16,99 €
Nach ihrer Scheidung ist Lena orientierungslos. Will sie wirklich zurückkehren in den Schoß ihrer zugeknöpften Adelsfamilie? Ein Urlaub auf Fuerteventura soll den Kopf freimachen. Dort angekommen lernt sie die Umweltaktivistin Selina kennen und landet prompt mitten im Kampf für ein Naturschutzgebiet. Bald kommt sie sich vor wie die Heldin eines Actionfilms! Doch was nach Happyend klingt, entpuppt sich als bitterböse Überraschung …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Carolin Schairer
SO WIE IM FILM
Roman
Ulrike HELMER Verlag
ISBN (eBook) 978-3-89741-934-6ISBN (Print) 978-3-89741-449-5
© 2021 eBook nach der Originalausgabe© 2021 Copyright Ulrike Helmer Verlag, Roßdorf b. DarmstadtAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: Atelier KatarinaS / NLunter Verwendung des Fotos »Aufnahme von Beinen einer Frau« © duftomat / photocase.de
Ulrike Helmer VerlagBlütenweg 29, 64380 Roßdorf b. DarmstadtE-Mail: [email protected]
www.ulrike-helmer-verlag.de
Prolog
Tapp-tapp-tapp-tapp.
MeineLaufschuhetrafenimgleichförmigenRhythmusaufdieHolzplanken. ÜbermirstrittensicheinpaarSeemöwenumeineBeute. VonrechtshörteichdasRauschendesMeeres. DerfrischeWindhieraufderKanareninselbliesmirmeineblonden, kurzenLockeninsGesicht. IchschmeckteSalzaufdenLippen.
PlötzlicheinSchrei. Laut. Gellend. Panisch.
Ichfuhrherum. RundzwanzigMeterentferntsahichdendunklenLieferwagenundzweiMänner. Dereinewarbulligundkahlköpfig, derandere, mitBart, wirktenichtwenigermuskulös. GrobpacktensiedieFrau, mitderichdieletzteNachtverbrachthatte.
EswareineschöneNachtgewesenmitunkompliziertem, berauschendemSex. Denhatteichgewolltundbekommen. Dochsiewarmirnahegekommen, vielzunahe, warmirunterdieHautgekrochen, hattemichkurzaußerKontrollegeratenlassen. Dasbereuteichzutiefst. Daherwarichlosgelaufen, einfachwegvonihr.
Nunwarsiees, dienichtmehrdieKontrollebehaltenkonnte.
Sieschrie, siezappelte, waraberohnejedeChance. Sekundenlangkämpfteichmitmirselbst, währendichfassungsloszusah, wiesievondenMännernzumLieferwagengeschlepptwurde. Sollteicheingreifen? Sollteichschreiendaufsiezulaufen?
ObwohlichnichteinmalPfefferspraybeimirtrug, machteicheinpaarzaghafteSchritteinRichtungdesGeschehens. Ichstoppte, alsderBärtigezumirherübersah.
SeinGesichtstrahlteunerbittlicheHärteaus – unddieEntschlossenheiteinesMenschen, derzuallembereitwar. SelbstaufdieEntfernungerkannteichihnalsdenMann, derschoneinmalmeinenWeggekreuzthatte. AnderFelskettevonLaParedhatteerTouristenausgeraubt. Trotzdemtatichnochein, zweiSchritte. Ichkonntesieihnendochnichteinfachsoüberlassen!
Etwasblitzteauf. DerBärtigetruganseinemGürteleinenPistolenhalter – miteinerWaffe, dieinderSonnereflektierte. Ichwarmachtlos.
Geducktsahichzu, wiedieMännersieindenLieferwagenwarfen. Wenigstenswollteichmiralleseinprägen: dieSchiebetüren, diesichhinterihrschlossen, denbreitbeinigenGangdesKahlköpfigen, dieruppigenBewegungendesBärtigen. DasdurchdringendeQuietschenderKupplung, alssichderWageninBewegungsetzte.
Ichversuchte, dasAutokennzeichenzuidentifizieren, dochalles, wasicherkannte, wardasweißeEaufblauemHintergrundlinksund – ganzvage – dieersteZiffer. Eskonnteeine5sein, genausogutaberaucheine6. UndschonwarderWagenweg.
Eswarstill. SelbstdieMöwenkreischtennichtmehr.
AlleskammirmiteinemMalunwirklichvor: derhelleSand, dieGrashalme, diesichdavonabhobenwiefeineSäbel, diejemandindenBodengesteckthatte, umseinRevierzuverteidigen, dieSonneundderblaueHimmel.
DieUmgebungwirktewieeingefroren. EinSchauderjagtemirüberdenRücken.
Tock-tock-tock-tock-tock.
DiesesKlopfen, schnell, hastig, bebend. DaseinzigeGeräuschineinerWelt, dieinSchockstarreverfallenwar. EinpaarSekundenvergingen, bisichbegriff, dassesmeineigenesHerzwar.
Da rannte ich los. Ich musste Hilfe holen, die Polizei alarmieren, etwas unternehmen, ehe noch mehr wertvolle Zeit verstrich.
Einige Wochen zuvor
Claudio
SchwungvollsetzteichmeinenNamenunterdiePapiere, diedasEndemeinerelfjährigenEhebesiegelten. Alexandertatesmirgleich.
»War‘sdas?«, fragteerdannundwarfeinendemonstrativenBlickaufseineArmbanduhr, wieimmer, wenneranderewissenlassenwollte, dassereinvielbeschäftigterMannwar.
»Ja«, bestätigtedieRichterin. Siesahzu, wieAlexandermirindenMantelhalf, undfügtehinzu: »Ichwünschte, alleScheidungengingensoeinvernehmlichundfriedlichüberdieBühne!«
»DieMantel-und-Degen-SzenenhabenwirschonzuHauseausgefochten. WirwollendieArbeitszeitderJustizundIhreGeduldschließlichnichtüberstrapazieren.«
AlexanderschicktederRichterin, einergepflegtenDameumdiefünfundfünfzigunddamitseineAltersklasse, einZwinkern, dassiewieeinpubertierendesSchulmädchenkichernließ, undbewiesmirdamitwiedereinmal, welcheWirkungeraufFrauenhatte. Mitseinerhochgewachsenen, sportlichenStaturunddenebenmäßigenGesichtszügenwarAlexandereingutaussehenderMann, dertrotzgrauerHaareeinegewisseJugendlichkeitundVitalitätausstrahlte. DieihmeigeneDominanzverbargergewöhnlichhintereinerMischungausWitzundCharme, wasihnfürvieleFrauennahezuunwiderstehlichmachte.
SeinSpruchvonMantel-und-Degen-Szenen, wasauchimmerichmirdaruntervorstellensollte, warnatürlichblankerUnsinn. EshattesogutwiekeineMeinungsverschiedenheitenzwischenunsgegeben. DafürhattenwirindenvergangenenJahrenohnehinzuwenigZeitmiteinanderverbracht.
IchbeließesbeieinemunverbindlichenLächeln, ehewirgemeinsamdasGerichtsgebäudeinWien-Döblingverließen. VorderTürewarteteSofia, meineNachfolgerinanAlexandersSeite, gemeinsammitihremüberspanntenWindhundFiffy. DerweitgeschnitteneNerzmantelverbargihrenBabybauch, denHauptgrundfürunserezügigeScheidung, nochziemlichgut. WährendsichderWindhundvorhysterischerFreude, Alexanderzusehen, fastmitseinereigenenLeineerwürgte, strahlteSofiamichan, alswärenwirdiebestenFreundinnen.
»Feschsiehstduaus!«, sagtesie, indemsieübergriffiganmeinemkobaltblauenKaschmirschalherumzupfte. »CooleFarbe! Istderneu? UndwarstdubeimFriseur? DeineHaarefallenheutesoschön!«
Abernatürlich, ichhabemichextrafürdieScheidunghübschgemacht!
DerSpruchlagmiraufderZunge, docheineunerwarteteSchwermuthindertemichdaran, ihnüberdieLippenzubringen. DassichmitmeinerUnterschriftgeradeebenmeinpersönlichesScheiternalsEhefraubestätigthatte, wurdemirerstjetztbewusst. Meineinsilbiges »Nein« beantwortetebeideFragen. DenSchalhattemirmeineSchwesterHedwigvorvierJahrenzumdreißigstenGeburtstaggeschenkt. IhreGroßzügigkeithieltsichinengenGrenzen. HedwigwarmitAlbertGrafvonBrechtesauzuWittenverheiratet, einemdergrößtenGrundbesitzerBaden-Württembergs, geizteaber, alshättesienurdasEinkommenihrerHaushälterinzurVerfügung. WasmeinangeblichheutesoschönesHaarbetraf, sowirktesichvermutlichdieLuftfeuchtigkeitpositivaufmeineLockenaus.
TrotzdemkamichmirnebenSofiamitihremfrischen, makellosenTeint, ihrensorgfältiggestyltenAugenbrauenunddenvollen, rotgefärbtenLippenvorwieeinindieJahregekommenesAschenputtel. IchhattenochniezudenFrauengehört, dieStundenvordemBadezimmerspiegelverbrachten, undnebeneinerVierundzwanzigjährigenwaresohnehinschwergenug, sichnichtaltzufühlen.
EinkleinerböserFunkeließeinBildvormeineminnerenAugeauflodern: AlexanderundSofiavorgenaudiesemGebäude, beideumzehnJahreälter, miteinerdritten, vielJüngeren, diegenausoblond, genausohübsch, genausovorzeigbarwärewiewirinihremAlter. Dochdannsahich, wieAlexanderSofiaindieArmeschlossundvollerInbrunstküsste, undverwarfdenGedankenwieder. Erliebtesieanscheinendwirklich, undsieihn.
EinenMomentlangfühlteichmichverloren. DannnahmichdieGestaltwahr, diezügigaufunszukam, einenTrolleyhintersichherziehend. MeinHerzmachteunwillkürlicheinenSatz. Rote, tiefinsGesichtgezogeneBallonmütze, BlueJeansundfastbiszumKniereichendeSchnürstiefel – daswarunverkennbarClaudio! IchfielihmregelrechtindieArme, seltensofrohwieindiesemAugenblick, ihnzusehen. SeinDreitagebartkratzteanmeinerWange.
»Prinzessin«, murmelteeranmeinemOhr, währendmichseineschlaksigenArmefestumschlossen. IchklammertemichanihnwieeineErtrinkendeundkonntenochimmernichtfassen, dasserhierwar.
»DuglaubstdochnichtimErnst, dassichdichandiesemSchicksalstagalleinlasse?«, flüsterteer. Dankbarundglücklich, dassdieserwunderbareMenschmeinFreundwar, undinderGewissheit, dassmirniemandnäherstandalser, drückteichihmeinKüsschenaufdieWange.
WirlöstenunsausderUmarmung. ClaudiohieltmeinekalteHandinderseinen.
»Ist … istdas … ichmeine … wirklich … sindSiedas? ClaudioLePré? DerRegisseur?«
SofiawarvölligausdemHäuschen. AufgeregtkramtesieausihrerHandtascheeinenkleinenTaschenkalenderundeinensilbernenKugelschreiberhervor.
»KönntenSie … ichmeine … würdenSiemir … einAutogrammvielleicht?«
GewöhnlichwarSofia, dieFraumitdemBachelorinGermanistik, durchausinderLage, ganzeSätzezubilden, dochClaudiosbloßeAnwesenheitschiendiedafürrelevantenGehirnarealebeiihrzublockieren. Währendsienochmitsichrang, obsieClaudioKugelschreiberundBlockeinfachsoaufdrängenkonnte, schütteltensichAlexanderundmeinFreundbereitsdieHand.
»IchhattekeineAhnung, dassduinWienbist«, sagteAlexander. »WelcheDreharbeitenhabendichhergelockt? EinweiteresoscarreifesProjekt?«
»Ichbinreinprivathier«, stellteClaudioklar, ohneeineMienezuverziehen. »SchließlichmusssoeinAnlassanständiggefeiertwerden!«
AlexandersMundwinkelzuckten – nichtamüsiert, wieichinseinenAugenlas, sondernmissbilligend. DieIdee, dassClaudioalleinwegenmirgekommenseinkönnte, warfürihnanscheinendvölligabwegig. FürClaudiosHumorhatteersichseltenbegeisternkönnen. ÜberhauptwarihmdieserManninmeinemLebenimmereinDornimAugegewesen, auchwennichdasniehatteverstehenkönnen.
ImselbenAugenblickschwangdieTüredesGerichtsgebäudesauf. DieRichterintratmiteineranderenFrauheraus, vermutlicheinerKollegin. Fürein, zweiSekundenbliebsiestehenundschautezuunsherüber, dannsagtesieetwaszuihrerBegleiterin. Auchwennichesnichtverstand, warsonnenklar, worumesging: umunsereach-so-friedliche, harmonischeScheidung. DaClaudionochimmermeineHandhielt, musstesieinihmzwangsläufigmeinenneuenPartnersehen, währendsieSofiahoffentlichfürAlexandersnicht-existenteTochterausersterEhehielt. DerkleineFunkenBosheitinmeinemInnerenwünschtesichgenaudas. SchondieeinundzwanzigJahreAltersunterschied, dieAlexanderundmichtrennten, warenmirgelegentlichmakabererschienen. DasserfürdenRestseinesLebenseineFraunebensichsah, diesatteeinunddreißigJahrejünger, fielmirnochimmerschwerzuverstehen. WasredeteermitdiesemKind, dasselbsteineserwartete?
»Bitte, dumusstmichnichtsiezen.« ClaudiohattemitSofiaErbarmen, nahmihrdenKalenderabundschüttelteihrdielederbehandschuhteHand. »FürdichnurClaudio. SchließlichsindwiringewisserWeisedochbeideFreundevonLena.«
IchunterdrücktedenImpuls, ihmkräftiggegendasSchienbeinzutreten. SofiaalsFreundinzubezeichnen, gingeindeutigzuweit. FürmichwürdesieniemehrseinalsdiePerson, diemeinenManndaranerinnerthatte, dasserinseinerEhesoeinigesvermisste.
»Lena?« SofiarunzelteirritiertdieStirn. ClaudiohatteanscheinendwirklichihrDenkvermögengelähmt.
»Helene«, halfAlexanderihraufdieSprünge. InunserenelfgemeinsamenJahrenwarerniedazubereitgewesen, michmiteinerzeitgemäßenAbwandlungmeinesNamensanzusprechen. DamitverhieltersichnichtandersalsmeineElternundGeschwister.
ClaudiohatteeinpaarZeilenundseinenNamenindenKalendergekritzeltundgabihnseinerBesitzerinzurück.
»FürSofia. MögestduaufdemOpernballlieberelegantePirouettendrehenalsdieLagederNotausgängechecken. DannistdirdieLiebevonAlexanderdemGroßengewiss! ClaudioLePré, professionellerWahrsagerundRegisseur.«
Sofia, diedenTextlautvorgelesenhatte, saherstClaudiofragendan, dann, alserihreineErklärungschuldigblieb, ihrenzukünftigenGatten.
»Wassolldasbedeuten?«
»ImGrundenichts, wasmitdirzutunhat.« AlexanderzogdenKragenseinesMantelsnachoben – einetypischeGeste, wennervonetwasgenughattewiejetzteindeutigvonClaudio, derihnamüsiertangrinste. »ClaudiowünschtmireineFrau, diewenigerschrulligistalsHelene, undüberschätztmöglicherweiseseineeigenenFähigkeiten. Dasistalles.«
ClaudiosGrinsenwurdebreiter.
IchärgertemichindiesemMomentsowohlüberClaudio, dereinGeheimnisvonmirpreisgegebenhatte, alsauchüberAlexander, dermichungeniertalsschrulligbezeichnete. Ja, ichsahmichgenerellnachdenNotausgängenum, wennichaneinerVeranstaltungmitvielenLeutenteilnahm – undzwar, weilmirgenaudasimFalleeinerMassenpanikodereinesunvorhersehbarenVorfallsmeinLebenrettenwürde.
»Mirwirdallmählichkalt.« IchtratdemonstrativvoneinemFußaufdenanderen. »Wollenwirnichtmalgehen?« DasrichtetesichausschließlichanClaudio, dochSofia, derweiterhindieBewunderungfürmeinenFreund, deninternationalbekanntenRegisseur, insGesichtgeschriebenstand, fühltesichsofortmitangesprochen.
»Ohja! Gehenwirirgendwowastrinken«, schlugsiemitbeinahekindlicherEuphorievor. »Ichmeine … ihrtrinktwas. IchsitznurbeieinemGlasWasserdabei. Binjaetwasausgebremst.«
SiedeuteteaufihrenBauch.
Claudiogrinsteerstmichan, dannsie. Ersetztean, umetwaszuerwidern, dochAlexanderkamihmzuvor.
»Liebling, ichhabeimFabioseinenTischfürzweireserviert«, sagteerundlegtefastschonväterlichdenArmumdieSchulternderwerdendenMutter. »UndauchHelenewirdanderePlänehaben.«
»Oh, schade.« Sofiawirkteaufrichtigenttäuscht, wasgewissnichtmitmirzutunhatte. IhreAugenklebtenanClaudioLePré. »IchhättesogernmehrüberSie … überdicherfahren! ÜberdeineFilme, meineich. CrazyCruisingwarsoootoll! DerhatdiezweiOscarsvölligzuRechtbekommen! Ichmeine, dasistechtso … innovativ. Sovölligabgedreht. So …«
»Liebling. DerTischimFabios.« AlexanderdrängtezumAufbruch. MiteinemletztenBlickaufunssagteer: »Mansiehtsich.«
Ichfragtemich, beiwelcherGelegenheit. UnsereHausständehattenwirbereitsvorsiebenMonatenauseinanderdividiert, erresidierteweiterhininderFamilienvillaamTürkenschanzparkundichwohnteseitherineinerAltbauwohnunginderInnenstadt. EsgabeigentlichkeinenGrundmehr, Kontaktzuhalten, einvernehmlicheScheidunghinoderher.
»AufWiedersehen«, sagteichflach.
Ichsahdenbeidennach, wiesiemitdemzappelndenHunddenkleinenParkdurchquerten.
»AufWiedersehen?« ClaudiostießmirseinenEllbogenindieSeite. »Sagmal, wasistmitdir? – DuwarstimmerhinelfJahremitihmzusammen!« ErsahmichvonderSeitean, runzeltedieStirn. »Ichweißja, dassdeineFamiliegenetischbedingteinenStockimArschhat, aberkommtdudirnichtselbstetwaszuformellvor?«
»Herrgott, washätteichdennsagenodertunsollen?« IngespielterVerzweiflungstreckteichdieHändegenHimmel, währendichinsgeheimselbstschmunzelnmusste. AufWiedersehenwarwirklichdiefalscheVerabschiedung, denneigentlichwollteichAlexandergarnichtwiedersehen. »IhmschluchzendumdenHalsfallenundunterTränenbitten, dieScheidungrückgängigzumachen?« IchhaktemichbeiClaudiounter. »Gehenwirwasessen. LustaufSushi?«
»WenneseinLokalmiteinerdunklenEckeist, indermichkeinermitAutogrammwünschenbehelligt, danngerne.«
»MitderdunkelstenEckederWelt!«, versicherteich. »SchonausEigennutz!«
»AusEigennutz? Wieso, washastduvor …?«
ErbetrachtetemichskeptischvonderSeite, währendichnuraufdenrichtigenMomentwartete, ummeinenAngriffzustarten. LangsamerwachtenmeineSinneausdemKoma, indassiedurchdiesteifeAtmosphäreimGerichtunddieBegegnungmitAlexandernebstSofiaversetztwordenwaren. Ichfreutemichso, dassClaudiodawar! AmliebstenwäreichquerdurchdenParkgetanzt, wasgewöhnlichgarnichtmeinerArtentsprach. DerÜbermutinmirschlugPurzelbäume.
WirhattengeradedenGehsteigerreicht, dabeantworteteichvollerLeidenschaftClaudiosFrage: IchbissihnindenHals.
Damithatteernichtgerechnet. ErquietschtewieeinverwundetesSchweinchen, undichbogmichvorLachen. DieLeuteaufderStraßedrehtensichverwundertzuunsum. EinpaarbliebenstehenundstarrtenunsanwiezweiAußerirdische. EinerzücktebereitsseinHandy, umeinFotozuschießen.
»Dubistso …!«, setzteClaudioan, dannwurdeersichdesallgemeinenInteressesbewusst. ErhieltdasnächstbesteTaxianundschubstemichinsInnere, eheerdieTürevoninnenzuzog.
Ichlachtenochimmer. »Ich … bin … was?«, quetschteichzwischenmeinenLachsalvenhervor.
»Entsetzlich! Furchtbar! Teuflisch!«, kameszurück.
ClaudiogriffsichandieStelle, anderichihngebissenhatte. Siewargerötet, meinZahnabdruckwardeutlichsichtbar.
»HastdudenTypenmitderKameragesehen?« ClaudiozückteeinEtuimiteinemTaschenspiegelundbesahsichdieBissstelle. »Toll! Wirklichganztoll«, stellteersarkastischfest. »Duundich, daswirddasTitelbilddermorgigenKronenZeitungoderirgendeinerdieserGratis-Postillen, undmitdeinenLippenanmeinemHals, meineSüße, binichfürdieMännerweltersteinmalout! UndzwarnichtimSinnevonComing-out, wennduverstehst, wasichmeine!«
»Gut!«
IchwischtemirmeineLachtränenausdenAugen, dannwurdemirbewusst, dasswirstadtauswärtsfuhren. BisherhattekeinervonunsbeidendemTaxifahrergesagt, wohinesgehensollte. HöchsteZeit, dasnachzuholen.
»ErsterBezirk. KärntnerRing, GrandHotel, bitte.«
*
DiedunkleEcke, diesichClaudiogewünschthatte, lagimoberstenStockdesHotels. IchmochtedasjapanischeRestaurantdort, weildieverwinkelteBauweisefürausreichendPrivatsphäresorgte. IdealfürCelebritys, dieeineZeitlangdemöffentlichenInteresseentfliehenmöchten.
GalantwiesClaudioaufdieSitzbankanderWand. Erwusste, dassichesnichtertrug, mitdemRückenzumRaumzusitzen. DasRestaurantwarumdieseZeitrechtvoll. VermutlichverdanktenwirnurmeinemNamenundmeinenhäufigenBesuchen, dasswirohneReservierungeinenTischbekamen.
IchgabClaudioZeit, dieSpeisekartezustudieren, undbetrachteteihnwährenddessen. DieroteBallonkappehatteerinzwischenabgenommen. SeitwirunsvorvierMonatenzuletztgesehenhatten, warseinmittelbraunesHaarschüttergeworden. GraueSträhnenhattensicheingeschlichen. Fürjemanden, derseinenWohnsitzinL.A. hatte, kamClaudiomirauffallendblassvor. UmseineAugenherumentdeckteicherstmalsFalten. ErwarnurvierzehnTageälteralsich, dochjetztkamesmirvorwievierzehnJahre. DasLebenaufderÜberholspurhinterließSpuren.
UnwillkürlichdachteichanunsereersteBegegnung, dievorzwanzigJahrenaufdemdämmrigen, kaltenGangeinesaltenGebäudesstattgefundenhatte, dessenvergitterteFenstersymbolischwarenfürdenGeistdesgesamtenHauses. SchlossNippeinderNähevonKoblenzwaralsNobelinternatnichtnurfürseineexzellenteAusbildung, sondernhauptsächlichfürStrengeundDisziplinbekannt. MeineElternzahltendiehorrendenGebühren, weilesanmeinervorherigenSchule, einemInternatamChiemsee, zueinpaarunschönenVorfällengekommenwar. EigentlichhatteichnureinpaarUnterschriftenunterAttestegesetzt, dieMitschülerinnenvomSportunterrichtbefreiten, undzweiZeugnissegefälscht – imÜbrigennichteinmalmeineeigenen. ZweiFreundehattenmichumHilfegebeten, weilsievonmeinerBegabungfürUnterschriftenwussten. FürüberzeugendeKopienbrauchteichnatürlichBlanko-Zeugnis-Formulare. MeineElternundderDirektorbezeichnetenmeineSucheimSchulsekretariatspäteralsEinbruch. Daswarlächerlich, denndasSchlossließsichmühelosknackenunddieSchränkestandenoffen. AufgeflogenwardieSachenurdeshalb, weileinerderBuben – vonGewissensbissengeplagt – allesseinenElternbeichtete. MeinWechselnachSchlossNippewardaherbeschlosseneSache, nocheheichmichüberhauptverteidigenkonnte.
FürClaudiowaresdagegeneineEhre, aufSchlossNippeaufgenommenzuwerden. ErwareinerderwenigenStipendiaten, fürdiederFördervereindasSchulgeldübernahm. WirliefenunszumerstenMalamTagderEinschreibungüberdenWeg, alsermitseinerMutterIrmgardgeradedasSekretariatverließundichinBegleitungmeinerElternimBegriffwar, eszubetreten. MeineMutterrümpftedezentdieNase, alssieanihnenvorbeiging, undauchmirfielauf, dassdiebeideneigentlichgarnichthierherpassten.
Claudiowarschmächtigundblass. ErtrugeinenschwarzenAnzug, derihmmindestenszweiNummernzugroßwar, unddazuausgetreteneHalbschuhe. SeinGesichtsausdruckwarwach, aufmerksam, interessiert. Erwirkteintelligent, abermöglicherweiselagdasauchanderBrillemitdendickenGläsern, dieaufseinerNaseprangte. SeinbraunesHaarschrienacheinemFriseurbesuch.
SeineMutterdagegensaheinbisschensoauswiedieMenschenausdenNachmittagstalkshows, dieichmirgelegentlichheimlichreinzog: leichtübergewichtig, mitsträhnigem, schulterlangemHaar, daseinelangeHistoriestümperhafterTönungsversuchehintersichhatte, undfeuerrotbemaltenLippen. Make-upundKleidungverrieten, dasssiesichdurchausGedankenüberihrOutfitgemachthatte: Zurschwarz-blaugemustertenLegginstrugsieeinendunklenUmhang, denmanmitetwasgutemWillenalsweitgeschnittenenGehrockhätteinterpretierenkönnen. Aufihrenweißen, klobigenTurnschuhenprangtenGlitzersteine.
Später, alsmeineElternnochmitdenFormalitätenbeschäftigtwaren, trafenClaudioundichimSchlossparkaufeinander. Ich, dasverwöhnteMädchenimFaltenrock, mitderweißenBluseunddenPerlohrringen, hattemichhintereinerBaumgruppeversteckt, umheimlichzurauchen; erwarteteaufseineMutter, dieinErfahrungbringenwollte, wanndernächsteBuszumBahnhofging.
Icherzählteihmgroßspurig, dassmeinVaterDiplomatseiundichschondiehalbeWeltgesehenhätte. Wasdurchausstimmte. IchbininKairogeboren, habeinMarokkoundTunesiengewohnt, wurdeinHongkongeingeschultundwardanndreiJahrelangineinerSchuleinDubai. DanachgingesfürunsnachParisundanschließend – wenigspektakulär – nachBerlin. DadernächsteAuslandsaufenthaltjedochbereitsfeststandundesfürmichundmeineGeschwisterimmerschwierigerwurde, unsereschulischeLaufbahnindenverschiedenenLändernfortzusetzen, besuchtenwirseitdemWechselinsGymnasiumallesamtInternate.
ClaudiodagegenwarbisdahinausMünchen-Giesingnichtherausgekommen, wasmanihmauchanhörte. ErhatteMühe, hochdeutschzusprechen, undrollteaufverstörendeWeisedasR.
Erfandessehraufregend, dassichadeligerHerkunftwar, undnanntemichvondaanPrinzessin. DassmeinvonnuraufniedrigenLandadelzurückging, störteihndabeinicht. ErfühltesichabTageinswiederRitter, dermichbeschützenwollte, undichdachtedamalsnoch: Werdawohlwenbeschützenwird? DennaufgrundseinerschlichtenAbkunftundderArglosigkeit, mitdereraufanderezuging, kamermirvorwiedasperfekteMobbing-OpferaneinerSchulefürKinderausreichemHause.
Ichirrtemich. DurchseineIntelligenzunddieFähigkeit, schnellmitandereninKontaktzukommen, hatteeraufSchlossNippeschonbaldmehrFreundealsich. Erbeobachtetegutundlernterasch. NacheinpaarMonatenwarClaudioinseinerSchuluniformundseinemAuftretennichtmehrvonunszuunterscheiden.
Undnun, fastzweiJahrzehntespäter, saßenwirhierinWiengemeinsamineinemLokalundwarennochimmerdiebestenFreunde.
»Also, Prinzessin, jetztmalehrlich: Wiegehtesdir?«
WirhattenunsereBestellunginzwischenaufgegeben. ClaudionippteaneinemMineralwasser, ichsaßvoreinemGlasWeißwein.
»Gut.« Ichnickteautomatisch, alsmüssteichmirmeineBehauptungbestätigen. »Ichweißesnicht«, korrigierteichmichdann, dennimmerhinwarClaudioeinechterFreund. »Esistnichtso, dassichAlexandervermissenwürde. TrotzdemkommeichmirimMomentetwaseinsamvor.«
Claudionicktebedächtig.
»DuhättestihnvonAnfangannichtheiratensollen. Ichhabedichdamalsgewarnt, weißtdunoch? Ichhabedirgesagt, eristnichtderMensch, derdichlangfristigglücklichmacht.«
»Ja, dashastdu.«
AuchicherinnertemichandiesenverhängnisvollenAbendineinerMünchnerBar, zweiTagevormeinerHochzeit, obwohlichesamliebstenfürimmervergessenhätte. DieZungegelockertvomAlkohol, hatteichClaudioetwasanvertraut, dasichniemalsirgendjemandemhatteerzählenwollen. IchbereutemeineOffenheitbereits, alsichtrunkenundmüdeinmeinemHotelbettlag. Claudiohattemichniemehrdaraufangesprochen. Aberichwusste, dasseresnichtvergessenhatte. Dassesinihmarbeitete, dassernuraufdenrichtigenAugenblickwartete, ummichdamitzukonfrontieren.
Nunwarichgeschieden.
DieleiseFurcht, erkönntemeinen, dieserAugenblickseinungekommen, nahminmeinemInnerenGestaltan. IchfühlteClaudiosBlicknachdenklichaufmirruhenundwappnetemich.
»Duhastihnniewirklichgeliebt«, stellteereinfachnurfest.
»Wirsindgutmiteinanderausgekommen. Dasistmehr, alsdiemeistenEheleutenachzehnJahrengutenGewissensbehauptenkönnen.«
»WasistmitLiebe? MitLeidenschaft?«, fragteerdann, undmirbrachpromptderSchweißaus. DaswargenaudasMinenfeld, aufdasichmichnichtbegebenwollte.
»MeinLebenistgut, wieesist, Claudio.«
»IchmachemirSorgenumdich«, gaberfreimütigzu. »Dubistsoallein. Ichwürdemichbesserfühlen, wennichwüsste, dassjemandfürdichdaist.«
Nunmussteichdochlachen.
»Claudio, bitte! Duredest, alsseiichpflegebedürftig!«
»Ja«, bestätigteer. »Beinahewäreessogekommen, oder? StichwortPflege: Werwardennfürdichda, alsduvoreinpaarMonatendenReitunfallhattest? AlsduaufderIntensivstationlagstundzweimaloperiertwerdenmusstest? – AlexanderwarmitSofiaaufdenBahamas, JoaufWeinreiseinSüdafrikaundichmitteninDreharbeiten! GanzabgesehenvondeinerachsoliebevollenFamilie, diesogetanhat, alswärederUnfallnureineKleinigkeit!«
»Eswarjetztauchnichtlebensbedrohlich«, spielteichdieVerletzungherunter, obwohlichesbesserwusste. AuchwennmeinSturzvergleichsweiseglimpflichausgegangenwar, hatteichinzwischengelernt, dasseineLeberruptur – abhängigvomSchweregrad – durchaustödlichendenkonnte. InsgeheimmussteichClaudiozudemrechtgeben: DieZeitindiesemKrankenhausundhernachimReha-ZentrumwarendielängstenzweieinhalbMonatemeinesLebens.
»Mirgehteswiederblendend«, versicherteichihm. »IchgeheregelmäßiglaufenundsitzefestimSattel.«
Claudiowirkteweiterhinskeptisch.
»Undsonst?«, erkundigteersich, nachdemereinenSchluckausseinemWasserglasgenommenhatte. »IrgendwelcheneuenBekanntschaften? IrgendwelcheKontakte? WasmachstdudenganzenTag, jetzt, woduAlexandernichtmehrzuGeschäftsessenundaufgesellschaftlicheVeranstaltungenbegleitest?«
»Ach, dasÜbliche.« IchhobdieSchultern. »Reiten. Fitnessstudio. AbundzueinbisschenKultur: Konzerte, Theater … ichhabehierschoneinenBekanntenkreis, keineSorge.«
»SindesnichteherAlexandersBekannte?«
»EssinddieExenseinerBekannten, wenndu’sgenauwissenwillst. IchbinquasihochoffiziellindieRundederVerlassenenaufgenommenworden.«
»Klingtjaprickelnd.«
ErgabsichwenigMühe, seinenSarkasmuszuverbergen, undichkonnteihmnichteinmalwidersprechen. ManchmalfühlteichmichinderGesellschaftdieserFrauen, dieihrenEx-Männernhinterhertrauerten, abergleichzeitigübersieschimpften, herrlichdeplatziert. SiestrittenmitihnenumKinder, GeldundImmobilien, vertriebensichihreLebenslangeweilemitShoppingundCharityundhattenkaumeinanderesZiel, alsdemnächstenvermögenden, einflussreichenAlphamanneinEheversprechenzuentlocken.
»DuwillstalsohierinWienwohnenbleibenundsoweitermachenwiebisher?«
»Tja.« IchhobdieSchultern. »DaswäredieeineOption. EsisteineschöneStadtmithoherLebensqualität.«
»Undwaswäredieandere?«
IchverschränktemeineHändeineinanderundschauteeinpaarSekundenaufdieTischplatte, währenddieleiseJazzmusikimHintergrundplötzlichüberdeutlichanmeinOhrdrang.
»Dieandereist, nachNiederbayernzuziehenunddieLeitungdesMuseumszuübernehmen.«
»Bitte, was?« ClaudiostellteseinGlassoschwungvollaufdenTischzurück, dassesbeinaheüberschwappte. »DasistnichtdeinErnst, oder? DuwillstnachNiederbayernziehen? EtwazudeinenEltern? UndvonwelchemMuseumsprichstduüberhaupt?«
»Ichhabedirdocherzählt, dassmeinVaterimLaufederJahreeineSammlungantikerasiatischerArtefakteaufgebauthat. ErwillsiejetztderÖffentlichkeitzugängigmachen. DieStadtLandshuthatihmdafürRäumlichkeitenzurVerfügunggestellt. DerzeitlaufennochUmbauarbeiten. DieEröffnungistfürMittenächstenJahresgeplant. Vaterhatmirangeboten, dieAusstellungzukuratieren.«
»SeitwannkennstdudichmitasiatischerKunstaus?«
ClaudiosahmichüberdenRandseinesdunklenBrillengestellsungläubigan.
»Bisherfastgarnicht«, gabichzu. »Aberichkönntemicheinlesen. ImmerhinwäredaseineAufgabe.«
AuchohnediezweisteilenFalten, diesichaufseinerStirngebildethatten, warklar, wasmeinbesterFreundvondieserIdeehielt.
»Eswäredurchausetwaszutun«, sagteich. »DasMuseummussbekanntgemachtwerden, brauchteinGesichtnachaußen. Jemand, deresrepräsentiert.«
»Mehrwirstduohnehinnichttunkönnen, alsdeinGesichtvorKameraszuhaltenundeinpaarsalbungsvolleWortezusprechen. Duwirstnichtsselbstentscheidendürfen, sondernwieeineMarionetteinderHanddeinerFamiliezappeln.«
»Soschlimmwirdesschonnichtwerden«, erwiderteichhalbherzig.
EineasiatischeKellnerinbrachteunsereSushi-PlattenandenTischundbereiteteunseremGesprächvorübergehendeinEnde. EineWeilefachsimpeltenwirüberdiediversenSushi-Variationen, dieinihremFacettenreichtumüberdasüblicheAngebotjapanischerLokaleweithinausgingen. IchbetrachtetedasMuseums-Themaschonalserledigt, alsClaudioeswiederaufgriff.
»Ichwillnicht, dassdudasmachst«, erklärteerohneUmschweife. »EsistdieschlimmsteEntscheidung, diedutreffenkönntest. DugäbestdamitdeinLebenauf! SolangeduindenKlauendeinesClansbist, istdeinWegvorgezeichnet: DuwirstbiszudeinemLebensendetiefunglücklichundunausgefülltsein. DuwirstdichtagtäglichindenErdbodenlangweilenundirgendwannwiederindenArmenirgendeinesadeligenLangeweilerslanden. Lena, ichbittedich, duhastnurdieseseineLeben!«
»Claudio.« IchlegtemeineHandaufseine. »WennichetwasausderBeziehungmitAlexandergelernthabe, dann, dassichfürdieEhenichtgeschaffenbin. IchbrauchedieseArtvonNähenicht.«
»DasistdochQuatsch. ErwareinfachnurdervölligfalscheMenschfürdich. DubistkeinesdieserdekorativenPüppchen, derenLebenmitdreiKosmetikterminenundzweiCharity-EventsdieWocheausgefülltist. AbergenausoeineFraubrauchtAlexander.«
»Nun, diehatermitSofianunauchbekommen.«
Ichsahzu, wieClaudiomiteinemUra-Makikämpfte. SchließlichschoberesganzindenMundundwarersteinmalmitKauenbeschäftigt, währendichnacheinemunverfänglichenGesprächsthemasuchte. Wennichnichtrascheingriff, würdeernurnochtieferschürfen.
»DeinneuesFilmprojekt –«
»Dusolltestüber –«
Wirsprachenbeidegleichzeitig, brachenbeideabruptabundsahenunsan. IchwolltegeradevonNeuembeginnen, aberClaudiowarschneller.
»Dusolltestdarübernachdenken, obdudeinePräferenzennichtendlichauslebst. DasLebenistzukurz, umsichzuverbiegen, undichfragemich, wasdueigentlichzuverlierenhast. UmdieLiebedeinerFamiliekannesjawohlkaumgehen, mankannbekanntlichnichtsverlieren, wasmanniehatte. Abgesehendavon, bistdueineerwachseneFrau.«
InmirwurdealleszuEis. IchlegtedieStäbchenzurSeiteundstarrteaufmeinletztesMaki, alswäreeseineGiftspinne, diemichgleichanspringenwürde. Kurzwarichversucht, einfachaufzustehenundzugehen. Dannwurdemirwiederbewusst, dassesClaudiowar, dermirgegenübersaß, derMensch, dermiramnächstenstand. Ichatmetetiefdurch.
»Duübertreibst. MeineFamiliehatzwardieHerzlichkeitnichtfürsichgepachtet, aberletztendlichhaltenwirzusammen.«
Eswarbesser, sichaufdieFamiliezukonzentrieren, alsdenerstenTeilseinerkleinenAnsprachezuvertiefen.
»Istdasso?« ClaudiotupftesichdieLippenmitderServietteab. »BisherhatteicheherdenEindruck, duwirstdeinenRufalsschwarzesSchafnichtlos.«
»Dasistlangeher.« IchrangmireinLächelnab. »IchwarzwareinrebellischerTeenager, abermittlerweilehabensichsämtlicheWogengeglättet. Desiree, meineSchwägerin, hatmichvorKurzemsogargefragt, obichPatentantewerdenwill.«
DieFraumeineszweiJahreälterenBrudersHeinrichwarimsiebtenMonatschwanger, derNachwuchswurdefürAnfangFebruarerwartet.
»WolltestdunichtausderKircheaustreten, jetzt, wodugeschiedenbist? DuhastmitdiesemVereinnichtsamHut, hastdumirbeiunseremletztenTreffenerklärt.«
»Ichhabemichjaauchnochnichtentschieden.«
DassichdenAustritthinauszögerte, hattezwarwenigermitmeinemZweifelbezüglichderKirche, alsmitmeinerkatholischenFamilieunddemMuseumzutun, dochwennichClaudiodassagte, gossichnurÖlinsFeuer.
DieBedienungkamunderkundigtesich, obwirdieDessertkartewünschten. StattdessenzahltenwirundzogenunsinmeineWohnungzurück, eheClaudioineinerBarwomöglicherkanntwurdeundsichüberenthusiastischerFansodersogarderPresseerwehrenmusste. UnserZusammenseinwarprivatundsollteesauchbleiben.
WirverbrachteneinenentspanntenNachmittagaufmeinemSofaundmitvorsorglichgekühltemMoët & Chandon. InmeinerEhemitAlexanderhatteichgelernt, stetsfürfeierlicheAnlässeundBesuchegerüstetzusein. NachdemwirmeinLebenbereitsimRestaurantdurchgekauthatten, überließichesnunClaudio, vonsichzuerzählen. VoneinemerfolgreichenRegisseurgabessicherlichohnehinmehrzuberichten.
DabeihatteerzuSchulzeitenalsComputerbraingegolten. DasRechenzentrumvonSchlossNippewargutausgestattetgewesen, frühhattedortdasdamalsnochziemlichneueInternetEinzuggehalten. Ichhattemichniesonderlichdafürinteressiert, aberClaudiogründetemiteinpaarJungseineArtexklusivenNerdclubundverbrachteStundenamRechner. Damalshattenalledamitgerechnet, dassClaudionachdemAbiturInformatikstudierenwürde.
UmsogrößerwardieallgemeineÜberraschung, alsersichinBerlinaufderFilm- undFernsehakademiebewarbundpromptaufgenommenwurde. ZwarhatteerindenletztenSchuljahrenmitBravourdieTheatergruppegeleitetundmitseinemunkonventionellenUmgangmitGoethe, SchilleroderShakespearefürKontroversengesorgt, dochniemandhattejemalsgeglaubt, dasserdieDarstellereialsberuflicheLaufbahneinschlagenwürde.
BereitsinseinerAusbildungweckteerdasInteressevonLeutenausderFilmwirtschaft, gewannmitKurzfilmenersteNachwuchspreise. ErnanntesichnunLePré, weilerseinenGeburtsnamenHasenzaglfürnichtkarrieretauglichhielt.
AlsfrischgebackenerAbsolventbekamerdannrechtzügigdieGelegenheit, seinKönnenunterBeweiszustellen, unddasfürdie457. FolgeeineretabliertenKrimireihe, dieseitJahrenihreZuschauerandenVormitternachtsschlafverlor. ClaudioshippeInszenierungeinesNullachtfünfzehn-EifersuchtsmordesverhalfdemSenderzueinemQuotenhochundihmselbstzuweiterenprestigeträchtigenProjekten. MitnichtmalsechsundzwanzigJahrenwarClaudioplötzlichdasWunderkindderdeutschenFilmbranche. EsmangeltenichtanAufträgen, underhätteinDeutschlandfortaneinziemlichkomfortablesLebenhabenkönnen.
DochkurzvorseinemsiebenundzwanzigstenGeburtstagkehrtemeinFreundEuropadenRückenundbeganninKalifornieneinenNeustart: miteinemAufbaulehrganganeinerrenommiertenFilmakademie, mitkleinerenProjekten, gefolgtvonArbeitenfüreinenFernsehsender. VorknappvierJahrenkamdannderDurchbruch. CrazyCruisingzogdieZuschauerindenUSAinMassenindieKinos, undauchinEuropaundeinigenasiatischenLändernwarderFilmeinvollerErfolg. EinJahrspäterspielteeinFolgestreifenebenfallsMillionenein. SeinbishergrößterErfolgjedochwarjenerFilm, indemeinMannimfestenGlauben, nurnochwenigeMonatezulebenzuhaben, allesnachholte, waserimbisherigenLebenversäumthatte – unddabeieinigenaltenundneuenWeggenossenungeniertdieMeinunggeigte.
IchbewunderteClaudio. AberichmochteseineFilmenicht. Daswussteerundakzeptiertees. EswarenkeineSpielfilme, sondernimGrundeinszenierteDoku-Dramen, diesichhaarscharfamethischenAbgrundentlangbewegten, weilnichtsahnendeMenschendabeiunbarmherzigvorgeführtwurden.
ClaudioundichhattendarüberlangeDebattengeführt, aberniezueinemKonsensgefunden. Wasfürihnkünstlerischundvertretbarwar, bliebfürmicheinschonungsloser, dieureigenstenPersönlichkeitsrechteverletzenderÜbergriff, dereinzigundalleindazudiente, ungebildeteMassenàlaDschungelcampundFrauentauschzuunterhalten. DassClaudiowegenseinesdynamischenSchnittsauchnochPreisebekamundvonIntellektuellenausallenLändernindenHimmelgehobenwurde, leuchtetemirnichtein.
TrotzdemhieltichihnfüreinGenie. Erwardergenialste, vielseitigsteundklügsteMensch, denichkannte. AlexanderhattemirmanchmalimScherzvorgeworfen, ichhätteeigentlichClaudioheiratensollen, nichtihn. IchhattedasstetsmiteinemLachenabgetan, dochimGrundelagerdamitgarnichtverkehrt. IchliebteClaudioundhättemireinLebenanseinerSeitedurchausvorstellenkönnen, wennesfürihnebenfallsdenkbargewesenwäre. Dassersexuellandersorientiertwar, hättefürmichkeinHindernisbedeutet. WiesichindenvergangenenJahrenherausgestellthatte, kamichauchohneSexganzgutzurecht.
ClaudioallerdingswarimGrundeseinesHerzenseinEinzelgängerundaufseineFilmprojektefixiert. MittlerweilenutzteerbeinahealleSociety-Events, diesichinderBrancheboten, umKontaktezumachen. DasserjedesMalschnellstmöglichgalantdurchdenHinterausgangverschwand, schienkaumjemandemaufzufallen. ClaudioliebteseineWohnung – aktuelleinLoftimZentrumvonL.A. – undteiltesiemitkeinem. FürihngabesnichtsSchlimmeresalsdieVorstellung, nachHausezukommenunderwartetzuwerden. FolglichwarenseineBeziehungen – wenndieserAusdrucküberhauptpasste – nurvonkurzerDauer.
AndiesemNachmittagaufmeinerCoucherzählteermirvoneinemRegieassistentennamensPedro, derihnaktuellglücklichmachte, schobabersogleichnach: »Dasistnichtsfürimmer; deristerstdreiundzwanzig, derwillnochmehrvomLeben.«
»Dumeinst, erwillsichnochsexuellausleben?«
»Bestimmt.« Claudiogrinste, wurdedannaberernst. »Ichfühlemichalt. Älter, alsdudirvorstellenkannst.«
»VielleichtistesdochanderZeitfüreinefesteBeziehung?«
»Ichbinnichtwiedu.« ErverzogdenMund, dochdasangedeuteteLächelnerreichteseineAugennicht. »Ichkanndasnicht, undichwillesnicht. MeinLebenisterfülltgenug.«
»Meinesauch.«
»Nein«, widerspracher. »DubisteinBeziehungstyp.«
WirsteuertenunweigerlichwiederaufdasThemazu, dasmirschonimLokalBauchwehbescherthatte.
»JetztkommterstmaldasJahresende«, sagteichleichthin. »Danachsehenwirweiter.« Ichwürdeihnohnehinnichtüberzeugen.
»Ja. Danachsehenwirweiter.« SeineStimmeklangnachdenklich, ersahmichlangean. »WasmachstduanWeihnachten?«, erkundigteersichschließlich.
»ZumeinerFamiliefahren.« Ichwusste, dasserdasnichtverstehenwürde. DasZuckenseinesrechtenAugenlidsbestätigtees. »Esseidenn, duhastspontanZeitfürmich. DannbucheichsoforteinenFlugundverbringeWeihnachtenmitdirunterPalmen.«
»Prinzessin, damussichdichenttäuschen. IchbinvondenZehenspitzenbiszumScheitelmitArbeitundTermineneingedeckt. AußerdemkommtmeineMutter.«
DassdieseinWiderspruchinsichwar, fielihmanscheinendnichtauf. MirversetztenseineWorteeinenleichtenStich. Irmgardundichkanntenuns. KonntenwirdasFestnichtzudrittverbringen?
»Wieschön«, hörteichmichdennochsagen.
»WirkönntenSilvestermiteinanderverbringen«, schlugerunerwartetvor. »EntwederwerdeichaufdieserFilmpartyamBroadwayTheaterseinoderaufeinerYachtvorKeyWest. SiegehörteinemProduzentenpaar. CooleTypen! DiehättensicherkeinProblemdamit, wennichjemandenmitbringe; dawerdensowiesoumdiezwanzig, fünfundzwanzigLeuteanBordsein.«
KurzsahichmichtatsächlichanClaudiosSeiteimelegantenCocktailkleiddurcheinenTheatersaalschwebenoderaufeinemPartybootmiteinerHordegutaussehenderundinteressanterschwulerMännerdieHüftenschwingen, einenDrinkinderHand. DannschüttelteichheftigdenKopf, weilmirzweiDingeklarwurden. Erstens: Ichhattebereitsetwasvor. Zweitens: Wasermirdaanbot, warvölligabsurdundeigentlicheineweitereKränkung.
»Danke, aberdabinichmitJoaufFuerteventura«, erwiderteichundbemühtemich, mirmeineEnttäuschungnichtanmerkenzulassen. »Außerdemistesunmöglich, soknappvorSilvestereinenFlugzuergattern – obnunnachNewYorkoderMiami, wasauchimmerduspontanentscheidenwürdest.«
EinenAugenblicklangwirkteerbeinaheverlegen. Ermerkte, dassichihndurchschauthatte.
»Immerhinhabenwirunsheutegesehen. Ichbinfürdichda, wannimmerdumichbrauchst.«
»Ja. Danke.«
Mehrwussteichnichtdazuzusagen. DasHochgefühl, dasmichbeiClaudiosAnkunfterfüllthatte, warverflogen. IchhatteseineverstohlenenBlickeaufdieUhrbemerkt, dieUngeduld, dievonihmBesitzergriff, undauchdieTatsache, dasserinAbschiedsformelnsprach. Erwürdenichtbleiben.
»Hej, Prinzessin. MachnichtsoeinGesicht. Ichkommewieder.«
ErhobmeinKinnmitbeidenZeigefingernundlächeltemichan. SeinebraunenAugenschimmertenimLichtderStehlampe, diemeinWohnzimmeringemütlichesDämmerlichttauchte.
»Nurwanndukommst, istdieFrage.« IchsahzurSeite.
Wirerhobenunsgleichzeitig. IchbegleiteteihnindenVorraumundsahdabeizu, wieerinseinenschwarzenParkaschlüpfteunddieBallonmützeaufsetzte. MiteinemMalfühltemichgenausowievoreinpaarStunden, alssichAlexanderundSofiavordemGerichtsgebäudeküssten.
EineungewohnteWogeanEmotionalitätflutetemeinenKörper. Ichfühlte, wiemirTränenindieAugenstiegen, undpresstedieLippenaufeinander. HastigwischteichmirüberdieWangeundhoffte, dassClaudionichtsmerkte. Vergebens.
Erwargeradedabeigewesen, seineSchnürstiefelzubinden, richtetesichnunaberaufundzogmichansich. IchvergrubmeinGesichtinseinemWollschalundschniefte. EswürdenWochenodergarMonatevergehen, bisdahinsahichihnnurdannundwannüberSkype. ObwohlermichindenArmenhielt, fehlteermirschonjetzt.
IrgendwannhatteichmichwiederimGriff. MitgerötetenAugenlösteichmichausderUmarmung.
»Ichweiß. Ichbindumm«, sagteichmitverlegenemLächeln.
Erbliebernst. »Dubisteinsam. Dagegensolltenwiretwasunternehmen, Prinzessin.«
SofortwarichinAlarmbereitschaft. IchtratzweiSchrittezurück.
»Unterstehdich!«
ErhobbeschwichtigenddieHände. »Allesgut. IchwerdekeinenVersuchmachen, dichzuverkuppeln. Versprochen!«
DannfieldieTürhinterihminsSchloss.
Jo
MeinFliegerlandeteumkurznachzwölfUhrOrtszeitamFlughafenvonPuertodelRosario, HauptstadtderkanarischenInsel, aufdiemichJomitzweifelhaftenVersprechungen – Ruhe, Erholung, Natur – gelockthatte. FuerteventurawarnichtmeineIdeegewesenundichwusstenochimmernichtrecht, wasichindieserkargenVulkanlandschafteineWochelangtunsollte, dochinersterLiniewaricheinfachfroh, demnebelverhangenen, kaltenMitteleuropadenRückenzukehren. JowürdeerstamfrühenAbendvonHeathrowauseintreffen. AlsonahmichdenMietwageninEmpfangundwarknappvierzigMinutenspäterinunseremHotelinCorralejo, einemOrtanderNordküste.
IchbezogmeinZimmer, packteaus. VomFensteraushatteichdirektenBlickaufdasschäumendeMeer. ImVorgartendesHotelsbogensichdiePalmenimWind. TrotzdemwareneinigeLiegebettenamStrandbesetzt. MirstacheineFrauimbunten, kimonoähnlichenStrandkleidinsAuge. SiestandaufeinemderHolzstege, dieüberdengoldenenSandinRichtungMeerführten. Ihrlanges, schwarzesHaarwehte.
EinMädchenineinemPark. Dasdichte, schwarzglänzendeHaarvomWindzerzaust, denBlickindieFernegerichtet, denKopfvollerSorgen.
DieErinnerungüberkammichsounerwartetundheftig, dassichtaumelte. FüreinenMomentstützteichmichamFensterab. MeineHandhinterließeinenhässlichenAbdruckaufderScheibe.
WieausdemNichtstauchtenuneinMannaufundsprachdieFrauaufdemStegan. Siedrehtesichum, hatteeinLächelnimGesicht. Diebeidenküsstensich.
UndichlandetewiederimHierundJetzt.
Atmetetiefdurch.
IchdurftedenGeisternderVergangenheitkeinenRaumgeben. SeitmeinerScheidungschlichensiesichwiederöfterinmeineGedanken.
AblenkungwardasbesteMitteldagegen. EiligzogichmeineSportkleidungunddieLaufschuhean. WenigspäterjoggteichdenStrandentlang, genaudort, wodasWasserdenSandgeradenichterreichteundderBodennocheinigermaßenhartwar. Eswardennochanstrengenderalserwartet. Trotzdemliefichweiter, wasichauchsonsthättetunsollen. ZeitohneVorgabenkonnteichnichtgutaushalten. MeineInternatszeithattemichdastarkgeprägt. UnsereTagewarensehrstrukturiertgewesen: Aufstehenum6.30Uhr, Frühstückum7Uhr, Unterrichtsbeginnum7.30Uhr. Um12.30UhrgabesMittagessen, um14UhrbeganndieStudierstunde. Ab16.30UhrfandendieSportkurseundsonstigenAktivitätenwieChorsingen, Musizieren, TheatergruppeoderderFotokursstatt. Von18Uhrbis19UhrhattenwirZeitfürunsselbst. Diemeistenvonunswarendannmeistschonzuerschöpft, umsieanderszunutzen, alsaufdenBetten, oder, wennesdasWetterzuließ, imParkherumzuliegen. Ab21.30UhrherrschtestrengeBettruhe. NuramWochenendegingesetwasentspannterzu.
SchlossNippehattezudieserZeiteinhundertachtzigSchülerinnenundSchülerausdreiundzwanzigNationen. EinDritteldavonwarenDeutsche, eineweiteregroßeGruppewarausAmerika, teilweisemitweitzurückreichendendeutschenWurzeln, dannfolgtenzahlenmäßigBriten, Spanier, ChinesenundSüdkoreaner. UnterrichtetwurdeinEnglisch; fürmichkeinProblem, ichkannteesnichtanders.
EsgabeinenJungen- undeinenMädchentrakt. AuchwennwirindenKursenundbeidenaußerschulischenAktivitätenzusammenwaren, galteinstriktesVerbotgegenseitigerBesucheindenZimmern. NichteinmaldieKollegstufe, aufdervielebereitsdieVolljährigkeiterreichthatten, wardavonausgenommen.
IchteiltemeinZimmermiteinerdeutschenUnternehmertochternamensAstrid, zuderichniewirklichZugangfand. Siewaralles, wasichnichtwar: diszipliniert, ehrgeizigundzielstrebig. WährendsichAstridinunsererknappbemessenenFreizeitindeutscheLiteraturklassikervertiefteoderineinemderMusikzimmerCelloübte, saßichmissmutigaufdemBettundstopfteChipsundSchokoriegelinmichhinein, weilesleichterwar, anEssbareszukommenalsanZigaretten. InderKollegstufegabeszweiTypen, diezuüberteuertenPreisenMarlboroundLuckyStrikeverkauften – undnochsoeinigesmehr, dasmichabernichtinteressierte. Manchanderedagegenschon. IchbekambaldeinenBlickdafür, wersichdiesebuntenEcstasy-TabletteneinwarfoderregelmäßigKokainschnupfte.
IchhassteSport, derhiersogroßgeschriebenwurde, underfandalleerdenklichenAusreden, ummichvordemSchwimmunterricht, demLeichtathletik-TrainingundsämtlichenBallspielenzudrücken. KreislaufzusammenbrücheundVerstauchungenzusimulieren, fielmirleicht. NuramReitunterricht, deneinmitdemInternatkooperierenderHofindernächstenOrtschaftanbot, fandichGefallen. EinmaldieWochedurfteichmichindenSattelschwingen. Eswarwenig, aberbesseralsnichts. WennichbeidenPferdenseindurfte, fühlteichmichnichtmehrganzsoeinsam.
NatürlichknüpfteichaufSchlossNippeFreundschaften – dieseArtvonFreundschaften, diesichergaben, weilmandenselbenKursbesuchteoderzueinerGruppenarbeitverdonnertwurde. DocheinenechtenZugangzumeinenMitschülernbekamichnie. DiemeistenwarenwieAstrid: zielstrebig, wettbewerbsorientiertundsichvollkommendarüberbewusst, einerelitärenSchichtanzugehören.
LediglichzuClaudiohatteicheinengeresVerhältnis. IchließmichvonihmzumFotokursundzurTheatergruppeüberreden. WederimUmgangmitderanalogenSpiegelreflexkameranochaufderBühnebewiesichTalent. Aberichmochtees, ZeitmitClaudiozuverbringen. Erwarwitzig, brachteunsbeiProjektarbeitenauftolleIdeenundfandinnovativeLösungenfürProbleme, mitdenensichsonstniemandauseinandersetzenwollte.
BaldgaltenwiralsPaar. EinigemachtenanzüglicheWitzeoderschmiertendieTafelmitunserenNamenundHerzchenvoll, wennkeinLehrerinderKlassewar. WirverzichtetenaufeineKlarstellung. EineWeiledachteichtatsächlich, ichseiinihnverliebt, undstelltemirvor, wieeswäre, ihnzuküssen. DochdieVorstellung, dasssichunsereZungenberührten, riefinmirnichtsalsEkelhervor.
IndiesenerstenMonatenimInternatwarClaudiomeineeinzigeBezugsperson. IchwarunglücklichundhasstedieWelt. Underschienintuitivzuspüren, wasinmirvorging, undwarimmerda, wennichinmeinempersönlichenUnglückzuversinkendrohte.
AndieseharteZeitaufSchlossNippedachteichzurück, alsichmichjetzt – frischgeduschtundmiteinerluftigenSommerhoseundPolo-Shirtbekleidet – aufdenWegzuJosZimmermachte.
Ichhattekaumgeklopft, dawurdedieTüreauchschonaufgerissen. Joshochgewachsene, hagereGestaltzeichnetesichdunkelimRahmenab, währenddasZimmerhinterihrvomLichteineskleinenLusterserfülltwurde.
»Lena!«
WirumarmtenunskurzundichkonnteJosschweresParfumriechen, daskaumzueinerFraupasste, dienureinJahrälterwaralsich. DanntratJozurSeiteundließmichhinein.
SiehatteeinekleineSuitegebucht, bestehendausWohn- undSchlafraum. IhreKofferstandennochunangetastetimschmalenDurchgangzumSchlafzimmer. Einschwarz-weißkarierterTweedmantellagachtlosüberdieLehnedesPolsterstuhlsgeworfen.
»Tutmirleid. Ichhättedicherstauspackenundankommenlassensollen.«
Siewinkteab. »Unsinn. Ichfreumich, dassdudabist. – LustaufeinenDrink? DieMinibaristrechtausgestattet.«
EswartypischfürJo, dasssiedasbereitsherausgefundenhatte.
»WiehastdudieAnreiseindiesemDingnurausgehalten?«, erkundigteichmichmiteinemBlickaufdenMantelüberdemStuhl, währendJobereitseinKognak-FläschchenaufzweiGläseraufteilte. »InderSonnehatteesknappüberzwanzigGrad!«
»IchbatdenTaxifahrer, dieKlimaanlageherunterzudrehen«, erwidertesieunbeeindruckt. »Vermutlichhieltermichfürverrückt, aberdamitkannichleben. Ichhoffenur, erbekommtkeinenSchnupfen!«
Wirstießenan. DerKognakhatteeineleichtholzigeNoteundhinterließeinenungewohntrauchigenGeschmack.
»Hm … gehtso«, kommentierteJo, diemitKognakgewissmehrErfahrunghattealsich. SiestellteihrGlasaufdengrazilenCouchtischundmustertemichvonuntenbisoben.
»DieScheidungschmeicheltdir. UndderneueHaarschnittauch. Werhättegedacht, dassdirkurzeHaaresogutstehen?«
»DieFriseurin«, antworteteichtrocken, undwirlachtenbeide.
Vordemanstrengenden, deprimierendenundvorallemdesillusionierendenWeihnachtsfestimFamilienkreishatteichmichineinemAnflugplötzlicherKühnheitvonmeinemlangenHaargetrennt. NacheinerunendlichenAbfolgevonShamponaden, KopfmassagenundPflegekurensowieeinerzwanzigminütigenSchnippeleisahichimgroßenSpiegelvormireineFrau, dieaussah, alshättesiedenTagaufeinemSurfbrettanderaustralischenKüsteverbracht. DieFriseurin, diesichlautVisitenkarteStylistinnannte, hattemeinevergessenenLockenzumLebenerweckt. InsgesamtwirktemeinHaardankdesStufenschnittsimNackenvollerunddurchdenWegfallderausgebleichtenSträhnenaucheinpaarNuancendunkler.
WährendichmichselbstrelativschnellanmeinneuesAussehengewöhnthatteundmichüberdieZeitersparnisbeiderMorgentoilettefreute, nörgeltenMutterundmeineältereSchwesterHedwigdiegesamtenFeiertageherum. DieneueFrisurlassemichunweiblichwirken, lautetederHauptvorwurf, undichseizudemnochvielzujungdafür. Ichließsiereden, weilichwusste, dasskeinArgumentderWeltsievonihremUrteilabgebrachthätte.
DassJomeinneuesErscheinungsbildgefiel, fühltesichdawieeinekleineStreicheleinheitan. ImUnterschiedzumirhattesiesichkaumverändert. ImGroßenundGanzensahsienochimmerauswiedasMädchen, mitdemichmichimReitstallangefreundethatte.
DamalswarsienurnochdünnergewesenundhattekaumBusen, dafüraberAkne. InihrenausgewaschenenReithosen, mitSchlammspritzernüberzogenenLederstiefelnundnachnassemHundriechendenWollpulliswäresieproblemlosalsPferdepflegerinundStallhilfskraftdurchgegangen – bissiedenMundauftat. DennihreAusspracheunddiegestelzteBetonungentlarvtesiealsdas, wassiewar: einMitgliedderbritischenUpperclass.
AußerdemReitenverbandunskeineaußerschulischeAktivität. SiewareineKlasseweiteralsichunderschienmirimmerunnahbarundarrogant, weshalbichniedasGesprächmitihrgesuchthatte.
NatürlichkannteichihrenvollenNamen: ElizabethJoanneCatherineHoundsville-Montgomery. AngeblichwarsieüberEckenmitdemenglischenKönigshausverwandt.
Ihrfielauf, dassichnichtwusste, wiemaneinPferdsattelt – wassierestlosamüsierteundmichnochmehrinRageversetzte. ImmerhinkamsiemirzurHilfe, undnachdemwirunseineWeileangezickthatten, wurdenwirFreundinnen. Abgesehendavon, dasssieweitmehrvonPferdenverstandalsichundselbstvordenbreitestenundhöchstenOxernnichtzurückschreckte, wussteJo, woundwiesieandiegünstigstenZigarettenkam. DerReitlehrerversorgtesieregelmäßigmitNachschub, wovoninFolgeauchichprofitierte.
FastzwanzigJahrespäterrauchtesienochimmer. IhreunreineHautgehörteallerdingsderVergangenheitan. JowarnachwievorkeineSchönheit, hattesichaberineinegepflegteFrauverwandelt, dieGoldschmuckliebteunddie, wennsienichtgeradeinReithosenmitspeckigemLederbesatzsteckte, gerneteureKleidungtrug – aktuelleingeblümtesKleidausderKollektioneinesaufstrebendenbritischenDesigners, vondessenTalentsieschwärmte, dermeinenGeschmackabersowenigtrafwieihrParfum.
ZweiStundenspäterhattesieihrBlümchenkleidgegeneinenelegantenJumpsuitunddiePerlohrringegegenauffälligeKreoleneingetauscht. IchtrugnochimmermeinebeigeHoseunddasPolohemdundkammirnebenihrbeinahevorwieAschenputtel. WirsaßenamFensterdesHotelrestaurantsmitBlick