Frontal - Berny Kiesewetter - E-Book + Hörbuch

Frontal E-Book und Hörbuch

Berny Kiesewetter

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Beschreibung

"Mit dem Leben erfolgreich an die Wand" - Geht das denn? Wenn man diesem autobiografischen Ratgeber folgt, stehen die Chancen hierfür definitiv nicht schlecht! Eingeschüchtert davon, mit welcher Leichtigkeit die ADS-losen Mitschüler ihren Alltag gebacken bekommen. Verunsichert, weil alle Erwachsenen einen immer so bemitleidend anblicken. Unter Druck, weil plötzlich jeder behauptet, seine Jungfräulichkeit verloren zu haben. Verwirrt, weil sich alle immer so anders verhalten als man selbst. Demoralisiert, weil der beste Freund einem verspricht, Meth zu rauchen sei viel erfrischender, als es nur zu schnupfen. Enttäuscht von der Welt, weil man unter "Freundschaft" etwas anderes versteht, als das eigene Umfeld. Wer sich je gefragt hat, ob das Ablegen solcher Empfindungen wirklich eine gute Idee ist oder wie sich der holprige Werdegang zum Misanthropen anfühlt, warum Geschlechtskrankheiten unpraktisch sind, wie es ist, die Ex-Freundin im Knast zu besuchen, mit der Bundeskanzlerin den lustlosen Lehrer zu diskreditieren oder Sex mit Frauke Petry und Pinocchio zu haben, der kommt hier nun endlich voll auf seine Kosten. Hurra! Schamlos, unzensiert und gnadenlos selbstironisch zerlegt Berny Kiesewetter seine aus den Fugen geratene Jugend in fein portionierte Häppchen, die zum Nachdenken, zum Lachen, Kopfschütteln und - hoffentlich - zum Bessermachen anregen.

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Seitenzahl: 243

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Zeit:5 Std. 43 min

Sprecher:Hein Hart
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Für Sigrid und Werner, die mir gegenüber, was ich auch versucht habe, nicht ein einziges Mal Unverständnis gezeigt haben.

Für Natalie, die es irgendwie hinbekommen hat, aus diesem ganzen Mist meine Vergangenheit zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Hurra, ich bin ein Schulkind

Ein bisschen Spaß muss sein!

Mein erster Liebesbrief

Der Verrat an Marius Weisner

Pubertät, Masturbation, Haarfarbe

Rechts

Der Verrat an Manny

Evi und wie ich mein Glück eintauschte

Endlich 18

Endlich 18, die Zweite

Abwärts

Anal auf dem Münchner Flughafen

Die gemeinsame Nacht mit dem Zuhälter

Kevin hat 'ne Knarre

„Ich bring euch alle um!!“

Amsterdam, die Zweite

Warum, Frau Merkel?

Merci, dass es euch gibt!

Abschlussprüfung mit Hindernissen

Bewaffnet, gefährlich, unwiderstehlich.

HARDCORE

Multitasking im Endstadium

Vom Regen in die Traufe

Abrechnung an Silvester

Vom Regen in die Traufe, die Zweite

Entzug

Manchmal, aber nur manchmal…

Happy New Year!

In der Pizzabäckerei

Ich, das Alphatier

SMS von Jana

Verhütung - braucht man das?

Der Nachwuchs

Eine wichtige Lektion über das Lügen

Berny – Beziehungskiller

In der Pizzabäckerei, die Zweite

Die sinnloseste Lüge des Jahrtausends

Frauen wie Frauke

Das alte Arschloch vom Pizzaladen

Stolz und Vorurteil

Nicht erwähnenswert

Der Musikergeburtstag

Epilog

Epilog-Epilog

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

kann man von einem Typen, der in seinem bisherigen Leben mehr falsche als richtige Entscheidungen getroffen hat, der mit zwanzig Jahren bereits einen Erfahrungsschatz eines beinahe Vierzigjährigen hatte und die Jugend von heute schon scheiße fand, als er selbst noch dazugehörte, irgendetwas Wichtiges lernen? Vermutlich nicht.

Es sei denn, dieser Typ schreibt ein Buch, in welchem er systematisch erklärt, auf welche Erfahrungen ihr oder eure Liebsten mit bestem Gewissen verzichten könnt.

Ein Buch, welches ihr nun in euren Händen haltet! Ihr Glückspilze!

Das Leben ist eigentlich vorprogrammiert, einen mit voller Wucht gegen die Wand zu führen. Klar, da gibt es diese Glückskinder, bei denen augenscheinlich alles nach Plan lief. Abi gemacht, guten Beruf erlernt, wohlhabenden Partner geheiratet, Haus gekauft, mit dreißig Jahren ein Kind namens Justus bekommen. Doch entweder die verheimlichen euch etwas, oder es hat einfach noch nicht angefangen. Und dann gibt es Leute wie mich, bei denen die Dinge immer grundsätzlich alternativ abliefen. Ich entwickelte bereits in meiner Kindheit einen auffallend differenzierten und distanzierten Blickwinkel auf Dinge, die um mich herum geschahen. Dies ermöglichte mir auf eine merkwürdige Art und Weise, meine Menschenkenntnis sowie vor allem meinen Erfahrungsschatz in rasender Geschwindigkeit weiter auszubauen und ab und zu sogar eine wertvolle Lehre aus meinen Fehltritten zu ziehen. Der Nachteil an der Sache: ich reagierte bisher nur recht selten rational und nachvollziehbar auf Situationen, die mir das Leben bot. Oft ließ ich dabei einfach tatenlos die abgefahrensten, witzigsten, aber auch folgenschwersten Geschehnisse um mich herum passieren und sog dabei lediglich still und heimlich Information und Lebenserfahrung in mir auf, um beim nächsten Mal vorbereitet und schlauer zu sein. Zum Beispiel als ich diesem Mädchen aus der dritten Klasse die Kniescheiben zertrümmerte, oder als dieser schwarze Zuhälter mich beim Sex mit meiner Freundin als Matratze benutzte. Doch dazu kommen wir noch! Mein Glaube an das Gute im Menschen wurde im Laufe der Zeit allerdings so viele Male beschädigt, dass ich mich immer mehr zu einer Art abgestumpftem, aber zufriedenem Misanthropen entwickelte.

Meine Emotionen reduzierten sich dabei irgendwann auf ein absolutes Minimum, was zwar weniger Frustration, Trauer, Angst und Enttäuschung für mich bedeuten sollte, jedoch auch mit sich brachte, dass ich immer weniger Positivität wie Glück, Überraschung, Dankbarkeit oder Vergnügen empfand.

Ich weiß nicht ganz, wo ich ohne diese Abwehrreaktion gelandet wäre. Weiterempfehlen kann und möchte ich das Ganze definitiv nicht, sondern ganz im Gegenteil euch, liebe Leserinnen und Leser, dazu einladen, die nun folgenden Auszüge eines erfolgreich an die Wand gefahrenen Lebens auf euch wirken zu lassen, mit mir zu leiden, zu lachen und im besten Falle aus meinen Erlebnissen und Geschichten eure eigenen Lehren für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu ziehen.

Hurra, ich bin ein Schulkind

„Freust du dich schon auf die Schule?“ pflegten meine Verwandten zu fragen, als es langsam für mich in Richtung „Ernst des Lebens“ ging. Ich gewöhnte mir bald an, diese Frage mit „Ja“ zu beantworten, um langweiligen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, doch eigentlich ging es mir im Kindergarten ganz gut soweit. Ich hatte mir in der Bananengruppe einen angesehenen Ruf erarbeitet, indem ich dem gemeinsten und dicksten Kind versehentlich beim Rangeln mal eine ziemlich blutige Platzwunde am Kopf verpasst hatte. Somit ließen mich die anderen Kinder immer zuerst auf die Rutsche des Spielplatzes und lediglich die Kletterburg war für mich tabu, seit mir ein Kind der Erdbeergruppe dort oben einst aus Notwehr den Arm gebrochen hatte.

Doch leider hat alles einmal ein Ende und so verschlug es mich schließlich in einen hässlichen grauen Plattenbau, der meine zukünftige Grundschule darstellen sollte. An diesem Tag wurde meine Eignung für die Einschulung getestet und bereits nach kurzer Zeit hatte ich alle mir gestellten Aufgaben bestmöglich gelöst - zumindest dachte ich das. Anderer Meinung waren die beisitzenden Pädagogen, die mich im Anschluss in einem abgedunkelten Nebenzimmer einem Kinderpsychologen vorstellten, der mich schließlich untersuchte. Irgendetwas stimmte mit mir nicht, so viel konnte ich aus diesem eigenartigen Gespräch mit dem fremden Mann mitnehmen und diese Gewissheit ließ in mir erstmals einen sehr eigenartigen Gemütszustand aufkeimen, welcher für die Dauer meiner Kindheit mein steter Begleiter sein sollte.

Zusammen mit unregelmäßig wiederkehrenden Depressionen, Unsicherheit und Ergotherapien stand er nun also vor der Tür: Der Ernst des Lebens. Wie ich diesen Kerl hasste! Bereits an unserem allerersten Schultag gab man uns eine Hausaufgabe: einen dämlichen Clown auszumalen. Ich entschied mich, diese Hausaufgabe zur Abwechslung auszulassen.

Am zweiten Tag lehrte man uns das Lied „Hurra, ich bin ein Schulkind“, einen der widerlichsten Propaganda-Songs aller Zeiten. „Hurra, ich bin ein Schulkind“ wurde ziemlich passend auf die Melodie von „Ein Männlein steht im Walde“ gesungen und ist in einem solchen Maße vollgestopft mit Lügen und Gehirnwäsche, dass einem die Worte fehlen: Hurra, ich bin ein Schulkind und nicht mehr klein, geh‘ jeden Tag zur Schule, das find ich fein. In der Schule lernen wir, uns gefällt’s schon lange hier, und alle neuen Schüler begrüßen wir.

Okay, ein „Schulkind“ war ich nun tatsächlich - ein Punkt für den Komponisten, aber einen Grund, diese Tatsache mit einem lauten und kräftigen „Hurra!“ zu bejubeln, hatte ich persönlich deshalb noch lange nicht. Und nur weil ich nun eine Lehranstalt besuchte, hatte das nicht zu bedeuten, dass ich nun automatisch von der Gesellschaft als jemand „Großes“ wahrgenommen würde. „Jeden Tag zur Schule zu gehen“ würde mit hoher Wahrscheinlichkeit einigen Grundrechten und Jugendschutzgesetzen widersprechen und „fein gefunden“ hätte das definitiv niemand der Beteiligten. „Gelernt“ hatte ich bisher lediglich, was „Hass“ bedeutete und „gefallen“ tat mir nur die Schulglocke, wenn ich diesen Ort „hier“ endlich verlassen konnte. Ach, und „begrüßt“ hatte mich als „neuen Schüler“ bisher keiner der Anderen angemessen. Ich weigerte mich entschieden, diesen Schund mitzusingen!

Es dauerte nicht lange, da diagnostizierte mir ein Kinderarzt ADHS und verschrieb mir Ritalin. Zugegeben, das Zeug half mir tatsächlich erschreckend effektiv bei der Konzentration, doch brachte es mich nicht davon ab, meine noch recht junge Klassenlehrerin Frau Clemens mit meiner Hyperaktivität immer wieder zur Verzweiflung bis hin zum Heulkrampf zu treiben. Dass ich Tabletten benötigte, um mit meinen Klassenkameraden mithalten zu können, kratzte allerdings ziemlich an meinem kleinen Kinder-Ego. Auch die verständnislosen Blicke der anderen Eltern, wenn ich irgendetwas vermeintlich Merkwürdiges tat oder sagte, waren nicht gerade hilfreich. Viele der Erwachsenen aus meinem näheren Umfeld kamen immer wieder mit neuen Ideen an, wie man an dieses Kind herankäme und so durchlief ich viele erfolglose Versuche von vielen besorgt dreinblickenden Menschen, mich zu zähmen. Sport im Wohnzimmer bei lockerer Musik, vertrauenserweckende Gespräche auf Augenhöhe in erzwungener Jugendsprache oder Bilder, die ich von Bäumen malen sollte und die anschließend meine Psyche spiegeln würden.

„Na, wie wärs? Zeichne doch mal ein Bild von einem Baum, mit Ästen, Blättern, Wurzeln und allem was dazugehört!“, bat mich die Nachbarin, die nicht nur die Mutter meiner Klassenkameradin, sondern zufällig auch Psychotherapeutin war.

So malte Klein-Berny also einen Baum. Normaler Stamm, oben was Grünes mit roten Äpfeln und da ich Wurzeln zeichnen sollte, man diese allerdings normalerweise ja nicht sieht, da sie in der Erde stecken, ließ ich ein paar von ihnen aus der Erde herausragen. Die erfreuliche Diagnose: Ich stehe schon fest im Leben (normaler Baumstamm) und habe viele Talente (grüne Blätter mit reifen Äpfeln), aber bin mir meiner Sache noch sehr unsicher (aus der Erde ragende Wurzeln). Erleichtert umarmte man mich. Ich hatte einen stinknormalen VERFICKTEN Baum gezeichnet und mir dabei weder bewusst noch unbewusst irgendetwas gedacht. Ich weiß, man wollte natürlich nur mein Bestes, aber da sonst keiner meiner Altersgenossen jemals Psychobäume zeichnen musste, war das Einzige, was bei den vielen sinnlosen Prozeduren hängenblieb die immer weiter wachsende Gewissheit, dass ich nicht einmal ansatzweise so war, wie man mich gerne hätte.

Angesagt waren bei den Jungs in meinem Alter damals Videospiele auf der Super Nintendo, die Kinderzeitschrift „Limit“ und die Teenage Mutant Ninja Turtles.

Doch das alles war nichts für mich, beschlossen meine Eltern, das hätte meine Auffälligkeiten bestimmt nur verstärkt.

„Hey jetzt kommen die Hero Turtles!

Superstarke Hero Turtles!

Jeder, außer Berny, kennt die Hero Turtles!

Immer auf der Lauer!“

Während sich meine Generation in der Schule also über Dinge unterhielt, bei denen ich nicht mitreden konnte und ich somit selbst hier außen vor war, schenkte man mir zu Weihnachten nicht die neuerschienene Sony Playstation, sondern ein Schlagzeug zum täglichen Üben und Abreagieren. Ich war mittlerweile sieben Jahre alt und hasste mein Leben.

In der dritten Klasse übernahm der Schulrektor, Herr Kaltwasser, unsere Klassenleitung. Er war der erste Mensch, dem ich jemals ernstgemeint den Tod wünschte. Herr Kaltwasser war buchstäblich von der „Alten Schule“ und sympathisierte dementsprechend mit deren Lehrmethoden wie Demütigung und Züchtigung. So trafen mich und Andere des Öfteren zusammengerollte Hefte oder Lineale auf den Fingern und manchmal auch Fingerknöchel auf dem Kopf. Dass man die Prügelstrafe bereits seit den Siebzigern aus den Schulen verbannt hatte, war uns nicht bewusst und Herrn Kaltwasser egal. Da war diese eine Klassenkameradin, die er noch mehr verachtete als mich. Sie stand bereits seit einer halben Stunde in einer Ecke unseres Klassenzimmers, weil sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Das Mädchen musste wirklich dringend auf die Toilette. Doch anstatt ihr den Klogang zu genehmigen, amüsierte sich Herr Kaltwasser köstlich darüber, wie sie mit den Händen im Schritt von einem Bein auf das Andere trat. Ach, und dann und wann ging er gerne mal mit meinen Eltern sowie meiner Nachbarin und Psychotherapeutin ins Theater. Als ich das eines Abends herausfand, sprangen die restlichen Wurzeln meines Psychobaumes aus der Erde, sämtliche Äpfel fielen gleichzeitig zu Boden, das Holz meines Stammes starb eines grausamen qualvollen Todes und zerbarst.

In meinen ersten drei Schuljahren hatte ich mich also nicht so wirklich mit Ruhm bekleckert, doch das alles sollte mit Beginn der vierten Klasse enden! Unsere neue Klassenlehrerin, Frau Rose, war eine wundervolle, positive und einfühlsame Dame, die uns als das behandelte, was wir nun einmal waren: Kinder. Ich vergötterte diese Frau und sie zu enttäuschen hätte mir das Herz gebrochen, also gab ich mir die größte Mühe, sie mit meinem Verhalten und den schulischen Leistungen zu beeindrucken. Einige Wochen funktionierte das auch ganz gut, bis mir eines Tages in der großen Pause ein freches Mädchen aus der Jahrgangsstufe unter mir den Eingang zur Schule versperrte. Ich drückte sie mit meinem Körpergewicht an den Schultern nach unten, um über sie drüberzusteigen, woraufhin sie einknickte und mit voller Wucht mit ihren Knien auf den metallenen Fußabstreifer knallte. Ihre Kniescheiben zersplitterten, alle schrien, weinten und rannten durcheinander, zeigen mit den Fingern auf mich, ein Krankenwagen wurde gerufen und Frau Rose war unsagbar enttäuscht. Hah. Das ging schnell.

Hurra! Ich bin ein Schulkind.

Ein bisschen Spaß muss sein!

Seit bereits vielen Jahren nutze ich meinen Fernseher nicht mehr zum Fernsehen im herkömmlichen Sinne. Dieses typische „Glotze an, zappen, hängenbleiben, berieseln lassen bis ich mit dem Gefühl, aufgrund der Stimmen im Raum nicht einsam zu sein, einschlafe“ war noch nie mein Fall. Mit der Zeit wurde dann die Werbung immer lästiger und die Sendungen immer schlechter. Wenn mich heutzutage ein Film interessiert, benutze ich ein Medium, welches diesen unzensiert, unverfälscht und in bestmöglicher Form wiedergibt. Ohne Handlungsstraffungen, ohne Gewaltkürzungen, ohne Werbepause. Und man will es nicht glauben, wie toll es ist, beim Thema „Kennst du diese eine doofe Werbung...“ NICHT mitreden zu können.

Früher war das natürlich noch anders: Da habe ich mich als Kind am Wochenende frühestmöglich vor die Glotze gesetzt und das legendäre „Lass deine Eltern weiterschlafen“-Kinderprogramm genossen. Da Mitte der Neunziger das Internet noch nicht so weit fortgeschritten war wie es heute ist, hat man anno dazumal noch etwas exzessiver den Videotext genutzt. Man bekam in kurzen Zusammenfassungen die Nachrichten, aktuelle Umfragen, den neusten Promi - Klatsch und Tratsch und jede Menge Werbung zum Zeitvertreib während der schon damals lästigen Werbepausen.

Als ich mich also eines schönen Wochenendmorgens mit einer Schüssel Cornflakes im 30 Zentimeter-Abstand vor den Fernseher setzte und in der Werbeunterbrechung den Videotext durchwühlte, stieß ich auf eine Anzeige, welche mir viel Lust und Spaß auf Videotextseite 666 versprach. Ich war 8 Jahre alt und hatte dementsprechend viel Lust auf Spaß. Also wählte ich ohne Umschweife die Videotextseite 666, auf welcher mir viele einfach zu merkende Telefonnummern angeboten wurden, unter denen ich für ein paar Mark pro Minute mit netten reifen Damen sprechen könne, um mit ihnen Spaß zu haben. Auch das klang für mein achtjähriges Ich ziemlich ansprechend. Ich hatte aufgrund meiner Hyperaktivität nicht allzu viele Freunde zum Zeitvertreib, Videospiele waren in meinem Elternhaus nach wie vor tabu und die aktuell laufende Folge von Käpt’n Balu und seiner tollkühnen Crew kannte ich bereits. Kurz: Ich war sowas von bereit für Telefonspaß mit netten reifen Damen!

Ich suchte mir aus der Liste der Mädchen diejenige aus, deren Namen mir am besten gefiel, wählte kurzerhand die Nummer in den Hörer und ohne einmal zu läuten ging es in Rekordzeit los!

„Hallooo mein starker Held, schön dass du anrufst!“, stöhnte mir eine überraschend unspaßig klingende Frauenstimme ins Ohr.

Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, fuhr sie fort: „Wie wäre es, wenn ich mir zum Anfang ein bisschen an meiner kleinen rasierten Möse spiele? Nur für dich, mein Süßer…“.

Ich war starr vor Schock. Ich weiß nicht mehr genau was ich eigentlich erwartet hatte. Vermutlich, dass mir ein paar Kinderlieder vorgespielt werden, oder mir irgendjemand eine schöne Geschichte vorliest. Stattdessen erzählte mir gerade eine laute aufdringliche Frauenstimme detailliert, wie feucht ihre Muschi bereits sei und dass sie sich gerne dort etwas hineinstecken würde.

Ich musste mich verwählt haben, denn ich hatte keinen Spaß. Ich hatte das genaue Gegenteil von Spaß. Ich war verwirrt, angeekelt und ich hatte Angst. Ich legte also auf und nach kurzer Überlegung, wie ich mich von meinen unschönen Gefühlen, die ich gerade nicht genau einordnen konnte, ablenken könnte, wählte ich eine andere der angezeigten Nummern. Spaß war jetzt das einzig Richtige für mich, um diesen Schock überwinden zu können.

Diesmal ging es gleich in die Vollen. Ohne mich zu Beginn des Gespräches zu begrüßen oder sich vorzustellen plärrte mir eine Frau lauthals ins Ohr „OHHHH, OOOOHHHH! ICH STÖHNE BIS DU KOMMST!! OOOOHHHH!!!! JAAAAHHHHH!!!!“. Welchem Zweck das Stöhnen in der Erwachsenenwelt in einem bestimmten Kontext diente, war mir zu diesem Zeitpunkt sogar ganz oberflächlich bereits durch die Erzählungen des älteren Nachbarsjungen bewusst. Aber „bis ich komme“? Wohin sollte ich kommen? Etwa zu der Frau, welche mich gerade - genau wie ihre Vorgängerin - zu Tode ängstigte? Nicht in diesem Leben! Ich legte sofort wieder auf und fing an, bitterlich zu weinen. Aus Angst, aufgrund der anfallenden Anrufgebühren geschimpft zu werden, traute ich mich nicht, meinen mittlerweile wachen Eltern davon zu erzählen. Eigentlich schade, ich wette, die hätten den Lachanfall ihres Lebens gehabt, wenn ihr schluchzender Sohn ihnen heulend und verängstigt erzählt hätte, dass er doch einfach nur Spaß haben wollte.

Was ich jedoch am meisten an dieser Geschichte bedauere ist, dass ich das Gespräch zwischen meiner Mutter und meinem Vater verpasst habe, in dem es um die Gebührenabrechnung des vergangenen Monats ging und warum wir mehrere Anrufe zu einer schmuddeligen 0190-Nummer auf der Anrufliste haben. Wie er aus der Nummer wieder rausgekommen ist, wüsste ich zu gerne!

Mein erster Liebesbrief

Im Jahre 1999 geschahen eigentlich viele tolle Dinge. Johannes Rau wurde zum Bundespräsidenten gewählt, Rammstein veröffentlichten ihr erstes Live-Album, der Euro wurde in elf Staaten der EU als Buchgeld eingeführt und außerdem wurde meinem Vater von einem Krankenhaus in einer mittelfränkischen Kleinstadt eine Stelle als Oberarzt angeboten. Das würde eine saftige Gehaltserhöhung und die Chance auf weitere Aufstiegsmöglichkeiten mit sich bringen.

Sehr viel Mitspracherecht hatten mein drei Jahre jüngerer Bruder und ich in dieser Angelegenheit leider nicht. Also kauften unsere Eltern ein Grundstück in einem gehobenen Viertel und bauten ein wunderschönes Haus für uns alle.

Im darauf folgenden Jahr erfolgte dann Anfang der Sommerferien der Auszug aus meiner geliebten Heimatstadt. Meine Freunde, meine Schule, mein gesamtes gewohntes Umfeld aufzugeben fiel mir unsagbar schwer.

Die Kinder in der neuen Stadt verhielten sich auf eine merkwürdige Art und Weise völlig anders als meine vorherigen Altersgenossen. Umso schwerer fiel es meinem Bruder und viel mehr mir, neue Freundschaften zu knüpfen. Als das Schuljahr begann, sollte sich sehr bald zeigen, wer von uns beiden der Kontaktfreudigere war. Vielleicht lag es auch daran, dass Martin gerade mal in die vierte Klasse kam, während es bei mir eine sehr unglücklich zusammengewürfelte siebte Klasse einer Hauptschule war. Auf jeden Fall wollte es mir im Gegensatz zu ihm einfach nicht gelingen, auch nur einen Menschen zu finden, der mich leiden konnte. Zumindest kam mir das so vor, als mir von vier verschiedenen Mitschülern vor meinen Augen das Federmäppchen erstaunlich koordiniert entleert wurde, als meine Büchertasche in der großen Pause aus dem Klassenzimmer verschwand, als ich mein Fahrrad zum fünften Mal mit aufgeschnittenen Reifen nach Hause schieben musste oder als mir die gutaussehende Blondine aus der letzten Reihe mitteilte, dass ich ein hässliches Stück Scheiße sei und mich niemand leiden könne.

Ich begann zu dieser Zeit, größtenteils Death Metal und Punk zu hören, sah mir nachts heimlich gewalttätige Filme im TV an und wurde von meinen Mitschülern ziemlich bösartig gemobbt. Beste Voraussetzungen für einen Amoklauf, der sich gewaschen hätte.

Doch es sollte aufwärts gehen. Ich sollte tatsächlich einen Freund finden, und zwar den zwei Jahre älteren Nachbarsjungen von schräg gegenüber. Fabian hatte eine erfrischend offene und fröhliche Art. Wir fuhren mit den Fahrrädern durch die Stadt, wir hörten bei ihm zusammen Musik, traten gemeinsam der Schulband bei und manchmal übernachtete er auch bei mir.

Wenn er bei mir schlief, aßen wir immer ganz viel Chips und tranken Orangensaft und lachten bis spät in die Nacht heimlich über die anderen Idioten aus der Schule, die ihn als schwul und mich als Bonzen beschimpften. Wenn wir dann doch müde wurden, legte ich mich in mein Bett und er bekam die Matratze, die ich für ihn daneben platzierte. Vor unserer ersten gemeinsamen Nacht warnte er mich bereits vor, dass er wohl einen recht unruhigen Schlaf habe und manchmal etwas mit seinen Armen und Beinen zucken würde. Er hatte nicht gelogen - es kam tatsächlich jedes Mal vor, dass sein ekliges, nacktes, haariges Männerbein sich irgendwann unter meiner Decke wiederfand und sich an meinem rieb. In einer kindlichen Naivität schubste ich es dann, ohne mir mehr dabei zu denken, wieder auf seine Seite zurück und meistens war dann auch Ruhe.

Als ich dann irgendwann zum ersten Mal bei ihm übernachten sollte, sprang er bereits seit Stunden unruhig wie auf heißen Kohlen in seinem Zimmer hin und her. Als er mir dann irgendwann einen abgegriffenen Zettel in die Hand drückte, wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer rannte und sich im gegenüberliegenden Badezimmer einschloss, sollte in einer Minute meine Kindheit endgültig für immer beendet werden. Der ungefähre Wortlaut war wie folgt:

Lieber Berny,

ich finde, du hast einen sehr schönen Körper und ich fühle mich schon seit Längerem zu dir hingezogen. Ich weiß nicht, wie du darüber denkst. Aber ich finde, das was wir haben, ist mehr als eine normale Freundschaft. Und darum frage ich dich: Willst du mit mir gehen?

O Ja O Nein O Vielleicht

Dein Fabi

Das war er also, der erste Liebesbrief meines Lebens. Diesen Moment hatte ich mir irgendwie völlig anders vorgestellt.

Ich hatte nie den Gedanken, dass Homosexualität etwas Verwerfliches sei. Im Gegenteil!

Liebe schwule Männer, seid so schwul wie ihr wollt! Fühlt euch immer frei, zu tun wonach euch der Sinn steht. Ich bitte sogar darum! Je mehr Männer schwul werden, umso mehr Frauen bleiben für mich! Ich wünsche jedem von euch ein sorgenfreies Leben. Voller Liebe, fernab von Verfolgung, Vorurteilen und Verurteilung. Ganz ehrlich.

Aber verdammt, ich war zu dem Zeitpunkt 12 Jahre alt, ich stand ja noch nicht einmal auf Frauen! Ich hatte eine Schublade voller Transformers- und Batman-Action Figuren in meinem Zimmer, ein Poster von Homer Simpson und irgendwo in meiner CD Sammlung befanden sich sogar noch die Tekkno-Schlümpfe!

Da sich Fabian nach wie vor im Bad befand und darauf wartete, dass ich ihm den Brief mit einer angekreuzten Antwort unter der Tür durchschob, merkte er es auch nicht, wie ich mir meine Jacke und Schuhe anzog und mich schnellstmöglich auf den Nachhauseweg machte.

In meinem Zimmer schmiss ich mich aufs Bett und weinte bitterlich. Ich hatte heute den einzigen Freund verloren, den ich in dieser furchtbaren Stadt hatte. Wer hätte gedacht, dass diese Arschlöcher, die mich einen Bonzen und ihn eine Schwuchtel nannten, am Ende tatsächlich Recht behalten sollten? Ja, ich wohnte in einem recht teuren Haus und Fabian war schwul wie Elton John.

Wir gingen uns seitdem in der Schule so gut es ging aus dem Weg und wechselten nie wieder ein Wort miteinander.

Das hing vermutlich auch damit zusammen, dass ich, als ich an besagtem Abend sein Haus verließ, beim Gehen den Brief im Wohnzimmer seinen Eltern auf den Tisch legte und mich höflich für immer von ihnen verabschiedete.

Ich frage mich, wann er wohl aus dem Badezimmer wieder herausgekommen ist.

Der Verrat an Marius Weisner

Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich mir „Scheiß auf Freundschaft!“ und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Also konzentrierte ich mich auf die Schule und vor allem darauf, von dieser wegzukommen. Wie ich herausfinden musste, sind Menschen, die in der siebten Klasse einer Hauptschule überdurchschnittlich gute Noten schreiben, nicht gerade hoch angesehen. Da ich das mit dem Freunde Finden sowieso bereits abgehakt hatte, störten mich die Sticheleien, Morddrohungen, Zettel mit Schimpfwörtern auf meinem Rücken oder Spucke in meinem Gesicht nicht allzu sehr. Und dann gab es diesen einen Typen in meiner Klasse, der es noch schwerer hatte als ich. Marius Weisner war innerlich noch nicht ganz so tot und litt ganz offensichtlich sehr unter dem Spott seiner Mitschüler. Er war ein sehr ruhiger und schmächtiger Kerl. Seine blonden mittellangen Haare standen in alle Richtungen ab und sein Mund war stets leicht geöffnet, was seine Zahnspange zum Vorschein brachte, die das Bild des Opfers für perspektivenlose zukünftige Hartz 4 Empfänger perfekt abrundete. Da man uns definitiv als Leidensgenossen betrachten konnte, setzten wir uns schließlich ohne dabei viele Worte zu wechseln an einen gemeinsamen Tisch und brachten diese Zeit irgendwie hinter uns. Und tatsächlich: am Ende des Schuljahres entsprach unser Notendurchschnitt quasi der Anzahl unserer Freunde, was „sehr gut“ war!

Sehr gut war außerdem, dass uns dieser Notendurchschnitt den Weg zur Realschule und somit die Flucht vom menschlichen Bodensatz unserer Generation ermöglichte. Dachten wir zumindest. Als das neue Schuljahr begann und mein treuer Leidensgenosse und ich uns aufgeregt in unserer neuen Klasse trafen, wurde unsere Freude im Keim erstickt, als Marius von Pascal, dem Alphamännchen unserer Mitschüler, mit einer Nackenschelle begrüßt wurde, deren Knall bis in den Keller hallte. Die erste Stunde hatte noch nicht einmal angefangen. Sahen wir wirklich so offensichtlich nach Losern aus? „Hey, ihr Klassenstreber“, rief Antonia, die Sexbombe aus den hinteren Reihen, „solche Typen wir ihr wissen doch bestimmt schon, wie unser Klassenlehrer heißt, oder?“. Traurigerweise wussten wir es tatsächlich: Schuberl. Der Mann hieß Schuberl.

Nun stand ich vor einem Scheideweg. Ich könnte die nun folgenden Jahre meines Lebens natürlich weiterhin so verbringen wie bisher: Kopf einziehen, unauffällig bleiben, mich mit mir selbst begnügen. Irgendwann vielleicht mal ein Tier quälen und dabei Genugtuung empfinden. Ich entschied mich dagegen, denn ich wurde nun mal nicht jünger. Mein Körper veränderte sich, Mädchen fand ich plötzlich nicht mehr ganz so doof wie bisher, die anderen Jungs aus der Klasse schienen eine ziemlich witzige Zeit miteinander zu haben und Marius Weisner war nun mal… …Marius Weisner. Ich distanzierte mich langsam mehr und mehr von ihm, und je weniger ich ihn verteidigte, wenn andere auf ihm herumhackten, desto mehr wurde ich wiederum von Pascal, unserem Alphamännchen, anerkannt. Irgendwann war es dann soweit, dass ich mich aktiv am Mobbing beteiligte. Da wurde mal nebenbei Marius‘ Tisch umgeworfen, Papierkügelchen geschmissen oder in seine Hefte gekritzelt, bis ich schließlich sogar anfing, eine kleine Videokamera mit in den Unterricht zu nehmen und mit meinen neuen Kumpanen in der großen Pause hinter ihm herzurennen und ihn als „Mongo“ zu beschimpfen. Diese Aktionen ließen mich schließlich in der Achtung von Pascal so sehr steigen, dass wir so etwas wie beste Freunde wurden. Passi genoss hohe Beliebtheit bei den Mädels, sah ziemlich gut aus, war stets beeindruckend lässig gekleidet und trug ernstzunehmende Aggressionen in sich, die sich wirklich mal jemand hätte ansehen sollen. Regelmäßig begab er sich mit voller Absicht in Situationen, die in Schlägereien endeten oder uns dann und wann auch mal in größere Schwierigkeiten brachten. Fremde, oft auch Freunde, dann und wann sogar ich selbst, bekamen einfach mal so mit voller Wucht seine Faust ins Gesicht. Dieser Typ jagte mir manchmal wirklich eine Scheißangst ein. Mein Leben wurde mit ihm demnach auf keinen Fall einfacher - und doch angenehmer, da ich mit ihm an meiner Seite in der Rangliste der Schüler spürbar nach oben gerutscht war.

Unangenehmer hingegen wurde das Leben von Marius Weisner, der mittlerweile unter den Mobbingattacken von beinahe jedem seiner Mitschüler mehr und mehr zu leiden hatte. Das alles nahm seinen traurigen Höhepunkt, als Pascal offensichtlich mal einen besonders schlechten Tag hatte. Der Gong ertönte, der Schultag war für heute zu Ende und wir packten unsere Sachen. Auf dem Weg nach draußen sollte Marius heute eine Tortur durchleben, die er vermutlich nie wieder vergessen wird, denn Passi stürmte wutentbrannt hinter ihm her. Während Marius konsequent weiter in Richtung Ausgang lief, wurde er nach allen Regeln der Kunst vermöbelt. Schläge, Tritte und die bösartigsten Beschimpfungen trafen ihn von allen Seiten. Aufgeschreckt von dieser Darbietung, bildete sich schnell um die beiden eine Traube von Mitschülern aller Klassen, die der eher einseitigen Schlägerei beiwohnen wollten. Und so setzte sich sein Leidensweg über den gesamten Pausenhof, über den Ausgang des Schulareales, über die Straße bis hin zum Kombi seiner Mutter fort. Und als Marius schließlich im Auto neben seiner schockierten Mutter saß, die bereits den Motor gestartet hatte, öffnete Passi zum Abschied noch einmal rotzfrech die Beifahrertüre, um Marius noch einen allerletzten Faustschlag ins Gesicht zu verpassen, begleitet von einem abfälligen „Bis morgen, du Arschloch!“ und dem beeindruckten Johlen aller Anwesenden, inklusive mir. Mit quietschenden Reifen brausten Marius und seine Mutter davon und unsere Blicke trafen sich noch einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Ich wusste in diesem Moment ganz genau, was für ein verdammter Verräter ich war. Was für ein rückgratloses Würstchen. Ich war mir dessen eigentlich bereits von Anfang an bewusst. Und hätte ich damals das Selbstvertrauen, die Erfahrung, das Durchsetzungsvermögen und den Abstand zur Allgemeinheit innegehabt, wie ich ihn heute habe, wäre ich zweifelsohne dazwischen gegangen.

Doch alles, was für mich zählte, war, dazuzugehören, und es war mir dabei völlig egal, wovon genau ich da ein Teil war, solange es nur das war, was von der Mehrheit angenommen wurde. Dass ich selbst ein ganzes Jahr zuvor unter Mobbing in allen möglichen Facetten gelitten hatte und ganz genau wusste wie sich das anfühlt, dass es eigentlich überhaupt nicht meine Art war, Andere herunterzumachen oder dass ich ohne Frage in einer völlig anderen Welt als Passi und der Rest lebte, spielte absolut keine Rolle. Ich gehörte endlich irgendwo dazu.

Pubertät, Masturbation, Haarfarbe

Nach 13 Jahren meiner Existenz begann etwas Böses in mir zu erwachen. Dies begann sich zu Anfang in Form von Achsel-, Brust und Schamhaaren zu manifestieren, später folgte dann natürlich die allseits bekannte Morgenlatte, der erste versehentliche Samenerguss während des Schlafens - und um das Wichtigste nicht auszulassen: der erste ABSICHTLICHE Samenerguss. Nie werde ich diesen wunderschön überzeichneten und bodenlos abgedrehten „Hentai“ vergessen, welcher mir von einem Klassenkameraden auf einer selbstgebrannten CD-ROM geliehen wurde und mein Leben für immer verändern sollte.