Gefahr auf dem Jahrmarkt - Tobias Schier - E-Book

Gefahr auf dem Jahrmarkt E-Book

Tobias Schier

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Beschreibung

In Düsseldorf besuchen die 5 Geschwister die größte Kirmes am Rhein. Dort fällt ihnen ein seltsames Los in die Hände, mit dem irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Doch ihre Nachforschungen bringen sie in ziemliche Schwierigkeiten. Personen verschwinden spurlos. Das Lachkabinett wird zum Gruselkabinett. Und dann ist da noch dieser seltsame Drehorgelspieler, der irgendetwas zu wissen scheint. Zu spät dämmert es ihnen, was die geheimnisvolle Zahl auf dem Los wirklich bedeutet, und sie geraten in große Gefahr ... Mit Schwarz-Weiß-Illustrationen im Innenteil.

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Über die Autoren

Tobias Schuffenhauer ist seit 2003 Radio-Redakteur bei ERF Medien in Wetzlar. Der Umgang mit Worten ist seine große Leidenschaft – er betreibt einen Blog mit Lyrik und Geschichten und produziert Hörspiele und Hörbücher mit der TOS-hörfabrik, die er zusammen mit seinem Kollegen Tobias Schier betreibt. Mit den „5 Geschwistern“ hat er lesen gelernt, und später, als Jugendlicher, zusammen mit seiner Schwester neue Abenteuer erfunden. Dass er sich jetzt ganz offiziell neue Geschichten ausdenken darf, ist die Erfüllung eines Kindheitstraums. Tobias Schuffenhauer ist verheiratet und lebt in Hüttenberg bei Wetzlar.

Tobias Schier ist Mitbegründer und Leiter des Radiosenders ERF Pop von ERF Medien. Er hat Germanistik und Medienwissenschaften in Düsseldorf studiert und war acht Jahre lang beim WDR im Bereich Hörspiel- und Featureproduktion tätig. Schon als Siebenjähriger unternahm er erste Schreibversuche. Im Teeniealter veröffentlichte er sein erstes Kinderbuch im Eigenverlag. Tobias Schier lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Wetzlar.

www.5Geschwister.de

PROLOG

PARADIESAPFEL UND FISCHBRÖTCHEN

DAS SPIEGELKABINETT

MENSCHEN VERSCHWINDEN

DER MANN MIT DEM VOLLBART UND DEN LOLLIS

DAS VERSCHWUNDENE LACHEN

00-00

EINE SCHRECKLICHE TAT

DIE ENTDECKUNG

DIE LETZTE FAHRT

WIE ALLES ZUSAMMENHÄNGT

Liebe Leserin, lieber Leser,

willkommen auf der größten Kirmes am Rhein! Dieses Buch musst du sehr achtsam lesen – aus mehreren Gründen. Eigentlich spielt das Abenteuer der 5 Geschwister an nur einem Ort: auf der Kirmes am Rhein in der Stadt Düsseldorf. Auf dieser Kirmes gibt es alles, was zu einem solchen Ort gehört: Karussells, Riesenräder, Losbuden und Achterbahnen genauso wie Stände mit Süßigkeiten, Pommes und Backfisch. Allerdings gibt es auf dem Düsseldorfer Jahrmarkt auch Dinge, die eher ungewöhnlich sind, zum Beispiel ein Spiegel- und Lachkabinett aus einer Zeit, in der du und selbst ich noch nicht einmal gelebt haben. Du wirst ganz schnell merken, dass die Welt, in die die 5 Geschwister hineingeraten sind, eine völlig andere Welt ist. Die Zeit läuft dort zum Beispiel viel langsamer und manchmal auch viel schneller als bei dir und mir. Deshalb wirst du als Leserin oder als Leser von jetzt auf gleich in die Vergangenheit schauen können, nur um dann sofort wieder in der Gegenwart zu landen. Eigentlich bist du mit den Geschwistern auf der Kirmes – und trotzdem bist du gleichzeitig auch im Zirkus, im Krankenhaus oder im Gefängnis. Und auch wenn der Abend, an dem das Jahrmarkt-Abenteuer spielt, nur wenige Stunden lang ist, so reist du doch immer wieder in die Vergangenheit – und wieder zurück.

Du wirst auf der Kirmes auch viele unterschiedliche Personen kennenlernen. Es werden nicht nur nette Menschen sein. Genau genommen wirken sie alle recht grimmig. Herauszufinden, wer böse Absichten hegt und wer nicht, wer also letztendlich schuldig ist und wer unschuldig, das ist die Aufgabe der 5 Geschwister. Und auch deine Aufgabe!

Die Fünf müssen sich dieses Mal besonders konzentrieren, um nicht vollkommen durcheinanderzugeraten. Vielleicht wird es dir beim Lesen genauso gehen. Dann möchte ich dir sagen: Lass dich nicht entmutigen! Die 5 Geschwister werden auch nicht aufgeben …

Die rote Zuckerschicht leuchtete Petra verlockend entgegen. Ihre Augen strahlten vor lauter Vorfreude. Als ihre Zähne den harten Zuckerguss knackten, und sie den süßen Apfel auf ihrer Zunge schmeckte, schien es ihr, als würde sie all ihre vergangenen Jahrmarktsbesuche in diesem Moment noch einmal erleben. Paradiesäpfel gehörten für Petra einfach zu einem Kirmesbesuch dazu. Ohne die Zuckeräpfel war ein Jahrmarkt für sie undenkbar. Aber es gab noch mehr Dinge, die für sie unbedingt auf eine Kirmes gehörten: der Geruch von gebrannten Mandeln, Zuckerwatte, Pommesfett und Fischbrötchen.

Petra schaute sich um und war ganz überwältigt von der schillernden Umgebung. Sie sah bunte Neonlichter, blinkende Glühbirnen an den Schaustellerbuden, gesprayte Bilder an den Wänden der Fahrgeschäfte – Kraken, Geister, Hollywoodstars und Westernszenen. Jede Bude wollte die großen und kleinen Besucher in eine andere Welt hineinlocken. Dabei war diese Kirmes hier in Düsseldorf schon selbst eine völlig andere Welt …

Jetzt, wo Petra und ihre Geschwister sich an den Buden etwas zu essen geholt hatten, schauten sie sich kauend um und genossen das Spektakel um sie herum.

„Keine Kirmes ohne Paradiesapfel, das sage ich euch!“, meinte Petra mit vollem Mund. Roter Zuckerguss klebte an ihrer Wange.

„Moment mal!“, protestierte Alexander. „Das sehe ich aber komplett anders. Keine Kirmes ohne fettiges, frittiertes Fischbrötchen mit Kabeljau zwischen zwei labbrigen Brötchenhälften.“ Er wischte sich die verschmierten Lippen mit einer viel zu dünnen Papierserviette ab und grinste übers ganze Gesicht.

Alle mussten lachen. Während Esther sich fasziniert umschaute und wegen der vielen verschiedenen Eindrücke ihren Hunger ganz vergessen hatte, steckte sich Hans-Georg eine gebrannte Mandel nach der anderen in den Mund. „Wenn ich einmal damit angefangen hab, kann ich nicht mehr aufhören, bis die Tüte leer ist“, nuschelte er, während es zwischen seinen Zähnen nur so krachte. Gebrannte Mandeln waren für ihn das Erste, was er sich kaufte, wenn er auf einer Kirmes war. Marianne hatte sich für eine Crêpe mit Nutella und Mandeln entschieden.

Langsam gingen sie über das große Jahrmarktgelände. Alle paar Meter veränderten sich die Gerüche schlagartig, und eine neue rhythmische Musik drang an ihre Ohren. Dazu die vielen Menschen um sie herum. Die Budenbesitzer riefen über Lautsprecherboxen unüberhörbar aus, welche Attraktion des Abends man bei ihnen erleben könne. Die 5 Geschwister schauten fasziniert um sich. Wer hatte sie eigentlich dazu bewegt, nach Düsseldorf zu fahren? Esther natürlich!

***

Esther musste wegen eines Referats über Architektur hierher, in die „Stadt der Zukunft“, und hatte ihren Geschwistern davon erzählt. Die hatten dann so lange gebettelt, bis sie schließlich nachgegeben und ihre Geschwister mit in die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen genommen hatte. Esther ließ es sich natürlich nicht nehmen, ihren Geschwistern vor dem Kirmesbesuch eine kleine Stadtführung zu geben. Fasziniert waren sie die Königsallee entlanggeschlendert, durch die Altstadt gelaufen, hatten den Schlossturm am Rheinufer besucht und auch den Medienhafen mit seinen faszinierenden Bauwerken des Architekten Frank Gehry. Auf diese Gebäude hatte sich Esther am meisten gefreut. Wie jeder gute Tourist hatte sie mit ihrer Kamera alles Wichtige festgehalten, sich unentwegt Notizen in ein kleines braunes Heft gekritzelt und ihren Geschwistern pausenlos alles Mögliche über die Bauwerke der Stadt erzählt. Gerade wollte sie wieder auf etwas Interessantes hinweisen – sie hatte in der Ferne den Fernsehturm entdeckt –, da unterbrach Alexander sie: „Was du alles weißt, Esther, das ist wirklich unfassbar. Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie das alles in deinen kleinen Kopf reinpasst!“

Das meinte Alexander ganz im Ernst. Er war sogar ein wenig stolz auf seine kluge Schwester und schaute sie anerkennend an. Esther bemerkte das und freute sich natürlich über dieses Kompliment, denn Alexander war sonst meist nicht so interessiert an dem, was Esther so begeistert erzählte.

„Schade nur, Alex, dass ich dir den überdimensionalen Pudding am Rande der Altstadt nicht zeigen kann“, sagte Esther und grinste.

Alexanders Augen wurden größer und größer. Er liebte Pudding, vor allem Vanillepudding, mit ganz viel Sahne. „Die haben hier einen überdimensionalen Pudding in der Stadt stehen??“

Da lachte Esther laut und stieß ihm freundschaftlich in die Seite. Auch die anderen prusteten los.

Alexander schaute in die Runde. In seinem Gesicht stand ein riesiges Fragezeichen geschrieben. Schließlich erbarmte sich Marianne, die Älteste der 5 Geschwister, und erklärte ihm: „Also, der Pudding ist in diesem Fall ausnahmsweise mal nix zu essen. Das ist der Spitzname vom Schauspielhaus. Das sieht halt aus wie ein großer Pudding.“

„Ach so“, antwortete Alexander enttäuscht und machte eine wegwerfende Handbewegung. Schließlich musste auch er lachen. „Aber stellt euch das doch mal vor: ein riesiger Pudding, so groß wie ein Haus, und jeder, der ihn besichtigen will, bekommt einen Dessertlöffel in die Hand und darf so lange essen, wie er will. Das wäre doch mal eine Idee! Ein Publikumspudding, ein echter Publikumsmagnet! Die Leute würden aus der ganzen Welt anreisen, nur um den Pudding zu kosten, und Düsseldorf wäre international bekannt als die Puddingstadt!“

„Coole Vorstellung, kannst du ja mal den Stadtvätern Düsseldorfs vorschlagen. Die sind doch bestimmt heute auch auf der Kirmes, wegen des Feuerwerks heute Abend.“ Das Feuerwerk war übrigens etwas, worauf sich Hans-Georg, der ältere der beiden Brüder, am meisten freute – und weswegen er überhaupt mitgekommen war. Das Höhenfeuerwerk am letzten Abend der Kirmes zählte zu den schönsten und aufwendigsten in Deutschland. Und da Hans-Georg alles liebte, was mit Technik zu tun hatte, mochte er natürlich auch Pyrotechnik*.

* Pyrotechnik kommt von „pyr“, dem griechischen Wort für „Feuer“. Pyrotechnik ist eine Technik, die mit explosiver Verbrennung zu tun hat.

***

Jetzt, wo die 5 Geschwister über den Jahrmarkt schlenderten, waren die Anstrengungen des Sightseeings und die schmerzenden Füße mit einem Mal vergessen. Denn wo hatten sie sonst schon eine so riesige Kirmes erlebt? Die Buden zogen sich über Hunderte von Metern am Rhein entlang, und auf den provisorisch angelegten Schotterwegen liefen unzählige Besucher zwischen den Attraktionen hin und her. Von weitem sah der Jahrmarkt aus wie ein riesiger Ameisenhaufen mit endlos langen Ameisenstraßen.

In diesem großen Getümmel fiel der Demonstrationszug am Eingang zur Kirmes gar nicht weiter auf. „Rettet die Rheinwiesen“ oder „Flora und Fauna statt Massen und Mandeln“ stand auf den Plakaten der Demonstranten. Sie bildeten Sprechchöre und verteilten unentwegt Flyer. Die Demo-Teilnehmer – es waren mehrere Hundert – hatten sich hier versammelt, um darauf aufmerksam zu machen, welche schädlichen Auswirkungen die Rheinkirmes auf die Umwelt hat. Das schien die Kirmesbesucher aber überhaupt nicht abzuschrecken. Die meisten gingen uninteressiert weiter, den Weg am Sanitätszelt vorbei und hinein in das bunte Treiben. Auch die 5 Geschwister beachteten die Demonstranten kaum. Nur Petra nahm sich einen Flyer mit. Wenn es um die Natur ging, die Pflanzen und Tiere, da wurde sie immer gleich hellhörig …

Jetzt standen sie mitten auf dem Kirmesgelände. Als alle ihre Geschwister ihre Jahrmarktsleckerei in den Händen und den Mund voll hatten, nutzte Esther die Gelegenheit, sie auf den Fernsehturm aufmerksam zu machen. „Seht ihr den leuchtenden Turm da hinten, den, der von unten bis oben mit einer Reihe blinkender Lichter versehen ist?“

Die anderen nickten kauend und ahnten, was kommen würde – eine weitere Abhandlung über ein Gebäude.

Esthers Augen leuchteten. „Seht mal, wie die Punkte blinken! Und stellt euch vor, die blinken nicht nur einfach so, sondern nach einem besonderen System.“

„Was du nicht sagst!“, murmelte Hans-Georg. Während er die gebrannten Mandeln in sich hineinstopfte, gelang es ihm doch tatsächlich, nicht nur zu kauen, sondern auch zu reden. „Und du wirst uns jetzt sicher das System erklären …“

„Ganz genau“, gab Esther ein wenig irritiert zur Antwort. „Es ist nämlich eine Dezimaluhr!“

„Aha.“ Petra verstand nur Bahnhof und guckte ihre Schwester erwartungsvoll an. Es schien hier also um Zahlen zu gehen, und die waren nun wirklich nicht ihre Welt. „Wie können ein paar leuchtende Punkte denn eine Uhr sein? Versteh ich nicht.“

Esther quasselte los wie ein Wasserfall. „Also: Es gibt ein ‚deutsches Zeitnormal‘, eine extrem genaue Uhr. Und die Zeit dieser Uhr wird über die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig in ganz Deutschland verbreitet, und zwar über einen Langwellensender in der Nähe von Frankfurt. Jede Sekunde wird diese exakte Uhrzeit von einer Antenne auf dem Rheinturm empfangen und dann über eine spezielle Schaltung an die Turmuhr weitergegeben. Um die Uhr lesen zu können, muss man die Gruppierungen der Leuchtsignale in der Turmsäule genau unterscheiden. Die gelben Leuchten dienen nur zur Unterscheidung, nur die weißen Leuchten geben die genaue Uhrzeit an. Dabei haben auch die beiden roten Leuchtsignale eine wichtige Rolle …“

Esther redete noch eine ganze Weile weiter, aber keiner ihrer Geschwister hatte am Ende verstanden, wie diese besondere Uhr nun eigentlich funktionierte.

„Esther, ich hab’s echt nicht kapiert, aber es klang total spannend, was du da erzählt hast“, meinte Hans-Georg schließlich und auch ganz ehrlich. Die anderen nickten.

Esther zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Dafür seid ihr jetzt fertig mit dem Essen. Ich kann es euch ja später noch mal erklären.“

Keiner antwortete ihr, und Esther fragte völlig unbeeindruckt: „Und was machen wir jetzt?“

„Achterbahn fahren!“, rief Alexander und lief auch schon los.

Neben dem Riesenrad war den Geschwistern die Achterbahn als Erstes ins Auge gefallen. Ihre Loopings überragten die restlichen Buden um ein Vielfaches. Die Fünf stellten sich in der Schlange an und warteten geduldig, bis sie endlich an der Reihe waren. Als sie sich in die kleinen Wagen gesetzt und angeschnallt hatten, ging es los …

Hans Glück

Hinter dem roten Vorhang ging es wie immer hektisch zu. Die Hunde auf der einen Seite, die Clowns auf der anderen. Gerade wurden die Sprungtürme der vorherigen Nummer zügig nach hinten getragen. Aber Hans ließ sich von alldem nicht ablenken. Dafür war er schon zu lange im Geschäft, als dass ihn das hätte aus der Ruhe bringen können. Er stand konzentriert hinter dem Vorhang und wartete geduldig auf seinen Einsatz. Hans liebte diese Atmosphäre aus Spannung, Begeisterung und Vorfreude. Er liebte den Geruch von Tieren, Menschen, Sand und Süßigkeiten. Dieser Augenblick, kurz bevor er raus in die Manege ging, war der Moment, den er am meisten liebte – wenn die Scheinwerfer ihn blendeten, die Zuschauer in Erwartung der nächsten Zirkusnummer klatschten und das Orchester über seinem Kopf die Musik anstimmte. Der Zirkus war eine Welt für sich. Und er liebte diese Welt, weil es seine Welt war. Eine Welt, die er kannte und in der er sich wohlfühlte.

Seine Hände schwitzten, sodass er sie noch einmal mit Magnesiumpulver einrieb, um sie trocken zu halten. Über ihm donnerte die Kapelle das Vorspiel zu seinem Auftritt. Sein Kopf schmerzte immer noch, trotz der Tabletten, die er eingenommen hatte. Was soll’s. Die Show muss ja weitergehen. So ein bisschen Kopfweh hat noch keinen umgebracht, dachte er sich und biss die Zähne zusammen. Die Blasinstrumente setzten nun mit ihrem Ta-ta-tataaa ein. Das war Hans’ Zeichen, jetzt in die Manege zu laufen. Der Direktor rief ihm noch hinterher: „Viel Glück!“ Hans hob die Arme, kniff die Augen zusammen und lief lächelnd in die Mitte der Manege des riesigen Zeltes. Dann blieb er stehen und machte eine tiefe Verbeugung. So tief, dass er mit seinen Haaren fast den Boden berührte. Die Kopfschmerzen waren vergessen, das Blut pulsierte in seinen Adern und er war wieder einmal voll in seinem Element. Hans ging zu dem langen Seil, das am Rand der Manege von der Zeltdecke hing, hielt sich mit einem Arm daran fest und ließ sich in die Lüfte ziehen. Schon als Kind hatte er davon geträumt, Trapezkünstler zu werden, auch wenn seine Eltern ihm immer davon abgeraten hatten. Sie wollten, dass er einen „anständigen Beruf“ erlernte. Aber Hans hatte nie etwas Unanständiges an diesem Beruf gefunden, und so war er schon als kleines Kind an allem hochgeklettert, was in der Gegend herumstand. Schließlich hatte er seine Eltern gebeten, doch wenigstens in den Turnverein gehen zu dürfen. Und dort war er dann dem Trainer sofort aufgefallen, weil er so begabt war. Und ab da wurde er gefördert. Jetzt, viele Jahre später, war er bekannt: Er war Hans Glück, einer der bekanntesten Trapezkünstler des deutschen Zirkus.