Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays - Friedrich Schiller - E-Book

Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Friedrich Schillers Werk 'Literatur- und theatertheoretische Essays' bietet eine einzigartige Sammlung seines Denkens über Literatur, Theater und Ästhetik. Schiller, einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller und Dramatiker des 18. Jahrhunderts, präsentiert in diesem Buch seine reflektierte Auseinandersetzung mit verschiedenen literarischen Konzepten und ästhetischen Fragen. Sein Stil ist geprägt von einer tiefgreifenden Analyse und einem klaren Verständnis der Mechanismen von Literatur und Theater, die auch heute noch relevant sind. Diese Essays zeigen Schillers Engagement für die Kunst und seine Suche nach der idealen Verbindung von Schönheit und Moral in der Literatur. Durch seine klugen Betrachtungen eröffnet er dem Leser neue Perspektiven auf bekannte Werke der Literaturgeschichte und regt zum Nachdenken an. Der Band ist somit unverzichtbar für alle, die sich für Literatur- und Theatertheorie interessieren und einen tiefgründigen Einblick in Schillers Denken erhalten möchten.

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Friedrich Schiller

Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays

Briefe über Don Carlos + Repertorium des Mannheimer Nationaltheaters + Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten + Brief eines reisenden Däne + Über naive und sentimentalische Dichtung und mehr

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0427-4

Inhaltsverzeichnis

Brief eines reisenden Dänen
Dom Karlos
Repertorium des Mannheimer Nationaltheaters
Wallensteinischer Theaterkrieg
Dramaturgische Preißfragen
Briefe über Don Carlos
Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet
Kallias oder über die Schönheit
Ankündigung der „Rheinischen Thalia“
Über Bürgers Gedichte
Über Egmont, Trauerspiel von Goethe
Über Matthissons Gedichte
Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?
Die Horen
Über epische und dramatische Dichtung
Über das Pathetische
Über die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen
Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände
Über naive und sentimentalische Dichtung
Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst
Über die tragische Kunst

Brief eines reisenden Dänen

(Der Antikensaal zu Mannheim)

Inhaltsverzeichnis

Mannheim.

Der heutige Tag war mein seligster, so lang ich Deutschland durchreise. – Du weist es, mein Lieber, ich habe die herrliche Schöpfung im glücklichen Süden genossen, den lachenden Himmel und die lachende Erde, wo der mildere Sonnenstral zu fröhlicher Weißheit einladet, die freudegebende Traube kocht, und die göttlichen Früchte des Genies und der Begeisterung zeitigt. Ich habe vielleicht das höchste der Pracht und des Reichthums gesehen. Der Triumph einer Menschenhand über die hartnäckige Gegenwehr der Natur überraschte mich öfters – aber das nahe wohnende Elend steckte bald meine wollüstige Verwunderung an. Eine hohläugige Hungerfigur, die mich in den blumigten Promenaden eines fürstlichen Lustgartens anbettelt – eine sturzdrohende Schindelhütte, die einem pralerischen Pallast gegenüber steht – wie schnell schlägt sie meinen auffliegenden Stolz zu Boden! Meine Einbildung vollendet das Gemählde. Ich sehe jezt die Flüche von Tausenden gleich einer gefräßigen Würmerwelt in dieser großsprechenden Verwesung wimmeln – Das große und reizende wird mir abscheulich. – Ich entdecke nichts mehr als einen siechen hinschwindenden Menschenkörper, dessen Augen und Wangen von fiebrischer Röthe brennen, und blühendes Leben heucheln, während daß Brand und Fäulung in den röchelnden Lungen wüthen.

Diß, mein Bester, sind so oft meine Empfindungen bei den Merkwürdigkeiten, die man in jedem Land einem Reisenden zu bewundern gibt. Ich habe nun einmal das Unglück, mir jede in die Augen fallende Anstalt in Beziehung auf die Glückseligkeit des Ganzen zu denken, und wie viele Größen werden in diesem Spiegel so klein – wie viele Schimmer erlöschen!

Heute endlich, habe ich eine unaussprechlich angenehme Ueberraschung gehabt. Mein ganzes Herz ist davon erweitert. Ich fühle mich edler und besser.

Ich komme aus dem Saal der Antiken zu Mannheim. Hier hat die warme Kunstliebe eines deutschen Souverains die edelsten Denkmäler griechischer und römischer Bildhauerkunst in einem kurzen geschmackvollen Auszug versammelt. Jeder Einheimische und Fremde hat die uneingeschränkteste Freiheit diesen Schaz des Alterthums zu genießen, denn der kluge und patriotische Kurfürst ließ diese Abgüsse nicht deßwegen mit so großem Aufwand aus Italien kommen, um allenfalls des kleinen Ruhmes theilhaftig zu werden, eine Seltenheit mehr zu besizen, oder, wie so viele andere Fürsten, den durchziehenden Reisenden um ein Allmosen von Bewunderung anzusprechen. – Der Kunst selbst brachte Er dieses Opfer, und die dankbare Kunst wird seinen Namen verewigen.

Schon die Aufstellung der Figuren erleichtert ihren Genuß um ein großes. Leßing selbst, der hier gegenwärtig war, wollte behaupten, daß ein Aufenthalt in diesem Antikensaal dem studierenden Künstler mehrere Vortheile gewährte, als eine Wallfahrt zu ihren Originalien nach Rom, welche großentheils zu finster, oder zu hoch, oder auch unter den schlechteren zu versteckt stünden, als daß sie der Kenner, der sie umgehen, befühlen und aus mehreren Augenpunkten beobachten will, gehörig benuzen könnte.

Empfangen von dem allmächtigen Wehen des griechischen Genius trittst du in diesen Tempel der Kunst. Schon deine erste Ueberraschung hat etwas ehrwürdiges, heiliges. Eine unsichtbare Hand scheint die Hülle der Vergangenheit vor deinem Aug wegzustreifen, zwei Jahrtausende versinken vor deinem Fußtritt, du stehst auf einmal mitten im schönen lachenden Griechenland, wandelst unter Helden und Grazien, und betest an, wie sie, vor romantischen Göttern.

Zunächst an dieser fesselt dich die unnachahmliche Gruppe des Laokoon. Ich werde dir über diß Meisterstück der antiken Kunst wenig neues mehr sagen; du kennst sie bereits, und der Anblick selbst überwältigt alle Beschreibungskraft. Dieser hohe Schmerz im Aug, in den Lippen, die emporgetriebene arbeitende Brust – ein Augenblick, ein Zustand, wo die Natur selbst sich so gern vergißt, so gern ins gräßliche ausartet, bei aller Wahrheit so angenehm, bei aller Treue so delikat behandelt, daß sich das verwöhnteste Auge mit Trunkenheit darauf heften kann. Und wie schmelzend wird dann die ganze Idee durch die untergeordnete Figuren der hilflosen Kinder, welche durch die schreckliche Schlange an den Vater gepreßt werden. Der Ausdruck der Leidenschaft, und die ganze Gruppierung lassen dem forschenden Aug nichts mehr zu beobachten übrig – und nun vertilge in Gedanken diesen ganzen Ausdruck des Leidens, denke dir eben diese Figuren außer dem gewaltsamen Zustande des Affekts, und noch immer werden sie Muster der höchsten Wahrheit und Schönheit seyn. Der griechische Künstler hat nichts aufgeopfert – die unbeschreibliche Harmonie der Gruppe kostet uns auch nicht das leiseste Misfallen über vernachläßigte Theile in den beiden Knaben. So schuf das Alterthum.

Unter allen Figuren, die dieser Saal enthält, ist der vatikanische Apoll die vollkommenste – Zwei Blicke auf denselben sind genug, dir mit entscheidender Gewißheit zu sagen, du stehest vor einem Unsterblichen. Die reizendste Jünglingsfigur, die sich eben jezt in den Mann verliert, Leichtigkeit, Freiheit, Rundung, und die reinste Harmonie aller Theile zu einem unnachahmlichen Ganzen, erklären ihn zu dem ersten der Sterblichen, Kopf und Hals verrathen den Gott. Diese himmlische Mischung von Freundlichkeit und Strenge, von Liebenswürdigkeit und Ernst, Majestät und Milde, kann keinen Sohn der Erde bezeichnen. Die hochgewölbte Brust ist nach dem übereinstimmenden Gefühl aller Künstler die vollkommenste, die je ein Maisel geschaffen hat; Schenkel und Füße ein Muster der edelsten Schönheit. Den geübtesten Zeichner wird es ermüden, die herrlichen Formen, die durch kontrastierende Schlangenlinien ineinander schmelzen, nur für das Aug nachzuahmen; denn der griechische Meister hat eben so delikat für das Gefühl gearbeitet; das Auge erkennt die Schönheit, das Gefühl die Wahrheit. Die leztere ist der ersteren untergeordnet, und obgleich kein Muskel vergessen ist, so hat doch der Künstler die feinere Nüancen dem Gesicht entzogen, und der Berührung vorbehalten. Die Statue schwebt – alle Muskeln wirken aufwärts, und scheinen sie sichtbar empor zu tragen. Der Künstler ergriff den Augenblick, wo der zürnende Gott auf den Drachen Python einen Pfeil abgeschossen hatte. Der rechte Arm fliegt eben vom Bogen zurück, der linke behält noch einige Härte und Spannung. – Im Auge ist hoher Unwille und feste Zielung, in der hervortretenden Unterlippe Verachtung des Ungeheuers, in dem schlank gestreckten Halse Triumph und göttliche Ehre.

Das ist Foebos, welchen die Götter im Hause Cronions fürchten, dem sie sich alle von ihren Sizen erheben, wenn er sich naht, und wenn er spannt den stralenden Bogen.

Homers Hymnen.

In Absicht des Stils kann dieser Apollo dem Torso und Laokoon nachgesezt werden, aber der gefühlvolle Kenner vergißt diese Vernachläßigung im Genusse höherer Schönheit.

Eine der vorzüglichsten Statuen, ist ein sterbender Sohn der Niobe, den Apollo erschossen hat. Der Kopf gleicht ganz in die Niobische Familie – edel und rührend ist der Ausdruck des Sterbens in seinem Gesichte; die Brust besonders ist in großen und schönen Maßen emporgetrieben, der untere Leib sinkt mit sehr vieler Wahrheit unter den lezten Krämpfen des Todes. Der Stil ist markigt, und hat mit dem äußerst delikaten Stil des Kastor und Pollux sehr viel ähnliches.

Unter die besten Stücke in diesem Saal zähle ich noch den Antinous; Schade, daß durch einen fehlerhaften Abguß die Figur nach den Hüften und Schenkeln zu ein wenig krumm geworden; den borghesischen Fechter, eine Figur, woran ich vorzüglich die Wahrheit des Muskelspiels bewundre, die Zwillinge Kastor und Pollux, Kaunus und Biblis, den Faun, den Schleifer, besonders wegen dem forschenden Ausdruck des Gesichts, und der Formen seiner beiden Arme, den Hermaphrodit, die medizäische Venus, den sterbenden Fechter, den Römer Germanikus, und noch einige andre, von denen ich dir in meinem nächsten Brief mehr sagen werde.

Merkwürdig waren mir auch die Büsten der großen Griechen und Römer, der Kopf eines sterbenden Alexanders, der Niobe, einer Tochter der Niobe, der Kleopatra, des Nero und Kaligula, der Faustina und einige mehr. Der Zufall hatte den blinden Homeruskopf und den Kopf des Herrn von Voltaire nebeneinander gestellt. – Ich weiß keine beißendere Satire auf unser Zeitalter. Voltaire – ich glaube, daß man das jezt in Deutschland laut sagen darf – Voltaire war ein wahrhaftig großer Geist, aber warum war mir sein Kopf in dieser Gesellschaft so lächerlich?

Ich werfe noch einen Blick auf diese Statuen.

Warum zielen alle redende und zeichnende Künste des Alterthums so sehr nach Veredlung?

Der Mensch brachte hier etwas zu Stande, das mehr ist, als er selbst war, das an etwas größeres erinnert, als seine Gattung – beweißt das vielleicht, daß er weniger ist, als er seyn wird? – So könnte uns ja dieser allgemeine Hang nach Verschönerung jede Spekulation über die Fortdauer der Seele ersparen. – Wenn der Mensch nur Mensch bleiben sollte – bleiben könnte, wie hätte es jemals Götter, und Schöpfer dieser Götter gegeben?

Die Griechen philosophierten trostlos, glaubten noch trostloser, und handelten – gewiß nicht minder edel als wir. Man denke ihren Kunstwerken nach, und das Problem wird sich lösen. Die Griechen mahlten ihre Götter nur als edlere Menschen, und näherten ihre Menschen den Göttern. Es waren Kinder einer Familie.

Ich kann diesen Saal nicht verlassen, ohne mich noch einmal an dem Triumph zu ergözen, den die schöne Kunst Griechenlands über das Schicksal einer ganzen Erdkugel feiert. Hier stehe ich vor dem berühmten Rumpfe, den man aus den Trümmern des alten Roms einst hervorgrub. In dieser zerschmetterten Steinmasse ligt unergründliche Betrachtung – Freund! Dieser Torso erzählt mir, daß vor zwei Jahrtausenden ein großer Mensch da gewesen, der so etwas schaffen konnte – daß ein Volk da gewesen, das einem Künstler, der so etwas schuf, Ideale gab – daß dieses Volk an Wahrheit und Schönheit glaubte, weil einer aus seiner Mitte Wahrheit und Schönheit fühlte – daß dieses Volk edel gewesen, weil Tugend und Schönheit nur Schwestern der nemlichen Mutter sind. – Siehe Freund, so habe ich Griechenland in dem Torso geahndet.

Unterdessen wanderte die Welt durch tausend Verwandlungen und Formen. Trone stiegen – stürzten ein. Festes Land trat aus den Wassern – Länder wurden Meer. Barbaren schmolzen zu Menschen. Menschen verwilderten zu Barbaren. Der milde Himmelstrich des Peloponnes entartete mit seinen Bewohnern – wo einst die Grazien hüpften, die Anakreon scherzten, und Sokrates für seine Weißheit starb, waiden jezt Ottomannen – und doch, Freund, lebt jene goldene Zeit noch in diesem Apoll, dieser Niobe, diesem Antinous, und dieser Rumpf ligt da – unerreicht – unvertilgbar – eine unwidersprechliche ewige Urkunde des göttlichen Griechenlands, eine Ausfoderung dieses Volks an alle Völker der Erde.

Etwas geschaffen zu haben, das nicht untergeht, fortzudauren, wenn alles sich aufreibt, rings herum – O Freund, ich kann mich der Nachwelt durch keine Obelisken, keine eroberte Länder, keine entdeckte Welten aufdringen – ich kann sie durch kein Meisterstück an mich mahnen – ich kann keinen Kopf zu diesem Torso erschaffen, aber vielleicht eine schöne That ohne Zeugen thun!

Dom Karlos

Infant von Spanien

Inhaltsverzeichnis

Personen des ersten Akts
Erste Verwandlung
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt
Zwote Verwandlung
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt

Die Ursache, warum das Publikum die Tragödie Dom Karlos in Bruchstücken voraus empfängt, ist keine andre, als der Wunsch des Verfassers, Wahrheit darüber zu hören, eh er sie wirklich vollendet. Bei dem anhaltenden starren Hinsehn auf die nämliche Fläche kann es nicht anders kommen, als daß die Augen, auch des schärfsten Beobachters, anfangen trübe zu werden, und die Objekte verwirrt durcheinander zu schwimmen. Wenn der Dichter nicht Gefahr laufen will, sich in seinen eigenen Irrgängen zu verwickeln, und über der ängstlichen Farbenmischung des Details die Perspektive des Ganzen zu verlieren, so ist es nöthig, daß er zuweilen aus seinen Illusionen heraustrete, daß seine Phantasie von ihrem Gegenstand erkalte, und fremde Empfindung seine eigne zurechtweise. Mit den Lieblingswerken unsers Geistes ergeht es uns beinahe wie mit unsern Mädchen – endlich werden wir blind für ihre Flecken, und stumpf durch Genuß. Dort wie hier sind kurze Entfernungen, kleine Spannungen oft heilsam, die erlöschende Glut des Affekts wieder anzublasen. Die Flamme der Begeisterung ist keine ewige Flamme. Oft ist es nöthig, daß sie von aussenher borge, und sich durch sympathetische Reibung erneure. Wie schäzbar sind einem Dichter hier geschmackvolle fühlende Freunde, die über seine Schöpfungen wachen, und das neugebohrene Kind seines Genius mit liebevoller Sorgsamkeit warten und pflegen!

Dieser Dienst ist es, den ich bei Vorlegung dieser Fragmente von dem Publikum mir erbitten wollte. Jeder Leser und jede Leserin, welche Wohlwollen genug den für Herausgeber in ihrem Busen fühlen, um für die klassische Vollkommenheit seines Werks bekümmert zu seyn – euch aber insbesondere, Schriftsteller meines Vaterlands, deren Namen der Ruhm bereits schon unter den Sternen aufstellte, die ihr jezt keine schönere Beschäftigung mehr übrig findet, als eurem Schüler und Freund noch die Hand zu reichen, und ihn zu eurer Gemeinschaft empor zu ziehn – euch alle fodre ich auf, diesen Versuch eurer Aufmerksamkeit werth zu achten, und mir den Ausspruch eures Gefühls mit der strengsten Offenherzigkeit mitzutheilen. Ich erschrecke vor eurem Tadel nicht. Das Urtheil der Welt über diese Fragmente – es falle aus, wie es wolle – wird mich nie in Verlegenheit sezen, denn es ist meine lezte Instanz nicht. Ich nehme es für nichts anders, als den belehrenden Wink meines kritischen Freundes, den ich zu Reinigung meiner Arbeit benuzen kann – aber die Nachwelt ist meine Richterin. Was ich bei meinen Zeitgenossen verderbe, steht noch immer in meiner Macht wieder gut zu machen, die Fehler des Jünglings rechnet man ja dem Mann nicht mehr an – aber die Nachwelt verdammt ohne Beklagten, ohne Sachwalter, ohne Zeugen. Das Werk lebt, und sein Schöpfer ist nicht mehr. Die Frist zur Verantwortung ist vorbei; was einmal verloren ist, läßt sich nicht mehr hereinbringen. Von diesem Gerichtshof läßt sich an keinen dritten mehr appellieren. Wie willkommen soll mir also die Zurechtweisung seyn, welche mir über die Gebrechen meiner Dichtung die Augen öfnet, und mir vielleicht dazu dienen kann, sie desto fleckenfreier der strengeren Zukunft zu übergeben – Findet der Kenner schon diese erste Anlage krank, vermißt er hier schon die Gesundheit, die lebendige Kraft, die ihr Dauer versicherte, so wandre die ganze Skize zum Feuer.

Die Geschichte des unglücklichen Dom Karlos und seiner Stiefmutter der Königin, ist von den interessantesten, die ich kenne, aber ich zweifle sehr, ob sie so rührend als erschütternd ist. Rührung, glaube ich, ist hier ganz nur Verdienst des Dichters, der unter den vielerlei Arten der Behandlung gerade diejenige zu wählen weiß, welche die widrige Härte des Stoffs zu weicher Delikatesse herabstimmt und mildert. Eine Leidenschaft, wie die Liebe des Prinzen, deren leiseste Aeuserung Verbrechen ist, die mit einem unwiederruflichen Religionsgesez streitet, und sich ohne Aufhören an der Gränzmauer der Natur zerschlägt, kann mich schaudern, aber schwerlich weinen machen. Eine Fürstin wiederum, deren Herz, deren ganze weibliche Glückseligkeit einer traurigen Staatsmaxime hingeschlachtet worden, die durch die Leidenschaft des Sohns und des Vaters gleich unmenschlich gemishandelt wird, kann mir wohl Murren gegen Vorsicht und Schicksal, Zähneknirschen gegen weltliche Konvenzionen abnöthigen, aber wird sie mir auch wohl Tränen ablocken? – Wenn dieses Trauerspiel schmelzen soll, so muß es – wie mich däucht – durch die Situation und den Karakter König Philipps geschehen. Auf der Wendung, die man diesem gibt, ruht vielleicht das ganze Gewicht der Tragödie. Mein Plan ist auf gleiche Art vereitelt, wenn ich bei Philipps Darstellung den französischen Skribenten folge, als wenn ich bei Karlos Schilderung den Ferreras zum Grund legte. Man erwartet – ich weiß nicht welches? Ungeheuer, so bald von Philipp dem Zweiten die Rede ist – mein Stück fällt zusammen, sobald man ein solches darinn findet, und doch hoffe ich der Geschichte – das heißt der Kette von Begebenheiten – getreu zu bleiben. Es mag zwar ein gothisches Ansehen haben, wenn sich in den Gemählden Philipps und seines Sohns zwei höchst verschiedne Jahrhunderte anstoßen, aber mir lag daran, den Menschen zu rechtfertigen, und konnt’ ich das wohl anders und besser als durch den herrschenden Genius seiner Zeiten?

Der ganze Gang der Intrigue wird, wie ich mir einbilde, schon in diesem ersten Aufzug verrathen seyn. Wenigstens war das meine Absicht, und ich halte es für das erste Requisit der Tragödie. Beide Hauptkaraktere laufen hier schon mit derjenigen Kraft, und nach derjenigen Richtung aus, welche den Leser errathen läßt, wo und wann und wie heftig sie in der Folge widereinander schlagen.

Ein vollkommenes Drama soll, wie uns Wieland sagt, in Versen geschrieben seyn, oder es ist kein vollkommenes, und kann für die Ehre der Nation gegen das Ausland nicht konkurrieren. – Nicht als ob ich auf das leztere Anspruch machte, sondern weil ich die Wahrheit jenes Ausspruchs überzeugend erkannte, habe ich diesen Karlos in Jamben entworfen. Aber in reimfreien Jamben – denn ich unterschreibe Wielands zweite Foderung, daß der Reim zum Wesen des guten Dramas gehore, so wenig, daß ich ihn vielmehr für einen unnatürlichen Luxus des französischen Trauerspiels, für einen trostlosen Behelf jener Sprache, für einen armseligen Stellvertreter des wahren Wohlklangs erkläre – in der Epopee versteht sichs, und in der Tragödie. So bald uns die Franzosen ein Meisterstück dieser Gattung in reimfreien Versen zeigen, so geben wir ihnen ein ähnliches in gereimten.

Der Leser wird sich selbst und dem Dichter nüzen, wenn er vor Lesung dieser Fragmente die Geschichte des Dom Karlos, Prinzen von Spanien, vom Abbe S. Real, welche kürzlich zu Eisenach in der Uebersezung erschienen ist, nur flüchtig durchblättern will. Ich unterbreche zuweilen den Dialog durch Erzählung, weil es geschehen kann, daß das ganze Stück nach und nach in solchen Fragmenten erscheint, und ich ohne diese Vorsicht also leicht der Indiskretion und Gewinnsucht eines Buchhändlers oder Schauspieldirektors anheim fallen könnte, die meinen Karlos zusammen druckten, oder vor der Zeit auf ihr Theaterschaffot schleppten.

Personen des ersten Akts

Inhaltsverzeichnis

Philipp der Zweite, König von Spanien. Königin Elisabeth, Prinzeßin von Frankreich, seine Gemahlin. Dom Karlos, der Kronprinz. Herzog von Alba, und Graf von Lerma, Grandes von Spanien. Pater Domingo, Beichtvater des Königs, gewesener Inquisitor. Dom Rodrigo Marquis von Posa, Kammerjunker des Prinzen. Fürstin von Eboli und Marquisin von Mondekar,

Erste Verwandlung

Inhaltsverzeichnis

Ein angenehmer Prospekt von Orangenalleen, Boskagen, Statuen, Urnen, und springenden Wassern. Die Beleuchtung wird so eingerichtet, daß die vordere Bühne dunkel bleibt, die hintere aber munter und hell ist.

Erster Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Karlos kommt langsam und in Gedanken versenkt aus dunkeln Boskagen, seine zerstörte Gestalt verräth den Kampf seiner Seele; einigemal steht er schüchtern still, als wenn er auf etwas horchte. Der Zufall führt ihn vor die Statue der Biblis und des Kannus, er bleibt nachdenkend davor stehen – indem hört man hinter der Szene eine ländliche Musik von Flöten und Hoboen, die sich allmählig in der Entfernung verliert. Der Prinz verläßt die Statue in großer Bewegung, man sieht Traurigkeit und Wut in seinen Gebärden abwechseln, er rennt heftig auf und nieder, und fällt zulezt matt auf ein Kanapee. Unterdessen zeigt sich im Hintergrund der Pater Domingo, und bleibt eine Zeitlang stehen ihn zu beobachten. Endlich nähert er sich, auf das Geräusch ermuntert sich Karlos, und fährt unwillig auf.

Karlos. Der Erzspion verfolgt mich überall wie die Gerichte Gottes – – Was verlangt ihr? Wen sucht ihr hier? – Dorthin, soviel ich weiß, hat sich der König mit dem Hof gezogen.

Domingo. Der König, Prinz, und alle Grandes stehn versammelt im Zitronenwald. Die Freude herrscht allgemein, sie zu vollenden fehlt nur Karlos noch.

Karlos. Sie plözlich zu vergiften? Ist König Philipp seiner guten Laune schon satt, daß er die Nattern seines Sohns zu Gaste ruft?

Domingo. Mir unbegreiflich, Prinz. Der schönste Frülingstag – die muntern Gärten – und rings herum die blumenvolle Flur – Der Himmel selbst wetteifert mit der Gegend, die Kunst mit der Natur – sie aufzuheitern. Gleich einem Paradies lacht weit und breit das prächtige Aranjuez, und doch in ihrem Aug nicht eine Spur der Freude?

Karlos. In diesem lachenden Aranjuez sieht Karlos nichts – als seine finstre Seele.

Domingo. Doch eben dieser räzelhafte Gram, den wir schon lang in ihren Blicken lesen, der Schrecken ihres Reichs, und das Geheimniß des ganzen Hofs, hat manche Thräne schon dem König ihrem Vater ausgepreßt.

Karlos. Fließt mir deßwegen eine einz’ge minder? heilt dieses Herz vielleicht, wenn seines blutet? Nur Thränen hat er für den einz’gen Sohn? – die giebt auch wohl ein Bettler seinem Kinde. Er presse doch nur einen Tropfen Mohn aus seines Perus unerschöpften Schachten, den Schmerz in diesem Busen einzuschläfern; – er biete doch den pralenden Tribut, den ihm sein furchtbarer Vasall, das Meer, aus beiden Indien herüberfrohnt, ob er vielleicht den Henker seines Karls damit bestechen kann? – Seht rings herum – Diß Paradies rief euer großer König in eine fürchterliche Wildniß her – er rufe doch – sein Karlos läßt ihn bitten – ein Lächeln auf mein Angesicht.

Domingo. Er wirds. Nur brechen sie diß grauenvolle Schweigen, nur öfnen sie ihr Herz dem Vaterherzen. Was Karl dem Philipp anvertraut, wird ja der König ihm gewähren.

Karlos. Wird er das? – Weh mir, und wenn er wollte – kann er das? und wenn ich mit des Todes leztem Lechzen es foderte? wenn der erhörte Wunsch den schon entwichnen Geist aus der Behausung des Grabs zurücke hohlte? – Nimmermehr.

Domingo. Ich zittre Prinz – Was sagt mir dieses Räzel?

Karlos. Bin ich nicht eines großen Königs Sohn? Mit halben Welten theil ich meinen Vater, und dennoch soll an einem einz’gen Wunsch der große Königssohn zu Tode schmachten? O welch ein Wunsch – – und doch – ich will ja wenig – will ja nicht mehr, als ich mit so viel Armen umreichen kann – –

Domingo. Wie! Wär es möglich Prinz? Wär noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel dem liebsten seiner Söhne weigerte? – Ich stand dabei, als in Toledos Mauren der stolze Karl die Huldigung empfieng, als graue Fürsten zu dem Handkuß wankten, und jezt in einem – einem Niederfall Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen. Ich stand, und sah das junge stolze Blut in seine Wangen steigen, seinen Busen von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen, in Wollust brechen – Prinz – und dieses Aug sprach laut: Ich bin gesättigt!

Karlos.(nach einem tiefen Nachdenken) Jener Stunde vergeß ich nie – mit jener Stunde fieng Mein Leben an – sie floh – es war vollendet.

Domingo. Vollendet Prinz? – ein mattes Vorgefühl der königlichen Zukunft – –

Karlos. Es ist aus. Wenn schon das Kind von Diademen träumte, was kann der Jüngling wünschen?

Domingo.(der ihn laurend ansieht) sie zu tragen?

Karlos. Verwegner Mensch – Ihr sprecht mit Philipps Sohn, nichts mehr davon – mir schauert vor dem Morgen, der hinter meines Vaters Sarge nur mir scheinen kann

Domingo. Und dennoch edler Prinz. Wenn Karlos ohne Hoffnung wünscht, was sonst was sonst als eine Krone kann er wünschen? Groß ist die Welt – der Arm der Könige reicht weit –

Karlos. Hier bricht er.

Domingo. Auch der Arm der Kirche? O reden sie – Die Ruhe seines Sohns kann Philipp nicht zu theuer kaufen.

Karlos. Nicht? Auch dann nicht, wenn mein rasender Gelust geradenwegs nach seinem Herzen zielte? Auch dann nicht, wenn den frevelhaften Durst nur das abscheulichste Verbrechen löschte, worüber die besudelte Natur erschrocken beben, und in Fieberschauern sich werfen würde.

Domingo. Das ist schrecklich Prinz.

Karlos. Jezt wißt ihr alles – Geht, und denkt auch nie darüber nach – Hier endet Philipps Größe, kann sein Befehl die Sterne rückwärts drehn, und machen, daß sich Nord und Süd umarmen? – Ein ewiges, ein schreckliches Gesez mit Blut in unsre Brust geäzt – die starre unwandelbare Regel der Natur steht gegen mich, ein aufgethürmter Pfeiler, und keine Macht auf Erden reißt ihn um.

Domingo. Ich steh erstaunt – Was für ein Ungeheuer liegt hier im Hinterhalt, wenn selbst die Hoffnung so vieler Throne keinen Reiz mehr hat?

Karlos. Vergebens grübelt ihr ihm nach. Ihr müßtet, Monarch wie ich, in Mutterleib gekrönt, ihr müßtet in dem Himmelstrich des Thrones erzogen worden seyn, und an den Brüsten des Glücks gelegen haben, wenn ihrs faßtet was einen Fürsten foltert.

Domingo. Wunderbar – Noch wunderbarer – – – daß auch ihre Mutter, die Königin, daßelbe spricht – –

Karlos.(heftig auffahrend) Was? Mutter? – Das Wort auf deiner Zunge sei verflucht, verflucht der Name aus der Schöpfung.

Domingo. Prinz?

Karlos.(in großer Aufwallung herumgehend) Sie meine Mutter? – Geh Unglücklicher, an eine Mauer hast du mich geschleudert – Sie meine Mutter – Mutter sagtest du? O Himmel gib, daß ich es dem vergesse, der sie zu meiner Mutter machte.

Domingo. Prinz, es sind die heiligste von allen Banden die sie hier lästern.

Karlos.Ketten wollt ihr sagen, Furchtbarer, merkts euch, raßeln sie im Abgrund der Hölle nicht – Galeeren lassen los – das Grab gibt frei – die Ketten der Verdammniß zerbrechen endlich – diese Bande nicht. Die Zärtlichkeit von allen Müttern, die gewesen sind, und die noch kommen werden, macht ewig nimmer wieder gut, was mir die einzige verdorben hat.

Domingo. Was hör ich? Täuscht mich mein Ohr? hat mich ein Traum betrogen? Ganz Spanien liebt seine Königin bis zur Anbetung – Prinz – und Sie allein, Sie sollten sie mit solchem Haß verfolgen?

Karlos.(hat sich gesammelt, und wird betroffen)

Domingo. Unmöglich, Prinz – so plözlich werden sie die Stimme Spaniens nicht Lügen strafen,so unnatürlich kann der feurige, für jede Schönheit so begeisterte so offne Jüngling nimmermehr entarten. Was Prinz? – Das schönste Weib auf dieser Welt, beim ersten Blick Monarchin ohne Thron, kaum zwei und zwanzig Frühlingen entflogen, und eines Greisen Frau – von der Natur zur Zärtlichkeit, zur Wollust ausgestattet – an eines freudenlosen Ehestands tirannische Galeere angeschlossen – Französin von Geburt – und Königin – und ehmals ihre laut erklärte Braut? Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr! Wo ohne Hofnung Greiß und Jüngling lodern, friert Karlos nicht mit allen Hofnungen. Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen, so seltsam widerspricht sich Karlos nicht. Nein Prinz – ich schwörs in ihrer Mutter Seele – das wunderbare Räzel ihres Grams, die Königin – ich wette – kann es lösen. Verwahren sie sich Prinz, daß sie es nie, wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre, die Zeitung würde schrecklich seyn.

Karlos.(welcher diese ganze Rede durch, die Augen tückisch auf ihn geheftet hat) Meint ihr?

Domingo. Und äußerst unerwartet – Warlich Prinz auf ihre Rechnung flüstert sich schon längst von Ohr zu Ohr die lustigste Geschichte. Wenn sie noch auf das leztere Turnier zu Saragoßa sich besinnen mögen, wo unsern König eine Lanze streifte – Die Königin mit ihren Damen saß auf des Pallastes oberster Altane, und sah dem Kampfe zu. Auf einmal riefs:„Der König blutet!“ – Man rennt durcheinander, ein unvernehmlich Murmeln dringt zum Ohr der Königin: „Der Prinz?“ ruft sie, und will und will sich von der höchsten Gallerie herunterwerfen „Nein! Der König selbst“ gibt man zur Antwort „So laßt Aerzte holen“ erwiedert sie, indem sie Athem schöpfte.

Karlos.(nach einigem lebhaften Auf und Niedergehen, mit erkünstelter Gleichgültigkeit) Ihr sagt mir Wunderdinge, Freund.

Domingo. Doch wohl nichts überraschendes?(indem er sich dem Prinzen vertraulich nähert) Wie glücklich, Prinz, dörft ich dafür in ihrer Seele lesen?

Karlos. Ihr sollts, hochwürd’ger Vater – eurem Amte verschweigt man nichts – ihr klebt ja eure Tugend auf euren Rock – Umsonst führt ihr doch wohl den Schlüssel nicht zu Jedermanns Gewissen, umsonst, denk ich, hat König Philipp euch das Rechnungswesen über alle Sünden der Prinzen vom Geblüt nicht übertragen.

Domingo. Es gibt auch Lieblingswünsche, Prinz, wobei man das Gewissen nicht zum Richter nimmt.

Karlos. Dergleichen Wünsche gibt es allerdings, doch das sind Heimlichkeiten, die das Plaudern durchaus nicht leiden können.

Domingo. Plaudern, Prinz, ist meines Amtes strafbarste Verlezung.

Karlos. Ich weiß, hochwürd’ger Vater, weiß ja wohl wie treulich ihr der Welt verschweigt, was euchGott im Vertrauen sagen mag.

Domingo. Auch, was mir meine anvertrauten Lämmer beichten.

Karlos.(nachdem er sich eine Zeitlang bedacht hat) Nur noch ein Wörtchen – eh mein ganzes Herz sich euch auf Treu und Glauben überliefert – Mistrauen, Herr, vergibt man Philipps Blut, und keinen Freund entlaß ich ohne Probe.

Domingo. Ich fürchte keine, Prinz.

Karlos. Nur Kleinigkeit. Ihr lacht vielleicht – doch sie beweißt für eure Verschwiegenheit mir alles. Hört mich an.

Domingo. Mit Ungeduld.

Karlos. Tief drinn in der Sierra Morena zeigt man einen Brunnen euch, der jezt vertrocknet ist, wohin ein alter kastilianscher König seine Schäze geflüchtet hat, als über Spanien die Furcht der Mauren kam. – Tief unten ligt ein großer schwarzer Quaderstein, worunter, der Sage nach, drei Nächte vor dem Fest der Auferstehung, sich der dumpfe Klang des Goldes hören lassen soll, das jezt gehoben werden kann. Wer reines Herzens in diesen Brunnen sich hinunter läßt, rückt, wie ein Sandkorn, diesen Felsen weg; doch kaum (fährt das Orakel fort) daß ihn ein Schalk berührt, bedecken schwarze Beulen des Frevlers Hand, und der erzürnte Schaz versinkt um eines Thurmes Höhe tiefer.

Domingo. Im Ernst, mein Prinz, sagt man das wirklich so?

Karlos. So wahr ihr ehrlich seid – Man will sogar Waghälse nennen, die mit dem Gespenst es aufzunehmen, schon im Eimer hiengen – – Doch gählings kam die Angst an sie, sie priesen sich glücklich, daß sie lebend wieder kamen. Was dünkt euch frommer Vater? – Ihr und Ich – wir könntens wohl auf gut Gewissen wagen?

Domingo. Wir? – Nimmermehr! Dafür behüt uns beide der Himmel, Prinz – Der schwache Mensch versuche den Teufel nicht – Mir ligt der Mammon gut, Verzeihung, Prinz. Auch möcht ich in den Karten der Unterwelt nicht gern die Hände haben.

Karlos.(unwillig zurücktretend) So Bösewicht? – und an mein Herz willst du die Wünschelruthe halten, daß sie diranschlage, wo der Zauber ligt? – Du zitterst vor Schrecken, die des Fiebers Phantasie zusammenflickte – und bist frech genug in meines Herzens Absturz dich hinunter zu winden, und Gedanken zu behorchen, ehrwürdiger, als die Mysterien der Unterwelt? – Elender! Weh dir selbst! Wohin – wenn dir dein Bubenstück gelänge – Wohin verkröchst du dich? In einer Auster Gehirne krümmte deine Seele sich, wenn ihr die meinige begegnen sollte.

Domingo. Prinz! Sie verkennen mich.

Karlos. Ich kenne dich. Bist du nicht der Dominikanermönch, der in der fürchterlichen Ordenskutte den Menschenmäkler machte? Bin ich irre? Bist du es nicht, der die Geheimnisse der Ohrenbeicht um baares Geld verkaufte? Bist du es nicht, der unter Gottes Larve die freche Brunst in fremdem Ehbett löschte den heißen Durst nach fremdem Golde kühlte, den Armen fraß, und an dem Reichen saugte? Bist du es nicht, der ohne Menschlichkeit, ein Schlächterhund des heiligen Gerichtes, die fetten Kälber in das Messer hezte? Bist du der Henker nicht, der übermorgen zum Schimpf des Christenthums, das Flammenfest des Glaubens feiert, und zu Gottes Ehre der Hölle die verfluchte Gastung gibt? Betrüg ich mich? Bist du der Teufel nicht, den das vereinigte Geschrei des Volkes,des Volks, das sonst an Henkerbühnen sich belustigt, und an Scheiterhaufen weidet, den das vereinigte Geheul der Menschheit aus dem entweihten Orden stieß –

Domingo. Ists möglich? Prinz, überlegen sie, wer ich – – –

Karlos. O Gott, ich fühle, daß mich mein erhiztes Blut an meinen fürchterlichsten Feind verrathen, daß ich für eine Gotteslästerung an jenem Tag Barmherzigkeit vom Himmel erlangen kann, Barmherzigkeit von dir für diese Wahrheit nicht! – Ich weiß voraus, daß König Philipp dir, den du am Seile zum Himmel, und zur Hölle lenkst, den Arm zu deiner Rache borgen wird – daß ich das schröcklichste zu fürchten hätte, wenn das schröcklichste nicht hier verborgen läge.

Domingo. Wie sehr beklag ich sie, mein armer Prinz!Sie selbst, sie peinigen ihr Herz mit leeren grundlosen Phantasien.

Karlos. O zu gut,zu gut weiß ich, daß ich an diesem Hof verrathen bin – ich weiß, daß tausend Augen besoldet sind mich zu bewachen, weiß, daß König Philipp seinen einzgen Sohn an seiner Knechte schlechtesten verkaufte, und jede von mir aufgefangne Silbe dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt, als er noch keine gute That bezahlte. Ich weiß, daß er vielleicht die edelste Provinz des Reichs um mein Geheimniß gäbe, weiß, daß er diesen schwachen Knaben mehr als das vereinigte Europa fürchtet, und ich gestehe, daß er Ursach hat.(er will gehen)

Domingo. Wohin mein Prinz? Mit diesem räzelhaften Bericht soll ich zum König?

Karlos. Geht nach Hause, und hinterbringet dem, der euch gesandt. Nicht ganz umsonst – das laß ihm Karlos melden – warf er den Angel aus, doch könnt es leicht geschehen, daß er mehr an’s Ufer zöge, als er zu finden Willens war. Man spricht von Basilisken, deren bloßer Anblick vergiften soll – – er lasse mein Geheimniß in Frieden gehn. Der Tag, so es enthüllt, wird seiner Ruhe lezter seyn.

Domingo. Der lezte?

Karlos. Beweinenswerther Philipp, wie dein Sohn, beweinenswerth! – Schon seh ich in die Zukunft – schon seh ich sie, zwo ungeheure Schlangen, Furcht und Verdacht, an deiner Seele saugen, dein unglücksel’ger Fürwiz übereilt die fürchterlichste der Entdeckungen, und weinen wirst du, wenn du sie gemacht. Dein Gold kann sich erschöpfen – deine Heere in wilden Schlachten fallen – deine Flotten in Stürmen untergehen – ihren Zügel zerreißen deine Völker – unter dir zusammenbrechen deine Trone. Nichts hast du verloren, wenn dein Herz dir bleibt. Doch hier, ach hier bedroht dich eine Wunde, an welcher sich auch Könige verbluten, die ewig ohne Löschung brennt, für die kein Balsam wächst in deinen Reichen allen – Noch schmerzt die Wunde nicht; kennst du sie nie wird sie dich niemals schmerzen!(rasch gegen Domingo, und höchst bedeutend) Mein Geheimniß möcht er in Frieden lassen. Ich hab ihn gewarnt.

(Der Dominikaner entfernt sich. Karlos begleitet ihn mit den Augen, bis er verschwunden ist, dann verfällt er in grübelndes Nachdenken, und macht sich Vorwürfe, daß er dem arglistigen Priester zuviel Blößen gegeben. Wie er im Begriff ist hinwegzugehen, sieht er seinen alten akademischen Freund, Dom Rodrigo, Marquis von Posa, der eben jezt von Brüssel in Aranjuez anlangte, durch die Allee herabkommen.)

Zweiter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Karlos. Der Marquis.

Karlos. – – – Was seh ich? O ihr guten Geister! Mein Rodrigo!

Marquis.(dem Prinzen um den Hals fallend) Mein Karlos!

Karlos. Ist es möglich? Ists wahr? ists wirklich? bist du’s? – O du bists! Ich drück an meine Seele dich. Ich fühle die deinige allmächtig an mir schlagen. O jezt ist alles wieder gut. In dieser Umarmung ist mein krankes Herz genesen. In meinem Mark ist Ewigkeit. Ich liege am Herzen meines Rodrigo.

Marquis. Ihr krankes, ihr krankes Herz? – Und was ist wieder gut? Was ists, das wieder gut zu werden brauchte? Sie hören, was mich stuzen macht.

Karlos. Und was bringt dich so unverhoft aus Brüßel wieder? Wem dank ich diese Ueberraschung? – Wem? ich frage noch? – – Verzeih dem Freudetrunknen, erhabne Vorsicht, diese Lästerung – – Wem sonst, als dir Allgütigste? Du wußtest daß Karlos ohne Engel war, du sandtest mir diesen, diesen, und ich frage noch?

Marquis. Vergebung, Prinz, wenn ich diß stürmische Entzücken mit Bestürzung nur erwiedre. So war es nicht, wie Posa Philipps Sohn erwartete – so fürchterlich umarmte mich Karl noch nie. Ein unnatürlich Roth entzündet sich auf ihren blassen Wangen und ihre Lippen brennen fieberhaft. Was muß ich glauben, theurer Prinz? – Das ist der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet. Jezt Prinz steh ich als Rodrigo nicht hier, nicht als des Knaben Karlos Spielgeselle, ein Abgeordneter der ganzen Menschheit umarm ich sie – es sind die flandrischen Provinzen, die an ihrem Hals jezt weinen, und feierlich um Rettung sie bestürmen. Der Tag ist da, der schreckenvolle Tag, der ohne Hoffnung ihre Freiheit endigt. Tirannisch wühlt Dom Philipp in dem Herzen des freigebodrenen Brabants. Verderben droht ihrem Haupt, der Einsturz ihren Kirchen, wenn Herzog Alba, Gottes Strafgericht, des Fanatismus rauher Henkersknecht, vor Brüßel rückt, und ihren Glauben mustert. Auf Kaiser Karls glorwürd’gem Enkel ruht die lezte Hoffnung dieser edlen Lande. Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.

Karlos.(nach einigem Stillschweigen) So stürzt sie denn dahin.

Marquis. Ist das die Antwort, die Karlos der Verzweiflung gibt?

Karlos. Was soll ich? Was will man denn? Nur Tränen kann ich geben, und Tränen brauch ich für mich selbst. Verließ der Himmel mich – was ligt an Nationen?

Marquis. Hier kenn ich meinen Karl nicht mehr. Spricht so der große Mensch – vielleicht der einzge, den die Geisterseuche seiner Zeit verschonte? Der bei Europas allgemeinem Taumel noch aufrecht stand – den gift’gen Schierlingstrank des Pfaffenthums, von welchem schon das zweite Jahrtausend sich im Schwindel dreht, beherzt vom Munde stieß – der gegen Priesterblize und eines Königs schlaue Heiligkeit und eines Volks andächtgen1 Rausch die Rechte der unterdrückten Menschheit gelten machte, der zu Madrid für Kezer bat, am Thurme der Santa Kasa für die Duldung stimmte? – – So fliehe dann aus dem Gebiet der Christen Gedankenfreiheit! Sünderin Vernunft bekehre dich zu frommer Tollheit wieder! zerbrich dein Wappen, ewige Natur! Geh unter freies Flandern! – Dein Erretter verlor den Mut, den Wahnwiz zu bekriegen.

Karlos.(aus einer Zerstreuung erwachend, und den Marquis bei der Hand fassend mit sanfter Wehmut) Sprichst du von mir? – Du irrst dich guter Mensch – auch mir hat einst von einem Karl geträumt, dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben; den du hier siehst, das ist der Karl nicht mehr der zu Alkala von dir Abschied nahm, der Karl nicht mehr, der sich beherzt getraute das Paradieß dem Schöpfer abzusehn, und dermaleins, als unumschränkter Fürst, in Spanien zu pflanzen – O der Einfall war kindisch aber göttlich schön. Vorbei sind diese Träume – ein verborgner Wurm frißt an dem Herzen dieser stolzen Staude, auf ewig ist ihr Wuchs dahin.

Marquis. O Gott, was ist geschehen, theurer Prinz? – Mir ahndet die schrecklichste Geschichte.

Karlos.(an Rodrigo’s Busen sich lehnend) Laß mich weinen an deinem Herzen blut’ge Tränen weinen, du einzger Freund – – Ich habe niemand, niemand, auf dieser großen weiten Erde niemand. So weit das Zepter meines Vaters reicht, so weit die Schiffarth unsre Flaggen sendet, ist keine Stelle, keine, keine, wo ich meiner Tränen mich entlasten darf, als diese!(mit einer feierlichen Heftigkeit) O! bei allem, Rodrigo, was du und ich dereinst im Himmel hoffen, von dieser Stelle, Rodrigo, verjage, verjage mich von dieser Stelle nicht.

Marquis.(neigt sich gegen ihn in sprachloser Rührung)

Karlos. Sieh mein Lippen brennen heiß auf dir, heiß fällt der Tränenstrom auf deine Seele; dein künft’ger Fürst geht betteln um dein Herz, arm ohne dich, bei sieben Diademen, Berede dich, ich wär ein Waisenkind das du am Tron mitleidig aufgelesen. Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin ein Fürstenknabe –

Marquis. Schrecklicher Gedanke, doch allzuwahr! –

Karlos. O wenn es eintrifft, was mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen herausgefunden bist, mich zu verstehn – Wenns wahr ist, daß die schaffende Natur den Rodrigo im Karlos wiederhohlte, und unsrer Seelen zartes Saitenspiel am Morgen unsers Lebens gleich bezog, wenn eine Träne, die mir Lindrung gibt dir theurer ist, als meines Vaters Gnade – –

Marquis. O gern will ich sie weinen.

Karlos. Sieh! so tief bin ich gesunken – bin so arm geworden, daß ich an unsre frühen Kinderszenen dich mahnen muß, daß ich dich bitten muß, die längst gestrichne Schulden heimzuzahlen, die du noch2 in der Ammenstube machtest. Als du und ich, zween Knaben wilder Art, so brüderlich zusammen aufgewachsen, als mein Gewissenswurm kein andrer war, als mich von dir beschämt zu sehn3, ich endlich mich kühn entschloß, dich gränzenlos zu lieben, weil mich der Mut verließ, dir gleich zu seyn. Da fieng ich an, mit tausend Zärtlichkeiten und warmer Bruderliebe dich zu quälen, Du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück. Ich stand, und sah den Kuß, wornach ich geizte, vorbei an mir auf fremde Wangen fallen, oft stand ich da, und – doch, das sahst du nie – und heiße schwere Tränentropfen hiengen in meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend, Vasallenkinder in die Arme drücktest. „Warum nur diese? rief ich weinend aus, bin ich dir nicht auch herzlich gut?“ – Du aber, du schieltest mich bedaurend an: „Nimm du mit deinem Tron vorlieb – – Monarchenknabe!“

Marquis. O stille, Prinz, von diesen kindischen Geschichten, die mich jezt noch schaamroth machen.

Karlos. Ich hatt es nicht um dich verdient. Verschmähen, zerreißen konntest du mein Herz, doch nie von dir entfernen – dreimal wiesest du den Fürsten von dir, dreimal stand er wieder als Bettler da, um Liebe dich zu flehn, und dir gewaltsam Liebe aufzudringen. Ein Zufall that, was Karlos nie gekonnt. Einmal geschah’s, bei unsern Kinderspielen, daß meines Vaters zahmer Pavian dich ärgerte, der Pavian sein Liebling, den er mit eigner Hand zu füttern pflegte. Ein Messer warfest du nach ihm, das Thier lief heulend zu dem König und blieb tod zu seinen Füßen liegen. Rasend sprang der König auf, ein schrecklicher Befehl beruft die ganze Dienerschaft des Hofes den Thäter zu erfragen. Der Monarch schwört einen fürchterlichen Schwur, den Mord des Thiers, und wärs an seinem eignen Kinde, barbarisch zu bestrafen. – Damals sah ich dich zitternd in der Ferne stehn, und jezt, jezt trat ich vor, und warf mich zu den Füßen des Königs hin „Ich that es, rief ich aus, an deinem Sohn erfülle deine Rache.“

Marquis. Nichts mehr, um Gotteswillen Prinz –

Karlos. Sie wards. Im Angesicht des ganzen Hofgesindes, das mitleidsvoll im Kraise stand, ward sie auf Sklavenart an deinem Karl vollzogen. Ich sah auf dich und weinte nicht. Mein Blut, das Blut von dreißig königlichen Ahnen floß schändlich unter unbarmherzgen Streichen, ich weinte nicht – des Schmerzens Uebermaaß schlug meine Zähne knirschend aneinander, ich sah auf dich, und weinte nicht. Mein Stolz empörte sich, ich sagte zu mir selbst: „Bin ich nicht ein gebohrner Fürst? Ists nicht der Boden meines Erbreichs, wo ich jezt gleich einem Wurm mich winden muß? Wer sind sie, die diese knechtische Begegnung sehn? Wie heißen sie, wenn ich ein Mann seyn werde?“ Jezt fühlt ich keine Ruthe mehr, nur diese zermalmende Erinnerung – ein Blick – ein Blick auf dich, ich war vergnügt. Den König erbitterte des Knaben Heldenmut. Drei fürchterliche Stunden zwang er mich auf hartem Holz ihn knieend abzubüßen. So hoch kam mir der Eigensinn zu stehn, von Rodrigo geliebt zu seyn – Du kamst, lautweinend sankst du mir zu Füßen: „Ja, Ja! – riefst du aus – Mein Stolz ist überwunden – ich will bezahlen, wenn du König bist.“

Marquis.(in der heftigsten Aufwallung) Und mich verleugne zwischen Tod und Leben die himmlische Barmherzigkeit – das Thor des Paradieses schlage eilend zu, wenn einst mein abgeschiedner Geist dort landet, die Auferstehung misse mein Gebein, Gott meine Seele, wenn ich je – –

Karlos. Halt ein, du sollst nicht schwören –

Marquis. Wenn ich je vergesse, was Karl für seinen Rodrigo gethan, was Rodrigo dem Karlos zugeschworen – Auch meine Stunde schlägt vielleicht.

Karlos. Jezt, jezt, O zögre nicht – jezt hat sie ja geschlagen. Die Zeit ist da, wo du vergelten kannst, ich brauche Liebe.

Marquis. Liebe, bester Prinz, ists ja allein, woran Dom Rodrigo nicht ärmer ist, als seines Königs Sohn.

Karlos. Ein unerträgliches Geheimniß brennt auf meiner Brust – es soll – es soll heraus, ich will und muß das Urtheil meines Todes in deinen todenbleichen Mienen lesen. Hör an – erstarre – doch erwiedre nichts – ich liebe meine Mutter.

Marquis. O mein Gott!

Karlos. Nein! Diese Schonung will ich nicht. Sprichs aus, sprich, daß auf diesem großen Rund der Welt kein Elend an das meine gränze – sprich, gesteh, daß eines Rasenden Gelüste, der sich an seiner Kette Klang ergözt, bescheidener, als meine Wünsche lauten. Was du mir sagen kannst, errath ich schon – der Sohn liebt seine Mutter – Weltgebräuche, die Tafeln der Natur und Roms Geseze verklagen diese Leidenschaft. Mein Wunsch stößt fürchterlich auf meines Vaters Liebe, Ich fühls und dennoch lieb ich. Dieser Weeg führt nur zu Wahnsinn oder – Blutgerüste, ich liebe ohne Hoffnung – lasterhaft – mit Todesangst, und mit Gefahr des Lebens, das seh ich ja, und dennoch lieb ich.

Marquis. Weiß die Königin um diese Neinung?

Karlos. Konnt ich mich ihr entdecken? – Sie ist Philipps Frau und Königin, und das ist spanscher Boden – von meines Vaters Eifersucht bewacht, von Etikette rings um eingeschlossen, wie konnt ich ohne Zeugen mich ihr nahn? Acht höllenbange Monde sind es schon, daß von der hohen Schule mich der König an seinen Hof zurückberief – daß ich sie täglich anzuschauen4, anzuhören verurtheilt bin, und – wie das Grab zu schweigen. Acht höllenbange Monde, Rodrigo, daß dieser Brand in meinem Busen wüthet, daß tausendmal sich das entsezliche Geständniß schon auf meinen Lippen meldet, doch scheu und faig zurück zum Herzen kriecht. O Rodrigo – nur wen’ge Augenblicke, nur soviel Zeit als Menschen nöthig haben mit Gott sich zu vergleichen, schenke mirallein mit ihr – und nimm dafür die ganze Unsterblichkeit des Karlos zur Verschreibung.

Marquis. Prinz – Prinz – was sie auch Willens sind zu thun, bei dem Allmächt’gen bitt ich – schonen sie der Ruhe ihres Vaters –

Karlos. Meines Vaters? Unglücklicher! warum an den mich mahnen? Sprich mir von allen Schrecken des Gewissens, von meinem Vater sprich mir nicht – Unheilbar auf ewig sprangen zwischen mir und ihm die demantstarken Bande der Natur.

Marquis. Sie hassen ihren Vater!

Karlos. Nein! o Gott! ich hasse meinen Vater nicht – doch Schauder (kann ich dafür?) und Höllenangst ergreifen bei den zwo fürchterlichen Silben mich als hört ich alle Sünden meines Lebens am Tag des Weltgerichts herunterlesen. Kann ich dafür, wenn eine viehische Erziehung schon in meinem jungen Herzen der Kindesliebe zarten Keim zertrat? Mein Vater sagst du? Recht! mit diesem Namen erschröckten meine Ammen mich – das war von allen Künsten ihrer Kinderzucht die wirksamste, wenn alle Ruthenstreiche an mir verloren waren – Sieben Jahre hatt’ ich gelebt, als mir zum erstenmal der Fürchterliche, der, wie sie es nannten, mein Vater war, vor Augen kam – es war an einem Morgen, wo er steh’nden Fußes vier Bluturtheile unterschrieb – nach diesem sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergeh’n Bestrafung angekündigt ward – o Gott!hier fühl ich, daß ich bitter werde, weg, weg, weg von dieser Stelle.

Marquis. Nein! sie sollen, jezt sollen sie sich öfnen Prinz. In Worten verblutet sich der stille Gram so gern.

Karlos. Oft hab ich mit mir selbst gerungen, oft um Mitternacht, wenn meine Mohren schliefen, mit heißen Tränengüßen vor das Bild der Hochgebenedeiten mich geworfen, sie um ein kindlich Herz gefleht – doch ohne Erhörung, eißkalt stand ich wieder auf. Was ist das? Wer erklärt mir das? – Sonst ist die Welt zu eng, die Liebe aufzufassen, die hier in meinem Busen für sie quillt – – Hier schlägt ein Herz, wie keins in allen Ländern, die meinem Vater zinsbar sind. Diß Herz, groß wie mein Rang, der Menschheit aufgethan, und weit genug, die Schöpfung zu umschließen, diß Herz allein – nicht meine Erstgeburt, nicht meiner Ahnen pralerische Kette, die tief im Heidenthum sich untertaucht – diß Herz allein ist mein Beruf zum Tron, und dieses Herz – O weint um mich ihr Armen – verschließt sich einem Menschen nur – nur einem – und wer ist das?

Marquis. Abscheulich!

Karlos. Rodrigo, enthülle du diß wunderbare Räzel der Vorsicht mir – Warum von tausend Vätern just eben diesen Vater mir? und ihm just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen? Zwei unversöhnlichere Gegentheile fand die Natur in ihrem Umkreis nicht, wie mochte sie die beiden lezten Enden des menschlichen Geschlechtes – mich und ihn durch ein so heilig Band zusammen schmieden? Furchtbares Loos! warum mußt es gescheh’n? Warum zween Menschen, die sich ewig meiden, in einem einz’gen eigensinn’gen Wunsch, auf einem Brett, das keine Theilung duldet, in unglücksel’ger Harmonie sich finden? Hier Rodrigo siehst du zwei feindliche Gestirne, die, im ganzen Lauf der Zeiten ein einzigmal, in scheitelrechter Bahn zerschmetternd sich berühren, dann auf immer und ewig auseinander flieh’n!

Marquis. Mir ahndet ein schreckenvoller Augenblick.

Karlos.Mir selbst. Wie Furien des Abgrunds folgen mir die schauerlichsten Träume – Zweifelnd ringt mein guter Geist mit gräßlichen Gelüsten, durch labirinthische Sophismen kriecht mein unglücksel’ger Scharfsinn, bis er plözlich vor eines Abgrunds gähem Rande stuzt – – – O Rodrigo, wenn ich den Vater je in ihm verlernte – Rodrigo – ich sehe dein todenblasser Blick hat mich verstanden – Wenn ich den Vater je in ihm verlernte, was würde mir der König seyn?

(Der Marquis beschwört den Prinzen, seiner Leidenschaft keinen Schritt zu erlauben, den er nicht zuvor der Freundschaft anvertraut hätte. Der Prinz wirft sich ganz in seine Arme, und fodert ihn bei dem heiligen Gelübd seiner Liebe auf, ihm eine Zusammenkunft mit der Königin zu bewirken. Die Königin ist zur nämlichen Zeit in Aranjuez; die Einsamkeit der Gegend, die zwanglose Sitte des Landlebens machen eine solche Zusammenkunft hier leichter möglich, als zu Madrid. Der Marquis hat Gelegenheit in den flandrischen Angelegenheiten Audienz bei der Königin zu erhalten, und verspricht dem Prinzen, ihre Empfindungen für ihn zu erforschen, und sie zu dieser Unterredung zu stimmen. Die Königin pflegte sich die meiste Zeit, daß der Hof zu Aranjuez war, in einer Eremitage aufzuhalten, die sie vorzüglich liebte. Dahin geht jezt der Marquis, nachdem er zuvor dem Prinzen gerathen hatte, in der Nähe dieses Plazes versteckt zu seyn, damit er sogleich auf das gegebene Zeichen erscheinen könnte.)

Zwote Verwandlung

Inhaltsverzeichnis

(Eine Einsiedelei im Garten zu Aranjuez.)

Dritter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Die Königin. Die Fürstin von Eboli. Die Marquisin von Mondekar, (welche sich mit kleinen Gärtnerarbeiten beschäftigen.) Der Marquis von Posa (tritt auf, und wird durch die Fürstin der Königin vorgestellt; nach einer kurzen Unterredung schickt die leztere die Fürstin weg, und die Marquisin verliert sich in die andere Gegend der Eremitage.)

Vierter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Die Königin und der Marquis.

Königin. Hier zeig ich ihnen meine Welt. Diß Pläzchen hab ich mir längst zum Liebling ausgesucht. Wie schön ists hier – wie herzlich – wie vertraulich – hieher – so scheint es – hat sich die Natur vor den Verfolgungen der Kunst geflüchtet. In unbelauschter Freiheit wohnt sie da von wenigen empfunden – o wie gerne verzeih ich hier dem König sein gerühmtes Aranjuez – die prächtige Verstümmlung der Werke Gottes.

Marquis. So verächtlich spricht die Königin vom achten Erdenwunder?

Königin. Bewundern sie die glatten Buchenwände, der Bäume banges Zeremoniell, die starr und steif, und zierlich wie sein Hof, in trauriger Parade um mich gähnen.Hier grüßt mich meine ländliche Natur, die Busenfreundin meiner jungen Jahre, hier find ich meine Kinderspiele wieder, und meines Frankreichs Lüfte wehen hier. Wird mein Gemahl die Sehnsucht mir verargen? Ich bin in Spanien – so schnell vergessen Parisermädchen ihre Heimat nicht.

Marquis. Doch, wenn sie darum nur Paris verließen, um Königinnen hier zu seyn?

Königin. O stille! Deßwegen bin ich ja dem Plaz so gut, weil ich das hier vergesse.

Marquis. Königin?

Königin. Weil diese friedliche Umschattung mir den freudelosen Rang verhehlt, in welchen ihr mich lebendig einzumauren wußtet. Betrübter Rang, der von der ganzen Welt durch einen unglücksvollen Spalt mich scheidet, der zwischen meinen königlichen Gram und eines Freundes offne Brust sich lagert, der mir die Träne zum Verbrechen macht, die ich so gern an5 seinem Halse weinte! – – Einsiedlern auf einem öden Tron, auf welchen nie das Mitleid mich begleitet, wo nichts als sklavische Verehrung mir nach einer hergebrachten Formel räuchert, mein Herz umsonst nach einem Herzen lechzt – Die Puppe des tirann’schen Hofgebrauches, der eure Fürsten wie vergiftete Tarandeln hütet, eure Königinnen wie Mumien vor der Berührung schüzt, wo find ich, was ich suche? – eine Seele, die sich vertraulich an die meine schmiegte?

(Der Marquis nimmt hier Gelegenheit das Gespräch auf ihre Situation mit dem König – auf die Jahre ihrer frühen Jugend – auf ihre Bekanntschaft mit dem Prinzen zu lenken. Sie zeigt ihm überall – ausgenommen in Betreff des Prinzen – die vertrauteste Offenherzigkeit. Er erzählt ihr die Geschichte des leztern und ihre eigene unter einer fremden Einkleidung, wodurch sie merklich beunruhigt wird. Der Schluß dieser Erzählung ist, daß die Königin, von dem lebhaftesten Antheil dahingerissen, die Empfindungen ihres Herzens verräth. Der Marquis gibt dem Prinzen das Zeichen, und zum Schrecken der Königin tritt der leztere auf. Jener zieht sich in die Eremitage zurück, die Damen der Königin unter der Zeit zu beschäftigen.)

Fünfter Auftritt

Inhaltsverzeichnis

Die Königin und Karlos.

Karlos.(vor ihr niedergeworfen) So ist er endlich da, der Augenblick, und Karl darf diese theure Hand berühren, und meine schwellende Empfindung darf in wollustvollen Strömen sich ergießen. O heller Strich in meinem Lebenslauf;Jezt bin ich glücklich.

Königin. Unbesonnener! Was für ein Schritt! Welch eine strafbare tollkühne Ueberraschung! Stehn sie auf! Um Gotteswillen stehn sie auf! – Die Gegend hat Augen und mein Hof ist in der Nähe.

Karlos. Ich steh nicht auf – hier will ich ewig knien. Auf diesem Plaz will ich verzaubert liegen, in dieser Stellung angewurzelt kleben, bis über mir und unter mir das Rad der Schöpfung stillgestanden.

Königin. Rasender! Zu welcher Kühnheit treibt sie meine Gnade! Wie? Wissen sie in welches Heiligthum sie diesen frevelhaften Einbruch wagen? Unglücklicher, daß es die Königin, daß es die Mutter ist, an die sich diese verwegne Sprache richtet? Wissen sie, daß ich den Schänder meiner Majestät dem Arme des Gerichts zu übergeben gezwungen bin?

Karlos. Und daß ich sterben muß. Man reiße mich von hier aufs Blutgerüste, man richte mich wie einen Hochverräther,ein Augenblick gelebt im Paradiese wird nicht zu theuer mit dem Tod gebüßt.

Königin.(mit dem schmelzendsten Tone) Und ihre Königin?

Karlos.(steht schnell auf) Gott! Gott! ich gehe, ich will sie ja verlassen – Muß ich nicht, wenn sie es also fodern – Mutter! Mutter! wie schrecklich spielen sie mit mir! ein Wink, ein halber Blick, ein Laut aus ihrem Munde wirft zwischen Höll’ und Himmel mich herum, gebietet mir zu seyn, und zu vergehen. Was wollen sie, das noch geschehen soll? Was unter dieser Sonne kann es geben, das ich nicht hinzuopfern eilen will, wenn sie es wünschen.

Königin. Fliehen sie!

Karlos.(steht in banger Unentschlossenheit) O Gott!

Königin. Das einz’ge Prinz, warum ich sie mit Tränen beschwöre – fliehen sie, eh die Prinzessin, eh meine Pagen, meine Kerkermeister, in dieser wilden Wallung sie und mich beisammen finden, und die große Zeitung vor ihres Vaters Ohren bringen – – Noch, noch schwanken sie, und stehen unentschlossen? – Unglücklicher, wolan, so bleibe denn, uns beide zu verderben.

Karlos. Ich erwarte mein Schicksal – es sei Leben oder Tod. hätt ich umsonst durch jedes Hinderniß und jedes Labirinth der Etikette, und alle Minotauren dieses Hofs, und alle Schlingen Philipps mich geschlagen? Was? hätt’ ich darum meine Hoffnungen auf diesen einz’gen Augenblick verwiesen, der sie mir endlich ohne Zeugen schenkt, daß mich am Ziele faige Schrecken täuschten? Nein Königin! Die Welt kann hundertmal, kann tausendmal um ihre Axe treiben, eh diese Gunst der Zufall wiederhohlt.

Königin. Auch soll er das in Ewigkeit nicht wieder, Unglücklicher, was wollen sie von mir?

Karlos. O Königin – daß ich gerungen habe, gerungen wie kein Sterblicher noch rang, ist Gott mein Zeuge – Königin, umsonst – Hin ist mein Heldenmut, ich unterliege.

Königin. Nichts mehr davon – hinweg mit dieser Sprache – um meiner Ruhe willen, schweigen sie.

Karlos. Nein! ich will reden. Mein gerechter Schmerz erleichtre sich in wütender Verwünschung. Sie waren mein. Im Angesicht der Weltmir zugesprochen von zwei großen Tronen,mir zuerkannt von Himmel und Natur, und Philipp, Philipp hat mir sie gestohlen.Gestohlen – O das ist das wahre Wort – laut will ichs ihm in beide Ohren rufen, laut durch die ganze weite Erde schrei’n, ein königlicher Dieb hat mich bestohlen.

Königin.(sehr ernsthaft) Es ist ihr Vater.

Karlos. Ihr Gemahl.

Königin. Der ihnen das größte Reich der Welt zum Erbe gab.

Karlos. Und sie zur Mutter!