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Stell dir vor, du betrittst einen verlassenen Rummelplatz, wo die Geisterbahn nicht nur eine Attraktion ist, sondern ein Tor zu etwas Dunklerem. Jonas, ein Mann, der von seiner eigenen Vergangenheit gezeichnet ist, kehrt an diesen Ort zurück, um seine Schuld zu bewältigen. Doch was er dort entdeckt, geht über alles hinaus, was er sich jemals vorstellen konnte. Die Geisterbahn lebt – und sie nährt sich von den Ängsten derer, die sie betreten. Als die Grenzen zwischen Realität und Albtraum verschwimmen, muss Jonas sich seinen inneren Dämonen stellen, um dem tödlichen Schatten zu entkommen, der an ihm haftet. Ein nervenaufreibender Kampf gegen die Dunkelheit beginnt, in dem nichts so ist, wie es scheint.
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Seitenzahl: 209
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Vorwort
Stell dir vor, du betrittst einen verlassenen Rummelplatz, wo die Geisterbahn nicht nur eine Attraktion ist, sondern ein Tor zu etwas Dunklerem. Jonas, ein Mann, der von seiner eigenen Vergangenheit gezeichnet ist, kehrt an diesen Ort zurück, um seine Schuld zu bewältigen. Doch was er dort entdeckt, geht über alles hinaus, was er sich jemals vorstellen konnte. Die Geisterbahn lebt – und sie nährt sich von den Ängsten derer, die sie betreten. Als die Grenzen zwischen Realität und Albtraum verschwimmen, muss Jonas sich seinen inneren Dämonen stellen, um dem tödlichen Schatten zu entkommen, der an ihm haftet. Ein nervenaufreibender Kampf gegen die Dunkelheit beginnt, in dem nichts so ist, wie es scheint.
Über den Autor:
Der Autor Benedikt Kormann wurde in einer kleinen Stadt in Deutschland geboren und wuchs umgeben von dunklen Wäldern und mystischen Erzählungen auf, die schon früh seine Fantasie beflügelten. Schon als Kind liebte er es, Geschichten zu erfinden, die seine Freunde nachts wachhielten. Inspiriert von den unheimlichen Legenden seiner Heimat begann er, sich intensiver mit der menschlichen Angst und den Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu beschäftigen.
Seine Werke zeichnen sich durch eine dichte Atmosphäre, starke Charaktere und eine ständige Spannung aus, die den Leser bis zur letzten Seite fesselt. Kormann lebt zurückgezogen und lässt sich bei seinen Geschichten oft von den stillen, geheimnisvollen Orten inspirieren, die er auf seinen Reisen entdeckt. In seiner Freizeit widmet er sich der Fotografie und dem Erkunden verlassener Gebäude, um neue Ideen für seine Geschichten zu finden.
Titel:
"Geisterbahn des Horrors"
Kapitel 1: Rückkehr zum Rummel
Der Flyer fühlte sich seltsam schwer in Jonas’ Hand an, obwohl es nur ein zerknittertes Stück Papier war. Die Worte darauf flimmerten förmlich vor seinen Augen, und er konnte nicht aufhören, sie zu lesen. "Exklusive Führung über den stillgelegten Rummelplatz – Nur heute!" Der Ort war lange geschlossen, verfallen, ein verfluchtes Relikt aus einer Zeit, die niemand wirklich vermisste. Jonas spürte ein Kribbeln in seinem Nacken, so, als würde jemand hinter ihm stehen und ihm über die Schulter sehen.
"Du gehst da echt hin, Alter?" Der Barkeeper, ein massiger Kerl mit einer Glatze und fettigen Fingern, schob Jonas sein Bier zu. "Da war seit Jahren keiner mehr. Verlassener als meine Ex." Er lachte, ein heiseres, kehliges Geräusch, das eher nach einem Todesröcheln klang. Jonas nahm einen tiefen Schluck Bier, spürte das kalte Prickeln in seiner Kehle, und zuckte mit den Schultern. "Muss sein."
"Du bist bescheuert."
Jonas wusste, dass der Typ recht hatte, aber das hielt ihn nicht auf. Irgendwas zog ihn dorthin. Nicht nur der Flyer, nicht nur die Erinnerung an den Ort. Es war tiefer, dunkler, wie eine unsichtbare Kette, die sich um seinen Brustkorb geschlungen hatte und ihn nach vorne zog. Er fühlte sich wie ein Hund, der zu seinem eigenen Grab geführt wurde, und trotzdem stand er auf, schmiss das Kleingeld auf den Tresen und machte sich auf den Weg.
Der Wind pfiff, als Jonas den Stadtrand erreichte. Die Lichter wurden seltener, die Straßen dunkler. Bald war da nur noch der Asphalt unter seinen Füßen und die verschwommene Silhouette des alten Rummelplatzes am Horizont. Sein Herz schlug schwer, dumpf, als er näher kam. Der Platz war still, totenstill, doch er roch immer noch nach etwas, das nicht ganz tot war.
Es war dieser typische Jahrmarktgeruch, der selbst durch die Jahre der Verwesung hindurchdrang – süß und klebrig wie Zuckerwatte, gemischt mit dem fettigen Gestank von Hotdogständen und abgestandener Limo. Jonas hielt inne und zog die Luft durch die Nase ein. Die Erinnerungen kamen wie eine Welle. Er war noch ein Junge gewesen, gerade alt genug, um sich als Schausteller durchzuschlagen. Der Duft von Popcorn und brennendem Öl hatte sich damals mit dem Jubel der Besucher vermischt. Heute war es nur ein bitterer Nachgeschmack in seinem Mund.
Das große, verrostete Eingangstor des Rummelplatzes schien ihn zu begrüßen. "Na, alter Freund," murmelte Jonas, während er das Tor mit einem mühsamen Ruck öffnete. Das Quietschen der Scharniere klang wie ein Klagelied. Dahinter lag alles, was er vergessen wollte – und doch nie ganz loslassen konnte.
Der Platz selbst war eine Ruine. Die Fahrgeschäfte, die früher bunt und fröhlich gewesen waren, standen wie verkrüppelte Skelette herum. Das Karussell war von einer schiefen Plane bedeckt, die im Wind flatterte. Die Autoscooter lagen verrostet in ihren Schienen. Und in der Mitte thronte sie: die Geisterbahn.
Jonas hielt den Atem an. Das Gebäude war immer noch da, schwarz und bedrohlich, wie ein Raubtier, das im hohen Gras lauert. Der Clown über dem Eingang grinste ihn an – ein Lächeln, das nichts Freundliches hatte. Die Farbe war abgeblättert, die Augen des Clowns schienen ihm direkt in die Seele zu blicken. "Ach, halt die Klappe," murmelte Jonas und wich dem Blick aus.
Der Wind heulte durch die verwaisten Stände, warf alte Hotdog-Pappschalen und zerrissenes Popcornpapier durch die Luft. Jonas fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Er hatte Angst, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. Aber es war nicht nur die Angst vor dem, was er sehen könnte – es war die Angst vor dem, was er fühlen würde. Die Schuld. Die Erinnerungen. Und vielleicht noch etwas anderes, etwas, das hier auf ihn wartete.
Jonas tastete nach der Taschenlampe in seiner Jackentasche, zündete sie an und richtete den Lichtstrahl auf die Geisterbahn. "Na dann," flüsterte er, obwohl niemand außer ihm da war. Seine Stimme klang hohl, verloren. "Zeig mir, was du drauf hast."
Doch bevor er einen Schritt machen konnte, hörte er es. Erst ein leises Kichern, dann Schritte, die über die verrotteten Bretter hallten. Jonas’ Puls raste. "Wer ist da?" rief er und drehte sich im Kreis, doch da war nichts außer dem Flüstern des Windes.
Plötzlich roch er etwas Neues. Es war kein Popcorn, kein Zucker, kein Öl. Es war kalt, metallisch – der Geruch von Blut. Jonas schluckte hart. Das Kichern kam näher. Und zum ersten Mal seit Jahren fragte er sich, ob er sich besser hätte umdrehen sollen, bevor er diesen Ort wieder betreten hatte.
Kapitel 2: Das Tor zur Vergangenheit
Jonas blieb wie angewurzelt stehen. Das Kichern war verstummt, doch die Stille war noch schlimmer. Es fühlte sich an, als würde die Luft selbst gegen ihn drücken, schwer und stickig, wie eine Decke, die jemand mit Gewalt über seinen Kopf zog. Sein Atem ging schneller, flacher. Die Taschenlampe in seiner Hand zitterte, und der Lichtkegel tanzte über die verrotteten Bretter des Bodens. Er zwang sich, ruhig zu bleiben. "Reiß dich zusammen, Alter," murmelte er zu sich selbst. "Das hier ist nur ein Haufen alter Bretter. Kein Grund, durchzudrehen."
Er wusste, dass er log.
Mit einem Schritt näherte er sich der Geisterbahn. Jedes Knarren des Holzes unter seinen Füßen ließ ihn zusammenzucken, als könnte es jeden Moment nachgeben und ihn verschlingen. Die Eingangstür der Bahn stand halb offen, ein schwarzer Schlund, der ihn einlud. Oder verschlingen wollte. Jonas lachte nervös auf, ein trockenes Geräusch, das sofort im Wind verschwand. Er hatte schon Schlimmeres gesehen. Oder?
Er konnte es nicht leugnen: Der Ort hatte eine Präsenz, etwas Unausgesprochenes, das in seinem Kopf pochte, als würde jemand einen Hammer gegen seine Schläfen schlagen. Es war keine gewöhnliche Angst. Nein, das hier fühlte sich an wie... als würde etwas auf ihn warten. Ein uraltes Wissen in seinen Knochen sagte ihm, dass er hierher gehörte. Vielleicht hatte er das immer gewusst.
Sein erster Schritt in die Geisterbahn war fast zu leise. Die Geräusche des Rummelplatzes draußen verstummten augenblicklich, als ob ihn eine unsichtbare Tür von der Außenwelt abgeschnitten hätte. Die Luft war noch dicker hier drin, modrig, feucht. Es roch nach altem Holz und etwas, das er nicht benennen konnte – süßlich, aber auch stechend. Seine Taschenlampe erfasste die verfallene Inneneinrichtung: alte, aufgeschnittene Pappfiguren von Gespenstern, Spinnweben, die wie Netze zwischen den Wänden gespannt waren, und Staub, der in dicken Schichten alles bedeckte.
Doch es waren die Augen, die ihn trafen. Augen, die nicht da sein sollten. Im Dunkeln, tief hinten im Tunnel der Bahn, glommen sie wie kleine, böse Funken. Rot. Jonas' Atem stockte, und er blinzelte. Nichts. Nur der leere Tunnel, der ins Nichts führte. "Bist wohl schon besoffen, bevor du hier ankamst," flüsterte er, doch seine Stimme klang hohl, als ob selbst sie nicht glaubte, was er sagte.
Er zwang sich, weiterzugehen, einen Schritt nach dem anderen. Jeder Fußtritt wurde von einem dumpfen Echo begleitet, das nicht zu verschwinden schien, auch wenn er stillstand. Seine Handflächen waren feucht, und er wischte sie hastig an seiner Hose ab. Es half nichts. Sein Herz hämmerte wie wild, die Angst kroch ihm in die Kehle. Das war nicht normal. Kein bisschen.
Plötzlich erhaschte er einen anderen Geruch. Anders als die Fäulnis, die er erwartet hatte. Es war der Geruch von... Zuckerwatte. Jonas' Herz machte einen Sprung. Zuckerwatte war die erste Erinnerung, die er an den Rummel hatte. Als Kind war es das Beste gewesen – diese klebrige, viel zu süße Masse, die zwischen den Fingern schmolz, bevor man sie in den Mund stopfen konnte. Er konnte sie fast schmecken, und sein Magen krampfte sich zusammen. Aber da war keine Zuckerwatte, nur die zerfallene Bahn, die ihn ansah, als wüsste sie mehr über ihn, als sie sollte.
Er hörte Schritte hinter sich. Echte Schritte. Schwere, langsame Tritte auf dem alten Holz, genau da, wo er gerade gestanden hatte. Jonas drehte sich blitzschnell um, riss die Taschenlampe hoch – doch der Lichtstrahl traf nur Leere. Sein Herzschlag war ohrenbetäubend. "Wer ist da?" Seine Stimme klang lauter, als er erwartet hatte, ein hässliches Echo, das von den Wänden zurückgeworfen wurde.
Keine Antwort.
"Ich schwör, wenn das hier irgendein Scheiß ist, kriegt ihr die Abreibung eures Lebens!" rief er und wusste selbst, wie lächerlich er klang. Es war nicht nur Wut, die in seiner Stimme lag. Da war auch Verzweiflung, ein Flehen, dass jemand – irgendjemand – einfach antworten würde. Aber es kam nichts. Nur die Stille, die ihn umklammerte.
Dann, fast unmerklich, hörte er es. Ein leises Flüstern, das sich an den Rand seines Bewusstseins schlich. Die Worte waren undeutlich, verzerrt, aber sie waren da. "Du gehörst hierher." Jonas fühlte, wie sein Magen sich zusammenzog. Das war nicht real. Das konnte nicht real sein.
Die Taschenlampe in seiner Hand begann zu flackern. "Komm schon, nicht jetzt," knurrte er und schüttelte sie. Doch das Flackern wurde schlimmer, bis sie schließlich ganz erlosch. Jonas stand in völliger Dunkelheit, die ihn umhüllte wie eine zweite Haut. Er konnte seine eigene Hand vor Augen nicht sehen. Doch er konnte fühlen. Und was er fühlte, war... etwas anderes. Etwas Kaltes, das ihm den Nacken hinunterstrich, wie eine unsichtbare Hand.
Jonas schrie auf und stolperte rückwärts, bis er gegen eine Wand prallte. Er atmete schwer, sein Puls raste. Die Dunkelheit fühlte sich lebendig an, drängte sich in seine Gedanken, nahm ihm die Kontrolle. Und dann war da wieder das Flüstern, diesmal näher, klarer: "Warum bist du zurückgekommen?"
Jonas konnte nichts sagen. Konnte nicht mal denken. Das Einzige, was ihm durch den Kopf ging, war die gleiche Frage, die die Stimme gestellt hatte. Warum war er zurückgekommen? Was hatte er erwartet? Erlösung? Antworten? Oder hatte er einfach einen Ort gesucht, an dem er mit seiner Schuld allein sein konnte?
Die Dunkelheit rührte sich wieder, und Jonas hörte das Kichern. Diesmal war es direkt neben ihm.
Kapitel 3: Die Schatten der Geisterbahn
Jonas’ Atem ging flach, viel zu schnell. Das Kichern schien an seinen Ohren zu kratzen, wie Fingernägel über eine Schultafel. Er wollte sich bewegen, doch sein Körper fühlte sich an, als hätte er Wurzeln geschlagen. Die Dunkelheit war erdrückend, schwer wie nasser Zement. Es war, als würde die Bahn selbst atmen, ein tiefes, rhythmisches Pulsieren, das von den Wänden kam. Oder vielleicht aus seinem eigenen Kopf.
Er wollte etwas sagen, einen dummen Spruch, um die Angst zu verdrängen. Aber nichts kam. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Stattdessen spürte er, wie Schweiß in dünnen, kalten Rinnsalen seinen Rücken hinunterlief. Sein Herz schlug so laut, dass es alles andere zu übertönen schien. Doch das Kichern war immer noch da, jetzt näher, fast in seinem Kopf.
"Wer... wer ist da?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Röcheln, ein jämmerliches Geräusch, das sofort in der Dunkelheit verschluckt wurde. Das Flüstern antwortete ihm, leise, fast liebevoll, aber voller Spott: "Du weißt, wer wir sind." Jonas wollte den Kopf schütteln, wollte protestieren, doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es stimmte. Er wusste, wer – oder was – ihn hierher gerufen hatte.
Die Luft um ihn herum wurde kälter. Ein scharfer, beißender Geruch stieg ihm in die Nase, wie verbrannter Zucker und altes Fett. Es war der Geruch von damals, an dem Abend, der alles verändert hatte. Jonas schnappte nach Luft, als die Erinnerung sich wie ein scharfer Haken in seinen Verstand bohrte.
Er sah die Gesichter der Kinder vor sich, verschwommene Gestalten, die mit strahlenden Augen in die Geisterbahn stiegen. Sie hatten gelacht, ein hohes, schrilles Lachen, das heute wie eine kalte Klinge durch seine Gedanken schnitt. Jonas hatte damals gewusst, dass etwas nicht stimmte. Die Bahn hatte Geräusche gemacht, die sie nicht machen sollte, ein Quietschen, das sich wie ein Warnschrei anhörte. Aber er hatte nichts gesagt. Warum auch? Er hatte seine Kohle gebraucht, und es war einfacher, die Augen zuzumachen. Einfacher, nichts zu fühlen.
Die Dunkelheit flimmerte vor seinen Augen, als hätte sie eine eigene Konsistenz. Und dann sah er sie. Schatten, die sich aus der Schwärze herauslösten, zuerst nur vage Umrisse, dann deutlicher. Gesichter, blass und verzerrt, starrten ihn aus der Finsternis an. Ihre Augen – nein, ihre Löcher, wo Augen sein sollten – schienen ihn zu durchbohren. Jonas wich zurück, seine Hände suchten verzweifelt nach Halt, aber da war nichts außer glattem, kaltem Holz. Seine Taschenlampe war immer noch tot.
Das Kichern wurde lauter, und Jonas erkannte, dass es nicht von einer Person kam. Es waren viele. Zu viele. "Lasst mich in Ruhe!" brüllte er, seine Stimme brach. Doch die Schatten bewegten sich weiter, glitten lautlos auf ihn zu, ihre konturlosen Hände griffen nach ihm. Sie berührten ihn nicht wirklich, aber er konnte sie fühlen. Ein kaltes, schneidendes Gefühl, als würden sie direkt in seine Brust greifen und nach etwas suchen.
Eine der Gestalten kam ihm so nah, dass er jedes Detail ihres Gesichts sehen konnte. Es war ein Mädchen, nicht älter als zehn Jahre. Ihre Haare waren verfilzt, ihre Kleidung zerrissen, und ihre Augen waren leer. Doch ihr Mund bewegte sich, formte Worte, die Jonas nicht hören wollte. "Warum hast du uns nicht gerettet?" flüsterte sie, ihre Stimme so leise, dass er sie kaum verstand. "Warum hast du weggesehen?"
Jonas schüttelte wild den Kopf. "Nein! Ich konnte nichts machen! Es war nicht meine Schuld!" Seine eigene Stimme klang schwach, hohl, als ob selbst er nicht daran glaubte. Das Mädchen kam näher, bis ihr Gesicht nur noch Zentimeter von seinem entfernt war. "Du hast nichts gemacht," sagte sie, und ihre Stimme war jetzt schneidend klar. "Gar nichts."
Er konnte nicht atmen. Es war, als hätte jemand ihm die Luft aus den Lungen gesogen. Jonas fühlte, wie sein Verstand gegen die Flut von Erinnerungen kämpfte, die ihm jetzt gnadenlos eingeprügelt wurden. Der Moment, als er das Kreischen der Bremsen hörte. Das Poltern, als der Wagen aus der Bahn sprang. Die Schreie, schrill und verzweifelt, die viel zu schnell verstummten. Und dann... die Stille. Diese schreckliche, alles verschlingende Stille.
Er hatte weggesehen. Hatte sich umgedreht und war gegangen, noch bevor die Polizei eintraf. Es war leichter gewesen, nicht zu bleiben. Es war leichter gewesen, die Augen zu verschließen, als sich der Realität zu stellen.
Die Schatten wurden dichter, und Jonas fühlte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Aber es war keine Erleichterung, kein Trost in diesen Tränen. Es war reine Angst, nackte Panik. "Bitte," flüsterte er, mehr zu sich selbst als zu den Geistern. "Ich wollte das nicht. Ich... ich war einfach nur..." Er konnte den Satz nicht beenden, weil er die Wahrheit nicht aussprechen wollte.
Er war feige gewesen.
Die Schatten hielten inne, als hätten sie genug gehört. Das Mädchen starrte ihn an, und für einen schrecklichen Moment glaubte Jonas, dass sie lächelte. Doch es war kein Lächeln. Es war etwas anderes, etwas Grausames, das ihn bis ins Mark fror. "Du bist zurückgekommen," sagte sie. "Das heißt, du bist bereit."
"B-bereit wofür?" stammelte Jonas, seine Stimme kaum mehr als ein Wispern.
Das Mädchen öffnete den Mund, doch bevor sie antworten konnte, brach die Stille. Ein markerschütterndes Kreischen erfüllte die Luft, so laut, dass Jonas sich die Ohren zuhielt. Es war ein Geräusch, das ihm nur allzu vertraut war. Die Geisterbahn erwachte zum Leben.
Kapitel 4: Die lebende Geisterbahn
Das Kreischen riss Jonas wie ein unsichtbarer Schlag aus seiner Starre. Es war kein harmloses, technisches Geräusch, wie man es von einem alten Mechanismus erwarten würde. Nein, es war ein animalisches, schneidendes Kreischen, als würde Metall selbst vor Schmerzen aufschreien. Jonas fiel auf die Knie, presste die Hände fest gegen seine Ohren, doch das Kreischen schien sich direkt in seinen Kopf zu bohren, ließ keinen Raum zum Denken, zum Atmen.
Sein Magen drehte sich um, die Übelkeit war plötzlich überwältigend. Der Boden unter ihm fühlte sich an, als würde er pulsieren, wie das Schlagen eines Herzens – unregelmäßig und doch lebendig. Er zwang sich, tief durchzuatmen, obwohl die Luft dick und stechend war. Sie roch jetzt nicht nur nach Fäulnis, sondern nach etwas verbranntem, schwefeligem, wie die Überreste eines Feuers, das nie vollständig gelöscht wurde.
"Steh auf, Jonas," murmelte er zu sich selbst, seine eigene Stimme kaum mehr als ein Krächzen. "Steh auf, Mann. Du bist kein kleines Kind mehr." Doch seine Beine fühlten sich an, als hätte jemand Zementsäcke daran gebunden. Die Dunkelheit um ihn herum war nicht mehr still. Sie bewegte sich, atmete, lebte. Er spürte, wie sie sich um ihn wickelte, wie unsichtbare Hände, die an seinen Gliedern zogen.
Das Kichern war zurück. Diesmal war es anders – lauter, böser, wie das Lachen eines Publikums, das darauf wartete, dass der Hauptdarsteller scheitert. Jonas’ Puls raste, und Schweiß tropfte von seiner Stirn. "Ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß!" schrie er, obwohl seine Stimme in der Leere verschwand. Es klang verzweifelt, hilflos, wie das Bellen eines Hundes, der seine eigenen Ketten nicht brechen kann.
Die Bahn bewegte sich.
Das Kreischen wurde tiefer, rhythmischer, und Jonas erkannte, dass die Schienen – diese verrosteten, zerfallenen Schienen – sich bewegten. Sie bogen und schlängelten sich, als wären sie lebendig, als würden sie ihn einladen. Die Schatten um ihn herum wurden dichter, ihre Gestalten verwischten zu einer einzigen, und Jonas hatte das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Tausend Augen, unsichtbar, aber überall.
"Du wolltest wissen, warum du hier bist," sagte eine Stimme direkt hinter ihm, kalt und leer, wie der Wind, der durch ein Grab weht. Jonas wirbelte herum, seine Taschenlampe in der Hand – doch das Licht war nutzlos, tot. Vor ihm stand niemand, und doch spürte er die Präsenz. Eine eisige Kälte legte sich um seinen Hals, als würde ihn etwas würgen, obwohl keine Hand zu sehen war.
Die Geisterbahn grollte, als ob sie ihm antworten wollte. Die Schienen leuchteten plötzlich auf, ein schmutziges, krankhaftes Rot, das den Weg in die Dunkelheit markierte. Der Wagen – dieser rostige, verfallene Wagen – stand jetzt bereit, seine verrotteten Räder leicht rollend, als würde er auf ihn warten. Jonas schüttelte den Kopf, wollte sich umdrehen, wollte rennen. Doch seine Beine bewegten sich nicht.
"Du kannst nicht gehen," sagte die Stimme wieder, dieses Mal überall und nirgendwo. "Du bist ein Teil von uns, Jonas. Du gehörst hierher."
"Ich gehöre nirgendwohin!" schrie Jonas zurück, seine Stimme gebrochen, voller Wut, aber auch voller Angst. Er wollte stark klingen, aber die Wahrheit war, dass er kurz davor war, komplett die Nerven zu verlieren. Seine Hände zitterten, seine Kehle war trocken, und in seinem Kopf wirbelten Gedanken wie ein Sturm. Er wollte raus hier, raus aus diesem Albtraum, aber etwas in ihm wusste, dass es keinen Ausweg gab.
Der Wagen bewegte sich. Ganz langsam, fast provokativ, rollte er näher an Jonas heran. Metall knirschte, Holz knackte, und die Schatten schienen in sich selbst zu grinsen. "Setz dich rein," befahl die Stimme, und Jonas’ Magen zog sich zusammen, als hätte ihm jemand in den Bauch geschlagen. "Oder willst du, dass wir es für dich tun?"
"Ich setz mich in gar nichts, verdammt noch mal!" schrie Jonas, doch seine Beine hatten andere Pläne. Er fühlte, wie sie sich wie von selbst bewegten, Schritt für Schritt, ohne seinen Willen. Es war, als hätte die Bahn ihn bereits verschluckt, und er konnte nichts dagegen tun. "Lasst mich los! Hört auf!" schrie er, doch seine Worte klangen schwach, hohl.
Der Wagen knarrte, als Jonas schließlich direkt vor ihm stand. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, so laut, dass er kaum noch denken konnte. Er wollte wegrennen, wollte kämpfen, doch etwas hielt ihn fest. Unsichtbare Fäden zogen ihn, zwangen ihn, sich hinzusetzen. Das Polster des Wagens war feucht, klebrig, und Jonas unterdrückte einen Würgereflex, als der Gestank ihm in die Nase stieg. Es roch nach Blut, altem Schweiß und... etwas anderem. Etwas Unbeschreiblichem.
Die Schienen unter ihm begannen zu vibrieren, und der Wagen setzte sich langsam in Bewegung. Jonas packte die Seiten des Wagens, seine Knöchel weiß vor Anspannung. "Das ist nicht echt," murmelte er, versuchte sich selbst zu beruhigen. "Das ist nur ein Traum. Nur ein verdammter Traum." Doch es fühlte sich alles andere als wie ein Traum an. Es fühlte sich an wie die verdammte Realität, und Jonas wusste, dass er keine Kontrolle mehr hatte.
Die Dunkelheit verschluckte ihn, und die Geisterbahn begann ihre Fahrt. Die Schatten um ihn herum flüsterten, lachten, sangen. Und Jonas wusste, dass dies erst der Anfang war.
Kapitel 5: Fahrt in die Finsternis
Die Räder des Wagens kreischten über die Schienen, und der Sound schnitt Jonas ins Mark. Es war ein höllisches Geräusch, das sich anfühlte, als würde es durch seinen ganzen Körper vibrieren. Der Wagen ruckte vorwärts, und er klammerte sich an die klebrigen, kalten Seiten. Seine Finger fanden keinen Halt, rutschten auf dem feuchten Leder ab, und das Gefühl von Ohnmacht wuchs.
Die Dunkelheit um ihn herum war fast vollkommen, nur ab und zu blitzte das krankhaft rote Glühen der Schienen auf, das die Umrisse der alten Holzstruktur beleuchtete. Der Gestank war überwältigend: eine widerliche Mischung aus verbrannten Pommes, ranzigem Fett und süßlichem Fleisch, das ihn an alte Bratwurstbuden erinnerte. Die Erinnerungen kamen wie scharfe Messer zurück – an Abende, an denen er im Licht der Fahrgeschäfte Bratwürste in Semmeln verschlungen hatte, während die Luft von Stimmen, Gelächter und dem Kreischen der Fahrgeschäfte erfüllt war.
Das war damals. Jetzt war hier nichts mehr lebendig.
"Wo zum Teufel bringst du mich hin, du Mistding?" schrie er in die Finsternis. Seine Stimme hallte, verzerrt und unnatürlich, als würde die Geisterbahn selbst sie verspotten. Keine Antwort, nur das monotone, knirschende Geräusch der Räder, das immer wieder durch das Grollen der alten Konstruktion unterbrochen wurde.
Plötzlich riss der Wagen zur Seite, ein scharfer Bogen, der Jonas fast aus seinem Sitz warf. Er schlug hart mit der Schulter gegen die Wand, und ein Schwall von Schmerz durchzog ihn. "Verdammte Scheiße!" fluchte er, während er sich wieder aufrichtete. Der Wagen verlangsamte sich abrupt und kam ruckelnd zum Stillstand. Die plötzliche Stille war ohrenbetäubend.
Die Luft war stickig, schwer, und Jonas’ Atem ging flach. Vor ihm tauchte ein schwaches Licht auf, zitternd, flackernd, wie die Funken einer kaputten Glühbirne. Es warf lange, groteske Schatten auf die Wände – Schatten von Menschen. Jonas kniff die Augen zusammen. Nein, nicht Menschen. Die Gestalten waren verzerrt, ihre Gliedmaßen zu lang, ihre Bewegungen ruckartig, als wären sie nicht für diese Welt gemacht.
Eine Figur trat ins Licht. Sie war kleiner als die anderen, aber genauso verstörend. Eine Frau – zumindest schien es so. Sie trug ein zerrissenes Kleid, ihre hochhackigen Schuhe klackerten auf den Schienen, obwohl es keinen Grund gab, dass sie überhaupt Geräusche machten. Ihre Lippen waren dunkelrot, wie frisches Blut, und ihr Gesicht war blass wie der Mond. Doch ihre Augen waren tot – tiefe, schwarze Löcher, die Jonas durchbohrten.
"Willkommen zurück, Jonas," sagte sie, ihre Stimme süßlich und widerlich zugleich, wie Zucker, der auf der Zunge kleben bleibt, obwohl man ihn nicht will. Jonas starrte sie an, sein Herz raste. Sie sah aus wie jemand, den er kannte. Nein, den er kannte. Eine Frau von früher, die er einmal auf dem Rummel gesehen hatte, als er betrunken war und sich nicht darum geschert hatte, wer sie war oder was sie wollte. Sie war einfach da gewesen – eine jener Figuren, die in den Hintergrund verschwinden. Aber jetzt war sie hier, und Jonas konnte nicht weglaufen.
"Wer... wer bist du?" fragte er, obwohl er sich sicher war, dass er die Antwort nicht hören wollte.
"Jemand, den du vergessen hast," antwortete sie, ihre Stimme triefend vor Spott. "Das ist hier so üblich, nicht wahr? Leute wie du vergessen immer. Es ist leichter, sich nicht zu erinnern." Sie trat näher, ihre High Heels klackerten, und der Wagen unter ihm zitterte leicht. Jonas wich zurück, aber da war kein Platz, wohin er gehen konnte.