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- Nutzen Sie Scrum als transformative Lehrmethode für Ihren Unterricht
- Steigern Sie mit Scrum4Schools die Selbstständigkeit und Kreativität Ihrer Schüler:innen
- Mit konkreten Umsetzungsbeispielen aus dem deutschen und österreichischen Schulalltag
- Ihr exklusiver Vorteil: E-Book inklusive beim Kauf des gedruckten Buches
Schüler:innen und Lehrkräfte haben an ihren ersten Schultagen eines gemeinsam: die Begeisterung für das Lernen. Doch die Freude hält oft nur kurz. Während die Lehrenden in Bürokratie versinken und gesellschaftlichen Verwerfungen abfedern sollen, lernen Kinder und Jugendliche vor allem eines: Ihre individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse haben in der Schule nur wenig Platz, denn das System pocht auf Standards. Was unter den Tisch fällt, ist die Ausbildung von Kompetenzen für eine komplexe Welt: die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zur Kommunikation, zum kritischen und kreativen Denken.
In der Wirtschaft werden agile Arbeitsmethoden wie „Scrum“ eingesetzt, um genau diese Fähigkeiten zu fördern. Mit Scrum4Schools haben Boris Gloger und sein Team diesen Ansatz für den Klassenraum adaptiert: Durch selbstgesteuertes Lernen erfahren die Schüler:innen ihre Selbstwirksamkeit, während die Lehrkräfte entlastet werden und mehr Zeit für individuelle Unterstützung haben. Sie werden zu Begleitern von jungen Menschen, die mit Scrum4Schools endlich aktive Teilnehmer:innen in ihrem Lernprozess werden können.
Boris Gloger zeigt, wie Scrum4Schools das System Schule von innen modernisieren kann. Vorgestellt wird nicht nur die Methode selbst, sondern auch die praktische Anwendung in Schulen in Deutschland und Österreich.
AUS DEM INHALT //
- Neues Denken für ein neues Bildungssystem
- Wie Unterricht gelingen kann
- Die agile Lernmethode Scrum4Schools
- Planung und Umsetzung des Unterrichts mit Scrum4Schools
- Epilog
- Projektbeispiele
- Glossar
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 404
Boris Gloger
From teaching to learning
Mit Scrum4Schools Lernen und Unterricht verbinden
Print-ISBN: 978-3-446-48192-3E-Book-ISBN: 978-3-446-48199-2E-Pub-ISBN: 978-3-446-48361-3
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© 2025 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, MünchenKolbergerstraße 22 | 81679 München | [email protected]: Brigitte Bauer-SchiewekRedaktion: Dolores Omann, www.doloresomann.com, TernitzIllustrationen: Karin Hofmann, www.karinhofmann.comCopy editing: Petra Kienle, FürstenfeldbruckCoverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, MünchenCovergestaltung: Tom WestTitelmotiv: © Iconic Bestiary/ShutterstockHerstellung: Eberl & Koesel Studio, KemptenSatz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Dieses Buch widme ich meinen Kindern Laura und Florian.Ich wünsche euch eine wunderbare Schulzeit und dass ihr immerso begeistert vom Neuen bleibt, wie ihr es als kleine Kinder wart.
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
Vorwort von Boris Gloger
Über den Autor
1 Einleitung
2 Neues Denken für ein neues Bildungssystem
2.1 Die Wurzeln des agilen Arbeitens in der Wirtschaft
2.2 Was ist Scrum?
2.2.1 Die Werte und das Prozessmodell von Scrum
2.2.2 Die Rollen in Scrum
2.2.3 Die Artefakte in Scrum
2.2.4 Die Scrum Meetings und der Scrum Flow
2.3 Scrum – die Haltung bestimmt den Erfolg
2.4 Was Scrum4Schools erreichen will
3 Wie Unterricht gelingen kann
3.1 Der Prozess des agilen Lernens
3.2 Die Bedeutung der Haltung in Scrum4Schools
3.3 Scrum4Schools und die 4 K
3.4 Agilität als Zukunftskompetenz
4 Die agile Lernmethode Scrum4Schools
4.1 Der agile Baum
4.2 Der Scrum4Schools Flow
4.2.1 Die drei Rollen in Scrum4Schools
4.2.1.1 Die Rolle des Lerncoaches
4.2.1.2 Die Rolle des Strukturhelden/der Strukturheldin
4.2.1.3 Die Rolle des Lernteams
4.2.2 Die Artefakte in Scrum4Schools
4.2.2.1 Das Lernziel und die Rahmenbedingungen
4.2.2.2 Das Lernbacklog
4.2.2.3 Der Erkundungsauftrag
4.2.2.4 Lernliste
4.2.2.5 Die Lernschritte
4.2.2.6 Die Akzeptanzkriterien
4.2.2.7 Die Lerntafel
4.2.3 Die vier Scrum4Schools-Treffen
4.2.3.1 Die Sprintlänge festlegen
4.2.3.2 Das Planungstreffen
4.2.3.3 Teamsynchronisation
4.2.3.4 Feedback-Runde
4.2.3.5 Rückschau
4.3 Beginne mit Scrum4You
5 Planung und Umsetzung des Unterrichts mit Scrum4Schools
5.1 Miniworkshop vor einem Scrum4Schools-Projekt
5.1.1 Der Check-in
5.1.2 Die flammende Rede
5.1.3 Das Ballpoint Game
5.1.4 Erklärung der Grundlagen von Scrum4Schools
5.2 Durchführung eines Projekts mit Scrum4Schools
5.2.1 Der Erkundungsauftrag
5.2.2 Das Planungstreffen
5.2.3 Die Lernprodukte
5.2.4 Der Lernerfolg
5.3 Durchführen des Standardunterrichts mit Scrum4Schools
5.3.1 Die Begleitung der Lernteams während des Sprints
5.3.2 Formate für die Rückschau
5.4 Auf dem Weg zur agilen Schulenentwicklung
6 Epilog
Anhang
Projektbeispiele
Glossar
Literaturempfehlungen
Verwendete Literatur
Welche Schlüsselkompetenzen sollten Schüler:innen erwerben? Im aktuellen AHS-Lehrplan findet sich das Wort „Projekt“ nahezu 200 Mal – ein Zeichen dafür, dass es hier um weit mehr geht, als nur um das bloße Abarbeiten von Aufgaben. Vielmehr zielt der Lehrplan darauf ab, den Architekt:innen der Zukunft die Chance zu geben, sich aktiv mit einer Vielzahl von Themengebieten und persönlichen Interessen auseinanderzusetzen. Sie sollen Teil des Unterrichtsgeschehens werden, anstatt zu passiven Beobachter:innen zu verkommen. In diesem Prozess erlernen sie, Lösungsstrategien für gegenwärtige gesellschaftliche, wissenschaftliche und ökologische Herausforderungen zu entwickeln, den Status quo kritisch zu hinterfragen und in einem kollaborativen Prozess mit Mitschüler:innen sowie Expert:innen innovative und kreative Lösungsansätze zu erarbeiten.
Scrum4Schools als Methode des projektorientierten Lernens eröffnet eine Möglichkeit, den Wandel von einem lehrer:innenzentrierten zu einem schüler:innenzentrierten Schulalltag zu gestalten. Diese Methode verwandelt Lehrpersonen in Coaches, Berater:innen, Scrum Master und Product Owner. Dabei erhalten Schüler:innen den Raum und die Zeit, um ihr eigenes Potenzial zu entdecken und ihre Stärken voll auszuschöpfen.
Der Übergang zu einem projektorientierten Lernansatz mit Scrum4Schools betont, wie wichtig es ist, Schüler:innen nicht nur Wissen, sondern auch persönliche und soziale Fähigkeiten zu vermitteln. Durch die Arbeit an realen Projekten, die ihre Interessen spiegeln, entwickeln sie Schlüsselkompetenzen wie Teamarbeit, kritisches Denken und Selbstmanagement – Fertigkeiten, die für die heutige und zukünftige Arbeitswelt grundlegend sind.
Projektorientierter Unterricht weckt Neugier und Eigeninitiative bei den Kindern und Jugendlichen. Lehrpersonen werden zu Wegbegleiter:innen, die unterstützen, motivieren und aus Fehlern lernen lassen. Scrum4Schools ermöglicht es, diesen Lernprozess durch strukturierte Prinzipien wie Sprints und Retrospektiven zu gestalten, wodurch Schüler:innen in effektiver Planung und kontinuierlicher Verbesserung geschult werden. Diese Methode bereitet sie nicht nur auf die moderne Arbeitswelt vor, sondern lehrt auch Flexibilität und das Prinzip des lebenslangen Lernens.
Mag. Ivan Topic
Lehrer für Mathematik & Physik, Bildungsexperte
Wien, Juni 2024
Ich wurde 1968 geboren. Meine Mutter war zunächst Hausdame, dann Krankenschwester, mein Vater Maurer, Hotelpage und schließlich Krankenpfleger. Die 1970er standen in Deutschland unter dem Zeichen, größere Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Das erklärte Ziel war, die Bildungsmöglichkeiten auszubauen, und es wurde sehr viel Geld dafür ausgegeben. Eine Hochschule nach der anderen wurde gegründet und gebaut. Es war also der Wille da, das Bildungssystem zu verbessern. Ich behaupte: Dieses Projekt ist gelungen und ich war einer der Nutznießer, denn ich konnte sozial aufsteigen. Die Schule kostete nichts und die Kinder von Arbeiter:innen gingen genauso ins Gymnasium wie die Kinder von Beamt:innen, Ärzt:innen und Unternehmer:innen.
Doch das Blatt hat sich gewendet. Zwar wird immer mehr Geld für Bildung ausgegeben, doch im Vergleich zu damals ist es lange nicht genug. Plötzlich kostet Bildung wieder etwas – Stichwort: Nachhilfe. Der Markt dafür wächst ständig und inzwischen bieten sogar NGOs Nachmittagsbetreuung und Nachhilfe für Kinder und Jugendliche aus Familien an, die sich das private Angebot nicht leisten können.
Neben vielen anderen ist das ein Zeichen dafür, dass unsere Bildungssysteme am Ende sind. Auch der Hirnforscher Gerald Hüther sagt es: Die Schule macht Kinder zu Objekten, statt ihnen dabei zu helfen, ihre Potenziale zu entfalten.1) Ich selbst halte die Schule in ihrer aktuellen Form für äußerst ineffektiv und als Soziologe ist mir immer klar gewesen, dass ich damit die Institution und nicht die Menschen darin meine. Der Soziologe in mir will diese Verhältnisse aufzeigen und der Weltverbesserer in mir will diese Verhältnisse ändern. Daher wage ich den Versuch, meine Erfahrungen, die ich seit einem Vierteljahrhundert in der Wirtschaft mit der Veränderung der Arbeitswelt gesammelt habe, nun auch in die Verbesserung des Unterrichts einfließen zu lassen. Ich will mit diesem Buch, wie schon mit meinem ersten Buch zu Scrum, keine neue Methode vorstellen, weil ich diese so toll finde. Nein, ich will Schüler:innen, Lehrer:innen, Eltern und allen am Lernen Interessierten nicht nur den Spaß am Tun wieder zurückgeben, sondern sie vor allem entlasten.
Meine Kolleg:innen und ich haben in großen, mittleren und kleinen Organisationen erlebt, dass Menschen wieder Freude an ihrer Arbeit finden, wenn ihnen zugetraut wird, dass sie ihre Fähigkeiten vollständig einbringen. Scrum, jene Methode, die ich als weltweit erster Certified Scrum Trainer meinen Kunden in allen Varianten gezeigt habe, hat dazu beigetragen, dass sich Menschen in ihren Teams wieder selbstwirksam und erfolgreich fühlen.
Der Wunsch, diese Methode auch in das Bildungssystem zu bringen, kam schon früh auf. Es gab erste Versuche mit begeisterten Lehrenden an deutschen Hochschulen. Dann gründete ich in einem meiner eigenen Unternehmen ein Projektteam und dieses Team brachte Scrum4Schools ein großes Stück weiter.
Heute gibt es zwei Social Businesses: Scrum4Schools Deutschland und Scrum4Schools Österreich. Unsere einzige Aufgabe ist es, den Unterricht so zu verändern, dass Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern ihre Ziele mit weniger Anstrengung erreichen. Ich bin sehr froh, dass unsere Vision zur Realität geworden ist: dank der Menschen, die das möglich gemacht haben und denen mein tiefer Dank gilt. Mit diesem Buch will ich allen, die diesen Weg gehen wollen, die ersten Schritte zum selbstwirksamen, selbstgerichteten Lernen in der Schule vereinfachen.
Doch wir haben bei Weitem noch nicht genügend Schulklassen erreicht. Unser Ziel ist es, Scrum4Schools in jede Schulklasse, in jede Schule, in jedes Unterrichtsfach, in jedes Land zu tragen. Ich hoffe, dieses Buch trägt dazu bei, dass auch du den Versuch wagst und mit deinen Schüler:innen diesen Weg gehst.
Mein Dank gilt Lisa Zenker, die dieses Projekt ursprünglich initiiert hat. Sie wollte das Lernen in einer bestimmten Schule verbessern und hat einfach die ersten Schritte in diese Richtung unternommen. Carsten Rasche, Anna Czerny und Laura Vollmann-Popovic übernahmen den Staffelstab von Lisa, trieben das Projekt weiter und professionalisierten es. Mein besonderer Dank gilt Laura aber auch, weil sie sich dazu bereiterklärte, mit mir Scrum4Schools Deutschland zu gründen. Marie Wegmann und Roland Dunzendorfer leiten mit mir Scrum4Schools Österreich und bringen mit ihrer unendlichen Energie das Projekt vorwärts. Anna hat wesentliche Vorarbeit zu diesem Buch geleistet. Scrum4Schools ist also keineswegs nur „mein“ Werk. Daher verwende ich in diesem Buch die Ich-Form nur an Stellen, die sich explizit auf mich selbst beziehen – ansonsten bevorzuge ich das „Wir“.
Eine besondere Rolle hat auch Reinhard Ransböck gespielt: Er war Direktor an der Interessenorientierten Mittelschule (IMS) Maria Lanzendorf in Niederösterreich und hatte den Mut, mit Lehrer Samuel Plessing die ersten Versuche im Geschichtsunterricht zu starten. Ohne die beiden hätten wir den Sprung von den Universitäten in die Schulen nicht geschafft.
Meine Bücher sind immer das Produkt eines Teams. Auch dieses Mal hat Dolores Omann aus meinem Rohtext ein lesbares Buch gemacht, meine Assistentin Karin Hofmann hat die Abbildungen gezeichnet und selbstverständlich unterstützt uns das Team um Brigitte Bauer-Schiewek, unsere Lektorin beim Carl Hanser Verlag: Sie hat an dieses Buch geglaubt und gemeinsam mit Kristin Rothe und Irene Weilhart die Umsetzung begleitet. Ich danke euch für euer Engagement und vor allem für eure Geduld.
Doch dieses Buch wäre nicht anschaulich geworden, wenn es nicht Lehrer:innen gäbe, die von Scrum4Schools überzeugt sind und es in ihrem Unterricht bereits einsetzen. Sie werden dir in den einzelnen Kapiteln immer wieder begegnen: Claudia Höller, Doris Edhofer, Ulrike Horak, Ivan Topic, Ulrike Friese, André Engel, Eva Hofbauer, Dennis Busch, Jennifer Krüger, Meike Wiese, Dorothee Rahlmeyer, Annika Heek, Doris Ortner, Magdalena Eder, Silke Henningsen, Sabine Tomasin, Doris Kirnberger, Alexandra Steffl, Samuel Plessing. Danke, dass wir mit euch an der Zukunft des Unterrichts lernen dürfen!
Ein riesengroßes Dankeschön geht aber auch an meine Tochter Laura: Mit sieben Jahren hat sie allen erzählt, wie toll es ist, mit Scrum in der ersten Klasse ihrer Volksschule zu lernen.
Ich wünsche dir viel Spaß und gutes Gelingen beim Unterricht mit Scrum4Schools!
Mag. Boris Gloger EMBA
Wien, August 2024
1 Von Witzleben, Flavio: Weltkriegsangst, Informationsflut & Kontrollwahn: Wie finde ich zu innerem Frieden? // Gerald Hüther. https://www.youtube.com/watch?v=cu5JRx4cVXg (09. 08. 2024)
Boris Gloger ging immer gerne zur Schule. Für ihn war Bildung der Schlüssel, um aus der Armut seines Elternhauses auszubrechen. Sein Bildungsweg verlief geradlinig: Grundschule, Gymnasium, Abitur, Zivildienst und schließlich 1996 der Abschluss des Philosophie-Studiums an der TU Darmstadt. Er glaubte fest an das Narrativ, dass das Einzige, was ein ressourcenarmes Land wie Deutschland als Vorteil haben kann, die Bildung und das Schulsystem sind – wovon er selbst profitiert hatte.
Die Erstarrung des Bildungssystems erkannte er aber schon als Schülersprecher und in der Fachschaft an der Universität. Zwar betonte die Politik stets, wie wichtig Schulen seien, doch investiert wurde kaum. In Erinnerung blieb ihm ein Satz des Schuldirektors, als er in die fünfte Klasse kam: Die Renovierungsarbeiten würden erst abgeschlossen sein, wenn seine Klasse das Abitur mache. Und so war es.
Ab 1998 arbeitete Boris als Projektmanager für große IT-Projekte und erkannte, dass traditionelle Managementmethoden den Anforderungen an Projekte und Organisationen nicht mehr genügten. Als einer der Ersten in Österreich und Deutschland setzte er deshalb Scrum ein, um Projekte und später auch Organisationen erfolgreicher zu managen. Er schrieb das erste deutsche Grundlagenbuch zu Scrum und gründete das Beratungsunternehmen borisgloger consulting, um DAX-Konzerne bei der Implementierung dieser neuen Managementmethode zu beraten.
Bald wurde ihm klar, dass diese Managementphilosophie auch geeignet wäre, das Schulsystem effektiver zu gestalten, Lehrkräfte zu entlasten und den Schüler:innen zu besseren Leistungen zu verhelfen. 2018 startete er daher das Projekt Scrum4Schools innerhalb von borisgloger consulting. 2024 wurden schließlich Scrum4Schools gGmbHs in Deutschland und Österreich gegründet, die mit Beratung und Training Lehrkräfte, Schüler:innen und Schulen dabei unterstützen, agile Unterrichtsformen einzusetzen.
Boris Gloger lebt mit seiner Familie in einem kleinen Ort im Speckgürtel von Wien und arbeitet daran, dass seine beiden Kinder den Spaß an der Schule nie verlieren werden – und die Bildung erhalten, die sie in Zeiten massiver globaler Umwälzungen brauchen.
In den meisten Familien spielt sich folgendes Szenario ab, wenn der erste Schultag näher rückt: Das Kind kann es kaum erwarten, in die Schule zu gehen. Voller Vorfreude wird die nagelneue Schultasche immer wieder geschultert und kreuz und quer durch die Wohnung getragen, Stifte, Hefte und Bücher werden zig Mal ein- und ausgepackt und natürlich liegt die Schultüte schon bereit. Und dann, nach einigen Monaten die Ernüchterung: „Ich mag heute nicht in die Schule gehen!“ Viele Kinder sind plötzlich im wahrsten Sinne ent-täuscht: Sie sind einer falschen Vorstellung erlegen. Sie haben sich getäuscht. Die Schule ist nicht das, was sie sich in ihrer Begeisterung für das Lernen vorgestellt haben.
Es ist ja auch schwierig: Plötzlich treffen die unterschiedlichsten Begabungen und Lerngeschwindigkeiten in einem Raum aufeinander. Während ein Kind schon flüssig lesen kann, kämpft das andere noch mit den ersten drei Buchstaben oder spricht erst brüchig Deutsch. Manche können einfach noch nicht lange stillsitzen, die nächsten hängen ihren Träumen der letzten Nacht nach und haben noch keine Energie für die Informationsaufnahme. Diese kleine Skizze wird nicht annähernd allen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht, mit denen Lehrer:innen jeden Tag in Klassen mit 25 Kindern und mehr umgehen müssen. Sie möchten den Start in das Schulleben für jedes Kind so schön und begeisternd wie möglich machen, doch wir alle wissen: Dieses Ideal ist so gut wie nie umsetzbar. Obwohl jedes Kind anders lernt, ist der Unterricht für alle gleich. Genau genommen bräuchte jedes Kind einen individuellen Lernplan, basierend auf seinen Interessen, Talenten und Stärken. Doch Auftrag der Schule ist es, einen standardisierten Lehrstoff in einer gewissen Zeit bis zu einem gewissen Zeitpunkt durchzubringen. Ob der Stoff dann auch von allen Schüler:innen verstanden wurde, scheint zweitrangig zu sein.
Das Ganze wiederholt sich beim Übergang in die nächste Schulstufe. Grundschulfreundschaften werden zerrissen, weil sich das Kind wieder anpassen muss: an die Gesamtschule, Realschule, Mittelschule oder das Gymnasium und an die Methoden der jeweiligen Lehrer:innen. Hat das Kind Glück mit seinen Lehrer:innen, dann wird es wahrscheinlich erfolgreich sein. Wie spannend, langweilig, inspirierend oder einschläfernd der Unterricht ist – darauf hat das Kind keinen Einfluss. Auf den Lehrer:innen und Schulleitungen lastet natürlich ein immenser Druck. Sie sollen den Kindern ein gutes Umfeld bieten, die Eltern entlasten und möglichst allen Schüler:innen gleiche Chancen ermöglichen. Soziale Missstände und Unterschiede sollen sie ausgleichen: Das Kind aus einer Familie mit Migrationshintergrund muss berechtigterweise dieselben Karrierechancen haben wie jenes aus der Akademikerfamilie. Alle sollen ihre Potenziale entfalten und ihre Ziele erreichen können. Lehrer:innen werden zwischen den vielen gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen aufgerieben und zusätzlich sollen sie immer mehr administrativen Aufwand stemmen, immer neue Vorschriften befolgen, von heute auf morgen online unterrichten, maximale Gestaltungsideen haben, aber mit minimalem Budget auskommen. Kein Wunder, dass viele Pädagog:innen ihren Enthusiasmus verlieren, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben und in die Praxis entlassen werden. Statt der ersehnten Unterstützung bekommen sie nicht einmal Anerkennung für ihren Einsatz, vielmehr hagelt es permanente Kritik von allen Seiten.
Es sind verständliche Wünsche, die an das System Schule gerichtet werden, doch es sind oft Wünsche, die an der Realität vorbeigehen. Der Wohnort, die soziale Schicht, das Elternhaus – das alles entscheidet mit und hat noch einen wesentlich größeren Einfluss darauf, ob ein Kind seine beruflichen und persönlichen Träume verwirklichen kann oder nicht. Dennoch werden die Lehrer:innen in die Pflicht genommen und immer öfter sogar verbal bedroht, wenn sie Noten verteilen, die nicht in das Bild passen, das Eltern von ihren Kindern haben wollen. Aufgaben, Tests und Klassenarbeiten werden daher vorsichtshalber nach unten nivelliert, um sich Streitigkeiten zu ersparen.
Eine unserer Kolleginnen machte selbst die Erfahrung, wie das dauernde Kreuzfeuer die Lehrer:innen mürbe werden lässt:
„Da bei meinem Sohn eine isolierte Rechtschreibschwäche diagnostiziert wurde, ist es uns als Eltern wichtig, viel Rückmeldung über die erbrachten Leistungen zu erhalten, damit wir die Förderung entsprechend anpassen können. Deshalb suchten wir nach einer Deutsch-Schularbeit in der ersten Klasse Gymnasium das Gespräch mit der Lehrkraft, denn unter dem Aufsatz stand nur: ‚gut gemacht, einige für LRS typische Fehler’. Aus diesem Feedback konnten wir nicht herauslesen, wie die Note berechnet wurde und wie sich unser Kind künftig verbessern kann (so es das denn will).
Wir betonten zu Beginn des Gesprächs, dass wir nichts an der Note ändern wollten – wir wollten lediglich wissen, welche Kriterien erfüllt werden sollten. Die Antwort war niederschmetternd: ‚Alle diese Punkte schreibe ich ja nicht einzeln als Korrektur auf – das wäre ja zu frustrierend.‘
Wie sollen sich Kinder verbessern, wenn sie nicht wissen, auf welchem Stand sie sind und was sie brauchen, um die nächstbessere oder nächstschlechtere Stufe zu erreichen? Erschöpft von zu vielen Streitgesprächen befand sich die Lehrkraft mittlerweile im konstanten Verteidigungsmodus in Bezug auf ihre Notenentscheidungen und wollte einfach nicht mehr darauf eingehen.“
Solche Auseinandersetzungen würden wesentlich seltener stattfinden, wenn die Autorität des Lehrpersonals und der Schule im Ganzen nicht von vielen mittlerweile angezweifelt würde. Die Rolle der Schule in der Gesellschaft ist inzwischen völlig unklar: mit Erwartungen völlig überfrachtet und gleichzeitig im Stich gelassen.
Möglicherweise besteht ein Problem aber darin, dass die Diskussion immer über die Schule im Allgemeinen geführt wird. Die Unterschiede zwischen den Schultypen, den Schüler:innen, den Altersgruppen, den Lehrinhalten sind einfach viel zu groß – die Schule gibt es daher nicht und deshalb drehen sich die Diskussionen im Kreis. Es ist an der Zeit, spezifischer zu werden und über den Unterricht zu reden.
Ja, die Situationen in den einzelnen Schultypen unterscheiden sich, die Lebenswirklichkeiten der Schüler:innen werden nie gleich und gerecht sein. Wenn man einem Erstklässler beibringt, wie viel drei plus drei ist, findet das unter anderen Rahmenbedingungen statt als die Vorbereitung von Abiturient:innen oder der Kochkurs für 13-Jährige, in dem Strudelteig gemacht wird.
Doch es gibt ein verbindendes Element: Kinder sind von Natur aus Entdecker:innen und haben Freude am Lernen. Sie bringen dafür die notwendige intrinsische Motivation mit. Sie freuen sich tatsächlich darauf, in die Schule gehen zu dürfen. Wenn wir uns die Frage stellen, warum Kinder so schnell die Freude an der Schule verlieren, dann müssen wir uns den Rahmen ansehen, in dem das Lernen stattfindet. Wie kann der Unterricht so gestaltet werden, dass er die Aufgaben der Institution Schule erfüllt und gleichzeitig dem Wunsch der Kinder nach Selbstverwirklichung und selbstbestimmtem Lernen gerecht wird?
Was wir an Schüler:innen beobachten können, sehen wir auch an den Erwachsenen in der Arbeitswelt: Sie haben die Freude verloren. Morgens sieht man in den Bussen und U-Bahnen kaum Menschen, die begeistert davon sind, an ihren Arbeitsplatz zu fahren. Leider bestätigen Umfragen immer wieder: Viele haben innerlich gekündigt und sitzen nur ihre Zeit ab.1) Das ist kein neues Phänomen, aber Ende der 1990er-Jahre wurde es in der boomenden Softwareindustrie so virulent, dass sich einige Betroffene gezwungen sahen, nach neuen Arbeitsmethoden zu suchen. Durch falsche Ansätze im Projektmanagement stieg der Druck auf die Softwareentwickler:innen dermaßen, dass ständige Nachtschichten mehr die Regel als die Ausnahme waren – und die Qualität der gelieferten Produkte ließ trotzdem zu wünschen übrig.
Aus dieser Unzufriedenheit unter den Softwareentwickler:innen entstanden die sogenannten agilen Arbeits- und Managementmethoden. Neben der viel besseren Qualität der Produkte war ein wichtiger Effekt dieser Form des Arbeitens, dass die Menschen die Freude an ihrem Job wiederfanden. Heute ist agiles Arbeiten für Unternehmen weltweit ein wichtiges Argument, um junge Fachkräfte zu gewinnen bzw. zu halten. Sie wollen dadurch die oft ausufernde interne Bürokratie abbauen und für ihre Mitarbeiter:innen Orte schaffen, an denen diese wieder kreativ sein dürfen. Richtig eingesetzt eröffnet es Mitarbeiter:innen nämlich den Freiraum, um Verantwortung zu übernehmen, selbst Entscheidungen zu treffen und eigene Lösungen zu finden.
Scrum ist eine solche agile Arbeits- und Managementmethode. Ich stieß darauf, als ich selbst noch im Projektmanagement in der Softwareindustrie arbeitete. Meine Vision war es immer, dass Menschen Spaß an ihrer Arbeit haben, sich dabei entfalten können und gleichzeitig wesentlich produktiver werden. Und ja, dabei geht es auch darum, den größtmöglichen Wert zu erzielen. Wenn nämlich effektiver gearbeitet wird, steigt die Qualität der Arbeit und es muss weniger nachgebessert werden. Auf diese Weise können Produkte schneller geliefert werden und ein Unternehmen bleibt konkurrenzfähig. Scrum machte das möglich, deshalb verbreitete sich diese Idee innerhalb der letzten 25 Jahre in der Wirtschaft rasant. War das Arbeiten mit Scrum zuerst nur auf die Softwareentwicklung beschränkt, so wird es heute in weiten Teilen von Organisationen eingesetzt und das Bestreben vieler Unternehmen ist, durch entsprechende Veränderungsprozesse insgesamt zu agilen Unternehmen zu werden.
Im Laufe der Jahre wurde deutlich, dass Scrum auch ein Lösungsansatz für die Herausforderungen eines modernen schulischen Unterrichts sein könnte. Zunächst wurde diese Idee mit „EduScrum“ in den Niederlanden erfolgreich umgesetzt. Einige Jahre später, etwa 2016, hatten wir auch in unserem Unternehmen die finanziellen Ressourcen und eine genügende Anzahl an begeisterten Mitarbeiter:innen, um unser Konzept für „Scrum4Schools“ zu entwickeln und in die Unterrichtspraxis zu tragen. Uns war von Anfang an wichtig, allen drei unterrichtsbeteiligten Parteien den Spaß am Unterricht zurückzubringen: den Schüler:innen, den Lehrer:innen und den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Dabei versuchten wir die Quadratur des Kreises: Alle sollten entlastet werden und gleichzeitig sollten sich die Ergebnisse für alle verbessern. Lehrer:innen sollten wieder mehr Zeit für jene Schüler:innen haben, die mehr Unterstützung brauchen, die Eltern sollten weniger von den Hausaufgaben und der Frage gestresst sein, ob ihr Kind in der Schule gut genug ist, die Kinder sollten mit Lust und Freude lernen – und im Idealfall sehr gute Noten bekommen.
Denn nicht nur die Schüler:innen, auch die Lehrer:innen leiden unter dem veralteten System der Unterrichtsgestaltung. Sie stecken zwischen den Mühlsteinen gesellschaftlicher Erwartungen, detaillierter Lehrpläne und umfangreicher administrativer Aufgaben. In diesem Spannungsfeld kämpfen sie mit ihrem beruflichen Selbstverständnis: Mit anfänglicher Begeisterung in ihren Beruf eingetreten, stoßen sie auf immer mehr Hürden, Vorschriften, Qualitätssicherungsverfahren, auf ein Defizit an stärkender Führung und fehlenden Gestaltungsspielraum. Statt die ersehnte Unterstützung zu erfahren, sehen sie sich mangelnder Sicherheit und Anerkennung gegenüber. Ja, sie wollen Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg begleiten, doch das müssen sie unter Rahmenbedingungen tun, die guten Unterricht schier unmöglich machen. Jedem einzelnen Kind gerecht zu werden, ist in Klassen mit 30 Schüler:innen mit unterschiedlichen Wissensständen und Fähigkeiten unter den herrschenden Bedingungen ein Ding der Unmöglichkeit.
Wir sind davon überzeugt, dass Scrum4Schools dabei helfen kann, den Konflikt zwischen den Anforderungen der Lehrpläne und den Bedürfnissen von Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften zu überbrücken. In diesem Buch wollen wir auch anhand von Beispielen aus unserer Scrum4Schools-Praxis illustrieren, wie das funktionieren kann. Eine Lehrkraft sagte uns, dass sie durch das Konzept von Scrum4Schools neue Hoffnung schöpfen könne. Genauso hoffen wir, dass Eltern die Angst ablegen können, dass ihr Kind den Anforderungen der Schule nicht gewachsen ist. Den Schüler:innen selbst wollen wir mit Scrum4Schools einen Rahmen geben, mit dessen Hilfe sie sich als erfolgreich im Lernen erleben können. Das wird durch die Prinzipien von Scrum möglich, die positiv auf die Bindung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen einwirken.
Bei der Entwicklung von Scrum4Schools haben wir die agilen Prinzipien im Allgemeinen und jene von Scrum im Speziellen für den pädagogischen Bereich maßgeschneidert. Wir haben es von irreführendem Fachjargon und den spezifischen Bezügen zur Arbeitswelt befreit, um die Integration in den Unterrichtsalltag zu erleichtern. Scrum4Schools sehen wir nicht bloß als eine Methodik, sondern als eine Unterrichtsphilosophie und Haltung, die Schüler:innen und Lehrer:innen substanzielle Vorteile bietet. Diese Philosophie soll dabei helfen, dass Lehrer:innen ihre Leidenschaft für das Lehren vollständig entfalten und sich Schüler:innen individuell widmen können, während die Lernenden in einem motivierenden und unterstützenden Umfeld erkennen, wie sie ihr ganzes Potenzial nutzen können.
Wie funktioniert das? Nun, die Schüler:innen können ihren Lernprozess mitbestimmen und dadurch steigt ihre Eigenverantwortung. Der Unterricht wird zu einem Angebot und statt den Stoff nur passiv zu konsumieren (oder zu ignorieren) werden die Schüler:innen als Individuen behandelt, die mitentscheiden dürfen. Dadurch steigen das Interesse und die Motivation – das erleben wir mit Scrum4Schools immer wieder.
Um eines gleich vorwegzunehmen: Ein Prinzip von Scrum4Schools ist die Zusammenarbeit in Lernteams, in denen die Schüler:innen die Lerninhalte selbstorganisiert erarbeiten. Das entlastet die Lehrkraft, weil nicht mehr ausschließlich sie den Stoff präsentieren muss. Lehrer:innen können auf diese Weise zu Lerncoaches werden, die ihren Schüler:innen mit Rat und Tat zur Seite stehen, und zugleich können sie sich intensiver um diejenigen kümmern, die etwas mehr Unterstützung brauchen. Wie die Freude am Lernen und Gestalten wieder wachgekitzelt wird, zeigen zwei Beispiele, die unsere Teammitglieder in ihren Projekten erlebt haben (siehe Kasten).
„Es sollte die dritte Begleitstunde mit Scrum4Schools stattfinden, doch wir kamen zehn Minuten zu spät in den Unterricht. Aus meiner eigenen Schulerfahrung hätte ich in einer Klasse mit 13- und 14-Jährigen ein Bild erwartet, das an Chaos und Anarchie erinnert. Was die Lehrkraft und ich jedoch vorfanden, war ein Klassenraum, in dem die Schüler:innen in den Projektteams zusammensaßen und an ihren Themen arbeiteten. Sie hatten in der Zwischenzeit die Tische und Sessel selbstständig entsprechend neu arrangiert!“
„Wir brachten den Schüler:innen die Werte von Scrum zunächst spielerisch näher und schrieben sie dann an der Tafel auf. Jede:r Schüler:in stellte sich anschließend zu jenem Wert, der ihn oder sie am meisten ansprach. In diesen neu entstandenen Gruppen schrieben sie auf Post-its auf, warum diese Werte in der Zusammenarbeit wichtig sind. Nach der Präsentation kam wie immer eine Feed-Forward-Runde, deren Ergebnis ungefähr so lautete: ‚War ja schön und gut, was wir gerade gemacht haben. Aber schade war, dass wir dadurch nicht zum Arbeiten gekommen sind!‘ Das sagt doch alles, oder?“
Womit wir uns als Team von Scrum4Schools ständig auseinandersetzen, ist, die Balance zwischen einem individuellen Lernweg und einem verbindlichen Bildungskanon zu finden. Natürlich sind wir in dieser Frage durch unsere eigenen Bildungsbiografien und Vorstellungen geprägt, wie schulisches Lernen abzulaufen hat. Dass Schüler:innen sich in diesem Kontext Dinge selbst erarbeiten und beibringen, ist in den traditionellen Vorstellungen oft nicht vorgesehen. Doch genau dieses Verständnis wollen wir mit Scrum4Schools aufbrechen.
Es ist zum Beispiel eine radikale Vorstellung, dass Kinder dann lesen lernen, wenn sie die intrinsische Motivation dafür entwickeln – es passiert, wenn sie selbst so weit sind. Das entspräche zwar dem Ideal der Selbstbestimmung, doch so ganz traut man dieser Idee dann doch nicht über den Weg. In der reformpädagogischen Literatur, etwa bei Maria Montessori und John Dewey, gibt es wichtige Belege für die Bedeutung von Eigeninitiative und Selbstführung im Lernprozess. Dennoch haben beide wiederum klare Lernkonzepte entwickelt, in denen diese Erkenntnis nicht berücksichtigt wird.
Die Frage lautet also: Müssen wir uns zwischen einem freien Lernumfeld und einem festen Lehrplan entscheiden? Gibt es einen Mittelweg? Dieser Weg würde einen verbindlichen Lehrplan als strukturierendes Element anerkennen und zugleich den Schüler:innen die Freiheit lassen, sich den Stoff selbstorganisiert zu erschließen. Das stünde durchaus im Einklang mit den Gedanken von Seymour Papert, dem wichtigsten Schüler von Jean Piaget: In „Mindstorms: Children, Computers and Powerful Ideas“ (Papert 2020) sieht er selbstbestimmtes Lernen als eines der wichtigsten Elemente effektiver Bildung.
In diesem Sinne plädieren wir für ein Sowohl-als-auch-Modell, das Struktur bietet und gleichzeitig Raum für individuelle Entfaltung lässt. Der Lehrplan bleibt bestehen, doch wie die Schüler:innen – mithilfe agiler Praktiken – die Inhalte erarbeiten, ist ihre eigene Entscheidung. Denn Scrum4Schools bietet Praktiken für die Förderung von Selbstorganisation und Kollaboration und knüpft damit an die Prinzipien der kritischen Pädagogik an, wie sie von Paulo Freire in „Pedagogy of the Oppressed“ (Freire 2017) vorgestellt wurden: Er hebt die Ermächtigung der Lernenden hervor. Wir müssen uns eingestehen, dass es keine Einheitslösung gibt, doch durch die Verschmelzung von Vorgabe und Selbststeuerung können wir einen Lernraum schaffen, der Schüler:innen das Beste aus beiden Welten bietet: die Freiheit, Interessen zu verfolgen, und die Sicherheit, relevante Kernkompetenzen zu erlangen.
Scrum4Schools schlägt dadurch die Brücke zwischen dem notwendigen Erwerb von Wissen und dem ebenso bedeutsamen Aufbau von Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche in ihrer zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt brauchen werden. Damit erfüllen wir die Ansprüche des Lehrplans, der den zu bewältigenden Stoff vorgibt, und wir helfen den Schüler:innen zusätzlich, Fähigkeiten zu entwickeln, die darüber hinausgehen.
Das ist essenziell in einer Welt, in der Informationen permanent und in den unterschiedlichsten „Darreichungsformen“ verfügbar sind. Schüler:innen können sich auf YouTube selbst aussuchen, ob sie Mathematik mit Lehrer Schmidt, Susanne von MathemaTrick oder Daniel Jung lernen wollen. Mit Scrum4Schools richten wir den Fokus daher auf das Erlernen von Schlüsselkompetenzen: Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation. Diese „4Ks“ gelten als unerlässliche Zukunftskompetenzen (mehr dazu in Abschnitt 3.3).
Das Lernen in Teams – ein Prinzip von Scrum4Schools – verlangt einerseits nach diesen 4Ks und unterstützt gleichzeitig deren Entwicklung. In diesem Prozess lernen Schüler:innen nicht nur, sich gegenseitig zu unterstützen und Wissen gemeinschaftlich zu konstruieren, sondern auch, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen. Dadurch wird das Fundament für lebenslanges, selbstbestimmtes Lernen gelegt und zusätzlich wandelt sich das Lernen vom Einzelkampf um die gute Note zu einem Ergebnis des gemeinsamen Erfolgs.
Das behaupten wir nicht einfach so, vielmehr wird es uns von den Lehrer:innen gespiegelt. Zum Beispiel haben wir Ulrike Horak, Lehrerin sowie Schüler- und Bildungsberaterin am Privaten Gymnasium Sacré Coeur Wien, gefragt: „Welche Erwartungen haben sich erfüllt? Was waren die schönsten Erfolge durch den neuen Unterricht mit Scrum4Schools?“ Ihre Antworten haben uns sehr bestärkt: „Es war eine tolle neue Herausforderung für meine Schüler:innen, in einem echten Team zu arbeiten. Die Arbeit mit dem Kanban-Board ist extrem wertvoll, weil sie die Schüler:innen stärker zur Reflexion anregt. Und sie haben nicht nur für ihre eigene Note gearbeitet – das war ein völliger Fokus-Shift!“ Die Schüler:innen meldeten zurück: „Wir hatten noch nie über eine so lange Zeit als Gruppe oder Team gearbeitet – das war etwas ganz anderes!“ oder „Ich habe mit meinen Eltern über Agilität zu Hause diskutieren können, und dass ich auch in einem Scrum-Team gerade arbeite.“ Ulrike erzählte, dass ein Schüler, der zu Hause geblieben war, per Video-Call in das gemeinsame Planning geholt wurde, ohne Aufforderung durch die Lehrerin. Dieses selbstständige Übernehmen von Verantwortung und die reflexive Arbeit könne sie gar nicht hoch genug schätzen.
Genau diese Fähigkeit zum selbstständigen Entscheiden, die Entwicklung von Resilienz und das selbstsichere Umgehen mit Unsicherheit brauchen Kinder und Jugendliche für die Herausforderungen der Zukunft. Es geht aber nicht nur darum, sie für den Arbeitsmarkt zu rüsten, sondern für das Leben in all seinen Facetten. Das ist unsere Aufgabe als Eltern, Politiker:innen, Schulleiter:innen und Lehrer:innen. Wir sind gefordert, junge Menschen auf eine Zukunft vorzubereiten, deren Konturen wir selbst nur schwer erkennen können. Durch ein solches modernes Bildungssystem erkennen wir an, dass unsere Kindern nach mehr als einem Jahrzehnt schulischer Ausbildung in eine Welt eintreten, die völlig anders und undurchsichtiger ist als jene, die wir noch kannten.
In den letzten zwei Jahrzehnten, und schließlich beschleunigt durch die Corona-Pandemie, hat sich eine neue Arbeitswelt entfaltet, in der virtuelle Kollaborationen und die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz zur Norm geworden sind. Während sich Eltern noch immer wünschen, dass ihre Kinder Medizin oder Architektur studieren (vgl. Suhr 2021), will jede:r fünfte Jugendliche aus der Generation Z nur eines werden: Influencer (vgl. Fritsche 2023). Auch wenn es oft anders wirkt: Anspruchslos ist dieser „Beruf“ nicht, denn die Inhalte müssen professionell produziert werden, das Storytelling muss perfektioniert und Algorithmen müssen gemeistert werden – siehe die Topverdiener wie PewDiePie und Huda Kattan. Entertainment-Sektoren wie der E-Sports-Markt werden bis 2028 ein Volumen von rund 5,8 Milliarden Euro erreichen (vgl. Statista 2024). Profi-Gamer wie Johan „N0tail“ Sundstein oder Jesse „JerAx“ Vainikka zeigen, dass Gaming weit über die Unterhaltung hinausgeht und echte Teamarbeit, strategische Planung und schnelle Entscheidungsfindung erfordert. Von diesen neuen Berufen abgesehen steht Westeuropa vor einem tiefgreifenden Umbruch, der uns weg von der fossilen Industrialisierung hin zu einer nachhaltigen Ökonomie führen muss.
In diesem Kontext sind wir daher überzeugt, dass Scrum4Schools eine passende Antwort auf den gegenwärtigen Bildungskonflikt darstellt. In der digitalisierten Welt müssen Bildungsmethoden wie Scrum4Schools den Schüler:innen nicht nur den Lehrplan vermitteln, sondern auch Raum für kreatives und kritisches Denken bieten. Das reine Aneignen oder Auswendiglernen von Wissen verliert an Wert, während kritisches Denken, Kreativität, Kommunikationsstärke und kollaboratives Arbeiten an Bedeutung gewinnen. Wir alle müssen bestrebt sein, Kinder und Jugendliche nicht nur auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, sondern sie auch dazu befähigen, diese aktiv zu beeinflussen. Denn die Zukunft lässt sich nicht voraussagen, aber sie lässt sich aktiv gestalten. „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“, sagen Die Ärzte.
Das Ziel von Scrum4Schools ist es daher, Schulen zu Orten zu transformieren, an denen Kinder und Jugendliche die Fähigkeit erlangen, als entschlossene, selbstbewusste und kreative Gestalter:innen aufzutreten, Grenzen zu hinterfragen und sie gegebenenfalls zu überwinden. Die kommenden Generationen müssen die Chancen und Herausforderungen von morgen nicht nur mutig annehmen, sondern auch proaktiv formen, und das wahrscheinlich gegen den Widerstand des Establishments.
Das bedeutet: Sie müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen, für sich und für andere. Das beginnt damit, morgens an den Pausensnack zu denken, die Hausaufgaben selbstständig – ohne Kontrolle durch die Eltern – zu machen und setzt sich im freiwilligen Engagement für kulturelle, soziale oder politische Themen fort.
Es ist eine große Vision! Doch jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt, und genau diesen ersten und die nächsten Schritte hat Scrum4Schools mit der Veränderung des Unterrichts fest im Blick. Scrum4Schools versteht sich als Unterrichtsmethode, die Lernen für die Zukunft ermöglicht. Packen wir es an!
Für die Struktur dieses Buchs haben wir uns Inspiration bei Simon Sineks Konzept des „Golden Circle“ geholt. In seinem Buch „Start with Why“ (Sinek 2009) erklärt er: „Die Menschen kaufen nicht, was du tust, sie kaufen, warum du es tust.“ Nehmen wir Apple als Beispiel: Dieses Unternehmen demonstriert die Macht eines klaren „Warum“ mit seiner Botschaft „Think Different“. Es geht nicht um technische Details, sondern darum, den Alltag der Nutzer:innen durch Innovation zu bereichern.
Mit diesem Blickwinkel tauchen wir in Kapitel 2 tief in das „Warum“ ein. Warum ist ein agiler Unterricht unabdingbar? Wir stellen dabei die Parallelen zum Warum in der Wirtschaft her: Warum wurde es notwendig, neue Arbeitsweisen zu finden, und wie sahen diese aus? Hier begegnen wir dem „ursprünglichen“ Scrum, damit du die grundsätzliche Funktionsweise kennenlernst.
Das „Wie“ liefert uns Regelwerke, die wir anwenden können, um das Warum umzusetzen. Kapitel 3 nutzen wir aber für mehr als bloße Anleitungen. Wir schreiben über grundlegende Prinzipien des agilen Arbeitens, über die Bedeutung von Selbstorganisation und Zielsetzungen und das „Ur-Scrum“, wie es in Unternehmen angewendet wird. Außerdem leisten wir einen ersten Transfer vom ursprünglichen Scrum zu Scrum4Schools, indem wir die Funktionsweise auf den Unterrichtsprozess übertragen.
In Kapitel 4 beleuchten wir das „Was“, also die Theorie und die Umsetzung von Scrum4Schools. Wir zerlegen den Prozess in seine Bestandteile, erklären jeden Begriff und seine Relevanz im Detail und zeigen, wie Scrum4Schools in der schulischen Praxis funktioniert.
Kapitel 5 widmet sich unterschiedlichen Möglichkeiten: Wie kann Scrum4Schools in Projekten und wie im regulären Unterricht eingesetzt werden?
Im Epilog geben wir dir noch fünf wichtige Tipps für deinen Weg mit Scrum4Schools.
Der Anhang umfasst zusätzliche Beispiele aus unserer Scrum4Schools-Praxis und die ausführliche Version von Fallbeispielen, die wir in den einzelnen Kapiteln verwendet haben.
Im Glossar haben wir die wichtigsten Begriffe noch einmal für dich zusammengefasst, außerdem haben wir noch einige Literaturempfehlungen dazugepackt, die dir bei der tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem agilen Arbeiten und Lernen weiterhelfen können.
Wir wünschen dir viel Freude beim Lesen und vor allem beim Ausprobieren von Scrum4Schools.
1 Das zeigt zum Beispiel der Gallup Engagement Index 2022, der jährlich erhoben wird. 18 Prozent der 1500 befragten Arbeitnehmer:innen gaben an, innerlich gekündigt zu haben, 69 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. https://www.gallup.com/de/506000/pressemitteilung-gallup-engagement-index-2022.aspx (16. 04. 2024)
Sapere aude! Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen! Mit diesem Ruf wurde die Aufgabe des Bildungssystems als Projekt der Aufklärung geboren und diese klare Ansage an das deutsche Bildungssystem spricht damit die Autonomie des Subjekts an: Es wird erst mündig, wenn es sich seines Verstandes bedienen kann. Das Bildungssystem der modernen – und wie wir finden auch der postmodernen, oder wie es neuerdings heißt, „metamodernen“ – Gesellschaft ist aus unserer Sicht noch immer dieser Forderung von Kant verpflichtet. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts beklagte er, dass viel zu viele Menschen zu faul zum kritischen Denken seien (Kant 1913):
„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“
Einen ähnlichen Ton schlug nach ihm Schopenhauer an und selbst Adorno griff dieses Thema immer wieder auf. Doch bereits den Denkern der Frankfurter Schule war klar, dass das Subjekt gesellschaftlichen Zwängen ausgesetzt ist. Das Subjekt war keineswegs mehr autonom im Sinne Kants. Es war nicht nur selbstverschuldet unmündig, es wurde durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und deren strukturelle Zwänge vom autonomen Subjekt zum Objekt.
Schule war und ist nicht organisiert, um Kants oder Adornos Bildungsideal zu erfüllen. Das wissen wir aus Vorträgen wie jenem von Sir Ken Robinson1), aus dem Bildungsbericht der Bundesregierung (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024) oder dem Diskussionspapier des Bundesjugendkuratoriums (Bundesjugendkuratorium 2024):
„Das Bildungs- und Berufsbildungssystem ist beispielsweise in einem nicht akzeptablen Zustand, was neben den demografischen Veränderungen den Fachkräftemangel zusätzlich verstärken wird. Im Hinblick auf qualitative und quantitative Kennzahlen lassen sich strukturelle Probleme der Institutionen der Erziehung und Bildung festmachen: Seit mehr als 10 Jahren zeigen alle relevanten Studien einen Abwärtstrend im Hinblick auf die Kompetenzentwicklung, und zwar auf jeder Ebene des Schulsystems und in allen Bundesländern. Dementsprechend ist seit einigen Jahren die Anzahl und der Anteil der Abgänger*innen ohne qualifizierte Schul- und/oder Berufsabschlüsse hoch. Gleichzeitig gelingt es nach wie vor nicht, alle Kinder mit Kita- und Schulplätzen zu versorgen. Zudem bestehen begründete Zweifel daran, dass die flächendeckende Umsetzung des bundesweiten Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung ab 2026 zufriedenstellend gelingen wird.“
Diese nicht erfüllte Forderung an das Bildungssystem ist aus unserer Sicht nicht nur richtig, sondern wird für die kommenden Generationen von Schüler:innen noch viel wichtiger sein, als wir es uns vorstellen können. Wir müssen endlich etwas tun, doch wir können, wie Kants Zitat zeigt, nicht auf die Institutionen hoffen. Es tut sich nämlich nichts – seit Jahren.
Gleichzeitig stehen wir vor schier überwältigenden Herausforderungen und müssen unseren Kindern die Mittel an die Hand geben, um die Zukunft zu meistern. Das Problem dabei: Welche Mittel genau die richtigen sind, wissen wir nicht wirklich. Die Künstliche Intelligenz wird in einigen Jahren so gut wie jeden Bereich unseres Lebens beeinflussen und uns in vielen Belangen übertreffen, so beschreibt es Mo Gawdat, der ehemalige CEO von Google X (vgl. Gawdat 2021). Was das genau bedeutet, wissen wir nicht. Der Klimawandel und die damit verbundenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen werden unser Leben gravierend bestimmen – doch auch hier herrscht Unsicherheit: Wie wird das genau aussehen? In dieser unvorhersehbaren Welt müssen wir Kinder und Jugendliche dazu befähigen, produktiv und gestalterisch mit diesen Entwicklungen umzugehen. Sie sind mehr als die bloßen Empfänger:innen von Wissen – sie sind kreative Denker:innen, soziale Innovator:innen und die Baumeister:innen ihrer eigenen Zukunft. Wir brauchen ihre ganze Kreativität, und zwar genau die, die wir ihnen abtrainieren, sobald sie in das Schulsystem gelangen.
Doch zurzeit sieht es nicht so aus, als wäre die Grundlage dafür vorhanden. Die PISA-Studien oder der Bildungsbericht der deutschen Bundesregierung (vgl. Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024) zeigen jedes Mal aufs Neue, dass die Bildungssysteme in Deutschland und Österreich an ihre Grenzen gelangt sind (vgl. OECD 2023). Die Lesekompetenzen sowie die Kompetenzen in den Naturwissenschaften nehmen kontinuierlich ab, im Vergleich mit asiatischen Ländern hinkt Europa massiv hinterher (vgl. zum Beispiel Anders 2023). Allein auf die Jahre der Pandemie sei diese Entwicklung nicht zurückzuführen, betont die OECD.
Wir sind aber der Meinung, dass internationale Tests wie PISA nicht als direkte Vergleichsbasis zwischen den Ländern oder gar als einziger Indikator für die Güte des Bildungssystems herangezogen werden sollten. Abgesehen von den immensen Kosten, die für diese Studien anfallen, werden auch bei PISA lediglich die „traditionellen“ Fähigkeiten gemessen und nicht jene, die Schüler:innen im 21. Jahrhundert vermittelt werden sollten, nämlich die 4 K: Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation.
Dabei sind die deutschen Bildungsausgaben auf den ersten Blick gigantisch: „Die Bildungsausgaben betrugen 264 Milliarden Euro im Jahr 2022“ (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024, S. 6), lesen wir da, und davon entfielen 123 Milliarden Euro auf die Schule und den schulnahen Bereich. Das sind 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit extrem viel Geld – und doch sinkt die Leistung dieses Systems. Und leider bestimmt das Elternhaus noch immer signifikant, welche Schullaufbahn Kinder einschlagen können (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2024, S. 10): „Sowohl im Primar- als auch im Sekundarbereich I ist die Entwicklung von Lesekompetenzen anhaltend stark vom sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses abhängig. Zudem erhalten mit 32 % deutlich weniger Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien eine Gymnasialempfehlung als jene aus privilegierten Elternhäusern (78 %) – unter Berücksichtigung von Noten und Leistungen verringert sich dieser Unterschied zwar, er bleibt jedoch weiterhin signifikant. Das Entscheidungsverhalten über die Fortsetzung von Schullaufbahnen nach der Grundschulzeit differiert ebenfalls: 17 % der Kinder aus sozioökonomisch schwachen Familien gehen trotz Empfehlung nicht auf ein Gymnasium über; unter privilegierten Kindern sind es nur 7 %. Darüber hinaus werden schulbezogene Aktivitäten zu Hause und Freizeitaktivitäten mit einem Bildungsbezug häufiger von Jugendlichen aus akademischen Elternhäusern ausgeübt.“
Doch der Bildungsbericht ist nur eine Quelle, um die Leistung unseres Schulsystems zu beurteilen: Für die Beurteilung der Innovationsleistung eines Landes greifen Expert:innen zusätzlich zu den Bildungsindikatoren oft auch auf die Anzahl der Patentanmeldungen zurück. Das Europäische Patentamt berichtet, dass im Jahr 2022 Deutschland den weltweit zweiten Platz auf der Liste der Patentanmeldungen eingenommen hat, die USA freuen sich über Platz eins (vgl. Europäisches Patentamt 2023). Doch beim genauen Hinschauen offenbart sich: Während Deutschland gegenüber 2021 ein Minus von mehr als vier Prozent bei den Patentanmeldungen verzeichnete, fuhr die Volksrepublik China ein Plus von beinahe 16 Prozent ein. Allein 2022 gab Deutschland also 264 Milliarden Euro für Bildung aus und dennoch gelingt es seit einigen Jahren nicht mehr, zu den besten Leistungen im internationalen Vergleich aufzuschließen.
Noch mehr Geld in das System zu pumpen, kann nicht die Lösung sein, denn das System selbst ist bis über seine Grenzen hinaus überlastet – und mehr und mehr Lehrkräfte geben frustriert auf. Die Anforderungen an Lehrer:innen sind einfach zu hoch, und wenn man mit Lehrkräften spricht, spürt man die überbordende Bürokratie. So erzählte uns ein österreichischer Lehrer, dass sinnvolle IT-Ausbildungen abgedreht werden und gleichzeitig die Dokumentationspflicht ständig wächst. Auch habe die Schulleitung in Internaten das Recht, Schüler:innen, die zum Teil bereits 18 Jahre alt sind, vorzuschreiben, wann sie wie zu lernen haben (so gibt es u. a. eine verpflichtende Lesestunde am Abend).
Der Grund: Die Annahmen, unter denen das System Schule in Österreich von Maria Theresia und in Deutschland nach preußischen Maßstäben entwickelt wurde, sind heute nicht mehr tragfähig und nicht mehr zeitgemäß. Weder sind Kinder und Jugendliche heutzutage in Familie und Gesellschaft Entmündigte, die einfach nichts zu sagen haben, noch leben sie in einer Umwelt, deren Wissensangebot vom Pfarrer, von den Eltern oder Lehrherren kommt. Sie sollen auch nicht mehr als Kanonenfutter oder Offiziere „dienen“, obwohl es wieder eine Diskussion darüber gibt, ob 18-Jährige wieder gemustert und auf ihre Wehrtauglichkeit überprüft werden sollen.
Nicht nur die objektiven Fakten zeigen, dass etwas im Argen liegt: Wer Kindern und Jugendlichen genau zuhört, kann erkennen, wie stark sie selbst die veralteten Strukturen und Lernformen als Hindernis empfinden. Sie lernen in der Schule nicht das, was ihnen im späteren Leben dabei hilft, ihre Frau oder ihren Mann zu stehen. Stattdessen gehen viele Jugendliche orientierungslos von der Schule ab und wissen nur eines mit Sicherheit: Sie hassen Mathe, Physik und Chemie und eine Fremdsprache sprechen die wenigsten fließend. Statt den Unterricht an die Moderne anzupassen, bekommen Eltern zu hören, dass man am besten ins Ausland gehen solle, um richtig Englisch zu lernen, wie uns ein Vater erzählte.
Das alles passiert, während die Eltern, Politiker:innen, Schulleiter:innen und Lehrer:innen wissen: Jene Kinder und Jugendliche, die heute unterrichtet werden, stecken schon im Klassenzimmer in einem globalen Wettbewerb. Vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften kommt der top ausgebildete (und leider oft gedrillte) Nachwuchs aus China und Indien.
Deshalb ist es aus unserer Sicht so wichtig, ein Bildungssystem zu etablieren, in dem es möglich ist, schneller zu lernen als die Konkurrenz, so wie es auch der Organisationssoziologe Peter Senge in „The Fifth Discipline“ formuliert hat (vgl. Senge 2017). Obwohl sich Senge dabei auf Unternehmen bezog, ist seine Einsicht gleichermaßen auf Bildungseinrichtungen anwendbar. Rein wirtschaftlich betrachtet sind steigende Aufwände bei niedrigerem Outcome ein Zeichen dafür, dass das System selbst zum Problem wird. Eine undurchdringbare Bürokratie, noch mehr Tests und noch mehr Dokumentation, noch mehr Diskussionen, noch mehr Investitionen – das hat immer weniger Effekte für unsere Kinder. Wir wissen, dass es nicht viel bringen wird, noch ein paar Milliarden in dasselbe Bildungssystem zu pumpen. Beispiel Digitalpakt: Ja, es werden fünf Milliarden bereitgestellt. Und was kommt davon in den Schulen an? Zu wenig.
Das ist ein Phänomen eines gewissen Systemversagens, bevor es zu einem Paradigmenwechsel kommt. Jedes System – sei es eine Maschine, ein soziales, wissenschaftliches oder wirtschaftliches System – steht vor einem Paradigmenwechsel, wenn bei zunehmendem Aufwand die Erträge sinken – so hat es Thomas Kuhn in „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ beschrieben (vgl. Kuhn 1996). Kuhn zeigt in diesem bahnbrechenden Buch, dass vor einem neuen wissenschaftlichen Durchbruch immer das Gleiche passiert: Es wird versucht, alles, was es an wissenschaftlicher Erkenntnis gibt, im Lichte des existierenden Paradigmas zu beschreiben. Etablierte Forscher:innen lassen gar nicht zu, dass neue Erkenntnisse das Licht der Welt erblicken, denn sie sitzen in den entscheidenden Gremien. Erst wenn es nicht mehr anders geht, wenn es gewissermaßen unerträglich wird, dann brechen sich die neuen Erkenntnisse die Bahn. So war es bei Kepler, der die Sonne ins Zentrum der Welt gesetzt hat und sich erst auf dem Sterbebett traute, diese Tatsache veröffentlichen zu lassen. Galileo musste noch vier Jahrzehnte später dieser Erkenntnis abschwören.
Eines wollen wir ganz klar hervorheben: Wir kritisieren weder die Lehrer:innen noch ihre pädagogischen Fähigkeiten. Alle Beteiligten – Lehrer:innen, Eltern und Schüler:innen – werden derzeit in einen unproduktiven und ineffizienten Rahmen gezwängt, der für den eigentlichen Auftrag des Bildungssystems nicht förderlich ist. Wir gehen sogar so weit zu sagen: Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern leiden unter diesen Verhältnissen, manchmal ohne es zu wissen, manchmal weil sie selbst glauben, dass Schule so sein muss. Unsere Kritik ist eine Kritik am System und keine an der Fähigkeit des Einzelnen.
Schule an sich muss sich radikal und schnell ändern.