Frühlings Erwachen - kurze Fassung - Frank Wedekind - E-Book

Frühlings Erwachen - kurze Fassung E-Book

Frank Wedekind

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Beschreibung

1891: Die Schicksale der hübschen und klugen Wendla, des selbstbewussten Melchiors und des schüchternen Moritz sind eng miteinander verknüpft. In allen Dreien erwacht die Sexualität und alle leiden darunter. Wedekinds Kindertragödie ist nicht einfach zu verstehen. Diese Kurzfassung erleichtert das Lesen.

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Frank Wedekind

Frühlings Erwachen - kurze Fassung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Personen:

Erster Akt, Erste Szene

Erster Akt, Zweite Szene

Erster Akt, Dritte Szene

Erster Akt, Vierte Szene

Erster Akt, Fünfte Szene

Zweiter Akt, Erste Szene

Zweiter Akt, Zweite Szene

Zweiter Akt, Dritte Szene

Zweiter Akt, Vierte Szene

Zweiter Akt, Fünfte Szene

Zweiter Akt, Sechste Szene

Zweiter Akt, Siebente Szene

Dritter Akt, Erste Szene

Dritter Akt, Zweite Szene

Dritter Akt, Dritte Szene

Dritter Akt, Vierte Szene

Dritter Akt, Fünfte Szene

Dritter Akt, Sechste Szene

Dritter Akt, Siebente Szene

Impressum neobooks

Personen:

Melchior Gabor

Herr Gabor

Frau Gabor

Wendla Bergmann

Frau Bergmann

Ina Müller

Moritz Stiefel

Rentier Stiefel

Otto

Robert

Georg Zierschnitz

Ernst Röbel

Hänschen Rilow

Lämmermeier

Martha Bessel

Thea

Ilse

Rektor Sonnenstich

Hungergurt

Knochenbruch

Affenschmalz

Knüppeldick

Zungenschlag

Fliegentod

Habebald

Pastor Kahlbauch

Ziegenmelker

Onkel Probst

Diethelm

Reinhold

Ruprecht

Helmuth

Gaston

Dr. Prokrustes

Ein Schlossermeister

Dr. von Brausepulver

der vermummte Herr

Dem vermummten Herrn

Erster Akt, Erste Szene

Wohnzimmer.

wendla: Warum hast du mir das Kleid so lang gemacht, Mutter?

frau bergmann: Du wirst vierzehn Jahr heute!

wendla: Hätt’ ich gewusst, dass du mir das Kleid so lang machen werdest, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.

frau bergmann: Das Kleid ist nicht zu lang, Wendla. Was willst du denn! Kann ich dafür, dass mein Kind mit jedem Frühling wieder zwei Zoll größer ist? Du darfst doch als ausgewachsenes Mädchen nicht in Prinzesskleidchen einhergehen.

wendla: Jedenfalls steht mir mein Prinzesskleidchen besser als diese Nachtschlumpe. – Lass mich’s noch einmal tragen, Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht sein. – Heben wir’s auf bis zu meinem nächsten Geburtstag; jetzt würd’ ich doch nur die Litze heruntertreten.

frau bergmann: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich würde dich ja gerne so behalten, Kind, wie du gerade bist. Andere Mädchen sind stakig und plump in deinem Alter. Du bist das Gegenteil. – Wer weiß, wie du sein wirst, wenn sich die andern entwickelt haben.

wendla: Wer weiß – vielleicht werde ich nicht mehr sein.

frau bergmann: Kind, Kind, wie kommst du auf die Gedanken!

wendla: Nicht, liebe Mutter; nicht traurig sein!

frau bergmannsie küssend: Mein einziges Herzblatt!

wendla: Sie kommen mir so des Abends, wenn ich nicht einschlafe. Mir ist gar nicht traurig dabei, und ich weiß, dass ich dann umso besser schlafe. – Ist es sündhaft, Mutter, über derlei zu sinnen?

frau bergmann: Geh denn und häng das Bußgewand in den Schrank! Zieh in Gottes Namen dein Prin-zesskleidchen wieder an! Ich werde dir gelegentlich eine Handbreit Volants unten ansetzen.

wendladas Kleid in den Schrank hängend: Wer wird so kleinmütig sein. – Wenn ich mein Bußgewand trage, kleide ich mich darunter wie eine Elfenkönigin … Nicht schelten, Mütterchen! Es sieht’s dann ja niemand mehr.

Erster Akt, Zweite Szene

Sonntagabend. Sie gehen spazieren und setzen sich unter eine Buche. Im Hintergrund sind die Berge zu sehen.

melchior: Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!

moritz: Lieber wollt ich ein Droschkengaul sein um der Schule willen! – Wozu gehen wir in die Schule? – Wir gehen in die Schule, damit man uns examinieren kann! – Und wozu examiniert man uns? – Damit wir durchfallen. – Sieben müssen ja durchfallen, schon weil das Klassenzimmer oben nur sechzig fasst. –Wäre Papa nicht, heut noch schnürt’ ich mein Bündel und ginge nach Altona!

melchior: Reden wir von etwas anderem. –

moritz: Es wird so stockfinster, dass man die Hand nicht vor den Augen sieht. Wo bist du eigentlich? –

– Glaubst du nicht auch, Melchior, dass das Schamgefühl im Menschen nur ein Produkt seiner Erziehung ist?

melchior: Darüber habe ich erst vorgestern noch nachgedacht. Es scheint mir immerhin tief eingewurzelt in der menschlichen Natur. Denke dir, du sollst dich vollständig entkleiden vor deinem besten Freund. Du wirst es nicht tun, wenn er es nicht zugleich auch tut. – Es ist eben auch mehr oder weniger Modesache.

moritz: Ich habe mir schon gedacht, wenn ich Kinder habe, Knaben und Mädchen, so lasse ich sie von früh auf im nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demselben Lager, zusammen schlafen und sie morgens und abends beim An- und Auskleiden einander behilflich sein. – Mir ist, sie müssten, wenn sie so heranwachsen, später ruhiger sein, als wir es in der Regel sind.

melchior: Das glaube ich entschieden, Moritz! – Die Frage ist nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?

moritz: Wieso Kinder bekommen?

melchior: Ich bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein und demselben Lager schlafen und es kommen ihnen nun unversehens die ersten männlichen Regungen – ich möchte mit jedermann eine Wette eingehen …

moritz: Darin magst du recht haben. – Aber immerhin …

melchior: Und bei deinen Mädchen wäre es im entsprechenden Alter vollkommen das Nämliche! Nicht, dass das Mädchen gerade … man kann das ja freilich so genau nicht beurteilen … jedenfalls wäre vorauszusetzen … und die Neugierde würde das Ihrige zu tun auch nicht verabsäumen!

moritz: Selbstverständlich müssten meine Kinder nämlich tagsüber arbeiten, in Hof und Garten, oder sich durch Spiele zerstreuen, die mit körperlicher Anstrengung verbunden sind. Sie müssten reiten, turnen, klettern und vor allen Dingen nachts nicht so weich schlafen wie wir. Wir sind schrecklich verweichlicht. – Ich glaube, man träumt gar nicht, wenn man hart schläft.

melchior: Vergangenen Winter träumte mir einmal, ich hätte unsern Lolo so lange gepeitscht, bis er kein Glied mehr rührte. Das war das Grauenhafteste, was ich je geträumt habe. – Was siehst du mich so sonderbar an?

moritz: Hast du sie schon empfunden?

melchior: Was?

moritz: Wie sagtest du?

melchior: Männliche Regungen?

moritz: M-hm.

melchior: – Allerdings!

moritz: Ich auch. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

melchior: Ich kenne das nämlich schon lange! – schon bald ein Jahr.

moritz: Ich war wie vom Blitz gerührt.

melchior: Du hattest geträumt?

moritz: Aber nur ganz kurz … von Beinen im himmelblauen Trikot, die über das Katheder steigen – um aufrichtig zu sein, ich dachte, sie wollten hinüber. – Ich habe sie nur flüchtig gesehen.

melchior: Georg Zirschnitz träumte von seiner Mutter.

moritz: Hat er dir das erzählt?

melchior: Draußen am Galgensteg!

moritz: Wenn du wüsstest, was ich ausgestanden seit jener Nacht!

melchior: Gewissensbisse?

moritz: Gewissensbisse?? – – – Todesangst!

melchior: Herrgott …

moritz: Ich hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich litte an einem inneren Schaden. – Schließlich wurde ich nur dadurch wieder ruhiger, dass ich meine Lebenserinnerungen aufzuzeichnen begann. Ja, ja, lieber Melchior, die letzten drei Wochen waren ein Gethsemane für mich.

melchior: Ich war seinerzeit mehr oder weniger darauf gefasst gewesen. Ich schämte mich ein wenig. – Das war aber auch alles.

moritz: Und dabei bist du noch fast um ein ganzes Jahr jünger als ich!

melchior: Darüber, Moritz, würd ich mir keine Gedanken machen. All meinen Erfahrungen nach besteht für das erste Auftauchen dieser Phantome keine bestimmte Altersstufe. Kennst du den großen Lämmermeier mit dem strohgelben Haar und der Adlernase? Drei Jahre ist der älter als ich. Hänschen Rilow sagt, der träume noch bis heute von nichts als Sandtorten und Aprikosengelee.

moritz: Ich bitte dich, wie kann Hänschen Rilow darüber urteilen!

melchior: Er hat ihn gefragt.

moritz: Er hat ihn gefragt? – Ich hätte mich nicht getraut, jemanden zu fragen.

melchior: Du hast mich doch auch gefragt.

moritz: Weiß Gott ja! – Möglicherweise hatte Hänschen auch schon sein Testament gemacht. – Wahrlich ein sonderbares Spiel, das man mit uns treibt. Und dafür sollen wir uns dankbar erweisen! Ich erinnere mich nicht, je eine Sehnsucht nach dieser Art Aufregung verspürt zu haben. Warum hat man mich nicht ruhig schlafen lassen, bis alles wieder still gewesen wäre. Meine lieben Eltern hätten hundert bessere Kinder haben können. So bin ich nun hergekommen, ich weiß nicht, wie, und soll mich dafür verantworten, dass ich nicht weggeblieben bin. – Hast du nicht auch schon darüber nachgedacht, Melchior, auf welche Art und Weise wir eigentlich in diesen Strudel hineingeraten?

melchior: Du weißt das also noch nicht, Moritz?

moritz: Wie sollt ich es wissen? – Ich sehe, wie die Hühner Eier legen, und höre, dass mich Mama unter dem Herzen getragen haben will. Aber genügt denn das? – Ich erinnere mich auch, als fünfjähriges Kind schon befangen worden zu sein, wenn einer die dekolletierte Coeurdame aufschlug. Dieses Gefühl hat sich verloren. Indessen kann ich heute kaum mehr mit irgendeinem Mädchen sprechen, ohne etwas Verabscheuungswürdiges dabei zu denken, und – ich schwöre dir, Melchior – ich weiß nicht, was.

melchior: Ich sage dir alles. – Ich habe es teils aus Büchern, teils aus Illustrationen, teils aus Beobachtungen in der Natur. Du wirst überrascht sein; ich wurde seinerzeit Atheist. Ich habe es auch Georg Zirschnitz gesagt! Georg Zirschnitz wollte es Hänschen Rilow sagen, aber Hänschen Rilow hatte als Kind schon alles von seiner Gouvernante erfahren.

moritz: Ich habe den Kleinen Meyer von A bis Z durchgenommen. Worte – nichts als Worte und Worte! Nicht eine einzige schlichte Erklärung. O dieses Schamgefühl! – Was soll mir ein Konversationslexikon, das auf die nächstliegende Lebensfrage nicht antwortet.

melchior: Hast du schon einmal zwei Hunde über die Straße laufen sehen?

moritz: Nein! – – – Sag mir lieber heute noch nichts, Melchior. Ich habe noch Mittelamerika und Ludwig den Fünfzehnten vor mir. Dazu die sechzig Verse Homer, die sieben Gleichungen, der lateinische Aufsatz – ich würde morgen wieder überall abblitzen. Um mit Erfolg büffeln zu können, muss ich stumpfsinnig wie ein Ochse sein.

melchior: Komm doch mit auf mein Zimmer. In dreiviertel Stunden habe ich den Homer, die Gleichungen und zwei Aufsätze. Ich korrigiere dir einige harmlose Schnitzer hinein, so ist die Sache im Blei. Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.

moritz: Ich kann nicht. – Ich kann nicht gemütlich über die Fortpflanzung plaudern! Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann gib mir deine Unterweisungen schriftlich. Schreib mir auf, was du weißt. Schreib es möglichst kurz und klar und steck es mir morgen während der Turnstunde zwischen die Bücher. Ich werde es nach Hause tragen, ohne zu wissen, dass ich es habe. Ich werde es unverhofft einmal wiederfinden. Ich werde nicht umhin können, es müden Auges zu durchfliegen … falls es unumgänglich notwendig ist, magst du ja auch einzelne Randzeichnungen anbringen.

melchior: