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In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Langsam tauchte die Insel aus dem Nebel auf. Die steilen Klippen wuchsen aus dem Meer, und hoch darüber erblickte man die Türme eines alten Schlosses. Es war beeindruckend, dachte Susanna. Es war kein Märchenschloß mit glücklichen Prinzen und Prinzessinnen. Das hier war eine echte Sache – riesig, schwer, dräuend und zweifellos auch mit den nötigen Verliesen, in denen die Feinde des Schloßherrn verschwanden… Das Telefon klingelte, Susanna hörte es im Traum, und im Traum nahm sie den Hörer auf. Es war Mark, aber ein anderer Mark, nicht sarkastisch und distanziert, sondern warmherzig und bittend. »Liebling«, rief er fröhlich, »bitte, heirate mich! Sie hat in die Scheidung eingewilligt! Meine Frau hat der Scheidung zugestimmt! Oh, Liebling, bitte sag doch ja!« Langsam gewann Susannas Bewußtsein die Oberhand. Sie erwachte und hörte gerade noch das letzte Klingeln des Telefons. »Verdammt«, murmelte sie und sprang auf. Sie riß den Hörer an sich, aber da war nur noch das Freizeichen. Sie lag auf dem Rücken und dachte an ihren Traum. Ach, wäre er doch Wirklichkeit geworden! Wenn Mark doch nur nicht so stark wäre! Wenn seine Argumente doch nicht so vernünftig wären! Wieder hörte sie seine Stimme, die gestern abend, hier in dieser Wohnung gesagt hatte: »Sie wird niemals in die Scheidung einwilligen. Aber wir können doch auch so zusammen glücklich werden, Sue. Du kannst deine Stellung in der Bibliothek aufgeben, und ich helfe dir mit dem Geld. Dann kannst du dich deiner Schriftstellerei widmen und brauchst dich nicht ums Geldverdienen zu kümmern, dafür sorge ich dann.« Susanna drehte sich auf den
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Langsam tauchte die Insel aus dem Nebel auf. Die steilen Klippen wuchsen aus dem Meer, und hoch darüber erblickte man die Türme eines alten Schlosses. Es war beeindruckend, dachte Susanna. Es war kein Märchenschloß mit glücklichen Prinzen und Prinzessinnen. Das hier war eine echte Sache – riesig, schwer, dräuend und zweifellos auch mit den nötigen Verliesen, in denen die Feinde des Schloßherrn verschwanden…
Das Telefon klingelte, Susanna hörte es im Traum, und im Traum nahm sie den Hörer auf. Es war Mark, aber ein anderer Mark, nicht sarkastisch und distanziert, sondern warmherzig und bittend.
»Liebling«, rief er fröhlich, »bitte, heirate mich! Sie hat in die Scheidung eingewilligt! Meine Frau hat der Scheidung zugestimmt! Oh, Liebling, bitte sag doch ja!«
Langsam gewann Susannas Bewußtsein die Oberhand. Sie erwachte und hörte gerade noch das letzte Klingeln des Telefons.
»Verdammt«, murmelte sie und sprang auf. Sie riß den Hörer an sich, aber da war nur noch das Freizeichen.
Sie lag auf dem Rücken und dachte an ihren Traum. Ach, wäre er doch Wirklichkeit geworden! Wenn Mark doch nur nicht so stark wäre! Wenn seine Argumente doch nicht so vernünftig wären! Wieder hörte sie seine Stimme, die gestern abend, hier in dieser Wohnung gesagt hatte:
»Sie wird niemals in die Scheidung einwilligen. Aber wir können doch auch so zusammen glücklich werden, Sue. Du kannst deine Stellung in der Bibliothek aufgeben, und ich helfe dir mit dem Geld. Dann kannst du dich deiner Schriftstellerei widmen und brauchst dich nicht ums Geldverdienen zu kümmern, dafür sorge ich dann.«
Susanna drehte sich auf den Bauch. Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Warum hatte sie nicht ja gesagt? Vielleicht war es gar nicht so schlimm, so – unpersönlich – wie sie es sich vorstellte. Mark liebte sie bestimmt auf seine Weise, dessen war sie sich sicher. Er konnte ja nichts dafür, daß seine Frau…
Wieder hörte Susanna den spöttischen Ton ihrer Freundin Erika, mit der sie vor ein paar Tagen über ihr Problem gesprochen hatte.
»Wir sind hier in der Großstadt, Schätzchen, und wir haben das zwanzigste Jahrhundert! Nimm, was du von ihm kriegen kannst, und spar dir die Mühe, auf den richtigen Mann zu warten. Sonst wirst du auch so eine ausgetrocknete magere Ziege wie deine Chefin in der Bibliothek. Und das geht ganz schnell!«
Erika war ihrer selbst sehr sicher. Sie hegte niemals Zweifel, daß das, was sie tat, auch richtig war. Und was hatte sie nicht schon erreicht – Texterin in einer Werbeagentur, und das nur ein Jahr nach dem Universitätsexamen.
Sie waren beide nach New York gekommen, und Susanna hatte den erstbesten Job angenommen, der sich ihr bot: in der Bibliothek der medizinischen Fakultät. Aber Erika hatte die Personalabteilung der Werbeagenturen abgeklappert, bis sie etwas gefunden hatte, das ihr zusagte.
»Und haufenweise Männer gibt es da«, hatte Erika ihrer Freundin erzählt. »Jung und freundlich. Einige sind natürlich verheiratet, aber…« Sie hatte den Satz nicht beendet.
Susanna wälzte sich mühsam aus dem Bett und stellte Kaffeewasser auf. Einen Rat, den Erika ihr gegeben hatte, hatte sie jedenfalls befolgt. Sie hatte ihre jetzige Stellung zwar nicht gekündigt, dazu war sie zu vorsichtig, aber an ihrem letzten freien Tag war sie zu einer Stellenvermittlungsagentur gegangen und hatte Lebenslauf und Zeugnisse eingereicht. Man war beeindruckt – Prädikatsexamen in Literatur, mit Biologie als Nebenfach. Und sie hatte so vielseitige Interessen, da müßte es doch möglich sein… Susannas einzige Bedingung war, daß die neue Stelle außerhalb von New York City war.
Mr. Morgan hatte milde gelächelt. »Nun, Miss Ashley, wir haben nicht so viele Klienten außerhalb von New York, aber verlassen Sie sich darauf, daß wir Sie sofort anrufen, wenn sich etwas tut.«
Susanna stand im Badezimmer und putzte sich die Zähne. Dabei betrachtete sie sich in dem kleinen Spiegel. Ihr Gesicht war immer hübsch genannt worden. Nun, sie selbst war so an ihren Anblick gewöhnt, daß sie keinerlei Gedanken mehr daran verschwendete. Jetzt sah sie ihre gerade Nase und große blaue Augen – so, als betrachtete sie das Gesicht einer Fremden. Hübsch, ja, das war sie. Das Gesicht wurde von langen rotblonden Haaren eingerahmt, die in natürlichen Wellen bis auf die Schulter fielen.
Das Telefon klingelte wieder. Langsam ging sie ins Schlafzimmer und nahm den Hörer auf.
»Miss Ashley? Hier ist Bob Morgan von der Stellenvermittlung. Tut mir leid, daß ich Sie so früh störe, aber ich wollte Sie unbedingt erreichen, ehe Sie zur Arbeit gehen. Wir haben hier etwas, das Sie interessieren könnte. Es ist ja etwas ungewöhnlich… Ich weiß, daß Sie Literatur studiert haben, und die Stellung wäre bei einem Schriftsteller. Haben Sie schon mal von Derek Kingsley gehört?«
Susanna mußte unwillkürlich lächeln. »Natürlich, wer hat das nicht?«
»Nun«, fuhr Morgan fort, »ich sagte schon, daß es eine etwas ungewöhnliche Sache ist. Können Sie heute mal vorbeikommen?«
Susanna versprach, während der Mittagspause zu kommen und legte den Telefonhörer auf.
Derek Kingsley. Sie hatte seine Romane auf der Universität gelesen. Seine schwermütigen Geschichten waren gerade sehr in Mode, sie handelten vom Schicksal, dem die Menschen nicht entgehen konnten. Eigentlich waren es deprimierende Romane, aber Kingsley machte sie durch seine wundervollen Charakterbeschreibungen lesenswert. Ja, Kingsley schien die Menschen zu kennen, und Susanna stellte sich ihn als einen weisen, alten Herrn vor.
*
Susanna saß in Bob Morgans Büro und hörte aufmerksam zu.
»Derek Kingsley braucht eine neue Sekretärin, und er braucht sie sofort. Er ist mitten in einer wichtigen Arbeit, er schreibt gerade den dritten Teil seiner ›Chroniken‹, davon haben Sie ja sicher auch schon gehört. Mr. Kingsley braucht jemanden, der den Text vom Band abschreibt und ihn dann korrigiert.«
Mr. Morgan seufzte. »Kurzum – die mühseligen Seiten der Schriftstellerei soll die Sekretärin ihm abnehmen. Außerdem soll sie sich um seine Korrespondenz und andere geschäftliche Angelegenheiten kümmern.«
Mr. Morgan sah Susanna nachdenklich an. »Die nötigen Qualifikationen haben Sie. Außerdem ist die Sache außerhalb von New York, und das wollten Sie ja auch.«
Susanna lauschte fasziniert, als Mr. Morgan beschrieb, wo Derek Kingsley wohnte. Der Schriftsteller war ein reicher Mann und lebte auf einer kleinen Insel, die ihm gehörte. Sie lag vor der Küste von Maine, und Kingsley wohnte in dem Schloß, das seine schottischen Ahnen dort erbaut hatten. Es war das alte Stammschloß, das man Stück für Stück in Schottland auseinandergenommen und auf der Insel wieder aufgebaut hatte.
»Meine Güte!« murmelte Susanna überwältigt.
»Nicht wahr? Ein bißchen exzentrisch, würde ich sagen. Egal, Mr. Kingsley bietet ein ausgezeichnetes Gehalt als Entschädigung dafür, daß der Wohnort Unannehmlichkeiten bietet. Natürlich gehören mehrere Boote zur Insel, und Sie können jederzeit in die nächste Stadt – jedenfalls…«
Susanna schaute Mr. Morgan mißtrauisch an. »Sagen Sie, haben schon viele Bewerberinnen die Stellung abgelehnt? Ist irgend etwas faul an der Sache? Sie klangen eben so merkwürdig.«
»Aber nicht doch, nichts dergleichen«, antwortete Morgan munter, aber Susanna war noch nicht überzeugt.
»Nun, um ganz ehrlich zu sein, Miss Ashley, wir haben vor einem Monat Mr. Kingsley eine Sekretärin vermittelt. Er war gerade aus Europa zurückgekehrt. Sie hat ihre Arbeit zwar gut gemacht, aber sie war nicht glücklich dort. Nun, Tatsache ist, daß sie ohne ein Wort der Erklärung letzte Woche von dort weggegangen ist. Auch bei uns hat sie sich nicht mehr gemeldet.«
Schnell wechselte Morgan das Thema und besprach mit Susanna das gebotene Gehalt. Es war doppelt so hoch wie ihr jetziges! Und der Gedanke, von New York und von Mark fortzukommen, gaben schließlich den Ausschlag.
Sie fiel Mr. Morgan einfach ins Wort. »Das ist der Job für mich! Ich nehme ihn.«
»Wann können Sie anfangen?«
»Ich habe zwei Wochen Kündigungsfrist. Und ich muß meine Wohnung hier auflösen und ein paar Sachen erledigen.«
»Gut. Ich schreibe Mr. Kingsley, daß er Sie in drei Wochen erwarten soll.«
Susanna schüttelte Mr. Morgans Hand und schwebte wie auf Wolken hinaus.
*
Susanna parkte ihren Wagen am Hafen und stieg aus. Sie spürte, wie der Wind vom Meer her wehte und mit ihrem Haar spielte. Wie hübsch es hier war!
Einen kurzen Augenblick lang hatte sie heute morgen beim Aufwachen Panik befallen. Plötzlich schien es ein Wahnsinn zu sein, alles und jeden zurückzulassen, der ihr ans Herz gewachsen war, und in die Fremde zu einem Mann zu gehen, den sie nicht kannte.
Aber sobald sie im Wagen saß, waren Susannas Ängste verschwunden, und sie freute sich auf das Abenteuer, dem sie entgegenfuhr.
Nun war sie also in der kleinen Stadt angekommen. Das Boot sollte um vier Uhr da sein und sie abholen, und bis dahin hatte sie noch eine Stunde Zeit.
Sie fand ein kleines Restaurant am Hafen und bestellte Tee. Die Kellnerin war freundlich, und die beiden jungen Frauen unterhielten sich ein bißchen.
»Mir ist es hier zu eng, und ich will so schnell wie möglich fort«, sagte die Bedienung lachend.
Susanna konnte das gut verstehen. »Für jemanden wie mich aus der Großstadt ist es etwas anderes. Ich werde die Ruhe hier genießen.«
»Dann sind Sie nicht nur zu Besuch hier, Sie wollen hier wohnen?«
»Ja, aber nicht direkt in Beachport, sondern draußen auf Mr. Kingsleys Insel. Ich glaube, sie heißt die ›Schiffbruch-Insel‹.«
Das Lächeln der Kellnerin gefror.
Susanna sah es mit Erstaunen.
»Entschuldigen Sie mich, Miss, ich habe zu tun.« Schnell verschwand die Kellnerin hinter dem Tresen und beschäftigte sich mit ihren Bestellungen.
Susanna trank ihren Tee und wunderte sich, warum die gesprächige Kellnerin sich so abrupt zurückgezogen hatte. Sie sah, wie die junge Frau jetzt mit einem älteren Mann in schmutzigen Arbeitshosen sprach. Der Mann lachte laut, und Susanna fuhr zusammen. Was für ein häßliches Lachen!
Sie stand auf und ging zur Kasse. Plötzlich war der Mann neben ihr.
»So, auf die Schiffbruch-Insel wollen Sie«, sprach er Susanna hämisch an. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Na, da kann ich nur sagen: passen Sie auf sich auf, junge Dame!«
»Was soll das heißen?« fragte Susanna ärgerlich. Merkwürdige Leute wohnten hier!
»Nun, wir mögen die da draußen nicht«, erklärte der alte Mann verstockt. »Wir Leute hier in Beachport gehen überall hin – nur nicht auf die Insel. Und Sie tun uns leid, das ist alles. Wenn Sie einmal da draußen sind, dann hängen Sie fest, da gibt es nichts!«
Susanna lächelte. Leute aus der Kleinstadt waren nun einmal so, wenn ein Fremder in ihre Nähe kam. »Danke für die Warnung«, sagte sie höflich. »Ich passe schon auf mich auf, und was das Festhängen angeht – ich habe meinen Wagen mitgebracht, ich kann also überall hin.«
Aber der Alte war nicht abzuschütteln. Er folgte ihr auf die Straße hinaus. »Miss, Sie haben nicht richtig verstanden. Sie werden da draußen leben. Was nützt Ihnen in dieser Einöde Ihr Auto?«
Susanna wurde ärgerlich. »Danke vielmals«, wiederholte sie, »mir wird schon nichts passieren!«
Sie lief noch ein wenig durch die Straßen und atmete die saubere Luft. Was für ein Geschenk nach dem Gestank in New York!
Langsam wurde es Zeit, zum Landungssteg zu gehen. Die Sonne war verschwunden, und schwere schwarze Wolken bedeckten den Himmel. Plötzlich war der Charme der kleinen Stadt verschwunden, und die bezaubernden Fachwerkhäuschen schienen so bedrohlich wie Hexenhäuser.
Susanna setzte sich auf ihren großen Koffer. Plötzlich zitterte sie. Der dünne Pullover und Rock waren nicht warm genug, und auf dem Boot würde sie entsetzlich frieren. Schnell öffnete sie ihren Koffer und nahm einen warmen wollenen Umhang heraus.
Da tauchte das Boot auf. Es wurde gerade festgemacht, als der erste Regentropfen vom Himmel fiel. Einer der Männer sprang an Land. Er war mittelgroß mit grauem Haar und Bart.
»Sind Sie Miss Ashley?«
Susanna nickte.
»Ich bin Ezra Trask. Ich arbeite bei Mr. Kingsley auf der Insel.«
Er nahm ihre Koffer, und sie folgte ihm hinunter zum Boot.
Der Steuermann war sehr unfreundlich zu Trask und knurrte nur bissig, wenn Trask etwas fragte.
Susanna setzte sich auf eine schmutzige Bank nahe der Kabine und lächelte dem Steuermann zu, der mißmutig an seiner Pfeife kaute.
»Sie sind also die Neue.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und spuckte ins Wasser. »Hoffe, daß es Ihnen gut gefällt bei uns. Die letzte…«
Ezra Trask unterbrach ihn schnell. »Die See wird immer schwerer«, sagte er und sah den Steuermann warnend an.
Susanna blickte erstaunt zu den Männern. Was hatte der Steuermann noch sagen wollen? Trask gab ihr keine Gelegenheit mehr, die Unterhaltung wieder aufzunehmen. Er setzte sich neben Susanna auf die Bank und verfiel in trübsinniges Schweigen.
Der Sturm wurde immer heftiger und heulte in Susannas Ohren. Sie sah zum Festland zurück, zu der kleinen Stadt, in der sie offenbar nicht willkommen war, und fühlte so etwas wie Heimweh. Sie hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Unfug, schalt Susanna sich, wer wird denn jetzt den Mut verlieren!
Sie stellte Trask allerlei Fragen über die Insel. »Wie hat sie den merkwürdigen Namen bekommen: ›Schiffbruch-Insel‹?«
Zuerst schien es, als ob Trask nicht antworten wollte, aber dann besann er sich anders.
»Nun, da war das große Segelschiff. Ist im Sturm hier untergegangen. Muß so um 1847 gewesen sein, ja. Das war noch, ehe die Kingsleys ihr Schloß hier gebaut hatten. Das Schiff war voller Frauen und Kinder. Sie kamen aus Nova Scotia, die ums Horn herum segeln wollten nach Kalifornien. Da wollten sie in den Bergarbeitersiedlungen wieder heiraten.«
»Ich habe von solchen Schiffen gehört – einsame Frauen, aber auch tapfere. So weit weggehen von zu Hause!« murmelte Susanna.
Trask sah sie eindringlich an. »Nun, diese hier hatten nun mal kein Glück. Noch nicht mal ’ne Maus hat den Schiffbruch überlebt. Die paar Leichen, die gefunden wurden, sind auf der Insel begraben. Wir haben einen kleinen Friedhof am Strand. Komische Sache mit denen, die nie gefunden worden sind. Wenn Sturm ist, kann man ihre Stimmen immer noch hören, wie sie heulen und rufen in der Nacht. Schade…«
Susanna erschauderte. Der Sturm wurde immer stärker, und es klang wie Wimmern und Stöhnen über dem Wasser. Susanna schaute in das graue, brodelnde Wasser.
Trask ließ sie nicht aus den Augen.
»Hat keinen Sinn, zu viel darüber nachzudenken«, grinste er.
Sie nickte langsam und wechselte das Thema.
Trask war jetzt ein wenig freundlicher, und Susanna verlor ihre Scheu vor ihm etwas. Er sprach von dem Schloß, das vollkommen modernisiert worden war.
»Es ist ein wunderschönes Haus. Da, jetzt können Sie das Schloß schon sehen!«
Langsam tauchte die Insel aus dem Nebel auf. Die steilen Klippen wuchsen aus dem Meer, und hoch darüber erblickte man die Türme eines alten Schlosses. Es war beeindruckend, dachte Susanna. Es war kein Märchenschloß mit glücklichen Prinzen und Prinzessinnen. Das hier war eine echte Sache – riesig, schwer, dräuend und zweifellos auch mit den nötigen Verliesen, in denen die Feinde des Schloßherrn verschwanden…
Das Boot drehte ab und wurde um die Insel herum gelenkt. Natürlich, an diesen steilen Klippen konnte man nicht landen. Auf der anderen Seite mußte es eine Bucht geben.
Der Landungssteg kam in Sicht und ein Schuppen, der wohl das Bootshaus war.
Wieder sah der Steuermann Susanna so merkwürdig an. Plötzlich ging es Susanna auf, was der Mann dachte, und mit ihm die anderen Leute in der kleinen Stadt. Man hielt sie
für die neue Geliebte des Schriftstellers, frisch importiert anstelle der anderen, die so plötzlich verschwunden war.
Susanna sprang an Land. Nun, mehr als ein Chef hatte seiner Sekretärin Anträge gemacht, sie hatte auch Mark widerstanden, den sie doch so sehr geliebt hatte. Sie würde auch Kingsley widerstehen – falls er in ihr mehr sah als eine Sekretärin. Und sie konnte immer noch kündigen. Plötzlich hörte sie wieder Bob Morgans Stimme: »… sie ist ohne ein Wort der Erklärung einfach weggegangen…«
*
Vor zwei Minuten hatte die Glocke zum Abendessen gerufen. Susanna beeilte sich mit dem Kämmen ihres Haares. Mrs. Trask hatte ihr gesagt, daß sie mit ihrem Arbeitgeber essen sollte und nicht, wie sie sich ausdrückte, »mit den anderen Bediensteten«.
Die Frau nahm diese Bevorzugung übel. Susanna dagegen dachte einfach nur, daß der Mann nicht gern allein aß. »Mr. Derek speist im Abendanzug.«
Mrs. Trask war unfreundlich. Sie hatte Susanna zu ihrem Zimmer geführt und eines der Hausmädchen zum Auspacken geschickt.
Es war ein wunderschönes Zimmer. Es hatte Fenster nach Süden und nach Osten. Herrlich, den ganzen Morgen Sonne im Zimmer! Und welch schöner Blick auf die kleine Bucht!
Im Augenblick war der Raum ziemlich dunkel. Susanna war froh, daß das Haus keine Zentralheizung hatte, denn im Kamin loderte ein Feuer. Es machte das große Zimmer gemütlich und wärmte angenehm.
Susanna hatte ein eigenes Badezimmer und außerdem ein kleines Wohnzimmer mit Schreibtisch und bequemen Sesseln.
Es klopfte. Susanna sah ein hübsches, dunkelhaariges Stubenmädchen in Uniform eintreten.
»Mrs. Trask hat mich geschickt. Ich soll Ihnen den Weg zum Eßzimmer zeigen.«
»Oh, danke«, antwortete Susanna. Das Mädchen war sehr jung, vielleicht achtzehn. Es war das erste freundliche Geschöpf, das Susanna an diesem Tag begegnet war. »Wie heißen Sie?«
»Bridget, Fräulein. Ich bin das Stubenmädchen hier oben, und ich betreue Sie auch. Nur auspacken konnte ich nicht für Sie, weil ich etwas anderes zu tun hatte. Darum hat sie Rifka geschickt.«
Die zwei jungen Frauen gingen die breite Treppe hinunter.
»Wir sind so froh, daß Sie hier sind, Miss. Ein junges Gesicht, wenn ich so sagen darf. Miss Rosalind, das war Ihre Vorgängerin, die war nicht glücklich hier. Ich hoffe, daß Sie etwas länger bleiben.«
Mrs. Trask stand am Fuß der Treppe, und Susanna bemerkte, wie Bridgets Gesicht sich veränderte. Nun, Susanna war nicht überrascht. Mrs. Trask als Vorgesetzte konnte kein Vergnügen sein für ein fröhliches, hübsches junges Mädchen.