Friesische Morde - Nina Ohlandt - E-Book
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Friesische Morde E-Book

Nina Ohlandt

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Spannung im Doppelpack: Dieser Sammelband enthält die einzeln bereits als eBook erschienenen Erzählungen "Keine Seele weint um mich" und "In der heißen Sonnenglut".

In "Keine Seele weint um mich" muss Hauptkommissar John Benthien den Mord an einer Meerjungfrau aufklären, die am Strand der Flensburger Förde tot aufgefunden wird. Schnell ist die Identität der Nixe geklärt: Julia Rixen aus Sylt. Kommissar John Benthien und sein Freund und Kollege Tommy Fitzen fahren auf die Insel, um mehr über die Hintergründe von Julias Tod zu erfahren. Dort treffen die beiden Kommissare gleich eine ganze Reihe an Menschen, die Julia zugleich geliebt und gehasst haben. Doch dann gibt es weitere Todesfälle und auch jemand, der Benthien nahesteht, gerät in tödliche Gefahr ...

"In der heißen Sonnenglut" findet John Benthien am Sylter Strand die Leiche einer Touristin. Seine Ermittlungen in dem Fall führen den Hauptkommissar direkt zu den berühmten Ashbury-Zwillingen, die seit einiger Zeit auf Sylt leben. Doch Agnes und Alina Ashbury sind seit einigen Tagen verschwunden und haben etliche Termine zum Erscheinen ihres neuen Buches versäumt! Neben dem Ehemann der Verstorbenen, der sich höchst verdächtig benimmt, trifft Benthien noch auf einen Journalisten, der sich äußerst hartnäckig an die Fersen der beiden Schwestern geheftet hat - und beide Männer verhalten sich überaus verdächtig ...

eBooks von beThrilled - mörderisch gute Unterhaltung!


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Seitenzahl: 340

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKeine Seele weint um michHinweis für die Leser1. Karfreitag, 21. April – Am Ufer der Flensburger FördePolizeidirektion in FlensburgWesterland/SyltIm Haus Bewerunge in BraderupAbends im Friesenhaus in Mellhörn/List2. Ostersamstag, 22. April – Im Friesenhaus in Mellhörn/ListMorgens im Haus Bewerunge in BraderupIm Friesenhaus in Mellhörn/ListMorgens im Haus Bewerunge in BraderupIn KeitumKampen, am NachmittagIm Friesenhaus in Mellhörn/ListAbends in Hörnum3. Ostersonntag, 23. April – Im Friesenhaus in Mellhörn/ListNachmittags in WesterlandIm Friesenhaus in Mellhörn/ListIm Hause Bewerunge in BraderupIm Friesenhaus in Mellhörn/ListAuf dem Rückweg nach ListIn der Nordseeklinik in WesterlandAbends im Haus Bewerunge in Braderup4. Ostermontag, 24. April – Vormittags in Westerland, in der NordseeklinikIm Haus Bewerunge in BraderupAuf dem Parkplatz der SansibarNachmittags in der Nordseeklinik5. Dienstag, 25. April – Frühmorgens am Strand von ListIm Friesenhaus in Mellhörn/ListIm Haus Bewerunge in BraderupNachmittags im Friesenhaus in Mellhörn/ListNachmittags im Haus Bewerunge in Braderup6. Mittwoch, 3. Mai – Vormittags in der Polizeidirektion FlensburgIn der heißen SonnenglutHinweis für die Leser:Sonntag, 19. Juni, 04:08 UhrSamstag, 25. Juni, 11:14 UhrSamstag, 25. Juni, 19:27 UhrSonntag, 26. Juni, 08:23 UhrMontag, 27. Juni, 05:53 UhrMontag, 27. Juni, 11:51 UhrMontag, 27. Juni, 14:37 UhrDienstag, 28. Juni, 08:12 UhrDienstag, 28. Juni, 11:55 UhrMittwoch, 29. Juni, 12:23 UhrMittwoch, 29. Juni, 13:41 UhrMittwoch, 29. Juni, 21:18 Uhr

Über dieses Buch

Spannung im Doppelpack: Dieser Sammelband enthält die einzeln bereits als eBook erschienenen Erzählungen »Keine Seele weint um mich« und »In der heißen Sonnenglut«.

In »Keine Seele weint um mich« muss Hauptkommissar John Benthien den Mord an einer Meerjungfrau aufklären, die am Strand der Flensburger Förde tot aufgefunden wird. Schnell ist die Identität der Nixe geklärt: Julia Rixen aus Sylt. Kommissar John Benthien und sein Freund und Kollege Tommy Fitzen fahren auf die Insel, um mehr über die Hintergründe von Julias Tod zu erfahren. Dort treffen die beiden Kommissare gleich eine ganze Reihe an Menschen, die Julia zugleich geliebt und gehasst haben. Doch dann gibt es weitere Todesfälle und auch jemand, der Benthien nahesteht, gerät in tödliche Gefahr …

»In der heißen Sonnenglut« findet John Benthien am Sylter Strand die Leiche einer Touristin. Seine Ermittlungen in dem Fall führen den Hauptkommissar direkt zu den berühmten Ashbury-Zwillingen, die seit einiger Zeit auf Sylt leben. Doch Agnes und Alina Ashbury sind seit einigen Tagen verschwunden und haben etliche Termine zum Erscheinen ihres neuen Buches versäumt! Neben dem Ehemann der Verstorbenen, der sich höchst verdächtig benimmt, trifft Benthien noch auf einen Journalisten, der sich äußerst hartnäckig an die Fersen der beiden Schwestern geheftet hat – und beide Männer verhalten sich überaus verdächtig …

eBooks von beThrilled – mörderisch gute Unterhaltung!

Über die Autorin

Nina Ohlandt wurde in Wuppertal geboren, wuchs in Karlsruhe auf und machte in Paris eine Ausbildung zur Sprachlehrerin, daneben schrieb sie ihr erstes Kinderbuch. Später arbeitete sie als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Marktforscherin, bis sie zu ihrer wahren Berufung zurückfand: dem Krimischreiben im Land zwischen den Meeren, dem Land ihrer Vorfahren.

Nina Ohlandt

FriesischeMorde

Zwei Fälle für John Benthien in einem Band

Copyright © der digitalen Originalausgaben 2016 und 2017by »be« – das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © dieser Ausgabe 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8431-4

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Nina Ohlandt

Keine Seele weint um mich

Nordsee-Krimi

Hinweis für die Leser:

Die Kurzromane um John Benthien und sein Team

sind zeitlich vor den Romanen angesiedelt!

1. Karfreitag, 21. April

Am Ufer der Flensburger Förde

»Mama«, rief das kleine Mädchen, »Mama, guck doch mal!«

Es beugte sich hinunter und berührte seinen wunderbaren Fund vorsichtig mit den Fingerspitzen. Die blau und grün changierenden Schuppen leuchteten im Sonnenlicht und erinnerten das kleine Mädchen an ein besonders schönes Bild in seinem Märchenbuch. Wassertropfen funkelten wie Diamanten, hüftlange Haare umgaben das Zaubergeschöpf, das vor dem Kind im Sand lag, wie ein nachtschwarzer Umhang. Der elegante Fischschwanz wurde immer wieder von den anlaufenden Wellen überspült und glitzerte wie ein silbern überhauchter Regenbogen.

»Mama!«, rief das Kind nun energisch, da keine Reaktion erfolgt war. »Ich hab eine kleine Seejungfrau gefunden! Komm her und guck!«

Die junge Mutter, die an diesem schönen vorösterlichen Frühlingstag schon zeitig an den Strand von Solitüde gefahren war, konzentrierte sich darauf, die Strandtasche auszuräumen und eine widerspenstige Sonnenliege aufzustellen, deshalb hörte sie nur mit halbem Ohr hin. Noch waren sie allein an diesem idyllischen, hellen Sandstrand an der Flensburger Förde. Aus dem Frühdunst tauchten gerade die ersten Segelboote auf dem Wasser auf.

Das kleine Mädchen kam angerannt und griff nach der Hand der Mutter. »Ich hab eine kleine Seejungfrau gefunden!«, wiederholte das Kind, nun schon spürbar ungeduldig. »Guckst du jetzt endlich? Ich glaube, sie schläft. Und du hast mir erzählt, es gibt keine Seejungfrauen!«

»Was redest du da?«

Doch sie ließ sich mitziehen, quer über den Strand bis an die Stelle, wo die Fördewellen sachte ans Ufer plätscherten. Dort blieb sie mit einem Ruck stehen und schnappte nach Luft, dann zog sie die Kleine, die heftig protestierte, fast gewaltsam mit sich.

»Aua!«, schrie ihre Tochter. »Du tust mir weh!«

»Setz dich auf die Liege und rühr dich nicht vom Fleck!«, befahl die Mutter mit so strenger Stimme, dass die Kleine nicht mehr zu widersprechen wagte. Dann kramte Petra Rohwedder ihr Handy hervor und wählte mit zitternden Händen die 110.

Das rot-weiße Flatterband der Polizei sperrte in einem Halbkreis den gesamten Strand von Solitüde ab. Jenseits des Bandes warteten etliche Sonnenhungrige, beladen mit Taschen, Luftmatratzen, Schwimmflügeln, Bällen, Eimern und Boule-Kugeln, und schimpften lauthals, weil sie nicht an den Strand durften. Zur Entschädigung wollten sie wenigstens etwas von dem Drama am Ufer mitkriegen, doch die Uniformierten drängten sie immer weiter zurück.

»Hier gibt es nichts zu sehen«, sagten sie immer wieder, »bitte räumen Sie den Platz!«

Tatsächlich gab es außer einigen Polizeiwagen, einem Bus der Spurensicherung, einem Leichenwagen und etlichen amtlichen Personen am Ufer nichts zu entdecken, denn irgendjemand hatte ein Zelt angeschleppt und über der Leiche aufgestellt.

»Es ist eine Seejungfrau«, schluchzte das kleine Mädchen, »und ich habe sie gefunden. Sie ist doch nicht tot, Mama? Sie schläft doch nur, oder nicht?«

Sie knuffte ihre Mutter in die Seite. Beide waren von zahlreichen Neugierigen umgeben, die pausenlos auf sie einredeten und Fragen stellten.

Dann kam ein Mann in Jeans, blauem Hemd und einer schön patinierten Lederjacke, mit Dreitagebart und wuscheligen, kragenlangen Haaren auf sie zu, der trotz seines legeren Aussehens offenbar zur Polizei gehörte. Widerwillig trat die Menge ein paar Zentimeter zurück, es wurde still. Schließlich wollten alle hören, was der Mann zu sagen hatte.

»Sind Sie die Zeugin, Frau Rohwedder?«, fragte er und berührte die junge Mutter am Arm.

»Meine Tochter hat sie gefunden«, sagte die Frau erschöpft. »Wann können wir endlich nach Hause?«

»Bald«, versicherte der Polizeibeamte, der sich als Oberkommissar Fitzen vorstellte. »Jetzt kommen Sie erst einmal mit mir.« Er hob das Flatterband hoch und begleitete Mutter und Tochter zu einem Polizeibus. Er bot ihnen Mineralwasser an, nachdem sie sich im Innern des Busses an einem Tisch niedergelassen hatten.

»Aber wir haben nichts und niemanden gesehen, nur die Tote«, sagte Petra Rohwedder, »und die lag schon da, als wir ankamen. Weit und breit war niemand in der Nähe.«

»Es dauert nicht lange«, beruhigte sie der Polizeibeamte. »Ich muss nur eben Ihre Aussage aufnehmen.«

»Schätzungsweise seit drei oder vier Tagen«, sagte die Rechtsmedizinerin im Zelt, das am Strand aufgestellt worden war, auf die eine, die wichtigste Frage, die ihr bei einem Leichenfund immer als Erstes gestellt wurde. »Zumindest liegt sie so lange schon im Wasser. Ob sie ertrunken ist, kann ich erst nach der Obduktion sagen. Ich vermute aber, sie ist schon früher und an anderer Stelle gestorben.« Sie strich der Toten sachte eine der langen Haarsträhnen zurück. »Sehen Sie das hier? Sieht aus, als ob sie geschlagen wurde. Die Schädeldecke ist aufgeplatzt, und es kam zu einer leichten Blutung. Aber das wird nicht die Todesursache gewesen sein.«

Lilly Velasco wunderte sich. Der brummige und wortkarge Rechtsmediziner, der sonst immer ihre Leichen untersuchte, war im Osterurlaub, und seine Vertretung war erstaunlich kooperativ und gesprächig. Das war sie nicht gewohnt, wusste es aber zu schätzen.

Sie wechselte einen erfreuten Blick mit John Benthien, ihrem Chef, dem Ersten Hauptkommissar der Flensburger Kripo, der den kunstvoll gearbeiteten Nixenschwanz des Mädchens musterte.

»Wie alt könnte sie sein?«, fragte Lilly und strich eine schimmernde Haarsträhne, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel, energisch hinters Ohr.

»Auf jeden Fall zu jung zum Sterben«, antwortete die Ärztin.

Alle drei betrachteten voller Mitgefühl die Tote. Sie musste, dachte Lilly, im Leben sehr hübsch gewesen sein. Selbst das aufgedunsene Gesicht und der leichte Fischfraß an der rechten Wange konnten dies nicht verbergen. Sie hatte einen schlanken Hals und einen zarten Knochenbau, fast wie ein Kind, obwohl Lilly sie auf Anfang zwanzig schätzte. Außer ihrem Nixenkostüm – einem hautfarbenen Trikot mit einem glänzenden Fischschwanz – trug sie nichts weiter am Leib.

»Wenn sie bereits seit ein paar Tagen im Wasser liegt, muss sie vermisst worden sein«, sagte Lilly. »Wir sollten die Vermisstenmeldungen durchgehen.«

»Ich denke gerade über ihr Kostüm nach«, erwiderte Benthien und kratzte sich am Kopf. »Hat sie sich das selbst geschneidert, und wenn ja, warum? Oder gibt es Schwimmkurse, die Nixenschwimmen lehren, so wie in Kalifornien, wo sie zur Überraschung der Touristen unter den Glasbodenbooten schwimmen? Vielleicht soll das auch hier an der Förde ein neuer Trend werden?«

»Was für eine geniale Idee«, kommentierte Lilly sarkastisch. »John, die Flensburger Touristikbranche sollte dich als kreativen Berater hinzuziehen …«

»Wer ist hier genial und kreativ?«, fragte Tommy Fitzen, der sich vom Polizeibus her näherte. »John etwa? Das wüsste ich aber, ich kenne ihn ja lange genug. Und ich weiß nichts dergleichen!«

»Klappe!«, schnauzte Benthien seinen alten Freund an.

Lilly unterdrückte ein Lächeln. Sie war seit einem Jahr beim Team der Flensburger Kripo und hatte den Wechsel nie bereut. In Lüneburg war es eher hierarchisch zugegangen, der Chef war korrekt, aber auch streng gewesen. Hier dagegen herrschte ein viel lockererer Ton. Benthien legte Wert auf ein gutes Betriebsklima, ließ im privaten Bereich auch mal fünfe gerade sein und war oft selbst an den Tatorten unterwegs und machte Feldarbeit, weil es ihn langweilte, nur am Schreibtisch zu sitzen. Lilly liebte die Kabbeleien zwischen ihm und Fitzen. Beide waren ungefähr gleich alt, Anfang vierzig, waren auf Sylt aufgewachsen und kannten sich seit Kindertagen. Fitzen war undercover im Drogenmilieu in Hamburg unterwegs gewesen, Benthien hatte erst bis zum Vorexamen Psychologie studiert und später, als er bereits im Polizeidienst war, Seminare zur Ausbildung als Profiler gemacht. Er galt als Verhörspezialist, und Lilly war froh, von ihm und Fitzen den einen oder anderen Kniff lernen zu können.

Die Ärztin begutachtete gerade die schmalen Arme der Toten. Sie nahm erst den einen, dann den anderen hoch und betrachtete sie lange und genau.

»Sehen Sie da was?«, fragte Fitzen ungeduldig.

»Ich sehe Hämatome und Schnitte, sogar eine ganze Menge«, sagte die Rechtsmedizinerin und legte den Arm wieder sanft zu Boden. »Könnte sein, dass sie sich geritzt hat.« Sie blickte auf. »Ich rufe Sie jedenfalls so bald wie möglich an!«

»Nette Frau«, bemerkte Fitzen, als sie zu dritt im zivilen Polizeiwagen wieder nach Flensburg zurückfuhren. »Sehr kompetent. Mit der kann man besser arbeiten als mit Radtke. Und wesentlich attraktiver ist sie auch!«

»Was hat denn ihr Aussehen mit ihrer Kompetenz zu tun, du alter Chauvi?«, fragte Lilly angriffslustig.

Fitzen, der hinten in der Mitte saß und sich nach vorne beugte, sodass sich sein Kopf zwischen den beiden Rückenlehnen befand, grinste. »Dich kann man so leicht auf die Palme bringen, Lillykind. Da, willst du einen Kaugummi?«

»Nenn mich nie wieder Lillykind!«, fauchte Lilly und riss ihm den Kaugummi aus der Hand.

»Sonst …?«, fragte Fitzen.

»Tommy, benimm dich und hör auf, Lilly zu ärgern«, ging Benthien dazwischen und nahm reichlich kühn eine Kurve. »Erzähl uns lieber, was deine Zeugen gesagt haben, die Mutter und das Kind. Ich nehme an, sie kannten die Tote nicht?«

»Da liegst du richtig. Die Kleine war völlig außer sich, als sie erfuhr, dass ihre schöne Seejungfrau tot war und nicht etwa schlief, wie sie gedacht hatte. Armes Kind. Das wird sie noch lange verfolgen. Gesehen haben sie leider nichts und niemanden, sie waren, als sie die Tote fanden, ganz allein am Strand. Es war ja noch früh.« Er fabrizierte eine kunstvolle Kaugummiblase. »Aber was erwarten wir denn? Dass der Mörder durch die Büsche linst? Das Mädchen war seit ein paar Tagen im Wasser, und der Täter wird über alle Berge sein!«

»Oder«, sagte Lilly, »er befand sich unter den Schaulustigen, die vor der Absperrung herumstanden. Hat es alles schon gegeben.«

»Kann auch sein«, gab Fitzen gleichmütig zu. »Bruno hat sie jedenfalls alle fotografiert.«

Lilly genoss die Fahrt zurück nach Flensburg. An vielen Bäumen war bereits frisches Grün zu sehen, in den Gärten der Häuser und am Straßenrand blühten die Osterglocken. Der Himmel zeigte ein mildes Blau, und für die Jahreszeit war es überraschend warm. Sie konnte sich vorstellen, dass die Zeugin, Petra Rohwedder, sich mit ihrer kleinen Tochter einen anderen Tagesverlauf am schönen Sandstrand von Solitüde vorgestellt hatte. Auch sie hatte sich das diesjährige Osterfest anders ausgemalt. Die Feiertage würden für die Mitglieder der Mordkommission nun zweifellos gestrichen.

***

… dich kennenlernte, war ich der glücklichste Mensch auf Erden. Du heilst meine tödlichen Schmerzen, mein wunderbarer Engel, dank dir bin ich heute gesund.

Polizeidirektion in Flensburg

Als sie die Polizeidirektion Flensburg erreichten, die in dem schönen gründerzeitlichen Gebäude Norderhofenden 1 residierte, setzte sich Lilly als Erstes mit Juri Rabanus zusammen, einem engagierten Kollegen, der seit einem Jahr den Tod seiner Frau betrauerte und sich in die Arbeit stürzte, um sich abzulenken, wann immer es ging. Er hatte bereits die Vermisstenmeldungen der letzten Wochen herausgesucht, aber nichts gefunden. »Ein Großteil der vermissten jungen Mädchen, die infrage kämen, sind wieder aufgetaucht«, teilte er Lilly mit. »Die anderen passen vom Alter her nicht.«

Und richtig, ein junges Mädchen, das ihrer Nixe ähnelte, war nicht darunter, obwohl sie ja bereits seit Tagen verschwunden sein musste. Irgendjemand hatte sie getötet und in die Förde geschmissen wie einen Sack Müll. Warum wurde sie nicht vermisst? Lilly und Rabanus überlegten kurz, ob sie vielleicht mit ihrem Mörder zusammengelebt hatte, der sie natürlich nicht als vermisst gemeldet hatte und inzwischen vielleicht längst untergetaucht war, aber es war klar, dass sie mit solchen Spekulationen nicht weiterkamen.

Als Lilly das Zimmer betrat, das sich Benthien mit Fitzen teilte, hing John am Telefon, während Fitzen mit dem Handy am Ohr auf dem Balkon stand. Lilly schüttelte den Kopf, zum Zeichen, dass sie nichts erreicht hatte, als Fitzen ins Zimmer trat und verkündete: »Ich habe sie vielleicht gefunden!«

Gleichzeitig rödelte das Faxgerät auf Benthiens Schreibtisch und spuckte ein Blatt Papier aus. Es kam aus der Rechtsmedizin und zeigte ein Foto der toten Nixe. Man hatte sie geschminkt, überdies hatte der Fotograf sie so aufgenommen, dass man den Fischfraß nicht sah und damit das Bestmögliche aus dem Foto gemacht. Auch den auffälligen Nixenschwanz hatte er dokumentiert.

»Das ist gut«, sagte Fitzen, »dass das Foto schon da ist, dann kann ich es gleich nach Westerland faxen.«

»Nach Westerland?«, fragten Lilly und Benthien wie aus einem Mund.

»In Westerland«, sagte Fitzen feierlich, »gibt es in der Sylter Welle seit einigen Wochen einen Kurs für Nixen. Sieben junge Frauen werden dort für ihre Auftritte geschult. Ist quasi ein Ferienjob während der Saison. Die Nixen tauchen bei Piratenfahrten auf und spielen ein bisschen Theater, dann dürfen sie von den Kindern gerettet werden, oder sie schwimmen mit den Kids in der Sylter Welle. Man kann sie dort aber auch für Geburtstagsfeiern buchen. Nun müssen wir nur noch herausfinden, ob unsere Nixe dort bekannt ist.«

Nach zwanzig Minuten wussten sie es. Der Manager der Bade-Events rief zurück und bestätigte, dass er dieses Gesicht und dieses Nixenkostüm kenne. »Es handelt sich um Julia Rixen«, sagte er, und man hörte das Entsetzen in seiner Stimme. »Soweit ich weiß, wohnt sie in Wenningstedt-Braderup bei ihrer Mutter. Oh mein Gott, ihre Mutter! Soll ich …?«

»Nein«, sagte Benthien hastig, »überlassen Sie das bitte uns! Wir werden heute noch nach Sylt fahren!«

»Julia Rixen«, sagte Fitzen nachdenklich, nachdem Benthien aufgelegt hatte. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor. Euch nicht?«

»Mir nicht«, sagte Lilly. »Aber ich bin ja auch erst seit einem Jahr hier.«

Sie beobachtete Benthien, der sich stirnrunzelnd wieder seinem Computer zugewandt hatte und Google aufrief. Offenbar hatte er schnell gefunden, was er suchte.

»Vor fünf Jahren gab es einen Prozess mit Julia Rixen als Angeklagter, aber sie wurde freigesprochen«, sagte er, die Augen noch immer auf den Bildschirm gerichtet.

»Sie war Angeklagte?«, fragte Lilly ungläubig.

»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Fitzen und bot wieder eine Runde Kaugummi an. »Hatte sie nicht ihren Exfreund niedergeschlagen, weil er Nacktfotos von ihr ins Netz gestellt hatte?«

»Sie hatte ihn mit einem Messer angegriffen. Ja, der Fall schlug hohe Wellen und ging durch alle Medien«, berichtete Benthien, während er für seine Füße ein gemütliches Plätzchen auf seinem Schreibtisch suchte. »Sie war damals zarte siebzehn und lebte in Lübeck, besuchte dort das Gymnasium. Als sie sich von ihrem Freund, Matteo B., trennte, konnte der das nicht verkraften und stalkte sie, stellte Nacktfotos von ihr auf verschiedenen Seiten ein und schickte sie sogar an die Schule. Anonym natürlich, aber er stellte sich dabei so blöd an, dass es rauskam. Julia machte einen Selbstmordversuch, den sie überlebte. Monate später kam sie offenbar auf die Idee, sich zu rächen, indem sie mit einem Messer auf ihren Exfreund losging und ihn … na ja, einigermaßen ernsthaft verletzte. Er war nicht in Lebensgefahr, musste aber operiert werden.« Er wandte sich wieder dem Computer zu und rief eine andere Seite auf.

»Es ist doch immer dasselbe«, regte sich Lilly auf. »Die Kerle können es einfach nicht akzeptieren, wenn ihre Partnerin das Interesse an ihnen verliert. Die denken, wir Frauen sind ihr Eigentum. Ist er wenigstens bestraft worden für sein Stalking?«

»Sozialstunden«, sagte Benthien zerstreut. »Aber ich habe mich vorhin geirrt, Julia R. wurde doch verurteilt, allerdings auf Bewährung. Sie ist dann mit ihrer Mutter aus Lübeck weggezogen.«

»Und jetzt, fünf Jahre später, wird sie tot in der Förde gefunden«, bemerkte Fitzen. »Was für ein seltsamer Zufall!«

»Das wohl kaum«, meinte Lilly.

Benthien fuhr seinen Computer herunter. »Also dann, auf nach Sylt. Wollt ihr euch schnell ein paar Sachen von zu Hause holen? Ich nehme an, wir werden einige Tage auf der Insel bleiben müssen.«

»Ja, und Ostern können wir vergessen!«, sagte Fitzen bitter. »Katharina hat sich die Feiertage im Krankenhaus extra frei gehalten. Die wird mich umbringen, wenn sie hört, dass ich mich beruflich auf Sylt verlustiere!«

»Vielleicht kannst du ja am Ostersonntag kurz rüberfahren, oder Katharina und Jenny kommen nach Sylt. Das sehen wir dann, Tommy«, tröstete ihn Benthien.

Westerland/Sylt

Es war schon später Nachmittag, als Benthien mit seinen Kollegen in Niebüll auf das Sylt-Shuttle fuhr. Auf dem Weg nach Westerland hatten sie sich noch einmal ausführlicher mit dem Fall Rixen und dem Prozess beschäftigt. Julias Freund war auf dieselbe Schule gegangen wie Julia, in die Parallelklasse. Die beiden waren seit knapp einem Jahr ein Liebespaar gewesen, als sich Julia von ihm getrennt hatte. »Ohne mir je den Grund zu nennen«, so Matteo vor Gericht. »Weil er extrem eifersüchtig war und mich einengte«, hatte Julia geklagt.

Matteo war ein Junge aus sogenanntem »guten Hause«. Sein Vater, ein Amerikaner italienischer Herkunft, war Bauunternehmer, die Mutter Rechtsanwältin. Matteo war ein guter Schüler, attraktiv und allseits beliebt, besonders bei den Mädchen, sogar bei den Lehrern, und außerdem Schulsprecher. Doch die Trennung von Julia hatte ihm offenbar sehr zugesetzt. Er rief sie pausenlos an, verfolgte sie, bis er eines Tages plötzlich damit aufhörte. Er hatte nämlich etwas Besseres gefunden, hatte einen Racheplan ausgebrütet. Zuerst stellte er erotische Fotos von ihr ins schuleigene Intranet, dann kursierte ein Video von Julia im Netz, in dem sie sich vor Matteo aufreizend und lasziv in Szene setzte und sich zuletzt nackt auf dem Bett räkelte. Dass es ihr Spaß machte, war offensichtlich.

Julias Mutter zeigte Matteo an, und er bekam etliche Sozialstunden aufgebrummt. Julia hatte, nach einem gewaltigen Shitstorm, einen Selbstmordversuch mit Tabletten hinter sich und weigerte sich, diese Schule noch länger zu besuchen. Über Matteos Strafmaß schien sie enttäuscht zu sein, denn eines Tages lauerte sie ihm abends auf der Straße auf und griff ihn mit einem Messer an. Der anschließende Prozess gegen sie machte deutschlandweit Schlagzeilen, obwohl er unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Radikale Feministinnen beglückwünschten sie zu ihrer Tat. Julia wurde zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt und verschwand kurz darauf von der Bildfläche. Auch die Mutter, seit Langem schon Witwe, zog aus Lübeck weg. Das war das Ende der Geschichte. Bis zu diesem sonnigen Tag im April hatte niemand mehr von Julia Rixen gehört. Und nun lag sie im Nixenkostüm tot am Fördestrand.

»Wer hätte das gedacht, dass die beiden auf Sylt leben, gar nicht so weit von hier«, sagte Fitzen, der wieder hinten saß und sich ebenfalls mit seinem Laptop beschäftigte. »Übrigens, Julia war ein sehr attraktives Mädchen. Kurz bevor das alles geschah, wurde sie auf einem Jahresabschlussball zur Schulschönheitskönigin gewählt.«

»So ein Kokolores«, meinte Lilly. »Dass die Schulen diesen Unsinn jetzt auch schon mitmachen …«

»Ich wusste gar nicht, dass du so eine Emanze bist«, stichelte Fitzen, um Lilly zu ärgern.

»Leute, fangt jetzt nicht schon wieder an!«, meldete sich Benthien. »Überlegt euch lieber, wo ihr schlafen wollt, bei mir oder in einer Pension.«

Benthien war stolz auf sein altes Kapitänshaus, das er oder vielmehr sein Vater Benjamin Karl Benthien von seinen Vorvätern geerbt hatte. Es stand auf einer Düne in List, mit Blick auf das Wattenmeer und die dänische Küste. Da immer irgendwas daran zu arbeiten und zu werkeln war, befand sich sein Vater bereits seit Wochen im Haus und freute sich nun, dass sein Sohn über Ostern auf Sylt sein würde. Karin, Benthiens Lebensgefährtin, und deren Tochter Celina freuten sich weniger. Im Grunde war er in derselben Situation wie Fitzen. Immer abrufbereit, nie war er sicher, dass er die Feiertage auch tatsächlich mit der Familie verbringen konnte. Und so unglaublich viele Beziehungen von Polizeibeamten gingen in die Brüche …

»Hast du denn genug Platz für uns?«, fragte Lilly.

»Sein Haus hat elf Zimmer«, sagte Fitzen so stolz, als handelte es sich um sein eigenes Haus. Benthien wusste, dass Fitzen immer noch seiner Zeit auf Sylt nachtrauerte. Er hatte meistens bei seiner Großmutter gewohnt, bis das Haus verkauft worden und sie in ein Seniorenheim auf dem Festland gezogen war. Umso mehr genoss er es, wenn er, beruflich oder privat, auf die Insel fahren konnte. Und meistens wohnte er dann im Benthien’schen Haus.

Inzwischen war der Autozug in den Bahnhof von Westerland eingefahren. Lilly lenkte den Wagen in Richtung Wenningstedt, dirigiert von Benthien. Sie fanden die genannte Adresse im Ortsteil Braderup, ein kleines, eher bescheidenes Backsteinhaus älteren Baujahrs. Leider öffnete auf ihr Klingeln niemand, obwohl das Haus nicht unbewohnt aussah. Dass auf dem Klingelschild der Name »Bewerunge« stand, irritierte Benthien. Aber die Adresse stimmte. Vielleicht hatte Julias Mutter wieder geheiratet?

Da niemand an die Tür kam, gingen sie durch den kleinen Vorgarten um das Haus herum. Im Garten blühten Tulpen und Osterglocken, ein kleines Bäumchen inmitten eines Beets von Stiefmütterchen stand in voller Blüte. An einem unbelaubten Busch blinkten bunte Ostereier. Ein Strandkorb war noch winterfest eingepackt.

Benthien spähte durch eins der Fenster, dessen Gardine nicht ganz zugezogen war. Er sah ein Wohnzimmer, in dem Kissen, Zeitschriften und zwei Essteller auf dem Boden lagen. Einige Schubladen waren herausgerissen worden, eine Stehlampe hing schräg über der Couch. Er klopfte gegen die Terrassentüre, doch im Haus rührte sich nichts.

»Hier ist eindeutig Gefahr im Verzug«, sagte Fitzen und musterte die Fenster, um eines zu finden, das vielleicht gekippt war und das er leicht öffnen konnte. In diesem Augenblick bog eine junge Frau um die Ecke.

»Was machen Sie da?«

Sie war klein, stämmig, energisch und marschierte mit großen Schritten auf sie zu. Benthien musste fast schmunzeln, ihm imponierte ihr Mut. Schließlich konnte sie nicht wissen, wer sie waren und was sie hier wollten. Und sie stand allein gegen drei. Um sie zu beruhigen, zückte er schnell seinen Polizeiausweis und stellte anschließend auch Fitzen und Lilly vor.

»Ist irgendwas passiert?«, fragte die junge Frau. »Ich bin übrigens Ingken Blome, zeitweise die Nachbarin zwei Häuser weiter. Ist mit Anne etwas passiert?«

»Zeitweise? Wie dürfen wir das verstehen?«

Sie lachte und steckte die Hände in die tiefen Taschen ihres Overalls. »Ich bin nur an manchen Tagen da, führe den Haushalt, aber ich wohne in Westerland. Ist Anne schon zurück?«

»Anne Bewerunge?«, fragte Lilly. »Ist das Julias Mutter?«

Ingken Blome nickte. »Sie ist im Krankenhaus, ihr ging es nicht gut, aber eigentlich sollte sie heute entlassen werden, soviel ich weiß.«

Fitzen deutete auf das unordentliche Wohnzimmer. »Es sieht aus, als wäre da eingebrochen worden …«

»Was ist hier los?«, ertönte plötzlich eine weitere Stimme.

Ein Mann Anfang sechzig betrat das Grundstück. Auch er trug einen Overall, ein kariertes Holzfällerhemd, das an den Seiten heraushing, und hielt eine Heckenschere in der Hand. Offenbar war er trotz des Feiertags bei der Gartenarbeit gewesen. Sein flächiges, rundes Gesicht strahlte eine innere Heiterkeit aus, die kleinen dunklen Augen erinnerten Benthien an einen eifrigen Biber. Er stellte sich als Gerd Lauinger vor und war der Nachbar, bei dem Ingken Blome hin und wieder als Haushälterin arbeitete. »Du hast Erde im Gesicht, Gerd«, flüsterte sie ihm zu. Daraufhin fuhr er sich mit seiner erdbehafteten Hand über die Stirn, wodurch sich die Flecken eher noch vermehrten.

»Ist hier irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte er beunruhigt.

Benthien wechselte mit Fitzen einen Blick. Bevor er nicht Julias Mutter informiert hatte, wollte er die Todesnachricht nicht weitergeben.

»Wissen Sie, wo Julia steckt?«, fragte Fitzen, gerade so, als ob er das Mädchen gut kennen würde.

Beide, Ingken und Lauinger, schüttelten den Kopf. »Ich dachte, sie wäre hier. Vor ein paar Tagen habe ich sie noch gesehen«, sagte die Frau.

»Sind Sie mit Anne Bewerunge befreundet?«, erkundigte sich Lilly. »Kennen Sie sie gut?«

»Man kann nicht gerade sagen, dass wir eng befreundet sind«, beantwortete der Mann Lillys Frage. »Aber man kennt sich eben, wie das in einer Siedlung so ist. Man hilft sich aus, man erfährt auch mal das eine oder andere über die Nachbarn.«

»Was denn zum Beispiel?«, fragte Benthien.

»Nun ja, man kriegt Eheprobleme mit, Auseinandersetzungen, den Auszug von Hauke Bewerunge, jugendliche Liebhaber …«

»Was für jugendliche Liebhaber?«, warf Fitzen ein, doch Näheres konnte ihm der freundliche Herr Lauinger nicht sagen.

»Ich weiß nur, dass es um Julia ging, aber sie und Anne hielten sich da sehr bedeckt. Es war mal jemand da, am späten Abend, der einen ziemlichen Krawall veranstaltet hat, aber gesehen habe ich ihn nicht. Letztendlich ist die Polizei gekommen.«

»Ich muss gehen«, sagte Ingken Blome fast entschuldigend, »meine Kinder von der Oma abholen. Gerd, brauchst du mich morgen? Essen für zwei Tage steht im Kühlschrank! – Er kann nämlich überhaupt nicht kochen«, flüsterte sie Lilly zu.

Lauinger schüttelte den Kopf. »Morgen nicht, ich rufe dich an. Irgendwann müssen wir mal die Gardinen waschen.«

Ingken winkte und ging, und Lauinger sagte etwas verschämt: »Ich kann nicht kochen, so viel Mühe ich mir auch gebe. Es schmeckt immer scheußlich, nach zu viel oder zu wenig Salz oder nach Essig oder ranzigem Öl. Seit meine Frau verstorben ist, habe ich von Brot und Dosen gelebt, bis ich Ingken kennenlernte. Ihr Mann hilft mir manchmal im Garten aus.« Er schwang lächelnd seine Heckenschere, doch dann schien ihm einzufallen, dass es hier im Hause Bewerunge ja offensichtlich ein Problem gab, und er riss sich zusammen. »Kann ich Ihnen denn irgendwie helfen?«

»Wissen Sie, weshalb Frau Bewerunge im Krankenhaus war?«, fragte Benthien.

»Anne ging es in letzter Zeit nicht gut«, sagte Lauinger. »Ich glaube, sie hatte einen Virus. Vielleicht hat sie sich durchchecken lassen?«

»Hat sie einen Beruf?«, fragte Lilly.

»Anne? Natürlich hat sie einen Beruf. Sie ist Fotografin, besitzt ein kleines Atelier in Westerland. So habe ich sie kennengelernt, ich brauchte neue Passfotos. Wir waren dann ganz erstaunt, als wir merkten, dass wir so nah beieinander wohnen. Aber ich war damals ja auch erst hergezogen.«

»Letzte Frage: Wissen Sie, wo Herr Bewerunge jetzt wohnt?«, wollte Benthien wissen.

»Nicht genau, aber irgendwo in Westerland. Oder in Tinnum.« Er lächelte verschmitzt. »Ich glaube, in letzter Zeit gab es wieder so etwas wie eine Annäherung zwischen den beiden. Ich habe Hauke jedenfalls öfters hier gesehen.«

Benthien war leicht überrascht. Er hatte angenommen, dass zumindest von Lauingers Seite ein gewisses Interesse an Frau Bewerunge bestand. Aber so arglos, wie er von einer neuerlichen Annäherung zwischen den beiden Eheleuten sprach, war das offenbar nicht der Fall.

Lauinger schien verstanden zu haben, dass er nun nicht mehr gebraucht wurde, und wandte sich zum Gehen. Doch Lilly hielt ihn auf. »Kann es sein, dass Sie einen Schlüssel zu Frau Bewerunges Haus haben? Wir sind etwas beunruhigt, weil das Wohnzimmer in Unordnung ist, und wollten mal nach dem Rechten sehen, ehe Frau Bewerunge nach Hause kommt.«

»Ja, doch, ich habe einen Schlüssel. Oh mein Gott! Warten Sie, ich hole ihn eben.« Lauinger warf einen alarmierten Blick über Lillys Schulter in Richtung Terrassentür, dann lief er davon.

Als er zurück war, war er taktvoll genug, nur den Schlüssel abzuliefern und dann gleich wieder zu verschwinden.

***

… meine Einzige, mein Engel, mein Licht, nicht nur als Gast will ich auf ewig bei dir wohnen. Ich glaube, noch nie in meinem Leben war ich so froh! Ich hoffe so sehr für dich, dass alles sich zum Guten wendet, dass ich dich auffangen kann, so wie du mich wunderbar behütet und getröstet hast …

Im Haus Bewerunge in Braderup

»Es ist hier zwar alles durcheinander, aber nach einem Einbruch sieht es nicht aus«, stellte Benthien fest, nachdem sie das kleine Häuschen flüchtig inspiziert hatten.

»Es gibt nirgendwo Einbruchspuren«, bestätigte Fitzen. »Sieht nur so aus, als ob ein Mini-Hurricane hier durchgesaust wäre.«

»Vielleicht hat sie was gesucht«, meinte Lilly, »ehe sie ganz schnell ins Krankenhaus musste. Ich denke, wir sollten hier verschwinden.«

»Sehe ich auch so«, stimmte Benthien zu.

Sie verließen das Haus gerade in dem Augenblick, als ein Taxi vorfuhr, dem eine sehr schlanke, gut gekleidete Frau entstieg. Benthien betrachtete sie aufmerksam. Trotz der Wärme trug sie einen Kaschmirmantel, lange Winterhosen und einen grünen Rollkragenpulli. Ihr schmales Gesicht war sehr bleich, ihr Gang unsicher. Erstaunt blickte sie auf ihre Besucher.

»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?«

Sie hatte eine weiche, klare, wenn auch etwas zittrige Stimme. Der Schlüssel, den sie in der Hand hielt, drohte jeden Augenblick zu Boden zu fallen.

Benthien dachte kurz darüber nach, der Mutter, die offensichtlich noch immer krank war, die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu einem späteren Zeitpunkt beizubringen, wusste aber zugleich, dass das nicht möglich war. Er hatte einen Mordfall zu bearbeiten, und je schneller er an Informationen kam, desto besser war die Chance, das Verbrechen zeitnah aufzuklären. Daher zückte er wieder seinen Ausweis, stellte die Kollegen vor und führte Anne Bewerunge ins Haus. Als sie das Wohnzimmer betrat, zuckte sie angesichts der Unordnung leicht zusammen, aber Erschrecken sah anders aus.

Erschöpft sank sie, noch immer im Mantel, in einen weißen Sessel. Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. Benthien schaltete eine kleine Tischlampe ein, denn allmählich wurde es dunkel.

»Kann ich Ihnen einen Kaffee machen?«, fragte Lilly besorgt, denn Anne Bewerunge war womöglich noch blasser geworden.

»Ein Wasser genügt«, sagte die Frau, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

»Möchten Sie, dass wir einen Arzt holen?«, fragte Benthien.

Anne Bewerunge zwang sich zu einem flüchtigen Lächeln. »Ich komme gerade aus der Nordseeklinik. Was soll ich jetzt hier mit einem Arzt? Ärzte gab’s da genug.«

Ihr schönes, blasses, fast eingefallenes Gesicht, umrahmt von nussbraunen Haaren, die sicher einmal geglänzt hatten, jetzt aber stumpf und strähnig auf die Schultern fielen, drückte reine Erschöpfung aus. Sie nahm Lilly das Glas aus der Hand, trank schnell ein paar Schlucke, zog eine Grimasse und legte die Hand auf den Magen, als hätte sie Krämpfe.

»Tut Ihnen etwas weh?«

Anne Bewerunge stellte das Glas zurück auf den Tisch. »Hören wir auf, von mir zu sprechen. Sagen Sie mir lieber, warum Sie hier sind. Ist Hauke etwas passiert?«

Benthien fand es interessant, dass sie zuerst nach ihrem Exmann fragte. »Nein, es geht um Julia, Julia Rixen. Sie … sie wurde heute tot aufgefunden. In Flensburg. In einem Nixenkostüm.«

Es hatte keinen Sinn, lange drum herumzureden. Aber er fand Anne Bewerunges Reaktion interessant. Als sie vom Tod ihrer Tochter hörte, hatte sich nichts in ihrem Gesicht gerührt, was wohl auf den Schock zurückzuführen war. Erst als er das Nixenkostüm erwähnte, zeigte sie so etwas wie Entsetzen und Fassungslosigkeit. Jetzt aber saß sie mit geschlossenen Augen da, regte sich nicht und sagte auch nichts. Langsam begann es in ihrem Gesicht zu zucken.

»Haben Sie Ihre Tochter nicht vermisst?«, fragte Fitzen.

»Sie ist zweiundzwanzig, sie kann tun und lassen, was sie will«, sagte Anne Bewerunge tonlos, immer noch mit geschlossenen Augen. Doch jetzt rollten Tränen über ihre Wangen. »Können Sie mir mehr über ihren Tod sagen? Ist sie ertrunken? Ich meine, wegen des Nixenkostüms?«

Benthien warf Fitzen einen Blick zu. Der verstand, ging hinaus in den dämmrigen Garten und rief die Rechtsmedizinerin in Kiel an. Benthien hoffte, dass sie die Obduktion inzwischen beendet hatte.

Anne Bewerunge trank noch ein paar Schluck Wasser, langsam diesmal; Lilly schenkte ihr nach. Als Fitzen zurückkam, sah er zu Benthien, der ihm zunickte.

»Ihre Tochter wurde zwar am Strand der Förde gefunden, aber sie ist nicht ertrunken«, sagte er. »Sie war schon tot, als sie in die Förde … eh, ja. Sie hatte eine Kopfwunde und etliche Schnittwunden am Körper. Wissen Sie, ob Julia sich geritzt hat? An den Armen zum Beispiel?«

Anne Bewerunge sah ihn verstört an. »Sie meinen diese psychische Störung? Borderline-Syndrom oder so was? Nein, ganz gewiss nicht. Julia hat ein sehr gutes Selbstwertgefühl, sie hat sich nicht geritzt, auf so eine Idee wäre sie gar nicht gekommen!« Sie rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Sie sagen, Julia ist tot? Sie war doch immer so … lebendig! Und was hat sie in Flensburg gemacht?«

»Das wollten wir gerade Sie fragen«, sagte Benthien.

»Ich weiß es nicht. Wir kennen niemanden in Flensburg.« Es klang hilflos, Anne Bewerunge war sichtlich überfordert.

Benthien überlegte gerade, was er mit ihr machen sollte, denn sie konnte auf keinen Fall allein gelassen werden, als er hörte, wie draußen die Tür aufgeschlossen wurde. Ein hochgewachsener, blonder, auffallend attraktiver Mann in Jeans, T-Shirt und legerem Sportjackett betrat den Raum. Verblüfft betrachtete er die vielen Menschen, die sich darin aufhielten, und die immense Unordnung. Offenbar gingen ihm so viele Gedanken durch den Kopf, dass es ihm schwerfiel, einen davon auszusuchen und in Worte zu fassen.

»Ich wollte dich doch von der Klinik abholen«, war das Erste, was ihm dann einfiel. »Aber als ich ankam, warst du schon weg.«

»Julia ist tot«, sagte Anne Bewerunge tonlos. »Sie starb in einem Nixenkostüm in Flensburg.«

»Was?«

Wieder einmal stellte Benthien sich vor, dann fasste er kurz zusammen, was geschehen war. »Sie sind Hauke Bewerunge, nehme ich an?«, schloss er seinen Bericht mit einer Frage.

Der Mann nickte. Er setzte sich auf die Sessellehne neben seine Frau, nahm ihre beiden Hände in seine und streichelte sie unentwegt, fast mechanisch. Dabei sah er sich im Zimmer um. »Was ist denn hier passiert? Ein Einbruch?«

Anne entzog ihm ihre Hände. »Das war, bevor ich in die Klinik kam, da ging es mir sehr schlecht. Ich hatte Krämpfe und Gleichgewichtsstörungen und dachte, ich werde ohnmächtig. Ich habe mein Handy gesucht, um einen Arzt anzurufen. Dabei ist das passiert.« Sie machte eine schwache Armbewegung, die den ganzen Raum umfasste.

Hauke Bewerunge legte den Arm um sie. »Und was ist bei der Untersuchung rausgekommen?«

»Sie wissen es nicht genau, vermuten aber eine Magen-Darm-Störung, vielleicht eine Entzündung. Oder einen Virus.«

»Was ist denn das für eine Diagnose?«, sagte Hauke erregt. »Und wie kann man dich in diesem Zustand entlassen?«

»Es geht mir schon besser als vor vier Tagen«, beruhigte Anne ihn. »Zu Hause sowieso. Aber Julia …« Sie sah sich um, als könnte ihre Tochter jeden Augenblick aus dem Garten kommen oder sich in einer dunklen Ecke materialisieren, »Julia ist nicht mehr da.« Sie sagte es im Ton äußerster Verwunderung, wie ein Kind, das entdeckt, dass der lang erwartete Osterhase gar nicht gekommen ist.

Abends im Friesenhaus in Mellhörn/List

»Ich kenne Anne Bewerunge. Sie ist ein äußerst netter Mensch und eine gute Fotografin«, sagte Benthiens Vater Ben und lud noch eine Portion Bratkartoffeln auf seinen Teller. »Will noch jemand Matjes?«

Alle wollten noch Matjes und Bratkartoffeln, und Ben ließ die Schüsseln an dem großen Esstisch die Runde machen.

»Wen kennst du eigentlich nicht auf Sylt, Vater?«, fragte John.

Lilly fühlte sich wohl in dieser Runde. Sie hatte eine Schwäche für Benjamin Benthien, Johns Vater. Er war Mathe- und Sportlehrer gewesen und besaß trotz seiner 77 Jahre noch immer eine sportliche Figur, dazu einen wilden weißen Haarschopf und sogar eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen, die er bevorzugt auf Wattwanderungen kennenlernte. Seit einigen Jahren war er Witwer, doch seinen Lebensmut hatte er nie verloren. Lillys eigener Vater dagegen war nach dem Tod ihrer Mutter vom umtriebigen Tierarzt zum schweigsamen Eigenbrötler geworden, der sich in das große Haus in der Lüneburger Heide zurückzog und nur noch für seine Hobbys lebte, den Garten und die Tiere. Lilly hatte er in Flensburg bisher noch nicht besucht.

Benthiens Vater dagegen kam Lilly wie ein eifriger Hütehund vor, der sich umso mehr freute, je mehr Besucher er in seinem Haus versammeln und betüddeln konnte. Und der darauf achtete, dass nur ja auch alle zusammenblieben; zumindest abends – diesen Kompromiss machte er immerhin – wollte er alle seine Schäfchen um den Tisch versammelt sehen.

Lilly hatte ein Gästezimmer bekommen, Fitzen eine schmale ehemalige Vorratskammer, in der der Boden knarrte und ein alter Schrank ächzte. »Hier schlafe ich immer«, sagte er gespielt resigniert zu Lilly, »wenn ich bei John zu Besuch bin. Alle anderen haben nämlich Angst vor diesem Horrorkabinett, in dem wahrscheinlich Spinnen und Mäuse hausen. Aber ehrlich gesagt, wenn ich wieder in Flensburg bin, fehlt mir das Knarren und Knarzen schon sehr; dann ist es so still, dass ich nicht schlafen kann.«

Was Lilly gefiel, war das Rauschen des Meeres, das sie durchs Fenster hören konnte. Immerhin lag das Meer in Sichtweite, jenseits der Dünen. Eine schönere »Begleitmusik« zum Einschlafen konnte sie sich kaum vorstellen.

»Wenn auf einen Schlag alle Touristen weg wären«, erklärte Johns Vater am Abendbrottisch, »wäre ganz Sylt ein Dorf. Anne Bewerunge kenne ich, weil wir im Literaturclub mal einen Sylt-Bildband von ihr besprochen und rezensiert haben. Und dieses Foto«, er zeigte auf ein Foto von sich und seiner Frau, »hat sie vor ein paar Jahren gemacht und auch das von deiner Mutter mit den Ohrringen, das oben auf meinem Nachttisch steht. Sie ist schon eine tolle Fotografin. Ist mit ihr irgendwas?« Er legte erschrocken die Gabel nieder. »Seid ihr ihretwegen hier? Sie ist doch nicht etwa ermordet worden?«

»Sie nicht, aber ihre Tochter Julia«, erklärte Fitzen. »Kennst du die vielleicht auch, Ben?«

»Anne Bewerunge hat keine Tochter!«

»Natürlich hat sie eine, das wirst du vergessen haben, Vater«, sagte Benthien.

Ben runzelte die Stirn. »Ich habe Anne vielleicht seit drei, vier Jahren nicht mehr gesehen. Dann muss ihre Tochter aber noch sehr klein sein, wenn sie in dieser Zeit zur Welt kam. Und die ist tot?«

»Vater, sie ist zweiundzwanzig!«

»Unmöglich!«, sagte Ben störrisch. »Eine so alte Tochter hat Anne nicht!«

Benthien wechselte einen Blick mit Lilly und Fitzen. Lilly wusste, dass sein Vater absolut klar im Kopf war, wieso beharrte er also darauf, dass Anne Bewerunge keine Tochter habe?

»Sie heißt nicht Bewerunge, sondern Rixen«, sagte sie, »vielleicht ist das die Erklärung. Sie stammt aus Annes erster Ehe.«