren erschien er zu Prag wieder öffentlich auf dem Landtag, und um auch dem Volke zu zeigen, dass er wirklich noch lebe, mussten alle Fensterläden auf dem Hofgang geöffnet werden, den er passierte; Beweis genug, wie weit es mit ihm gekommen war. Was er befürchtet hatte, geschah. Die Stände, welche ihre Wichtigkeit fühlten, wollten sich nicht eher zu einem Schritt verstehen, bis man ihnen über ihre ständischen Privilegien und die Religionsfreiheit vollkommene Sicherheit geleistet hätte. Es war vergeblich, sich jetzt noch hinter die alten Ausflüchte zu verkriechen; des Kaisers Schicksal war in ihrer Gewalt, und er musste sich in die Notwendigkeit fügen. Doch geschah dieses nur in Betreff ihrer übrigen Forderungen; die Religionsangelegenheiten behielt er sich vor auf dem nächsten Landtag zu berichtigen.
Nun ergriffen die Böhmen die Waffen zu seiner Verteidigung, und ein blutiger Bürgerkrieg sollte sich nun zwischen beiden Brüdern entzünden. Aber Rudolph, der nichts so sehr fürchtete, als in dieser sklavischen Abhängigkeit von den Ständen zu bleiben, erwartete diesen nicht, sondern eilte, sich mit dem Erzherzog, seinem Bruder, auf einem friedlichen Wege abzufinden. In einer förmlichen Entsagungsakte überließ er demselben, was ihm nicht mehr zu nehmen war, Österreich und das Königreich Ungarn, und erkannte ihn als seinen Nachfolger auf dem böhmischen Thron.
Teuer genug hatte sich der Kaiser aus diesem Bedrängnis gezogen, um sich unmittelbar darauf in einem neuen zu verwickeln. Die Religionsangelegenheiten der Böhmen waren auf den nächsten Landtag verwiesen worden; dieser Landtag erschien 1609. Sie forderten dieselbe freie Religionsübung, wie unter dem vorigen Kaiser, ein eigenes Consistorium, die Einräumung der Prager Akademie und die Erlaubnis, Defensoren oder Freiheitsbeschützer aus ihrem Mittel aufzustellen. Es blieb bei der ersten Antwort; denn der katholische Teil hatte alle Entschließungen des furchtsamen Kaisers gefesselt. So oft und in so drohender Sprache auch die Stände ihre Vorstellungen erneuerten, Rudolph beharrte auf der ersten Erklärung, nichts über die alten Verträge zu bewilligen. Der Landtag ging unverrichteter Dinge auseinander, und die Stände, aufgebracht über den Kaiser, verabredeten unter sich eine eigenmächtige Zusammenkunft zu Prag, um sich selbst zu helfen.
In großer Anzahl erschienen sie zu Prag. Des kaiserlichen Verbots ungeachtet, gingen die Beratschlagungen vor sich, und fast unter den Augen des Kaisers. Die Nachgiebigkeit, die er anfing zu zeigen, bewies ihnen nur, wie sehr sie gefürchtet waren, und vermehrte ihren Trotz; in der Hauptsache blieb er unbeweglich. Sie erfüllten ihre Drohungen und fassten ernstlich den Entschluss, die freie Ausübung ihrer Religion an allen Orten von selbst anzustellen und den Kaiser so lange in seinen Bedürfnissen zu verlassen, bis er diese Verfügung bestätigt hätte. Sie gingen weiter und gaben sich selbst die Defensoren, die der Kaiser ihnen verweigerte. Zehen aus jedem der drei Stände wurden ernannt; man beschloss, auf das schleunigste eine militärische Macht zu errichten, wobei der Hauptbeförderer dieses Aufstands, der Graf von Thurn, als Generalwachtmeister angestellt wurde. Dieser Ernst brachte endlich den Kaiser zum Nachgeben, wozu jetzt sogar die Spanier ihm rieten. Aus Furcht, dass die aufs Äußerste gebrachten Stände sich endlich gar dem König von Ungarn in die Arme werfen möchten, unterzeichnete er den merkwürdigen Majestätsbrief der Böhmen, durch welchen sie unter den Nachfolgern dieses Kaisers ihren Aufruhr gerechtfertigt haben.
Die böhmische Konfession, welche die Stände dem Kaiser Maximilian vorgelegt hatten, erhielt in diesem Majestätsbrief vollkommen gleiche Rechte mit der katholischen Kirche. Den Utraquisten, wie die böhmischen Protestanten noch immer fortfuhren sich zu nennen, wird die Prager Universität und ein eigenes Consistorium zugestanden, welches von dem erzbischöflichen Stuhle zu Prag durchaus unabhängig ist. Alle Kirchen, die sie zur Zeit der Ausstellung dieses Briefes in Städten, Dörfern und Märkten bereits inne haben, sollen ihnen bleiben, und wenn sie über diese Zahl noch neue erbauen lassen wollten, so soll dieses dem Herren- und Ritterstande und allen Städten unverboten sein. Diese letzte Stelle im Majestätsbriefe ist es, über welche sich nachher der unglückliche Streit entspann, der Europa in Flammen setzte.
Der Majestätsbrief machte das protestantische Böhmen zu einer Art von Republik. Die Stände hatten die Macht kennen lernen, die sie durch Standhaftigkeit, Eintracht und Harmonie in ihren Maßregeln gewannen. Dem Kaiser blieb nicht viel mehr, als ein Schatten seiner landesherrlichen Gewalt; in der Person der sogenannten Freiheitsbeschützer wurde dem Geist des Aufruhrs eine gefährliche Aufmunterung gegeben. Böhmens Beispiel und Glück war ein verführerischer Wink für die übrigen Erbstaaten Österreichs, und alle schickten sich an, ähnliche Privilegien auf einem ähnlichen Wege zu erpressen. Der Geist der Freiheit durchlief eine Provinz nach der andern; und da es vorzüglich die Uneinigkeit zwischen den österreichischen Prinzen war, was die Protestanten so glücklich zu benutzen gewusst hatten, so eilte man, den Kaiser mit dem König von Ungarn zu versöhnen.
Aber diese Versöhnung konnte nimmermehr aufrichtig sein. Die Beleidigung war zu schwer, um vergeben zu werden, und Rudolph fuhr fort, einen unauslöschlichen Hass gegen Matthias in seinem Herzen zu nähren. Mit Schmerz und Unwillen verweilte er bei dem Gedanken, dass endlich auch das böhmische Szepter in eine so verhasste Hand kommen sollte; und die Aussicht war nicht viel tröstlicher für ihn, wenn Matthias ohne Erben abginge. Alsdann war Ferdinand, Erzherzog von Grätz, das Haupt der Familie, den er eben so wenig liebte. Diesen sowohl als den Matthias von der böhmischen Thronfolge auszuschließen, verfiel er auf den Entwurf, Ferdinands Bruder, dem Erzherzog Leopold, Bischof von Passau, der ihm unter allen seinen Agnaten der liebste und der verdienteste um seine Person war, diese Erbschaft zuzuwenden. Die Begriffe der Böhmen von der Wahlfreiheit ihres Königreichs und ihre Neigung zu Leopolds Person schienen diesen Entwurf zu begünstigen, bei welchem Rudolph mehr seine Parteilichkeit und Rachgier als das Beste seines Hauses zu Rate gezogen hatte. Aber um dieses Projekt durchzusetzen, bedurfte es einer militärischen Macht, welche Rudolph auch wirklich im Bistum Passau zusammenzog. Die Bestimmung dieses Corps wusste Niemand; aber ein unversehener Einfall, den es, aus Abgang des Soldes und ohne Wissen des Kaisers, in Böhmen tat, und die Ausschweifungen, die es da verübte, brachte dieses ganze Königreich in Aufruhr gegen den Kaiser. Umsonst versicherte dieser die böhmischen Stände seiner Unschuld – sie glaubten ihm nicht; umsonst versuchte er den eigenmächtigen Gewalttätigkeiten seiner Soldaten Einhalt zu tun – sie hörten ihn nicht. In der Voraussetzung, dass es auf Vernichtung des Majestätsbriefes abgesehen sei, bewaffneten die Freiheitsbeschützer das ganze protestantische Böhmen, und Matthias wurde ins Land gerufen. Nach Verjagung seiner Passauischen Truppen blieb der Kaiser, entblößt von aller Hilfe, zu Prag, wo man ihn, gleich einem Gefangenen, in seinem eigenen Schloss bewachte und alle seine Räte von ihm entfernte. Matthias war unterdessen unter allgemeinem Frohlocken in Prag eingezogen, wo Rudolph kurz nachher kleinmütig genug war, ihn als König von Böhmen anzuerkennen. So hart strafte diesen Kaiser das Schicksal, dass er seinem Feind noch lebend einen Thron überlassen musste, den er ihm nach seinem Tode nicht gegönnt hatte. Seine Demütigung zu vollenden, nötigte man ihn, seine Untertanen in Böhmen, Schlesien und der Lausitz durch eine eigenhändige Entsagungsakte aller ihrer Pflichten zu entlassen; und er tat dieses mit zerrissener Seele. Alles, auch die er sich am meisten verpflichtet zu haben glaubte, hatte ihn verlassen. Als die Unterzeichnung geschehen war, warf er den Hut zur Erde und zerbiss die Feder, die ihm einen so schimpflichen Dienst geleistet hatte.
Indem Rudolph eines seiner Erbländer nach dem andern verlor, wurde die Kaiserwürde nicht viel besser von ihm behauptet. Jede der Religionsparteien, unter welche Deutschland verteilt war, fuhr in ihrem Bestreben fort, sich auf Unkosten der andern zu verbessern, oder gegen ihre Angriffe zu verwahren. Je schwächer die Hand war, welche das Zepter des Reichs hielt, und je mehr sich Protestanten und Katholiken sich selbst überlassen fühlten, desto mehr musste ihre Aufmerksamkeit auf einander gespannt werden, desto mehr das gegenseitige Misstrauen wachsen. Es war genug, dass der Kaiser durch Jesuiten regiert und durch spanische Ratschläge geleitet wurde, um den Protestanten Ursache zur Furcht und einen Vorwand zu Feindseligkeiten zu geben. Der unbesonnene Eifer der Jesuiten. welche in Schriften und auf der Kanzel die Gültigkeit des Religionsfriedens zweifelhaft machten, schürte ihr Misstrauen immer mehr und ließ sie in jedem gleichgültigen Schritt der Katholischen gefährliche Zwecke vermuten. Alles, was in den kaiserlichen Erblanden zu Einschränkung der evangelischen Religion unternommen wurde, machte die Aufmerksamkeit des ganzen protestantischen Deutschlands rege; und eben dieser mächtige Rückhalt, den die evangelischen Untertanen Österreichs an ihren Religionsverwandten im übrigen Deutschland fanden oder zu finden erwarteten, hatte einen großen Anteil an ihrem Trotz und an dem schnellen Glück des Matthias. Man glaubte in dem Reiche, dass man den längeren Genuss des Religionsfriedens nur den Verlegenheiten zu danken hätte, worein den Kaiser die innerlichen Unruhen in seinen Ländern versetzten; und eben darum eilte man nicht, ihn aus diesen Verlegnheiten zu reißen.
Fast alle Angelegenheiten des Reichstags blieben entweder aus Saumseligkeit des Kaisers oder durch die Schuld der protestantischen Reichsstände liegen, welche es sich zum Gesetze gemacht hatten, nicht eher zu den gemeinschaftlichen Bedürfnissen des Reichs etwas beizutragen, bis ihre Beschwerden gehoben wären. Diese Beschwerden wurden vorzüglich über das schlechte Regiment des Kaisers, über Kränkung des Religionsfriedens und über die neuen Anmaßungen des Reichshofrats geführt, welcher unter dieser Regierung angefangen hatte, zum Nachteil des Kammergerichts seine Gerichtsbarkeit zu erweitern. Sonst hatten die Kaiserin unwichtigen Fällen für sich allein, in wichtigen mit Zuziehung der Fürsten, alle Rechtshändel zwischen den Ständen, die das Faustrecht nicht ohne sie ausmachte, in höchster Instanz entschieden oder durch kaiserliche Richter, die ihrem Hoflager folgten, entscheiden lassen. Dieses oberrichterliche Amt hatten sie am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts einem regelmäßigen, fortdauernden und stehenden Tribunal, dem Kammergericht zu Speier, übertragen, zu welchem die Stände des Reichs, um nicht durch die Willkür des Kaisers unterdrückt zu werden, sich vorbehielten, die Beisitzer zu stellen, auch die Aussprüche des Gerichts durch periodische Revisionen zu untersuchen. Durch den Religionsfrieden war dieses Recht der Stände, das Präsentations- und Visitationsrecht genannt, auch auf die Lutherischen ausgedehnt worden, so dass nunmehr auch protestantische Richter in protestantischen Rechtshändeln sprachen und ein scheinbares Gleichgewicht beider Religionen in diesem höchsten Reichsgericht stattfand.
Aber die Feinde der Reformation und der ständischen Freiheit, wachsam auf jeden Umstand, der ihre Zwecke begünstigte, fanden bald einen Ausweg, den Nutzen dieser Einrichtung zu zerstören. Nach und nach kam es auf, dass ein Privatgerichtshof des Kaisers, der Reichshofrat in Wien – anfänglich zu nichts anderem bestimmt, als dem Kaiser in Ausübung seiner unbezweifelten persönlichen Kaiserrechte mit Rath an die Hand zu gehen– ein Tribunal, dessen Mitglieder, von dem Kaiser allein willkürlich aufgestellt und von ihm allein besoldet, den Vorteil ihres Herrn zu ihrem höchsten Gesetze und das Beste der katholischen Religion, zu welcher sie sich bekannten, zu ihrer einzigen Richtschnur machen mussten – die höchste Justiz über die Reichsstände ausübte. Vor den Reichshofrat wurden nunmehr viele Rechtshändel zwischen Ständen ungleicher Religion gezogen, über welche zu sprechen nur dem Kammergericht gebührte und vor Entstehung desselben dem Fürstenrat gebührt hatte. Kein Wunder, wenn die Aussprüche dieses Gerichtshofs ihren Ursprung verrieten, wenn von katholischen Richtern und von Kreaturen des Kaisers dem Interesse der katholischen Religion und des Kaisers die Gerechtigkeit aufgeopfert wurde. Obgleich alle Reichsstände Deutschlands Ursache zu haben schienen, einem so gefährlichen Missbrauche in Zeiten zu begegnen, so stellten sich doch bloß allein die Protestanten, welche er am empfindlichsten drückte, und unter diesen nicht einmal alle, als Verteidiger der deutschen Freiheit auf, die ein so willkürliches Institut an ihrer heiligsten Stelle, an der Gerechtigkeitspflege, verletzte. In der Tat würde Deutschland gar wenig Ursache gehabt haben, sich zu Abschaffung des Faustrechts und Einsetzung des Kammergerichts Glück zu wünschen, wenn neben dem letzteren noch eine willkürliche kaiserliche Gerichtsbarkeit stattfinden durfte. Die deutschen Reichsstände würden sich gegen jene Zeiten der Barbarei gar wenig verbessert haben, wenn das Kammergericht, wo sie zugleich mit dem Kaiser zu Gerichte saßen, für welches sie doch das ehemalige Fürstenrecht aufgegeben hatten, aufhören sollte, eine notwendige Instanz zu sein. Aber in den Köpfen dieses Zeitalters wurden oft die seltsamsten Widersprüche vereinigt. Dem Namen Kaiser, einem Vermächtnis des despotischen Roms, klebte damals noch ein Begriff von Machtvollkommenheit an, der gegen das übrige Staatsrecht der Deutschen den lächerlichsten Abstich machte, aber nichts desto weniger von den Juristen in Schutz genommen, von den Beförderern des Despotismus verbreitet und von den Schwachen geglaubt wurde.
An diese allgemeinen Beschwerden schloss sich nach und nach eine Reihe von besonderen Vorfällen an, welche die Besorglichkeit der Protestanten zuletzt bis zu dem höchsten Misstrauen spannten. Während der spanischen Religionsverfolgungen in den Niederlanden hatten sich einige protestantische Familien in die katholische Reichsstadt Aachen geflüchtet, wo sie sich bleibend niederließen und unvermerkt ihren Anhang vermehrten. Nachdem es ihnen durch List gelungen war, einige ihres Glaubens in den Stadtrat zu bringen, so forderten sie eine eigene Kirche und einen öffentlichen Gottesdienst, welchen sie sich, da sie eine abschlägige Antwort erhielten, nebst dem ganzen Stadtregiment auf einem gewaltsamen Wege verschafften. Eine so ansehnliche Stadt in protestantischen Händen zu sehen, war ein zu harter Schlag für den Kaiser und die ganze katholische Partei. Nachdem alle kaiserlichen Ermahnungen und Befehle zur Wiederherstellung des vorigen Zustandes fruchtlos geblieben, erklärte ein Schluss des Reichshofrats die Stadt in die Reichsacht, welche aber erst unter der folgenden Regierung vollzogen wurde.