Gefangen im ewigen Eis - Christopher Ross - E-Book

Gefangen im ewigen Eis E-Book

Christopher Ross

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Beschreibung

Eine Familie, der das Leben in den Weiten Nordamerikas alles abverlangt Alaska, 1917: Clarissa ist das entbehrungsreiche Leben in der Wildnis gewohnt, doch mit Mut und Stärke hat sie sich ein glückliches Heim am Skeena River geschaffen. Doch als ihr Mann auf Europareise ist, schlägt das Schicksal unerbittlich zu: Frank Whittler, ein reicher Unternehmer und eiskalter Verbrecher, wird aus dem Gefängnis entlassen, in das Clarissa ihn vor vielen Jahren gebracht hat. Er ist vom Hass zerfressen und will ihr nun das nehmen, was sie am meisten liebt: ihre vierzehnjährige Tochter Emily. In letzter Minute kann das Mädchen seinem Entführungsversuch entkommen und flüchtet sich auf ein Dampfschiff. Bald droht dieses jedoch vom Kurs abzukommen und im Polarmeer vom ewigen Eis eingeschlossen zu werden. Mit dem Hundeschlitten macht Clarissa sich auf, um ihre Tochter zu retten – um jeden Preis! Diese große Nordamerika-Saga in sechs Bänden, die unabhängig lesbar sind, erschien vorab bereits als »Clarissa«-Reihe und wird ebenso Fans von Sarah Lark und der »Yellowstone«-Serie begeistern!

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Seitenzahl: 531

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Alaska, 1917: Clarissa ist das entbehrungsreiche Leben in der Wildnis gewohnt, doch mit Mut und Stärke hat sie sich ein glückliches Heim am Skeena River geschaffen. Doch als ihr Mann auf Europareise ist, schlägt das Schicksal unerbittlich zu: Frank Whittler, ein reicher Unternehmer und eiskalter Verbrecher, wird aus dem Gefängnis entlassen, in das Clarissa ihn vor vielen Jahren gebracht hat. Er ist vom Hass zerfressen und will ihr nun das nehmen, was sie am meisten liebt: ihre vierzehnjährige Tochter Emily. In letzter Minute kann das Mädchen seinem Entführungsversuch entkommen und flüchtet sich auf ein Dampfschiff. Bald droht dieses jedoch vom Kurs abzukommen und im Polarmeer vom ewigen Eis eingeschlossen zu werden. Mit dem Hundeschlitten macht Clarissa sich auf, um ihre Tochter zu retten – um jeden Preis!

Über den Autor:

Christopher Ross gilt als Meister des romantischen Abenteuerromans. Es ist das Pseudonym des Autors Thomas Jeier, der in Frankfurt am Main aufwuchs, heute in München und »on the road« in den USA und Kanada lebt. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet, mit den bevorzugten Schauplätzen Kanada und Alaska. Seine über 200 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

Der Autor im Internet:

jeier.de/christopher-ross

facebook.com/thomas.jeier

Bei dotbooks erscheint Christophers Ross' GROSSE ALASKA-SAGA in sechs Bänden. Unter Thomas Jeier veröffentlichte er bei dotbooks zahlreiche weitere Romane.

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eBook-Neuausgabe März 2025

Copyright © der Originalausgabe 2014 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Adobe Stock sowie © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-513-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Christopher Ross

Gefangen im ewigen Eis

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Etwas Bedrohliches schien in der Luft zu liegen, als Clarissa ihr Fuhrwerk zum Fluss hinunterlenkte. In der Wildnis hatte sie einen siebten Sinn für unbestimmte Gefahren entwickelt, ein Bauchgefühl, das sie selten im Stich gelassen und schon mehr als einmal vor einem Unglück bewahrt hatte. Auch jetzt mahnte es sie wieder zur Vorsicht. Beinahe widerwillig trieb sie die beiden Zugpferde über die neue Holzbrücke, die nach einer Flutkatastrophe und der Sprengung der alten Brücke über den Chena River nach Fairbanks führte.

Sie mochte die Stadt nicht besonders. Seit beinahe fünfzehn Jahren lebte sie mit ihrem Mann in einer einsamen Blockhütte in der Wildnis, weit genug von dem Trubel entfernt, den der jahrelange Goldrausch nach Fairbanks gebracht hatte. Sie hatte erlebt, wie aus dem Handelsposten eine geschäftige Boomtown geworden war, die von den Goldminen in der näheren Umgebung profitierte. Der gesunkene Goldpreis und die seltener werdenden Goldfunde hatten viele Einwohner gezwungen, die Gegend zu verlassen, aber es lebten immer noch über fünftausend Menschen in der Stadt, und ständig war etwas los, vor allem in den zwölf Saloons und Etablissements des Rotlichtviertels.

Nur zögernd hatten Alex und sie zugestimmt, dass ihre Tochter die letzten beiden Jahre der Highschool in Fairbanks absolvierte. Die ersten Jahre hatte Clarissa sie zu Hause unterrichtet, aber inzwischen war ihre Tochter vierzehn, und es fiel ihr selbst schwer, die Aufgaben zu lösen. Miss Rodgers, die neue Lehrerin, kam aus Seattle und besaß die nötige Erfahrung und das Wissen, um Emily einen guten Abschluss zu ermöglichen. Obwohl für Emily längst feststand, später ihrer Mutter bei der Huskyzucht zu helfen und selbst einmal Schlittenhunde aufzuziehen, vielleicht sogar an Rennen teilzunehmen, wollte sie nicht wie ein dummes Mädchen dastehen. »Wer sagt denn, dass wir Frauen nur geboren werden, um einen Mann zu heiraten und ihm den Haushalt zu führen?«, fragte sie oft vorwurfsvoll. »Wir können mehr, viel mehr.«

Mit beiden Händen lenkte sie das Fuhrwerk über die Brücke. Jenseits des Chena River standen die Häuser der First Avenue, eine Ansammlung von einfachen Holzhäusern, deren falsche Front oftmals ein zweites Stockwerk andeutete, das gar nicht existierte. Ein Gemischtwarenladen, ein Schuhgeschäft, ein Hotel, das Arcade Café, ein Saloon. Ein Automobil bahnte sich mühsam einen Weg durch den tiefen Schlamm und blieb mit qualmendem Motor stecken. Es hatte während der letzten Tage heftig geregnet, auch ein Grund dafür, warum Clarissa unterwegs von Moskitos zerstochen worden war. Sie hatte nie ein wirksames Mittel gegen die Plagegeister gefunden.

Von der Anlegestelle drang laute Musik herüber. Sie war ohnehin zu früh dran, parkte ihr Fuhrwerk jenseits der Brücke am Straßenrand und folgte den patriotischen Klängen. »America the Beautiful«, ein Lied, das gleich nach der Nationalhymne kam. »America! America! God shed His grace on thee!«, sang ein Chor. »Amerika! Amerika! Gott schenke dir seine Gnade!« Schon von Weitem beobachtete sie die zahlreichen Schaulustigen an der Anlegestelle, die amerikanische Fähnchen und Schilder mit patriotischen Sprüchen in die Höhe hoben und mehrere Hundert, meist junge Männer feierten, die sich unter den feierlichen Klängen auf zwei Raddampfer verteilten. Die Dampfer waren mit rot-weiß-blauen Girlanden geschmückt, und von der Reling hing ein großes Transparent mit der Aufschrift: »Unsere Männer für Frieden und Freiheit!«

Junge Männer auf dem Weg ins ferne Europa. Seitdem deutsche U-Boote auch Jagd auf englische Handelsschiffe machten, fühlte sich Amerika verpflichtet, seinen europäischen Verbündeten zu helfen, und war in den Großen Krieg eingetreten. In Frankreich, so hieß es, sollten amerikanische Soldaten helfen, die Deutschen in ihre Schranken zu weisen. Clarissa hatte wenig Ahnung von Politik, sie bezog ihr spärliches Wissen aus den Artikeln des Daily News-Miner, befürchtete aber, dass zu viele der Männer, die gerade voller Begeisterung an Bord der beiden Raddampfer gingen, in diesem Krieg sterben würden. Nicht umsonst nannte man ihn den »Großen Krieg«. Die halbe Welt kämpfte in Europa, und sie hätte nicht einmal sagen können, wofür.

Der Chor stimmte die »Battle Hymn of the Republic« an und schmetterte das »Glory, Glory, Hallelujah« mit voller Inbrunst über die Anlegestelle hinweg. Clarissa war inzwischen nahe genug herangekommen, gerade noch rechtzeitig, um die letzten Männer an Bord gehen zu sehen. Junge Burschen, die keine Ahnung hatten, was sie in Europa erwartete, wahrscheinlich wussten sie nicht einmal, wo Frankreich lag. Sie hatte selbst in einem Atlas nachsehen müssen. Warum waren sie nur so begierig darauf, ihr Leben zu riskieren? Aus Liebe zu ihrem Land, wie es auf den Transparenten stand? Aus jugendlichem Übermut? Weil sie als dekorierte Helden nach Hause zurückkehren wollten?

Sie stieg zu einigen anderen Schaulustigen auf eine Mauer, um besser sehen zu können, und sah, wie einige der Männer sich von ihren Verwandten oder Freundinnen verabschiedeten. Ein junger Mann in einem schwarzen Mantel umarmte seine Freundin so fest, dass man ihre Gesichter erst wieder sah, als sie sich voneinander lösten. »Betty-Sue!«, flüsterte Clarissa. Betty-Sue arbeitete im Krankenhaus von Doc Boone und hatte zu Beginn des Goldrausches für einen handfesten Skandal in Fairbanks gesorgt, als sie sich in einen Indianer verliebt hatte und von Glück sagen konnte, dass sie nur für ein paar Monate von ihrem Posten enthoben worden war. Als Angestellte des Civil Service war sie an strenge Auflagen gebunden. Der Indianer war schon lange tot und sie bereits Ende dreißig, was sie anscheinend nicht daran hinderte, eine neue Dummheit zu begehen. Ihr neuer Freund war ungefähr zehn Jahre jünger.

Clarissa drängelte sich zu ihrer Freundin vor und wartete, bis der junge Mann an Bord gegangen war. Beinahe mütterlich legte sie Betty-Sue einen Arm um die Schultern. »Er kommt bald wieder«, sagte sie. »In der Zeitung steht, dass der Krieg höchstens noch drei Monate dauert. Ihm passiert nichts.«

Betty-Sue lehnte weinend den Kopf an ihre Schulter. »Er hat sich freiwillig gemeldet. Stell dir das vor. Er sagt, es sei seine Pflicht, sich in einer schweren Zeit wie dieser für sein Vaterland einzusetzen.« Sie schluchzte hemmungslos. »Er ist noch so jung, Clarissa. Mitte zwanzig. Er war ...« Sie schniefte, kramte ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche und schnäuzte sich geräuschvoll. »Er war als Pfleger bei uns, wollte aber unbedingt noch studieren und Arzt werden. Doktor Paul Merriman ...« Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Mr und Mrs Paul Merriman ... wir wollten heiraten, Clarissa, an Weihnachten.«

»Das könnt ihr doch immer noch«, sagte Clarissa. »Vielleicht nicht an Weihnachten, aber bis Ostern ist er sicher wieder hier.« Sie hoffte, dass ihre Stimme einigermaßen überzeugend klang. »Du wirst sehen, bevor du dich versiehst, legt der Dampfer wieder an, und Paul kehrt gesund und munter zurück. Du hast genug Pech im Leben gehabt, Betty-Sue. Diesmal gibt es ein Happy End. Und Ostern feiern wir die tollste Hochzeit, die Alaska jemals erlebt hat. Dagegen war Dollys und Jerrys Hochzeit eine müde Gesellschaft.«

»Meinst du wirklich?« Betty-Sue steckte ihr Taschentuch weg und brachte sogar ein Lächeln zustande. Die fröhliche Party, die Clarissas langjährige Freundin und ihr irischer Haudegen vor vielen Jahren gefeiert hatten, war längst von einem Mythos umgeben. »Aber nur, wenn du meine Trauzeugin wirst. Du und Alex. Ihr sollt dabei sein, wenn ich ihm das Jawort gebe.«

So feierlich und sentimental, wie Betty-Sue sich gab, ging es auch an der Anlegestelle zu, als die Matrosen die Leinen lösten und die beiden Dampfschiffe auf ihre lange Reise nach St. Michael gingen. An der Mündung des Yukon River würden die Männer auf einen großen Überseedampfer umsteigen. Beim Abschied standen alle an der Reling und winkten ihren Angehörigen zu, während der Chor die amerikanische Nationalhymne anstimmte und sich die Schiffe immer weiter vom Ufer entfernten. Betty-Sue hatte sich von Clarissa gelöst und schon wieder Tränen in den Augen. Verzweifelt winkte sie dem jungen Doktor zu, der etwas verloren an der Reling stand und mit seiner schmächtigen Gestalt und seinem blassen kindlichen Gesicht nicht wie jemand aussah, der mit aufgepflanztem Bajonett gegen den Feind zog.

Als die Schiffe die Flussmitte erreicht hatten und in dunkle Rauchwolken gehüllt nach Westen dampften, verließen die ersten Schaulustigen die Anlegestelle. Der Chor der Public School lief in Zweierreihen zur Schule zurück. Betty-Sue gehörte zu den Frauen, die selbst dann noch winkten, als die Dampfer längst um die Biegung verschwunden waren und nur noch Rauchschwaden von ihnen zu sehen waren. Clarissa ließ sie in Ruhe, wartete geduldig, bis sie ihre Tränen getrocknet hatte, und spürte plötzlich wieder diese Unruhe, die sie schon auf der Fahrt über die Brücke befallen hatte. Das Gefühl, bedroht zu werden, so wie vor fünfzehn Jahren, als ihr Frank Whittler und sein Vater auf den Fersen gewesen waren und ihr gefährliche Killer auf den Hals gehetzt hatten. Thomas Whittler war inzwischen gestorben, und sein Sohn saß noch immer hinter Gittern. Er hatte lebenslänglich bekommen und würde das Gefängnis erst verlassen, wenn er tot war.

Sie blickte sich nervös um und entdeckte einen hageren Mann, dessen schmaler Oberlippenbart ihn noch strenger aussehen ließ, als er wirklich war. Er trug einen langen Mantel, wie er längst aus der Mode war, und eine abgetragene Schiebermütze. Sein Blick war auf sie gerichtet und schweifte rasch zur Seite, als er merkte, dass sie ihn beobachtete.

Alles nur Zufall? Ein einsamer Spaziergänger, der sie attraktiv fand und sie deshalb angestarrt hatte? Sie war älter als die meisten anderen Frauen, die noch an der Anlegestelle standen, sah aber immer noch gut aus und war während der langen Jahre in der Wildnis sogar aufgeblüht. Mit ihren ausdrucksstarken Augen und den kräftigen, hochgesteckten Haaren brachte sie selbst jüngere Männer aus dem Gleichgewicht. Die frische Luft tat ihr gut, und ihre Tochter hatte sie auch im Herzen jung bleiben lassen. Viele Männer beneideten Alex um sie, auch weil sie so gut in der Wildnis zurechtkam und sich nicht einmal durch einen gereizten Grizzly aus der Ruhe bringen ließ.

Doch dieser Fremde bewunderte sie nicht. Als er sich ein zweites Mal nach ihr umdrehte, war sein Blick genauso teilnahmslos wie beim ersten Mal, und es schien ihm eher peinlich zu sein, dass sie ihn entdeckt hatte. Er sah zur Seite und tat so, als hätte er sie nicht gesehen. Gleichzeitig bemühte er sich, möglichst rasch von ihr wegzukommen. Ohne sich nach ihr umzudrehen, lief er mit weiten Schritten über die First Avenue zur Stadt zurück.

Einem Impuls folgend, heftete sie sich an seine Fersen. »Wir sehen uns später«, flüsterte sie der erstaunten Betty-Sue zu und folgte dem Fremden die Straße hinauf. Sie machte sich nichts daraus, dass er sich nervös nach ihr umdrehte und seine Schritte beschleunigte, empfand nicht die geringste Angst vor ihm, solange sie sich auf einer belebten Straße wie der First Avenue aufhielten. Mit gerafftem Rock stieg sie auf den überdachten Gehsteig, lief weiter und sah gerade noch, wie er in der Lobby des Nordale Hotels verschwand.

Sie blieb überrascht stehen. Das Nordale war das vornehmste und teuerste Hotel der Stadt. Von außen nur ein unscheinbarer Kasten, überraschte es mit exklusiv eingerichteten Zimmern mit schweren Teppichen und Vorhängen und ausgesuchten Möbeln, die aus Seattle importiert worden waren. In der Lobby täuschten künstliche Blumen einen immerwährenden Frühling vor, und der Tresen des Empfangs war aus kostbarem Mahagoniholz gefertigt.

Durch eines der Fenster neben der Tür beobachtete sie, wie der Fremde über die Treppe verschwand. Sie zögerte ein wenig, betrat die beheizte Eingangshalle und wandte sich an den Angestellten am Empfang. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »der Gentleman, der gerade in der Halle war ... er hat mich an einen alten Freund erinnert. Können Sie mir sagen, wer das war? Langer schwarzer Mantel, Schiebermütze, Oberlippenbart ...«

»Oh, Sie meinen Mr Hostetter ... William Hostetter ... ich glaube nicht, dass Sie ihn kennen. Er ist zum ersten Mal in Alaska. Ein Geschäftsmann aus San Francisco ... hat irgendwas mit der Eisenbahn zu tun.« Er merkte plötzlich, dass er mehr preisgab, als erlaubt war, und runzelte die Stirn. »Ein Bekannter, sagen Sie? Sie müssen sich täuschen, Ma’am. Wie gesagt, er kommt aus San Francisco und ...« Er hob die Augenbrauen. »Oder kennen Sie ihn wirklich?«

Sie zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte: »William Hostetter ... Bill ... natürlich! Ich wusste doch, dass ich ihn von irgendwoher kenne, obwohl er sich stark verändert hat. Wir waren auf derselben Highschool, wissen Sie? Ich habe zwei Jahre in San Francisco gewohnt, bevor ich nach Alaska gekommen bin.« Die Lügen gingen ihr leichter über die Lippen, als sie angenommen hatte.

»Soll ich ihn in die Lobby rufen lassen?«, sagte er.

»Nein ... ich würde ihn gern überraschen.«

»Wenn das so ist«, erwiderte der Angestellte. »Von so einer hübschen Lady würde ich mich auch mal gern überraschen lassen.« Er blickte in seine Kladde und erwiderte ihr Lächeln ohne jegliches Misstrauen. »Zimmer 207.«

Sie bedankte sich artig und stieg in den zweiten Stock hinauf. Auf dem Weg zu seinem Zimmer wurde sie unsicher und verlangsamte ihre Schritte. Plötzlich hielt sie es für gar keine gute Idee mehr, den Fremden zur Rede zu stellen. Anscheinend war die Erinnerung an Frank Whittler noch so lebhaft, dass sie gleich böse Absichten vermutete, wenn ein Mann sie etwas länger als gewöhnlich ansah. Aber warum war der Fremde dann vor ihr davongelaufen?

Sie klopfte an seine Tür und wartete geduldig. Er ahnte wohl, wer geklopft hatte, und überlegte angestrengt, wie er reagieren sollte. Es dauerte eine Weile, bis er die Tür öffnete und sie mit mürrischen Blicken empfing. »Ma’am?«

»Warum verfolgen Sie mich, Mister Hostetter?«

Wenn er tatsächlich ahnungslos war, gelang es ihm gut, sich zu verstellen. »Wie kommen Sie denn darauf, Ma’am? Ich habe Sie nicht verfolgt. Ich kenne Sie nicht mal. Sie müssen mich mit jemand verwechseln. Ich war lediglich ein wenig spazieren und habe mir den Abschied unserer Soldaten angesehen.«

»Sie haben mich beobachtet.«

»Sie sind eine hübsche Frau.« Er versuchte ein Lächeln, indem er die Mundwinkel ein wenig nach oben zog. »Tut mir leid, wenn ich Sie angestarrt habe. Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten.« Er wandte sich ab. »Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen? Ich habe gleich einen wichtigen Termin.«

»Und warum sind Sie dann vor mir davongelaufen?«

»Ich bin nicht davongelaufen. Wie gesagt, ich habe gleich einen wichtigen Termin und muss noch einiges vorbereiten. Nichts für ungut, Ma am, aber ich habe wirklich keine Zeit, mich noch weiter mit Ihnen auseinanderzusetzen.«

Er schloss die Tür vor ihrer Nase und ließ sie wie ein Schulmädchen im Flur stehen. Und er hatte wahrscheinlich sogar recht. Es gab keinerlei Beweise dafür, dass er sie verfolgt oder beobachtet hatte. Kopfschüttelnd kehrte sie in die Lobby zurück und verließ das Hotel. Die Frage des Angestellten am Empfang, ob die Überraschung gelungen wäre, überhörte sie geflissentlich.

Sie ging zur Cushman Street zurück und sah Betty-Sue auf dem Kutschbock sitzen. »Lass uns einen Kaffee trinken gehen«, bat die Krankenschwester. Ihre Augen waren rot vom vielen Weinen. »Du hast doch etwas Zeit?«

»Für dich immer.« Sie kletterte auf den Kutschbock und griff nach den Zügeln. »Aber lass mich zuerst meinen Wunschzettel bei der NCC abgeben, dann können sie inzwischen meinen Wagen beladen.« Wie immer, wenn sie in der Stadt war, hatte sie einiges zu besorgen, für Alex, Emily und für sich, aber auch für das Roadhouse, das Dolly und Jerry inzwischen allein führten. Clarissa hatte lediglich so lange für sie gearbeitet, bis ihre Schulden abgetragen waren, seitdem half sie ihrem Mann beim Fallenstellen und der Hundezucht.

Seitdem Barnette seinen Handelsposten aufgegeben hatte, war die Northern Commercial Company an seine Stelle getreten. Die Firma, der noch etliche andere Geschäfte in Fairbanks gehörten, hatte den Handelsposten abreißen und einen doppelt so großen Laden auf dem Grundstück errichten lassen. Statt des leutseligen Barnette fragte jetzt ein gelangweilter Angestellter nach ihren Wünschen und ließ die Waren von einem Kollegen zusammenpacken.

Im Corner Café, nur einen Block von dem Laden und Doc Boones kleinem Krankenhaus entfernt, setzten sich Clarissa und Betty-Sue an einen Ecktisch.

Obwohl es selbst für einen Sommer in Alaska ungewöhnlich warm war und der Besitzer des Cafés nicht mal den Ofen angezündet hatte, wärmte Betty-Sue ihre Hände an dem heißen Kaffeebecher. Sie blickte mit trüben Augen in den Kaffee, als sie sagte: »Paul hat mir Frankreich auf einem Globus gezeigt. Es ist furchtbar weit weg. Aber dort, wo sie kämpfen, soll es Berge und Schnee geben, so wie bei uns in Alaska. So hoch wie hier sind die Berge sicher nicht, sagt er, und im Schnee macht ihm keiner was vor. Wusstest du, dass er schon öfter mit unserem Hundeschlitten unterwegs war?«

Clarissa bremste ihren Redefluss, indem sie eine Hand auf den rechten Unterarm ihrer Freundin legte. »Ich weiß. Alex sagt, er hätte sich besser in Alaska eingelebt als die meisten Goldsucher, die schon vor zehn Jahren kamen.«

Betty-Sue nickte heftig. »Das stimmt. Paul kommt aus Montana, da sieht es ähnlich aus wie hier. Er weiß, wie man im Winter zurechtkommt.« In ihrer Stimme schwangen Wut und auch ein wenig Trotz mit, als müsste sie sich selbst überzeugen. »Und schießen kann er auch. Mit seinen Highschoolfreunden hat er schon öfter auf Konservendosen geschossen.«

»Ich weiß ... das hast du mir schon ein paarmal erzählt.« Sie versuchte, ihre Stimme zuversichtlich klingen zu lassen. »Er schafft das, Betty-Sue, da bin ich ganz sicher. Er sieht nicht gerade aus wie ein Krieger, aber ich kann mir vorstellen, wozu er fähig ist. Er ist ein zäher Bursche. Er kommt wieder.«

Betty-Sue versuchte zu lächeln. »Und das sagst du nicht nur so?«

»Ich weiß es, Betty-Sue. Er kommt wieder, ganz bestimmt!«

»Ja, er kommt wieder«, wiederholte sie leise, und ihr entrückter Blick verriet, dass sie zumindest für ein paar Sekunden bei ihm auf dem Dampfer war, ihn in den Armen hielt und Gott bat, sie beide nicht im Stich zu lassen.

Kapitel 2

Der Angestellte der NCC hatte bereits ihren Wagen beladen, als sie den Laden erreichte. Sie verglich die Rechnung mit den verpackten Waren, nickte zufrieden und betrat mit ihm den Verkaufsraum. Obwohl der Betrag, den sie bezahlen musste, schon höher als erwartet war, gönnte sie sich eine Tafel der teuren Schweizer Schokolade, die so verlockend in der Auslage lag, und auch das neueste Buffalo Bill Magazine durfte in ihrem Einkaufskorb nicht fehlen. Sie las die spannenden Geschichten um den legendären Westmann schon seit vielen Jahren und hatte sich auch durch ihre Tochter nicht davon abbringen lassen. Emily nannte die Abenteuer »kitschig« und las lieber richtige Bücher.

Sie verstaute die kostbare Schokolade und das Magazin in einer der Kisten und machte sich auf den Weg zur Schule. Das zweistöckige Gebäude, in dem sich sonntags auch die Methodisten zum Gottesdienst trafen, war aus Holz gebaut und war inzwischen so verwittert, dass die Stadtväter bereits laut darüber nachdachten, ein neues zu bauen. Bisher fehlte es am nötigen Geld.

Emily unterhielt sich mit ein paar Freundinnen vor dem Eingang, als sie den Wagen anhielt. Sie war ein hübsches Mädchen, viel offener und lebhafter als sie, und diskutierte auch jetzt wieder so angeregt mit den anderen Schülerinnen, dass es ihr schwerfiel, sich von ihnen zu lösen. In ihrem offenen Mantel und dem geblümten Kleid sah sie trotz ihrer vierzehn Jahre wie eine junge Dame aus. Den Mantel und das Kleid hatte sie eigenhändig um eine Handbreit gekürzt, sodass sie wie bei den modischen Frauen in Harpers Bazaar knapp über den Knöcheln endeten.

»Hallo, Mom«, rief sie. Sie legte ihre Tasche mit den Büchern auf die Ladefläche und kletterte zu ihr auf den Kutschbock. »Stell dir vor, Isabels Vater würde das Wahlrecht für Frauen am liebsten wieder abschaffen. Wir Frauen hätten keine Ahnung von Politik und sollen uns um den Haushalt und die Familie kümmern.« Ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet, ihre dunklen Augen blitzten entrüstet. »Und was noch viel schlimmer ist: Seine Frau stimmt ihm zu.«

»Das wundert mich nicht.« Clarissa war immer wieder erstaunt, wie sehr sich ihre Tochter für Politik interessierte. Sie selbst hatte bisher genug damit zu tun gehabt, ihr Leben zu meistern. »Ich bin sicher, sie weiß nicht mal, wie unser Präsident heißt.« Sie las den News-Miner stets von der ersten bis zur letzten Seite, um mehr über das Geschehen in der Welt zu erfahren, und wusste, dass Woodrow Wilson bereits in seiner zweiten Amtszeit regierte. Sie blickte sich suchend um. »Wollte Robert nicht mit uns fahren?«

»Er wartet vor dem kleinen Laden an der Cushman Street auf uns. Er hat etwas Geld gespart und will mich überraschen.« Sie verdrehte die Augen. »Wahrscheinlich bringt er mir eine Zuckerstange oder einen dieser Lutscher.«

Clarissa wendete lachend das Fuhrwerk. Sie glaubte eher, dass Robert für ihre Tochter zu schwärmen begann. Ein bisschen sehr früh, wie sie meinte, aber solange er seine Zuneigung nur mit Süßigkeiten ausdrückte, drohte keine Gefahr. Natürlich war Emily noch ein Kind, auch wenn sie ein wenig altklug über Politik redete, genauso wie Robert, der Sohn ihrer besten Freundin. Trotz seines irischen Temperaments und seiner körperlichen Stärke benahm er sich meist noch wie ein kleiner Junge, so sehr sich Jerry auch bemühte, einen ganzen Mann aus ihm zu machen. Übers Wochenende hatte er ihn zum Baumfällen in den Wald mitgenommen und ihm gezeigt, wie man mit Axt und Säge umging. »Vergiss das Gold«, warnte der ehemalige Goldgräber, der nur noch selten nach Nuggets suchte, »der künftige Reichtum dieses Landes liegt in den Wäldern. Die nächsten Millionäre verkaufen Holz.«

Robert begrüßte sie und setzte sich neben sie. Er wirkte ein wenig verlegen wie meistens, wenn er neben Emily saß, und konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht rötete, als er ihr eine Tüte mit Süßigkeiten reichte. »Ich hab dir was mitgebracht. Schokolade mit Karamell und Nüssen ... was ganz Neues.«

Emily bedankte sich artig, blickte ihm aber weder in die Augen noch in die Tüte. Beinahe ärgerlich verstaute sie die Tüte in der Kiste mit dem Buffalo Bill Magazine und der Tafel Schokolade. Auch um das Thema zu wechseln, fragte sie ihre Mutter: »Hast du die Soldaten wegfahren sehen? Miss Rodgers sagt, dass sie unsere Freiheit in Frankreich verteidigen.« Sie wandte sich an Robert. »Frankreich liegt in Europa. Dort kämpfen sie gegen die Deutschen.«

»Das weiß ich doch«, erwiderte Robert. Seine Verlegenheit war wie weggeblasen. »Das hat sie uns auch erzählt. Dort liegen die Soldaten in Schützengräben und müssen manchmal Gasmasken aufsetzen, weil die Feinde sie vergiften wollen.« Er blinzelte in die ungewöhnlich helle Sonne, die zwischen den Wolken auftauchte. »Ich wollte, ich könnte auch in Europa sein. Ich würde unseren Feinden schon zeigen, was es heißt, uns anzugreifen.«

»Du willst zu den Soldaten? Du bist fünfzehn!«

»Aber in einem halben Jahr werde ich sechzehn«, widersprach Robert. Unter seiner Wollmütze flatterten rotblonde Haare im Fahrtwind. »Im Bürgerkrieg waren sogar Fünfzehnjährige an der Front, hab ich irgendwo gelesen.«

»Und wurden wahrscheinlich gleich erschossen.«

»Ich weiß, wie man mit einem Gewehr umgeht.«

Emily schien ihn gar nicht zu hören. »Ohne uns Frauen könnten die Männer sowieso einpacken, oder was meinst du, wer in den Fabriken die Munition herstellt?« Sie lachte. »Ist das nicht komisch? Wir sollen mithelfen, den Krieg zu gewinnen, und der Präsident will das Wahlrecht für Frauen nicht mal in die Verfassung aufnehmen. Wenn wir in Washington wohnen würden ...«

»... bliebst du schön zu Hause!«, führte Clarissa den Satz zu Ende. »Du hast doch gehört, was mit den Frauen passiert ist, die vor dem Weißen Haus protestiert haben. Die Polizei hat sie eingesperrt. Willst du denn ins Gefängnis?«

»Der Präsident wird sie bald entlassen.«

»Kümmert euch lieber um die Schule. Als ich so alt war wie ihr, gingen die Jungen nur ein paar Jahre zur Schule, wenn sie nicht studieren wollten, und die meisten Mädchen durften nur ein bisschen Schreiben und Lesen lernen, weil man von ihnen erwartete, dass sie heirateten und Kinder bekamen.«

»Ich werde mal Tierärztin«, sagte Emily.

Clarissa blickte sie überrascht an. »Das höre ich zum ersten Mal.«

»Vielleicht lässt mich Dolly im Roadhouse mitarbeiten, dann könnte ich mir das Geld fürs College zusammensparen. Husky-Züchterin und Tierärztin ... das würde doch gut zusammenpassen. Ich weiß, dass ich dann viel lernen muss, aber das schaffe ich schon.« Sie blickte ihre Mutter an. »Du hast noch ganz andere Sachen geschafft. Du bist tapferer als die meisten Männer.«

Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen und fuhren über die Brücke ans andere Ufer des Chena River. Am Fluss entlang lenkte Clarissa die Zugpferde bis zu der Abzweigung nach Norden, richtete sich auf und ließ die Zügel nach vorn schnalzen, bis sie die Böschung überwunden hatten und über die mit bunten Wildblumen übersäten Hügel in den Wald fuhren. Dort empfingen sie der würzige Duft der Fichten und Laubbäume und ein schmalerer Trail, der noch feucht vom Regen der vergangenen Tage war und den Pferden ziemlich zu schaffen machte. Nur langsam mahlten die Räder durch den zähen Morast.

Weiter nördlich wurde die Wagenstraße breiter und ebener, und sie kamen wieder flotter voran. Die Pferde kannten den Weg, und sie brauchte kaum zu lenken. Rechts von ihnen bahnte sich ein schmaler Nebenfluss des Chena River einen Weg durch die Wildnis. Früher hatten sie und Alex sich ein Fuhrwerk mit Dolly und Jerry geteilt, inzwischen besaßen sie ihr eigenes, um auch während des kurzen Sommers beweglich bleiben zu können. Die beiden Zugpferde waren genügsam und gaben sich mit Hafer und dem Heu zufrieden, das sie in dem neuen Stall neben ihrer Blockhütte in handlichen Ballen gestapelt hatten.

Ungefähr eine halbe Meile vor ihrem Ziel drang das Geräusch dumpfer Axtschläge durch den Wald. Sie ließ die Pferde langsamer gehen und zügelte sie vor den beiden Männern, die sich mit ihren Äxten an einer mächtigen Kiefer zu schaffen machten. Auf ihren nackten Oberkörpern glänzte der Schweiß.

Beide Männer ließen die Äxte sinken und traten aus dem Unterholz. Ihre Laune war nicht besonders, sie wirkten beinahe ein wenig mürrisch und waren wohl nur in den Wald gezogen, um ihre Laune an dem Baum auszulassen. Nach dem tiefen Einschnitt im Stamm zu urteilen, war es ihnen gelungen.

Alex ließ die Axt fallen und kletterte auf den Kutschbock. Er küsste Clarissa auf die Wange und strich seiner Tochter über die Haare. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er immer noch ein imposanter Mann mit breiten Schultern und starken Muskeln, der es fertigbrachte, selbst einen Hünen wie Jerry O’Rourke beim Armdrücken zu besiegen. Clarissa mochte ihn vor allem wegen seiner dunklen Augen und seiner sanften, etwas schüchternen Art, die ihn manchmal wie einen Lausbub aussehen ließ.

»Tut mir leid«, entschuldigte er sich, »wir haben gerade über den Krieg gesprochen und sind mächtig sauer, weil weder Jerry noch ich gehen dürfen.«

»Andere Männer wären froh«, sagte Clarissa.

Sie legte beide Hände auf die Schultern ihres Mannes und erwiderte seinen Kuss. »Ich weiß, dass du unzufrieden bist, Alex, aber es wäre zu gefährlich. Du weißt doch, was Doktor Blanchard sagt. Du darfst dich auf keinen Fall überanstrengen, sonst kommt das Kopfweh zurück.« Vor fünfzehn Jahren hatte Doktor Ralph Blanchard ihm eine Geschwulst über der Schädeldecke entfernt.

»So schlimm ist es nicht, Clarissa.«

»Und warum hat dich der Sergeant, bei dem du heimlich anheuern wolltest, dann abgelehnt?« Sie blickte Jerry an. »Und warum hat er dir verboten, in den Krieg zu ziehen?« Ihr Blick wanderte zu Alex zurück. »Weil ihr hier in Alaska viel mehr für euer Land tun könnt. Oder sollen wir Frauen an der Heimatfront alles allein machen? Wir brauchen Männer, die uns beschützen.«

»Ich bin im besten Soldatenalter.«

»Und ich erst«, tönte Jerry. Er schleuderte wütend seine Axt in einen nahen Baum und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Wäre ich vor zwei Jahren nicht von dem verdammten Felsen gestürzt, hätte ich mir nicht das Bein gebrochen und müsste jetzt nicht humpeln.« Wie immer, wenn er in der Gegenwart einer Frau ein Schimpfwort gebrauchte, brummte er eine schlampige Entschuldigung. »Mit einem Bein laufe ich immer noch schneller als die meisten der grünen Jungs, die sie heute nach Europa geschifft haben, und beim Schießen würde es mich auch nicht stören.«

Clarissa versuchte ihn aufzumuntern. »Auch du wirst hier gebraucht, Jerry. Denk an deinen Sohn. Wenn du nicht zurückkämst, müsste er allein aufwachsen. Ohne Vater würde nie ein Mann aus ihm. Lass dich nicht hängen, Jerry.«

Der Hüne schüttelte den Kopf. Trotz seiner Größe war er nahe am Wasser gebaut und hatte Tränen in den Augen. »Tue ich nicht ... aber es fällt mir verdammt schwer.« Wieder die leise Entschuldigung. »Ohne mich sind die Jungs aufgeschmissen, die wissen doch gar nicht, wo Europa liegt.« Er zog seine Axt aus dem Baum. »Am Ende laufen die noch in die falsche Richtung.«

»Ihre Vorgesetzten kennen sich aus, verlass dich drauf.« Sie bedeutete den Männern mit einem Lächeln, dass sie keine Lust hatte, weiter über dieses Thema zu diskutieren. »Kommst du nach Hause, Alex? Ich hab ein Huhn gekauft und Kartoffeln und frische Tomaten. Du hast doch sicher Hunger.«

»Sobald wir den Baum gefällt haben.«

Clarissa verabschiedete sich von den Männern und überlegte, ob sie bei Dolly vorbeifahren sollte. Doch die hatte einige Gäste, wie sie wusste, und sicher viel zu tun. So entschied sie sich dagegen. Ihre Freundschaft bestand seit jenem denkwürdigen Winter, als sie in Skaguay von Bord gegangen waren, und Dollys Mann einem gemeinen Verbrechen zum Opfer gefallen war. Damals hatte es nicht so ausgesehen, als würde die Engländerin jemals darüber hinwegkommen, doch sie war eine starke Frau und überwand den Schmerz und hatte einige Jahre später das Glück, in den verrückten Iren zu laufen. So nannte sie ihren jetzigen Mann, den »Verrückten Iren«, und wer ihn bei der Hochzeit oder betrunken erlebt hatte, konnte ihr nur zustimmen. Ein wilder Bursche, aber auch ein herzensguter Mann, der seiner Frau jeden Wunsch von den Lippen ablas und bewies, dass sich auch Engländer und Iren vertragen konnten.

Sie bog von der Wagenstraße ab und lenkte das Fuhrwerk zum Haus hinauf. Eigentlich war es nur eine Hütte, kein Vergleich mit dem zweistöckigen Roadhouse, das Dolly und Jerry gebaut hatten. Die Stämme waren stabil, aber etwas verwittert, und das Dach war undicht geworden und musste dringend neu gedeckt werden. Der Eimer unter der undichten Stelle war keine Dauerlösung. Aber sie wollte ihren Mann nicht drängen. Auch wenn die gefährliche Operation schon lange zurücklag, bekam er noch starke Kopfschmerzen, wenn er sich zu sehr anstrengte.

Nachdem Robert sich verabschiedet hatte und zum Roadhouse seiner Eltern hinuntergelaufen war, stiegen Clarissa und ihre Tochter vom Kutschbock und begrüßten die Huskys, die auch im Sommer vor ihren Hütten lagen und ihre Ankunft mit lautem Bellen begleiteten. Zwanzig Hunde gehörten zu ihrer Zucht, alles Siberian Huskys, die sie einem sibirischen Fallensteller abgekauft oder selbst gezüchtet hatten, darunter erstklassige Schlittenhunde, die auch ein hartes Rennen wie die »All Alaska Sweepstakes« meistern würden.

Emily lief sofort auf die Hunde zu. Sie übernachtete während der Schulzeit mit einigen anderen Schülerinnen in einem Wohnheim und bekam die Huskys nur am Wochenende zu sehen. »Na, kennt ihr mich noch?«, rief sie ihnen zu. Die Huskys sprangen vor lauter Freude auf und ab und konnten es gar nicht erwarten, von ihr gestreichelt zu werden. »Ihr wartet wohl auf den Winter?«

Clarissa beobachtete mit großer Freude und Zufriedenheit, wie vertraut ihre Tochter mit den Hunden war. Sie hatte ein gutes Gespür für Hunde und kannte sich beinahe schon besser mit ihnen aus als sie. Auch wenn Alex und sie gegangen waren, würde sie gut mit ihnen auskommen. Sie besaß das nötige Gefühl für ein Gespann, und wenn sie tatsächlich das College schaffte und Tierärztin wurde, auch ein größeres Wissen als die meisten anderen Musher. Emily als Tierärztin, mit der Meldung würde es ihre Tochter auf die Titelseite des News-Miner schaffen. Es gab überhaupt keine Ärztin in Alaska. Die meisten Frauen besuchten, wenn überhaupt, nur die ersten beiden Schulklassen und legten es gar nicht darauf an, aufs College zu gehen. Von den Kosten einmal ganz abgesehen. Eine solche Ausbildung verschlang große Summen.

»Emmett, du alter Recke!« Wie es sich gehörte, begrüßte sie zuerst den Leithund, einen direkten Nachfahren des Emmett, der vor ihrer Geburt den Schlitten gezogen hatte. Wie sein Vorfahre war er ein besonders umsichtiger und intelligenter Hund, der eine Spur auch dann noch fand, wenn sie unter einer dicken Schneedecke verborgen lag. »Freust du dich, dass ich hier bin?«

Während ihre Tochter einen Hund nach dem anderen begrüßte und jeden mit Streicheleinheiten belohnte, holte Clarissa das Futter aus der Hütte. Es gab Lachs und Reis, den sie mit etwas lauwarmem Wasser anreicherte, damit die Hunde genug Feuchtigkeit bekamen. »Hey, Emmett«, begrüßte auch sie ihren Leithund zuerst und verwöhnte ihn mit der ersten Mahlzeit. Erst dann kümmerte sie sich um den impulsiven Rusty, der neben Emmett den Schlitten zog, um den stets fröhlichen Sunshine und den etwas behäbigen Brady, um Woody und Scotty, die beiden starken Kraftpakete direkt vor dem Schlitten.

Clarissa überließ es ihrer Tochter, die leeren Fressnäpfe ins Haus zu tragen und abzuspülen, und lenkte das Fuhrwerk in den Schuppen. Wie bei allen Menschen, die in der Wildnis lebten, kamen die Tiere zuerst. Sie spannte die Pferde aus und rieb sie trocken, gab ihnen zu fressen und trug ein paar von den leichteren Kisten ins Haus. Die Hunde sprangen jedes Mal an ihr hoch, wenn sie zum Haus lief. »Nein, ihr lieben, meine kostbare Schokolade bekommt ihr nicht«, rief sie ihnen zu, »die gehört nur Alex, Emily und mir. Ihr habt ja keine Ahnung, wie teuer so eine Tafel ist. Die können wir uns nur leisten, weil Alex im Frühjahr so viele Felle verkauft hat.« Alex arbeitete immer noch als Fallensteller, obwohl die Pelztiere in der näheren Umgebung von Fairbanks seltener geworden waren und er gezwungen war, die Fallen mehr als eine Tagesreise von ihrer Hütte entfernt auszulegen. »Es gibt zu viele Menschen in dieser Gegend«, sagte er. »Ich wollte, hier wäre niemals Gold gefunden worden. Manchmal denke ich, wir hätten weiter ins Landesinnere ziehen sollen.«

Aber dazu war es nicht gekommen, auch weil ihre besten Freunde in unmittelbarer Nähe wohnten und Clarissas Angst um ihren Mann niemals nachgelassen hatte. Von ihrer Hütte waren es nur wenige Stunden bis zum Arzt in Fairbanks, und sie musste zugeben, dass Fairbanks einige Annehmlichkeiten bot. Die Möglichkeit, Schweizer Schokolade zu kaufen und das Buffalo Bill Magazine zu bekommen, waren nur zwei davon.

Sie blieb vor der Hütte stehen und hatte plötzlich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Wie ein junger Elch, der einen hungrigen Wolf im Nacken spürt, oder ein Wild, das einen Gewehrlauf auf sich gerichtet glaubt. Sie erschauderte und ließ ihren Blick über die Hügel wandern. Es war niemand zu erkennen, doch die Hunde waren plötzlich ganz still, als fühlten auch sie, welche Gefahr in der Luft lag. Sie jaulten nicht mal. War ihr William Hostetter bis zur Hütte gefolgt? Hatte er sich an Alex und dem Iren vorbeigeschlichen?

Sie wusste, dass sie ein deutliches Ziel für einen hinterhältigen Schützen bot, und sie hatte schon zu viel in ihrem Leben erlebt, um ein unnötiges Risiko einzugehen. Rückwärts zog sie sich in die Hütte zurück. Sie drückte die Tür hinter sich zu und sank mit dem Rücken gegen die Wand. Erst nach mehreren Augenblicken griff sie nach dem Gewehr über der Tür und trat ans Fenster.

»Mom!«, erschrak Emily. »Was ist denn los?«

Clarissa antwortete nicht, blickte am Waldrand entlang und glaubte plötzlich einen Schatten zu sehen. Den Bruchteil einer Sekunde später war er wieder verschwunden. Stattdessen sah sie Alex und Jerry aus dem Wald treten.

»Nichts«, stieß sie erleichtert hervor. »Gar nichts, Emily.«

Kapitel 3

Spätnachts schreckte Clarissa aus einem Albtraum hoch, an den sie sich schon beim Aufwachen kaum erinnern konnte. Nur wenige Bilder hatte sie noch vor Augen. Wie Frank Whittler und der Fremde, dem sie in Fairbanks begegnet war, sie durch eine verschneite Schlucht verfolgten. Wie sie ohne ihre Schneeschuhe kaum vorwärtsgekommen und ihnen hilflos ausgeliefert gewesen war. Wie ihre Verfolger sie eingeholt und ihre Waffen auf sie gerichtet hatten. Aber was dann geschehen war, wusste sie schon nicht mehr.

Sie blieb eine Weile auf ihre Arme gestützt sitzen und starrte in die Dunkelheit, ließ sich auch durch das leise Schnarchen von Alex und die ruhigen Atemzüge von Emily hinter dem Vorhang nicht beruhigen. Vor mehr als fünfzehn Jahren war sie Frank Whittler zum letzten Mal begegnet, dem Mann, der jahrelang versucht hatte, ihr einen Diebstahl und einen Mordversuch anzuhängen, und sie bis in die verschneite Tundra verfolgt hatte. Sie war zur fixen Idee für ihn geworden, die einzige Frau, die sich gegen den arroganten Millionärssohn gewehrt hatte. In seinem Wahn, sie in seine Gewalt zu bringen, hatte er mehrere Morde begangen und war lebenslänglich ins Gefängnis gewandert. Nachdem er einmal geflohen war, würde man ihn doppelt und dreifach bewachen und bestimmt nicht mehr laufen lassen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen, er würde das Gefängnis nie mehr verlassen.

Doch was war alle Vernunft gegen die unbestimmte Angst, die sich seit damals in ihrem Körper eingenistet hatte? Selbst wenn man Frank Whittler gehängt hätte, würde sie wohl noch damit rechnen, dass er es schaffte, aus dem Jenseits zurückzukehren und sich an ihr zu rächen. Ihrem Mann und ihrer Tochter verschwieg sie die Albträume, die sie alle paar Wochen heimsuchten. Sie wusste ja selbst, dass ihre Angst unnötig war. Alex litt schon genug unter seinen Kopfschmerzen, und Emily sollte ungestört aufwachsen und nicht ständig darüber nachdenken, was ihre Mutter vor einem Vierteljahrhundert durchgemacht hatte. Natürlich wusste sie, was damals passiert war, in der Stadt sprach man heute noch über die wilde Verfolgungsjagd, aber Clarissa vermied das Thema und wich jedes Mal aus, wenn jemand darauf zu sprechen kam. »Das ist lange her«, sagte sie, »ich weiß kaum noch, wie Whittler aussah.« Eine Notlüge, die ihre Wirkung jedoch meist nicht verfehlte.

Sie stieg aus dem Bett und trat ans Fenster. Die Nacht war ungewöhnlich klar, der volle Mond stand leuchtend weiß am Himmel und badete in einem Meer von glitzernden Sternen. Über den grasbewachsenen Hügeln, die im Spätsommer schon allmählich wieder braun wurden, lagen silberne Schleier. Über dem Roadhouse, das hinter den Hügeln verborgen lag, stieg eine Rauchsäule empor, auch in klaren Sommernächten wie dieser wurde es bitterkalt.

Ihre Augen tasteten den Waldrand ab. Sie glaubte, dort wieder eine Bewegung entdeckt zu haben, empfand aber diesmal keine Angst und merkte schon bald, warum ihr diesmal keine Gefahr drohte. Der hagere Wolf, der zwischen den Bäumen hervortrat, war ein alter Freund. Ein Geisterwolf, wie sie ihn heimlich nannte, der wie ein Schutzgeist der Indianer auftauchte, wenn sie in Gefahr war oder allein nicht mehr zurechtkam. Ein Einzelgänger, der vor über fünfzehn Jahren zum ersten Mal in ihr Leben getreten war und sie seit jenem Tag nie mehr im Stich gelassen hatte. Er blieb am Waldrand stehen und badete im silbernen Licht des Mondes und der Sterne, blickte aus seinen gelben Augen zu ihr hinüber und wollte ihr anscheinend irgendetwas mitteilen.

»Bones«, flüsterte sie. »Ich dachte, du bist längst ...« Sie unterbrach sich mitten im Satz. »Du hast dich lange nicht mehr blicken lassen, mein Freund.«

Bones rührte sich nicht und blickte sie unverwandt an. Er war längst über das Alter hinaus, in dem ein Wolf starb, aber was sagte das schon bei einem Wesen wie ihm, das aus der Geisterwelt gekommen zu sein schien. Sie wäre am liebsten vor die Tür getreten, um ihn zu begrüßen, wollte aber Alex und Emily nicht wecken. Bones sah und verstand sie auch so. Er humpelte immer noch leicht, eine Folge der Verletzung, die ihm einst zwei rücksichtslose Wolfsjäger zugefügt hatten. Ohne ihre Hilfe wäre er damals wahrscheinlich gestorben.

»Was willst du mir sagen, Bones? Ist es wegen dem Mann, der mich in Fairbanks verfolgt hat? Muss ich mir Sorgen machen?« Sie presste ihre Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. »Lass mich nicht im Stich, Bones, hörst du?«

Der Wolf schwieg weiter. Erst nach einer ganzen Weile hob er den Kopf, und ein langgezogenes Heulen schallte über die Lichtung. Der Laut war so von Verzweiflung und Trauer erfüllt, dass es selbst in der Hütte noch zu spüren war. Er schreckte die Huskys auf, die aufsprangen, als sie den Wolf witterten, nervös an ihren Ketten zerrten und ihrerseits zu jaulen begannen.

Clarissa begann plötzlich zu frieren. »Du willst mir sagen, dass etwas Schreckliches geschieht, nicht wahr? Du willst mich warnen. Wovor, Bones? Sind Alex oder Emily in Gefahr? Geht es um Dolly, Jerry oder Robert? Ist was mit den Hunden? Ist jemand hinter mir her? Oder meinst du den Krieg? Hast du die vielen jungen Männer gesehen, die nach Europa in den Krieg zogen? Oh, wenn du doch sprechen könntest, Bones, dann wäre vieles leichter.«

Der Wolf verschwand und blieb ihr die Antwort schuldig. Doch er hatte ihr mitgeteilt, dass Gefahr drohte und sie auf der Hut sein musste, und mehr durfte man von einem Geisterwolf nicht erwarten. Mit den Gefahren des Lebens musste man selbst zurechtkommen, und er griff nur ein, wenn ihm danach war oder er eine Ungerechtigkeit nicht ertragen konnte.

»Ich passe auf, Bones«, versprach sie ihm, »auf meine Familie und mich.«

Sie schlich zurück ins Bett und kuschelte sich an ihren Mann.

Es tat gut, seine Haut und seine Wärme zu spüren. Er war ihr Fels in der Brandung, ein ganzer Mann, wie ihn nur die Wildnis hervorbringen konnte, der eine Entführung nach China, eine schwere Verwundung und eine oftmals tödlich verlaufende Krankheit überstanden hatte und dennoch so viel Stärke und Vertrauen ausstrahlte, dass sie ihn nicht gegen ein ganzes Heer Soldaten eingetauscht hätte.

Die Berührung mit ihrer kalten Haut weckte ihn und ließ ihn leise stöhnen. »Ich hab dich flüstern hören«, sagte er. »Warst du bei den Hunden draußen?«

»Es war nichts«, erwiderte sie.

»Da hat ein Wolf geheult, ich hab’s doch gehört.«

»Er ist schon wieder weg.«

Er setzte sich auf. »Du willst mir doch nicht weismachen, dass du immer noch mit diesem ... wie hieß er noch? ... mit diesem Bones sprichst? Selbst wenn es ihn gibt, müsste er schon weit über fünfzehn Jahre alt sein. Ich hab noch keinen Wolf getroffen, der so alt war. Du bildest dir was ein, Clarissa.«

»Kein Grund, sich aufzuregen, Alex. Es war nicht Bones.« Sie drückte ihn sanft in die Kissen zurück und versuchte ihn abzulenken. »Hast du gewusst, dass Emily Tierärztin werden will? Sie will unbedingt aufs College gehen.«

»Das kostet eine Menge Geld, was?«

»Sie will nebenbei arbeiten, und wer weiß? Vielleicht graben wir noch einen dicken Goldnugget aus dem Fluss. Oder du fängst ein paar Felle mehr.«

»Darauf würde ich nicht wetten.«

»Emily schafft das, Alex. Sie ist zäh.«

Er griff nach ihren Händen und lächelte sanft. »Das hat sie von dir. Du hast auch immer erreicht, was du wolltest, und wenn es noch so schwierig war.«

»Wir beide haben es erreicht.«

»Ohne dich wäre ich irgendwo im Eis verendet, oder diese blödsinnige Krankheit hätte mich dahingerafft. Allein wäre ich nie zum Arzt gegangen.«

»Du bist ein Mann. Männer glauben, sie kommen ohne Arzt aus.«

Er zog sie dichter zu sich heran und küsste sie. Durch den Stoff ihres Nachthemdes spürte sie, wie er sie begehrte und half ihm bereitwillig, als er sie behutsam auszog und sich ebenfalls von seinen Kleidern befreite. Sie liebten sich unsagbar sanft und leise. Sie war jedes Mal erstaunt, wie liebevoll und selbstlos er sein konnte, wenn er mit ihr schlief, und wie empfindsam er selbst auf ihre Berührungen reagierte. Und wenn er sie danach noch einmal dicht an sich heranzog und aus seinen tiefbraunen Augen anstrahlte, fühlte sie sich geborgen und von Liebe umgeben, dass sie vor nichts mehr Angst hatte.

»Ich liebe dich«, flüsterte er.

»Ich liebe dich auch«, erwiderte sie leise. »Und ich bin froh, dass du nicht in diesen sinnlosen Krieg ziehen musst. Emily und ich brauchen dich, Alex.«

»Ich weiß«, sagte er.

Sie kuschelte sich an ihn und genoss seine Nähe, seine Wärme und seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Nicht nur, wenn sie sich liebten, war sie dankbar, ihn getroffen zu haben. Was für ein Glück hatte sie doch gehabt. Wäre sie nicht vor Frank Whittler in die Wildnis geflohen, wäre sie ihm niemals begegnet und hätte ihr Leben vielleicht als Hausmädchen oder enttäuschte Ehefrau eines Mannes verbracht, den sie nie geliebt hatte. Alex war der Mann, der ihr neues Leben vollkommen machte, ihr Mann und dieses wilde Land, das sie mit seiner urwüchsigen Natur und seiner Weite überwältigte.

Während ihr Mann gleich wieder einschlief, blieb sie noch lange wach und starrte nachdenklich an die Decke. Mit seinem leisen Schnarchen kehrte auch die Erinnerung an den Albtraum und den geheimnisvollen Fremden in Fairbanks zurück, und kurz vor dem Einschlafen sah sie Betty-Sue weinend am Ufer stehen, während das Schiff mit ihrem jungen Pfleger und den anderen Soldaten flussabwärts dampfte, dem blutigen Krieg entgegen.

Wie an jedem Wochenende, wenn sie zu Hause war, bereitete Emily auch an diesem Morgen das Frühstück zu. Es duftete nach Eiern und Speck, als Clarissa den Hunden ihr Fressen brachte und sie begrüßte, Emmet zwischen den Ohren kraulte und sagte: »Ich weiß, das ist gar nicht euer Wetter. Ich hab’s auch lieber, wenn ich euch vor den Schlitten spannen und über einen verschneiten Trail brausen kann, aber es sind ja nur noch zwei oder drei Monate. Was meinst du, Emmett? Sollen wir beide bei den Sweepstakes mitmachen?« Die All Alaskan Sweepstakes waren das bekannteste Hundeschlittenrennen in Alaska. »Ich glaube, wir hätten gute Chancen, und ein paar von diesen jungen Hüpfern würden wir schon hinter uns lassen, was meinst du?«

»Ich meine, du hast schon genug am Hals«, sagte Alex. Er brachte Wasser für die Hunde und hatte gehört, was sie gesagt hatte. »Und das Preisgeld würde nur fürs College reichen, wenn du einen der ersten drei Plätze belegen würdest. Gegen die Profis in Nome kämen wir beide nicht an. Schon mal von Scotty Allan gehört? Der hat die Sweepstakes schon drei Mal gewonnen.«

»Und ist ein reicher Mann.«

»Weil er die besten Hunde hat. Siberian Huskys aus Sibirien. Baldy, sein Leithund, soll ein wahrer Wunderhund sein, und gegen die anderen Hunde in seinem Kennel kommen wir auch nicht an.« Er goss das Wasser in die bereitstehenden Näpfe und blieb nachdenklich stehen. »An einem guten Tag vielleicht. Aber dann müsste wirklich alles wie am Schnürchen laufen, und Emmett dürfte sich nicht die kleinste Verletzung holen.« Er beugte sich zu dem Leithund hinunter und tätschelte ihn. »Vielleicht kannst du noch zulegen.«

»Du willst es versuchen? Oder soll ich ... wir sind noch nicht zu alt.«

»Noch lange nicht, aber das Training wäre mörderisch, und wer weiß, was dieser verrückte Krieg noch bringt? Vielleicht schicken sie mich doch noch an die Front, oder du musst in einer Munitionsfabrik arbeiten. Diese Deutschen geben keine Ruhe, Clarissa. Hast du nicht gelesen? Sie haben sieben Handelsschiffe mit ihren U-Booten versenkt, und eins der U-Boote ist bereits vor der Ostküste aufgetaucht. Wir dürfen nicht zusehen, wie sie unser Land zerstören. Wir müssen kämpfen. Ich würde auch mitkämpfen, wenn ...«

Clarissa legte ihm einen Arm um die Schultern und versuchte ihn aufzumuntern. »Jetzt wollen wir erst einmal frühstücken, oder willst du Emily das ganze Wochenende mit so einer Diskussion verderben?« Sie gab ihrer Stimme einen versöhnlichen Klang. »Hier in Alaska sind wir weit weg vom Geschehen. Wir sind nicht mal ein Staat. Natürlich werden wir tun, was getan werden muss, aber nicht vor dem Frühstück. Ich hab doch recht, Emmett?«

Emmett war zu sehr mit seinem Fressen beschäftigt, um auf ihre Frage zu reagieren, und blickte nicht mal hoch. Clarissa und Alex gingen ins Haus. Emily hatte liebevoll den Tisch gedeckt und schenkte gerade Kaffee und Tee ein, als sich ihre Eltern die Hände wuschen. Wenn sie etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte, ließ sie sich nichts anmerken. Es gab Rührei mit Speck, Pfannkuchen mit Sirup und Toast und für jeden ein Stück von der Schweizer Schokolade, die Clarissa aber erst nach dem Frühstück anbrach.

Nach dem Essen brachte Clarissa die wenigen Waren, die Dolly bei ihr bestellt hatte, zum Roadhouse hinunter. Die letzten Gäste brachen gerade auf, und Jerry und sein Sohn waren im Wald und zersägten den Baum, den Jerry und Alex am vergangenen Nachmittag gefällt hatten. Dolly stand allein in der Küche und wusch das Geschirr. »Dolly«, rief Clarissa. »Alle ausgeflogen?«

»Gott sei Dank«, erwiderte ihre Freundin schmunzelnd, »dann muss ich mir wenigstens nicht dieses Kriegsgeschwätz anhören.« Dolly war eine kräftige Frau, sie hatte während der letzten Jahre ein paar Pfund zugelegt, wirkte aber stets glücklich und zufrieden. »Du glaubst nicht, was ich mir den ganzen Tag von meinen beiden Männern anhören muss. Jerry wirft schon mit Geschirr um sich. Wenn ich ihn gestern Abend nicht gebremst hätte, wären einige meiner schönsten Teller zu Bruch gegangen. Er sagt, dass die Feinde auch unsere Heimat in England und Irland angreifen, und macht Gott und die Welt dafür verantwortlich, dass sie ihn nicht an die Front lassen, und Robert ist nicht viel besser.« Keiner nannte ihren Sohn Bob oder Bobby. »Der würde sogar seine Geburtsurkunde fälschen, um in Europa dabei sein zu können.«

»Alex wäre auch gern dabei«, sagte Clarissa. Sie hatte sich ein Handtuch geschnappt und half Dolly beim Abtrocknen. Er hofft wohl, dass sie auch kranke Männer einziehen, falls der Krieg sich ausweitet.« Sie hielt einen Moment inne. »Warum müssen Männer ständig aufeinander losgehen, Dolly? Im Saloon, bei Volksfesten, wenn ihnen die Nase oder die Hautfarbe des anderen nicht passt, immer müssen sie kämpfen. Und jetzt schießen sie sogar aufeinander. Hast du den News-Miner gelesen, Dolly? In Frankreich versprühen sie Giftgas auf den Schlachtfeldern, und es gibt Tausende von Toten.«

»So sind sie, die Männer«, wusste Dolly auch keine ernsthafte Erklärung. »Und nicht nur die. Als ich noch in England lebte, gingen sogar irische und englische Frauen aufeinander los. Ich glaube, die würden uns lynchen, wenn sie hier wären und erfahren würden, dass ich mit einem Iren verheiratet bin.«

Clarissa stellte einen trockenen Teller in den Schrank. »Solange sie mit Fäusten kämpfen ... die Männer, meine ich ... aber Panzer, Kanonen und Giftgas? So einen grausamen Krieg soll es noch nie gegeben haben, Dolly. Selbst der amerikanische Bürgerkrieg ist angeblich nicht so blutig gewesen, und die Bilder, die ich von dem Krieg gesehen habe, haben mir schon gereicht.« Sie stellte noch einen Teller in den Schrank und lächelte schwach. »Aber lass uns von etwas anderem reden. Emily will Tierärztin werden, was sagst du dazu?«

Sie unterhielten sich eine ganze Weile und merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Erst als Jerry und Robert nach Hause kamen, blickte Dolly zur Uhr und erschrak. »Um Gottes willen, und ich muss noch die Betten machen.«

Clarissa verabschiedete sich und stieg über die Hügel zu ihrer Hütte hinauf. Unterwegs beschlich sie wieder dieses unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, und sie blieb unwillkürlich stehen und blickte zum Waldrand. Gleich darauf war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, und ein Mann näherte sich über die Wagenstraße. Er hielt sich wie ein geübter Reiter im Sattel und lenkte seinen Braunen genau auf sie zu. Mit seinem jungenhaften Gesicht und den rötlich-blonden Haaren, die unter seiner russischen Fellmütze hervorragten, sah er eher harmlos aus. Bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass sein knielanger Anorak und die einfachen Stiefel aus Karibufell gefertigt waren.

Er hielt an und beugte sich zu ihr hinunter. »Good Day, Ma’am«, grüßte er in einem Englisch mit seltsamem Akzent. »Ich suche einen Mister Carmack.«

»Ich bin Mrs Carmack«, erwiderte sie.

»Scotty Allan«, stellte er sich vor. Er nahm seine Mütze ab. »Man hat mir in Fairbanks gesagt, dass ich Sie hier finde. Darf ich reinkommen, Ma’am?«

Clarissa blickte ihn erstaunt an. »Natürlich, Sir.« Sie ging einige Schritte neben ihm her. »Scotty Allan? Der Mann, der drei Mal die Sweepstakes gewonnen hat? Wir haben eben noch über Sie gesprochen, Sir, gerade noch ...«

»Sagen Sie doch bitte Scotty zu mir, das ist mir lieber.«

»Clarissa«, erwiderte sie. »Kommen Sie rein, Scotty.«

Kapitel 4

»Das beste Sandwich, das ich seit Langem gegessen habe«, lobte Scotty und biss herzhaft in das mit Elchschinken und Käse belegte Brot. Er saß mit Clarissa und Alex am Esstisch und machte sich hungrig über den Imbiss her, den Clarissa zubereitet hatte. »Und der Kaffee ist auch nicht übel. Auf dem Dampfer gab’s jeden Abend den gleichen Eintopf und trockene Biskuits.«

»Es ist genug da, Scotty«, erwiderte Clarissa lachend. Sie schenkte ihm Kaffee nach und schob ihm den Zucker hin. »Alex und ich bekommen selten so hohen Besuch. Wir haben erst vor Kurzem von Ihnen gesprochen, nicht wahr?« Sie blickte ihren Mann an. »Wir hatten überlegt, bei den nächsten Sweepstakes mitzumachen, aber gegen Sie hätten wir wohl keine Chance.«

Scotty kaute genüsslich. »Gegen unsere Hunde, meinen Sie wohl. Alles Siberian Huskys aus unserem Allan-Darling Kennel.« Er grinste. »Das ›Darling‹ gehört nicht zu mir. Das gehört zu Esther Birdsall Darling, einer wohlhabenden Lady, die Huskys über alles liebt und einen Teil ihres Vermögens in unsere Zucht gesteckt hat. Ohne sie hätte ich nicht mal das Geld für Baldy gehabt.« Er grinste wieder. »Auch Schotten haben nicht nur volle Sparschweine rumstehen. Was ich verdiene, reicht gerade für meine Familie.«

»Und die vielen Preisgelder?«, fragte Alex.

»Hab ich sofort wieder investiert. Wir haben über hundert Huskys in unserem Kennel, und Sie wissen ja am besten, was die wegfressen. Ganz zu schweigen von den Tierarztrechnungen. Nome ist nicht gerade ein billiges Pflaster, und der Goldrausch ist schon lange vorbei.«

Emily kam mit frischem Brennholz herein und stapelte es neben dem Ofen. Sie hatte den Schotten bereits begrüßt und hielt sich höflich im Hintergrund, während die Erwachsenen redeten, spülte schmutziges Geschirr ab und setzte sich danach mit kaputten Strümpfen auf einen Hocker und stopfte sie.

»Baldy muss ein wahrer Prachtkerl sein«, sagte Alex.

Scotty spülte den letzten Bissen mit Kaffee hinunter und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Der ausdauerndste und klügste Hund, den ich kenne. Wir haben ihn einem jungen Inuit abgekauft, der nicht mehr für ihn sorgen konnte. Der beste Kauf meines Lebens.« Er nickte dankbar, als Clarissa ihm Kaffee nachschenkte. »Aber Ihre Zucht ist auch nicht ohne, hab ich mir sagen lassen.« Er blickte aus dem Fenster. »In Fairbanks schwärmen sie von Ihrem Emmett, und in Nome haben wir auch schon von ihm gehört. Ehrlich gesagt, wollte ich Sie schon selbst einladen, an den Sweepstakes teilzunehmen. Sie haben einen ausgezeichneten Ruf, das sage ich nicht nur, um Ihnen Honig um den Mund zu schmieren.«

Clarissa lachte. »Wer so was sagt, will meistens etwas.«

»Da ist was dran«, erwiderte Scotty. Er war plötzlich ernst geworden. »Ich will tatsächlich etwas von Ihnen, das heißt, eigentlich nur von Alex. Ich bin hier, weil ich für das, was ich vorhabe, den besten Mann brauche, den ich kriegen kann. Einen erfahrenen Mann, der sich in der Wildnis zu behaupten weiß und mit Huskys auskennt. Einen Mann wie Sie, Alex.« Er bemerkte Clarissas säuerliche Miene und fügte rasch hinzu: »Ich weiß, Clarissa. Sie sind ausdauernder als eine Indianerin, steuern einen Hundeschlitten besser als die meisten Männer und haben einige Male bewiesen, wozu Sie fähig sind. Das stand sogar in der Zeitung. Aber diesen Job kann nur ein Mann erledigen.«

Clarissa ahnte Schlimmes. »Und warum?«

Scotty atmete tief ein, bevor er endlich mit dem wahren Grund für sein Kommen herausrückte: »Ich möchte Alex bitten, mich nach Frankreich zu begleiten. Die amerikanische Armee hat mich beauftragt, ungefähr hundert Huskys an die Westfront in Europa zu bringen. Dort kämpfen die Franzosen gegen die Deutschen. In den Vogesen, so heißen die Berge dort, soll mehr Schnee als am Mount McKinley liegen, und die Soldaten brauchen viel zu lange mit ihren Pferden und Maultieren, um Verwundete und den Nachschub zu transportieren. Mit Huskys schaffen wir das in einem Bruchteil der Zeit.«

Clarissa und Alex verschlug es die Sprache. Sie saßen nur da und starrten den Schotten an. Sie waren wie vor den Kopf geschlagen. Emily hielt in ihrer Handarbeit inne und blickte fassungslos zu ihnen herüber. Sekundenlang waren nur das Prasseln des Feuers im Ofen und das Jaulen der Huskys zu hören.

»Und ... und was soll ich dabei?«, fragte Alex mit heiserer Stimme.

»Sie sollen mir helfen, die französischen Chasseurs Alpins auszubilden.« Sein Akzent war fürchterlich. »So ähnlich nennen sie ihre Gebirgsjäger. Wir sollen ihnen beibringen, mit den Hunden umzugehen und einen Schlitten zu lenken. Keine Angst, sie stellen uns Dolmetscher zur Verfügung. Ich weiß, die Armee hat Sie wegen der Beschwerden, die Sie manchmal noch haben, abgelehnt. Zu Beginn eines Krieges ziehen sie nur die Jungen und vollkommen Gesunden ein. Mir hat man freigestellt, einen Begleiter zu finden, und ich könnte mir keinen besseren Mann für diese Aufgabe vorstellen als Sie. Wir werden keine Soldaten sein. Wir bleiben Zivilisten, mutige Zivilisten, die an der winterlichen Front helfen, diesen elenden großen Krieg zu beenden.«

Wieder trat Stille ein. Emily saß wie erstarrt auf ihrem Hocker und hatte einen Teil ihrer Handarbeit fallen gelassen, und Clarissa war so geschockt, dass sie zu keiner Reaktion fähig war. Alex, flüsterte sie in Gedanken, lass mich bitte nicht allein. Geh nicht nach Europa. Das ist nicht unser Krieg. Wir wissen ja nicht einmal, wo diese Vogesen liegen. Doch während sie die Worte unausgesprochen ließ, war ihr längst klar, was ihr Mann antworten würde.