Für Elise - Carolin Schairer - E-Book

Für Elise E-Book

Carolin Schairer

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Beschreibung

Die Pianistin Delia Strehlenberg hadert sowohl mit ihrer Karriere als auch mit ihrem Privatleben: Statt in renommierten Konzerthallen tritt sie nur noch in Kleinstädten auf, und mit der Liebe will es auch nicht recht klappen. Nach einem Klavierauftritt trifft sie in der Bar ihres Hotels auf Elise, die kaum einen ihrer Auftritte verpasst. Nach einer leidenschaftlichen Nacht steht für beide fest, dass sie sich wiedersehen wollen. Doch dann geschieht ein folgenschweres Unglück, und Elise muss erkennen, dass sie von der Frau, die so tiefe Gefühle in ihr geweckt hat, im Grunde gar nichts weiß.

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Seitenzahl: 88

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Carolin Schairer

FÜR

ELISE

Roman

HELMER

 

ISBN 978-3-89741-903-2

© 2024 Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach a. Taunus

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung unter Verwendung eines Images von © Philippe Käsler (KI-generiert mit fotor)

 

Ulrike Helmer Verlag

Klosterhofstr. 3, 65843 Sulzbach a. Taunus

E-Mail: [email protected]

www.ulrike-helmer-verlag.de

 

Für Elise

FürElise.

EinekleineErinnerunganunsergemeinsamesKonzert.

VonDeliaStrehlenberg.

Mit schwungvoller Schrift setzte sie ihren Namen auf die Autogrammkarte, die ihr aufwändig gestyltes Ich im Licht eines professionell ausgeleuchteten Fotostudios zeigte. Auf dem Foto trug sie ihr dunkles Haar kunstvoll aufgesteckt, dazu ein flaschengrünes Kleid, das mehr von ihrem Dekolleté preisgab, als ihr wirklich recht war – die Idee ihrer Agentur –, und ein Perlencollier im Wert von mehreren tausend Euro, bei dem es sich selbstverständlich um die Leihgabe eines Juwelierladens handelte. Sie selbst legte wenig Wert auf Schmuck, und auch die goldenen Stecker an ihren Ohren trug sie an diesem Abend, um dem Wunsch ihres Künstlermanagements nachzukommen.

Trotz allem mochte sie das Foto. Was die Visagistin nicht völlig hatte eliminieren können oder wollen – die kleinen Fältchen an den Augen und die spitze Nase –, war durch das Talent des Fotografen kaschiert worden.

Und anscheinend mochte nicht nur sie dieses Foto, sondern auch die Frau, die gerade vor ihr stand und darauf wartete, das signierte Bild ausgehändigt zu bekommen. Seit sie regelmäßig bei ihren Konzerten auftauchte, holte sie sich im Anschluss grundsätzlich ein Autogramm.

Delia musste sich stets ein Schmunzeln verkneifen, wenn die Frau »Für Elise« sagte. Jedes Mal kam ihr Beethovens berühmtes Klavierstück in den Sinn, und sie hatte sich schon oft gefragt, ob es der Konzertbesucherin ebenso erging.

Eine Frage, die natürlich unausgesprochen blieb. Delia kommunizierte nicht mit ihren Fans. Für Mails und persönlich an sie gerichtete Briefe war die Agentur zuständig; sie selbst beschränkte sich darauf, nach ihren Konzerten Autogrammkarten zu signieren. Fremde Menschen strengten sie an.

Trotzdem konnte sie ein gewisses Interesse an der Frau nicht leugnen. Was bewog einen Menschen dazu, Hunderte von Euro für immer wieder dasselbe Konzert mit derselben Pianistin auszugeben, nur an jeweils anderen Orten?

Nach den ersten Autogrammen hatte sie damit gerechnet, dass die Unbekannte mit dem goldblonden, stets offen über die Schultern wellenden Haar irgendwann das Gespräch mit ihr suchen würde. Doch das war bisher nie der Fall gewesen. Stets stand sie in einem eleganten, dunklen Hosenanzug geduldig vor Delia, während diese ihren Text auf der Karte platzierte.

In einem Anflug von Spontanität ergänzte Delia auf der Autogrammkarte: Rachmaninov No. 2 C-moll, Koblenz. See you.

Ihr nächstes Konzert. Sicher würde die so passionierte Liebhaberin ihres Klavierspiels wieder auftauchen. Sie überreichte der Frau das Autogramm mit einem freundlichen, aber nicht zu persönlichen Lächeln.

Die Frau betrachtete zunächst den kurzen Text, dann schaute sie Delia direkt an. Zum ersten Mal fiel Delia das intensive Blau ihrer Augen auf. Tief wie der Ozean … Plötzlich flutete eine Welle ungestillter Sehnsucht ihren Körper. Peinlich berührt von ihren heftigen Empfindungen senkte sie den Kopf.

»Danke«, hörte sie die Fremde fast tonlos sagen.

Delia war seltsam enttäuscht. Was hatte sie erwartet? Einen Freudentaumel? Begeisterten Jubel? – Allein aus der steifen Körperhaltung ihres Gegenübers konnte sie doch ablesen, dass überschwängliche Gefühlsausbrüche nicht zu erwarten waren.

Betont desinteressiert sah sie nun an der Autogrammjägerin vorbei und nickte dem Mann hinter ihr aufmunternd zu, der ihr bereits eine ihrer CDs entgegenstreckte.

»Für Hermann. Von seiner Lieblingspianistin. – Geht das?«

»Natürlich«, sagte sie mit zuckersüßem Lächeln und streckte die Hand nach der CD-Hülle aus. Die Frau mit dem blonden Haar verschwand in der Menge der sich dem Ausgang zubewegenden Konzertbesucher.

Nach der Autogrammstunde ließ Delia sich ins Hotel bringen. Sie war vom Auftritt etwas erschöpft, aber nicht so müde, dass sie sofort einschlafen würde. Einen Drink an der Bar zu nehmen wäre besser, als sich stundenlang von einer Seite auf die andere zu wälzen. Also tauschte sie das festliche Kleid gegen eine legere dunkle Baumwollhose und einen lose sitzenden Pullover und ging wieder nach unten.

Abgesehen von der offensichtlich angeheiterten Gruppe von Männern und Frauen in Businesskleidung war die Bar leer. Delia wählte einen Tisch in der Nähe der Theke und einen Martini.

Gewöhnlich vertrieben bereits die ersten kleinen Schlucke den Trübsinn, der sie auf Konzertreisen seit einiger Zeit wie ein Schatten begleitete. Diesmal jedoch machte der Alkohol sie schwermütig.

Ihre gesamte Kindheit und Jugend hatte sie das Ziel verfolgt, Pianistin zu werden. Während ihre Altersgenossen im Freibad plantschten, auf Partys erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht sammelten und später das Studentenleben genossen, war ihr Alltag geprägt von Üben, Üben und nochmals Üben. Wenn sie zurückdachte, war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob es ihr eigener Wunsch gewesen war, Klavier zu spielen oder der ihrer Mutter. Im Grunde war es unerheblich, denn lange hatte sie in völliger Symbiose mit ihrer Mutter gelebt.

Zu lange, wie sie mittlerweile realisiert hatte. Erst nach dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren hatte sie begonnen, sich als Individuum zu begreifen. Und auch, wenn sie die enge Beziehung zu der Frau, die sie geboren, großgezogen und zum Erfolg getrieben hatte, inzwischen kritisch sah, änderte das nichts an der Tatsache, dass sie sich seither in einer Art emotionalem Vakuum bewegte. Daran hatten selbst die dreijährige Beziehung mit Yvonne, der Cellistin, und einige Affären nichts geändert.

Ihre Auftritte erfüllten sie längst nicht mehr. Sie waren Routine geworden, und sogar die Highlights ihrer Karriere – das Konzert in der legendären Carnegie Hall in New York und das in der Sankt Petersburger Philharmonie – waren allmählich zu grautrüben Erinnerungen verblasst. Seit sie ihre Mutter als Managerin und emotionalen Motor verloren hatte, befand sich ihre musikalische Karriere im Abwärtstrend. Sie trat eher in Kleinstädten auf – oder in jenen Konzertsälen größerer Städte, die nicht als erste Adresse galten.

Abgesehen von ihrem wenig erfolgreichen Liebesleben, sah es auch in anderen Bereichen kaum besser aus. Sie tat sich schwer, Freundschaften zu knüpfen, hatte seit jeher das Gefühl, in zu persönlichen Gesprächen nicht die richtigen Worte zu finden. Noten waren leichter zu lesen als die Stimmungslagen von Menschen. Das ständige Reisen tat sein Übriges.

Dass sie ausgerechnet an diesem Tag, ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag, allein an einer Hotelbar saß, anstatt mit Freundinnen oder zumindest Musikerkollegen um die Häuser zu ziehen, war wohl die traurige Bilanz ihres bisherigen Lebens.

Den Martini hatte sie inzwischen geleert. Das Bedürfnis, ihren Frust in einem weiteren zu ertränken, war groß. Sie gab ihm nach und hielt nach dem Kellner Ausschau. Gerade servierte er jemandem an einem der hinteren Tische ein Glas Wein. Sie stutzte, als sie in dem Gast die blonde Konzertbesucherin erkannte.

Auch die Unbekannte hatte sie entdeckt. Diese nickte ihr zu, begleitet von einem knappen Lächeln. Delia war noch immer vollkommen überrascht. Als sie das Lächeln schließlich erwiderte, hatte sich die Frau längst wieder umgedreht.

Während Delia auf ihr Getränk wartete, fragte sie sich, ob sich die Frau absichtlich in diesem – ihrem! – Hotel einquartiert hatte. Sie verwarf den unheimlichen Gedanken schnell wieder. Ihre Unterkünfte wurden von der Agentur gebucht. Informationen wie diese gingen nie an die Öffentlichkeit. Folglich war es nichts als Zufall, dass sie nun beide in dieser Bar saßen – Stalking ausgeschlossen.

Die Gruppe von Arbeitskollegen lachte schallend über einen Scherz, den einer von ihnen gemacht hatte. Delia fühlte sich einsamer denn je. Als ihr Martini kam, war sie so frustriert, dass sie ein paar Sekunden lang mit dem Gedanken spielte, ihn einfach stehen zu lassen und zu Bett zu gehen.

Stattdessen nahm sie ihr Glas und ging hinüber zu der Fremden.

»Darf ich mich setzen?«

Schon im selben Augenblick, da sie die Frage stellte, bereute sie ihren Moment der Tollkühnheit, der so gar nicht typisch für sie war.

Falls die Frau irritiert war, ließ sie es sich nicht anmerken.

»Bitte«, sagte sie und deutete mit einer vagen Geste auf den freien Platz neben sich. Delia ließ sich auf die Eckbank gleiten. Die Zeitspanne, in denen keine von ihnen etwas sagte, fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit.

Das Wetter. Das Hotel. Weimar. Die Jazzmusik im Hintergrund.

Unzählige Schlagworte, die Basis für Small Talk lieferten, tanzten in Delias Kopf durcheinander, ohne dass sich ein vollständiger Satz formen wollte.

»Danke für den Abend heute.« Die Frau ergriff das Wort. »Ich habe Ihr Klavierspiel wie immer sehr genossen.«

Erstmals bemerkte Delia den leichten osteuropäischen Akzent.

»Es ist das erste Mal, dass ich diese Sonate auf einem Bösendorfer vorgetragen habe«, erwiderte Delia. »Der weiche Klang ist ein wenig ungewohnt, wenn man das Stück anders kennt, finden Sie nicht?« Sie biss sich auf die Lippen. Was für ein Geschwafel! Als ob sich außerhalb der engen Szene, in der sie sich bewegte, irgendjemand mit dem Klang eines Flügels auseinandersetzte.

Die Frau lächelte dünn, ohne sie dabei anzusehen.

Als sie es tat, stand jene Ernsthaftigkeit in ihren Augen, die Delia schon zuvor bemerkt hatte.

»Ich glaube nicht, dass mein Gehör geschult genug ist, um derartige Nuancen zu erkennen.«

»Ja. Natürlich. Entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewohnt …« Delia verstummte. Ich bin es nicht gewohnt, mit normalen Leuten zu reden, hatte sie sagen wollen, aber sich gerade noch besonnen.

Was war schon normal?

Obendrein war wohl sie diejenige, die sich außerhalb der normalen Welt bewegte – eine abgehobene Musikerin, die keine Ahnung hatte von Wirtschaft, Politik oder all den anderen Themen, die die Menschen da draußen beschäftigten.

»Was haben Sie zu Hause? Keinen Bösendorfer Flügel?«

Erleichtert, auf vertrautes Terrain geführt zu werden, griff Delia nach der gereichten Hand und antwortete: »Einen Steinway. Aber ich habe nichts gegen Bösendorfer, ganz im Gegenteil: Wahrscheinlich hätte ich mir selbst einen Bösendorfer zugelegt, wenn ich frei hätte entscheiden können.«

»Das haben Sie nicht?«

»Sponsorenverträge. Es war Teil eines Gesamtpakets.«

Delia verzichtete darauf, dies näher auszuführen. Über Vertragsdetails sollte sie nicht sprechen, schon gar nicht mit einer Wildfremden.

»Sind Sie Journalistin?« Die Frage drängte sich aus ihrem Mund.

Diesmal sah die Frau sie direkt an, begleitet von dem für sie wohl typischen, flüchtigen Lächeln.

»Ich bin Statistikerin.«

»Sie sind also im Baugewerbe tätig?«

Die Stirn der Frau legte sich kurz in Falten. In derselben Sekunde begriff Delia ihren Fehler. Möglicherweise lag es am Martini, vielleicht aber auch an ihrer Weltfremdheit. Delia hatte automatisch an Statik gedacht.

»Ich arbeite bei einer Versicherung und berechne Wahrscheinlichkeiten.«

Delia war dankbar um das Dämmerlicht, das sie umgab. Zumindest konnte die Frau ihren roten Kopf nicht sehen.

»Ist das spannend?«

Die Frau legte den Kopf schief und wirkte, als müsste sie intensiv nachdenken. Delia rechnete bereits mit einer ausufernden Antwort, doch ihre Gesprächspartnerin erwiderte nur: »Vermutlich ist das, was Sie tun, spannender.«

»In Hotelbars sitzen und Martini trinken?«

»Genau das meinte ich natürlich.«