Gefahr für Eden 2 - Jules Verne - E-Book

Gefahr für Eden 2 E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Kaum von ihrer dramatischen Expedition in das Nordpolarmeer zurückgekehrt, wird auf Aaron Fogg in einem New Yorker Hotel ein Mordanschlag verübt. Phileas Fogg zeigt sich besorgt, doch sein Bruder ist offenbar nicht gewillt, über den Vorfall zu reden. Es kommt zu einem Streit zwischen den Brüdern, nach dem Aaron nicht nur das Hotel, sondern am nächsten Tag auch die Stadt verlässt. Er ahnt jedoch nicht, dass sich Phileas Fogg in Begleitung seiner Frau Aouda und ihrem gemeinsamen Diener Passepartout bereits an seine Fersen geheftet hat. Auf einer dramatischen Zugreise wird deutlich, dass Aaron vor jemandem auf der Flucht ist. Nachdem die Situation im Zug eskaliert, ist plötzlich nichts mehr wie es war. Die Gebrüder Fogg und ihre Begleiter landen in Eden 2, einer Forschungsstation mitten in der Wüste von Arizona. Doch auch dort ist längst nicht alles so, wie es scheint, und die Brüder werden erneut mit einem raffinierten Gegner konfrontiert, der aus dem Verborgenen heraus zuschlägt.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

4901 Die schwarze Perle des Verderbens

4902 Verschollen unter dem Meer

4903 Die vergessene Kolonie

4904 Die Söhne des Abgrunds

4905 Weiße Hölle – schwarzes Gold

4906 Gefahr für Eden 2

GEFAHR FÜR EDEN 2

JULES VERNE – DIE NEUEN ABENTEUER DES PHILEAS FOGG

BUCH SECHS

MARC FREUND

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

© 2024 Blitz Verlag & martim eBooks

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH

Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Titelbild & Logogestaltung: Mark Freier

Alle Rechte vorbehalten

eBook Satz: Gero Reimer

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-689-84101-0

1006 vom 27.07.2024

1

Es klopfte leise an die Tür.

„Wer ist da?“

„Der Zimmerkellner, Sir“, kam es von der anderen Seite zurück.

Aaron Fogg trocknete sich das vom Rasieren noch nasse Gesicht im Handtuch ab, zog den Gürtel seines Bademantels fester und öffnete die Zimmertür.

Der Kellner, tadellos in gestreifter Livree gekleidet, deutete eine Verbeugung an. „Wo darf ich den Champagner hinstellen, Sir?“

Der Schwarzhaarige deutete in das geräumige Zimmer hinein. „Stellen Sie ihn auf den Couchtisch.“

„Sehr wohl, Sir“, antwortete der Kellner, der einen mit Eis gefüllten Kübel trug, aus dem der lange Hals einer Flasche ragte. Er trat würdevoll an dem Gast vorbei ins Zimmer, während die Tür hinter ihm zu schwang und ins Schloss fiel.

Der Kellner stellte den Kübel ab, drehte sich jedoch nicht um. Er blieb wie angewurzelt stehen und kehrte dem Zimmergast den Rücken zu.

„Haben Sie sonst noch einen Wunsch, Sir?“

Aaron Fogg warf das Handtuch beiseite und schlüpfte in ein frisches Hemd. „Nein, besten Dank.“

Fogg wandte sich wieder ab in Richtung des integrierten Badezimmers, als sein Blick auf einen schmalen Wandspiegel fiel. Darin erkannte er, wie der Kellner einen anderen Gegenstand als die Flasche aus dem Eiskübel zog und sich damit umdrehte.

Ein langes Messer blitzte in der Hand des Mannes auf.

Damit jagte er in der nächsten Sekunde auf leisen Sohlen heran.

Aaron Fogg, das Hemd noch nicht einmal geschlossen, tat das Einzige, was ihm in der Enge des Raumes noch möglich war: er ließ sich kurzerhand fallen.

Über sich nahm er eine hastige Bewegung wahr. Der Arm mit dem Messer sauste nach unten und verfehlte sein Ziel nur knapp.

Der Zimmerkellner stieß einen wütenden Laut aus und versuchte, sofort nachzusetzen.

Aaron trat nach ihm, ziellos und unkontrolliert. Dennoch traf er das Schienbein seines Angreifers. Der Mann stöhnte auf.

Der Gast aus Zimmer 217 robbte rückwärts über den Dielenboden, bis er mit dem Rücken gegen die Zimmertür stieß.

Dann war der Angreifer wieder heran. Ein entschlossener Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Das Messer blitzte auf und sauste erneut hinunter.

Es kollidierte mit dem Regenschirm, den Aaron aus einem Reflex heraus aus dem Ständer neben der Tür gerissen hatte.

Die scharfe Klinge verfing sich darin und schlitzte die Bespannung mit einem hellen Geräusch auf.

Der Schirm wurde Aaron Fogg aus der Hand gerissen und flog ins Innere des Zimmers.

„Was wollen Sie von mir?“, presste Fogg heraus. „Und wer zum Teufel sind Sie?“

„Kannst du dir nicht denken, wer mich schickt?“, antwortete der Kellner mit einem hämischen Grinsen. Er hatte sein Gesicht in der Gewissheit verzogen, ganz kurz vor seinem Erfolg zu stehen.

„Doch, das kann ich“, flüsterte der Mann am Boden. Ein dunkler Schatten legte sich über seinen Blick.

Der Angreifer stand breitbeinig über ihm. Aaron Fogg spürte die Tür in seinem Rücken. Langsam und mühsam stemmte er sich in die Höhe, tastete sich an dem Holz entlang und bekam den Griff zu fassen.

Der Mann mit dem Messer schüttelte den Kopf. „Denk‘ nicht mal dran, du Lump.“ Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er sein Opfer gepackt, zog ihn zu sich heran und schleuderte ihn in den Raum hinein.

Aaron Fogg schrie auf, verlor das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin.

Der falsche Zimmerkellner lachte schadenfroh auf. Er hob die Hand mit dem Messer und wollte sich gerade auf sein Opfer stürzen, als die Tür aufflog und ihm hart in den Rücken schlug.

„Was zum Teufel …?“

Der Kerl fuhr herum und erkannte einen Schatten in der Türöffnung, der sich sofort auf ihn stürzte.

Der Kellner reckte das Messer hoch und richtete es auf seinen Gegner, als er plötzlich von der ausladenden Krone eines Garderobenständers unsanft vor die Brust gestoßen wurde.

Der Mann mit dem Messer schrie auf, taumelte rückwärts und stolperte über die Beine von Aaron Fogg, der gerade dabei gewesen war, sich aufzurichten.

Der andere setzte sofort nach. Er hastete in das Hotelzimmer, holte mit dem Garderobenständer aus und traf den Messermann in dem Moment, als dieser aus der Hocke heraus auf seinen neuen Gegner zuspringen wollte.

Ein klatschendes Geräusch war zu hören. Der Schlag war mit voller Wucht geführt worden und gestaltete sich als ein Volltreffer.

Der falsche Kellner vollführte einen Rückwärtssalto und blieb für einen Moment auf dem Rücken liegen, wo er leise vor sich hin stöhnte.

„Passepartout“, entfuhr es Aaron Fogg, „was um alles in der Welt machen Sie hier?“

Der französische Diener zuckte mit den Schultern. „Madame Fogg bat mich, Sie zu fragen, ob Sie morgen Früh das Frühstück an unserem Tisch einnehmen möchten. Ich kam also her und wollte gerade an Ihre Tür klopfen, als ich den fürchterlichen Tumult dahinter wahrnahm. Ich dachte mir gleich, dass Sie sich in Schwierigkeiten befinden könnten. Aber mit so etwas habe ich nicht gerechnet.“ Der schlaksige Franzose blickte demonstrativ auf den Boden, wo der falsche Kellner noch immer halb bei Bewusstsein lag.

„Eine kleine Meinungsverschiedenheit“, räumte Aaron Fogg lächelnd ein.

Passepartout zog die rechte Augenbraue hoch. „Ich hoffe, Sie haben dem unverschämten Kerl nicht auch noch Trinkgeld gegeben, Sir.“

Fogg erwiderte nichts.

Der Diener seines jüngeren Bruders hatte die Situation allerdings bereits erfasst, auch wenn er weit davon entfernt war, die Hintergründe des Angriffs zu erkennen.

„Ein alter Bekannter von Ihnen, Sir?“

Der ältere der Foggs schüttelte den Kopf. „Ich habe den Mann noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.“

Passepartout nickte und trat mit entschlossenem Gesicht an dem Engländer vorbei. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob unser buntes Vögelchen nicht vielleicht gewillt ist, ein wenig für uns zu singen.“

Der Franzose gelangte zum Couchtisch und griff nach dem Eiskübel. Er nahm die Flasche heraus, behielt sie in der rechten Hand und schüttete den Inhalt des Zinkeimers über dem Fremden aus.

Eiswasser ging über dem Mann nieder, gefolgt von Eiswürfeln, die ihm mit klickenden Geräuschen auf die Stirn prasselten.

Der falsche Kellner kam zu sich und vollführte eine abwehrende Handbewegung, so als wolle er einen Schwarm Insekten verscheuchen. Mit einem prustenden Geräusch kam er in die Höhe, setzte sich auf.

„Siehe da“, bemerkte Passepartout spöttisch, während er die schwere Champagnerflasche über dem Kopf des Mannes kreisen ließ, „unser Vogel kommt langsam wieder zu sich. Dann erzähle uns mal, aus welchem Nest du geflattert bist.“

„Darf ich … aufstehen?“, krächzte der Mann.

Passepartout trat einen Schritt zur Seite. „Aber nur, wenn Sie hübsch artig sind. Nicht so, wie gerade eben.“

Aaron Fogg gesellte sich zu dem Franzosen. Gemeinsam blickten sie auf den Mann in der nassen Livree, der sich nun langsam aufrichtete.

„Nun?“, fragte Passepartout, als sie sich direkt gegenüberstanden.

„Nun was?“

„Was haben Sie hier zu suchen?“, hakte der Diener nach. „Und was wollten Sie von Monsieur Fogg?“

„Ich will es mal so sagen“, erwiderte der Mann und blickte dabei nachdenklich gegen die Decke. Dann, ohne jegliche Vorankündigung, wirbelte er auf der Stelle herum.

Passepartouts linke Hand schoss nach vorne und bekam ein Stück von der gestreiften Weste zu fassen.

Stoff knirschte und riss mit einem derben Ruck.

Der falsche Kellner rannte aus dem Zimmer und in den Korridor hinaus.

Passepartout jagte ihm nach, den langen Flur entlang in Richtung des Treppenhauses, das offensichtlich das Ziel des Fremden war.

Der Franzose holte schnell auf, als sich plötzlich eine der Türen öffnete und ihm den Weg versperrte.

Passepartout, in vollem Lauf, konnte nicht rechtzeitig abbremsen und schlug gegen das Türblatt.

Dahinter war ein erschrockener Aufschrei zu hören. Jemand ging mit einem seltsam rauschenden Geräusch zu Boden.

Passepartout stolperte, konnte sich jedoch im letzten Moment am Türgriff festhalten, an dem er sich entlanghangelte, auf die andere Seite des Korridors.

Der französische Diener hörte gerade noch, wie sich hastige Schritte durch das Treppenhaus entfernten. Irgendwo im Hotel schlug eine Tür zu.

„Würden Sie wohl die Freundlichkeit besitzen, um mir aufzuhelfen?“, erreichte ihn eine Stimme vom Boden des Korridors.

Passepartouts Augen weiteten sich vor Überraschung, als er inmitten des Gewirrs aus Unterröcken und dem Überrock eines zart violetten Kleides eine zarte Frauengestalt erkannte.

„Oh, mon dieu“, stieß er aus und beugte sich sofort nach unten. Er reichte der Dame seinen Ellenbogen, an dem sich die Frau festklammerte und sich von ihm in die Höhe ziehen ließ.

„Verzeihung, Madame. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ich bin untröstlich.“

Die Dame ließ ihn los, ordnete ihre Kleider und strich sie glatt, wobei sie dem hochgewachsenen Mann immer wieder argwöhnische Blicke zuwarf. Zwischen ihren feinen dunklen Augenbrauen zeigte sich eine ausgeprägte Zornesfalte.

„Was fällt Ihnen eigentlich ein, durch das Hotel zu rennen, als ob Sie einen Wettlauf gewinnen wollten? Hatten Sie es so eilig, zur Dame Ihres Herzens zu gelangen?“

„Wie?“, machte Passepartout. Dann fiel sein Blick auf die Champagnerflasche, die er noch immer in der Hand hielt.

„Oh, nein, das ist eine lange Geschichte. Ich wollte nur …“

Er brach ab.

„Was wollten Sie?“, fragte sie.

Er streckte seine Hand mit der Flasche vor. „Die ist für Sie. Quasi als Wiedergutmachung. Wenn Sie sie denn annehmen wollen.“

Die junge Frau mit den schwarzen Locken und dem zarten Gesicht blickte auf die Flasche, als ob sie noch nie einen derartigen Gegenstand gesehen hätte.

„Ich trinke keinen Alkohol“, erwiderte sie. „Und zudem: Was glauben Sie, was mit dieser Flasche geschieht, oder vielmehr mit ihrem Inhalt, wenn ich sie jetzt öffnete?“

Passepartout errötete und ließ den Champagner hinter seinem Rücken verschwinden. „Sie haben natürlich vollkommen recht. Mein Verhalten Ihnen gegenüber ist absolut töricht, Madame. Bitte verzeihen Sie nochmals. Ich denke, es wird das Beste sein, wenn ich mich jetzt empfehle.“

Er deutete eine Verbeugung an, dann noch eine, während er sich langsam rückwärts in Richtung von Foggs Zimmer bewegte. Er verbeugte sich noch immer, als er es bereits erreicht hatte.

„Sieht sie mir noch nach?“, fragte der Franzose, als er Aaron Fogg auf der Schwelle begegnete.

Fogg blickte den Korridor hinunter. „Ja.“

„Schließen wir die Tür. Schnell!“ Passepartout drehte sich um und ließ die Tür ins Schloss fallen. Er atmete erleichtert aus.

„Dieses Hotel steckt voller Überraschungen“, sagte er nach einer Weile.

Aaron Fogg erwiderte nichts. Er dachte auch nicht daran, dem Diener seines Bruders zu widersprechen. Der Mann hatte recht. Nur dass zu den Überraschungen auch noch die Gefahren kamen.

In Aaron Fogg stieg eine dunkle Vorahnung auf. Er wusste, dass sie ihn gefunden hatten. Und sie würden nicht eher ruhen, bis sie ihn unschädlich gemacht hatten.

Für immer.

2

„Nein!“

„Aber …“

„Nein und nochmals nein“, sagte Phileas Fogg energisch, als er sich zu seiner Frau Aouda umwandte. „Ich habe es weiß Gott im Guten versucht. Bin ich nicht immer wieder auf ihn zugegangen?“

„Ja“, räumte Aouda ein.

„Habe ich ihm nicht immer wieder meiner Hand hingehalten und ihm versichert, dass er sie nur ergreifen muss?“

„Sicher.“

„Und dass wir für ihn da sind? Nicht nur ich, sondern auch du und sogar Passepartout, von dem wir das ja nun wahrlich nicht erwarten können?“

Fogg ging in ihrem gemeinsamen Hotelzimmer auf und ab.

„Du hast wie immer recht, Liebster“, gab Aouda zurück, die auf einem Diwan Platz genommen hatte, hin und wieder oberflächlich in die aufgeschlagene Zeitung auf ihren Knien blickend und abwartend, bis sich der erste Zorn ihres Mannes gelegt hatte.

„Er hat alle meine Angebote ausgeschlagen“, fuhr Phileas Fogg ungewohnt hitzig fort. „Seit wir ihn aus der weißen Hölle des Nordpolarmeers gerettet haben, hat er sich vor allem mir gegenüber ausgeschwiegen. Und das, obwohl wir uns doch im Grunde so viel zu sagen hätten, nach all den Jahren.“

„Vielleicht braucht er einfach noch ein wenig Zeit“, gab Aouda mit sanfter Stimme zu bedenken.

Fogg blieb am Fenster stehen, vor dem sich längst die Dunkelheit gesenkt hatte.

„Zeit“, wiederholte er nachdenklich, bevor er sich dann zu Aouda umdrehte. „Und was ist, wenn man uns die nicht gewährt?“

„Wie meinst du das?“, fragte sie zurück.

Er gestikulierte wild mit den Händen. „Nun ja, irgendjemand hat heute Abend versucht, meinen Bruder umzubringen. Und Mister Aaron Fogg schweigt sich beharrlich über die Hintergründe aus. Er liefert uns nicht den kleinsten Hinweis.“

Aouda legte ihre Zeitung beiseite und erhob sich. Mit sanften Schritten glitt sie näher, blieb hinter ihrem Mann stehen und umfasste seine Taille.

„Du machst dir Sorgen um ihn“, stellte sie leise fest.

„Ja“, gab Phileas Fogg knapp zurück. „Dieses Attentat war keine spontane Handlung, Aouda. Es war gründlich vorbereitet. Jemand hat die Kleidung eines Zimmerkellners gestohlen, um hier im Hotel nicht aufzufallen. Und er hat gezielt das Zimmer meines Bruders aufgesucht. Zu allem Überfluss konnte er auch noch entkommen.“

„Daraus kannst du Passepartout keinen Vorwurf machen“, erwiderte sie.

„Natürlich nicht. Was ich damit sagen will ist, dass man es wieder versuchen wird. Und beim nächsten Mal ist vielleicht niemand von uns in der Nähe.“ Foggs Finger zwirbelten die Vorhang Quaste. „Ich verstehe einfach nicht, wie er so stur sein kann.“

Aouda drehte ihren Mann sanft herum und lächelte ihn an. „Nun, was dieses Thema anbelangt, so seid ihr mindestens schon zwei. Ich kenne da nämlich noch einen Fogg, dem diese Eigenschaft nicht ganz fremd ist.“

Fogg seufzte. „Ich komme einfach nicht an ihn heran. Das ist das eigentliche Problem. Er scheint misstrauisch gegenüber jedermann zu sein. Sogar seinem eigenen Bruder gegenüber.“

„Vielleicht hast du recht, und es war töricht von mir“, erwiderte eine Stimme von der Tür her.

Die Foggs drehten sich herum und erblickten Aaron, der auf der Schwelle stand und jetzt langsam näher trat.

Phileas Fogg betrachtete seinen Bruder, der seit den letzten Stunden und vor allem seit dem Übergriff auf ihn um Jahre gealtert schien. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, er wirkte müde und abgespannt.

„Wir hätten reden sollen“, sagte Aaron, der direkt vor seinem Bruder und dessen Frau stehengeblieben war. „Aber ich fürchte, ich habe den richtigen Zeitpunkt dazu verpasst. Und jetzt ist es möglicherweise bereits zu spät.“

Phileas schüttelte den Kopf. Auch er fühlte sich niedergeschlagen, kraftlos. Die letzten Wochen und die Strapazen im Eismeer waren nicht ohne Spuren an ihm vorübergegangen.

„Es ist niemals zu spät“, sagte Aouda, die nun zwischen den beiden Brüdern stand. „Ihr hättet längst zueinander finden können, wenn ihr nicht solche hoffnungslosen Sturköpfe wärt.“

Aaron machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Vielleicht ist es besser, euch heute noch Adieu zu sagen.“

„Wie kommst du darauf?“, hakte Aouda nach.

„Ich stelle nur eine Gefahr für euch dar“, erklärte Aaron. „Die Sache heute in meinem Hotelzimmer hätte auch ganz anders ausgehen können. Außerdem hätte ich euch in die Sache hineinziehen können, und das wäre für mich … unverzeihlich gewesen.“

„Dann trennen sich also unsere Wege wieder einmal“, schaltete sich Phileas erstmals in das Gespräch ein.

Aaron zuckte mit den Schultern. „Ich kann es nicht verantworten, dass ihr euch meinetwegen in Gefahr begebt.“ Er spürte, dass Aouda etwas erwidern wollte und sah sie ernst an. „Glaub‘ mir, es ist besser so.“

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Phileas, das Gesicht zum Fenster gewandt und ziellos in die Dunkelheit starrend.

„Ich werde morgen Früh abreisen“, erwiderte Aaron. „Weg aus New York. Diese Stadt ist zu groß, zu turbulent für mich. Morgen geht ein Zug an die Westküste. Ich denke, dass ich dort für eine Weile untertauchen werde. Und dann werden wir weitersehen.“

„Ist das dein letztes Wort?“, fragte Aouda, die ihren Schwager mit besorgtem Ausdruck in den Augen ansah.

Aaron nickte.

Kurz darauf entstand eine unangenehme Stille.

„Tja“, machte Aaron nach einer Weile, „dann bleibt mir nur, Lebewohl zu sagen.“ Er nickte Aouda zu, bevor sein Blick auf seinem Bruder verharrte, der noch immer stur gegen die Fensterscheibe starrte.

„Ich hoffe, du weißt, was du tust“, entgegnete Phileas ohne seinen Kopf zu wenden.

„Das hoffe ich auch“, sagte Aaron leise und wandte sich daraufhin ab. Er verließ das Zimmer, wie er gekommen war: leise, unaufdringlich, unauffällig.

An der Zimmertür begegnete er Passepartout, der gerade im Begriff gewesen war, einzutreten.

Der Franzose sah dem Mann mit einem leicht verwunderten Gesichtsausdruck nach.

„Nanu? Ist Mister Fogg das Dessert am Abend nicht bekommen?“ Die heitere Stimmung des Dieners ließ sofort nach, als er in das Gesicht von Aouda blickte. „Oh Verzeihung. Ich fürchte, da bin ich wohl in einen Fettnapf getreten.“

„Schon gut, Passepartout“, erwiderte Aouda. „Aaron hat uns nur gerade darüber in Kenntnis gesetzt, dass er uns verlassen wird. Morgen Früh schon.“

„Oh“, machte der Franzose. Sowohl sein Blick als auch der von Aouda wanderte zu Phileas Fogg hinüber, der sich nun endlich zu ihnen umdrehte.

„Was seht ihr mich so erwartungsvoll an? Ich werde ihm ganz sicher nicht hinterherlaufen und vor ihm im Schmutz kriechen.“

„Das hat auch niemand erwartet“, antwortete Aouda. „Aber ein liebes Wort zum Abschied hätte ihm sicher gut getan. Nein, ich muss mich korrigieren: euch beiden.“

Phileas verzog die Mundwinkel zu einem angedeuteten Lächeln. „Ich weiß genau, dass ihr beiden mich für abgestumpft und herzlos haltet.“ Er hob sofort abwehrend die Hände, als sowohl Aouda als auch Passepartout Anstalten machten, zu widersprechen.

„Aber vielleicht urteilt ihr nicht allzu vorschnell“, fuhr er fort und zog aus der Innentasche seines Jacketts einen Umschlag, den er Passepartout überreichte.

„Du kannst ihn getrost öffnen, alter Junge“, fügte er hinzu, nachdem der Franzose keine Reaktion zeigte.

Passepartout öffnete den Umschlag und zog drei schmale Pappstreifen heraus, auf die er mit verwundertem Gesichtsausdruck herab blickte.

„Das sind Fahrkarten, Sir?“

Phileas Fogg deutete mit dem rechten Zeigefinger auf seinen Diener. „Sehr gut erkannt.“

„Fahrkarten?“, wiederholte Aouda und trat zu ihrem Diener hinüber.

„Der Western-Express“, bestätigte Passepartout. „Abfahrt morgen Früh um zehn Minuten nach sieben.“

Beide blickten von den Karten auf und sahen Phileas fragend an.

Der wiederum zuckte mit den Schultern. „Ich habe drei Karten gelöst. Dabei wollte ich auf Nummer Sicher gehen und habe als Zielbahnhof San Francisco angegeben. Es steht uns allerdings frei, überall auf der Strecke auszusteigen.“

Passepartout räusperte sich und blickte verlegen zur Seite.

„Das heißt also …“, setzte Aouda an.

„Das heißt, dass ich die Reaktion meines Bruders vorausgesehen habe. Wenn er denkt, dass ich ihn einfach so ziehen lasse, so schutzlos meine ich, dann ist er gehörig schief gewickelt.“

„Vorausgesehen?“, echote Aouda.

Phileas gestikulierte mit seinen Händen. „Nun ja, nicht direkt. Ich habe einen Hotelpagen auf ihn angesetzt, der ihn beschattet. Der Knabe eignet sich glatt zum Detektiv. Er berichtete mir jedenfalls, dass Aaron heute Abend am Bahnhof war, um eine Karte in den Goldenen Westen zu lösen.“

„Dann werden wir ihn also begleiten?“, hakte Passepartout nach.