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Diese Ausgabe enthält sowohl die deutsche Übersetzung als auch den französischen Originaltext."Fünf Wochen im Ballon" ("Cinq semaines en ballon") ist ein Roman von Jules Verne. Es ist der erste veröffentlichte Roman Jules Vernes und ein wissenschaftlich fundierter Reiseroman. Der Roman erschien im Jahre 1863 und machte Verne schnell in Frankreich bekannt. Es folgten weitere Romane, die bis über seinen Tod 1905 hinaus bei Pierre-Jules Hetzel verlegt wurden, von 1873 an auch international. "Fünf Wochen im Ballon" ist der erste Titel des Romanzyklus der "Außergewöhnlichen Reisen" ("Voyages extraordinaires")."Cinq semaines en ballon" est un roman de Jules Verne, paru en 1863.
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Fünf Wochen im Ballon
Erstes Capitel
Das Ende einer sehr beifällig aufgenommenen Rede. – Vorstellung des Dr. Samuel Fergusson. – »Excelsior!« – Standbild des Doctors. – Ein überzeugter Fatalist. – Diner im Traveller's-Club. – Zahlreiche Gelegenheitstoaste.
Am 14. Januar 1862 hatte sich eine große Anzahl von Zuhörern zur Sitzung der Königlich Geographischen Gesellschaft in London, Waterlooplace 3, eingefunden. Der Präsident Sir Francis M... machte in einer häufig von Beifall unterbrochenen Rede seinen ehrenwerthen Collegen eine wichtige Mittheilung.
Diese seltene Probe seiner Beredtsamkeit endigte schließlich mit einigen schnarrenden Phrasen, in welchen der Patriotismus sich in vollen Strömen ergoß:
»England hat sich immer durch die Unerschrockenheit seiner Reisenden auf der Bahn geographischer Entdeckungen an der Spitze der Nationen bewegt; denn, wie man bemerkt, muß von den Nationen immer eine der andern voraus sein. (Zahlreiche Zustimmung.) Der Doctor Samuel Fergusson, eins der glorreichen Kinder dieses Landes, wird seinen Ursprung nicht verleugnen. (Von allen Seiten: Nein! nein!) Dieser Versuch wird, wenn er glückt, die zerstreuten Kenntnisse der afrikanischen Kartologie vervollständigen und verbinden (Stürmischer Beifall) und, wenn er mißglücken sollte (Niemals! niemals!)), so wird man ihn wenigstens als eine der kühnsten Unternehmungen des menschlichen Geistes anstaunen. (Wüthendes Trampeln mit den Füßen.)«
»Hurrah! hurrah!« schrie die von diesen zündenden Worten elektrisierte Gesellschaft.
»Ein Hurrah dem unerschrockenen Fergusson!« rief eins der angeregtesten Mitglieder des Auditoriums.
Begeisterte Rufe ließen sich hören. Der Name Fergusson ertönte aus aller Munde, und wir haben allen Grund zu glauben, daß er, indem er durch englische Kehlen ging, ganz außerordentlich gewann.
Der Sitzungssaal wurde davon erschüttert. Sie waren zahlreich versammelt, die gealterten, erschöpften, kühnen Reisenden, sie, die ihr lebhaftes Temperament in allen fünf Welttheilen herumgeführt hatte; alle waren sie mehr oder weniger, physisch oder moralisch, Schiffbrüchen, Feuersbrünsten, den Tomahawks der Indianer, den Keulen der Wilden, dem Marterpfahl und Magen der Polynesier entronnen! aber nichts konnte ihr Herzklopfen während der Rede von Sir M... unterdrücken, und seit Menschengedenken war dies gewiß der höchste oratorische Erfolg in der Königlich Geographischen Gesellschaft zu London.
Aber in England bleibt der Enthusiasmus nicht bei Worten stehen; er schlägt noch rascher Geld, als der Prägstock der »Royal Mint«.
Noch in derselben Sitzung wurde bestimmt, dem Doctor Fergusson eine anerkennende Gratification zur weiteren Ermuthigung zukommen zu lassen. Dieselbe belief sich gut zweitausend fünfhundert Pfund Sterling. Die Größe der Summe stand im richtigen Verhältnis zur Wichtigkeit des Unternehmens.
Eins der Mitglieder der Gesellschaft interpellirte den Präsidenten in Betreff der Frage, ob Doctor Fergusson nicht officiell vorgestellt werden würde.
»Der Doctor steht der Gesellschaft zur Verfügung,« antwortete Sir Francis M ...
»So möge er eintreten!« rief man. Einen Mann von so außerordentlicher Kühnheit sieht man gern mit eigenen Augen.
»Vielleicht hat dieser unglaubliche Vorschlag«, sagte ein alter, gelähmter Commodore, »keinen andern Zweck gehabt, als uns zu mystificiren!«
»Und wenn dieser Doctor Fergusson überhaupt nicht existirte!« ließ sich eine boshafte Stimme vernehmen.
»So müßte man ihn erfinden,« sagte ein launiges Mitglied der ernsten Gesellschaft.
»Laßt den Doctor Fergusson hereinkommen,« sprach Sir Francis M... einfach, und der Doctor trat inmitten eines Beifallssturmes ein, ohne auch nur die geringste Erregung blicken zu lassen.
Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, von gewöhnlicher Statur und Constitution. Die erhöhte Färbung seines Gesichtes verrieth ein sanguinisches Temperament; er hatte kalte, regelmäßige Züge, und eine starke, einem Schiffsschnabel ähnlich sehende Nase schien ihn zu Entdeckungsreisen prädestinirt zu haben. Seine sanften, mehr intelligenten als kühnen Augen verliehen seiner Physiognomie einen großen Reiz, seine Arme waren von ungewöhnlicher Länge, und an der Art, wie er seine Füße auf den Boden setze, erkannte man den großen Fußreisenden.
Die ganze Erscheinung des Doctors athmete einen ruhigen Ernst, und man dachte nicht daran, daß er das Werkzeug der unschuldigsten Mystification sein könnte.
Auch hörten die Hurrahs und das Beifallklatschen nicht eher auf, als bis Dr. Fergusson mit einer liebenswürdigen Handbewegung Stillschweigen gebot. Er wandte sich nach dem, zu seiner Vorstellung herbeigeschafften Lehnsessel, erhob, hoch aufgerichtet, mit energischem Blick den Zeigefinger seiner rechten Hand gen Himmel, öffnete den Mund, und sprach dies einzige Wort:
»Excelsior!«
Der alte Commodore, vollständig für diesen sonderbaren Mann eingenommen, verlangte die ungekürzte Aufnahme der Rede Fergusson's in die Nachrichten der Königlich Geographischen Gesellschaft zu London.
Wer war denn dieser Doctor? und welcher Unternehmung wollte er seine Kräfte widmen?
Der Vater des jungen Fergusson, ein wackerer Kapitän der englischen Marine, hatte seinen Sohn vom zartesten Alter an mit den Gefahren und Abenteuern seines Berufes vertraut gemacht.
Das ausgezeichnete Kind, welches Furcht nie gekannt zu haben scheint, verrieth frühzeitig einen lebhaften Geist, einen regen Forschungssinn, eine bemerkenswerthe Neigung zu wissenschaftlichen Arbeiten, und zeigte außerdem eine wunderbare Geschicklichkeit, sich in schwierigen Fällen aus der Affaire zu ziehen und sich im Leben durchzuschlagen. Es gerieth niemals in Verlegenheit, selbst nicht, als es sich zum ersten Mal der Gabel bedienen sollte, wobei Kinder im Allgemeinen so wenig Glück haben.
Bald entzündete sich seine Phantasie an der Lectüre von kühnen Unternehmungen und Erforschungen des Meeres, ja, der Knabe verfolgte mit leidenschaftlichem Interesse die Entdeckungen, welche den ersten Theil des 19. Jahrhunderts auszeichneten. Er träumte von den Erfolgen eines Mungo-Park, eines Bruce, Caillié, Levaillant, und, wie ich glaube, auch nicht wenig von den Mühen und Kämpfen Selkirk's, des Robinson Crusoe, dessen Ruhm ihm nicht geringer erschien. Wie viel wohlangewandte Stunden brachte er bei ihm auf seiner Insel Juan Fernandez zu! Oft fanden die Gedanken des verlassenen Matrosen seine Billigung, bisweilen aber unterzog er seine Pläne einer eingehenden Erörterung. Er hätte Vieles anders gemacht. Manches vielleicht besser oder mindestens ebenso gut! aber niemals hätte er gewiß dieser glückseligen Insel den Rücken gewandt, auf der er glücklich gewesen war, wie ein König ohne Unterthanen . . .; niemals, und wenn es sich darum gehandelt hätte, erster Lord der Admiralität zu werden!
Ich überlasse euch zu erwägen, ob diese Neigungen sich in der Zeit seiner abenteuerlichen Jugend entwickelten, während welcher er in allen fünf Welttheilen herumgestoßen wurde; übrigens versäumte es sein Vater als gebildeter Mann nicht, diesem lebhaften Geist durch ernste Studien auf dem Gebiete der Hydrographie, der Physik und Mechanik einen festen Boden zu geben und ihm zugleich eine oberflächliche Kenntniß der Botanik, Medicin und Astronomie beizubringen. Als der würdige Kapitän starb, hatte Samuel Fergusson, zweiundzwanzig Jahr alt, schon eine Reise um die Welt gemacht; er ließ sich bei dem Bengalischen Ingenieurcorps anwerben und zeichnete sich bei verschiedenen Gelegenheiten aus; aber das Soldatenleben behagte ihm nicht, es lag ihm wenig daran zu befehlen, und er liebte nicht zu gehorchen.
Er nahm seine Entlassung und zog jagend und botanisirend nach dem Norden der indischen Halbinsel. Diese durchstreifte er von Calcutta bis Surate. Ein einfacher Spaziergang aus Liebhaberei.
Von Surate sehen wir ihn nach Australien wandern, und im Jahre 1845 an der Expedition des Kapitän Sturt Theil nehmen; dieser hatte den Auftrag, jenes Caspische Meer zu entdecken, das angeblich im Innern von Neuholland existiren soll.
Samuel Fergusson kehrte 1850 nach England zurück, und mehr als je von dem Dämon der Entdeckungslust besessen, begleitete er bis zum Jahre 1853 den Kapitän Mac Clure auf der Expedition, durch welche die Küste des Continents von Amerika von der Behringsstraße bis zum Cap Farewell erforscht werden sollte.
Sowohl bei den ärgsten Strapazen, wie in jedem Klima hielt die Constitution Fergusson's vortrefflich Stand, und unter den furchtbarsten Entbehrungen fühlte er sich ganz behaglich. Kurz, man sah in ihm den Typus eines Reisenden, dessen Magen nach Wunsch zusammenschnurrt oder sich ausdehnt, dessen Beine sich nach dem improvisirten Lager verlängern oder kürzer werden, und der zu jeder Tageszeit einschlafen und zu jeder beliebigen Stunde der Nacht erwachen kann.
Können wir uns nach alledem etwa wundern, wenn wir unsern unermüdlichen Reifenden in den Jahren 1855 bis 1857 dabei wiederfinden, das ganze westliche Tibet in Gesellschaft der Gebrüder Schlagintweit zu durchstreifen, um von dieser Reise im höchsten Grade interessante ethnographische Beobachtungen heim zu bringen?
Während dieser verschiedenen Ausflüge war Samuel Fergusson der thätigste und anziehendste Correspondent des »Daily Telegraph«, dieser Penny-Zeitung, die täglich in einer Höhe von hundert und vierzig tausend Exemplaren abgezogen wird und kaum für mehrere Millionen Leser ausreicht. Auch kannte man unsern Doctor überall, obgleich er Mitglied keines gelehrten Instituts war, und weder den Königlich Geographischen Gesellschaften zu London, Paris, Berlin, Wien oder St. Petersburg angehörte, noch zu den Mitgliedern des Clubs der Reisenden oder der »Royal Polytechnic Institution« zählte, in welcher sein Freund, der Statistiker Kokburn, den Vorsitz führte.
Dieser Gelehrte gab ihm eines Tages, in der Hoffnung, sich ihm angenehm zu machen, folgende Aufgabe zu lösen: Wenn die Zahl der von dem Doctor auf seinen Reisen um die Welt zurückgelegten Meilen gegeben ist, einen wie viel weiteren Weg hat – in Anbetracht der Verschiedenheit der Radien – sein Kopf gemacht, als seine Füße? und ferner: Wenn die Zahl der von den Füßen und dem Kopf des Doctors gemachten Meilen bekannt ist, sei die Körpergröße desselben bis auf die Linie genau zu berechnen.
Fergusson indessen hielt sich stets von den gelehrten Körperschaften fern, denn er rechnete sich zu den Streitern, die mit Thaten, nicht mit Worten kämpfen.
Unser Doctor wandte seine Zeit lieber zu Forschungen und Entdeckungen an, als zu langathmigen Erörterungen.
Man erzählt, daß eines Tages ein Engländer in Genf eintraf, um dort den See zu besichtigen, und sich zu diesem Zweck in eine der alten, omnibusartigen Kutschen setzte, in denen die Plätze für die Passagiere an beiden Seiten angebracht sind. Nun traf es sich aber unglücklicher Weise, daß der Reisende dem See den Rücken zukehrte, und so kam es, daß er seine Rundreise in aller Gemüthsruhe vollendete, ohne auch nur einen Schimmer vom Genfer See erblickt zu haben, denn an die Möglichkeit, sich auch nur ein Mal umzuwenden, hatte er nicht gedacht; trotzdem kehrte er, vom Genfer See entzückt, nach London zurück. Was nun Doctor Fergusson, anbetraf, so hatte er sich auf seinen Reisen mehr als ein Mal umgewandt, und zwar so gut, daß er viel von der Welt gesehen hatte.
Er folgte hierbei übrigens nur seiner Natur, und wir haben guten Grund anzunehmen, daß er ein wenig Fatalist war. Er huldigte jedoch einem sehr orthodoxen Fatalismus, denn er rechnete auf sich selbst und auf die Vorsehung. Er behauptete, daß er viel mehr in seine Reisen hineingeschleudert würde, als daß sie ihn anzögen, und daß er einer Locomotive zu vergleichen sei, die sich nicht selbst lenkt, sondern deren Richtung vom Schienenwege bestimmt wird.
»Ich verfolge nicht meinen Weg, sagte er oft, mein Weg verfolgt mich.«
Nach alledem wird man sich nicht über die Kaltblütigkeit verwundern, mit welcher Doctor Fergusson die Beifallsrufe der Königlich Geographischen Gesellschaft entgegennahm; er war über dergleichen Erbärmlichkeiten erhaben, da er weder Stolz, noch irgend welche Eitelkeit besaß, und fand den Vorschlag, welchen er dem Präsidenten Sir Francis M... gemacht hatte, im höchsten Grade einfach. Die ungeheure Wirkung, welche derselbe hervorgebracht hatte, war er nicht einmal gewahr geworden.
Nachdem die Sitzung geschlossen, wurde der Doctor im Triumph zum Traveller's-Club nach Pall Mall geführt, wo ein prächtiges Festmahl in Bereitschaft war. Der Umfang der servirten Schüsseln stand im Verhältniß zur Bedeutung der gefeierten Persönlichkeit, und der Stör, welcher bei diesem glänzenden Diner figurirte, maß nicht drei Zoll weniger an Länge, als Samuel Fergusson selbst.
Zahlreiche Toaste wurden mit französischen Weinen auf die großen Reisenden ausgebracht, welche sich auf Afrika's Erde einen berühmten Namen gemacht hatten. Man trank auf ihre Gesundheit oder auf ihr Andenken, und zwar in echt englischer Manier nach alphabetischer Ordnung: auf Abbadie, Adams, Adamson, Anderson, Arnaud, Baikie, Baldwin, Barth, Batouda, Beke, Beltrame, du Berba, Bimbachi, Bolognesi, Bolwik, Bolzoni, Bonnemain, Brisson, Browne, Bruce, Brun-Rollet, Burchell, Burckhardt, Burton, Caillaud, Caillié, Campbell, Chapman, Clapperton, Clot-Bey, Colomieu, Courval, Cumming, Cuny, Debono, Decken, Denham, Desavanchers, Dicksen, Dickson, Dochard, Duchaillu, Duncan, Durand, Duroulé, Duveyner, Erhardt, d'Escayrac, de Lauture, Ferret, Fresnel, Galinier, Galton, Geoffroy, Golberry, Hahn, Halm, Harnier, Hecquart, Heuglin, Hornemann, Houghton, Imbert, Kaufmann, Knoblecher, Krapf, Kummer, Lafargue, Laing, Lajaille, Lambert, Lamiral, Lamprière, John Lander, Richard Lander, Lefebure, Lejean, Levaillant, Livingstone, Maccarthie, Maggiar, Maizan, Malzac, Moffat, Mollien, Monteiro, Morrisson, Mungo-Park, Reimans, Overweg, Panet, Partarrieau, Pascal, Pearse, Peddie, Peney, Petherick, Poncet, Prax, Raffenel, Rath, Rebmann, Richardson, Riley, Ritchie, Rochet d'Héricourt, Nongawi, Roscher, Ruppel, Saugnier, Speke, Steidner, Thibaud, Thompson, Thornton, Tolde, Tousny, Trotter, Tuckey, Tyrwitt, Vaudey, Veyssière, Vincent, Vinco, Vogel, Wahlberg, Warington, Washington, Werne, Wild, und endlich auf den Doctor Fergusson, der die Arbeiten dieser Reisenden durch seinen unglaublichen Versuch mit einander vereinen und die Reihe der Entdeckungen in Afrika vervollständigen sollte.
Zweites Capitel
Ein Artikel des »Daily Telegraph«. – Gelehrter Federkrieg. – Herr Petermann unterstützt seinen Freund, den Doctor Fergusson. – Antwort des Gelehrten Koner. – Abschluß von Wetten. – Dem Doctor werden verschiedene Vorschläge gemacht.
Am folgenden Tage veröffentlichte der »Daily Telegraph« in seiner Nummer vom 15. Januar einen also lautenden Artikel: »Das Geheimniß der ungeheuren afrikanischen Einöden wird endlich offenbart werden; ein moderner Oedipus wird uns die Lösung dieses Räthsels bringen, das die Gelehrten von sechs Jahrtausenden nicht zu entziffern vermochten. Ehedem wurde eine Aufsuchung der Nilquellen, fontes Nili quaerere, als ein wahnsinniges Beginnen, ein nicht zu verwirklichendes Hirngespinst betrachtet.
»Indem der Doctor Barth die von Denham und Clapperton vorgezeichnete Straße bis Sudan verfolgte, Doctor Livingstone seine unerschrockenen Nachforschungen von dem Cap der guten Hoffnung bis zu dem Flußbecken des Zambesi ununterbrochen betrieb, die Kapitäne Burton und Speke die großen Binnenseen entdeckten, haben sie der modernen Civilisation drei Bahnen geöffnet; der Durchschnittspunkt, nach dem noch kein Reisender hat gelangen können, ist das eigentliche Herz Afrika's; darauf hin müssen sich nunmehr alle Anstrengungen richten.
Jetzt aber werden die Arbeiten dieser unerschrockenen Pioniere der Wissenschaft durch den kühnen Versuch des Doctor Samuel Fergusson untereinander verknüpft werden.
Dieser verwegene Entdecker, dessen so herrliche Forschungen unsere Leser so oft mit Interesse verfolgt haben, hat sich vorgenommen, über ganz Afrika von Osten bis Westen in einem Ballon hinwegzufahren. Sind wir recht unterrichtet, so würde der Ausgangspunkt dieser wunderbaren Reise die Insel Zanzibar an der Ostküste sein. Was ihren beabsichtigten Endpunkt anbetrifft, so ist die Kenntniß desselben allein der Vorsehung vorbehalten.
Der Vorschlag zu dieser wissenschaftlichen Forschungsreise ist gestern officiell der Königlich Geographischen Gesellschaft gemacht worden, und eine Summe von zweitausend fünfhundert Pfund von derselben ausgeworfen, um die Kosten des Unternehmens zu decken.
Wir werden unsere Leser beständig in Kenntniß über den Verlauf dieser staunenswerthen Entdeckungsreise halten, von der sich in den Annalen der Geographie kein Präcedenzfall vorfindet.«
Wie man sich denken kann, machte dieser Artikel ein ungeheures Aufsehen; zuerst stieß er auf allgemeinen Unglauben; der Doctor Fergusson galt bei vielen für ein in der Idee existirendes, nur fingirtes Wesen von der Erfindung des Herrn Barnum, der, nachdem er in den Vereinigten Staaten gearbeitet hatte, sich nunmehr anschickte, die britischen Inseln zu »machen«.
Eine scherzhafte Antwort erschien in Genf in der Februar-Nummer der Bulletins de la Société Géographique; dieselbe verspottete in geistreicher Weise die Königlich Geographische Gesellschaft zu London, den Traveller's-Club und den riesigen Stör.
Aber Herr Petermann brachte die Genfer Zeitschrift in seinen zu Gotha veröffentlichten »Mittheilungen« gründlich zum Schweigen, denn er kannte den Doctor Fergusson persönlich und leistete für die Unerschrockenheit seines kühnen Freundes Gewähr.
Bald mußten übrigens alle Zweifel verstummen; die Vorbereitungen zu der Reise gingen in London vor sich; Lyoner Fabriken hatten bedeutende Taffetbestellungen für den Bau des Luftschiffes erhalten, und endlich stellte die Regierung von Groß-Britannien das Transportschiff »The Resolute«, Kapitän Pennet, dem Doctor zur Verfügung.
Alsbald ließen sich von vielen Seiten Aeußerungen der Ermuthigung vernehmen, und tausend Glückwünsche wurden laut. Die Einzelheiten der projectirten Reise wurden des Langen und Breiten in den »Bulletins de la société géographique« zu Paris besprochen, und ein interessanter Artikel über diesen Gegenstand in den »Nouvelles Annales des voyages, de la géographie, de l'histoire et de l'archéologie de M. V. – A. Malte-Brun« abgedruckt. Eine äußerst sorgfältige Arbeit des Doctor W. Koner, die in der »Zeitschrift für allgemeine Erdkunde« veröffentlicht wurde, wies siegreich die Möglichkeit der Reise, ihre Aussichten auf Erfolg, die Natur der Hindernisse, und die unermeßlichen Vortheile der Beförderungsweise auf dem Luftwege nach; er tadelte nur den Anfangspunkt und gab Massauah, einem kleinen Hafenorte Abessyniens, den Vorzug, von welchem aus James Bruce im Jahre 1768 zu der Erforschung der Nilquellen ausgezogen war. Übrigens bewunderte er rückhaltlos den energischen Geist des Doctor Fergusson und das mit dreifachem Erz umschlossene Herz, welches den Plan zu einer solchen Reise entwerfen und sie zur Ausführung bringen konnte.
Die »North American Review« sah nicht ohne Mißvergnügen einen solchen Ruhm England vorbehalten, nahm den Vorschlag des Doctors von einer scherzhaften Seite, und lud ihn ein, da er dann einmal auf dem Wege sei, gleich weiter bis nach Amerika zu fahren.
Kurz, ohne die Zeitschriften der ganzen Welt aufzählen zu wollen, können wir versichern, daß es vom »Journal des missions évangéliques« bis auf die »Revue Algérienne et coloniale«, von den »Annales de la propagation de la foi« bis auf den »Church missionary intelligencer« keine wissenschaftliche Zeitschrift gab, welche diese Thatsache nicht in allen Variationen berichtet hätte.
Beträchtliche Wetten wurden in London wie in ganz England eingegangen, 1. über die wirkliche oder nur vermuthete Existenz des Doctor Fergusson; 2. über die Reise selbst, die nach der Behauptung der Einen nicht angetreten, nach der Meinung der Andern unternommen werden würde; 3. über die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Rückkehr des Doctor Fergusson.
Man trug bedeutendere Summen in das Wettbuch ein, als wenn es sich um ein Epsom-Rennen gehandelt hätte.
So waren die Augen von Gläubigen und Ungläubigen, von Unwissenden und Gelehrten auf den Doctor gerichtet, und er wurde der Löwe des Tages, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß er eine Mähne trüge. Er gab bereitwillig Auskunft über die Expedition, denn er war der natürlichste und zugänglichste Mensch von der Welt. Mehr als ein kühner Abenteurer bot sich an, den Ruhm und die Gefahren seines Versuchs zu theilen, aber Fergusson wies alle solche Anerbietungen ab, ohne die Gründe hiezu anzugeben.
Außerdem stellten sich eine Menge Erfinder von allerhand Mechanismen bei ihm ein, um ihr System für die Direction des Ballons zu empfehlen; er ließ sich jedoch auf nichts ein, und wenn man ihn fragte, ob er selbst in dieser Beziehung etwas entdeckt habe, weigerte er sich hartnäckig, eine bestimmte Erklärung abzugeben, und beschäftigte sich eifriger als je mit den Vorbereitungen zu seiner Reise.
Drittes Capitel
Der Freund des Doctors. – Geschichte ihrer Freundschaft. – Dick Kennedy in London. – Ein unerwarteter, aber keineswegs beruhigender Vorschlag. – Das wenig tröstlich klingende Sprichwort. – Einige Worte über die afrikanische Märtyrerliste. – Vortheile eines Luftschiffes. – Das Geheimnis des Doctor Fergusson.
Doctor Fergusson besaß einen Freund. Derselbe war nicht etwa sein zweites Ich, kein alter ego, – zwischen zwei vollkommen gleichartigen Wesen hätte wirkliche Freundschaft nicht existiren können, – aber wenn Dick Kennedy und Samuel Fergusson auch verschiedene Eigenschaften und Fähigkeiten, ja sogar ein verschiedenes Temperament besaßen, so waren sie doch ein Herz und eine Seele und wurden dadurch nicht weiter gestört – im Gegentheil. –
Besagter Dick Kennedy war ein Schotte im vollen Sinne des Worts; offen, entschlossen und beharrlich. Er wohnte in der kleinen Stadt Leith bei Edinburg, eine richtige Bannmeile von dem »alten Rauchnest« entfernt. Bisweilen trieb er die Fischerei, aber immer und überall war er dem Jägerhandwerk mit Leib und Seele ergeben; und das war bei einem Kinde Caledoniens, das gewohnt ist, in den Bergen des Hochlands umherzustreifen, nicht eben zu verwundern. Man rühmte ihn als einen vorzüglichen Schützen mit dem Carabiner und sagte ihm nach, daß er die Kugel beim Schuß auf eine Messerklinge nicht nur durchschnitt, sondern sie auch auf diese Weise in so gleiche Hälften theilte, daß beim Wiegen kein Unterschied zwischen ihnen gefunden werden konnte.
Die Physiognomie Kennedy's erinnerte lebhaft an diejenige Halbert Glendinning's, wie sie Walter Scott im »Kloster« gezeichnet hat; seine Größe überstieg sechs englische Fuß; obgleich graciös und behende, war er mit einer herkulischen Körperkraft ausgerüstet; ein wettergebräuntes Antlitz, lebhafte schwarze Augen, eine natürliche, ausgeprägte Kühnheit, kurz eine gewisse Güte und Solidität in der ganzen Person des Schotten nahm von vornherein zu seinen Gunsten ein.
Die beiden Freunde hatten sich in Indien, als beide bei demselben Regiment dienten, kennen gelernt; während Dick sich auf der Tiger- und Elephantenjagd vergnügte, erbeutete Samuel Pflanzen und Insecten. Dieser wie Jener konnte sich in seiner Sphäre eines guten Erfolges rühmen, und dem Doctor fiel gar manche Pflanze in die Hände, deren Werth einem Paar Elfenbeinhauern gleich zu schätzen war.
Die beiden jungen Leute hatten niemals Gelegenheit gehabt, einander das Leben zu retten, oder sich sonstige Dienste zu erweisen; daher erhielt sich unter ihnen eine ungetrübte, gleichmäßige Freundschaft. Das Geschick trennte sie zuweilen von einander, aber immer führte sie ihre Sympathie wieder zusammen.
Seitdem sie nach England zurückgekehrt waren, wurden sie oft durch die Expeditionen des Doctors geschieden; wenn er indessen heimkam, verfehlte er niemals, ungebeten bei seinem Freunde vorzusprechen und ihm einige Wochen zu widmen.
Dick plauderte dann von der Vergangenheit, und Samuel machte Zukunftspläne; der eine sah vorwärts, der andere schaute zurück, und so kam es, daß der Geist des einen die personificirte Aufregung, der des andern die vollkommenste Ruhe war.
Nachdem der Doctor von Tibet zurückgekommen war, sprach er fast zwei Jahre lang nicht von neuen Forschungsreisen, und Dick gab sich der Hoffnung hin, daß sein Reisetrieb und seine Sucht nach Abenteuern nun endlich befriedigt wären. Er war von diesem Gedanken entzückt. »Wenn man auch noch so gut mit den Menschen umzugehen versteht, sagte er zu sich, muß es doch früher oder später ein schlechtes Ende nehmen; man begiebt sich nicht ungestraft unter Menschenfresser und wilde Thiere.« So forderte denn Kennedy seinen Freund auf, ein Ende mit seinen Reisen zu machen, und stellte ihm vor, daß er für die Wissenschaft genug und für die Dankbarkeit der Menschen bereits viel zu viel geleistet habe.
Hierauf erhielt er von dem Doctor keine Antwort; derselbe war in der nächsten Zeit nachdenklich, beschäftigte sich insgeheim mit Berechnungen, verbrachte die Nächte mit minutiösen Arbeiten, über Zahlen brütend; ja, er stellte sogar Experimente mit allerlei sonderbaren Maschinerieen an, von denen man nicht wußte, was sie zu bedeuten hatten. So viel aber war klar ersichtlich: Es gährte ein neuer, großer Gedanke in dem Hirn Samuel Fergusson's.
»Worüber mag er so gegrübelt haben?« fragte sich Kennedy, als sein Freund ihn im Monat Januar verlassen hatte, um nach London zurückzukehren.
Da wurde ihm die Beantwortung dieser Frage eines Morgens aus dem bereits mitgetheilten Artikel des »Daily Telegraph«.
»Barmherziger Himmel! rief er aus, ist der Mensch wahnsinnig geworden! Afrika in einem Ballon durchreisen! Weiter fehlte nichts! Also darüber hat er in diesen beiden Jahren nachgesonnen!«
Denkt euch anstatt aller dieser Ausrufungszeichen kräftige, auf das eigene Hirn geführte Faustschläge, und ihr werdet euch einen ungefähren Begriff von der körperlichen Motion machen können, in welcher unser wackerer Dick seine Erregung austobte.
Als seine alte Vertraute, Frau Elspeth, ihm zu bedenken gab, daß dies Alles nur eine Mystifikation sein könne, antwortete er:
»Unsinn! ich werde doch meinen Mann kennen? Das sieht ihm ähnlich, ganz ähnlich! Durch die Lüfte reisen! Jetzt wird er gar eifersüchtig auf die Vögel! Nein, daraus soll nichts werden! ich werde es zu verhindern wissen! Ja, wenn man ihn gewähren ließe; wer könnte Einem dafür gut sagen, daß er sich nicht eines schönen Tages nach dem Monde aufmachte!«
Noch am Abend desselben Tages setzte sich Kennedy voll großer Unruhe und Erbitterung in ein Coupé der Eisenbahn nach der General Railway Station und langte am folgenden Morgen in London an.
Drei Viertelstunden später setzte ihn eine Droschke vor dem kleinen Hause des Doctors, Soho Square, Greek Street ab.
Er schritt über den Vorplatz und kündigte sich durch fünf nachdrückliche Schlage gegen die Thür an, worauf Fergusson öffnete.
»Dick?« fragte er, ohne irgend welches Erstaunen zu verrathen.
»Dick selber«, erwiderte Kennedy kurz.
»Du hältst Dich zur Zeit der Winterjagden in London auf? was führt Dich hierher?«
»Eine grenzenlose Thorheit, die ich verhindern will.«
»Eine Thorheit?«
»Ist das, was in dieser Zeitung steht, wahr?« rief jetzt Kennedy, indem er die betreffende Nummer des Daily Telegraph hervorholte und sie seinem Freunde entgegenhielt.
»Ach davon sprichst Du! diese Zeitungen schwatzen doch wirklich Alles aus! aber setze Dich doch, lieber Dick.«
»Nein, ich werde mich nicht setzen. Sage mir, ob Du wirklich und wahrhaftig die Absicht hast, diese Reise zu unternehmen?«
»Ganz entschieden; meine Vorbereitungen sind schon im Gange, und ich ...«
»Wo hast Du Deine Vorbereitungen? In tausend Stücke will ich sie zerschlagen! Her damit!«
Der würdige Schotte gerieth jetzt ernstlich in Zorn.
»Beruhige Dich, mein lieber Dick«, versetzte der Doctor; »ich begreife Deine Gereiztheit sehr wohl. Du zürnst mir, daß ich Dir meine neuen Pläne noch nicht mitgetheilt habe.«
»Das nennt er neue Pläne!«
»Ich bin nämlich sehr beschäftigt gewesen«, fuhr Samuel fort; »es gab in der letzten Zeit viel für mich zu thun. Aber trotzdem wäre ich nicht abgereist, ohne Dir zu schreiben . . .«
»Ach, was liegt mir daran ...«
»Weil ich die Absicht habe, Dich mitzunehmen.«
Der Schotte machte einen Satz, der einem Gemsbock zur Ehre gereicht haben würde.
»Ah so!« sagte er; »Du gehst also darauf aus, uns Beide nach Bedlam zu bringen!«
»Ich habe mit voller Bestimmtheit auf Dich gerechnet, lieber Dick, und mit Ausschluß von vielen Anderen Dich zu meinem Reisegefährten erwählt.«
Kennedy war ganz starr vor Staunen.
»Wenn Du mich zehn Minuten lang angehört hast, wirst Du mir dafür dankbar sein«, fuhr der Doctor fort.
»Sprichst Du wirklich im Ernst?«
»Vollständig im Ernst.«
»Und wenn ich mich nun weigere, Dich zu begleiten?«
»Das wirst Du nicht thun.«
»Wenn ich mich nun aber doch weigere?«
»Dann reise ich allein.«
»Setzen wir uns, sagte der Jäger, und sprechen wir ohne alle Leidenschaft. Von dem Augenblick an, wo ich weiß, daß Du nicht scherzest, ist die Sache wenigstens einer Unterredung werth.«
»Wenn Du nichts dagegen hast, können wir dabei frühstücken, lieber Dick.«
Die beiden Freunde setzten sich einander gegenüber an einen kleinen Tisch, auf dem rechts ein stattlicher Berg von Butterbroden, und links eine ungeheure Theekanne stand.
»Mein lieber Samuel, Dein Plan ist geradezu verrückt; an seine Durchführung ist nicht zu denken, er ist mit einem Wort unmöglich!«
»Das werden wir erst genau wissen, wenn wir den Versuch gemacht haben.«
»Aber eben dieser Versuch soll ja nicht gemacht werden!«
»Und warum nicht, wenn's beliebt?«
»Denke doch an die Gefahren, die Hindernisse aller Art!«
»Hindernisse«, versetzte Fergusson sehr ernst, »sind erfunden, um besiegt zu werden; und was die Gefahren betrifft – wer kann sich schmeicheln, ihnen zu entgehen? Alles im Leben ist Gefahr! Es kann das größte Unglück herbeiführen, wenn man sich an einem Tische niederläßt oder auch nur seinen Hut aufsetzt. Ueberdies muß man sich sagen, daß Alles, was bereits geschehen ist, auch wiederum geschehen wird, daß die Zukunft nur eine etwas entferntere Gegenwart ist.«
»Ich kenne Deine Ansichten«, schob Kennedy ein, indem er mit den Achseln zuckte. »Du bist Fatalist!«
»Immer, aber im besten Sinne des Wortes. Beschäftigen wir uns also nicht mit dem, was das Geschick uns möglicher Weise vorbehalten hat, sondern halten wir uns an das gute englische Sprichwort: Wer zum Hängen geboren ist, wird nie den Tod des Ertrinkens sterben.«
Hierauf war nichts zu erwidern, doch hinderte dies Kennedy nicht, eine Menge naheliegender Gründe gegen die beabsichtigte Unternehmung aufzuzählen, deren nähere Erörterung uns hier zu weit führen würde.
»Warum willst Du denn aber, sagte er nach einer Stunde lebhaftester Debatte, wenn diese Bereisung Afrikas absolut zu Deinem Lebensglück gehört, nicht dieselben Bahnen einschlagen, wie andere gewöhnliche Sterbliche vor Dir?«
»Warum?« rief der Doctor, in Eifer gerathend; »weil bis jetzt alle Versuche scheiterten! weil von Mungo Park's Ermordung am Niger bis zum Verschwinden Vogels in Wadai, von Oudney's und Clapperton's Tod in Murmur und Sackatu bis auf den Franzosen Maizan, der in Stücke gehauen wurde, von dem Major Laing, der durch die Hand der Tuaregs sein Ende fand, bis zur Ermordung Roschers aus Hamburg im Anfange des Jahres 1860, zahlreiche Opfer in die afrikanische Märtyrerliste eingetragen worden sind! Weil es ganz unmöglich ist, gegen die Elemente, gegen den Hunger, den Durst, das Fieber, gegen die wilden Thiere und die noch viel wilderen Völkerstämme anzukämpfen! Weil man das, was nicht auf eine Weise zu erreichen ist, auf eine andere Art versuchen muß, und endlich, weil man da, wo nicht gerade durch zu kommen ist, nebenher oder darüber hinweg gehen muß.«
»Wenn es sich nur darum handelte, darüber hinweg zu gehen!« äußerte Kennedy; »aber Du willst ja hoch darüber fort fliegen.«
»Nun«, argumentirte der Doctor mit der größten Kaltblütigkeit weiter, »was habe ich denn zu fürchten? Wie Du Dir wohl denken kannst, habe ich meine Vorsichtsmaßregeln dergestalt getroffen, daß ein Fall meines Ballons nicht besorgt werden darf. Sollte das Luftschiff mich trotz alledem im Stich lassen, so würde ich mich auf der Erde noch immer in gleichen Verhältnissen mit andern Entdeckungsreisenden befinden; aber mein Ballon wird sich bewähren; wir können fest darauf rechnen.«
»Wir dürfen im Gegentheil nicht darauf rechnen.«
»Doch wohl, mein lieber Dick; ich beabsichtige, mich nicht eher von meinem Luftschiff zu trennen, als bis ich auf der Westküste Afrikas angekommen bin. Mit diesem Ballon ist Alles möglich; ohne ihn aber fiele ich wieder den Gefahren und natürlichen Hindernissen solcher Expeditionen zum Opfer. Mit ihm gedenke ich ebenso der Hitze, den Strömen und Stürmen, wie dem Samum und dem ungesunden Klima zu trotzen; weder wilde Thiere noch Menschen können mir etwas anhaben. Ist mir zu heiß, so steige ich; wird es zu kalt, so lasse ich mich herab. Über einen Berg fliege ich hinweg, über jeden Abgrund schwebe ich hin; ich schieße über Flüsse und Ströme wie ein Vogel, und entladet sich ein Gewitter, so erhebe ich mich über dasselbe und beherrsche es von oben herab. Ich komme vorwärts, ohne zu ermüden, und halte an, ohne der Ruhe zu bedürfen! Ich schwebe über den Städten, und fliege mit der Schnelligkeit des Orkanes bald hoch oben in den Lüften, bald nur hundert Fuß vom Erdboden entfernt; und unter meinen Augen entrollt sich die Karte von Afrika im großen Atlas der Welt!«
Der wackere Kennedy begann eine gewisse Bewegung und Rührung zu verspüren, und doch schwindelte ihm bei dem vor seinen Augen entrollten Schauspiel. Er betrachtete Samuel mit einem Gemisch von Bewunderung und Sorge; fast fühlte er sich schon schwebend im Weltenraum.
»Nach alledem, mein lieber Samuel«, sagte er endlich, »hast Du das Mittel ausfindig gemacht, den Ballon zu lenken?«
»Nein! Das ist eine Unmöglichkeit.«
»Aber dann wirst Du reisen. ....«
»Wohin es der Vorsehung beliebt, aber jedenfalls von Osten nach Westen, denn ich gedenke mich der Passatwinde, die eine durchaus beständige Richtung haben, zu bedienen.«
»O, freilich!« sagte Kennedy überlegend; »die Passatwinde.... gewiß..... Man kann im Nothfall..... Es wäre immerhin möglich....«
»Es wäre möglich? nein, mein wackerer Freund, es ist sogar gewiß. Die englische Regierung hat mir ein Transportschiff zur Verfügung gestellt, und es ist abgemacht, daß zu der voraussichtlichen Zeit meiner Ankunft drei oder vier Schiffe an der Westküste kreuzen sollen. In drei Monaten spätestens werde ich in Zanzibar sein, um die Füllung des Ballons zu bewerkstelligen, und von dort aus wollen wir uns in die Lüfte schwingen ...«
»Wir!« rief Dick.
»Hast Du mir noch den leisesten Einwand zu machen, so sprich, Freund Kennedy.«
»Nicht einen Einwand, sondern tausend! aber sage mir unter Anderm: wenn Du das Land zu besichtigen und Dich nach Belieben zu erheben oder herabzulassen gedenkst, so kannst Du das nicht, ohne von Deinem Gas einzubüßen. Schon dieser Umstand hat bis jetzt alle langen Reisen in Luftballons verhindert.«
»Mein lieber Dick, ich will Dir nur dies eine Wort sagen: ich werde auch nicht das kleinste Atom, kein Molecül Gas einbüßen.«
»Und doch willst Du nach Belieben steigen und fallen können? Wie willst Du das machen?«
»Das ist mein Geheimniß, Freund Dick. Habe nur Vertrauen zu mir, und laß mein Losungswort auch das Deinige sein: ›Excelsior!‹«
»Gut, also ›Excelsior,‹« antwortete der Jäger, der kein Wort lateinisch verstand.
Er war fest entschlossen, sich mit allen erdenklichen Mitteln der Abreise des Doctors zu widersetzen; vorläufig aber gab er sich den Anschein, als sei er der Meinung desselben beigetreten. Er begnügte sich damit, den Freund zu beobachten. Dieser machte sich jetzt daran, die Zurüstungen für seine Reise zu beaufsichtigen.
Viertes Capitel
Erforschungsreisen in Afrika. – Barth, Richardson, Overweg, Werne, Brun-Rolle, Peney, Andrea Debono, Miani, Guillaume Lejean, Bruce, Krapf und Rebmann, Maizan, Roscher, Burton und Speke.
Die Luftlinie, welcher der Doctor Fergusson zu folgen gedachte, war nicht auf's Gerathewohl gewählt worden. In Bezug auf den Anfangspunkt seiner Reise hatte er tiefgehende Studien gemacht und nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, von der Insel Zanzibar aufzusteigen. Dieselbe liegt an der Ostküste von Afrika, unter dem 6.° südlicher Breite, d. h. gegen vierhundert und dreißig geographische Meilen südlich vom Aequator. Von hier aus war soeben die letzte Expedition aufgebrochen, welche über die großen Seen zur Entdeckung der Nilquellen abgesandt war.
Es dürfte jedoch an der Zeit sein, hier die Forschungsreisen, welche Doctor Fergusson mit einander zu verknüpfen gedachte, näher zu beleuchten. Die beiden hauptsächlichsten derselben waren die des Doctor Barth im Jahre 1849 und ferner diejenige der Lieutenants Burton und Speke im Jahre 1858.
Doctor Barth, aus Hamburg gebürtig, erhielt für seinen Landsmann Overweg und sich die Erlaubniß, die Expedition des Engländers Richardson begleiten zu dürfen, der mit einer Sendung nach dem Sudan betraut war. Dieses ausgedehnte Land liegt zwischen dem 15. und 10.° nördlicher Breite, d.h. wenn man dorthin gelangen will, muß man über fünfzehnhundert Meilen weit in das Innere Afrika's dringen.
Bis zu jener Zeit kannte man diese Länderstrecke nur durch die Reisen Denham's, Clapperton's und Oudney's in den Jahren 1822 bis 1824. Richardson, Barth und Overweg gelangen in ihrem Eifer, die Nachforschungen weiter auszudehnen, nach Tunis und Tripoli, wie auch ihre Vorgänger, und schlagen sich bis Mursuk, der Hauptstadt von Fezzan, durch.
Dann verlassen sie die senkrechte Linie und biegen unter der Führung der Tuaregs westlich, in der Richtung nach Ghat ein, nicht ohne mannigfache Schwierigkeiten zu überwinden. Ihre Karawane kommt, nachdem sie vielfache Plünderungen, verschiedene Angriffe von bewaffneter Hand und tausenderlei andere Belästigungen erlitten hat, im Oktober bei der großen Oase von Asben an. Doctor Barth trennt sich hier von seinen Gefährten, um einen Abstecher nach der Stadt Agades zu machen, und schließt sich dann der Expedition, die am 12. December weiter marschirt, von Neuem an. In der Provinz von Damerghu trennen sich die drei Reisenden, und Barth schlägt die Straße nach Kano ein, wo er nach langem geduldigem Ausharren und bedeutenden Geldopfern endlich anlangt.
Trotzdem er an einem heftigen Fieber leidet, verläßt er am 7. März in Begleitung eines einzigen Bedienten die Stadt. Der Hauptzweck seiner Reise ist, den Tschad-See zu recognosciren, von dem er bis jetzt noch dreihundert und fünfzig Meilen entfernt ist. Er schreitet also östlich vor und erreicht den eigentlichen Kern des großen Reiches von Central-Afrika, die Stadt Suricolo in Bornu. Hier erfährt er die Nachricht von dem Tode Richardson's, der den Strapazen und Entbehrungen erlegen ist. Barth setzt seine Reise fort, und kommt nach drei Wochen, am 14. April, also ein Jahr und vierzehn Tage nach seiner Abreise von Tripoli, in der Stadt Ngornu an.
Am 29. März 1851 finden wir ihn mit Overweg wieder auf der Reise, um dem Königreich Adamaua im Süden des See's einen Besuch abzustatten; er gelangt bis zur Stadt Nola, etwas unter dem 9. Grad nördlicher Breite: die äußerste Grenze im Süden, die von diesem kühnen Reisenden erreicht worden ist.
Im Monat August kehrt er nach Kuka zurück, durchreist sodann Mandara, Barghimi, Kanem und erreicht als äußerste Grenze gegen Osten die Stadt Masena, unter 17°20' westlicher Länge gelegen.
Nach dem Tode Overweg's, seines letzten Begleiters, schlägt er sich am 25. November 1852 nach Westen, besucht Sockoto, überschreitet den Niger und kommt endlich in Timbuctu an, wo er in der schlechtesten Behandlung und in großem Elend acht lange Monate, unter den Quälereien des Scheiks, schmachten muß. Aber die Anwesenheit eines Christen in der Stadt wird nicht länger geduldet; die Fullannes drohen mit einer Belagerung. Der Doctor verläßt also Timbuctu am 17. März 1854, flüchtet an die Grenze, wo er dreiunddreißig Tage in der vollständigsten Hilflosigkeit zu verweilen gezwungen ist, kehrt im November nach Kano zurück und begiebt sich wieder nach Kuka, von wo er nach einer viermonatlichen Rast die Straße Denham's weiter verfolgt. Gegen Ende August 1855 sieht er Tripoli wieder und erscheint, der einzige von der Expedition übriggebliebene, am sechsten September in London.
Dies war die kühne Reise Barth's, in Bezug auf welche Doctor Fergusson sich sorgfältigst notirte, daß er über den 4.° nördl. Breite und den 17.° westlicher Länge nicht hinausgekommen sei.
Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, was die Lieutenants Burton und Speke in Ostafrika ausrichteten.
Die verschiedenen Expeditionen, welche am Nil aufwärts gegangen waren, hatten niemals vermocht, bis an die geheimnißvollen Quellen des Flusses zu gelangen. Nach dem Bericht des deutschen Arztes Ferdinand Werne machte die im Jahre 1840 unter den Auspicien Mehemet-Ali's unternommene Expedition in Gondokoro zwischen dem 4. und 5.° nördl. Parallelkreise Halt.
Im Jahre 1855 brach Brun-Rollet, aus Savoyen gebürtig (zum Consul von Sardinien im östlichen Sudan ernannt, um Bauden, der dort seinen Tod gefunden hatte, zu ersetzen), von Chartum auf, gelangte mit Gummi und Elfenbein handelnd, nach Belenia bis über den 4. Grad hinaus, und kehrte krank von da nach Chartum zurück, wo er im Jahre 1857 starb.
Weder Dr. Peney, Chef des Medicinal-Wesens in Aegypten, welcher auf einem kleinen Dampfboot einen Grad unterhalb Gondokoro erreichte und nach seiner Rückkehr vor Erschöpfung in Chartum starb, – noch der Venetianer Miani, der, um die unterhalb Gondokoro gelegenen Katarakten biegend, den zweiten Parallelkreis erreichte, – noch auch der Malteser Kaufmann Andrea Debono, welcher seine Excursion an dem Nil noch weiter fortsetzte, – konnten über diese bisher unüberschrittene Grenze hinauskommen.
Im Jahre 1859 begab sich Herr Guillaume Lejean im Auftrage der französischen Regierung über das Rothe Meer nach Chartum und schiffte sich mit einundzwanzig Mann Schiffsvolk und zwanzig Soldaten auf dem Nil ein; aber er konnte nicht über Gondokoro hinauskommen und hatte die größten Gefahren inmitten der aufrührerischen Negerhorden zu bestehen. Die von Herrn d'Escayrac von Lauture geleitete Expedition suchte gleichfalls vergeblich, an die berüchtigten Quellen zu gelangen.
Aber vor diesem verhangnißvollen Ziel machten die Reisenden noch immer Halt; die Abgesandten Nero's hatten vor Zeiten den 9. Breitegrad erreicht; man kam also in achtzehn Jahrhunderten nur um 5 oder 7 Grade, d. h. um dreihundert bis dreihundertundsechzig geographische Meilen weiter.
Mehrere Reisende versuchten, zu den Nilquellen zu gelangen, indem sie von einem Punkte auf der Ostküste Afrika's ihre Reise antraten.
In den Jahren 1768 bis 1772 reiste der Schotte Bruc von Massauah, dem Hafen Abessiniens, ab, durchzog Tigre, besuchte die Ruinen von Arum, glaubte irrthümlich die Nilquellen gefunden zu haben, und brachte kein nennenswerthes Ergebniß von seiner Reise mit.
Im Jahre 1844 gründete der Doctor Krapf, Missionär der anglicanischen Kirche, eine Niederlassung zu Mombas auf der Küste von Zanzibar und entdeckte, in Gesellschaft des Geistlichen Rebmann, dreihundert Meilen weit von der Küste zwei Berge, den Kilimandscharo und den Kenia, welche die Herren von Heuglin und Thornton kürzlich theilweise erstiegen haben.
Im Jahre 1845 stieg der Franzose Maizan in Bagamayo, Zanzibar gegenüber, an's Land und gelangte nach Deje-la-Mhora, wo ein Häuptling ihn unter den grausamsten Martern hinrichten ließ.
Im Monat August des Jahres 1859 erreichte der jugendliche Reisende Roscher aus Hamburg, der sich mit einer Karawane arabischer Kaufleute auf den Weg gemacht hatte, den Niassa-See, wo er im Schlaf ermordet wurde.
Endlich wurden im Jahre 1857 die Lieutenants Burton und Speke, beide Officiere im bengalischen Heere, von der Geographischen Gesellschaft zu London ausgesandt, um die großen Binnenseen zu erforschen; am 17. Juni verließen sie Zanzibar und drangen geraden Wegs nach Westen vor.
Nach viermonatlichen, unerhörten Leiden langten sie, ihres Gepäcks beraubt, ohne ihre Träger, die der Wuth der Eingebornen zum Opfer gefallen waren, in Kaseh, dem Centralvereinigungspunkt der Kaufleute und Karawanen an, sie waren mitten im Mondlande und sammelten werthvolle Belehrungen über die Sitten und Gebräuche, die Regierung, die Religion und die Fauna und Flora des dortigen Gebiets; dann steuerten sie auf den ersten der großen Binnenseen, den Tanganyika zu, der zwischen dem 3. und 8.° südlicher Breite gelegen ist; sie langten daselbst am 14. Februar 1858 an und besuchten die verschiedenen, meist kannibalischen Völkerschaften, die seine Ufer bewohnten. Am 26. Mai traten sie den Rückweg an, und zogen am 20. Juni wieder in Kaseh ein. Dort mußte der vor Erschöpfung erkrankte Burton mehrere Monate liegen bleiben; unterdessen machte Speke einen Abstecher von über dreihundert Meilen gegen Norden nach dem Ukerewe-See, den er am 3. August bemerkte; es war ihm jedoch nur möglich, den Anfang desselben unter 2° 31' Br. zu besichtigen.
Am 25. August war er nach Kaseh zurückgekehrt und schlug in Gemeinschaft mit Burton wieder den Weg nach Zanzibar ein, wo sie im März des folgenden Jahres wieder eintrafen. Die beiden kühnen Reisenden kehrten nun nach England zurück, und die Geographische Gesellschaft zu London erkannte ihnen den Jahrespreis zu.
Doctor Fergusson merkte sorgfältig an, daß sie weder den 2. Grad südlicher Breite, noch den 29. Grad östlicher Länge überschritten hatten.
Es kam also darauf an, die Entdeckungsreisen Burton's und Speke's mit denen des Dr. Barth zu vereinigen, und dazu war es nothwendig, eine Länderstrecke von über zwölf Graden zu überschreiten.
Fünftes Capitel
Träume Kennedy's. – Artikel und Pronomina in der Mehrzahl. – Dick's Insinuationen. – Spaziergang auf der Karte von Afrika. – Was zwischen den beiden Spitzen des Zirkels bleibt. – Gegenwärtige Expeditionen. – Speke und Grant. – Krapf, von Decken, von Heuglin.
Doctor Fergusson betrieb die Vorbereitungen zur Abreise äußerst rührig, und leitete selbst, gewissen Angaben gemäß, über die er das absoluteste Schweigen beobachtete, den Bau seines Luftschiffes. Er hatte sich schon seit geraumer Zeit mit dem Studium der arabischen Sprache und verschiedener Mundarten der Mandingos beschäftigt und machte, in Folge seiner vortrefflichen Anlagen zu einem Polyglotten, reißende Fortschritte.
Inzwischen verließ ihn sein Freund, der Jäger, nicht; er blieb ihm so ängstlich zur Seite, als fürchte er, daß der Doctor sich einmal, ohne vorher etwas davon zu sagen, in die Lüfte schwingen könne. Er hielt ihm, um ihn von seinem gefährlichen Vorhaben abzubringen, die überzeugendsten Reden, aber sie überzeugten Samuel Fergusson nicht; er erging sich in den gefühlvollsten, inständigsten, flehentlichsten Bitten, aber den Doctor vermochten sie nicht zu rühren. Dick merkte, wie ihm sein Freund förmlich zwischen den Fingern durchschlüpfte.
Der arme Schotte war wirklich zu beklagen; er konnte nicht mehr ohne düstere Schreckensregungen zum azurblauen Himmelsgewölbe aufschauen; er hatte im Schlaf das Gefühl eines schwindelerregenden Wiegens und Schaukelns, und jede Nacht kam es ihm vor, als stürze er jäh von unermeßlichen Höhen herab.
Wir müssen noch hinzufügen, daß er unter diesen schrecklichen Anfällen von Beklemmungen und Alpdrücken ein oder zwei Mal aus dem Bette fiel, worauf es dann andern Morgens seine erste Sorge war, Fergusson eine starke Quetschung zu zeigen, die er sich am Kopfe dabei zugezogen hatte.
»Und doch,« fügte er hinzu, »bedenke – nur drei Fuß hoch, und schon eine solche Beule! Nun bitte ich Dich zu erwägen – –!« Diese schwermuthsvolle Andeutung machte auf unsern Doctor indessen keinen Eindruck.
»Wir werden nicht fallen«, erwiderte er kurz.
»Es wäre aber doch möglich ...«
»Ich sage Dir, wir werden nicht fallen!«
Auf eine so entschiedene Meinungsäußerung blieb dann Kennedy nichts übrig, als zu verstummen. –
Was den guten Dick besonders beunruhigte und reizte, war der Umstand, daß Fergusson seit einiger Zeit einen unerträglichen Mißbrauch mit der ersten Person Pluralis der Pronomina trieb:
»Wir werden an dem und dem bereit sein ..., wir werden dann und dann abreisen« ..., »wir werden da und da vorgehen« ..., hieß es bei jeder Gelegenheit.
Und ebenso machte er es mit dem Possessiv-Pronomen in der Einzahl wie in der Mehrzahl:
›Unser‹ Ballon ..., ›unser‹ Schiff ..., ›unsere‹ Entdeckungsreise ..., ›unsere‹ Vorbereitungen ..., ›unsere‹ Entdeckungen ..., ›unsere‹ Steigungen ... und dem armen Schotten schauderte dabei die Haut, obgleich er fest entschlossen war, nicht zu reisen.
Aber er mochte seinem Freunde auch nicht zu sehr widersprechen, und wir wollen sogar gestehen, daß er sich ganz in der Stille aus Edinburg zur Reise geeignete Kleider hatte nachschicken lassen.
Eines Tages, als er sich herbeigelassen hatte, zuzugestehen, daß bei einem unverschämten Glück die Chancen für ein Gelingen des Unternehmens etwa wie eins zu tausend ständen, that er so, als füge er sich den Wünschen des Doctors; begann aber, um die Reise weiter in die Ferne zu rücken, eine lange Reihe der mannigfachsten Ausflüchte.
Er verbreitete sich darüber, ob die Expedition wirklich nützlich und zeitgemäß, ob diese Entdeckung der Nilquellen in der That nothwendig sei? ... ob man sich würde sagen können, daß man für das Glück der Menschheit gearbeitet habe? ... und ob die Völkerstämme Afrika's sich, wenn sie der Civilisation zugänglich gemacht wären, dadurch glücklicher fühlen würden? ...
Ob man übrigens darüber ganz sicher sei, daß die Civilisation nicht vielmehr dort, als in Europa angetroffen werde? ... Vielleicht ja. – Und ob man nicht noch mit der Expedition warten wolle? ... Man würde einst gewiß auf mehr praktische und weniger lebensgefährliche Weise Afrika durchreisen ... Wer weiß, ob das nicht schon in einem Monat, in einem halben Jahr der Fall sein könne; vor Ablauf eines Jahres würde ohne allen Zweifel irgend ein Entdeckungsreisender dahin kommen ...
Diese Andeutungen brachten eine Wirkung hervor, die durchaus nicht beabsichtigt war; der Doctor gerieth vor Ungeduld außer sich.
»Möchtest Du unglücklicher Dick, Du falscher Freund denn wirklich, daß solcher Ruhm einem Andern zu Gute käme? Soll ich meine ganze Vergangenheit Lügen strafen? vor Hemmnissen, die keine wirklichen Hindernisse sind, zurückbeben? mit feigem Zögern vergelten, was die englische Regierung und die Königlich Geographische Gesellschaft zu London für mich gethan haben?«
»Aber ...«, begann von Neuem Kennedy; er schien eine ganz besondere Vorliebe für diese Conjunction zu haben.
»Aber«, fuhr der Doctor fort, »weißt Du denn nicht, daß meine Reise mit den gegenwärtig in der Ausführung begriffenen Unternehmungen in Concurrenz treten soll? Daß schon wieder neue Entdecker sich rüsten, um nach Central-Afrika zu gehen?«
»Aber ...«
»Höre mich genau an. Dick, und wirf einen Blick auf diese Karte.«
Dick ergab sich in sein Schicksal und that, wie ihm geheißen.
»Verfolge den Lauf des Nil«, sagte Fergusson, »und reise nach Gondokoro.«
Kennedy dachte, wie leicht doch solche Reise sei ... auf der Karte.
»Nimm eine der Spitzen dieses Zirkels«, versetzte der Doctor, »und setze sie auf diese Stadt, über welche die Kühnsten kaum hinaus gekommen sind. Und jetzt suche an der Küste die Insel Zanzibar, unter dem 6.° südl. Breite. Folge sodann diesem Parallelkreise bis Kaseh, gehe an dem 33. Längengrade entlang bis zum Beginn des Ukerewe-Sees, der Stelle, bis zu welcher der Lieutenant Speke kam.«
»Ich bin glücklich am Ziel! Noch etwas weiter, und ich wäre in den See gefallen.«
»Nun, weißt Du wohl, was man nach den von den Ufervölkern gegebenen Belehrungen mit Recht voraussetzen darf?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Daß dieser See, dessen unteres Ende unter 2° 30' Breite liegt, sich gleichfalls zwei und ein halb Grad über den Aequator erstrecken muß.«
»Wirklich?«
»Nun geht aber von diesem nördlichen Ende ein Wasser aus, das sich nothwendig mit dem Nil vereinigen muß, wenn es nicht der Nil selbst ist.«
»Das wäre merkwürdig.«
»Setze nun die andere Spitze Deines Zirkels auf dieses Ende des Ukerewe-Sees. Wie viel Grade zählst Du zwischen den beiden Spitzen?«
»Kaum zwei Grade.«
»Und weißt Du, wie viel Meilen das sind. Dick?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Kaum hundertundzwanzig Meilen, also so gut wie gar nichts.«
»So gut wie gar nichts, Samuel?«
»Weißt Du denn vielleicht, was in diesem Augenblick vorgeht?«
»Nein, auf mein Wort!«
»Nun, so höre. Die Geographische Gesellschaft hat die Erforschung dieses von Speke entdeckten Sees als sehr wichtig erkannt. Unter ihren Auspicien hat sich der Lieutenant, jetzt Kapitän Speke, mit dem Hauptmann im indischen Heere, Herrn Grant, vereinigt; sie haben sich an die Spitze einer zahlreichen, trefflich ausgerüsteten Expedition gestellt und sollen jetzt den Auftrag ausführen, über den See zu setzen und dann nach Gondokoro zurückkehren; man hat ihnen Subsidien im Betrage von über fünftausend Pfund gewährt, und der Gouverneur des Caplandes stellt ihnen hottentottische Soldaten zur Verfügung. Ende October 1860 sind sie von Zanzibar aufgebrochen. Unterdessen hat der Engländer John Petherick, Ihrer Majestät Consul in Chartum, von dem Foreign-Office etwa siebenhundert Pfund bekommen, um ein Dampfboot in Chartum auszurüsten, es mit genügenden Vorräthen zu versehen und sich nach Gondokoro zu begeben; dort wird er die Karawane des Kapitän Speke erwarten und im Stande sein, sie neu zu verproviantiren.«
»Fein ausgedacht«, sagte Kennedy.
»Du siehst also, daß es Eile hat, wenn wir uns an diesen Forschungsarbeiten betheiligen wollen. Und das, was ich Dir eben mitgetheilt habe, ist noch nicht Alles; wahrend man sichern Schrittes auf die Entdeckung der Nilquellen losgeht, dringen andere Reisende kühn in das Herz von Afrika vor.«
»Zu Fuß«, warf Kennedy ein.
»Ja wohl, zu Fuß«, antwortete der Doctor, ohne die Andeutung verstehen zu wollen. »Der Doctor Krapf beabsichtigt, im Westen auf dem Dschobflusse unter dem Aequator vorzugehen; und Baron von Decken hat Monbas verlassen, die Kenian- und Kilimandscharo-Berge recognoscirt und rückt gegen Central-Afrika vor.«
»Immer zu Fuß?«
»Immer zu Fuß oder auf Maulthieren.«
»Das ist in meinen Augen genau dasselbe«, meinte Kennedy.
»Endlich«, fuhr der Doctor fort, »hat Herr von Heuglin, österreichischer Vice-Consul in Chartum, eine sehr bedeutende Expedition organisirt, deren erster Zweck der ist, den Reisenden Vogel aufzusuchen, der im Jahre 1853 nach Sudan geschickt wurde, um an den Arbeiten des Doctor Barth Theil zu nehmen. Im Jahre 18S6 verließ er Bornu mit dem Entschluß, das unbekannte Land zwischen dem Tschad-See und Darfur zu erforschen; seit dieser Zeit ist er aber nicht wieder erschienen. Briefe, die im Juni 1860 nach Alexandrien gelangten, haben berichtet, daß er auf Befehl des Königs von Wadai ermordet worden sei; aber andere Nachrichten, von Doctor Hartmann an den Vater des Reisenden gesandt, theilen uns mit, daß Vogel nach den Erzählungen eines Fellatahs von Bornu nur in Wara gefangen gehalten werde; alle Hoffnung ihn wiederzufinden ist also noch nicht verloren. Unter dem Vorsitz des regierenden Herzogs von Sachsen-Coburg-Gotha hat sich ein Comité gebildet (mein Freund Petermann ist Secretär desselben); und eine nationale Subscription hat die Kosten dieser Expedition, der sich zahlreiche Gelehrte angeschlossen haben, bestritten. Herr von Heuglin hat sich im Monat Juni von Massauah aus auf den Weg gemacht, und während er den Spuren Vogel's nachgeht, ist es zugleich seine Aufgabe, alles zwischen dem Nil und dem Tschad-See liegende Land zu erforschen, d. h. die Reisen des Kapitän Speke mit denen des Doctor Barth zu verknüpfen. Und wenn dies geschehen ist; wird Afrika von Osten bis nach Westen durchwandert sein!«
»Das ist ja prächtig«, versetzte der Schotte, »wenn sich das Alles so gut einfädelt, haben wir dort unten doch eigentlich nichts mehr zu suchen.«
Doctor Fergusson antwortete nicht; er zuckte nur verächtlich mit den Achseln.
Sechstes Capitel
Ein undenklicher Bedienter. – Er bemerkt die Trabanten des Jupiter. – Dick und Joe im Streit. – Zweifel und Glaube. – Das Wiegen. – Joe. – Wellington. – Er erhält eine halbe Krone.
Doctor Fergusson hatte einen ganz unglaublich eifrigen Bedienten, der auf den Namen Joe hörte: eine vortreffliche Natur, und seinem Herrn mit Leib und Seele ergeben. Er pflegte sogar seine Befehle schon mit richtigem Verständniß auszuführen, noch ehe jener sie ausgesprochen hatte, und war niemals mürrisch oder verdrießlich, sondern ein stets gutgelaunter Caleb; man hätte sich einen vorzüglicheren Diener überhaupt nicht denken können.
Fergusson konnte sich, was die Einzelheiten seiner Existenz betraf, vollständig auf ihn verlassen. – Ja, es war ein ausgezeichneter, ein braver Joe! ein Diener, der das Mittagessen anordnet, der den Geschmack seines Herrn zu dem seinigen gemacht hat, der den Koffer packt und weder Strümpfe noch Hemden vergißt, und der die Schlüssel und Geheimnisse des Herrn unter seinen Händen hat, ohne jemals irgend welchen Mißbrauch damit zu treiben.
Aber was war auch der Doctor für ein Mann in den Augen unseres würdigen Joe! mit welcher Achtung und welchem Vertrauen nahm er seines Herrn Rathschläge an! Wenn Fergusson einmal gesprochen hatte, konnte nur ein Thor etwas dagegen einwenden! Alles, was er dachte, war richtig, Alles, was er sagte, vernünftig, Alles, was er unternahm, möglich, und Alles, was er vollendete, bewundernswerth. Man hätte Joe in Stücke zerhauen können, eine Procedur, die jedenfalls nur mit dem größesten Widerstreben vollzogen worden wäre – nie würde er seine Meinung rücksichtlich des Doctors, seines Herrn, geändert haben.
Wenn demnach Fergusson den Plan aussprach, Afrika durch die Lüfte zu bereisen, so war dies für Joe eine abgemachte Sache; Hindernisse gab es von dem Augenblick, in welchem der Doctor die Unternehmung beschlossen hatte, nicht mehr, und daß er, der treue Diener, seinen Herrn begleiten würde, unterlag für ihn nicht dem geringsten Zweifel, obgleich noch nie die Rede davon gewesen war.
Es sollte ihm übrigens vorbehalten sein, durch seine Einsicht und erstaunliche Gewandtheit seinem Herrn die größten Dienste zu leisten. Wenn man für die Affen im Zoologischen Garten einen Turnlehrer gesucht hätte, so wäre er der richtige Mann dafür gewesen; denn springen, klettern, fliegen und tausend unmögliche Kunststücke ausführen, war für ihn eine Kleinigkeit.
Wenn Fergusson der Kopf und Kennedy der Arm bei der Expedition war, so sollte Joe die Hand sein. Er hatte seinen Herrn schon auf mehreren Reisen begleitet und war im Besitz einiger oberflächlicher Kenntnisse, die er sich auf seine Weise nach und nach angeeignet hatte; aber seine Hauptstärke bestand in einer herrlichen Lebensweisheit, einem angenehmen Optimismus; er fand Alles leicht, logisch, natürlich, und kannte demzufolge das Bedürfniß zu fluchen oder sich zu beklagen kaum dem Namen nach.
Unter anderen, schätzenswerthen Eigenschaften besaß er auch ein vortreffliches Auge, eine fast wunderbare Fernsichtigkeit; er theilte mit Moestlin, dem Lehrer Kepler's, die seltene Fähigkeit, mit unbewaffnetem Auge die Trabanten des Jupiter zu unterscheiden, und in der Gruppe der Plejaden vierzehn Sterne zu zählen, von denen die Letzten neunter Größe sind. Er war deshalb nicht etwa stolzer oder hochmüthiger; im Gegentheil! er grüßte schon aus weiter Ferne, und wußte sich bei geeigneten Gelegenheiten seiner Augen sehr gut zu bedienen.
Bei dem Vertrauen, das Joe auf den Doctor setzte, darf man nicht über die Streitigkeiten erstaunen, die sich unaufhörlich, natürlich mit Beachtung des schuldigen Respects, zwischen Kennedy und dem würdigen Diener abspannen. Der Eine zweifelte, der Andere glaubte; der Eine repräsentirte die hellsehende Klugheit, der Andere das blinde Vertrauen; der Doctor aber hielt die Mitte zwischen Zweifel und Glauben, womit ich sagen will, daß er sich weder von dem Einen noch von dem Andern beeinflussen ließ.
»Nun, Herr Kennedy?« begann eines Tages Joe.
»Was willst Du, mein guter Junge?«
»Jetzt kommt derAugenblick bald heran; es scheint, als wenn wir nächstens nach dem Monde abfahren würden.«
»Du meinst damit wahrscheinlich das Mondland; es liegt zwar nicht ganz so weit ab, aber beruhige Dich; die Gefahr ist noch immer groß genug.«
»Gefahr? von Gefahr ist keine Rede bei einem Mann wie Doctor Fergusson.«
»Ich will Dir Deine glückliche Täuschung nicht rauben, mein lieber Joe, aber was er da zu unternehmen gedenkt, ist ganz einfach das Beginnen eines Verrückten. Es wird übrigens keinenfalls zu dieser Reise kommen.«
»Keinenfalls zur Reise kommen? Dann haben Sie also nicht den Ballon gesehen, der in der Werkstatt der Herren Mitchell in Borough gearbeitet wird?«
»Ich werde mich wohl hüten, ihn mir anzusehen.«
»Da büßen Sie wirklich einen schönen Anblick ein, Herr Kennedy; es ist ein herrliches Gebäude! und die hübsche Form, die reizende Gondel! Wie wohl werden wir uns darin fühlen!«
»Du denkst also im Ernst daran, Deinen Herrn zu begleiten?«
»Das versteht sich! ohne allen Zweifel! versetzte Joe. Ich begleite ihn, wohin er will. Das fehlte noch! – Ich soll ihn wohl allein reisen lassen, nachdem ich bis jetzt mit ihm zusammen die Welt durcheilt habe! Wer würde ihm denn helfen, wenn er ermüdet ist, wer ihm eine starke Hand reichen, wenn er über einen Abgrund springen will? Wer sollte ihn pflegen, wenn er etwa gar krank würde? Nein, Herr Dick, Joe wird immer auf seinem Posten sein.«
»Wackerer Junge«, rief der Schotte.
»Übrigens kommen Sie mit uns, Herr Kennedy«, fügte Joe hinzu.
»Natürlich, sagte Kennedy, ich begleite Euch, um Samuel noch bis zum letzten Augenblick von der Ausführung einer solchen Thorheit abzurathen. Ich werde ihm sogar nach Zanzibar folgen, um das Meinige zu thun, damit dieser unsinnige Plan nicht zur Ausführung gelange.«
»Allen Respect vor Ihnen, Herr Kennedy, aber Sie werden ihn auch nicht um ein Haar breit von seinem Vorhaben abbringen. Mein Herr ist nicht so hirnverbrannt, wie Sie meinen. Wenn er etwas unternehmen will, sinnt er lange zuvor darüber nach, und wenn dann sein Entschluß gefaßt ist, kann kein Teufel ihn darin irre machen.«
»Das werden wir sehen!«
»Schmeicheln Sie sich nicht mit dieser Hoffnung. Übrigens liegt sehr viel daran, daß Sie mitkommen. Für einen so ausgezeichneten Jäger wie Sie ist Afrika ein herrliches Land. Sie würden keine Ursache haben, Ihre Reise zu bereuen.«
»Ich werde sie auch nicht bereuen, besonders wenn dieser Starrkopf sich überzeugen läßt und zurückbleibt.«
»Beiläufig, äußerte Joe, Sie wissen doch, daß heute das Wiegen vorgenommen wird.«
»Wovon sprichst Du?«
»Nun, der Herr Doctor, Sie und ich, wir sollen alle drei gewogen werden.«
»Wie Jockeys!«
»Ja wohl; aber haben Sie keine Bange: Abmagerungsversuche werden nicht an Ihnen gemacht, wenn Sie zu schwer sind. Man wird Sie so nehmen, wie Sie sind.«
»Ich werde mich unter keiner Bedingung dazu hergeben, darauf verlaß Dich!« sagte der Schotte sehr entschieden.
»Aber, Herr Kennedy, ich glaube, es ist für seine Maschine nothwendig.«
»Er kann sehen, wie er seine Maschine ohne das fertig bekommt.«
»Wenn mir nun aber aus Mangel an genauen Berechnungen nicht aufsteigen können?«
»Das wäre mir gerade recht!«
»Machen Sie sich darauf gefaßt, Herr Kennedy; mein Herr wird uns gleich abholen.«
»Ich werde nicht mitkommen.«
»Sie werden ihm doch das nicht anthun.«
»Allerdings.«
»Ich weiß schon«, meinte Joe lachend, »Sie sprechen nur so, weil mein Herr noch nicht hier ist; aber wenn er Ihnen erst von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht und zu Ihnen sagen wird: ›Dick‹ – verzeihen Sie die Freiheit, Herr Kennedy – ›Dick, ich muß genau wissen, wie viel Du wiegst,‹ so werden Sie mitkommen, ich wette darauf.«
»Ich werde nicht mitkommen.«
In diesem Augenblick betrat der Doctor sein Arbeitszimmer, in welchem diese Unterredung stattgefunden hatte; er sah Kennedy, der sich nicht ganz behaglich zu fühlen schien, fest an, und sagte dann:
»Dick, komm mit, und Du auch, Joe; ich muß wissen, wie schwer Ihr seid.«
»Aber ...«
»Du kannst Deinen Hut aufbehalten. Komm.«
Und Kennedy ging mit. – Sie begaben sich miteinander in die Werkstatt der Herren Mitchell, wo bereits eine Schnellwage mit Laufgewicht aufgestellt worden war. Der Doctor mußte wirklich die Schwere seiner Begleiter kennen, um das Gleichgewicht seines Luftschiffes herzustellen. Er hieß Dick auf die Brücke der Wage treten, was dieser auch, ohne Widerstand zu leisten, that; aber er murmelte vor sich hin:
»Schon gut! schon gut! das verpflichtet noch zu nichts.«
»Hundertdreiundfünfzig Pfund«, sagte der Doctor und notirte sich die Zahl in seinem Notizbuch.
»Bin ich zu schwer?«
»Bewahre, Herr Kennedy«, erwiderte Joe, »übrigens bin ich leicht – das wird sich heben.«
Und mit diesen Worten nahm Joe voller Begeisterung für die Sache, der er diente, die Stelle des Jägers ein; fast hätte er beim Hinaufsteigen in seiner Hitze die Wage umgeworfen. Jetzt nahm er eine imponirende Haltung an, etwa wie der Wellington, welcher am Eingange von Hyde-Park den Achilles nachäfft, und gab auch ohne Schild eine prächtige Figur ab.
»Hundertundzwanzig Pfund«, notirte der Doctor.
»Heh, heh!« schmunzelte Joe mit Genugthuung.
Warum lächelte er? Wahrscheinlich hätte er selbst den Grund nicht anzugeben gewußt.
»Jetzt ist die Reihe an mir«, bemerkte der Doctor und schrieb gleich darauf hundertundfünfunddreißig Pfund als Gewicht seiner eigenen Person auf. »Wir drei wiegen zusammen nicht mehr als vierhundert Pfund.«
»Wenn es für Ihre Expedition erforderlich wäre, Herr Doctor, so könnte ich wohl um zwanzig Pfund abmagern, indem ich mich etwas knapper hielte.«
»Das ist unnöthig, mein Junge«, antwortete Fergusson. »Du kannst essen, so viel Du willst; und hier hast Du eine halbe Krone, um Dich nach Herzenslust zu delectiren.« –
Siebentes Capitel
Geometrische Einzelheiten. – Berechnung der Tragfähigkeit des Ballons. – Das doppelte Luftschiff. – Die Hülle. – Die Gondel. – Der geheimnißvolle Apparat. – Lebensmittel. – Noch eine Zugabe.
Doctor Fergusson hatte sich schon seit geraumer Zeit mit den näheren Details seiner Expedition beschäftigt, und selbstverständlich war der Ballon, dies wunderbare Fahrzeug, das ihn durch die Luft führen sollte, der Hauptgegenstand seiner Sorge.
Zunächst beschloß er, das Luftschiff mit Wasserstoffgas zu füllen, damit er ihm keine zu großen Dimensionen zu geben brauche. Die Erzeugung dieses Gases macht keine Schwierigkeit, es ist vierzehn und ein halb mal leichter als die Luft, und hat bei aerostatischen Versuchen die befriedigendsten Ergebnisse geliefert.