Gaia Nova - Mächte des Chaos - Aina Koregard - E-Book

Gaia Nova - Mächte des Chaos E-Book

Aina Koregard

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Beschreibung

GAIA NOVA Band 2: Mächte des Chaos ER und sein Team entlarven die Machenschaften des Externen. In GAIA Nova entstehen Grenzen durch eine brutale Eroberungs- und Besiedlungswelle aus Übersee. Ein neuer Glaube wird durch Zwangsmissionierungen etabliert. Es kommt zu Kriegen. Die Industrialisierung nimmt zusehends Fahrt auf, Bauern kämpfen ums Überleben. Geld statt Glaube beherrscht die Politik. Kriege um Rohstoffe, Müllberge und eine Brathähnchen-Formel bringen viele Menschen zum Nachdenken. KI wird zur neuen Kollegin. Nachdenkliches, Zeitgeistliches, Vielschichtiges, Spannendes, gewürzt mit einer Prise Humor.

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www.ainakoregard.de

Ich danke der Förderung durch die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), von NEUSTART KULTUR und die VG WORT. Die Veröffentlichung des gesamten dreibändigen Werks GAIA NOVA konnte mithilfe des Stipendiums der VG WORT im Rahmen von NEUSTART KULTUR gelingen.

Für unsere Kinder und die nächsten sieben Generationen.

Inhaltsverzeichnis

4. Stunde

Strategi

Kappen mit Feuerwaffen

Geistesgift

Drachenflüsterer

5. Stunde

Spinning Jenny

Rauchende Schornsteine

Waffenkönige

Atommüll leuchtet nachts

6. Stunde

Algorithmen lernen laufen

Schock

Jahrhundertgroll

Dunkelste Stunde

Teufelskreislauf

Höhlengräber

7. Stunde

Müll

Öffentliche Entschuldigung

Brathähnchen-Formel

8. Stunde

Brizzel-Kiosk

Demo für eine saubere Welt

4. Stunde

Er wachte vor dem Weckerklingeln auf. Den feinen Sand in seinem Bett bemerkte er nicht, so wütend war er.

„Scheiße, scheiße, scheiße und nochmal scheiße. Hätte ich ihn doch nur vom Berg gestoßen. Er wird Unheil über Gaia Nova bringen! Ich weiß es ganz genau. Ich weiß es einfach. So ein Mist.“

Nutzte nix. Es war im Grunde ein Segen, dass Chrischi ihn davor bewahrt hatte, ein Unrecht zu begehen, auch, wenn er vielleicht viele vor Unglück bewahrt hätte. Auf diese Weise durfte man nicht in die Geschichte eingreifen. Das sagte er sich immer wieder, die ganze Fahrt über, im Büro.

Kringel.

Wenn der Winter lang ist, dann sendet Eiche ein Zeichen, dass es genug ist. Sie spürt ihre Kraft wachsen für einen neuen Zyklus und reckt und streckt alle Äste in alle Richtungen.

„Wie cool, ÖR, dass du es geschafft hast, mich in deinen Traum einzuschleusen! Dann werden wör alle Abenteuer zusammen örleben können! Ich hätte dich tatsächlich auch in öcht abgehalten, ihn von der Klippe zu stoßen. Das ist keine Lösung. Wör werden sehen, wie das weitergeht und wörden das schon wuppen. So, wie wör das hör wuppen werden. Ich habe da ein saugutes Geföhl!“, lachte Chrischi. Er war hörbar aufgeregt. Ös ohne Ende. Woher nahm er nur diese unverwöstliche Zuversicht?

„Auf ein Wort, Team Milon Kultur+“, kam GF in die Tür, dass beide sich erschraken. Alessa schon im Schlepptau. Voller Elan schnappte sich GF einen Stuhl und schwang sich galant auf ihn, als wäre es ein Saloon Hocker. Alle starrten ihn an. So gutgelaunt hatten sie ihn noch nie gesehen. Er war zwar immer gut drauf, aber so gut? Alle sahen ihn mit großen erwartungsvollen Augen an. Selbst Amiga setzte sich neben ihn in die Runde und blickte zu ihm hoch. Wuff.

„Ist ja gut, ich erzähle es schon“, sagte GF. In dem Moment kam eine Mail rein und ER schielte zur Seite, weil er ja eine Antwort von seiner ehemaligen Schulkollegin, Buchhalterin von MAIS Fachim erwartete. Er las nur eine Zeile:

„Bitte ruf mich umgehend an.“

„Die Buchhalterin… Sie wissen schon… Hat sich gemeldet. Es betrifft… Sie wissen schon…“, startete ER eine Erklärung, denn er war neugierig und wollte wissen, was sie zu sagen hatte.

„Das ist das perfekte Timing! Rufen Sie sie sofort an, na klar! Dass sie es Ihnen persönlich sagen möchte, betont die Brisanz! Sehr gut!“, sagte GF und rieb sich die Hände. Der war echt in freudiger Kampfesstimmung. Fehlten allein die farbigen Streifen in seinem Gesicht.

ER rief sie also an. Er hörte zu und sagte kaum ein Wort außer:

„Ja, ja, okay, oh, oh. Ich danke dir. Ich weiß, es ist äußerst brisant.“ Zwinker zu GF. „Oh, ja. Ähnlich wie hier. Unglaublich. Ich weiß, was du riskierst. Ja, danke. Ist gut. Meine private Mail ist [email protected]. Ist besser so, klar. Danke nochmal. Tschüs.“ ER legte auf und atmete tief durch.

„Wör rödet zuörst? Einer muss jetzt anfangen, sonst wörde ich noch ganz beömmelt!“, meinte Chrischi. Knack! Er hatte seinen Bleistift beim Nerven wegkritzeln abgebrochen.

GF begann mit funkelnden Augen:

„Vielleicht sind es ja Informationen, die meine Informationen untermauern. Alle anschnallen, es geht los:

Der Berater, Markus Hammerschmidt, den wir unter Dr. Alexander Schwarzenegger kennengelernt haben, ich nenne ihn nur Berater, arbeitet nicht als unabhängiger selbstständiger Berater und kassiert auf diese Weise sein Geld, sondern er arbeitet insgeheim für kein anderes Megaunternehmen als den Kaiser Konzern!“

GF ließ es wirken. Und wie es wirkte.

„Der Kaiser Konzern, zu dem die Kino-Kette CINE gehört, vertreten in allen Städten Gujalands?“

„Der Kaiser Konzern, zu dem Quicky gehört, die neueste hippe Fastfood-Kette, die von Kappland hier angesiedelt wurde?“

„Der Kaiser Konzern, zu dem die Supermarkt-Kette Shoppogehört, deren Filialen jetzt alles vereinnahmen?“

„Der Online-Versandhandel oneClick gehört doch auch zum Kaiser Konzern. Natürlich von Kappland.“

„Ich habe gehört, dass Bäckerei Korn mit ihren zig Filialen in allen Städten auch zum Kaiser Konzern gehört.“

„So ist es, meine Damen und Herren. So ist es. KulturCafé-CaféKultur wurde vor Kurzem übernommen. Und natürlich HippsterPress. Wen wundert das noch?“, sagte GF und er ergänzte ganz nebenbei:

„Und MAIS.“

Die Bombe war geplatzt.

„Was?“, „Das ist ja unglaublich!“, „Dann ist der Kaiser Konzern unser wahrer Arbeitgeber?“, „Dem gehört ja mittlerweile alles!“, „Das ist gruselig!“

„Ja, das ist wahrlich gruselig. Alles hängt zusammen. Mit sämtlichen Städten wurden Riesen-Konsortien gebildet. Die meisten Zusammenschlüsse wurden und werden von MAIS aus gesteuert. Außer in Milon. Da behauptet sich noch eine gewisse Vielfalt. Eins, zwei Filialen von diesem oder jenem und gut.“

Jetzt war ER an der Reihe:

„An diesem Punkt setze ich ein. Mein Kontakt, deren Name nicht genannt werden will, daher nenne ich sie nur mein Kontakt, hat durchblicken lassen, dass der Berater mit einem Provisionssystem arbeitet und überall Vertrauensleute hat, die wiederum anderen Provisionen versprechen, wenn gewisse Geschäftsabschlüsse in der jeweiligen Stadt zustande kommen. Eine überaus subtile Herangehensweise erkennt man darin, dass sich beispielsweise eine Druckerei dort niederlässt, wo bereits eine andere Druckerei existiert. Genauso bei Bäckereien, Supermärkten, Cafés und so weiter. Ein kleines Unternehmen nach dem anderen wird geschluckt, weil sie gegen die günstigeren Kettenstrukturen auf Dauer nicht existieren können und aufgeben. Mein Kontakt hat in zwei Fällen Schreiben abgefangen, die eindeutig auf Erpressung hindeuten. Dazu die streng geheimen Überweisungen. So erhält das Ganze mafiöse Strukturen. Über ein Nebenkonto im Ausland wurden Gelder gezahlt, die nicht offiziell als Provision abgerechnet wurden. Ihr wisst… Ohne Kommentar“, brachte ER sein neues Wissen ein.

„Du meinst Korruption? Das ist doch Korruption! Bestechung! Ich glaube es einfach nicht! Wo leben wir eigentlich? Ich dachte, wir leben in einem überaus rechtschaffenden Staat!“, sagte Chrischi völlig entrüstet, dass nicht ein einziges Ö auftauchte.

„Nichts mit freier Marktwirtschaft, wenn es solche Machenschaften gibt. Man kann doch an allen zehn Fingern abzählen, auf wen der Kaiser Konzern mit solch einer wirtschaftlichen Macht Druck ausübt. Natürlich die Politik. Jetzt geht mir auch ein Licht auf, weshalb wir in Sachen ‚falsche Subventionen in der Landwirtschaft‘ nicht vorankommen. Wo Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft subventioniert werden und viele kleine Bauernhöfe aufgeben müssen. Da hat der Kaiser Konzern bestimmt auch seine Krallen mit im Spiel, denn Shoppo wirbt vor allem mit seinem billigen Fleisch - Fleisch soll für alle sein! Und Jeder hat ein Recht auf Fleisch. Deren Brötchen schmecken nach nix mehr außer nach Luft und Staub. Es ist so widerwärtig! So widerwärtig!“, sagte Alessa traurig.

„Und in dieses ganze Geklüngel ist der Berater verstrickt. Wir warten auf die Mails, die mein Kontakt mir schickt. Vielleicht hilft uns das weiter, ihn vor Gericht zu zerren!“, sagte ER und blickte Alessa an, die nickte.

„Das Ding ist, dass es schon fast bewundernswert ist, wie der alte Kaiser all dies aufgebaut hat, aus dem Nichts vor nur fünfzig Jahren. Aus einer kleinen Druckerei am Rande von Fachim. Damals gab es noch Bleisatz, man stelle sich das vor! Buchstabe für Buchstabe aus einem Setzkasten zusammengebaut… Chrischi wird wissen, wovon ich rede. Ein Grafiker kam dazu, dann wurden sie zu Werbe-Kaiser, einer der ersten Werbeagenturen des Landes. Dazu gründete der alte Kaiser seinen eigenen Verlag, den Kaiser Verlag. Schließlich entstand MAIS. Von nun an tauchte kein ‚Kaiser‘ mehr in irgendeinem Namen auf“, erklärte GF.

„Das ist äußerst geschickt. So suggerieren sie die Eigenständigkeit all dieser Unternehmen. Sie haben ja auch eigene Geschäftsleitungen, damit keiner weiß, wer wirklich die Fäden in der Hand hält und welche Abgaben an irgendwelche Kaiser-Untergesellschaften gezahlt werden müssen. Markus Hammer-schmidt taucht derzeit nur selten in Fachim auf. Vorher war er in Fröningen und in Hostadt. Er heißt dort immer noch Markus Hammerschmidt. Dort ist Dr. Alexander Schwarzenegger namentlich als dessen Assistent bekannt, über den sämtliche Korrespondenz läuft. Es gibt keine direkten Kontakte mit dem Fake-Doktor. Wie kann man solch ein Doppelspiel in solch einer Position durchhalten? Das kann doch nur eine kranke Person mit Über-Ego. Er ist ein Protzer, ein Wichtigtuer, der nichts tut außer zu schocken, gesteuert und gedeckt von einem mächtigen Moloch. Sicher arbeiten da noch andere außer ihm, um die konzerneigenen Unter-nehmen in allen Städten einzuschleusen und fette Prämien über irgendwelche Hinterkonten abzukassieren. Meinem Kontakt war schon lange unwohl zumute, dass sie diese Transaktionen veranlassen musste. Ihr wurde gedroht, ihr Techtelmechtel mit keinem anderen als mit Markus Hammerschmidt an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie ist nämlich verheiratet mit dem Bürger-meister von Fachim“, meinte ER.

„Ohjö, welche Verströckungen!“, stöhnte Chrischi und fasste sich an den Kopf.

„Mittlerweile gehört der Kaiser Konzern zu den fünf größten multinationalen Konzernen der Welt“, sagte GF und lehnte sich zurück. Er hatte alles gesagt. Fast alles.

Später mehr.

Konzerne hin oder her, Amiga war hungrig vom Zuhören. Zeit für Leckerlis. Das war gute Arbeit.

ER machte pünktlich Feierabend und ging zeitig zu Bett. Pförtner wartete sicher schon:

ER brauchte nicht mal mehr durch die Tür der Besenkammer zu gehen. Er stand einfach drin. Vor Pförtners Schreibtisch.

Pförtner sprach zu ER:

„Trotz Finsternis weißt du, dass du das Seil hältst. Du bist fest verbunden. Das Seil führt dich wieder hinaus und zum Ziel, so du dein Boot richtig lenkst. Vertraue. Höre auf deine innere Stimme.“

Oh, ein vertrauensvolles Du, was ER schmeichelte. Er wollte es aber beim respektvollen Sie seinem Lehrer gegenüber belassen.

Pförtner schien es als neuen Belustigungssport zu sehen, ER in einen verwirrten Zustand zu versetzen.

Pförtner half seinem Schüler auf die Sprünge und reichte ihm das Ende eines dicken Taus. Das andere Ende hielt Pförtner fest, ging damit aus dem Raum und rief:

„Auch, wenn du mich nicht siehst, sind wir trotzdem verbunden. Das Seil ist ein dickes Seil, weil…?“

ER verrollte etwas die Augen, okay, er kapierte es:

„Weil das Vertrauen groß ist.“

„Sehr gut. Was bedeutet es, wenn es nur ein dünner Bindfaden ist?“

„Je nachdem, wie lang der Faden ist, würde er schneller reißen. Er ist angreifbarer. Es sei denn, es ist ein extrastarker Faden aus Polyester.“

„Den würde ein anderer auch schnell kappen können, besonders bei großer Länge. Zu viele Angriffsmöglichkeiten. Richtig. Besser kurze starke Leine. Lange dünne Leine nur, wenn keine Gefahr droht oder sie von anderen nicht gesehen werden kann“, lächelte Pförtner.

„Wenn keine Gefahr droht, brauche ich gar keine Leine“, sagte ER etwas bockig. Wie schaffte Pförtner es nur immer wieder, ihn in ein bis zwei Sätzen in einen kleinen Jungen zu verwandeln?

„Kommt darauf an, wo du bist. In einem Labyrinth kann es überlebenswichtig sein“, sagte Pförtner jetzt ernst. Das war sicher auch ein Hinweis, für den Fall der Fälle.

„Ja, ich verstehe. Starkes Vertrauen, egal, wo ich mich aufhalte. Auf Skipper vertraue ich sowieso. Da brauche ich gar nicht nachzudenken“, sagte ER und nickte Skipper zu. Irgendetwas war anders an ihm oder hatte er schon immer einen roten Bart?

„Immer einmal wieder ins Bewusstsein rufen, bis es im Unterbewusstsein verankert ist. Das ist die Übung für die 4. Stunde. Die Losung lautet also:

Zu kennen das Seil im Auge des Sturms.“

Dann überlegte er kurz und formulierte sehr deutlich, als hätte er diese Worte noch nie gebraucht:

„Mast und Schotbruch.“

Pförtner tockte viermal mit seinem Gehstock auf den Boden als Zeichen, dass für ihn die Begrüßung beendet war. Dieses Mal hatte er einen feinversilberten Drachenkopf-Winkelgriff.

Skipper rief ihn vom Hubschrauber-Boot:

„Dann lass uns einschiffen. Mit voller Kraft voraus ins Auge des Sturms. Halte das Seil gut fest. So stabilisierst du das Boot.“

ER griff nach dem Seil, das vor seinem Sitz auf dem Boden lag. Da lag also doch ein echtes Seil. Er hatte gedacht… Egal.

Als er aufsah, befanden sie sich über einem Wald. Die Luft schien recht feucht und die Sicht nur kurz zu sein. Dennoch konnte ER erkennen, dass sie wohl östlich über das Nordgebirge fuhren. Er hielt das Seil fest, obgleich hier wohl weit und breit kein Sturm zu erwarten war. Allerdings war bei schlechter Sicht ein Seil auch von Vorteil.

Sie machten hinter einem Bergrücken fest und gingen ein paar Schritte durch den Buchenwald hoch. Feuergeruch vermischte sich mit der nieseligen Morgenluft. Oben war es angenehmer.

Der Gipfel war baumfrei und hatte einen Steinkreis mit sieben Steinen. Sieben große Felsbrocken unterschiedlichster Gattung. Dieser Kreis war umgrenzt von vier noch größeren aufrechtstehenden Menhiren, die nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren und so weit außen standen, dass er sie zuerst gar nicht als dazugehörig wahrgenommen hatte.

Sehr kraftvoll. Wieder ein heiliger Ort.

ER hatte völlig vergessen, Geschenke mitzubringen.

„Irgendetwas findet sich immer, was man als Geschenk bei sich trägt“, sagte Skipper.

ER fuchtelte in seinen Taschen. Leer. Er zuckte seine Schultern. Skipper zog sich ein Barthaar mit einem raschen Ruck heraus und legte es vor den Stein des Nordens.

ER hatte keinen wirklichen Bart, fuhr sich also durch seine spärlichen Haare und hatte auch prompt ein feines Haar zwischen den Fingern. Elf große Felsbrocken. Wohin mit dem Geschenk?

„Wieso hast du diesen Stein ausgewählt?“, fragte ER.

„Er steht für den Norden. Der Nordstern ist ein himmlischer Orientierungspunkt. Alle anderen Sterne drehen sich scheinbar um die Erde, nur er bleibt stoisch an einer Stelle stehen. Liegt rein zufällig genau auf der Verlängerung der Erdachse. Perfekt“, schwärmte der Seefahrer.

Okay, aber ER wollte etwas anderes finden. Also sah er sich die Felsbrocken genauer an. Ihre Größe, ihre Formen, ihre Farben, ihre Lage. Er beging den Steinkreis. Vor dem roten Sandstein kam ihm endlich die Erkenntnis:

„Es ist Gaia Nova! Stell dir vor, es sind alles Originalbrocken von den sieben Hauptgebirgen!“

Skipper zwinkerte:

„Ach, was du nicht sagst!“

„Hier der bemooste Stein ist vom hiesigen Nordgebirge, im Osten zunächst das Feuergebirge mit diesem großen Lavastein, dieser hellgraue ist sicher vom Eisgebirge und dieses runde bemooste und bewachsene Exemplar ist ganz bestimmt vom Turmwald-Labyrinth. Daran wachsen sogar kleine Bäumchen. Der rote Sandstein mit seiner flachen Oberseite ist natürlich vom Roten Berg, dieser zackige vom Faltengebirge und dieses große halbrunde Bruchstück stellt die Verbindung zur Caldera her. Oh!“, rief er erschrocken, denn er stand im Wasser.

„Nein, das ist ja unfassbar! Hier fließt ja sogar etwas Wasser. Hier ist eine kleine Quelle! Das Wasser kommt direkt unter dem Felsen des Nordgebirges hervor und fließt in seinen typischen schlangenartigen Windungen gen Süden und zwischen dem Turmwaldfelsen und dem Felsen des Roten Berges hindurch. Dahinter geht es bergab, quasi ins Meer, und fließt hier irgendwo dort unten im Nebel tatsächlich zur Nagila. Ein Traum!“

„Sie liegen hier seit nunmehr 3.500 Jahren“, erklärte Skipper.

„Ich habe eine große Hochachtung vor dieser Leistung. Eine logistische Meisterleistung, diese Brocken von weither bis hier oben zu transportieren und exakt auszurichten. Ohne Technik. Und die geistige Leistung verbunden mit der Weitsicht eines ewigen Vermächtnisses für die Nachfahren. Dieses Mal sind es die lebenden Nachfahren. So lege ich mein Haar zum Nordberg, den ich hier in diesem bemoosten Stein als Wächter des Nordens sehe, neben die Stelle der Quelle.“

ER nickte sehr zufrieden. Er wollte gerade zum Wächter des Südens zeigen, den er symbolisch als kleinen, runden Turmwaldfels neben der Nagila entdeckte, da vernahmen sie Stimmen.

ER stellte sich zu Skipper etwas außerhalb vor den Menhir des Nordens. Verdammt. Das Seil war im Boot.

Es dauerte etwas, bis alle unerwarteten Besucher ihre Position gefunden hatten. Es schien nach einem gewissen Ritus abzulaufen. Alle, ausnahmslos alle, hatten ihre Waffen am Ost-Menhir abgelegt und waren unbewaffnet in den Steinkreis getreten. Eindeutig ein Zeichen für friedliche Absichten.

Ein Mann, der mit dem Rücken zu ihnen stand, sprach:

„So besiegeln wir den Bund unserer Völker an diesem Ort in unser aller gegenseitiger Interessen.“ Statt Haare hatte er das Tattoo eines Wolfskopfes über seinem Hinterkopf und an den Seiten Symbole, Runen, Spiralen. Der Wolfskopf schien sie direkt anzusehen. Unbehaglich. Der Mann war in Leder und Fell gekleidet wie sein Bündnispartner, der ihm gegenüberstand. Nur trug dieser Kleidung aus schwarzem Leder und einem rot-schwarz gefärbten Fellumhang und hatte an jedem Finger einen Silberring. Jetzt erkannte ER das Zeichen auf dem schildartigen Anhänger seiner eisernen Kette. Das Zeichen des Eisernen Volkes. Der neue Eiserne Großkönig höchstpersönlich. Der kräftig gebaute Anführer mit Wolfs-Tattoo vertrat die Interessen seines Bergvolkes, wie das Waldvolk des Nordens sich jetzt nannte, und war der Bergdruidenfürst des Wolfsclans des Berg-volkes.

„Wir legen die Ware, die wir von nun an als faire Handelspartner austauschen inmitten unserer beiden Gebirge und begraben damit die kriegerischen Auseinandersetzungen“, sagte der Bergdruidenfürst.

„So hat es uns der heilige weiße Mann, Sohn des Q, geweissagt, dass das Volk im Norden etwas von Wert für uns besitzen würde, das wir nur durch Handelskraft gewinnen können. Denn ihr seid ein kräftemäßig ebenbürtiges Volk, stark an Männern. Ihr lebt in einem düsteren Gebiet mit dunklen Wäldern, geschützt durch ein noch düstereres Wasser, das nur Wissende kennen, sonst verschluckt es einen. Ist man erst einmal darin, sieht man kein oben und kein unten mehr und wird von den trügerischen Kräften der Jenseitswelt festgehalten und hinabgezogen. Euch gebührt Respekt, denn selbst unsere Eisenwaffen haben euch nicht bezwingen können. Daher stimmen wir dem Frieden über diesen Handelsvertrag zu. Das Zinn geht zuneige und wir werden von nun an Speerspitzen, Messer, gespickte Keulen und Äxte in Serie für euch von unseren Meisterschmieden des Eisernen Volkes mit anfertigen lassen. Zudem Schwerter nach Auftrag. Zum Tausch erhalten wir von euch den freien Zugang zu Holz von der Ostseite des Nordgebirges, über die schmale Passage durch die schwarzen Wasser des Todes.“

Er legte eine geschmiedete Eisenaxt auf die Erde und im Gegenzug ließ der Bergdruidenfürst den Teil eines Baumstammes vor der Axt ablegen. Beide reichten sich die Hände auf die Art, dass die Unterarme einander berührten.

Darauf nahmen alle ihre Waffen wieder an sich und zogen ab.

Es ward leise.

„Sie rüsten beide auf, denn die Weissagungen des weißen Mannes, Sohn des Q, haben sich bisher bewahrheitet. Der Bergdruidenfürst selbst hatte ähnliche Visionen von Schiffen, die Gaia Nova umzingeln würden und von Menschen mit mächtigen Zauberwaffen, die von einem anderen Land kämen und das Land besiedeln wollten. Daher rücken sie jetzt zum Teil zusammen. Zuvor haben sie beide schon wild geplündert auf der Suche nach Gold-, Silber- und Kupfervorräten und nebenbei Gefangene gemacht. Natürlich verfügt das Bergvolk über eigene Minen an Kupfer und Eisenerz. Erst vor kurzem sind sie bei Bergbauarbeiten auf Silber gestoßen. Es ist natürlich einfacher, wenn es schon über der Erde in Reinform auf dem Präsentierteller vorgelegt wird. Die Anführer bekommen mittlerweile immer größere Grabbeigaben, denn ihr Besitz wächst zunehmend.“

Schon wieder hörten sie Schritte und Stimmen nahen. Es waren die gleichen Vertreter in etwas anderer Gewandung und Jahre älter. Dieses Mal trug der Eiserne Großkönig noch einen eisernen Helm. Gleiches Prozedere mit dem Ablegen der Waffen am Ostmenhir und dem Gegenüberstehen der Anführer.

„Hier treffen wir uns wieder, denn wir haben über eine Vision unseres weisen Hohepriesters von unserem weißen Mann, Sohn des Q, gehört, dass Eile geboten ist, wenn der Zeitpunkt kommt. Die Fremden werden bald eintreffen. Der Sohn des Q hatte seinerzeit gesagt, dass eines Tages ein immerwährender Pakt zwischen unseren beiden Völkern die einzige Chance sei, den drohenden Untergang von Gaia Nova abzuwenden. Er sagte, wie Geschwister sollten unsere beiden Völker sich gegenseitig unterstützen und zueinanderstehen. Große Verlockungen kämen, große Versprechen, große Verführungen. Dagegen könnten wir nur gemeinsam widerstehen und Gaia Nova retten“, sagte der Großkönig des Eisernen Volkes.

„So schließen wir einen erweiterten Pakt und ich lege als Zeichen dieses Paktes Torf, brennbare Erde, zum guten Befeuern eurer ewig brennenden Öfen. Viel Wald wurde bereits gerodet. Ein Transport aus den Wäldern der Westseite des Nordgebirges ist sehr aufwändig und dauert lange, doch Torf lagert in unerschöpflichen Mengen nahe der Grenze zu eurem Land. Wir weisen euch ein, wie ihr dieses weite Moorgebiet durch Entwässerungsgräben und Abbrennen der Flächen nutzen könnt. Ihr könnt Schwarztorf stechen und trocknen. Bester Brennstoff. Und nebenbei bemerkt auch beste Bettunterlage für Kinder, weil besonders saugfähig“, lachte der Bergdruidenfürst.

„Danke, mein Freund. Im Gegenzug habe ich einen unserer geschätzten Eisenmeister mitgebracht, der euch in unserer Kunst des härtbaren Stahls unterweisen wird. So könnt ihr die Qualität eurer Waffen steigern, denn das brauchen wir. Wir werden eine uneinnehmbare Front gegen die Fremden bilden und bald schon werden wir ihre Leichen mit einem letzten Überlebenden ihrer Art auf einem Schiff wieder zurückschicken. Damit dieser aller Welt berichtet, dass Gaia Nova das Reich des Eisernen Volkes ist…“

In dem Moment bückte sich eine Frau des Bergvolkes, griff einen Dolch von der Ablagestelle und warf ihn in die Hand des Bergdruidenfürstes. Dieser hielt blitzschnell den Dolch an die Kehle des Eisernen Anführers und sprach leicht verärgert:

„Halt, mein Freund! Verrätst du unlautere Absichten?“

Der Eiserne Großkönig war recht überrascht und blitzte die Frau aus hasserfüllten Augen an. Er kannte keine dem Manne gleichgestellten Kriegerinnen, konnte aber nicht leugnen, dass er einen kurzen Moment Achtung vor ihr verspürte. Rasch lenkte er ein:

„Wo denkt ihr hin? Ihr werdet nicht leugnen können, dass der Überlebende vom legendären guten Eisen unserer unbesiegbaren Waffen berichten wird, welches wir hier gemeinsam in großem Stile schmieden, auf dass kein Feind uns besiegen kann. Das, mein Freund, dient unser aller Sinne. Nur gemeinsam sind wir stark. Möge das Eisen uns einen und wir unser Land von fremder Plage befreien. So will es unser Allwesen Q, denn so hat der Sohn des Q durch unseren Hohepriester zu uns gesprochen.“

„Ja, so hat auch unsere Seherin lautklagend berichtet“, stimmte der Bergdruidenfürst ihm zu.

Sie entspannten, reichten einander die Hände und lachten. Sie blickten auf das Messer, sahen sich prüfend in die Augen und nickten.

Der Bergdruidenfürst reichte das Messer dem Großkönig des Eisernen Volkes. Dieser nahm es in seine linke Hand und schnitt sich in die rechte Handinnenfläche, dass es blutete. Er gab dem Bergdruidenfürst das Messer zurück, welcher ebenso in die Innen seite seiner rechten Hand schnitt. Sie reichten sich die gezeichneten Hände und gaben hiermit das heilige Versprechen, dass ihre beiden Völker, das Bergvolk und das Eiserne Volk von nun an Blutsverbündete auf ewig sein sollten. Auf dass sie jeder fremden Gefahr Seite an Seite trotzten. So wollte es das Allwesen Q, denn sein Sohn war der Vermittler zu den Menschen und hatte für sie in die Zukunft gesehen. Allein der Hohepriester hatte Zugang zu ihm, der viele Jahrzehnte zuvor wieder zu Q aufgestiegen war.

Die Kriegerin des Bergvolkes zerriss ein Tuch und reichte beiden starken Anführern die Hälfte, um ihre Hände zu verbinden. Der Großkönig stutzte kurz, blickte ihr in ihre unendlich freundlichen tiefblauen Augen und nahm das Tuch wie ferngesteuert an. Er lächelte sogar. Keiner seiner Krieger hatte ihn je lächeln gesehen.

Mit Berggeist des Bergvolkes und Feuergeist des Eisernen Volkes wurde der Bund mit allen Anwesenden besiegelt. Sie beteuerten gegenseitig mit heißem Atem und allerhöchstem Respekt die Künste ihrer Kräuterkundigen. Allein durch ihre feurigen und geistreichen Getränke seien sie wohl schon immer Verwandte im Geiste gewesen.

Gestärkt durch diesen starken Bund folgte der Eisenschmiedemeister dem Bergvolk und der Torfstecher dem Eisernen Volk.

Beide hatten nicht erzählt, was ihre Sehkundigen noch gesehen hatten. Sie waren fest davon überzeugt, dass dieses starke Bündnis imstande war, die Zukunft zu verändern.

Ein neuer äußerer Feind konnte bekanntlich alte Feinde im Innern zusammenschweißen.

„Die Ältesten erzählen, dass der Sohn des Q sehr empfindliche Augen gehabt hatte und kaum sehen konnte. Er soll sich meist drinnen aufgehalten und nur an Schlechtwettertagen und zum Abend das Haus verlassen haben. Das hätte ihn umso mehr zu einem wahrhaft Sehenden gemacht, denn seine Sinne fokussierten sich auf die Innenschau. Alle hätten große Ehrfurcht gefühlt, wenn er sie mit seinen rotblauen Augen angesehen hatte. Die Ehrfurcht sei noch gestiegen, wenn er sie durch seine in einem Eisendraht gefasste Obsidian Brille mit schmalen Sehschlitzen anblickte. Das Eisvolk trägt ebensolche Brillen aus Walknochen gegen das grelle Licht des Schnees. Doch das Eiserne Volk kannte einen derartigen Schutz für die Augen nicht. Das machte den jungen Sehenden noch Respekt einflößender. Es wurde tatsächlich zu seinem Markenzeichen – ein schwarzes Auge mit einem weißen Schlitz. Als Zeichen seiner Weisheit, denn durch seine Augen war er imstande, mehr zu sehen, als unsere begrenzte dreidimensionale sichtbare Welt es zu zeigen vermochte.“

„Ich erinnere mich – Stirnchakra – Drittes Auge.“

„Er war schon ein besonderer Mann. Er machte seinerzeit keinen Unterschied zwischen reich und arm, zwischen Mann und Frau, zwischen schwarz oder weiß oder was auch immer jemand glaubte. Das beschrieben alte Texte aus seiner Zeit, die im Geheimen aufbewahrt wurden. Der Sohn des Q redete voller Mitgefühl mit ihnen und sprach allen Mut zu. Er sagte ihnen, dass das Eisen das Jagen erleichtern und als gutes Werkzeug dienen sollte. Es sollte allein zu friedlichen Zwecken eingesetzt werden. Das ärgerte natürlich den damaligen Großkönig, aber selbst er wagte es nicht, diesem hochheiligen Mann zu zürnen oder direkt zu widersprechen. Sie zogen den Sohn des Q mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück, angeblich zu dessen Schutz. In Wirklichkeit wollten sie nicht, dass er von ihren Kriegszügen, um Arbeitsgefangene zu machen, erfuhr, und dass das Volk zu sehr von seinen gar zu friedvollen Worten in den Bann gezogen und verweichlicht wurde. Sie hatten daher einen Q-Priester auserkoren, der die Visionen des Sohnes des Q dem Volk übermitteln sollte, natürlich in Absprache mit dem Großkönig an dessen Sinnen angepasst. Sie hatten einen Weg gefunden, wie sie Q und ihrem Eisen gerecht wurden – alles geschehe im Namen des Q, um dessen Namen zu verbreiten. Es seien keine Gefangene, sondern Schüler der Lehre des Q, die dann wieder zurück in ihr Land gehen würden, um die Lehre zu verbreiten,“ erklärte Skipper.

Die Sicht war wieder frei.

Skipper reichte ER ein Fernglas. Der sah durch, blickte Skipper panisch an, sah wieder durch und kommentierte das Gesehene:

„Da sind sie! Schon? Ohje! Drei Schiffe! Von Westen! Hoffentlich haben sie es geschafft, ordentlich aufzurüsten! Ich würde am liebsten mit einem Megaphon alle warnen, auf dass sie sich und all ihr Hab und Gut schleunigst verstecken. Was gäbe ich darum, wären sie alle über Telefon oder Internet vernetzt. Aber das geht ja nicht. Besser wäre, wenn sie sich verteidigten. Da müssten die starken Nordvölker sie unterstützen und vorrücken. Aber es ist zu weit weg. Es würde Tage dauern, ehe ihre berittenen Soldaten dort ankämen. Sieh nur, ein Schiff legt hinter der Caldera an, nein, weiter hinten, an den Ausläufern des Faltengebirges zum Meer hin, dort, wo das Steppenvolk lebt. Dort! Zwei Schiffe fahren weiter! Das zweite verschwindet auch hinter dem Faltengebirge weiter links. Sicher legt es beim Grasvolk an und das dritte… Oh nein! Ich kann es nicht mehr sehen, es umrundet bestimmt Gaia Nova und findet das Delta der Nagila. Damit finden sie den Zugang zum Landesinneren! Skipper! Bei allen Göttern des Universums! Sie werden gnadenlos vordringen!“

In ER stieg eine nie gekannte Panik auf.

Skipper versuchte, ihn zu beruhigen:

„Momentan kommen sie nicht in den Fluss hinein. Du kennst doch die Engstelle beim Wächter des Südens mit seinen Stromschnellen. Nur wenn Regenfälle und Schneeschmelze den Frühling einläuten und zeitgleich Flut ist, hat die Nagila ihren Wasserhöchststand und die schützenden Stromschnellen werden zum offenen Tor. Die gefährlichen Felsen können sie dann an genau einer tiefen Passage bequem überwinden. Einen ganzen Monat lang. Das ist die Zeit, über die ganz Gaia Nova sich seit hunderten von Generationen freut, denn die Nagila bringt fruchtbares Wasser über die trockene Erde der Flussufer. Deswegen wird es das fruchtbare Tor genannt. Davon wissen aber die Fremden nicht.“

Skippers Stimme klang leicht bedeckt. Nicht gut.

ER war alles andere als beruhigt:

„Und wenn es ihnen jemand verrät? Wenn sie sie zwingen mit ihren Zauberwaffen? Wir beide wissen ganz genau, welche Zauberwaffen sie gemeint haben. Wir müssen etwas unternehmen! Lasst uns zum Steppenvolk fahren! Ich will wissen, ob die Fremden sie schon gefunden haben.“ Sie fuhren im Zeitraffer weiter.

Strategi

Als sie die Ausläufer der Riesencaldera überflogen deutete ER nach unten:

„Wusstest du, dass sich in der Zwischenzeit dort unten große Siedlungen, ja es sind sogar Städte, gebildet haben? Wir waren wohl wahrhaftig längere Zeit nicht hier. Sieh dir an, wie sie die Städte angelegt haben: alles in geraden Straßen, wie auf einem Reißbrett. Sieh nur, dort ist ein fett gepanzertes riesiges Heer unterwegs. Alle marschieren oder reiten ordentlich nebeneinander in Reih und Glied. Das sieht nach Disziplin hoch Hundert aus. Sehr gut. Hoffentlich ist ihre Streitmacht groß genug gegen die Eindringlinge. Kein wilder Haufen wie die Krieger des Bergvolkes. Aber sie wissen ja noch überhaupt nicht, was auf sie zukommt. Die denken nur an interne Gebietsstreitigkeiten, aber nicht, dass ein viel mächtigerer Feind bereits gelandet ist.

Kannst du weiter runtergehen? Und etwas langsamer…

Ja… Danke….

Sieh dir das an – dort oben auf den Dächern! Ich glaube es nicht! Welch eine Szenerie bei der drohenden Invasion! Sie scheinen dort zu speisen! Im Liegen! Dort stehen Speisesofas im Halbkreis, die Köpfe dem Tisch zugewandt, beschattet unter einer Weinlaube. Kann das sein, dass nur die Männer liegen und die Frauen auf Stühlen sitzen? Und wer muss dort an der Seite stehen? Sklaven? Krass! Die dort drüben haben Musiker zur Unterhaltung. Welch eine interessante Esskultur, die sie pflegen.“

„Nach dem Mahl opfern sie etwas von Essen und Wein den Hausgöttern“, meinte Skipper.

„Warum nicht? Die scheinen es auch richtig gut mit ihnen zu meinen, so üppig sind die Tische gedeckt. Wie tiefenentspannt, beim Essen zu liegen und auch noch so angenehm unterhalten zu werden.

Sieh nur ihre Bauwerke, Meisterklasse! Erinnern mich etwas an die Baukunst des Volkes der Schönheit, und doch ist es anders. Leben ja quasi um die Ecke. Die sehen vielmehr wie Palastgebäude aus. Dort eher wie Tempel. Viele Tempel haben sie hier, sehr viele! Sicher für viele Götter.

Strenger, männlicher, mächtiger wirkt alles. Sieh dir nur ihre Streitwagen an! Die scheinen unbesiegbar, wenn sie in das wilde Volk des Bergvolkes reinfahren. Ob sie das planen? Nach ihrem derzeitigen Stand der Technik hätten die keine Chance. Quasi Ordnung gegen Chaos. Oh je! Was wird da noch alles geschehen, bevor sie von einem viel größeren Feind überrollt werden? So furchtbar“, rief ER verzweifelt. Er wäre beinahe aus dem Boot gefallen.

„Es ist schon geschehen. Sie nennen sich die Strategi. Du hast recht, gegen diese Disziplin hatte die wilde Kampfkraft aus den Bergen zunächst keine Chance. Viele Kämpfe haben schon stattgefunden. Doch das Bergvolk war schlau und erkannte rasch die Schwachstelle: den Wald. Den mochten die Disziplin und Gehorsam, moderate Sonne und weit übersehbare Flächen gewohnten Soldaten der Strategi nicht. Wald war für sie der unheimlichste Ort der Welt. Wild und gruselig und mit einer schweren Rüstung am Leib auch extrem unpraktisch. Im Wald waren die scharfen Sinne eines jeden Einzelnen gefragt, Intuition, Cleverness. Die Strategi überlassen das Denken den Anführern.

Die Grenze zu den bewaldeten Bergen konnten die Strategi aus diesem Grunde nie überwinden. Daher errichteten sie einen Grenzwall mit Palisaden und Wachtürmen vor dem Bergwald von der Mitte nach Westen bis zum Meer hin. Und von der Mitte gen Osten schlängelt sich der Waldfluss bis zur Nagila und gilt als natürliche Grenze zwischen dem Bergvolk und dem nördlichsten eroberten Gebiet der Strategi, wo sie natürlich auch Wachposten aufgestellt haben.

Sie haben einige Dörfer des Bergvolkes, die weiter südlich in den Wäldern der Grünen Hügel wohnten, vereinnahmt. Die, die überlebt haben, also die sich nicht gewehrt haben, durften sogar Haus und Hof behalten mitsamt ihren Gottheiten. Ein äußerst cleverer Schachzug, denn so gab es viele Freiwillige, die sich leicht ergaben. Die Strategi haben sogar ein paar Bergvolk-Götter mit in ihr eigenes Pantheon aufgenommen. Überhaupt sind sie da sehr offen.“

„Was ist mit der Insel der Schönheit?“, wollte ER wissen.

„Von der Insel der Schönheit waren sie extrem angetan. Es kam nur zu überraschend kurzen Kontakten. Die Insel ließen sie unbeschadet, da sie sie sofort als etwas Heiliges ansahen. Sie nannten sie Insel der Götter. Nur das Volk auf dem Festland wurde unterjocht.“

„War die Insel denn nicht lange verschüttet gewesen? So, wie wir sie als letztes gesehen haben? Na klar, Zeitraffer. Natürlich bleibt nichts so, wie es war“, überlegte ER.

„So ist es. Nach einiger Zeit siedelten Menschen vom Festland über, gruben aus, putzten und bauten auf, was möglich war. Und ließen die Schönheit wieder aufleben. Sie errichteten sogar mehr Tempel als zuvor. Jeder Tempel ist einer anderen Gottheit geweiht.

Sie nennen ihr Land auf dem Festland übrigens Land des Weins und sich selbst Weinvolk, also die vom Festland. Nur, dass sie jetzt zu den Strategi gehören“, lachte Skipper.

„Das gefällt. Da ließe es sich sicher sehr entspannt leben“, lachte ER. Wie schnell angenehme Szenen ablenken konnten.

„Bei der Weinprobe gewiss. Die Strategi haben sie komplett eingenommen. Wer will nicht ein Weinvolk im eigenen Reich wissen? Allein an der Ähnlichkeit ihrer Gottheiten und des Kultes merkt man eindeutig ihre gemeinsamen Wurzeln. Sie gehörten früher lange zu einem Clan, der ursprünglich südlich der Caldera siedelte, in der weiten hügeligen Ebene. Du erinnerst dich sicher an das Hirtenvolk.

Eines Tages war es unter jenem Hirtenvolk zu Machtkämpfen gekommen. Da zogen die einen Richtung Caldera, die anderen Richtung Südosten bis zur Nagila. Lange Zeit herrschte Frieden. Bis sich das Hirtenvolk an der Caldera durch einen machthungrigen Kaiser in kürzester Zeit in allen Bereichen mächtig entwickelte. Er strukturierte einfach alles durch. Komplett neue Anlagen für ihre Hauptstadt, eine sehr gute Infrastruktur in Stadt und Land. Er sorgte in seinem Volk für hohe Hygienestandards und gute Bildung. Er organisierte das Militär und rüstete auf, mit dem klaren Ziel: Expansion. Er war scharf auf Land, auf ein großes Reich der Strategi. Das hatte als erstes das Bergvolk zu spüren bekommen.“

„Aha, nicht Land sondern Reich, das sagt doch schon alles. Die Vereinnahmten haben zwar viele Vorteile, waren aber trotzdem nicht frei“, überlegte ER, als er das Reich von oben studierte.

„Richtig. Sobald man nur einen Hauch Kritik von sich gab, bedeutete das Sklaverei, Unterhaltung für ihre Löwenspiele und Todeskämpfe, die sie zur Belustigung ihrer Elite aufführten. Oder der sofortige Tod, welcher wohl das angenehmere aller Übel war. Sie sind schon ziemlich extrem.

Die Insel der Schönheit, wie sie bis zur indirekten Übernahme noch hieß, hatte es ihnen aber auf eigentümliche Weise angetan.

Es hieß, der Kaiser der Strategi höchstpersönlich wollte die Übernahme anleiten. Er war also der erste der Strategi, der seine ledernen Sandalen auf die Insel setzte. Sie wurden von anmutig tanzenden Frauen begrüßt und du erinnerst dich an ihre Schönheit, ihre anziehende Ausstrahlung. Genau das haben die Siedler vom Festland von der Kultur der Schönen übernommen, ebenso ihren Lebensstil, der vollkommen den Künsten und über diese der Schönheit in der Natur geweiht waren, und ihren Göttern. Der Kaiser der Strategi also soll die Frauen gesehen haben und sei spontan vor ihnen auf die Knie gefallen. So sagte er, könnten gewiss nur Göttinnen sein. Als er die wohltrainierten, sportlichen und akrobatischen Männer dazu erblickte, nickte er nur und sagte, dass diese folglich die Götter sein müssten.

Fortan galt die Insel der Götter als unantastbar. Allein ein paar auserwählte Familien mit Kindern der Strategi-Oberschicht erhielten die Erlaubnis, dort zu siedeln, um ihre Bräuche zu studieren und diese dann mit in ihre Hauptstadt zu übernehmen.

Seither erhielten die Künste den zweiten Stellenwert im Reich der Strategi.“

ER staunte:

„Auf dem ersten Platz steht sicher das Militär, wie ich so von oben überall erkennen kann und nur staune. Sie haben ein äußerst großes Gebiet eingenommen, das sie auch eifersüchtig bewachen lassen. Sieh dir diese Wachtürme und Palisaden an, genauso wie ihre Nordgrenze, nur noch länger: wie eine Perlenkette, die sich quer über das Festland zieht. Sie geht aus von der Nagila, südlich der Insel der Schönheit, und zieht sich rüber bis zum Westmeer!

Das Reich der Strategi reicht in ganzer Breite über die Caldera hoch bis zum Nordgebirge. Wirklich erstaunlich, dass die Insel der Schönheit zwar eindeutig zu ihrem Gebiet gehört, aber vollkommen autark leben darf, ja, sogar eine einzigartige Vorbildfunktion besitzt. Der Schönheit und den Göttern sei Dank! Hat der Kaiser jemals die Insel wieder besucht?“

„Nein. Nie wieder. Allerdings sein Bruder, der seinen Thron übernahm, nachdem er ihn ermordet hatte. Der neue selbsternannte Kaiser behielt die Heiligkeit bei, stattete aber stets zur Sommersonnenwende dieser Insel einen Besuch ab. Er begleitete nämlich ihre Hohepriesterin auf der alljährlichen Schiffsreise zur heiligen Quelle.“

„Ach, das ist natürlich ein Wahnsinnsauftritt als Kaiser eines riesigen Reichs an der Seite der schönsten Hohepriesterin von Gaia Nova. Ich freue mich über diesen offensichtlich hohen Respekt, den er ihr gegenüber zollte. Der Respekt gegenüber Frauen lässt ansonsten mehr und mehr zu wünschen übrig, wie ich das hier und da von oben beobachte. Ganz zu schweigen beim Eisernen Volk“, meinte ER grimmig.

„Die genialste Strategie ist das Verbünden durch Heirat. Du wirst es nicht glauben, aber er selbst war mit der Priesterkönigin des Landes der Sonne vermählt, die ihn zuvor eindeutig mit militärischen Mitteln in die Schranken gewiesen hatte. Daher diente dieser Pakt eher der Stabilisierung seiner Grenzen gen Süden.

Das Volk der Nagila war allein ihres Glaubens der Gewaltlosigkeit wegen vollkommen unmilitärisch. Die Strategi hatten irgendwie überhaupt kein Interesse an ihren vollkommen fremden Gedanken und Lebensansichten samt Gottheiten. Dort gab es auch nichts, das zu besitzen sich lohnte, keine Bodenschätze, die eine Ausdehnung der Grenzen in diesem unwirtlichen Gebiet des Faltengebirges riskierenswert schienen. Sie hatten das Land durch ihre Kundschafter ausspähen lassen. Das Volk der Nagila war friedlich, aber nicht dumm. Natürlich hatten sie von den von Hunger nach Land getriebenen Strategi gehört und hatten fortan all ihre vergoldeten Statuen an einem geheimen Ort in den Bergen versteckt. Weder die berittenen noch die mit schwerer Ausrüstung ausgestatteten Strategi konnten dort hingelangen. Sie besaßen wenig Eisen, nur das, das sie durch Handel getauscht hatten. Außerdem war das Land von den Rohstoffen her uninteressant und zudem unbequem. Aber sie hatten hervorragende Stoffe, Räucherwerk und Gewürze, so dass sie mit ihnen Handel betrieben. Dieses Mal wegen der modebewussten Strategi-Frauen. Die waren ganz besessen von diesen fremdartigen Gerüchen und feinst gewebten Stoffen. Die waren höchst angesagt.

Der komplette Süden war von null Interesse für das Volk der Strategi. Die Wüste, der rote Berg, der Regenwald, das alles sind für sie unwirtliche Landschaften und zudem zu kostspielig, dort bewachte Grenzen zu ziehen. Sie haben sich eindeutig in ihrer Klimazone optimalst ausgebreitet.“

„Okay. Dann ist der Expansionshunger auf der westlichen Seite der Nagila gestillt. Wie steht es um den Osten? Gab es Veränderungen?“

Skipper lenkte ihr Boot das Faltengebirge entlang gen Westen, gen Westmeer während er berichtete:

„Das in die Irre führende Turmwald-Labyrinth, die undurchdringlichen Riesensümpfe, die trostlose Tabuzone und im Norden die tiefen, schwarzen Moore, das war so gar nichts für die Strategi. Eine Ausnahme: das Eiserne Volk. Es kam zu militärischen Konflikten, doch sehr bald erkannten beide Seiten die Ebenbürtigkeit. Sie schlossen jenes zu allen früheren Zeiten gern angewandtes friedliches Bündnis: durch Heirat. Allerdings mit einem Trick. Der Eiserne König, du ahnst es zu Recht, begehrte natürlich die Hohepriesterin der Insel der Götter.“

„Das hat ja schon Tradition“, meinte ER wütend.

„Nun, erst zögerlich, um den Wert dieses Handels zu unterstreichen, doch schließlich stimmte der Kaiser der Strategi zu, als er entsprechende eiserne Gegenwerte erhielt“, erklärte Skipper mit einem Grinsen.

„Was? Er hat die unantastbare Hohepriesterin verhökert? Hört das denn nie auf? Das geht gar nicht! Nicht schon wieder! Es reichte doch schon, dass vor vielen Jahren bereits die Vertreterin der Insel der Schönheit ihre Ehre durch sie verloren hatte und in der Folge viele ihrer Frauen“, rief ER entsetzt, dass das Boot ins Schwanken kam.

„Stell dir vor, dieses Mal ist es ein wenig anders verlaufen. Der Kaiser der Strategi hatte eine herausragende Schönheit der hohen Gesellschaft aus seiner Hauptstadt in den Burgpalast des Eisernen Königs statt der Hohepriesterin geschickt. Natürlich alles megainsziniert über heimliche Reisen zur Insel der Götter und von dort aus mit einem riesigen Geleit über den Schwarzen Fluss bis zur feierlichen Übergabe. Alle waren zufrieden.“

„Alle, bis auf die Frau, die nichtsahnend in eine völlig fremde Kultur gepresst wurde, wo Frauen nichts zu sagen haben. Jetzt wollen wir weitersehen, was es mit den Schiffen auf sich hat. Es wird sich sicher wieder einiges verändert haben. In Gaia Nova vergeht die Zeit gleich hundertmal so schnell. Ich mag gar nicht hinsehen“, meinte ER.

„Willst du zurück?“, fragte Skipper nach. ER sah ihm an, dass ihm auch nicht wohl zumute war. Jetzt ging er erst richtig los: der Sturm.

„Ich will es sehen. Deswegen bin ich hier. Ich halte das Seil fest in meiner Hand“, sagte ER entschieden.

Kappen mit Feuerwaffen

Skipper lenkte weiter westwärts Richtung Steppenvolk. Was sie dort sahen, war erschütternd. Sie gingen nicht an Land.

Sie waren zu spät. Skipper hieß ER an, das Seil jetzt bewusst in die Hand zu nehmen. ER ahnte, was in echt mit Sturm gemeint war.

Von oben sahen sie ein wild um sich schießendes fremdes Volk. Sie trugen alle Kappen, so konnte man sie von oben bestens erkennen. Deswegen nannten sie sie ab jetzt Kappen.

Bis hier oben vernahmen sie das laute Grölen ihres Blutrausches. Sie schossen eine riesige Wisent Herde nieder, als sei es ein Spiel unter Kindern, eine Geburtstagsparty mit Actionspaß. Nicht genug davon. Sie trieben alle Frauen, Männer, Kinder aus den Tipis, trieben sie vor sich her und schossen immer knapp neben sie auf den Boden und wenn sie trafen, dann schrien sie laut:

„Ups, daneben!“

Immer wieder verschwanden ein oder gleich mehrere Kappenträger mit einer sich vehement wehrenden Frau in einem Tipi und kamen meist ohne sie wieder heraus, sich mächtig stark die Hosen zuknöpfend und geil lachend. Die Männer des Steppenvolkes wehrten sich kaum, denn die meisten waren abgefüllt und begriffen gar nicht, was da vor sich ging.

„Abgefüllt?“

Skipper seufzte traurig:

„Das kommt daher: Das Bergvolk und das Eiserne Volk hatten sich pseudomäßig mit dem Steppenvolk verbündet. So konnten sie ihr Land, das sie an die Strategi verloren hatten, zwar zurückgewinnen, wurden aber statt ihrer von den beiden Verbündeten besetzt. Da gab es auch kein Murren, denn sie waren nach langer Herrschaft unter den Strategi nicht imstande, irgendeine politische Entscheidung zu treffen. Zudem verstand das Bergvolk sich im Brennen von Whisky und das Eiserne Volk bot vergorenen Gerstensaft. Also tranken sie mit ihnen immer wieder auf den Sieg, die Freundschaft und die neue Freiheit. Die Männer des Steppenvolkes vertrugen nicht viel und waren schon rasch nicht mehr Herr irgendeiner Lage, weder ihrer eigenen noch der ihres Volkes. Ihre Ältesten warnten sie immer wieder, doch sie verhöhnten sie und lachten sie aus.“

„Böse, böse. Durchtrieben!“, kommentierte ER.

„Sehr strategisch hatten das die beiden mächtigen Clans aus dem Norden und Nordosten eingefädelt. Sie hatten die Männer langsam aber sicher in die Abhängigkeit getrieben und es hatte nicht lange gedauert, da gaben die meisten alles her, um mehr von den begehrten Rauschmitteln zu bekommen. Sie gaben Felle, Gold und ihre Frauen. Und sie gaben ihre Ehre.

Als die Nordländer von der Invasion der Fremden gehört hatten, hatten sie jeden ihrer Soldaten aus dem Steppenland zurückgezogen, um ihre eigenen Länder zu schützen.

In diesem desolaten Zustand hatten die Kappen ein Leichtes, sich ihres Landes zu bemächtigen, indem sie es ihnen schlichtweg für eine Flasche Schnaps oder Glasperlen, in die waren vor allem die Frauen vernarrt, ihr Land verkauften. Die Kappen waren scharf auf gutes Siedlungsland.“

ER war entsetzt:

„Wie konnten sie ihr eigenes Land verkaufen, wo sie doch solch eine tiefe Beziehung zu Mutter Erde hatten, ja, sie sahen doch in allem ihre Verwandten!“

„Das ist auch schwer zu verstehen und daher umso tragischer: Sie freuten sich sogar über den Handel, weil sie diesen Tausch nicht wirklich verstanden! In ihrer Vorstellung einer heiligen Mutter Erde gab es keinen Besitz von Erde! Die Erde gehörte seit Anbeginn allen. Daher konnte sie im Grunde auch nicht verkauft werden. Sie hatten nicht verstanden, dass man ihnen etwas wegnehmen konnte, das eigentlich allen gehörte. Sie sahen in Schnaps und Glasperlen freundliche Gastgeschenke, nette Gesten von Besuchern!“

ER war fassungslos:

„Das ist in der Tat sehr, sehr tragisch und hundsgemein. Vorher hatten sie zwar keine Ehre mehr, aber ihr Land. Jetzt nichts mehr.“

„Die Zauberwaffen, die keine Ahnung von heiligen Gesetzen hatten, nahmen ihnen ihr Land Stück für Stück weg. Als Kinder von Mutter Erde waren sie fortan heimatlos in ihrem seit Hunderten von Jahren Land ihrer Ahnen.“

„Also besitzen die Kappen dort bestes neues Siedlungsgebiet und ein Land, von dem aus sie sich weiter ausbreiten können. Die brutalen Veränderungen sind klar von hier oben zu beobachten“, meinte ER und blickte Skipper sorgenvoll an.

„Genau. Die Kappen sorgten für entsprechenden Alkohol- und Glasperlennachschub und verdrängten auf immer die Nordländer hinter den Nordwall. Felle, Gold, billige Arbeitskräfte und Frauen des Steppenvolkes waren nun in ihrem Revier. Ihr Eigentum. Die heilige Erde des Steppenvolkes war erbarmungslos entweiht worden.

Nur wenige des Steppenvolkes konnten fliehen und sich in die Berge zurückziehen.

Die gewagte Ausdehnung der Kappen bis zum Nordwall entlang der Westküste hielt nicht lange an, denn die Strategi verteidigten ihr Gebiet hinter der Caldera mit allen Garnisonen. Sie waren zahlenmäßig den Kappen weit überlegen. Südlich der Caldera kam es dann zum Waffenstillstand an ihrem alten Grenzverlauf von südlich der Insel der Götter bis nach Westen zum Westmeer. Somit hatten sich die Kappen einen strategischen Zugang zur Nagila gesichert. Die Strategi wussten genau, dass der Besitz dieses Landes nur von kurzer Dauer gewesen wäre. Der Nachschub von Zauberwaffen hätte nicht lange auf sich warten lassen. Dem war auch so. Allerdings florierte auch schon der Schwarzmarkt mit den Waffen der Kappen. Das konnten die Kappen natürlich aus ihrer Sicht der Dinge nicht gutheißen und demonstrierten dies mit öffentlichem Erhängen. Trotzdem. Die Waffen fanden ihren Weg in diverse Länder von Gaia Nova. Geld zählte, wie so oft, mehr als die Loyalität zur eigenen Nation.“

„Hat eine gewisse Komik. Die illegalen Waffenhändler haben damit verhindert, dass die Kappen ganz Gaia Nova einnehmen konnten, stimmts?“

„So war es. Immer mehr Schiffe spuckten immer mehr Kappen aus. Das neue lukrative Siedlungsgebiet hatte sich in Übersee herumgesprochen, vor allem des Goldes wegen.“

„Seit das Schiff Landfinder das Land Gaia Nova vor Tausenden von Jahren besiedelt hatte, waren keine fremden Menschen mehr gekommen. Die Landfinder-Menschen hatten sich auf Gaia Nova verteilt und an die jeweilige Landschaftsform samt Klima angepasst“, bemerkte Skipper ernst.

„Seit Kupfer, dann Bronze für Werkzeuge und zum Jagen genutzt werden konnten, und als dann noch das Eisen dazukam, veränderte sich das Leben in Gaia Nova drastisch und dramatisch“, nickte ER.

„Ganz genau. Seither kam es zu krassen Umbrüchen. Du hast selbst gesehen, wie die Machtverhältnisse sich veränderten. Zu Lasten der Erde, der Frau, der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und zu Lasten des Friedens und der gegenseitigen Akzeptanz. Immerhin konnten alle Völker bis jetzt einigermaßen ihre eigene Kultur samt spirituellem Leben bewahren“, sagte Skipper.

„Damit wird es jetzt gänzlich vorbei sein. Starker vielfältiger Geist verschwindet aus Gaia Nova. Starker Körper kommt stattdessen an die Macht. Irgendwie schräg, was das für Folgen hat. Ach, könnte man doch mit den guten Neuerungen alles zurück…“, seufzte ER.

ER hörte die Stimme von Frau Rückblick:

„Es gibt kein Zurück! Das Wasser des Lebens ist versickert. Dunkelheit kündigt sich an. Halte das Seil fest in deiner Hand. Was geschieht in kompletter Finsternis?“

„In kompletter Finsternis?“, fragte ER nach, um Zeit zu gewinnen.

„Und? Was geschieht?“, fragte Skipper nach.

„Man kann nichts mehr sehen, was sonst?“, meinte ER irritiert. Diese dunklen Entwicklungen zu sehen und dann noch von kompletter Finsternis zu reden stimmte nicht unbedingt fröhlich.

Keiner der beiden antwortete darauf.

Leicht genervt sah ER zur Erde runter.

Was sahen sie dort? Dort waren bereits erste größere Siedlungen der Kappen entstanden. Die Steppenkappen. Diese neuen Siedler der Invasoren waren sehr geschickt, sägten und zimmerten rasch hübsche Häuschen mit Veranden, Werkzeug- und Geräteschuppen und Klohäuschen. Familien huschten dort herum, fuhren mit ihren Kutschen hin und her und überall sahen sie Farmen über das Land verteilt. Das stimmte ER kurzfristig zuversichtlich. Kurzfristig, denn bei näherem Hinsehen waren es Sklaven, die für die Kappen auf den Feldern und in ihren Gutshäusern arbeiteten. Doch das waren nicht nur die übrig gebliebenen Menschen des Steppenvolkes, sondern meist Menschen des Grasvolkes. Die Männer des Steppenvolkes waren wohl auch zu betrunken, um für harte Feldarbeit zu taugen. Außerdem hatten sie eh den größten Teil des Steppenvolkes niedergemetzelt, so dass nur noch wenige ihrer Art übriggeblieben waren, um den neuen Herren zu dienen. Die Kultur des Steppenvolkes war verloren, nahezu ausgelöscht.

Um die Kultur des Grasvolkes schien es keinen Deut besser zu stehen, da brauchte er sich nichts vorzumachen. Sklaven waren Sklaven.

„Ist doch Scheiße, das alles! So ein großer Mist! Warum kann der Mensch das denn nicht anders? Es ist so frustrierend. Man könnte nur schreien und heulen und eine Sperrzone um das ganze Gebiet ziehen, dass wenigstens ein einigermaßen intakter Flecken Erde bewahrt bliebe. Aber nein. Da kommen diese ätzenden Kappen mit ihren Scheißwaffen und Scheißmanieren. Wenn man sich bei ihnen zu Hause so benehmen würde, dann würden sie laut aufschreien, aber in einem anderen Land, da gelten plötzlich keine ach so heilen Vorgartengesetze. Da werden sie einfach nur eine Plage. Wie lästige Viren oder Bakterien, die dort nix zu suchen haben, die aber alles anstecken und zu Grunde richten. Es ist so…“, meinte ER und saß aufrecht auf seiner Matratze.

„Amiga, es ist so frustrierend. Ich komme da nicht gegen an. Es gibt kein Zurück, aber gibt es denn ein Weiter? Ich will das Weiter nicht sehen, weil ich es kenne. Der Mensch löscht sich nach und nach selbst aus. Er braucht keine Naturkatastrophen. Er ist selbst die größte Naturkatastrophe. So viel Gier und Hass entwickelt sich und vergiftet alles Leben. Sie vergessen völlig, dass wir alle Brüder und Schwestern sind. Ich geh erstmal Stress wegpinkeln.“

ER stand auf, taperte im Dunkeln los, stieß gegen den Tisch und es klirrte metallen. War wohl sein Messer vom Abendbrot runtergefallen. Er taperte weiter zum Klo, setzte sich und pinkelte.

„Ha!“, rief er plötzlich von einer Erkenntnis geküsst.

„Natürlich meint sie das so: Sehen fällt zwar weg, aber alle anderen Sinne nicht. Logisch, dass das Messer runterfällt, um mich zu erinnern. Das haben sie bestimmt dorthin gelegt, so knapp, für den Fall der Fälle. Sie sind Schlitzohren. Ich liebe sie!“

Amiga wuffte.

„Ja, und dich auch. Es ist aber noch nicht morgens und jetzt gibts kein Leckerli. Na gut. Ein einziges. Weil du es bist“, lachte er.

„So, weg mit diesen ganzen Frustgedanken. Bringt nix. Meine Sinne müssen scharf bleiben, für alles, was kommt.“

ER spülte.

„Frustgedanken weggespült!“

Während er zur Küche taperte und Amiga ein Leckerli aus der Dose fischte, erklärte er ihr:

„Ich lasse mich von Skipper leiten und von meinen Traumgedanken und von Frau Rückblick und du, Amiga, bist hier. Also geht die Fahrt weiter. Schlängeln wir uns weiter durch Gaia Nova. Wo Dunkelheit herrscht, wird irgendwann auch wieder ein Licht erscheinen. Und dahin steuern wir. Her mit dem Seil.“

Wuff. Wo bleibt der Nachtschmaus? Nicht nur reden, auch tun. Okay.

Nachtfrieden wiederhergestellt.

Das Luftboot hatte sich einmal wieder in eine Art Schlangenkörper verwandelt, in dem sie jetzt saßen. Skipper steuerte die Schlange. Sie fuhren südwestlich, um beim Grasvolk nach dem Rechten zu sehen. Weshalb also waren Sklaven von diesem Volk viel weiter im Norden zu finden?

Sie wären besser umgekehrt.

Welch ein desolater Zustand tat sich von hier oben auf? Sie besahen sich das aus sicherer Entfernung. Wäre auch zu krass, hautnah mitzuerleben, was sich dort abspielte.

„Sklaverei war hier bereits Jahre vor der Besiedelung der Kappen zu einem Geschäft geworden. Es gab einen brutalen König unter den Grasclans, der gerne Nachbarstämme des eigenen Clans überfiel, um Gefangene zu machen. Diese verkaufte er dann in alle Richtungen von Gaia Nova. Alle hatten Bedarf an billigen Arbeitskräften.“

ER glaubte es nicht:

„Dieser skrupellose König des Grasclans verkaufte also schon lange zuvor Sklaven aus dem eigenen Volk?“

„Ganz genau. Er verkaufte Sklaven an das Volk der Sonne für deren ehrgeizige Bauvorhaben und nun an die neuen Steppenkappen für Feld-, Haus- und Bergbauarbeiten.

Somit brauchten sich die Kappen ihre Finger nicht länger schmutzig zu machen. Es war auch für sie ein Geschäft, billige Sklaven von den Sklavenhändlern des Grasclankönigs zu kaufen.

Die Kappen waren in Gaia Nova natürlich begehrte Handelspartner, hatten sie doch diese neuen Zauberwaffen, deren Geschosse so schnell waren, dass man sie nicht sehen konnte und kaum, dass auch nur ein Schuss abgefeuert war, lag der Gegner schon mit einem blutenden Loch in der Brust am Boden. Waffen wurden jetzt zu einer gefragten Handelsware.

Welch eine neue Macht!

Dazu besten Alkohol und Textilien aller Art. Schnell hatten die Kappen herausgefunden, dass das Grasvolk Kaurischnecken als Zahlungsmittel verwendete, was günstiger war als ihre eigenen Silbermünzen.

Die Kappen waren heiß auf Gold und gruben, was das Zeug hielt, genauer, sie ließen natürlich graben.

Gold und Silber, das sie mit den Schiffen zurückschickten, machte sie zu reichen Siedlern, die noch mehr Land mit noch mehr Sklaven kaufen konnten. Der König des Grasvolkes verkaufte sein eigenes Volk oder er überließ es schutzlos den Invasoren, denn die Waffen nutzte er ausschließlich zu seinem eigenen Zweck, an noch mehr persönlichen Reichtum und Macht zu gelangen. Die neuen Herren des Landes, die sich hier niederließen, waren seine besten Freunde. So wurden aus dem Grasvolk kurzerhand die Graskappen.

„Wir haben gar nicht mitbekommen, wie es sich gen Norden mit den Kappen entwickelt hat. Ich kann mir denken, dass die Nordvölker da nicht lange auf sich haben warten lassen. Sie sind clever. Das Bergvolk wird die Kappenkundschafter eingeladen und ihnen Land angeboten haben, denn Land haben sie reichlich. So würden beide profitieren, die einen von neuem Land, die anderen zunächst von den direkten Handelspartnern in Sachen neuer Feuerwaffen und in der Folge vom Wissen, wie man solche Gewehre herstellte. Und Gefangene als Arbeitskräfte einzusetzen, das dürfte auch nicht an ihnen vorbeigegangen sein“, redete ER eher zu sich.

„So ist es. Die Bergclans und das Eiserne Volk hatten allerdings lange ihre eigene Strategie in Sachen Zwangsarbeit. Ein witziges Prinzip. Erst kämpften sie gegeneinander, natürlich Spaßkämpfe, denn sie waren jetzt Blutsgeschwister, um gegenseitig Gefangene zu haben. Die tauschten sie dann wieder aus, nur, um diese Trottel dann dafür zu bestrafen, dass sie verloren haben. Quasi Schuld durch harte Arbeit abarbeiten. Ganz nach Bedarf nutzten sie dann doch die Gefangenen des Gegners zur Zwangsarbeit und tauschten sie dann später zurück. Aber im Grunde verstanden sie sich bestens, das Bergvolk und das Eiserne Volk. Der einzige Unterschied war, dass das Bergvolk auch Kriegerinnen hatte, was das Eiserne Volk verachtete, aber ebenso reizte. Eine Frau als Gefangene zu haben zählte doppelt beim Rücktausch.“

„Welch ein sonderbares Spiel.“ ER schüttelte den Kopf.

„Schlimm nur, wenn ein Eiserner Krieger eine Frau tötete, zählte er in seinen Reihen als Held. Ein Eiserner Krieger, der durch eine Frau getötet wurde, hatte keine Chance auf ein gutes Leben nach dem Tod. Der schmorte im ewigen Feuer des Erdinnern. Ein Eiserner Krieger, der durch eine Frau verletzt wurde, wurde nach wie vor sofort aus dem Kriegsdienst ausgeschlossen“, erklärte Skipper weiter.

„Das ist krass. Welch eine verquere Denkweise? Was haben die nur für ein Problem mit Frauen? Das wird immer abnormaler“, meinte ER.

„Das ist erst der Anfang. Aber du hast dich entschieden, weiterzufahren. Es wird es noch finsterer“, klapperte irgendwo Frau Rückblick mit dem scharfen Messerfächer.

„Bei diesen Gefangenenspielchen blieb es nicht lange, denn beide Völker brauchten mehr Arbeiter und wollten ihre guten Krieger nicht dafür opfern. Das haben sie natürlich untereinander abgesprochen.

Das Bergvolk machte daher Gefangene aus dem Hirtenvolk, ein Brauch aus der Zeit vor dem ersten Kaiser der Strategi, um sie in den Bergwerken arbeiten zu lassen. Das Eiserne Volk nahm extra Gefangene des Volkes der Nagila, um sie in ihren Bergwerken arbeiten zu lassen, da sie so praktisch klein und schmal waren. Ehrlichen Handel mit ihnen zu betreiben brachte ihnen nichts, denn das Volk der Nagila hatte ihrer Ansicht nach nichts außer ihren Göttern, Weihrauch und allerhand anderem Räucherwerk. Das besaßen sie selbst zu genüge. Also bedienten sich die mit starken Waffen ausgerüsteten Männer des Eisernen Volkes der körperlich stark unterlegenen Männer des Volkes der Nagila. Ihre hübschen Frauen wurden zu begehrten Anerkennungsgeschenken für die unzähligen Anführer der Eisernen Krieger.

Stimmt, Gewürze nahmen sie noch mit, denn die ergänzten perfekt ihre eigene Vielfalt an Gewürzen, die die mitgebrachten Frauen gleich in ihren Speiseplan integrierten.“

„Viele Gewürze, viele Götter. Vielleicht hängt das zusammen?“, überlegte ER etwas quer.

„Mag sein. Immerhin gewannen die in Gefangenschaft arbeitenden Frauen etwas an Achtung. Etwas. Und die Stoffe der Nagila fanden immer größeres Interesse, so dass Frauen wieder zurück in ihre Heimat durften, um Stoffe mit Ornamenten, Farben und Mustern des Eisernen Volkes zu weben. Daran siehst du, wie sich mehr und mehr alles gegenseitig beeinflusste, so dass man manchmal gar nicht mehr weiß, wo etwas ursprünglich herstammte. Gerade bei den Göttern oder den Künsten.

Okay, da war noch etwas von Interesse und das war nicht unwichtig. Sie transportierten nämlich große Schiffsladungen mit Reissäcken vom Volk der Nagila bis in den Schwarzen Fluss. Das war äußerst praktisch, da umsonst. Zuvor hatte das Eiserne Volk lange Handel mit dem Volk des Turmwald-Labyrinths im Süden betrieben. Es hatte kriegerische Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, doch die Krieger des Turmwaldes waren nicht nur technisch sehr gut ausgerüstet mit perfekt gearbeiteten Schwertern, sondern auch hervorragend und diszipliniert ausgebildet, so dass weder das Eiserne Volk noch eine Allianz mit dem Bergvolk es schaffte, dieses unüberblickbare Turmwald-Labyrinth mit seinen plötzlich auftauchenden Kriegern auch nur ansatzweise zu besiegen. Also betrieben sie Handel. Besonders mit dem begehrten Reis. Dass das Volk der Nagila im Hinterland auch Reis anbaute, hatte das Eiserne Volk erst später bemerkt.

Um auf die gefangenen Männer des Volkes der Nagila zurückzukommen, die für das Eiserne Volk in den Bergwerksstollen arbeiteten: Diese besaßen zwar eine praktische kleine und zarte Statur für die engen Stollen, in denen meist nur auf den Knien gearbeitet wurde, um den Stollen voranzutreiben. Aber sie waren alles andere als stark, so dass sie oft ausgetauscht werden mussten. Der Verschleiß war recht hoch bei der harten Bergwerksarbeit. Selbst starke junge Männer des eigenen Volkes wurden selten älter als 25 Jahre, genauso beim Bergvolk. Die jungen Männer des Volkes der Nagila blieben selten länger als ein halbes Jahr am Leben. Auch Frauen und Kinder wurden zum Steine Auswaschen im kalten Nass unter der Erde eingesetzt.

Der Zugriff auf diese Gefangenen hörte natürlich schlagartig auf, als die Strategi die Macht auf der Westseite der Nagila übernahmen. Aber nur kurzfristig, wie auch der freie Zugriff auf Reis und Gewürze. Die Strategi entdeckten nämlich nun doch den Wert des Volkes der Nagila und erweiterten kurzerhand strategisch ihre südliche Grenze. Sie bauten aber keinen neuen Südwall mit Wach türmen, sondern beließen den alten, wo er war, und schickten nur ein paar Garnisonen als Außenposten an den Nordrand des Faltengebirges, wo sie lebten. Dieses Volk war eh zu schwach, um sich zu erheben und außerdem verbot ihre religiöse Überzeugung Gewalt an anderen Lebewesen. Da brauchten die Strategi keinen Mehraufwand. Einfach nur besetzen. War ja quasi nebenan. Das geschah alles vor den Kappen.“

Als ER und Skipper das Faltengebirge umschlängelten, wurden sie gerade Zeuge eines erbitterten, sehr ungleichen Kampfes von Kappen, die es auf die Goldminen des Volkes der Sonne abgesehen hatten.

„Nein, nicht das Volk der Sonne!“, rief ER panisch. Er schien komplett verdrängt zu haben, dass auch sie mittlerweile Sklaven vom Grasland eingesetzt hatten, und dass seine Priesterkönigin und ihr hohes geistiges Leben schon sehr lange der goldenen Vergangenheit angehörten.