From this Moment - Lauren Barnholdt - E-Book

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Lauren Barnholdt

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Beschreibung

Aven Shepard kann sich nichts Schlimmeres vorstellen, als mit ihren beiden ehemals besten Freundinnen Lyla und Quinn auf der Klassenfahrt in Florida in ein Zimmer gepfercht zu werden. Schließlich hat sie sich bereits eine riesige Herausforderung vorgenommen: Ihrem besten Freund Liam zu gestehen, dass sie ihn liebt – und zwar seit Jahren. Obwohl er in festen Händen ist. Obwohl sie einen klasse Typen gefunden hat, der sie zur Abwechslung ebenfalls mag. Und obwohl sie weiß, dass es kein Zurück gibt und ihre Freundschaft vorbei ist, sobald sie Liam die Wahrheit sagt …

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Seitenzahl: 341

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DIE AUTORIN

Foto: © Aaron Gorvine

Lauren Barnholdt hat eine Vielzahl von Jugendbüchern veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade schreibt, liebt sie es, sich in Büchern zu vergraben. Ihr Motto ist Carpe Diem. Lauren lebt mit ihrer Familie in Waltham, Massachusetts. Mehr über die Autorin unter laurenbarnholdt.com

Von der Autorin sind außerdem bei cbt erschienen:

Die verrückteste Nacht meines Lebens

Mein Sommer mit Noah

Heat of the Moment (Band 1)

One Moment in Time (Band 2)

Lauren Barnholdt

FROM

THIS

MOMENT

Aus dem Englischen

von Bettina Spangler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Juli 2016

© 2015 by Lauren Barnholdt

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel

»From this Moment. The Moment of Truth Book 3« bei Harper Teen,

an imprint of Harper Collins Publishers, New York.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe by

cbt Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Bettina Spangler

Lektorat: Christina Neiske

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

Cover design by Annemieke Beemster Leverenz,

unter Verwendung eines Fotos von © Gallery Stock

he · Herstellung: Ang

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-16744-8V001

www.cbt-buecher.de

Für Brianna, das stärkste Mädchen, das ich kenne

EINS

Von: Aven Shepard ([email protected])

An: Aven Shepard ([email protected])

Vor dem Abschluss werde ich … die Wahrheit sagen.

An jedem einzelnen Tag, seit ich diese E-Mail geschrieben habe, muss ich daran denken. Und wenn ich absolut ehrlich sein soll, war sie es, die mich die vergangenen vier Jahre hat überstehen lassen.

Ich weiß, das ist lächerlich. Ich meine, wie kann eine dämliche Mail einen vier Jahre lang beschäftigen? Eine Mail, die ich mir obendrein selbst geschickt habe. Und die bis jetzt noch nicht mal in meinem Postfach gelandet war. Eine Mail, die rein gar nichts Überraschendes an sich hat, weil ich sie mir ja, wie bereits erwähnt, selbst geschrieben habe.

Trotzdem ist diese Mail für mich so was wie eine persönliche Notiz – etwas, das mich daran erinnert, dass mein Leben nicht ewig so weitergehen kann. Dass ich irgendwann aufhören muss, ständig zu grübeln, mit diesem Megageheimnis rumzulaufen, diese krasse Lüge zu leben. Und das Wichtigste: Ich muss aufhören, mir jeden Tag aufs Neue das Herz brechen zu lassen.

Klar ist es ein Kinderspiel, Trost in so etwas zu finden, solange man nicht wirklich was dagegen unternehmen muss, dass man eine Lüge lebt. Denn genau das tue ich seit nunmehr vier Jahren. Doch jetzt ist der Tag gekommen. Der Tag, an dem die E-Mail in mein Postfach schneien wird. Und zufällig der Tag, an dem wir auf Abschlussfahrt nach Florida gehen. Was im Grunde perfekt ist.

Weil das nämlich heißt, dass ich keine andere Wahl habe. Ich werde das gesamte Wochenende mit Liam verbringen. Und das bedeutet, dass ich mich nicht länger davor drücken kann, ihm die Wahrheit zu sagen – die Wahrheit, dass ich schon seit unserer ersten Begegnung vor vier Jahren in ihn verknallt bin.

»Hast du auch genügend Bikinis dabei?«, will Izzy von mir wissen. »Wir werden nämlich ziemlich viel Zeit am Meer verbringen. Und du musst dein Badezeug jedes Mal auswaschen, wenn du im Wasser warst, weil das Salzwasser den Stoff ruiniert.«

Wir stehen draußen vor der Schule und warten auf den Bus, der uns zum Flughafen bringen soll – wir fliegen nach Siesta Key in Florida. Es ist ungewöhnlich frisch für die Jahreszeit, ich schlottere vor Kälte. »Ich hab gleich drei Bikinis dabei«, sage ich. »Das sollte reichen.«

»Ja, sollte genügen«, stimmt Izzy mir zu. »Wir dürfen bloß nicht vergessen, sie auszuwaschen, sobald wir im Hotel sind.« Izzy ist ein sehr praktisch veranlagter Mensch. Sie weiß immer genau, was zu tun ist. Zum Beispiel letztes Jahr, als Roman Wright sich im Werkunterricht mit der Kreissäge fast den Finger abgeschnitten hätte. Alle fingen an zu schreien und sind schier ausgeflippt, und was macht Izzy? Schnappt sich einfach ein Handtuch und wickelt es Roman um den blutenden Finger, ehe sie ihn zur Schulschwester schleift.

Später hat sie mir gestanden, dass ihr hinterher ganz schwummrig war und sie sich auf dem Flur mit dem Kopf zwischen den Knien hinsetzen musste, bis sie sich wieder besser fühlte. Aber im entscheidenden Moment ist sie ganz ruhig und gefasst geblieben.

»Klar«, sage ich. Ich hüpfe nervös von einem Bein aufs andere und werfe immer wieder einen Blick auf mein Handy. Diese Mail sollte doch jetzt endlich mal eintreffen. Zumindest hoffe ich das.

Lyla, Quinn und ich haben die Mails nämlich auf den heutigen Tag terminiert. Und seit ich damals auf Senden geklickt hab, ist dieses Datum in mein Gehirn eingebrannt. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie exakt um Mitternacht eingehen würden, aber so war es nicht. Ich glaube nicht, dass wir damals eine genaue Zeit angeben konnten. Nein, ganz bestimmt nicht, da bin ich mir sicher.

Daran würde ich mich nämlich erinnern.

War ja schließlich die wichtigste Mail, die ich in meinem ganzen Leben geschrieben habe.

»Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigt sich Izzy. »Du schielst ja ständig auf dein Handy.«

»Oh, ja, klar, alles bestens«, schwindle ich. »Ich wollte nur sichergehen, dass wir nicht den Bus verpasst haben.«

»Warum sollten wir denn den Bus verpasst haben?«, fragt Izzy. »Wir sind doch früh dran.«

Stimmt. Wir sind tatsächlich früh dran. Wir waren sogar fast die Ersten. Izzy kommt immer lieber etwas früher und ich schließe mich ihr meistens an. Obwohl ich heute ausnahmsweise mal richtig froh war, dass sie immer so pünktlich ist. Weil ich selbst ein bisschen früher hier sein wollte. Ich kann es nämlich kaum erwarten, dass diese Abschlussfahrt endlich losgeht.

Sie wird mein Leben ein für alle Mal verändern.

Ob zum Guten oder Schlechten, sei dahingestellt, aber nach dem heutigen Tag wird nichts mehr sein, wie es war.

»Ja, ich weiß schon, dass wir den Bus nicht verpasst haben«, sage ich. »Ich meinte nur, falls die eine Sammel-SMS an alle verschicken oder so was. Du weißt schon, die von der Schule. Um uns mitzuteilen, dass der Bus kommt.«

Izzy sieht mich stirnrunzelnd an. »Seit wann schicken die von der Schule uns denn Nachrichten aufs Handy?«

»Seit es dieses Notwarnsystem gibt«, sage ich. Das weiß ich, weil ich im Schüleraktionskomitee bin. Die meisten halten das Schüleraktionskomitee für einen Witz, und wenn ich absolut ehrlich sein soll, ist es das irgendwie auch. In erster Linie geht es um den offiziell klingenden Namen, damit die von der Schulverwaltung so tun können, als hätten wir Schüler ein Mitspracherecht bei der eigenen Erziehung. Was lächerlich ist. Wir haben nämlich nicht den geringsten Einfluss. Und auch wenn die Kids mit ihren Problemen zu uns kommen, können wir in Wahrheit nicht viel für sie tun, weil nämlich alles, was wir machen, erst von der Verwaltung abgesegnet werden muss.

Das Ganze ist also völlig sinnlos. Aber egal.

Ich bin gern im SAK, weil ich auf die Weise was außerhalb des Stundenplans mache, das nichts mit Sport zu tun hat. Darin bin ich nämlich echt eine Niete, und es ist auch nicht so wie beim Jahrbuch oder der Schulwebseite, wo man tatsächlich was tun muss. Das Schüleraktionskomitee sitzt meist nur in der Bibliothek herum und liest Klatschmagazine, während ein paar sich abwechselnd aufs Klo davonstehlen, um sich einen Joint reinzuziehen. Ich mach so was natürlich nicht. Drogen sind echt nicht mein Ding.

»Trotzdem«, meint Izzy. Sie streckt die Hand nach dem Schildchen an ihrem Handgepäck aus und fummelt daran herum. Die vielen Armreifen an ihrem Handgelenk klimpern um die Wette. »Ist ja nicht wirklich ein Notfall.«

»Auch wieder wahr.«

»Aven, ist wirklich alles okay?«, fragt sie mich wieder, und in ihren blauen Augen liegt ein besorgter Ausdruck. »Du benimmst dich den ganzen Morgen schon so komisch.«

»Alles prima!«, platzt es aus mir heraus, und mir wird bewusst, dass ich fast schon hysterisch klinge. Was seltsam ist, weil ich nämlich überraschend ruhig bin für jemanden, der möglicherweise kurz davorsteht, sein Leben zu ruinieren. Aber ich kann Izzy ja schlecht sagen, was los ist. Sie weiß nämlich nicht, dass ich auf Liam stehe. Keiner weiß das. Nur ich. Na ja, und Lyla und Quinn. Aber mit denen bin ich nicht mehr befreundet, also zählen die nicht.

»Okay.« Izzy schiebt sich den Pony aus dem Gesicht. Der hat gerade so eine blöde Länge – zu lang, um wirklich ein Pony zu sein, aber gleichzeitig zu kurz, um zum Rest ihres stufigen Haars zu passen oder sich zu einem Pferdeschwanz zurückbinden zu lassen. Sie runzelt die Stirn, und ich habe das Gefühl, sie will noch was sagen, aber dann schaut sie rüber zum Parkplatz, und schon tritt ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht. »Oh!«, ruft sie freudig. »Da ist Liam!«

Ich blicke auf.

Da ist er.

Liam.

Mein bester Freund.

Der Junge, in den ich schon seit vier Jahren verknallt bin.

Er schlendert lässig über den Parkplatz, den schwarzen Rucksack über der Schulter, das Haar ein bisschen strubbelig, einen Kaffeebecher in der Hand. Er schaut auf, sieht mich und Izzy hier stehen und winkt uns zu.

Ich bewundere seinen gelassenen Gang, als hätte er keinerlei Sorgen auf dieser Welt. Es ist mir unbegreiflich, wie meine Welt sich seit vier Jahren nur um diesen einen Menschen drehen kann – jede seiner Taten, jedes seiner Worte hat mich absolut tief berührt. Die Dinge, die er sagt, befördern mich entweder in eine Sphäre absoluten Glücks, oder sie stürzen mich in tiefste Verzweiflung.

Wie kann es sein, dass er nicht merkt, was ich für ihn empfinde? Wie kommt es, dass ich diese eine Sache, die seit Jahren mein Leben bestimmt, so wunderbar verbergen konnte?

»Hey«, sagt er, als er vor uns steht. »Wie geht’s meinen zwei Lieblingsmädchen?«

»Gut«, sage ich.

»Großartig«, meint Izzy.

Sie lächelt zu ihm auf und er beugt sich runter und gibt ihr einen Kuss.

Was noch so ein Grund dafür ist, dass nach diesem Wochenende nichts mehr sein wird, wie es war. Weil meine beste Freundin nach diesem Wochenende wissen wird, dass ich in ihren Freund verliebt bin.

Im Grunde bin ich ein total netter Mensch, ich schwör’s.

Ich hab das doch alles gar nicht wirklich gewollt.

Und klar weiß ich, dass ungefähr jeder das sagt, wenn er was Schlimmes getan hat, aber in meinem Fall entspricht es nun mal der Wahrheit. Ist ja nicht so, als wären Izzy und Liam zusammengekommen, und dann hätte ich beschlossen, mich ebenfalls in ihn zu verlieben. Wir hatten auch keine wilde Affäre hinter ihrem Rücken.

Nein – ich hab ihn als Erste gesehen.

Und mir ist durchaus klar, wie kindisch das klingt, aber es stimmt.

Liam und ich sind schon seit der achten Klasse befreundet. Wie gern würde ich behaupten, er wäre damals viel zu dürr gewesen und zu klein und hätte schlimme Akne gehabt, aber so war es nicht. Tatsächlich war er damals schon fast so groß wie heute mit seinen eins achtzig, und seine Haut war ebenmäßig und perfekt bis auf die paar Sommersprossen um die Nase. Wobei, die lassen ihn nur noch sexyer aussehen, einfach anbetungswürdig.

Wir lernten uns damals im Sexualkundeunterricht kennen, was voll peinlich war, weil wir da nicht einfach nur alles über den menschlichen Körper gelernt haben, sondern auch, wie man ein Kondom überzieht. Und das ist schon schlimm genug zusammen mit einem Haufen Achtklässlerjungs, aber noch übler, wenn man selbst voll der Spätzünder ist. Außerdem, das mit dem Kondom haben wir nicht einfach nur an einer Banane geübt, nein, wir hatten da so ein komisches Plastikdingens, das wohl einen Penis darstellen sollte.

Der Kurs dauerte zum Glück nur ein halbes Jahr, aber die Klasse war ziemlich klein. Wir waren nur zu vierzehnt, und die anderen Mädels gehörten eher zu der Clique der Beliebteren. Sie hatten alle schon richtige Brüste und Extensions in den Haaren, während ich immer noch eine Zahnspange trug. Keine von ihnen zuckte auch nur mit der Wimper, als Mrs Squire, unsere Lehrerin, das Kondom rauszog und uns zeigte, wie man es benutzte.

Jedenfalls war das Ganze ziemlich bizarr, und ich konnte es kaum erwarten, bis das alles wieder vorbei war. Doch dann sollten wir uns im Rahmen eines Projekts um ein fingiertes Baby kümmern. Wir bekamen jeder einen fingierten Job und ein fingiertes Gehalt zugeteilt, und dann mussten wir uns überlegen, wie viel Haushaltsgeld wir benötigten, und gleichzeitig zusehen, wie wir diese elektronische Babypuppe am Leben halten. Die Puppen waren total gruselig, weil sie nur starr ins Leere blickten, gleichzeitig aber aussahen, als könnten sie jeden Moment lebendig werden und einen umbringen wollen.

Immer wieder mal schrien sie laut los und dann musste man ihnen das Fläschchen geben oder die Windeln wechseln oder mit ihnen spielen. Natürlich war der Sinn dieser Übung, uns vor Augen zu führen, wie schwer es war, sich um ein Baby zu kümmern, damit wir auch ja brav die Kondome benutzten, wie man es uns gezeigt hatte. Je nachdem, wie gut wir uns um das Baby kümmerten, wirkte sich das auf unsere Benotung aus. Denn dieses dämliche Ding hatte einen eingebauten Computer, der aufzeichnete, wie schnell wir auf das Geheul reagierten. Je schneller man war, desto besser die Note.

Natürlich kümmerte diese Note keinen außer mir. Weil keiner den Sexualkundeunterricht so richtig ernst nahm. Deshalb strengte sich auch niemand ernsthaft an. Die Jungs schlossen Wetten ab, wer das Baby als Erster sterben lassen würde. (Natürlich konnte das Baby gar nicht richtig sterben, weil es ja nur eine Puppe war. Aber trotzdem, wenn man sich nicht richtig darum kümmerte, blinkten da in großen grünen Buchstaben die Worte »VERNACHLÄSSIGT« oder »TOT« auf. Eigentlich total gruselig, wenn man es sich genau überlegt. Aber vor allem tat mir unsere Lehrerin leid, weil sie das erste Mal an einer Schule unterrichtete und eigentlich einen Abschluss in Englisch hatte. Nur waren gerade keine Stellen frei als Englischlehrerin, sodass sie Sexualkundeunterricht geben musste. Die arme Frau hätte uns nur zu gern alles über den Symbolismus in Einer flog übers Kuckucksnest beigebracht, stattdessen musste sie zusehen, dass wir unsere Babys am Leben hielten und lernten, wie man ein Kondom über einen Plastikpimmel streifte. Die meisten von uns brachten ihre Babys um, also war sie nur bedingt erfolgreich.)

Jedenfalls weiß ich noch, dass mir das alles ziemlich peinlich war, als ich erfuhr, dass ich einen imaginierten Ehemann haben würde und dass das ausgerechnet Liam war. Nicht dass ich die Sorte Mädchen wäre, die beim Thema Jungs durchdrehen – zumindest nicht so wie einige Mädels in meiner Klasse. Ich meine, es gab da schon so ein paar Promis und Popstars, die ich gut fand, aber ich war nie so richtig in einen echten Jungen verknallt.

Bis ich Liam traf.

Er war einfach umwerfend.

Und nett.

Und er hat nicht versucht, unser Baby umzubringen.

Vielleicht hätte er es auch gern getan – alle seine Freunde nahmen an dem Wettstreit teil, und ich bin mir sicher, dass er das witzig fand. Aber er wusste, dass mir meine Noten wichtig waren. Ich wollte mir meinen Durchschnitt nicht versauen lassen, bloß weil ein paar von den coolen Leuten es witzig fanden, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen. Also kümmerte Liam sich liebevoll um dieses bescheuerte Baby, selbst als es ihn mal bis drei Uhr in der Früh wach hielt, und das vor einem wichtigen Lacrosse-Testspiel.

Von der Sekunde an, da wir die Bestnote bekamen, war ich in ihn verliebt.

Und ich habe nicht aufgehört, ihn zu lieben.

»Ich hab da was, das müsst ihr euch anhören«, sagt Liam, während wir in den Bus zum Flughafen steigen.

»Oh«, sage ich. »Okay.«

Liam ist Musiker. Er spielt so elektronisches Zeug auf einer von diesen Maschinen, Ableton Push heißen die. Das Ding spielt Schlagzeug und Keyboard und Gitarre gleichzeitig, und das alles elektronisch. Keine Ahnung, wie das funktioniert, aber Liams Musik finde ich toll, und das nicht bloß, weil ich auf ihn stehe. Er hat echt Talent.

»Du kannst meinen Kopfhörer haben«, raunt Izzy mir zu, und ich gebe mir alle Mühe, nicht genervt zu reagieren. Ich mag Izzy ja echt gern, und sie ist auch echt total nett und alles. Aber Liams Musik gefällt ihr einfach nicht. Obwohl, das stimmt nicht so ganz. Man kann gar nicht sagen, dass sie ihr nicht gefällt, sie versteht die Musik nur einfach nicht. Das hat nämlich nichts mit dem Zeug zu tun, das man normalerweise so im Radio hört. Ist eher so ein Underground-Nischending, das man höchstens noch auf Youtube oder bei SoundCloud findet. Trotzdem. Wäre es denn wirklich zu viel verlangt, wenn sie ein bisschen positiver wäre? Ich lächle ihr verkniffen zu.

Im Bus setzt Izzy sich neben Hartley Parsons.

»Willst du denn nicht ganz hinten sitzen bei uns?«, frage ich.

»Nö«, meint Izzy und winkt ab. »Geht ihr nur und hört euch Liams Musik an.«

»Okay«, sage ich. Ist nichts Ungewöhnliches, dass Liam und ich Zeit ohne Izzy verbringen. Auch wenn die beiden ein Paar sind, sind sie nicht unzertrennlich oder so was. Und Izzy ist entweder ziemlich selbstbewusst, oder sie sieht mich einfach nicht als Bedrohung, weil es ihr nämlich überhaupt nichts ausmacht, wenn Liam und ich zu zweit sind.

Liam wählt einen Sitz ganz hinten, zieht sein iPhone raus und gibt es mir.

»Hier.« Er reicht mir die Kopfhörer und ich klemme sie mir ins Ohr.

Als Liam den Song startet, lehne ich den Kopf zurück und schließe die Augen. Ich mach gern die Augen zu, wenn ich Musik höre, ganz gleich welche, aber besonders bei Liams Songs. Ich hab immer das Gefühl, ich müsste alles ausblenden, während ich mich von den Beats einnehmen lasse. Liams Songs haben keine Texte. Sie bestehen rein aus elektronischen Rhythmen. Hin und wieder zieht er mal seine akustische Gitarre raus und spielt ein paar Akkorde dazu, aber das ist dann immer bloß eine Melodie oder so. Er singt nie dazu.

Der neue Song ist richtig klasse, ich hab noch nicht mal mitbekommen, dass der Bus vom Schulparkplatz losgefahren und auf dem Weg zum Flughafen ist.

»Liam, das ist ja der Wahnsinn«, schwärme ich und reiche ihm sein Handy zurück. »Gefällt mir echt gut.«

»Danke«, sagt er. »Meinst du, den sollte ich hochladen?«

Er meint damit sein Konto auf SoundCloud. »Auf jeden Fall«, versichere ich ihm. »Den solltest du sofort hochladen.«

Doch er hört mir schon nicht mehr zu. Stattdessen sieht er runter auf etwas in seiner Hand. Mein Telefon. Ich muss es ihm aus Versehen gegeben haben, wahrscheinlich um die Hände frei zu haben, damit ich seines nehmen kann.

»Was ist das?«, will er wissen.

»Was denn?« Ich schaue aufs Display und bete innerlich, meine Mom möge mir nicht irgendeine ultrapeinliche SMS geschickt haben, zum Beispiel eine, in der sie mich daran erinnert, ich soll Unterwäsche einpacken oder so was.

»Du hast dir selbst eine E-Mail geschickt.« Schuldbewusst sieht er mich an. »Tut mir leid, das ist eben auf dem Display aufgepoppt.«

Ich sehe mir die Benachrichtigung an. Eine neue E-Mail von Aven Shepard. Ich weiß natürlich, was drinsteht, noch bevor ich sie öffne.

Von: Aven Shepard ([email protected])

An: Aven Shepard ([email protected])

Vor dem Abschluss werde ich … die Wahrheit sagen.

»Oh«, entfährt es mir, und ich gebe mir alle Mühe, ganz ruhig zu klingen. »Das ist ja … seltsam.«

»Ja, oder?« Er mustert mich mit ernstem Blick, und wieder einmal frage ich mich, wie es sein kann, dass wir derart viel Zeit miteinander verbringen, und er checkt immer noch nicht, was ich für ihn empfinde.

Sag es ihm.

Tu es, jetzt.

Sag ihm, dass es in der E-Mail um ihn geht, dass du sie schon vor Jahren an dich selbst geschickt hast, dass du all die Zeit in ihn verknallt warst, dass es dich in den Wahnsinn treibt, dass du endlich wissen willst, ob er das Gleiche empfindet.

Ich mache den Mund auf und kann es selbst kaum fassen, dass es jetzt endlich geschehen soll, in einem Bus, noch bevor die Reise so richtig losgeht.

»Ach, egal«, meint Liam und hält mir mein Handy hin. »Ist vermutlich nur Spam.«

»Was?«

»Spam. Du weißt schon, wenn deine Mails quasi gehackt werden?«

Ich hab keinen Schimmer, was er da redet.

»Ist mir auch schon mal passiert«, erklärt er schulterzuckend. »Da imitieren die deine Mailadresse, und dann sieht es so aus, als hätte man sich das selbst geschickt. Du weißt schon, zu Werbezwecken und so.«

»Oh.« Ich lasse mein Telefon in der Tasche verschwinden. »Klar. Stimmt, das muss es sein.«

»Du solltest besser dein Passwort ändern«, meint er noch.

»Das tu ich.« Bestimmt nicht.

»Hey«, sagt er und sieht mich an. »Alles in Ordnung?«

»Klar«, versichere ich ihm. »Alles bestens.« Ich wende mich ab und schaue zum Fenster raus. Die vorbeiziehenden Häuser und Fahrzeuge sind ganz verschwommen, und ich muss ein paarmal blinzeln, damit ich nicht anfange zu heulen. Warum eigentlich? Ist ja nicht so, als hätte ich es ihm gesagt, und er hat mir eine Abfuhr erteilt. Zumindest noch nicht.

»Aven«, fängt Liam wieder an, »was ist los? Machst du dir Sorgen wegen deiner Texte?«

»Meiner Texte?«

»Ja, dass jemand sie dir aus deinen Mails rausklaut?«

»Oh. Äh, ja.« Ich arbeite nämlich an einem Roman, müsst ihr wissen. Schon seit sechs Monaten ungefähr. Liam nervt mich dauernd, dass er ihn lesen will, aber bislang wollte ich das nicht. Er denkt, das liegt daran, dass ich als Künstlerin noch geheim bleiben will, aber die Wahrheit ist, ich kann ihn das nicht lesen lassen, weil es in gewisser Weise um uns beide geht.

Na ja, nicht ganz. Der Roman handelt von einem Mädchen, das in seinen besten Freund verliebt ist. Mir ist schon klar, wie kitschig das klingt, aber man sagt doch immer, man solle über das schreiben, womit man sich auskennt. Und damit kenne ich mich nun mal bestens aus. Ursprünglich sollte es nur eine Kurzgeschichte werden, die ich im Kurs für kreatives Schreiben verfasst habe. Eine Art Vignette, die einen Ausschnitt aus dem Leben zeigt, etwas, das zwischen Liam und mir mal passiert ist.

Es ging um dieses Mädchen, das eines Tages nach dem Kino mit seinem besten Freund im Auto sitzt. Sie sitzen einfach nur so da, reden über den Film und alles Mögliche, aber das Mädchen muss die ganze Zeit daran denken, wie schön es wäre, wenn der Junge sie küsst. Und dann spult sich diese komische Gedankenschleife in ihrem Kopf ab, wo nach außen hin alles ganz normal erscheint, doch innerlich dreht sie halb durch. Die ganze Geschichte zieht sich über etwa zehn Minuten hin, aber wegen der verschlungenen Gedankengänge des Mädchens fühlt es sich viel länger an.

Meiner Lehrerin hat sie super gefallen – sie hat mir eine Eins dafür gegeben und mir versichert, die Story gehöre zu den besten, die sie die vergangenen fünf Unterrichtsjahre zu lesen bekommen hätte, sehr gut geschrieben und alles. Sie bescheinigte mir eine äußerst lebhafte Fantasie und ein vielversprechendes Talent zur Schriftstellerin.

Das mit dem Talent zur Schriftstellerin glaubte ich ihr gern, weil ich in Englisch immer recht gut war, genau wie in allen mündlichen Tests. Aber was die lebhafte Fantasie anging, da hatte ich so meine Zweifel.

Ich meine, nichts an der Geschichte war erfunden – es war genau so geschehen, als Liam mich das Wochenende zuvor nach dem Kino heimgefahren hatte. Wir hatten uns diesen abgefahrenen Independent-Sci-Fi-Film angesehen, den Izzy nicht gucken wollte, sie hatte sich geweigert. Und während wir uns über die Charaktere und den Plot unterhielten und darüber, ob das Setting stimmte, saß ich die ganze Zeit nur da und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er mich küsst.

Das einzig Erfundene an der Geschichte war das Ende – da streckt der Junge nämlich irgendwann die Hand aus und öffnet den Sicherheitsgurt des Mädchens, und dann küssen sie sich, und alles ist perfekt. Im richtigen Leben hatte Liam nur auf die Uhr gesehen und dann gemeint, es sei schon spät, er müsse nach Hause, damit er Izzy noch anrufen kann, ehe er zu Bett geht.

Ich stieg aus dem Wagen und ging ins Haus, wo ich mich aufs Bett warf und eine ganze Weile an die Decke starrte. Dann öffnete ich ein neues Word-Dokument und schrieb diese Geschichte nieder. Ich fühlte mich gleich besser, als würde ich das, was im richtigen Leben passiert war, einfach umschreiben oder so.

Von da an schrieb ich immer wieder mal über Liam und mich, und irgendwann wurde mir klar, dass meine kurzen Geschichten eigentlich einen ganz guten Roman abgeben würden. Der ist jetzt halb fertig, und ich glaube, wenn ich ihn zu Ende gebracht habe, mache ich was draus, schicke ihn an ein paar Verlage und warte ab, ob Interesse besteht.

»Keiner klaut dir deine Texte«, sagt Liam. »Das verspreche ich dir. Diese Hacker sind doch eh nur auf Passwörter aus, damit sie Phishing-Mails von deinem Konto aus verschicken können. Wenn du dein Passwort änderst, ist das Problem aus der Welt.«

»Danke«, sage ich. »Du hast schon recht, wäre echt blöd, wenn irgendwer an meine Texte käme und sie lesen würde.« Vor allem du, denke ich. Ha-ha.

Als der Bus endlich am Flughafen eintrifft, bin ich schon fast überzeugt, dass es vielleicht doch keine so gute Idee ist, auf diese Mail zu hören. Ich weiß ja, dass ich sie mir geschickt habe, um mir selbst eine Deadline zu setzen, damit ich Liam auch ja vor dem Abschluss gestehe, was ich für ihn fühle. Aber wenn man es sich genau überlegt, kann das doch kein gutes Ende nehmen.

Ich meine, wenn er mir dann sagt, dass er nicht das Gleiche empfindet, macht mich das doch total fertig, und dann ist nicht nur der Rest der Abschlussfahrt ruiniert, sondern vielleicht sogar das übrige Schuljahr, das noch dazu mein letztes ist. Und wenn er mir gesteht, dass er genauso empfindet, muss ich mir überlegen, wie ich das Izzy beibringe.

Doch der Hauptgrund, weshalb ich es Liam besser nicht sagen sollte, ist der, dass es mir nicht gefällt, wie besessen ich von der Sache bin. Ist echt ein beschissenes Gefühl. In meinem Leben gibt es ja schließlich noch mehr als nur Liam. Ja, ich mag ihn sehr. Ja, ich bin wohl in ihn verliebt. Ja, es ist echt hart zu sehen, dass er mit einer anderen zusammen ist und dass ich so tun muss, als wäre er für mich nicht mehr als ein guter Freund. Eigentlich finde ich nämlich, dass er und ich das perfekte Paar wären.

Doch will ich mich wirklich die gesamte Abschlussfahrt über so zwanghaft bloß mit ihm beschäftigen? Ist doch lächerlich.

Der Bus bremst und hält an und Liam steht auf. »Bist du so weit?«, fragt er.

»Ja«, antworte ich entschlossen, schnappe mir meine Tasche und folge ihm den Gang runter.

Es ist beschlossene Sache.

E-Mail hin oder her, Deadline oder nicht, einige Geheimnisse behält man nun mal besser für sich.

ZWEI

Kaum betreten wir das Flughafengebäude, fängt mein Handy an zu vibrieren.

Ich werfe einen Blick drauf.

Vor dem Abschluss werde ich … die Wahrheit sagen.

Mist. Lyla, Quinn und ich haben es damals so eingerichtet, dass diese dämlichen Mails über den Tag verteilt immer wieder eintrudeln, damit wir sie auch ja nicht ignorieren können.

Moment.

Lyla, Quinn und ich … das heißt ja dann wohl, dass die beiden ihre E-Mails heute auch erhalten! Mein Herz macht einen Satz. Ich suche nämlich ständig nach einem Vorwand, mit Lyla und Quinn zu reden. Wir drei waren beste Freundinnen, bis wir uns vor ein paar Jahren zerstritten haben, total bescheuert. Ich bin immer noch nicht darüber hinweg.

»Alles in Ordnung?«, erkundigt sich Liam. »Du wirkst irgendwie abwesend.«

»Mir geht’s prima!«, sage ich ein bisschen zu gut gelaunt. »Bin nur … ach, weißt du, ich hab bloß leichte Flugangst.« Ist natürlich eine blanke Lüge. Ich hab kein bisschen Angst vor dem Fliegen. Im Gegenteil, ich liebe es. Ich nehme mir immer eine von diesen Masken mit, die man sich über die Augen zieht, und schon schlafe ich. Ich mag das Gefühl, ganz hoch oben am Himmel zu sein und zwischen den Wolken hindurchzuschweben, was man ja noch nicht mal mitkriegt, bis das Flugzeug in Turbulenzen gerät … Irgendwie beruhigt mich das, weil ich dann alles andere total ausblende.

»Seit wann hast du denn Flugangst?«, will Liam wissen. »Du liebst es doch zu fliegen.«

»Eigentlich schon«, sage ich. »Aber, äh, heute Morgen haben sie die Terror-Sicherheitsstufe erhöht.«

Er runzelt die Stirn. »Nein, haben sie nicht.«

»Doch, ich glaube schon. Ich hab da was auf Twitter gelesen.«

»Das wäre ja wohl echt krass«, meint er. »Ich bin mir sicher, dass wir davon gehört hätten.« Er streckt die Hand aus und nimmt mir die Tasche ab. Was ist er nur für ein Gentleman. Die meisten Jungs in unserem Alter hätten noch nicht mal registriert, dass ich überhaupt eine Tasche mit mir herumschleppe, und Liam nimmt sie mir einfach ab und trägt sie für mich. Er ist echt so was von süß.

»Tja, vielleicht nicht«, sage ich.

»Du meinst, vielleicht haben wir nichts davon gehört?«

»Nein, vielleicht … vielleicht hab ich da was falsch verstanden.« Was für eine lahme Ausrede. Ich sage keinen Ton mehr. Wow. Ich benehme mich heute echt ein bisschen daneben. Liegt wohl daran, dass ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin. Normalerweise löse ich ja Probleme, indem ich mit jemandem darüber quatsche. Mit Liam zum Beispiel. Oder mit Izzy. Aber über dieses Problem kann ich logischerweise mit keinem von beiden reden.

Ich versuche mir auszumalen, was sie wohl sagen würden, wenn ich sie zu dem Thema befrage. Natürlich würde ich Liams Namen aus dem Spiel lassen, ich würde behaupten, es ginge um irgendeinen Typen, in den ich verknallt bin. Liam würde mich wohl ermuntern, es ihm zu gestehen. Er würde sagen: »Ein Typ, der dich nicht auch gut findet, ist es einfach nicht wert, Aven.« Schon komisch, die Vorstellung, dass Liam mir einen Ratschlag zu irgendeinem erfundenen Jungen gibt und mir versichert, dass ein Kerl, der mich nicht mag, es nicht wert ist.

Izzy hingegen würde mir raten, lieber die Klappe zu halten. Sie würde sagen, wenn einer mich wirklich mag, würde er mich das wissen lassen. Weil nämlich kein Typ im Teeniealter jahrelang mit einem Mädchen befreundet sein kann, ohne ihr seine wahren Gefühle zu gestehen.

»Ich hol mir noch was zu trinken, bevor wir an Bord gehen«, sagt Liam. »Willst du auch was?«

»Nein, danke.«

Er verschwindet und ich atme tief durch und sehe mich in der Flughafenhalle um. Im Zentrum des Boardingbereichs suche ich mir eine Bank und setze mich. Ich bin auf einmal ganz hibbelig, die Ruhe von heute Morgen hat mich offensichtlich verlassen.

Ein paar Sekunden später tippt mir jemand auf die Schulter. Ich bin derart angespannt, dass ich fast laut losschreie.

Aber es ist bloß Izzy.

»Hi«, sage ich. »Wo warst du denn? Wir haben nach dir Ausschau gehalten, als wir aus dem Bus gestiegen sind, aber wir …«

»Kann ich mal kurz mit dir reden?«, fällt sie mir ins Wort. Sie wirkt irgendwie verstört.

»Oh«, sage ich. »Äh, klar, sicher.«

Panisch sieht sie sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass uns auch keiner beobachtet. »Wo steckt Liam?«, fragt sie.

»Ähm, der ist losgezogen, um sich was zu trinken zu besorgen. Willst du mit ihm auch reden?«

»Nein!« Izzy schüttelt entschieden den Kopf. Sie packt meine Hand und hält sie derart fest umklammert, dass ich schon Angst habe, sie könnte blaue Flecken hinterlassen. »Darüber kann ich nicht mit Liam sprechen. Ich … ich muss mit dir alleine reden.«

»Okay«, sage ich. Wow. Das klingt ja mal ernst. Was auch immer sie mir zu sagen hat, es muss was mit Liam zu tun haben. Etwas, das er nicht wissen darf. Will sie etwa mit ihm Schluss machen? Will sie ihm gleich hier auf dem Flughafen den Laufpass geben, noch bevor wir auf die Abschlussfahrt aufbrechen?

Ob Liam das sehr traurig machen wird? Werde ich ihn in Florida die ganze Zeit trösten müssen, sein Haar streicheln und traurige Musik mit ihm hören? Ich werde ihm zum Trost Pizza bestellen und Bier besorgen, und dann soll er seine Sorgen darin ertränken, bis wir zusammen aufs Bett fallen, unsere Gliedmaßen ineinander verschlungen, die Lippen nur wenige Millimeter davor, sich zu berühren.

»Ich war schon immer der Meinung, du bist zu gut für sie«, würde ich flüstern.

Und dann würde er mich küssen.

Aber natürlich soll er sich nicht bloß trösten mit mir. Und er soll auch nicht nur im Suff mit mir was anfangen. Das wäre nicht Sinn und Zweck der Sache. Also haben wir an dem Abend wohl besser doch nichts miteinander. Stattdessen tröste ich Liam in meiner Vorstellung die ganze Nacht, bis es ihm endlich wieder gut genug geht, dass wir am nächsten Morgen einen Spaziergang am Strand machen können, bei dem wir uns dann spaßeshalber nass spritzen und er mich hochhebt und herumwirbelt, ehe er mich sanft wieder im Sand absetzt. Und am Ende streicht Liam mir das Haar aus dem Gesicht, während er mich zärtlich ansieht, unsere Blicke ineinander verschränkt, bis ihn endlich die Erkenntnis trifft, dass wir einfach perfekt zueinander passen.

»Hier können wir nicht reden«, sagt Izzy und reißt mich damit aus meinen Tagträumen. »Wir müssen irgendwo hin, wo uns keiner sieht.«

Ich schaue mich um, doch ich wüsste nicht, wo wir hingehen sollten, wo doch der gesamte Abschlussjahrgang hier versammelt ist (mit Ausnahme von Stori Knolls und Taylor Racine, die aus disziplinarischen Gründen nicht mitkommen durften, weil sie ganz schön Ärger an der Backe haben, irgendwas von wegen Ladendiebstahl und einer Falschaussage bei der Polizei).

»Das Klo«, beschließt Izzy. Sie kugelt mir fast den Arm aus, als sie mich in Richtung Toilette schleift. Überraschenderweise ist hier echt so gut wie nichts los.

Am Waschbecken wäscht sich eine Frau die Hände, aber das war’s auch schon. Trotzdem lässt Izzy es sich nicht nehmen, erst mal in jeder einzelnen Kabine nachzusehen, um auch ganz sicher zu sein, dass niemand uns belauscht.

»Ich glaube, hier ist keiner«, versichere ich ihr freundlicherweise, aber sie wirft mir nur einen kurzen Blick zu und setzt ihre detektivische Tätigkeit dann fort.

Wow. Offenbar ist es ihr ziemlich wichtig, dass auf gar keinen Fall irgendwer was von dem mitkriegt, was sie mir zu sagen hat. Ist es denn so schlimm? Vielleicht hat sie Liam ja betrogen! Vielleicht hat sie ihn beschissen, und jetzt will sie sich von ihm trennen, damit sie mit diesem anderen Typen zusammen sein kann!

Ich wette, es ist John Travers. Sie flirtet in der Mittagspause doch ständig mit ihm, klaut sich was von seinem Essen und tut so, als fände sie diese komische Heavy-Metal-Mucke gut, die er so hört. Außerdem bin ich mir fast sicher, dass sie sich Fotos von ihm aus der Jahrbuch-Redaktion geklaut hat. Vor ein paar Wochen sind ihr ein paar Ausdrucke aus dem Heft gerutscht, was ich schon echt strange fand. Sie arbeitet ja noch nicht mal mit am Jahrbuch, bloß ihre Freundin Sarah – vielleicht hat die ja …

»Los, komm«, sagt Izzy und zerrt mich in eine der Kabinen.

»Okay«, sage ich, und als wir drinnen sind, schüttle ich den Kopf. »Das ist doch echt ungemütlich hier drin. Können wir uns nicht einfach da draußen unterhalten?«

»Es könnte aber jemand reinkommen«, meint Izzy. Und in dem Moment fällt mir auf, dass in ihren blauen Augen Tränen stehen. Sie sind gleich noch viel blauer, wenn sie so feucht glänzen wie jetzt. Liam hat auch blaue Augen. Wenn die beiden also Kinder hätten, hätten die ebenfalls blaue Augen. Meine sind braun. Und das bedeutet, wenn ich ein Kind mit Liam hätte, hätte es vielleicht blaue Augen, aber wahrscheinlicher wäre es, dass es ganz normale, schmutzig braune bekäme. Das haben wir in der Zehnten in Bio gelernt.

Ob Liam deswegen mit Izzy zusammen ist und nicht mit mir? Vielleicht basiert das alles auf simpler Genetik. Vielleicht muss er sich jemanden mit blauen Augen suchen, weil nur so die Arterhaltung gewährleistet ist. Auch wenn ich nicht wüsste, wie es für die Evolution gut sein soll, wenn man blauäugige Kinder in die Welt setzt. Vielleicht geht es eher um den Erhalt dessen, was man selbst hat.

Quinn würde das erklären können. Meine frühere beste Freundin steht nämlich auf dieses ganze wissenschaftliche Zeug. Sie will mal Ärztin werden, im Herbst will sie auf die Stanford. Zumindest war das früher mal ihr Plan. Ich verdränge die Tatsache, dass ich schon seit zwei Jahren nicht mehr mit Quinn geredet habe, dass ich keinen Schimmer habe, ob ihre Collegepläne immer noch die gleichen sind, ob sie überhaupt noch Ärztin werden will.

Dieses Wochenende redest du mit ihr, meldet sich eine leise Stimme in meinem Kopf. Nachdem du das mit der Zimmerverteilung so eingefädelt hast, bleibt dir eh nichts anderes übrig.

Doch ich schiebe den Gedanken sofort wieder beiseite. Ich sollte mich besser um ein Freundschaftsproblem nach dem anderen kümmern. Na ja, natürlich ist es nicht so, als wären Quinn und ich immer noch Freundinnen. Aber trotzdem. Ich muss mich jetzt um die Sache mit Izzy kümmern und mich auf die Tatsache konzentrieren, dass sie direkt vor mir steht und mich ansieht, als würde sie jeden Moment losflennen.

»Iz«, sage ich, »Süße, was ist denn los?«

»Es geht um Liam«, sagt sie. Sie holt tief Luft, und mir entgeht nicht, dass sie die Tränen kaum mehr zurückhalten kann. »Aven, du darfst ihm nichts von dem erzählen, was ich dir gleich sagen werde.« Entschlossen schüttelt sie den Kopf, als wäre das, was sie als Nächstes preisgibt, ein Staatsgeheimnis oder so was. »Ich fühle mich beschissen, dass ich von dir verlange, was vor ihm zu verheimlichen, aber ich weiß mir keinen anderen Ausweg. Ich hab sonst niemanden, mit dem ich darüber reden könnte, und ich bin mit meiner Weisheit echt am Ende.«

»Okay«, sage ich ganz automatisch. Allmählich mache ich mir doch Sorgen. Klar hatte ich gehofft, Izzy könnte Liam betrogen haben, aber das war doch nur so eine Idee. Natürlich will ich nicht ernsthaft, dass Izzy leidet. Ich will nicht, dass sie traurig ist.

»Ich glaube, Liam betrügt mich«, sagt sie.

»Was?« Ich schüttle den Kopf. »Izzy, das ist doch Quatsch.«

»Meinst du?«, fragt sie. »Meinst du wirklich?«

»Klar. Liam würde dir so was niemals antun.« Echt wahr. Ich sag das nicht bloß, damit sie sich besser fühlt. Liam würde nie irgendjemanden betrügen. Dazu ist er ein viel zu guter Mensch, viel zu perfekt.

Izzy presst ein verbittertes Lachen hervor, irgendwie total seltsam. Sie klingt fast ein bisschen gestört.

»Äh, tja, warum denkst du denn, dass er dich betrügt?«, hake ich ganz vorsichtig nach.

Sie greift in ihre Tasche und zieht eine Packung Weingummifische heraus. Sie reißt die Tüte auf und hält sie mir hin. Ich greife rein, nehme mir einen und stecke ihn mir in den Mund. Izzy hat immer Süßigkeiten parat, weil sie nämlich an Unterzucker leidet. Sobald ihr Blutzuckerspiegel sinkt, muss sie was Süßes essen, sonst fällt sie in Ohnmacht. Als ich sie das erste Mal traf, fand ich das total nervig, weil sie ständig irgendwelchen Süßkram rausholte und darauf herumkaute. Sie wirkte einfach total zerbrechlich, in jeder Hinsicht. Anfangs dachte ich sogar noch, sie hätte sich das nur ausgedacht. Oder sie würde es schlichtweg übertreiben. Aber dann gingen wir eines Abends zusammen ins Kino und auf dem Weg raus wär sie fast umgekippt. Ich musste ihr eine Tüte Gummibärchen kaufen und eine extragroße Limo.

»Er benimmt sich in letzter Zeit so komisch.« Wütend beißt sie dem Weingummifisch den Kopf ab. »Ständig telefoniert er, und dauernd kommt er mit irgendwelchen Ausreden an, nur damit er keine Zeit mit mir verbringen muss.«

»Er ist ziemlich beschäftigt«, sage ich. »Mit seiner Musik.«

»Keiner kann so viel Zeit mit Musik verbringen«, wendet sie ein. »Und außerdem, seit wann hindert einen denn die Musik daran, Zeit mit seiner Freundin zu verbringen?«

Sie hat recht. Selbst zu Zeiten, da Liam total viele Songs geschrieben hat, tat er das immer spätnachts, oder er lud Izzy und mich zu sich ein, damit wir ihm Gesellschaft leisteten, während er daran arbeitete. Wir saßen dann immer zusammen und sahen uns in seinem Zimmer im Keller Filme an und stopften irgendwelches Knabberzeug in uns hinein, während er auf dem Computer Songs komponierte. Wenn er dann fertig war, spielte er sie uns vor und fragte uns nach unserer Meinung, und Izzy verdrehte dann immer nur die Augen, während ich ihm ein ernstes Feedback gab.