Frühsommernächte - Cinnamon Society - E-Book

Frühsommernächte E-Book

Cinnamon Society

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Beschreibung

Den Sommer begrüßen und gleichzeitig etwas Gutes tun. Genau das bietet unsere Anthologie "Frühsommernächte - Geschichten der blühenden Jahreszeit". Über 30 herzliche Kurzgeschichten für gemütliche Picknicks am See und laue Sommerabende werden von köstlichen Rezepten und der einen oder anderen Überraschung begleitet. 27 Autorinnen und Autoren haben ihr Herzblut in diese Erzählungen gesteckt, bei denen von fantasiereichen Bräuchen bis hin zu Abenteuern mit Freunden alles dabei ist. Der Erlös aller gekauften Exemplare wird an eine wohltätige Organisation gespendet. Gemeinsam ermöglicht uns dieses Buch, unseren Mitmenschen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Zusammen können wir Herzen erwärmen und Wunder vollbringen.

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Seitenzahl: 464

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Der Winter macht seinen Abschiedsgruß

weicht der warmen Sommerbrise.

Nun kann man wieder laufen barfuß

auf der grünen Frühlingswiese.

Mareike Verbücheln

Playlist

Ich will dich wiedersehen von PROVINZ

Je te laisserai des mots von Patrick Watson

Where are you now von Lost Frequencies

Angels von Robbie Williams

everything i wanted von Billie Eilish

Nightingale von Demi Lovato

this is me trying von Taylor Swift

Young & Relentless von Against The Current

Atlantis von Seafret

Téir Abhaile Riu von Celtic Women

Pavement (Acoustic) von SayWeCanFly

Nothing‘s Gonna Stop Us Now von Starship

Reicht dir das von Provinz

The Show Must Go On von Queen

Growing Sideways von Dune Moss

Fight Song von Rachel Platten

Summer Love von One Direction

What you‘re made of von Lindsey Stirling ft. Kiesza

Hol mich ab von Wincent Weiss

Der Frühling - Die vier Jahreszeiten

von Antonio Vivaldi, Florin Paul, Emil Klein

Specials

Feels Like Summer von Samuel Jack

Mango von Peach Tree Rascals

Sunroof von Nicky youre, dazy

watermelon sugar von harry styles

Long Drives von boywithuke

Tongue Tied von Grouplove

Liebe zu dritt von Provinz

As it was von harry styles

Mr. Blue Sky von Electric Light Orchestra

Head & Heart von Joel Corry

You Need to calm down von Taylor Swift

Weatherman von Eddie Benjamin

Himmelblau von Kaffkiez

Westerland von Die Ärzte

Wake Me Up Before You Go-Go von Wham!

Lemon Tree. von Fools Garden

Love (Sweet Love) von little Mix

Young Right Now von Robin Schulz, Dennis Lloyd

Windows Down von Big Time Rush

Giving in to the Love von Aurora

This Side of Paradise von Hayley Kiyoko

Wonder von Shawn Mendes

Rite Here Rite Now von Peter Shrup

Red Carpet Sand von NAYAD

Big Jet Plane von Angus & Julia Stone

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zwischen Flammen und Sehnsucht –

Lara Pichler

Rezept – Kräuterbrot –

Ursina Laura

Magie des Frühlings –

A. S. Schöpf

Rezept – Rüblikuchen –

A. S. Schöpf

Taylor‘s Song –

Nina S. Moineau

Rezept – Zitroniges Osterlamm –

Nadine Koch

Igelglück –

Malia de Maillet

Rezept – Löwenzahnhonig –

Elci J. Sagittarius

Die ganze Welt und noch viel mehr –

Annina Anderhalden

Rezept – Pizzarosen –

Caspar Duck

Ein Blumenstrauß voller Erinnerungen –

Elci J. Sagittarius

Rezept – Proteinkuchen –

Leah A. Kadolli

Zwischen Feen und Vorurteilen –

Nadine Koch

Fremde im Zug –

Jule Ackermann

Mein Herz –

Nadine Koch

Es wird bald wieder Sommer –

Jace Moran

Läster-Schwester-Schnecken –

Nadine Koch

Sommerduft und Sommerregen –

Mareike Verbücheln

Nur ein Bild –

Ulrike Asmussen

Picknick am See –

Julia Kemp

Bastelanleitung – Blumenkrone aus Löwenzahn –

Lara Pichler

Rainbow Kisses –

S. J. Betten

Rolling into Spring –

S. J. Betten

Rezept – Cookies mit Schokotropfen –

C. J. Janes

Das Frühlingserwachen –

C. J. Janes

Persephone: Goddess of Spring –

Ursina Laura

Persephone screamed –

Fanny Geley

Trotz Sommergewitter –

Annina Anderhalden

Göttin Hekate: Mutter der Hexen –

Fanny Geley

Die dunkle Frühlingsnacht –

Nadine Koch

Ode an den Frühling –

Alexandra Kreuzer

sonnenblumenfeldpicknickpoesie –

Alexandra Kreuzer

Bunte Welt –

Mareike Verbücheln

Mystische Frühsommernächte –

Marco Egger

Sprechende Blüten –

Michelle Hollmann

Das Gänseblümchen unserer Freundschaft –

Alina R. Floeter

Leuchtfeuerfrühling –

Elio T. Malewicz

Barfuß –

Elio T. Malewicz

Frühlingsgruß –

Mareike Verbücheln

Im Niemandsland der Worte –

Elio T. Malewicz

Frühlingsball –

Mali A. Ray

Frühling ohne F –

S. J. Betten

Das Sternenkind –

Mali A. Ray

Ein Gänseblümchen am Strand –

Alina R. Floeter

Rezept – Sommersalat mit Feta und Wassermelone –

Leah A. Kadolli

Der Sprung in der Sternschnuppennacht –

Alina R. Floeter

Ein Tanz im Frühlingsregen –

Elly Grant

Bergluft und Frühlingsgeruch –

Mareike Verbücheln

Frühlingslächeln –

Elly Grant

Und er leuchtet heller –

Caspar Duck

Sonnenstrahlen –

Mareike Verbücheln

Warmer Frühlingstag –

Mareike Verbücheln

Das Frühnachtsritual –

Limea Michelle

Frühlingsgefühle –

Mareike Verbücheln

Das Wäldchen der Veränderung –

Leah A. Kadolli

Frühlingsbegegnungen –

A. S. Schöpf

Danksagung

Vorwort

Fröhliche Frühsommernächte! Bevor wir zu den Geschichten, Rezepten und Überraschungen kommen, ein paar kleine Infos, die wir euch nicht vorenthalten möchten: Die Anthologie »Frühsommernächte – Geschichten der blühenden Jahreszeit« wurde von uns, Anja Schöpf und Lara Pichler, ins Leben gerufen. Gemeinsam mit 25 weiteren Autorinnen und Autoren arbeiten wir seit einigen Monaten an diesem ganz besonderen Projekt.

Doch wie haben wir uns eigentlich gefunden?

Die Antwort ist ganz einfach: Durch die Liebe zum Schreiben, den Willen, etwas Gutes zu tun und anderen eine Freude zu bereiten. So durfte jeder von uns unglaublich tolle Menschen kennenlernen und bei dieser Aktion ehrenamtlich mitwirken.

Denn obwohl die Tage nun wärmer und sonniger werden, möchten wir weiterhin Menschen in schwierigen Lebenssituationen helfen. Deswegen wird jeglicher Erlös dieses Buches an ein Frauenhaus gespendet.

Frühsommernächte ermöglicht es uns, vielen Menschen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Auch Du hast mit dem Kauf dieses Buches schon dazu beigetragen!

Jetzt wünschen wir ganz viel Spaß beim Schmökern unserer Anthologie und eine wundervolle blühende Jahreszeit.

Zwischen Flammen und Sehnsucht

Feuerspeier sind nicht diejenigen, die man im Zirkus sieht. Die wahre Generation der Flammen hat sich über Jahrhunderte hinweg in den Familien verbreitet. Das Feuer lebt in ihnen weiter, macht sie stärker. Die Kraft erhalten sie von den Dorfältesten durch das alljährliche Sonnwendfeuer.

Die Menschen haben ihren Brauch übernommen, aber so fällt es wenigstens nicht auf, wenn ein kleines Örtchen ein meterhohes Feuer entzündet. Wie auch das Sonnwendfeuer der Menschen feierten die Feuerspeier das Fest der Flammen Mitte Juni. Dieser Tag war heute gekommen.

Männer waren seit dem Morgen damit beschäftigt, alte Kartons, Holzscheite und sonstige Brennstoffe auf einen großen Haufen zu stapeln. Andere bereiteten das Festmahl vor, stellten Sitzgelegenheiten bereit oder sahen sich um, wie sie besser helfen konnten.

Ellaria war weder sonderlich stark noch gut im Kochen und hatte auch kein Auge für die Dekorationen. Niemand konnte sie wirklich gebrauchen. Niemand außer einem Mann.

Er war der Dorfälteste und zugleich der Mann, der ihnen allen die Kraft des Feuers schenkte. Durch sein hohes Alter war er gebrechlich geworden und bat sie um Hilfe. Schon als Ellaria noch ein Kind gewesen war, hatte sie größeres Interesse daran gehabt, die Magie hinter den Flammen zu verstehen, anstatt mit den anderen Kleinen fangen zu spielen. Der Alte, wie ihn viele der jüngeren Generation nannten, hatte Mitleid mit ihr. Nachdem man sie von Ort zu Ort geschickt hatte, brachte er sie zu seiner kleinen Hütte.

Draußen stiegen die Temperaturen über dreißig Grad. Hier drinnen war es zumindest aushaltbar. Es war der einzig sonnengeschützte Ort auf der weiten Fläche, ausgenommen der kleinen Bude, in der die Wassergläser nachgefüllt wurden. Der Alte wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. Aber er ließ sich nicht viel Zeit, um zur Ruhe zu kommen, sondern machte sich direkt an die Arbeit.

Die Nervosität war Ellaria an den Fingerspitzen anzusehen. Obwohl sie sonst kaum Interesse für ihn zeigte, wurde ihr bewusst, welch eine Persönlichkeit er für ihre Leute war und welch eine wichtige Arbeit er leistete, Jahr für Jahr. Der Alte befahl Ellaria, einige Bücher aus dem Regal zu holen, Schalen auf den Tisch zu stellen und ihm wichtige Körner zu überreichen. Bei der Übergabe zitterten ihre Hände schrecklich, immerhin war das ihr Mittel, um allen Feuerkraft zu schenken. Sie durfte es nicht vermasseln. Aus all diesen Materialien stellte der Mann ein Pulver her, welches sie später über den riesigen Holzberg verstreuen würden. Nur dadurch konnten die Feuerspeier ihre Fähigkeit auffrischen, denn die Flammen in ihren Körpern waren begrenzt.

Nach einer geschlagenen Stunde sah er von seiner Schüssel auf, lockerte die Schultern und lächelte sie an. »Warum holst du uns nicht etwas zu trinken?«, bat der Dorfälteste, woraufhin Ellaria voller Tatendrang die kleine Hütte verließ.

Draußen holte sie sofort die Hitze ein. Sie hatte schon fast wieder vergessen, wie schrecklich heiß es hier war. Die Sonne hatte gerade erst ihren Höchststand erreicht. Von jetzt an konnte es also nur noch besser werden. Hoffentlich.

»Hey, hast du nicht etwas vergessen?«

Ellarias beste Freundin Mlilo holte sie auf halbem Weg ein, in der Hand ein Dutzend leere Gläser. Mit dem Kinn deutete sie zur Hütte, wo sie die Gefäße neu auffüllen müsste. Stürmisch eilte Ellaria ihr hinterher, unwissend, was Mlilo meinte. Hoffentlich hatte sie nichts Wichtiges vergessen. Die Panik wuchs in Ellaria, weshalb sie der schnelle Gang nicht störte.

Laut ächzend landete das Tableau mit den Gläsern auf dem hölzernen Tisch vor der Bude. Trotz all des Schweißes, der von Mlilos Stirn lief, schenkte sie Ellaria ein Lächeln und nahm den Hut vom Kopf. Er war alt und voll mit Brandlöchern. Mlilo hatte ihn schon seit ihrer Kindheit und er trug viele Erinnerungen mit sich. Auf der anderen Seite hieß das aber, dass er kaum Schweiß aufnahm und ihr alles übers Gesicht lief.

»Wenn du hier draußen rumläufst, holst du dir noch einen Sonnenbrand«, erklärte Mlilo und setzte Ellaria den Hut auf. »Was machst du hier?«

Ellaria richtete den Hut und zögerte mit der Antwort. Vielleicht wäre es besser, wenn nicht jeder wüsste, dass sie dem Alten half. Wenn etwas schief ginge, wäre zumindest nicht in jeder Munde, dass es womöglich ihre Schuld war. Aber Mlilo war ihre beste Freundin. »Ich helfe dem Alten.«

»Gut so«, sprach sie an Ellaria gewandt, bevor sie in die Bude rief: »Vierzehn Gläser, schnell!« Mlilo war ziemlich genau das Gegenteil von Ellaria. Nicht nur blond und bildhübsch, sondern auch tatkräftig und überall gern gesehen. Dahingegen kannte man Ellaria entweder gar nicht oder nur als die beste Freundin von Mlilo. Von der Ablage schnappte sich Mlilo ein altes Geschirrtuch und band es sich um den Kopf. Ihr neuer Sonnenschutz.

Sie musste wohl Ellarias Blick gesehen haben, als ihr ein neues Tableau von einer Helferin gereicht wurde, denn schon drückte Mlilo ihr zwei Gläser in die Hand, gefolgt von einem: »Ich vertraue auf dich.«

Schon war Mlilo wieder verschwunden, nur die stetigen Rufe, damit niemand mit ihr zusammenprallte, drangen noch an Ellarias Ohr.

Womöglich war Mlilo die einzige Person im gesamten Ort, die auf Ellaria vertraute, aber ihre Worte gaben Ellaria Mut. Im Endeffekt würde es schon gut werden, nicht?

Deshalb kehrte sie zur Hütte zurück, dieses Mal das Kinn etwas höher. Der Alte hatte seine Arbeit vollendet und hinterließ nur ein kurzes »Schöner Hut«. Er wusste, wem er eigentlich gehörte, und ein gequältes Lächeln zierte seine Lippen. Sehr wahrscheinlich wusste er von Mlilos Verlust und all den Erinnerungen an die Person, die noch an diesem Hut hing.

»Für Sie.« Ellaria hatte sich immer noch nicht abgewöhnt, den Alten mit Sie anzusprechen. Per Du fühlte sich zu falsch an. Deshalb reichte sie ihm nur so das Glas und schloss die Augen während des Trinkens.

»Danke vielmals.« Der Alte gab Ellaria sein leeres Glas zurück, seine spröden Lippen waren bereits wieder trocken. Er hatte schon immer den Eindruck gemacht, als würde ihm Wasser fehlen. Das war wohl einer der Nachteile, wenn man der Oberste der Feuerspeier war. »Wir sollten es verstreuen, damit es in der Nachmittagssonne Kraft tanken kann.«

Schnell stimmte Ellaria zu und fasste nach einem der beiden Gefäße. Sie erschauderte, als ihre Finger die eiskalte Tonschüssel berührten. Durch einen Blick ins Innere konnte sie erkennen, dass das Pulver mittlerweile eine orange-gelbe Färbung angenommen hatte – bis zum Abend musste es tiefrot sein.

Bedacht darauf, nicht ein Krümelchen zu verschütten, folgte sie dem Alten nach draußen. Auf den Bänken, ganz in der Nähe der Hütte und nur ein paar Meter vom Holzturm entfernt, waren Menschen, die teils einen hellen Freudenschrei losließen, als sie den Alten sahen. Jubelrufe, Klopfen auf den Tisch, Luftsprünge. Das war ihr Tag.

Alle Augen wanderten zu Ellaria, die versuchte, ein Grinsen auf den Lippen zu bewahren. Sie fühlte die Blicke, war jedoch selbst nur darauf bedacht, nicht zu stolpern und den Kopf nicht zu senken. Es war eine Ehre, die ihr hier zuteilwurde, auch wenn sie sich nicht wohl damit fühlte, denn damit war es kein Geheimnis mehr, dass sie mitverantwortlich für den Erfolg des heutigen Feuerfestes war. Deswegen: stets lächeln und den kahlen Hinterkopf des Mannes ansehen, damit man mit niemandem Blickkontakt aufbaut.

Während der Großteil sich wieder beruhigte, sobald die beiden vorbeigeschritten waren, gab es doch manche, die ihnen folgten. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis die Zeremonie begann, doch Übereifrige sahen ihnen gerne dabei zu, wie sie alles vorbereiteten. Wie eine lange Schlange reihten sie sich hintereinander ein und schritten denselben Pfad einmal um den Platz des Feuers herum. Ein Kreis bildete sich und der Alte flüsterte ein paar Worte. Ellaria wusste, dass er sie jedes Jahr sagte, und fragte sich, ob es auch an ihr war, die Bitte an ihre Geister auszusprechen, aber sie kannte die Wörter nicht einmal. Es war dem Dorfältesten vorbehalten, mit ihren Göttern zu kommunizieren.

Ihre Frage klärte sich von selbst, als der Alte auf den enormen Haufen altes Holz zuging und Ellaria zu sich winkte. Es war eine stille Tätigkeit, die seine Zeit in Anspruch nahm. Zuerst zeigte er auf sich, dann nach rechts. Unsicher machte Ellaria es ihm nach, nur mit sich und nach links, woraufhin sie ein bestimmtes Nicken erhielt.

Das Herz pochte schmerzhaft in Ellarias Brust. Sie konnte spüren, wie schnell sich ihr Shirt mit Schweiß tränkte und wie schwitzig ihre Hände wurden. Die Mittagssonne und einige Dutzend Menschen waren keine gute Kombination.

Ihre Finger tauchten ins Gefäß, während sie aus dem Augenwinkel, möglichst unauffällig, den Alten beobachtete. Er nahm ein wenig Pulver heraus, streute es über ein Stück Holz und flüsterte zwei Wörter. Beim genaueren Hinhören konnte sie diese hören: »Potentia ignis.«

So tat sie es ihm gleich. Ellaria versuchte, möglichst sparsam mit dem Pulver umzugehen. Es musste genug bleiben, damit sie ihre halbe Runde um den Holzturm vollenden konnte, aber sie durfte auch nicht geizig sein.

Dabei hatte sie erwartet, es würde eine einfache Aufgabe darstellen. Immerhin hatte es sich so einfach angehört: Geh zum Alten in die Hütte, gib ihm Kräuter von seinem Regal und hilf ihm, das zu verteilen. Was das alles wirklich hieß, hatte Ellaria gar nicht realisiert.

Neben dem Holz, welches für das Feuer zusammengetragen wurde, gab es auch jedes Jahr persönliche Gegenstände, die verbrannt wurden. Wenn man im letzten Jahr eine wichtige Person verloren hatte, stellte man am Abend vor dem Fest einen hölzernen Fotorahmen mitsamt Bild dazu, um sie mit den Flammen zu ehren. Der Glaube bestand darin, dass der Verstorbene so nie in Vergessenheit geraten würde.

Nach dem fünften Mal Streuen musste sie eine Pause einlegen. Sie sah hinab auf den Stapel und entdeckte einen kleinen Bilderrahmen. Darin zu sehen war ein Mann, gekleidet in eine Uniform. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, doch der Fakt, dieses kleine Bildchen von ihm zu sehen, löste Schmerzen in Ellarias Brust aus. Ellaria hatte erst einmal mit Verlust umgehen müssen und das hatte sie nicht besonders gut gemeistert. Zu wissen, dass jemand nicht mehr lebte, bereitete ihr einen Knoten im Hals.

Ellaria merkte nicht einmal, wie die nächsten Minuten, womöglich waren es sogar Stunden, an ihr vorbeizogen, sie hatte das Zeitgefühl verloren. Ihr Körper bewegte sich, doch ihre Mimik und ihr Geist waren leer. Sie versuchte, all das Gesehene nicht auf sich einwirken zu lassen, und verschloss ihr Herz vor all den negativen Gefühlen, die um sie schwirrten, denn Ellaria wusste, dass sie sonst ihre Emotionen nicht mehr in Grenzen halten könnte. Bild um Bild stach ihr ins Auge und machte ihre Schritte träger. Sie wusste, ein letztes würde auf sie warten, dort, wo ihr Rundgang zu Ende war. Bisher hatte Ellaria sich noch nie vor Einbruch der Dunkelheit in die Nähe des Stapels getraut, weil sie wusste, dass dort so viele Gesichter auf sie warteten.

Dieses Jahr war es anders. Sie musste nicht nur alle anderen sehen, sondern hatte sogar selbst am vorherigen Abend einen Bilderrahmen platziert. Eigentlich war es gar nicht sie selbst gewesen, aber das wollte sich Ellaria nicht eingestehen. Ihr Herz hatte zu sehr geschmerzt, weshalb Mlilo nach vorne gehen musste. Ellaria war ohne weiteres Trauern zurück nach Hause gelaufen, nur um dort die ganze Nacht wach zu liegen und sich selbst vorzuwerfen, wie falsch ihre Handlung gewesen war. Trotz alldem ließ sie keine Tränen zu, denn sie wusste, wenn sie einmal schwach wurde, konnte sie sich nicht mehr beherrschen.

Jetzt stand sie wieder hier. Dieses Mal konnte sie es nicht vermeiden. Der Alte war noch ein Stück von ihr entfernt, aber Ellaria konnte keinen Schritt mehr machen. Ihre Knie wurden weich und sie sank auf den Boden. »Oh, Hiroka.«

Das kecke Grinsen ihres besten Freundes trieb Ellaria Tränen in die Augen, während sie immer tiefer in sich zusammensackte. Das war ein Schmerz, welchen sie weder beschreiben noch bewältigen konnte. Die Trauer brach über sie herein wie ein Tsunami. Liebevoll hatte Mlilo eine kleine Blume zwischen die Ecken des Bilderrahmens gezwängt, durch die heiße Sonne war sie längst welk. Nur Hirokas Augen strahlten noch blau wie der Ozean. Sie waren so unpassend für einen Feuerspeier und so perfekt für ihn.

»Ellaria, shhh, alles gut.«

Mlilo saß hinter ihr und hatte die Arme über Ellarias Schultern gelegt. In diese Umarmung gezwängt konnte sich Ellaria von ihren Gedanken und dem Bild losreißen. Erst jetzt spürte sie die salzigen Tränen in ihrem Mund und hörte ihr leises Wimmern und Schluchzen. Fest klammerte sie sich an Mlilos Arme.

»Ich wo-wollte nicht-nicht weinen«, beteuerte Ellaria zwischen einigen Schluchzern. Ich wollte nicht schwach sein, war, was sie eigentlich sagen wollte. Jeder hier war stark genug, seine Emotionen im Zaum zu halten. Noch nie hatte jemand einem Verstorbenen hinterher geheult, nicht hier, nicht heute. Es war ein Fest der Freude, der Familie und des Feuers. In ihrem Glauben waren auch die Geister der Menschen in den verbrannten Bilderrahmen in diesen Tag involviert und tanzten über den Flammen im Kreis, Hand in Hand.

Aber Ellaria war schwach, wenn es um Hiroka ging.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Ellaria sich beruhigt hatte. Die Menschen waren längst wieder dabei, zu fröhlicher Musik zu tanzen, und Mlilos Name wurde ungefähr jede halbe Minute gerufen, weil sie eigentlich so viel Arbeit hatte. Für Mlilo zählte nur das Wohlergehen ihrer Freundin.

»Komm, dein Hut«, sprach sie nach einer gefühlten Ewigkeit und hob den Strohhut vom Boden auf. Ellaria hatte ihn schon verloren, bevor Mlilo sie in den Armen hatte. Die Worte waren ein Abschluss, es war an der Zeit, dass sich Mlilo ihren Pflichten widmete.

Unter dem Hut kam das Schälchen zum Vorschein, ein kleines Häufchen Pulver war noch darin. Von einem Moment auf den anderen war Ellarias Trauer verschwunden. Die Erkenntnis stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ellaria hatte eine Idee, die gegen all die Regeln der Feuerspeier verstieß. Aber war es nicht ihre einzige Möglichkeit?

Rasend schnell drehte sie sich zu Mlilo um, die aufgestanden war und sich die Hose abputzte. Die Freundinnen sahen sich in die Augen, Ellaria suchte nach einer Antwort.

»Ich habe nichts gesehen.«

In Mlilos Stimme lag weder Zuspruch noch Verneinung. Sie wollte die Entscheidung Ellaria selbst überlassen und schritt davon. Es blieb also an ihr zu entscheiden, ob sie ihrem Herz oder Kopf folgen sollte. Ihr Kopf sagte ihr, dass sie womöglich aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden würde, wenn ihr jemand auf die Schliche kam. Aber ihr Herz schrie so laut, dass es unmöglich war, wegzuhören.

Ellaria handelte, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Unauffällig schüttete sie den Inhalt des Gefäßes auf das Bild. Für einen Moment hielt sie den Atem an. Das Pulver gab allen Feuerspeiern ihre Feuerkraft, daher musste es gleichmäßig verteilt sein. Wenn sie aber genau hier stand, vor Hirokas Foto, würde sie eine weitaus größere Menge des Pulvers abbekommen und so auch stärkere Kräfte entwickeln. Das verstieß gegen die oberste Regel.

Eilig machte sie sich auf die Socken zurück zum Alten. Leise stellte sie die Schüssel in die andere und setzte sich auf die kleine Bank in der Ecke der Hütte. Die beiden sprachen nicht miteinander. Es waren stille Entschuldigungen und stumme Gedanken, welche die Luft in den nächsten Stunden füllten.

Erst als die Glocken erklangen, bewegte sich der Alte wieder. Zwanzig Uhr, es war soweit.

Die Sonne war dabei, sich dem Horizont zu nähern. Es war ruhiger geworden, Gelächter schallte von den Bänken, Gläser klirrten. Die Ersten machten sich bereit, standen auf, wischten ihre Kleidung ab, tranken den letzten Schluck.

Als der letzte Glockenschlag verklungen war, marschierten sie alle auf den Berg aus Holz zu und versammelten sich darum, wie es manche schon beim Verstreuen des Pulvers getan hatten. Diese feinen Körner waren nun dunkelrot, so wie sie sein sollten.

Es war beunruhigend leise, zum ersten Mal konnte man die Grillen zirpen hören. Neben Ellaria fand sich Mlilo ein und griff nach ihrer Hand. Es war ihr erstes Feuer ohne Hiroka.

Der Alte trat nach vorn und begann seine Rede. Ellaria konnte ihn nicht hören, er schritt um das Holz und legte insgesamt vier brennende Streichhölzer auf. »Gemeinsam können wir Kraft aus dem Feuer ziehen und uns dafür bedanken…«, sagte er, als er bei den Freundinnen vorbeikam. Seine Augen durchdrangen die von Ellaria, er hatte wohl schon geahnt, was sie getan hatte.

Für einen Moment hatte Ellaria die Befürchtung, ihr Herz würde einfach aufhören zu schlagen, doch schon hatte sich der Alte von ihr abgewandt und seinen Weg fortgesetzt. Er selbst hatte erst beim letzten Feuer das Foto seiner Frau verbrannt. Seither sprach er weitaus weniger, aber er konnte den Schmerz der anderen besser verstehen. Womöglich war das auch Ellarias Glück gewesen, denn ihre Tat war Hochverrat. Das Pulver war für alle gedacht und durfte nie für das eigene Wohl missbraucht werden.

»Potentia ignis.«

Die Worte ertönten von allen Seiten. Ellaria war etwas hinten dran und hatte das Ende der Rede verpasst. Ihre Augen waren starr auf Hirokas Bild gerichtet, die Flammen züngelten empor. Das Pulver gab ihnen die treibende Kraft.

Wie von selbst schloss Ellaria die Augen, begann, die Wärme zu genießen. Ihre Gemeinschaft tat es ebenso. Die Flammen ließen Schatten über ihre geschlossenen Lider tanzen und erst als sie hoch genug waren, fassten sie ihre Nächsten an der Hand.

Sie sogen tief Luft ein, Flammen schienen sie von innen zu erleuchten.

Stärker als alle anderen wurde Ellaria von den Flammen umzingelt. Sie flimmerten um ihre Zähne herum, wenn sie lachte, und blitzten in ihren Augen auf, wenn sie diese öffnete. Der Rauch hatte ihre Stimme in etwas Heiseres und Singendes verwandelt, Funken flossen mit ihrer Stimme, als sie mit allen sang. Das Feuer hatte jede Zelle ihres Wesens durchdrungen. Sie war mehr als menschlich. Schön, wandelbar, erschreckend; ein außer Kontrolle geratenes Lauffeuer.

Mlilos begeisterter Freudenschrei beendete ihr Ritual. Die Feuerspeier ließen einander los, einige streckten die Arme nach hinten und pusteten meterhohe Flammen in die Luft. Andere packten sich an den Händen und begannen, im Kreis um die Flammen zu hüpfen.

Nur Ellaria blieb nicht unter ihnen. Kaum hatte sie Mlilos Halt nicht mehr, trugen sie ihre Beine fort, immer tiefer in den Wald hinein. Sie hinterließ Spuren am Boden, heiß, sodass das Gras unter ihren Schuhen sofort dörr wurde. Ellaria achtete genau so wenig darauf wie auf ihren keuchenden Atem, der sich anhand von gräulichem Rauch äußerte. Das Blut in ihren Adern war kochend heiß, als hätte der Teufel höchstpersönlich das Feuer dort hineingepackt.

Ein letzter Ast brach unter ihrem Gewicht, da hatte Ellaria schon die Lichtung erreicht.

»Hiroka!«

Sein Name war lang und voller Schmerz, wie ein Hilferuf. Flammen schossen aus Ellarias Kehle, die Hitze zwang sie in die Knie. Tränen strömten über ihre Wangen. Freudentränen, sie hatte es geschafft.

Zum ersten Mal verblassten die Flammen nicht, sondern nahmen Gestalt an. Vor ihr stand Hiroka, ganz in Flammen gekleidet.

»Ellaria.«

Beim Klang ihres Namens brach Ellaria in Schluchzer aus. Überwältigt von all der Freude, streckte sie einen Arm nach Hiroka aus, den anderen hielt sie sich vors Gesicht, um ihre Tränen zu verstecken. Ein breites Grinsen zierte ihre Lippen, während ihr Körper nicht das machte, was sie von ihm wollte. Alles, was Ellaria in diesem Moment brauchte, war eine Umarmung von Hiroka.

Der junge Mann kniete sich vor sie, sodass sie ihn um ein Haar nicht berühren konnte. Er war schöner denn je. Die Flammen erleuchteten ihn hell und gaben seine wahre Gestalt frei, so wie er immer gewesen war. Seine Haare flackerten in der sanften Brise, Rauch stieg in den Himmel.

Hiroka schenkte ihr ein Lächeln, doch es war gefüllt mit Schmerz. Er war froh, dass sie ihn zurückgeholt hatte, doch für welchen Preis? Aus den Büchern, welche Ellaria und Hiroka so gern gemeinsam gelesen hatten, wussten sie, dass es die Möglichkeit gab, jemanden aus dem Totenreich zu beschwören. Alle bisher verzeichneten Erfolge resultierten im Verlust des Feuers bis zum nächsten Fest.

»Ellaria, warum?«, fragte er sanft, doch erwartete keine Antwort. Er musste genau wissen, dass sie ihm diese nicht geben konnte, nicht jetzt. Er streckte Ellaria die Hand entgegen, sah unsicher darauf hinab und schien sich zu fragen, ob sie Angst vor ihrer Kreation hatte.

Ellaria hatte keine Angst. Sie sprang auf Hiroka zu und riss ihn in eine Umarmung. Die Flammen waren heiß, brannten auf jeder Stelle ihres Körpers, doch die Hitze war nicht groß genug, um ihn gehen zu lassen. Zu lange hatte sie auf diesen Moment gewartet. All ihre Freude, ihn wieder in den Armen zu halten, mischte sich mit der Trauer über die Monate, in denen sie ihn verloren hatte. Ihr Herz schien zu schrumpfen, kaum Luft passte noch in ihre Lungen. Das Atmen fiel ihr schwer.

»Hiroka, ich- ich konnte nicht- nicht noch ein Jahr oh- ohne dich sein«, brachte Ellaria ihre Antwort schließlich nach mehreren Minuten zwischen mehreren Schluchzern hervor. Heftig wischte sie sich über die feuchten Wangen, in der Angst, ihre Tränen könnten Hiroka schmerzen.

»Damit hast du all deine Kräfte verbraucht«, stellte Hiroka leise fest. Dort, wo er Ellaria über den Rücken strich, wurde es warm unter dem Shirt. Sie wussten es beide, solch eine Kraft kostete mehr Feuer, als die meisten Männer in einem Jahr speien würden.

»Ich würde es wieder tun.«

Allmählich hatte Ellaria sich beruhigt. Sie löste sich vorsichtig von Hiroka und rückte ein Stück zurück. Der einzige Kontakt, der ihnen blieb, war ein Halten der Hände. Hiroka sah keinen Tag älter aus als das letzte Mal, dass sie ihn getroffen hatte. Er zog sie auf die Beine, alles an ihm fühlte sich so lebendig an. Sein Geist lebte noch, er brauchte nur einen Körper, die Flammen, in denen er seine Gestalt zeigen konnte.

***

»Hiroka?«

»Hm?«

Einige Stunden waren vergangen. Die meiste Zeit über waren die Freunde still zu ihrem Lieblingsort gewandert, einem Haus tief im Wald und hatten es sich dort gemütlich gemacht. Hiroka hatte sich unter Ästen geduckt, Ellaria das eine oder andere Feuer ausgetreten. Jetzt saßen sie hier, der Mond schien durch das Loch in der Steinwand des Gebäudes, welches als Fenster dienen sollte.

»Warum schaden mir deine Flammen nicht?« Das war etwas, was Ellaria schon die ganze Nacht über wissen wollte. Sie lag in seinem Schoß, er lehnte mit dem Rücken an der Wand, die Augen geschlossen. Hiroka war der schlaue Part ihrer Freundschaft, sie der gefühlvolle. »Ich war der Überzeugung, ich würde…« an Verbrennung sterben. »Schmerzen erleiden, wenn ich dich berühre.«

Hiroka schüttelte den Kopf, kleine Funken flogen in alle Richtungen davon. Wie Glühwürmchen schwirrten sie durch den Raum, bis sie den Boden erreichten und das Licht erlosch. »Ich bin deine Kreation. Hätte Mlilo so viel Pulver gehabt und mich erschaffen, könntest du das bestimmt nicht, aber dein Feuer schadet dir doch auch nicht, oder?«

Nein, es hatte ihr noch nie weh getan, aber Mlilo hatte schon das eine oder andere Mal unabsichtlich Brandmale hinterlassen. »Wie hält das Feuer so lange?«

»Es wird schwächer, wie ein Lagerfeuer. Dein Wille und deine Kraft halten mich am Leben, gleich Holz.«

Seine Worte lösten etwas in Ellaria aus. Ruckartig setzte sie sich auf, Hirokas Hand rutschte von ihrer Wange. Ihre Augen suchten die Dunkelheit ab, ihre Gedanken waren aber wo ganz anders. Sie dachte über eine Möglichkeit nach.

»Heißt das, du könntest für immer leben, wenn du nur genug… Treibstoff hättest?«

»Dein Wille allein wird mich nicht am Leben halten«, erklärte Hiroka entschieden und griff erneut nach ihrer Hand. Er zog sie zu sich hoch und drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Die Stelle brannte heiß wie Flammen eines Anderen und doch tat der Schmerz so gut. Bittere Traurigkeit zeigte sich in seinem Seufzen. »Aber ich achte auf euch. Auf dich, auf Mlilo, sogar auf den Alten und auf meine Familie. Ich bin immer hier.« Er legte ihre Hand auf seine Brust. Kein Herzschlag, nur eine Symbolik.

»Das ist mir nicht genug.«

Hiroka lächelte. »Natürlich nicht.« Er streckte beide Arme aus, sodass sich Ellaria wieder an ihn kuscheln konnte. Seine Wärme war weitaus weniger stark als noch vor Stunden. Bald würde sich die Sonne zeigen. Ihnen war bewusst, dass das Feuer in kürzester Zeit erlöschen würde.

»Ich werde eine Lösung finden, versprochen«, beschloss Ellaria leise. Wenn sie nur herausfinden könnte, was das Pulver war und wie der Alte es herstellte, hätte sie jede Möglichkeit, Hiroka für immer zurück zum Leben zu erwecken. Da der Dorfälteste ohnehin schon etwas ahnte, war höchste Acht geboten, nicht erwischt zu werden. Sie konnte ihm nicht mehr so unschuldig über die Schultern schauen, wie sie es als Kind getan hatte. Sobald er einen Verdacht schöpfte, dass sie ihr eigenes Pulver herstellen konnte, war ihr Leben als Feuerspeierin vorbei und sie konnte ihr restliches Leben in der Menschenwelt verbringen.

»Ich glaube an dich.«

Das hatte Hiroka ihr jeden Tag gesagt. Er wusste, wie schwer das Leben für Ellaria sein konnte, und gab ihr immer wieder aufs Neue das Gefühl, von jemandem gebraucht zu werden. Jetzt bedeuteten seine Worte noch viel mehr, als sie spürte, wie die Flammen weniger wurden und er sich langsam in Luft auflöste. Ellaria löste sich ein letztes Mal von ihm und sah in seine Augen. Hiroka hatte keine Angst.

»Wir sehen uns nächstes Jahr«, wisperte er. Ein letztes Flackern. Hiroka war verschwunden.

Alles, was Ellaria von ihm blieb, waren ein Brandmal auf dem rechten Handrücken und ein Versprechen, welches sie niemals brechen würde.

Kräuterbrot

mit selbstgemachtem Hefeteig, vegan

Zutaten Teig:

500g Mehl, hell

3dl Wasser

21g frische Hefe (entspricht ½ Hefewürfel)

2 bis 3 EL Olivenöl

2 gestrichene TL Salz

Zutaten Füllung:

wenig Salz und Pfeffer

5 EL Olivenöl

1 Bund Thymian

1 Bund Oregano

1 Bund Salbei

2 Bund Basilikum

5 Zweige Rosmarin

andere Kräuter nach Lust und Laune

Optional noch:

getrocknete Tomaten (ca. ½ Glas oder nach Gutdünken)

schwarze Oliven, entkernt (auch nach Gutdünken)

Schinken, in Scheiben, oder Käse, gerieben (dann nicht mehr vegan)

Zubereitung Teig:

1. Mehl, Olivenöl und Salz in eine Schüssel geben.

2. Wasser in einer kleinen Pfanne erwärmen, nicht zum Kochen bringen! Nur lauwarm.

3. Hefe in lauwarmem Wasser gänzlich auflösen.

4. Hefe-Wasser-Gemisch zu Mehl & Co. beigeben, Teig kräftig umrühren bis mehr oder weniger einheitlich, auf bemehlte Arbeitsfläche geben und kurz kneten.

5. Teig in Schüssel zugedeckt an warmem Ort ruhen lassen (mind. 1h oder besser über Nacht).

Zubereitung Füllung:

6. Alle Kräuter waschen und gegebenenfalls Zweige/Stiele entfernen.

7. Alle Kräuter klein hacken.

8. Optional: Oliven halbieren und getrocknete Tomaten in feine Streifen schneiden.

Zusammenfügen:

9. Aufgegangenen Teig auf bemehlter Arbeitsfläche nochmals kurz kneten, dann ca. 1-2cm dick zu einem Rechteck ausrollen.

10. Teig mit Olivenöl bestreichen, Kräutermischung darauf verteilen, Salz und Pfeffer darüber geben.

11. Oliven und Tomaten gleichmäßig obendrauf verteilen, Reibkäse verstreuen, Schinkenscheiben darüber legen, sodass die ganze Fläche abgedeckt ist.

12. Teig von einer Längsseite her zu Roulade aufrollen, mit Schließseite nach unten auf mit Backpapier belegtes Blech geben.

13. für 25-30 Min. bei 180° C in den Backofen, danach auf Gitter auskühlen lassen oder noch lauwarm genießen.

Magie des Frühlings

Langsam glitten meine Fingerspitzen über den seidenen Stoff. Trotz der Sonnenstrahlen, die durch die große Fensterfront des Westflügels auf meinen Arbeitsplatz fielen und alles in flüssiges Gold zu tauchen schienen, fühlte er sich kalt an. Ein leichtes Knistern fuhr durch meine Hand, als ich weiter über den Rock strich. Alles war vollkommen still, doch es war keinesfalls eine unheimliche Stille. Ganz und gar nicht. Ich genoss die Ruhe, die meine Arbeit in mir und um mich herum auslöste. Einzig und allein das leise Durchtrennen des Stoffes war zu hören.

Vor mir bewegte sich eine kleine Schere behutsam durch die Luft, hinterließ die perfekten Maße für mein neues Werk, während ich um den Tisch herum ging und alles genau betrachtete. Nachdenklich griff ich nach meinem Glas Hugo, nippte daran und stellte es anschließend wieder vor mir ab. Die Eiswürfel klimperten leise, als mein Blick zu den großen Fenstern wanderte. Ein kleiner Vogelschwarm beobachtete fasziniert, wie die Schere an ihnen vorbeisauste, um ihr Werk auf der anderen Seite des Raumes zu vollenden.

Eigentlich war meine Arbeit für den Ball längst getan. Das, was hier gerade entstand, würde die Welt niemals zu Gesicht bekommen. Zwar wusste jeder hier, dass meine Leidenschaft für Stoffe, Tüll und Gewänder ins Unermessliche ging, doch niemand schien sie richtig ernst zu nehmen. Anfangs war das gar nicht so einfach gewesen, doch mit der Zeit hatte ich gelernt, dass es im Leben nicht darum gehen sollte, was den anderen gefiel, sondern darum, was ich selbst eigentlich gerne tat. Außerdem konnte niemand hier wissen, was meine Arbeit wirklich war. Sie in der Öffentlichkeit als Hobby zu belächeln, nur damit alle anderen zufrieden waren, kam für mich daher recht schnell in Frage. Die Menschen verstanden das Anderssein nicht. Entweder das oder sie verstanden es einfach falsch. Anders war ungewohnt und alles, was man nicht gewohnt war, bedeutete Angst.

Ich wollte gerade die letzte Schicht des Stoffes bereitlegen, als Schritte aus dem Treppenhaus erklangen. Die steinernen Stufen waren eindeutig nicht für Schuhe mit monsterhohen Absätzen gemacht. Ein kurzes Schnippen meinerseits und die Schere fiel auf dem anderen Ende des Raumes mit einem leisen Klonk auf den Boden.

»Kannst du mir bitte ganz kurz erklären, warum hier nie etwas nach Plan läuft?«, fragte Sofie und stolperte die letzten Stufen nach oben. Theatralisch zog sie sich ihre High Heels von den Sohlen, ehe sie damit in eine der hinteren Ecken watschelte und sich in einen grellgelben Sitzsack fallen ließ. Bei dem Anblick ihres zerknitterten Kleides verzog ich leicht das Gesicht.

»Beim nächsten Mal kannst du mir auch gerne Bescheid geben, wenn nur du es bist«, murmelte ich und brachte die Schere mit einem kurzen Schnippen wieder in Bewegung. Sofies Augen wurden kurz groß, doch sie beruhigte sich schnell wieder. Mittlerweile schien sie meine kleine Gabe gewohnt zu sein.

»Das ist echt vollkommen abgefahren«, nuschelte sie nur und lehnte sich etwas weiter zurück. »Und trotzdem muss ich die idyllische Ruhe, die du hier oben zu verbreiten scheinst, unterbrechen.« Sie verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Nachdenklich zuckte ich mit den Schultern. »Ich dachte, unten wäre schon alles fertig?« Nach stundenlanger Arbeit hätte der Ballsaal längst vorbereitet sein müssen.

Wieder rollte Sofie nur mit den Augen. »Du hast ja keine Ahnung«, schnaufte sie und hievte sich aus dem Sitzsack. Sie strauchelte kurz, hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. »Du musst dir das da unten mal geben.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wo unsere stundenlange Arbeit hin ist, aber irgendjemand scheint sich einen kleinen Spaß mit uns erlaubt zu haben.«

Fahrig versuchte sie, ihr Kleid wieder etwas glatt zu streichen, und ging auf mich zu. »Ich glaube, das solltest du dir am besten selbst ansehen.«

Kurzerhand hakte sie sich bei mir unter und ließ ihre Schuhe achtlos neben einem meiner Stoffreste liegen. Auch meinen kurzen Befehl an die silberne Schere ignorierte sie gekonnt.

***

Der Westflügel des modern gehaltenen Schlosses führte in wenigen Minuten zum Haupttrakt. Die anderen Flügel waren kaum oder wenig genutzt und daher nicht unser Einsatzgebiet. Die verschlungenen Gemäuer des alten Gebäudes faszinierten mich. Durch verschiedene Restaurierungsarbeiten im letzten Jahr wirkte zwar alles mehr an unsere jetzige Zeit angepasst, doch den Charme und die Geschichte des Schlosses konnte ihm niemand einfach so entziehen. Gemeinsam liefen wir durch die gemütlich eingerichteten Gänge. An den Wänden hingen alte Bilder von früheren Herrschern, die allesamt aussahen, als würde ihnen ihre Lebensaufgabe eher weniger gefallen. Dunkelrote Sofas, die in allen Ecken zu finden waren, lockerten die Atmosphäre und luden zu einer kleinen Verschnaufpause ein.

Sofies nackte Füße hinterließen ein hallendes Geräusch, als sie mich eilig weiter hinter sich her zog. Erst als wir eine der großen Terrassen erreichten und sie mich nach draußen schob, verlangsamte sie unser Tempo. Sofort war ich von einem lieblichen Frühlingsduft eingehüllt. Das leise Plätschern eines kleinen Brunnens, der seine Fontäne verzweifelt hoch in die Luft zu katapultieren versuchte, wurde von Vogelgezwitscher, dem Summen der Bienen und leichtem Stimmengewirr untermalt. Die Atmosphäre wäre atemberaubend, doch der Anblick, der mich in der Mitte der kleinen Parkanlage erwartete, war alles andere als balltauglich.

»Kann mir bitte jemand erklären, was das hier soll?«, erklang just in dem Moment Claires Stimme. Ihr enges Cocktailkleid umschmeichelte ihre gut vorhandenen Kurven und ließ ihre Figur viel zu perfekt wirken. Mörderische High Heels und eine auffallende Perlenkette, kombiniert mit einer aufwendigen Hochsteckfrisur, von der sich mittlerweile einige Strähnen gelöst hatten, rundeten ihr Outfit ab. Sie war die geborene Businessfrau, auch wenn sie gerade kein bisschen mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein schien.

»Hab ich dir nicht gesagt, dass hier die Hölle los ist?«, zischte Sofie und zog mich weiter.

Die Hölle war vielleicht etwas übertrieben, doch ich hatte mir den Anblick tatsächlich etwas anders vorgestellt. In wenigen Stunden würden die ersten Gäste eintreffen und die Anlage sah schrecklich aus. Vorgefertigte Blumenvasen mit kunstvoll bunten Gestecken waren umgefallen, die Erde wurde gerade notdürftig von einigen Arbeitern entfernt, doch die Fußabdrücke zeigten nur deutlich, dass schon einiges davon auf dem Boden verteilt worden war. Die hellen Dielen der Holztanzfläche waren mit unschönen Flecken versehen. Daneben lag der große Pavillon, dessen Stoff ein großer Riss zierte.

»Ich gebe zu, das war nicht der Anblick, den ich erwartet hatte«, erwiderte ich, während mein Blick weiter über das sonst so edle Gelände wanderte.

Nur das Wasser der vereinzelten Springbrunnen spritzte fröhlich munter in die Luft und wirkte so, als wäre nie etwas gewesen.

»Das ist eine Katastrophe!« Claire wackelte umständlich auf uns zu und wischte sich gestresst über die Stirn. »Wie sollen wir das wieder auf die Reihe bekommen?« Auf ihrem Dekolleté hatten sich unschöne Flecken gebildet, die ihr Stresslevel nur noch zu erhöhen schienen. Sie sah wirklich vollkommen fertig aus.

Behutsam legte ich ihr eine Hand auf den Arm und brachte sie so dazu, mich anzusehen. »Ich bin mir ganz sicher, dass die anderen schon eine Idee haben. Sofie und Jacob können sicher etwas auf die Beine stellen«, versuchte ich, sie zu beruhigen.

Sofie, Jacob und ich waren seit Jahren ein eng eingespieltes Team. Sie wären die Ersten, die ich mit einer solchen Aufgabe beauftragen würde. Auch Sofie, die neben mir unaufhaltsam nickte, schien einverstanden zu sein.

»Habe ich gerade meinen Namen gehört?«, erklang Jacobs Stimme hinter mir. Kurz darauf spürte ich einen schweren Arm auf meiner Schulter. Es fühlte sich fast so an, als würde sich Jacob absichtlich mit seinem ganzen Gewicht auf mir abstützen. Ich verzog schmerzhaft das Gesicht, während ich mich zu befreien versuchte und ihm gegen den Oberarm boxte. Er schien sich bereits in Schale geworfen zu haben. Der enge Smoking stand ihm wirklich verdammt gut. Unauffällig ließ ich meinen Blick über ihn schweifen. Die Tatsache, dass Jacob vollkommen tabu war, ignorierte ich dabei gekonnt. Seine Haare hatte er elegant zurück gegelt. Da sie ihm sonst bis zu den Wangenknochen reichten, war das ein ziemlich ungewohnter Anblick, doch er gefiel mir. Er wirkte erwachsen. Es passierte leider immer wieder, dass ich seine zwanzig Jahre unterschätzte. An seinem rechten Arm hing seine Geige. Claire hatte ihn scheinbar doch noch überzeugen können, bei der Veranstaltung eine kleine musikalische Untermalung zu bieten. Jeder hier wusste, dass Jacob mehr als gut spielen konnte, doch das stritt er immer und immer wieder ab. Wie seine Finger gekonnt über die Saiten glitten und der Bogen, den er immer mit unglaublich viel Gefühl über das Instrument führte, diese wundervollen Melodien zustande bekamen, war mir ein Rätsel. Er jedoch schien die Lösung perfekt zu beherrschen. Es war wirklich ein Wunder, ihm dabei zuzusehen. Ich zuckte fragend mit den Schultern und deutete in Richtung der Geige.

»Kein Wort. Sei froh, dass ich es überhaupt mache«, unterbrach er mich, ehe ich etwas sagen konnte. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine enge Falte gebildet, doch das leichte Glitzern seiner Iris verriet ihn.

»Wie du meinst«, lachte ich und zuckte mit den Schultern. »Jeder hier weiß, dass du einfach perfekt spielst.« Ehe er sich versah, hatte ich ihm einen kurzen Kuss auf die Wange gedrückt und drehte mich zurück zu den beiden anderen. »Ich bin mir sicher, dass Jacob und seine Jungs für Ordnung sorgen können«, sagte ich an Claire gewandt.

Noch immer stand ihr der Schock ins Gesicht geschrieben. Jacobs zustimmendes Brummen im Hintergrund, sagte mir, dass ich recht hatte. »Sofie ruft bei der Cateringfirma an, damit wir wissen, ob zumindest das nach Plan läuft. Ich kümmere mich um die Kleinigkeiten. Claire, du machst dein Business-Ding, verstanden?«

Claire schien sich schnell wieder zu fangen und nickte. »Verstanden.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch jeder wusste, was er zu tun hatte.

***

»Ich weiß, dass du eigentlich einen anderen Plan hast«, flüsterte Sofie, als sie sich bei mir unterhakte und die Nummer der Cateringfirma wählte. Noch während sie sich das Handy ans Ohr hielt, musterte sie mich prüfend.

Ich zuckte mit den Schultern. »Lass dich überraschen. Aber ich bin mir sicher, dass ich deine Hilfe gebrauchen kann.« Zwinkernd befreite ich mich von ihrem Arm und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon.

Sofie kannte mich zu gut. Sie hatte Recht. Mein Plan sah eigentlich etwas anders aus.

***

Noch immer schien die Sonne warm auf meinen Arbeitsplatz. Eilig klatschte ich in die Hände. Sofort begannen sich die einzelnen Stoffbahnen vor mir zu bewegen. Mein kleines Projekt faltete sich wie von allein zusammen und flog hinter mir in eine Ecke, wo es reglos liegenblieb. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Wenn alles nach Plan verlief, würde ich etwas vollkommen Unvergessliches erschaffen.

»Nichts sagen! Helfen!«, unterbrach ich Sofie, die eilig die Treppe nach oben gerannt war und jetzt eine Vollbremsung hinlegte. Ihr Blick wanderten kurz zu den tanzenden Stoffbahnen und sie schüttelte belustigt den Kopf.

»Magie ist etwas ziemlich Umfangreiches«, fuhr ich fort, ohne meine Arbeit aus den Augen zu lassen. »Ich bin selbst noch eine Anfängerin, das ist mir klar, aber ich glaube, dass Magie mir ziemlich nützlich werden kann.«

Mit einem kurzen Fingerschnippen setzte ich eine zweite Schere in Bewegung. In Windeseile erreichte sie ihre Kollegin und machte sich an die Arbeit.

»Wenn meine Theorie stimmt, kann Magie weitergegeben werden. Man sieht es in meiner Familie. Jeder einzelne von uns besitzt eine Gabe. Deine Familie wiederum scheint recht normal zu sein. Versteh mich nicht falsch.« In einer fließenden Bewegung drehte ich mich zurück zu meiner Freundin, die noch immer wie angewurzelt auf dem Treppenabsatz stand.

»Meine Eltern haben mir meine Gabe weitervererbt. Was logisch ist, sie sind ja meine Eltern, aber gehen wir in der Geschichte mal um einige Jahrhunderte zurück. Irgendwoher muss die Magie ja kommen. Irgendwie muss sie in die Welt gekommen sein. Irgendjemand muss es geschafft haben, sie so einzufangen, dass sie jetzt einigen wenigen Menschen helfen kann. Menschen wie mir. Ich muss es also nur schaffen, diese Magie auf dich und die anderen zu übertragen. Verstehst du, was ich meine?«

Sofies Blick zeigte mir sofort, dass sie rein gar nichts von meiner Theorie verstand. Ihre geweiteten Pupillen waren auf die Stoffbahnen hinter mir gerichtet, während sie etwas überfordert den Kopf schüttelte. »Ich sage es echt nur ungern, aber ich schnalle überhaupt nichts. Ich dachte, das hier…« Mit einer großen Handbewegung versuchte sie, den kompletten Raum einzufangen. »Ich dachte, das ist ein Geheimnis.« Zähneknirschend blickte sie mich an und strich wie von selbst immer wieder über ihr Kleid.

Jubelnd klatschte ich in die Hände. »Genau darum geht es. Jeder der Besucher soll die Magie spüren, aber eben nicht wissen, dass es Magie ist. Es geht um das Ergebnis, um das Resultat.« Lachend drehte ich mich zurück zu den beiden Scheren.

Mittlerweile waren die Stoffbahnen zu einer erkennbaren Form geschnitten worden. Was mir vor einigen Monaten noch unglaublich viel abverlangt hatte, lief nun schon fast von allein.

»Wenn ich es schaffe, möglichst viel meiner Gabe in einem meiner selbstgenähten Kleidungsstücke zu bündeln und dieses dann anschließend auf dem Ball von jemandem getragen wird, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich die Magie nicht nehmen lässt, auch auf den Rest überzugehen, verstehst du?« Fragend drehte ich mich zurück zu Sofie.

Sie war einige Schritte näher bekommen und betrachtete staunend, wie sich der Stoff langsam zu einem richtigen Kleidungsstück zusammensetzte, ehe sie nickte. »Wenn ich dich richtig verstanden haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass das funktioniert.« Ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass sie sich die magischen Szenarien bereits vor ihrem inneren Auge ausmalte.

Ich nickte abermals und ließ mich seufzend auf meinen Stuhl fallen, ehe ich einen weiteren Schluck trank. »Bringst du mir bitte zwei weitere Stoffteile? Wir werden gemeinsam Wunder vollbringen.«

Nur weil niemand meine Leidenschaft zu verstehen schien, hieß das nicht, dass ich sie nicht an meiner Gabe teilhaben lassen konnte. Niemand musste wissen, was es mit den Kleidungsstücken auf sich hatte, doch jeder sollte die Magie spüren dürfen. Jeder sollte dieses Privileg bekommen, meine Fähigkeit auf sich wirken zu lassen.

»Reicht das?«, unterbrach Sofie meine Gedanken. Sie hielt einen kleinen Haufen Seide in den Händen. Die verschiedenen Gelbtöne waren perfekt aufeinander abgestimmt. Auch wenn sie es nie zugab, sie kannte sich mit Mode aus.

Dankbar breitete ich alles vor mir aus. Der Teil des Oberkörpers sollte so weit fertig sein. Es fehlte also nur noch der Rock.

»Soll der Rock eher unauffällig oder doch pompös sein?«, fragte ich in Sofies Richtung. Ich konnte mir bei diesem Projekt beides gut vorstellen.

Nachdenklich stützte sich Sofie neben dem bereits fertigen Teil ab und ließ einen prüfenden Blick darüber schweifen. »Ich glaube, eine Mischung aus beidem wäre hier einfach perfekt. Stell dir dieses enge Oberteil mit einer etwas längeren Schleppe und vorne einem kürzeren Teil vor. Sodass die Beine ab und an zu sehen sind und es nicht zu warm wird. Dagegen ist der hintere Teil eher mysteriös und geheimnisvoll, lässt das Ganze aber elegant wirken.« Ihre Arme gestikulierten wild durch die Luft, während sie mir ihre Interpretation des Kleides zu erklären versuchte. Das Leuchten ihrer Augen zeigte mir nur allzu deutlich, wie sehr ihr die Idee gefiel.

Ich nickte lachend und griff nach einem weiteren Stoffteil. »Ich denke, es ist am besten, wenn der hintere Teil in leichten Wellen fällt. Ungefähr so.« Grob versuchte ich, meine Gedanken auf eines der weißen Blätter vor uns zu kritzeln.

Sofie nickte immer wieder aufgeregt und schien von allem Feuer und Flamme zu sein. »Vielleicht kannst du einige leichte Ornamente an dem hinteren Teil anbringen, die dann vorne zusammenkommen. So hat das Ganze noch ein gewisses Etwas.« Mit einigen kurzen Bleistiftstrichen vervollständigte sie meine Skizze. Es sah wirklich atemberaubend aus.

»Ich glaube, so ist es perfekt«, sagte ich, nachdem ich noch einige Änderungen vorgenommen hatte.

Die hintere lange Schleppe wurde von einigen Strasssteinchen abgerundet und fiel fließend über die Beine. Vorne wurden diese zwar zum Großteil bedeckt, doch bei jedem Schritt würden sie kurz zum Vorschein kommen. Es war einfach magisch.

»Wenn ich die kleinen Steinchen auch noch auf dem Oberteil anbringe, ergänzen sich die beiden.« Strahlend blickte ich auf.

»Das wird einfach der Wahnsinn«, quietschte meine Freundin und rüttelte leicht an meinem Arm. »Machst du jetzt wieder dieses abgefahrene Ding mit den Händen? Darf ich zusehen?« Ihre Augen leuchteten noch immer, während sie zwischen dem Blatt vor uns und meinen Fingern hin und her sprangen.

»Ja, ich mache dieses Ding wieder und natürlich kannst du hier bleiben. Aber schau, dass niemand kommt, in Ordnung?« Verschwörerisch hob ich eine Augenbraue und zwinkerte ihr zu, ehe ich meine Hände auf unsere Zeichnung legte.

Dieser Teil war mit Abstand mein liebster. Das Wirken meiner Gabe hatte ich genau in einer solchen Situation das erste Mal gespürt. Vermutlich war es deswegen immer wieder etwas ganz Besonderes.

Konzentriert schloss ich die Augen. An meinem Ellenbogen spürte ich den seidenen Stoff des Oberteils und ließ mich so von ihm leiten. Sofie war mucksmäuschenstill, während ich mich nur auf meinen Atem und das Wunder vor mir konzentrierte. Das Kribbeln begann in meinem Brustkorb. Sofort breitete sich ein großes Lächeln auf meinen Lippen aus, als ich es langsam durch meine Arme und den Rest meines Körpers fließen ließ. Sofie keuchte auf und ich wusste genau, was ihre Reaktion ausgelöst haben musste. Meine Gliedmaßen wurden von flüssigem Gold umschlungen. Es vibrierte, passte sich meinem pulsierenden Herzen an und floss immer weiter in Richtung der Skizze. Meine Finger zitterten leicht und beruhigten sich erst, als meine Gabe behutsam auf das weiße Blatt Papier überging und so meinen eigenen Körper, seinen Ursprung, verließ. Blinzelnd öffnete ich die Augen, als die Anspannung wieder von mir gefallen war, um der Magie ihren vollen Platz zu gewähren. Leise rutschte ich etwas nach hinten, ohne die Stoffe, die vor uns durch die Luft wirbelten, aus den Augen zu lassen.

»Das ist einfach unglaublich«, flüsterte Sofie, die ebenfalls aufgestanden war und ihren Blick nicht von dem Spektakel abwenden konnte.

Noch immer bewegte ich leicht meine Hände, um zumindest das Gröbste selbst zu strukturieren. Das Kleidungsstück gehorchte mir aufs Wort. Immer mehr begann es, Form anzunehmen und sich genau so zu bilden, wie Sofie und ich es wenige Minuten zuvor besprochen hatten. Das Geräusch der Scheren und das Knistern des Stoffes unterstrichen die Magie, die von allem ausging. Es fühlte sich fast wie Elektrizität an, die sich immer mehr ausdehnte und gar nicht mehr enden zu wollen schien, doch nur wenige Augenblicke später war alles einfach vorbei. Die goldenen Ornamente waren verschwunden, alles wirkte fast so, als wäre es nie passiert. Nur das Kleid, das vor uns einige Zentimeter über dem Boden schwebte, deutete auf das Gegenteil hin.

Staunend trat Sofie einige Schritte näher.

»Du kannst es schon anfassen. Es beißt nicht«, lachte ich, als ich ihr kurzes Zögern erkannte.

Das ließ sie sich nicht zwei Mal sagen. Sofort legte sie ihre Hände auf den hellen Stoff. Von Sonnenlicht getränkt schimmerte das Gelb wie an einem lauen Frühlingsabend. »Das ist einfach der Hammer«, wiederholte Sofie nur und schien sich gar nicht sattsehen zu können. »Wenn das nicht voller Magie ist, dann frage ich dich.« Immer wieder ließ sie ihren Blick über das atemberaubende Kleid wandern. Ich musste selbst zugeben, dass meine Gabe ganze Arbeit geleistet hatte.

»Komm. Lass uns schauen, wie weit die anderen sind. Die ersten Gäste müssten bereits eingetroffen sein«, sagte ich und hakte mich bei ihr unter, nachdem sie ihre Schuhe geschnappt hatte.

***

»Es sieht einfach unglaublich aus, Jacob«, rief ich und lief strahlend auf die große Wiese.

Von den vorherigen Missgeschicken war nichts mehr zu sehen. Drei kleine Springbrunnen tanzten fröhlich um die Wette. Die immer tiefer sinkende Sonne wurde von ihren Fontänen perfekt gespiegelt und setzten alles noch besser in Szene. Der Pavillon war verschwunden, vermutlich vertrauten die anderen auf gutes Wetter. Die Tanzfläche war sauber und die Blumenstöcke waren geordnet aufgestellt. Sogar eine Art roter Teppich führte zum Zentrum des heutigen Abends. Das Holz war poliert worden, in einer der hinteren Ecken probte bereits die Band und einige Streicher schienen ihre Instrumente aufzuwärmen.

Darunter befand sich auch Jacob. Sein Arm ließ den Bogen wie von selbst über die Saiten gleiten und seine Finger tanzten über den Hals seiner Geige. Er hatte die Augen geschlossen, das Kinn auf der Stütze des Instruments abgelegt und wirkte selbst wie verzaubert. Langsam wog er sich im Takt der wundervollen Melodie und bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand.

Blinzelnd versuchte ich, die Tränen zu vertreiben, die sich einen Weg zu meinen Augen gebahnt hatten, so gerührt war ich von seiner kleinen Nummer. »Sag mir noch einmal, dass du kein Talent hast«, schniefte ich und wischte mir über meine Wange. »Das war einfach perfekt.« Ich lachte und boxte ihm leicht gegen die Schulter, als er sein Instrument senkte und seinen Blick auf mich legte.

»Wenn du das sagst, sollte ich dir wohl besser nicht widersprechen.« Er grinste.

»Es sieht einfach wunderbar aus«, fuhr ich fort und drehte mich wieder zu der restlichen Location. »Claire ist dir bestimmt schon um den Hals gefallen, oder?« Lachend beobachtete ich ihn dabei, wie er sich bei mir einhakte und mich über die Tanzfläche zog.

»Bis jetzt nicht. Glücklicherweise«, antwortete er gequält. »Ich hätte auch viel lieber ein anderes kleines Dankeschön.« Vielsagend drehte er mich so, dass ich ihm in die Augen sehen musste. »Reservierst du mir einen Tanz?« Sein Atem strich leicht über meine Wange, als ich mein Gesicht wegdrehte.

»Das lässt sich bestimmt einrichten.« Ich senkte leicht die Wimpern und blickte ihn anschließend wieder direkt an. »Vergiss mich aber nicht.« Mit diesen Worten drehte ich mich um und wurde sofort von Sofie unter die Mangel genommen.

»Das werde ich ganz bestimmt nicht«, rief Jacob nur noch, ehe ich außer Hörweite war.

Ich musste Sofie nur anschauen, um zu wissen, was sie mir sagen wollte und unterbrach ihre Gedanken. »Vertraust du mir?«, fragte ich und blickte sie aufrichtig an.

Ein kurzes Nicken war ihre einzige Reaktion.

Ich atmete tief ein und brachte ein paar Meter Abstand zwischen uns, ehe ich die Augen schloss. Bedacht ließ ich das leichte Kribbeln stärker werden und konzentrierte mich ganz auf das Kleid. Spürte den weichen Stoff unter meinen Fingerspitzen, malte mir jedes Detail ganz genau aus und fokussierte mich anschließend auf meine beste Freundin.

Sie stieß ein kurzes Jauchzen aus, als sie eine Art Elektrizität erfasste und ihre Haare leicht zu schweben begannen. Ein weiterer Atemzug meinerseits und ihre Füße verloren den Halt des Bodens. Sofie schwebte einige Zentimeter in der Luft. Als ich die Augen öffnete, wurde jetzt sie von dem flüssigen Gold umschlungen, während sie sich immer schneller im Kreis zu drehen begann. Alle um uns herum schienen erstarrt, niemand wurde auf dieses Spektakel aufmerksam. Sofies Bewegungen wurden langsamer, ihre Sohlen fanden den Weg zurück zum Boden. Geblendet hob ich die Hand, als sich auch das Gold langsam von ihr zurückzog und sich über den ganzen Platz auszubreiten schien. Alles wurde in ein zartgelbes Schimmern getaucht und wirkte magisch.

Langsam ließ ich meinen Blick um uns schweifen, ehe ich wieder zu Sofie sah.

Ihre blonden Haare fielen gewellt über ihre Schultern. Nur einige wenige Strähnen waren zurückgekämmt worden. Ihre zierlichen Füße steckten in goldenen Sandalen, die einen leichten Absatz hatten. Das Kleid stand ihr wie angegossen. Sie wirkte wie eine Fee, die gerade wieder auf die Erde zurückgekehrt war.

Staunend ließ auch sie ihren Blick über ihren Körper wandern, ehe sie sich zu mir drehte. »Danke dir. Ich danke dir so sehr«, flüsterte sie und warf sich in meine Arme. Sie schluchzte kurz, ehe sie sich wieder fasste, und einige Schritte nach hinten ging.