Geheimer Krieg - Christian Fuchs - E-Book

Geheimer Krieg E-Book

Christian Fuchs

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Beschreibung

Ein amerikanisches Kriegskommando in Stuttgart befehligt Killerdrohnen in Afrika und im Nahen Osten, um mutmaßliche Terroristen umzubringen. Die NSA greift Daten von Überseekabeln ab, die von Deutschland ausgehen, und rüstet in Hessen ihre Abhörtechnik auf. US-Sicherheitskräfte nehmen auf Flughäfen Verdächtige fest. BND-Agenten horchen für die Amerikaner Asylbewerber aus, um Drohnenziele auszukundschaften. Der Aufbau geheimer US-Foltergefängnisse wurde von der CIA-Logistikzentrale in Frankfurt gesteuert. Und die US-Firma, die die Kidnapping-Flüge organisierte, wird von deutschen Ministerien weiter mit Millionenverträgen gepampert. Das alles und noch viel mehr geschieht nicht nur auf deutschem Boden, sondern auch mit der Unterstützung der Bundesregierung. Denn Deutschland ist längst zum untrennbaren Bestandteil der US-Sicherheitsarchitektur geworden. Eines Systems, das sich öffentlicher Kontrolle entziehen will. Der amerikanische «Krieg gegen den Terror» beginnt direkt vor unseren Haustüren — und wird mit Mitteln geführt, die viele Menschen verabscheuen. John Goetz und Christian Fuchs haben sich auf eine Reise zu den geheimen Kommandozentralen begeben und machten höchst beunruhigende Entdeckungen. Außerdem starteten sie eine Art datenjournalistische Gegenspionage und versuchten das Treiben von Geheimdiensten und US-Militärs in Deutschland aufzuklären. An Orten, die niemand vermuten würde, fanden sie Datenspuren der heimlichen US-Aktivitäten und werteten sie aus. So ist dieses Buch auch ein Beispiel für modernen investigativen Journalismus.

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Seitenzahl: 267

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Christian Fuchs • John Goetz

Geheimer Krieg

Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

MottoTeil I Amerikas williger Partner1. Kapitel Dinner-Party2. Kapitel Deutsche Informationen3. Kapitel Der tiefe Staat Amerika – der tiefe Staat Deutschland?Teil II Das US-Afrikakommando in Stuttgart4. Kapitel Eine unnötige öffentliche Debatte5. Kapitel Die Phase der Verschleppungen6. Kapitel Himmlisches Gleichgewicht7. Kapitel Luftpiraten8. Kapitel Die Phase der gezielten TötungenTeil III Deutschland und der amerikanische Drohnenkrieg9. Kapitel Bismarckturm und Bank of America10. Kapitel Wolfshunde11. Kapitel Satellitenfarm12. Kapitel Obama antwortet13. Kapitel Menschliche QuellenTeil IV Die National Security Agency in Deutschland14. Kapitel Männer, die auf Männer starren15. Kapitel Mit den Daten gegen die Datensammler16. Kapitel Unsichtbare DatenströmeTeil V Gute Geschäfte auf deutschem Boden17. Kapitel Die CIA-Logistikzentrale in Frankfurt18. Kapitel Kidnapping GmbH19. Kapitel ReiseberaterEpilogDankBildnachweisGlossarRegister
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Such nicht mehr, Frau: du wirst sie nicht mehr finden!

Das Schicksal aber, Frau, beschuldige nicht!

Die dunklen Mächte, Frau, die dich da schinden

Sie haben Name, Anschrift und Gesicht.

 

Bertolt Brecht, Kriegsfibel

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Teil I Amerikas williger Partner

1. Kapitel Dinner-Party

Verwüstetes Haus nach einem Drohnenangriff in Waziristan

Das Abendessen war vorbei. Sie saßen noch ein wenig vor der Tür des Hauses mit Blick auf die Berge. Ihr Tischgespräch drehte sich um Moskitos, wie sie die Drohnen nannten. Sie sprachen über Drohnenopfer, wie so oft in diesen Tagen, in denen scheinbar jeder darüber sprach. Hier, im gefährlichsten Teil Pakistans, im Grenzgebiet zu Afghanistan, in der Region Waziristan.

Die Bewohner des Gehöftes am Stadtrand von Mir Ali hatten ein paar Freunde zu einer Dinner-Party eingeladen. Sechs Deutsche lebten auf dem Hof. Von außen sah es aus wie all die anderen Lehmhäuser in der Stadt. Sandfarbene Flachbauten mit einem Dach aus Palmenblättern. Fünf Räume bildeten das Anwesen, in seinem Innenhof stand ein Brunnen, rundherum staubiger Boden. Pakistanische Architektur, könnte man sagen.

Innen jedoch eröffnete sich für den Besucher ein seltener Luxus: Eine Klimaanlage kämpfte gegen die Hitze, es gab ein Radio, in dem täglich Deutsche Welle lief, zum Essen kamen Pepsi und Nutella auf den Tisch. Die Männer wuschen sich mit deutscher Seife und die Frauen pflegten ihre Haut mit deutscher Creme. In dem großen Hof war ein Volleyballnetz aufgespannt. Deutsche Kultur, könnte man sagen.

Drei pakistanische Freunde sind an diesem Abend zu Gast. Es ist ein Essen für die Männer. Die Ehefrauen müssen im Haus warten. Nach dem Mahl beginnt Bünyamin, der jüngste Bewohner, die Teller abzuwaschen. Im Gegensatz zu den anderen Männern ist sein Bartwuchs noch nicht stark, nur ein paar Stoppeln sprießen aus seinem Kinn. Die braunen Knopfaugen des 20-Jährigen geben seinem Gesicht einen offenen, freundlichen Blick. Freunde nennen ihn «Bünno». Vor ein paar Wochen war der junge Mann aus Nordrhein-Westfalen nach Waziristan gereist. Manche meinen, er wollte hier am Dschihad teilnehmen. In den Ferien zuvor hatte er noch bei einem Bauern in Wuppertal Schafe gehütet. Sein älterer Bruder Emrah lebte bereits in Pakistan.

Während Bünyamin die Reste des Abendessens wegräumt, bringt Emrah sein Baby in das etwas entfernt liegende Haus zu seiner Frau. Der kleine Junge hat angefangen, die Essensgäste zu nerven, und es ist Zeit für ihn, ins Bett zu gehen. «Komm doch mal her, Shahab», ruft Emrah seinem Freund aus Hamburg zu. Er braucht Hilfe, um noch ein paar Stühle vor die Tür des Hauses zu tragen. Shahab Dashtis Frau, eine Zahnmedizinstudentin aus Hamburg, ist schwanger. Auch sie bleibt im Haus. «Sofort, eine Minute noch …», antwortet Shahab.

*

Es ist 19:26 Uhr. Kurz nach dem Essen und vier Minuten vor dem Abendgebet. Die Männer vor dem deutschen Haus sind nicht allein, aus 2000 Metern Höhe werden sie von einer Drohnenkamera dabei beobachtet, wie sie das Geschirr einsammeln. Die Bilder erscheinen auf dem Monitor eines Drohnenpiloten, der zehntausend Kilometer entfernt auf einer Luftwaffenbasis in der amerikanischen Wüste sitzt. Auf seinem Bildschirm sieht er Bünyamin, er sieht Shahab, den Hamburger Basketballspieler, und er sieht drei weitere Personen, die das Drohnenauge gestochen scharf einfängt. Kurz bevor er den Raketenknopf drückt, nimmt der Pilot noch wahr, wie ein Mann aus der Gruppe ins Haus zurückrennt. Es ist Bünyamins älterer Bruder. Der Pilot weiß, dass er jetzt auf den Knopf drücken muss, denn bald kann die gesamte Gruppe auseinandergehen.

Die Bilder aus Waziristan werden nicht nur an den Piloten gesendet. Auch die Mitarbeiter des amerikanischen Air Operations Center in Al Udeid in Katar verfolgen die Aufnahmen in Echtzeit. Eine Killerdrohne, eine General Atomics MQ-1, auch Predator genannt, ist nicht einfach ein selbstfliegender Roboter. Solch eine Drohne ist ein System. Oft wird sie auch von unterstützenden Aufklärungsdrohnen begleitet.

Nicht nur, dass die Beobachter in den USA und in Katar die Bewegtbilder aus Pakistan verfolgen, sie hätten während des Dinners gleichzeitig auch die Mobiltelefone der Bewohner des deutschen Hauses abhören können.

Alle abgelauschten Töne, die Überwachungsvideos der Drohne, ja alle Daten erreichen die Vereinigten Staaten von Amerika über Satellitenanlagen, wie sie auch in Deutschland stehen. In Ramstein.

Seit Wochen hat das deutsche Haus unter Beobachtung gestanden. Jeder Drohnenangriff in Pakistan muss von CIA-Direktor Leon Panetta und einem CIA-Juristen abgesegnet werden. An dem Tag, als der Befehl im siebten Stock der Central Intelligence Agency (CIA) in Washington D.C. unterschrieben wurde, wurde ein Todesurteil gefällt. Ohne Anklage. Ohne Verhandlung. Ohne rechtliche Grundlage.

*

Zur gleichen Zeit, zu der in Mir Ali das Abendgebet beginnt, fällt in Berlin der Zeiger der Behördenuhr gerade auf 16:30 Uhr. Der Feierabend naht an diesem Montag im Oktober 2010 für die meisten der Beamten im «Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum» am Treptower Park. Und keiner der mehr als 200 Mitarbeiter in dem roten Backsteinbau beschäftigt sich zu diesem Zeitpunkt mit den deutschen Brüdern Bünyamin und Emrah Erdogan in Pakistan.

In den Monaten zuvor hatten die Kriminalisten von Bundes- und Landeskriminalämtern freilich Informationen über die ausgereisten Bundesbürger an die Amerikaner weitergegeben. Aber zurückhaltend, mit Vorsicht. Denn niemand wusste genau, was die US-Dienste mit den Daten machen würden, obwohl sie den Deutschen versprochen hatten, «die Informationen nur für Zwecke der Strafverfolgung zu verwenden». Das Bundeskriminalamt (BKA) wog sorgfältig ab, welche Daten es den Amerikanern überlassen konnte, und behielt unter anderem die Abschriften von abgehörten Anrufen zurück. Ihren Partnern im Anti-Terror-Zentrum in Berlin jedoch, dem Verfassungsschutz und dem Auslandsgeheimdienst BND, stellte es alle Informationen zur Verfügung.

Es ist bis heute nicht bekannt, welche Informationen die deutschen Nachrichtendienste über das deutsche Haus an die CIA weitergegeben haben.

*

«Ich hörte einen lauten Knall. Die Tür flog zu uns rein, sie war nur aus Holz. Meine Augen waren voll mit Erde, da die Häuser aus Lehm waren», erinnert sich Emrah Erdogan später an den Raketeneinschlag, der sein Gehöft gegen 19:30 Uhr erschütterte.

Es regnete aus der Hölle. Zwei Hellfire-Geschosse schlugen vor dem Haus ein. Der laute Knall der Bomben mischte sich mit dem Ruf des Muezzins auf dem nahe gelegenen Minarett, der zum Abendgebet aufforderte.

Leichenteile lagen überall auf der Erde und klebten an den eingestürzten Wänden. Die Drohnenrakete hatte kaum etwas von den Gebäuden und Menschen übriggelassen, die sie traf. Erde flog in der Luft herum; alles und jeder wurde mit einer Staubschicht bedeckt wie mit einem leichten Handtuch.

Emrah Erdogan verlor für wenige Sekunden das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, wollte er sofort aus dem Haus rennen. Aber ein Pakistani hielt ihn zurück: «Bruder, halt, warte! Wenn du jetzt rausgehst, schießen sie noch mal.»

Manchmal verharren die Drohnen auf ihrer Position und starten nach kurzer Zeit einen zweiten Luftangriff.

Nachdem sie vier Minuten gewartet hatten, schlich Emrah durch den Hinterausgang aus dem Haus. Er hörte ein leises Stöhnen, wusste aber nicht, ob das die Stimme seines Bruders war. «Bünyamin, Bünyamin, Bünyamin», rief er laut. Doch er bekam keine Antwort. Dann sah er einen Mann auf dem Boden liegen, mit dem Gesicht unter der Erde. Er zog ihn heraus. Als Emrah ihn umdrehte, erkannte er seinen Freund Shahab aus Hamburg. Der Mund war voll mit Erde. Es fehlte ein Bein. Shahab war tot.

Dann rannte Emrah weiter, auf der Suche nach seinem kleinen Bruder. Er sah einen zweiten Körper auf dem Boden liegen. Er zog ihn hoch und fing an zu weinen. Er versuchte seinen Bruder aufzuwecken, aber Bünyamin reagierte nicht. Dann sah Emrah den Splitter in seinem Kopf. Er sah, wie das Gehirn seitlich aus dem Schädel quoll. Er begann zu schreien. «Bünyamin, Bünyamin …»

*

Fünf Männer starben an diesem Tag in Pakistan. Zwei von ihnen stammten aus Deutschland. War die Bundesrepublik an der Ermordung ihrer Bürger jenseits allen deutschen Rechts beteiligt?

2. Kapitel Deutsche Informationen

Im Terrorabwehrzentrum von Verfassungsschutz und BKA in Berlin-Treptow

Emrah Erdogan musste weg aus Waziristan. Am besten sofort. Sein Leben war in Gefahr.

Nachdem er seinen Bruder und die anderen beerdigt hatte, schrieb er eine E-Mail an den Berliner Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Darin deutete er an, dass die deutschen Behörden in die Bombardierung involviert gewesen sein könnten: «Drei Wochen nachdem mein Bruder Bünyamin uns besuchen kam, schossen die Amerikaner auf unser Haus, wo sich zu diesem Zeitpunkt 6 Deutsche befanden (…) Ich weiß, dass die Deutschen davon wussten.»

Bis heute behauptet die Bundesregierung, dass sie keine Daten an die USA weitergegeben habe, die zum Tod von Deutschen geführt haben. Die «Sicherheitsbehörden des Bundes» gäben «grundsätzlich keine Informationen weiter, die unmittelbar für eine zielgenaue Lokalisierung benutzt werden können», heißt es.

Nur: Woher will die Regierung wissen, wofür Informationen genutzt wurden? Wie kann sie sicher sein? Will sie es überhaupt so genau wissen?

Bekannt ist, dass Emrah Erdogan oft aus Waziristan nach Deutschland telefoniert hat, zu oft für einen Dschihadisten. Das Bundeskriminalamt (BKA) hörte hunderte Anrufe aus Mir Ali ab. Einmal kündigte Emrah am Telefon einen Selbstmordanschlag seines Bruders Bünyamin an. 80 bis 90 Menschen sollten sterben. Ob das Prahlerei, ein Scherz oder ernst gemeint war, ist bis heute unklar. Eine Staatsschützerin des BKA hörte das Gespräch mit und ging danach von einem «tatsächlichen Tatplan» aus. Ein Mordversuch stand aus Sicht des BKA unmittelbar bevor. Ob die Deutschen diese schwerwiegende Einschätzung an US-Behörden weitergegeben haben, ist unbekannt. Falls ja, hätten sie Bünyamin, Emrah, die anderen und das deutsche Haus damit zum Ziel gemacht.

Vier Wochen nach Emrahs Telefonat bombardierten amerikanische Predator-Drohnen die Deutschen in Waziristan.

Wir wissen heute sicher, welche Informationen das Bundeskriminalamt auf jeden Fall kurz vor dem tödlichen Drohnenangriff mit den amerikanischen Diensten geteilt hat: Das BKA hatte weitergegeben, dass im Umfeld Bünyamins drei pakistanische und drei türkische Mobiltelefone benutzt wurden. Und wohl auch, in welches Internet-Café Bünyamin in Mir Ali gerne ging, wie sein Skype-Benutzerkonto hieß und wie seine deutsche Handy-Nummer lautete. Das haben Bundestagsabgeordnete nach dem Angriff durch parlamentarische Anfragen erfahren.

All diese Daten sind hilfreich, wenn man Menschen sucht. Ohne sie ist es eigentlich unmöglich, in schlecht zugänglichen Stammesgebieten wie Waziristan Terroristen zu jagen. Hat ein Geheimdienst eine Telefonnummer, kann er damit ihren Benutzer orten. Hat ein Geheimdienst den Namen eines Skype-Accounts, kann er die geführten Telefonate mithören. Hat ein Geheimdienst ein ganzes Bündel solcher Informationen, ist es kein großer Aufwand mehr, die Person zu finden – und aus der Luft zu bombardieren.

Trotz aller Dementis bleibt der Verdacht, dass Deutschland Informationen zur Verfügung gestellt hat, die direkt oder indirekt zur Ermordung deutscher Bürger geführt haben – ein geschichtlich einmaliger Vorfall.

Aber nur eines von vielen Beispielen für die deutsche Unterstützung in Amerikas geheimem Krieg.

*

Nachdem Emrah Erdogan seine Mail an den deutschen Abgeordneten abgeschickt hatte, flüchtete er nach Afrika. Zuerst setzte er sich nach Somalia ab, wo er sich einer islamistischen Organisation angeschlossen haben soll. Später reiste er über Äthiopien bis nach Kenia.

Es wurde immer enger für ihn. Nachdem die kenianische Polizei ein Foto von Emrah veröffentlicht hatte, flüchtete er erneut. Er packte seine wenigen Sachen in Nairobi zusammen und stieg in ein Flugzeug nach Tansania. Noch am selben Tag sollte er in der Hauptstadt Dar es Salaam landen.

Der «Julius Nyerere International Airport» liegt vor den Toren des Vier-Millionen-Einwohner-Molochs am Indischen Ozean. Er ist nur ein kleiner Flughafen mit zwei Terminals und einer übersichtlichen Tafel mit Starts und Landungen. Vor fast hundert Jahren hatte die deutsche Kolonialregierung den Grundstein für den ersten Flughafen in Tansania gelegt. Als sich Emrah Erdogan in dieser Sonntagnacht, im Juni 2012, nach der Ankunft in der Schlange am Einreiseschalter anstellte, wurde er bereits erwartet. Deutsche Beamte hatten ihre Kollegen vor Ort gewarnt. Die Kriminalpolizisten und Ermittler des tansanischen Amtes für Terrorbekämpfung waren auf jede Form von Aufruhr vorbereitet. Doch Emrah Erdogan ließ sich ohne jede Gegenwehr festnehmen.

3. Kapitel Der tiefe Staat Amerika – der tiefe Staat Deutschland?

John Goetz bei der Recherche, mit Polizisten

Die Festnahme des mutmaßlichen Islamisten Emrah Erdogan in Tansania wurde in einer knappen Meldung auf der Webseite der Generalbundesanwaltschaft bekannt gegeben, ein paar kleine Artikel erschienen in den Zeitungen.

Als wir das lasen, verstanden wir schnell, dass deutsche Informationen zur Hinrichtung eines Bundesbürgers geführt hatten. Die Ereignisse um die Brüder Erdogan waren der letzte Anstoß für uns, aber die Geschichte hinter diesem Buch fing schon viel eher an.

Wir sind Journalisten, die gern recherchieren. Oft handeln unsere Texte und Beiträge vom Treiben der Geheimdienste, von Terrorismus, und fast immer versuchen wir darüber zu berichten, was Firmen, Militärs und Regierungen lieber verschweigen würden. Lange Zeit beschäftigten uns die Fehler der deutschen Behörden bei der Suche nach den Rechtsterroristen des «Nationalsozialistischen Untergrunds»; unser erstes gemeinsames Buch «Die Zelle» handelt davon. Wir, das sind John Goetz und Christian Fuchs.

John ist Amerikaner. Im Oktober 1989 kam er nach Berlin, um für einige Monate aus der DDR zu berichten, heute ist er immer noch da. Er arbeitete für den Spiegel, seit zwei Jahren ist er Investigativredakteur für den NDR und die Süddeutsche Zeitung. Viele Skandale – von der CDU-Spendenaffäre bis zu den CIA-Geheimgefängnissen – wären ohne seine Hilfe nicht aufgedeckt worden.

In den Monaten, als John aus New York in Berlin angekommen war, verlor Christian gerade seinen ersten Job als Wandzeitungsredakteur im Pionier-Gruppenrat in seiner Schulklasse. Er schrieb trotzdem weiter und wurde später an der Henri-Nannen-Journalistenschule zum Reporter ausgebildet. Seine Recherchen werden meistens von ZEIT oder Süddeutscher Zeitung gedruckt.

Zusammen drehen wir Dokumentationen fürs Fernsehen. Diesen Spruch von George Orwell können wir beide unterschreiben: «Journalismus ist, zu veröffentlichen, was andere nicht gedruckt sehen wollen: alles andere ist Öffentlichkeitsarbeit.»

In den vergangenen acht Jahren haben wir oft darüber gesprochen, dass wir uns einmal auf die Suche begeben müssten, um mehr über die deutsche Rolle im «Krieg gegen den Terror» herauszufinden. Immer wieder war uns aufgefallen, dass die Bundesrepublik die Vereinigten Staaten in jeder Phase dieses Kampfes unterstützte. Doch die Details dieser Kooperation kamen nur sehr schleppend ans Licht, oft sollten sie verheimlicht werden. Die Bevölkerung bekam davon wenig mit. Gab es vielleicht noch mehr, noch unbekannte Formen der Zusammenarbeit?

Eine dieser unbekannten Kooperationen wurde erst kurz vor dem Druck dieses Buches bekannt und traf unseren NDR-Kollegen Stefan Buchen. Im Jahr 2010 fragte die CIA beim Bundesnachrichtendienst (BND) und beim Bundesamt für Verfassungsschutz an, was die Deutschen über den Reporter wussten. Buchen recherchiert oft investigativ im Nahen Osten und in Afghanistan. Er geriet wohl in den Fokus der Nachrichtendienste, weil er auch radikale Muslime im Jemen interviewt hatte. Laut Aussage des Verfassungsschutzes haben die deutschen Agenten wohl keine Details zu seiner Person an die Amerikaner übermittelt. Sie informierten Stefan Buchen aber auch nicht über das Interesse eines fremden Geheimdienstes an seiner Person oder klärten die CIA darüber auf, dass das Ausspionieren eines Journalisten ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit in Deutschland ist. Der Verfassungsschutz hat die Datengier der CIA einfach stillschweigend geduldet.

Wie viel der US-Geheimdienst bereits über den Reporter wusste, war den Nachrichtendiensten nämlich bekannt: Die CIA hatte neben Buchens Namen, seiner Passnummer und seinem Geburtstag auch seinen beruflichen Hintergrund, seine Arbeit sowie seine Reisen ausgeforscht.

Für den Datenaustausch hatten die deutschen Dienste und die amerikanische CIA extra ein Büro in der rheinischen Stadt Neuss unter dem Tarnnamen «Projekt 6» eingerichtet, in dem sie die Datenbank PX aufbauten. Mit dieser Software sammelten BND, Verfassungsschutz und CIA zwischen 2005 und 2010 Kfz-Kennzeichen, Telefonverbindungsdaten, aber auch Fotos von tausenden mutmaßlichen deutschen Islamisten. An die einhundert nahkampferprobte Ex-Soldaten und Navy Seals sollen in Neuss eingesetzt gewesen sein. «Projekt 6» wurde auf Bitten der US-Regierung in der Bundesrepublik eingerichtet.

Diese letzte Nachricht wirkte am Ende unserer eigenen Recherche wie ein Beweis, den es nicht mehr gebraucht hätte. Denn wir waren schon lange beunruhigt, Deutschland könnte seine Moral und seine Prinzipien vergessen und vielleicht sogar seine Gesetze brechen, um die alliierten Amerikaner in ihrem Kampf zu unterstützen.

Immer mal wieder wurde zwar über Einzelfälle berichtet, aber kaum jemand sah, was dahinterstand. Das Muster hinter den vielen Formen der Zusammenarbeit blieb verborgen. Keiner nahm sich die Zeit, um herauszufinden, wie tief die Kooperation zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland wirklich verläuft.

In den USA setzte sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Begriff «deep state» durch. Er steht für den aufgeblähten Sicherheitsapparat, der seitdem entstanden ist. Neue Behörden wurden gegründet, tausende private Unternehmen wurden mit geheimen Programmen betraut, hunderttausende Amerikaner erhielten eine Sicherheitseinstufung. Es entstand ein Staat im Staat.

Wir hatten den Eindruck, dass die Sicherheitsapparate der beiden Länder schon länger enger verbunden waren, als wir alle wahrnahmen. Darum wollten wir herausfinden, ob es auch einen «tiefen Staat» Deutschland gibt. Wie verwoben sind die Sicherheitsarchitekturen von USA und Bundesrepublik wirklich?

*

Wir gingen auf Reisen in ein unbekanntes Deutschland. Wir brachen auf, um in eine geheime Welt vorzudringen. Wir wollten die anderen, bisher versteckten Punkte auf der Karte der Sicherheitsbeziehungen finden. Wir machten uns auf die Suche nach den Orten von Top Secret Germany.

Acht Monate durchquerten wir das Land von Schwaben bis Ostfriesland. Uns öffneten sich Türen, durch die zuvor noch nie ein Journalist gegangen ist, andere Tore blieben uns verschlossen. Wir trafen die ranghöchsten deutschen Generäle und Flüchtlinge aus Somalia. Wir nahmen an offiziellen Zeremonien teil und begegneten Informanten an neutralen Orten, die nie mit uns hätten sprechen dürfen.

Wir wurden mit Maschinenpistolen bedroht. In Darmstadt ermittelte die Polizei wegen Spionage gegen uns. Wir standen im Inneren einer amerikanischen Kriegs-Kommandozentrale. Fünfmal wurden wir von der Polizei kontrolliert bei dem Versuch, uns ein CIA-Zentrum in Frankfurt anzusehen. Unsere Recherchen wurden öffentlich von US-Präsident Barack Obama kritisiert. Die amerikanische Botschaft mahnte uns ab. Und wir entdeckten eine Kidnapping-Firma auf dem Berliner Boulevard «Unter den Linden».

Wir haben neue, unbekannte Orte aufgespürt. Orte, die bisher auf keiner Karte standen.

Dieses Buch ist der Bericht unserer Reise.

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Teil II Das US-Afrikakommando in Stuttgart

4. Kapitel Eine unnötige öffentliche Debatte

Vor dem AFRICOM-Hauptquartier in Stuttgart

Am Vormittag des 15. Januar 2007 bekommt Christian Schmidt besonderen Besuch. Der Mann mit der hohen Stirn ist Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Brillenträger. Sein Büro liegt im dritten Stock des Bendlerblocks. Das wuchtige Gebäude am Berliner Landwehrkanal diente schon anderen Militärs als Zentrale. Aus dem Allgemeinen Heeresamt des Oberkommandos im Zentrum von Berlin befahlen die Nazis der Wehrmacht, annähernd jedes Land in Europa zu überfallen. Jetzt, sechs Jahrzehnte später, hat das deutsche Militär wieder seinen Sitz in dem Haus unweit des Tiergartens.

Christian Schmidt ist die rechte Hand des Verteidigungsministers Franz Josef Jung. Während an diesem Montag draußen der schwerste Orkan seit Jahrzehnten aufzieht und bald mit Böen von 150 Kilometern pro Stunde über Berlin peitschen wird, empfängt der Staatssekretär in seinem Besprechungszimmer Besucher von der amerikanischen Botschaft. John M. Koenig, der Gesandte des US-Botschafters in Deutschland, und sein Marine-Attaché sowie ein weiterer Mitarbeiter setzen sich an den Konferenztisch. Die Sekretärin hat Kaffee und Plätzchen auf den Tisch gestellt. Koenig ist der Mann für die großen Fragen innerhalb der amerikanischen Botschaft. Während der Botschafter selbst, dem Bundespräsidenten ähnlich, eher repräsentiert, ist der Gesandte gewissermaßen der Mann, der die Arbeit erledigt. Auch Staatssekretär Schmidt ist nicht allein: Er hat zwei Berater aus seinem Stab zu dem außerplanmäßigen Treffen gebeten. Einer von ihnen ist der zuständige deutsche General für Militärpolitik. Er trägt eine dunkelblaue Uniform; seine Schulterstücke schmücken zwei goldene Sterne.

Obwohl das Treffen nicht einmal eine Stunde dauern wird, wird dieses Gespräch Deutschland verändern.

Der Gast möchte über ein neues militärisches Kommando der USA reden. Er macht es kurz. «Wir werden unser Afrika-Kommando in Deutschland stationieren», sagt der Vertreter der amerikanischen Regierung. Regentropfen klatschen an die Fensterscheiben.

In diesem Moment hören deutsche Spitzenbeamte zum ersten Mal offiziell von den Plänen der Amerikaner, tausende Soldaten und eines der wichtigsten US-Kriegskommandos in Deutschland ansiedeln zu wollen. Es geht um nichts weniger als einen Planungsstab, der alle militärischen Aktivitäten des US-Verteidigungsministeriums und anderer Behörden in Afrika koordiniert und bündelt. Um die Zentrale für alle Militäroperationen der USA in Afrika. Zu ihren Aufgaben gehören Kriegseinsätze ebenso wie die Verhinderung von Krisen. In dem Kommando sind vor allem Strategen stationiert, Generäle und Einsatzplaner. Im Gegensatz zu einer Militärbasis heben von hier keine Flugzeuge ab, und keine Soldaten rücken von hier zu Einsätzen aus.

Achtzehn Monate lang waren hohe amerikanische Diplomaten zuvor in Afrika von Hauptstadt zu Hauptstadt geflogen, auf der Suche nach einem Standort für ihr neues Afrika-Kommando. Sie sprachen unter anderem in Südafrika, Angola, Simbabwe, Namibia, Botswana, der Demokratischen Republik Kongo und Algerien vor.

Aber die Verhandlungen mit den afrikanischen Ländern fielen in eine Zeit, in der die Zeitungen in aller Welt voll waren mit Berichten über das US-Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak. Artikel erschienen über Verhörmethoden wie das Waterboarding, über Geheimgefängnisse und CIA-Entführungen. Präsident George W. Bush hatte das moralische Kapital der USA aufgebraucht. Das Ansehen des Landes war auf einen historischen Tiefpunkt gesunken.

Viele Staatschefs in Afrika fürchteten sich daher vor innenpolitischer Kritik, wenn die USA ihr Land als Standort für weitere schmutzige Methoden im «Krieg gegen den Terror» benutzen würden. Außerdem hatten sie Angst davor, die Präsenz der US-Strategen könne Terroristen erst anziehen.

Dabei hätte die Ansiedlung des Kommandos den gastgebenden afrikanischen Staat außenpolitisch aufgewertet und sehr viele US-Dollar ins Land gebracht. Die zehn ärmsten Länder der Welt liegen alle in Afrika. Gerade Staaten wie Äthiopien, Niger oder der Kongo hätten die amerikanischen Millionen gut gebrauchen können. Aber die Befürchtung der afrikanischen Staatschefs, womöglich mit Skandalen wie den Folterungen mit Elektroschocks in US-Gefängnissen im Irak in Zusammenhang gebracht zu werden, wog offenbar schwerer.

Manche der Länder deuteten an, dass sie einen kleinen Militärstützpunkt akzeptieren würden. Das ja, aber keine große Kriegszentrale. Am Ende lehnten alle zwölf afrikanischen Staaten, in denen sich die Diplomaten der USA umgehört hatten, es ab, das neue Kommando mit dem Namen USAFRICOM aufzunehmen.

Deswegen sind die Amerikaner nun in Berlin.

Staatsekretär Schmidt und sein General haben keine solchen Bedenken an diesem Januarmorgen, erinnert sich ein Teilnehmer des Treffens im deutschen Verteidigungsministerium später. Sie fragen freundlich nach dem einen oder anderen Detail, wollen wissen, wo die Soldaten für das neue Kommando herkommen und ob dafür anderswo in Deutschland Truppen abgezogen werden sollen. Dann wollen die Deutschen noch wissen, wo genau das Afrika-Kommando seinen Sitz haben soll.

«In Stuttgart», sagt Koenig.

Und natürlich würden die Amerikaner ihre afrikanische Basis in Dschibuti weiter nutzen für die Ausführung der militärischen Operationen auf dem Kontinent. Aber aus Stuttgart würden in Zukunft die Befehle kommen, hier solle die Kommandozentrale entstehen.

Der Staatssekretär verspricht, umgehend eine Rückmeldung der deutschen Regierung zur Ansiedlung von AFRICOM einzuholen. Auf Anfrage bestätigt uns die Bundesregierung später, «dass diese Maßnahme mit dem Einverständnis der Bundesregierung geschehen» ist.

Als der US-Gesandte Koenig wieder in seine schwarze Limousine gestiegen ist und der Chauffeur den Motor startet, kann der Diplomat sehr zufrieden sein. Denn im Gegensatz zu den Staatschefs von Äthiopien, Niger oder Kongo gibt es keinen deutschen Politiker, der sich getraut hätte, die Amerikaner mit einer Ablehnung zu düpieren, sagt uns ein hoher Beamter aus dem Verteidigungsministerium einige Zeit danach. Darum ist der Besuch des US-Gesandten im Bendlerblock ein Besuch unter Freunden, bei dem die US-Seite nicht erwarten muss, auf großen Widerstand zu stoßen – ganz anders als in Afrika.

Während der Orkan stärker wird, ist die Stimmung in der amerikanischen Botschaft in Berlins Mitte entspannt. Das sechsgeschossige Gebäude in der Neustädtischen Kirchstraße wurde im 19. Jahrhundert im Stil der Frührenaissance erbaut, als Sitz eines preußischen Offiziersclubs. Die Straßen um das Haus herum sind gesperrt, das gesamte Gelände ist mit Sperren und Zäunen gesichert wie eine Festung. Ein Bollwerk. Um 12:43 Uhr schickt ein Mitarbeiter der US-Botschaft eine als geheim eingestufte, für diplomatische Verhältnisse überschwängliche Nachricht ans Außenministerium in Washington: «Schmidt reagierte positiv auf die geplante Ansiedlung des Afrika-Kommandos in Deutschland. Er sah keine grundsätzlichen Einwände.» Am selben Tag hat der US-Gesandte auch noch das deutsche Außenministerium besucht. Die hohen Beamten «reagierten auch hier positiv», heißt es in dem Botschaftskabel an das US-Außenministerium.

An diesem Tag wird die Bundesrepublik Deutschland innerhalb weniger Stunden zum Komplizen einer neuen Phase im «Kampf gegen den Terror». Ab jetzt setzen sich die Vereinigten Staaten mit ihren Feinden außerhalb von Kriegen nicht mehr friedlich und mit Worten auseinander. Seit dem 15. Januar 2007 ist Deutschland Teil eines Systems, das seine Feinde tötet.

*

Die Kriegsführung der Vereinigten Staaten wird durch ein Netz von Kommandos organisiert. Die Amerikaner haben die Welt für ihr Militär in sechs Regionen aufgeteilt, in denen jeweils ein Kommando zuständig ist für Operationen und Kriege. CENTCOM hat die Angriffe auf den Irak und in Afghanistan geführt. Der Kosovo-Krieg wurde vom Europa-Kommando EUCOM geleitet. Die Invasion von Grenada und Panama wurden von SOUTHCOM gesteuert, Vietnam- und Korea-Krieg gingen vom Pazifik-Kommando PACOM aus, für Nordamerika ist NORTHCOM zuständig und für Afrika schließlich AFRICOM. Diese Führungsstäbe sind in den USA stationiert, mit zwei Ausnahmen: Das Europa- und das Afrika-Kommando der Amerikaner sitzen heute in Deutschland.

Der erste militärische Einsatz der amerikanischen Republik fand bereits 1804 statt, und zwar in Afrika. Nur 17 Jahre nach der Gründung der USA marschierten US-Marines in Tripolis und andere Städte Libyens ein. Im 19. Jahrhundert verbündeten sich die Vereinigten Staaten außerdem eng mit dem belgischen König Leopold, um ebenfalls von der Ausbeutung des Kongo-Beckens zu profitieren.

Später, während des Kalten Krieges, hatte die CIA großen Anteil an der sogenannten «wichtigsten Hinrichtung des 20. Jahrhunderts», wie der Mord an Patrice Lumumba, dem demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Kongo, CIA-intern genannt wurde. Und es war auch die Central Intelligence Agency, welche die Informationen lieferte, die zur Verhaftung von Nelson Mandela im August 1962 führten. Die US-Regierung unterstützte lange das rassistische Apartheid-Regime in Südafrika.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs spielte Afrika keine große strategische Rolle mehr für die USA. Erst nach den Terroranschlägen auf ihre Botschaften in Dar es Salaam, Tansania und in Nairobi, Kenia im Jahr 1998 sowie nach den Anschlägen auf ein Hotel und ein Flugzeug im kenianischen Mombasa im Jahr 2002 begannen sich die Vereinigten Staaten wieder für Afrika zu interessieren. Zunächst knüpfte George W. Bush engere Kontakte mit afrikanischen Staatsmännern im Rahmen seiner «Koalition der Willigen», 2006 beschloss er, ein eigenes Afrika-Kommando einzurichten.

Nur wenige Wochen nach dem Treffen im deutschen Verteidigungsministerium bezogen die ersten 40 Soldaten die neuen AFRICOM-Gebäude in den «Kelley Barracks» in Stuttgart. Die USA renovierten die Kaserne für 140 Millionen Euro. Im Oktober 2008 wurde das Afrika-Kommando offiziell eingeweiht.

Schon lange fühlen sich die Amerikaner wohl in Baden-Württemberg, viele Militärs haben hier gedient, die Stadt Stuttgart und die US-Streitkräfte pflegen eine enge Verbindung. Auch strategisch ist die Stadt gut geeignet als Sitz für das US-Regionalkommando. Von hier aus brauchen Militärmaschinen nur acht Stunden bis nach Afrika. Ein Jet, der von einer US-Basis, wie zum Beispiel in Florida, starten würde, wäre fast 20 Stunden unterwegs. Außerdem lässt es sich für die Mitarbeiter in Stuttgart mit seinen Supermärkten, sauberen Straßen und einem familienfreundlichen Freizeitangebot komfortabler leben als in einem Moloch wie Dar es Salaam. Auch die Gefahr, Ziel eines Terroranschlags zu werden, ist in Stuttgart wohl weitaus geringer als in jedem afrikanischen Land. Und in Deutschland gibt es eine Infrastruktur, die die Ansiedlung vereinfacht hat: Seit 1967 sitzt bereits das Europa-Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart, das bis 2007 ebenfalls für Afrika zuständig war.

1500 Mitarbeiter arbeiten heute auf dem Gelände des AFRICOM-Kommandos in Stuttgart-Möhringen. Ungefähr die Hälfte davon sind Militärs, die andere Hälfte sind Zivilisten aus dem US-Verteidigungsministerium und Geheimdienstmitarbeiter. Hinzu kommen private Dienstleister, die offiziell in Bereichen wie Catering, Warenlieferung oder Postzustellung eingesetzt werden.

Neben dem Hauptquartier in Stuttgart gehören drei Unterkommandos in Deutschland zum Reich von AFRICOM: ein Marine-Korps und die Spezialkräfte-Truppe in Stuttgart – sowie eine Luftwaffen-Einheit auf der Airbase in Ramstein. Außerdem unterhält das Kommando noch eine Armee- und eine Marine-Einheit in Italien und mit «Camp Lemonnier» in Dschibuti auch eine einzige offizielle Militärbasis in Afrika selbst. Weitere kleine geheime US-Stützpunkte auf dem Kontinent unterstützen das Kommando. Mehr als 3600 Menschen dienen weltweit unter dem Kommando AFRICOM. All diese Soldaten in den Einheiten, Korps und auf den Militärbasen hören auf die Befehle aus Stuttgart.

Insgesamt lässt sich die US-Regierung das Kommando fast 300 Millionen Dollar pro Jahr kosten. Das ist viel im Vergleich zu anderen Regionalkommandos. Für EUCOM plante der Kongress im Haushalt 2013 weniger als die Hälfte der Ausgaben von AFRICOM ein. Das geht aus dem «Unified Command Plan» des amerikanischen Verteidigungsministeriums hervor. Nimmt man die Ausgaben für die sechs US-Regionalkommandos zum Maßstab, so ist AFRICOM das zweitwichtigste Oberkommando der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Wir möchten gern genau wissen, wie es zu der Entscheidung gekommen ist, dass AFRICOM in Deutschland aufgenommen wurde. Darum machen wir uns auf die Suche nach Antworten.

Staatssekretär Christian Schmidt kann sich auf unsere Anfrage nur allgemein an den Termin in seinem Büro erinnern und antwortet nicht auf weitere Fragen. Darum wenden wir einen klassischen Journalistentrick an, wenn Politiker und Beamte im Amt nicht reden wollen: einfach deren Vorgänger anrufen. Die sind häufig bereits pensioniert und haben Zeit.

Ein erster Anruf bei Willy Wimmer. Er war vor Schmidt vier Jahre lang Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Der 70-Jährige weiß, wie Entscheidungen in Ministerien und im Bundeskanzleramt getroffen werden. «Afrika liegt außerhalb der NATO, darum muss das Parlament zustimmen, wenn die USA ein Hauptquartier in Deutschland für seine Missionen in Afrika installiert», sagt Wimmer. Solch eine Angelegenheit gehöre normalerweise zur Abstimmung in einen Ausschuss des Bundestages.

Darum fragen wir im Parlament nach, wo die Ansiedlung des amerikanischen Afrika-Kommandos Thema war. Wir suchen das Protokoll der Sitzung, in dem Bundestagsabgeordnete der Stationierung zugestimmt haben. Oder irgendein anderes Dokument. Zuerst versuchen wir es bei den zuständigen Ausschüssen. Beim Verteidigungsausschuss heißt es: «Wir sind nur für Militäreinsätze zuständig. Völkerrechtliche Verträge werden im Auswärtigen Ausschuss beraten.» Auch der grüne Verteidigungsexperte Winnie Nachtwei, damals Mitglied im Ausschuss, kann sich nicht daran erinnern, jemals mit AFRICOM zu tun gehabt zu haben.

Dann wurde das sicher im Auswärtigen Ausschuss demokratisch beschlossen, denken wir. Wochenlang versuchen wir den zuständigen Sekretär zu erreichen. Fast täglich rufen wir sein Büro an, schreiben immer wieder Mails. Jedes Mal werden wir vertröstet, hingehalten, abgewimmelt. Haben wir ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen, als wir diese Frage gestellt haben?

Nach Wochen dann endlich ein Lebenszeichen. Er sehe «keine Veranlassung» dazu, mit uns über AFRICOM zu sprechen, lässt uns der geschäftsführende Sekretär durch eine Mitarbeiterin wissen. In seinem Ausschuss sei die Installierung nie Thema gewesen. Vorsitzender dieses Ausschusses ist seit acht Jahren der Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Auch er möchte sich an keine Sitzung erinnern, in der die Abgeordneten darüber abgestimmt hätten, das amerikanische Afrika-Kommando in Deutschland zu stationieren.

Nach sechs Wochen des Hin- und Hertelefonierens wissen wir nun, dass kein deutscher Bundestagsabgeordneter bisher an einem Beschluss über die AFRICOM-Ansiedlung beteiligt gewesen ist.