Geld und Nachhaltigkeit - Bernard Lietaerr - E-Book

Geld und Nachhaltigkeit E-Book

Bernard Lietaerr

0,0

Beschreibung

Unser derzeitiges Geldsystem wird üblicherweise als alternativlos angesehen – dabei ist es überholt, marode und völlig ungeeignet für die Bewältigung der aktuellen Krise in der Eurozone. Wie jede andere Monokultur ist es zunächst profitabel, auf längere Sicht führt es jedoch unweigerlich zu einem ökonomischen und ökologischen Desaster. Die Alternative ist ein 'monetäres Ökosystem' mit Komplementärwährungen, die sich bereits vielfach in der Praxis als flexibel, belastbar, fair und nachhaltig bewährt haben. Im Jahr 1972 zeigte der berühmte erste Report des Club of Rome – Die Grenzen des Wachstums –, wie ein ökonomisches System des unbegrenzten Wachstums in einer Welt mit begrenzten Ressourcen grundlegend jede Nachhaltigkeit unterläuft. Dieser neue Report analysiert unser gegenwärtiges Geldsystem und die damit verbundenen Denkfehler. Die Autoren beschreiben die katastrophalen ökologischen, sozioökonomischen und finanziellen Probleme, mit denen wir weiterhin konfrontiert sein werden, wenn wir keine radikalen Änderungen vornehmen. Schließlich nennen sie neun konkrete Maßnahmen, die sich sofort flankierend zu unserem bestehenden Geldsystem umsetzen lassen. Ein essenzielles Grundlagenwerk für Politiker, Wirtschaftsführer, Ökonomen, Banker – und jeden, der an der Zukunft unseres Planeten interessiert ist. Der Club of Rome ist eine Vereinigung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik aus allen Regionen unserer Erde. Er wurde 1968 in Rom ins Leben gerufen, mit dem Ziel, sich für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Menschheit einzusetzen. Dem viel diskutierten Bericht Die Grenzen des Wachstums folgten bisher weitere 30 'Berichte an den Club of Rome' zu unterschiedlichen Zukunftsfragen der Menschheit. Der Club of Rome EUChapter widmet sich als unabhängiges Mitglied insbesondere der weltweiten Nachhaltigkeitsentwicklung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 395

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel ‘Money and Sustainability‘ bei Triarchy Press © 978-1-908009-7-53

1. eBook-Ausgabe

© der deutschen Ausgabe 2013 Europa Verlag GmbH, Wien · Berlin · München Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur Satz: BuchHaus Robert Gigler, München ePub-ISBN: 978-3-944305-07-3

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Die Wahrheit über Geld:

Vorbemerkungen von Mark Dubrulle, Präsident des Club of Rome EU Chapter

Ist Geld das Übel?

Mitteilung des Generalsekretärs des Club of Rome, Ian Johnson

Brief der World Academy of Art and Science

von Ivo Šlaus, Präsident, und Garry Jacobs, Vorsitzender des Aufsichtsrats

Verantwortung für das Ganze übernehmen

Rinaldo S. Brutoco, Präsident World Business Academy

Vorwort von Dennis Meadows

Wie ließe sich die Krise der Eurozone bewältigen?

Bernard Lietaer, Christian Arnsperger, Sally Goerner, Stefan Brunnhuber

Einleitung

Kapitel 1 Warum dieser Bericht und warum jetzt?

Kapitel 2 Ökonomische Paradigmen

Kapitel 3 Die Instabilität der Währungen und der Banken

Kapitel 4 Instabilitäten und die Physik komplexer Flussnetzwerke

Kapitel 5 Die Auswirkungen des heutigen Geldsystems auf die Nachhaltigkeit

Kapitel 6 Das institutionelle System der Macht

Kapitel 7 Beispiele privat initiierter Lösungen

Kapitel 8 Beispiele staatlich initiierter Lösungen

Kapitel 9 Über die Grenzen des Wachstums hinaus?

Anhang

Dank

Über die Autoren

Über den Club of Rome

Literatur

Die Wahrheit über Geld

Vorbemerkungen zu dem Bericht fürFinance Watch und die World Business Academy

Wir sagen nicht die Wahrheit, wenn wir über Geld reden. Doch Geld ist das Herz der Wirtschaft. Und die Wirtschaft regiert die Welt. Sie beherrscht Wohl und Wehe der Menschen von der Wiege bis zur Bahre. Sie regelt die Nutzung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten und die Qualität der Umwelt. Heute ist man sich generell darin einig, dass wir über viele Grenzen des Ökosystems der Erde hinausgeschossen sind. Vieles spricht dafür, dass der gegenwärtige Kurs nicht nachhaltig ist.

Die Regierungen, die Medien und die meisten Führungspersönlichkeiten bemühen sich nach Kräften, die öffentliche Meinung auf die eingefahrenen Denkbahnen einzuschwören. Wenn die Gesellschaft erfolgreich sein oder werden wolle, sagen sie, müssen wir weiterhin an das gegenwärtige Paradigma glauben. Ihrem Evangelium zufolge lasse sich noch immer alles in monetären Begriffen ausdrücken, und außerhalb der beherrschenden Finanzsysteme und Bankenpraktiken – einem Monopol und hervorragenden Machtinstrument – gebe es keine Erlösung. Geschlossene Systeme werden offenen vorgezogen. Komplexität wird vermieden. Was für eine kurzsichtige Vorstellung von nachhaltigen Lösungen ...

Und dennoch wird auf der ganzen Welt so häufig außerhalb solcher Schablonen gedacht und gehandelt. Auf Konferenzen, durch Publikationen und zunehmend im Internet verweisen viele gewichtige Stimmen auf den blinden Fleck des gegenwärtigen Paradigmas und fordern uns auf, nicht länger zu warten und endlich zu handeln. Doch diese Botschaften werden von den Massenmedien nicht übermittelt und von den meisten politischen Führern ignoriert. Sie erreichen nicht die breite Öffentlichkeit, obwohl, nicht zuletzt in der Europäischen Union, ein radikaler Wandel lautstark gefordert wird.

Das in Brüssel ansässige Club of Rome EU Chapter (CoR-EU) ist bestrebt, Brücken zu bauen zwischen den Institutionen und Verfassungen der Europäischen Union und dem internationalen Club of Rome, seit vierzig Jahren ein führender Thinktank auf Weltniveau. Das CoR-EU agiert dabei als eine Art Katalysator für das Nachdenken über eine nachhaltige Entwicklung in Europa, wobei in den nächsten Jahren die Probleme von Geld und Governance im Mittelpunkt stehen werden. Zu diesen Themen werden wir auch Forschungen über bahnbrechende Konzepte initiieren und ermöglichen.

Wir haben unser Ausschussmitglied Bernard Lietaer gebeten, einen Bericht über Geld und Nachhaltigkeit zu erstellen, der zu einem gesellschaftlichen Diskurs über die Umsetzung einer europäischen Entwicklungspolitik in einem größeren globalen Kontext beitragen soll. Einbezogen werden sollen dabei auch wichtige Behörden und Entscheidungsträger im privaten Sektor, die Medien ebenso wie die breite Öffentlichkeit. Mit seinen Ko-Autoren Christian Arnsperger, Stefan Brunnhuber und Sally Goerner erarbeitete er den vorliegenden Bericht, uneingeschränkt unterstützt vom EU-Chapter des Club of Rome.

Während sein Anliegen per definitionem weltweit ist, war das CoR-EU der Meinung, der Bericht solle primär an eine anerkannte, maßgebende und unabhängige europäische Körperschaft adressiert sein. Dafür schien am ehesten Finance Watch in Frage zu kommen, eine Nichtregierungsorganisation, die 2011 auf Initiative von Mitgliedern des Europäischen Parlaments gegründet wurde. Sie widmet sich der Aufgabe, die Interessen der Bürger in Finanzregulierungsreformen zu vertreten, indem sie – als Gegengewicht zur Finanzlobby – entsprechende Argumente gegenüber gesetzgebenden Gremien vorträgt.

Sinnvoll erschien es uns auch, die Unternehmerschaft in ihrer ganzen Breite anzusprechen. Es freut uns, dass die World Business Academy, ein Non-Profit-Thinktank und ein Netzwerk von Unternehmensführern, bereit war, als zweiter Adressat unseres Berichts zu fungieren. Ihr Anliegen ist es, Unternehmen dazu zu bringen und dabei zu helfen, Verantwortung für die gesamte Gesellschaft zu übernehmen, indem sie ihre Rolle in Bezug auf wichtige moralische, die Umwelt wie die Gesellschaft betreffende Fragen überdenken. Ziel der Academy ist es, das Bewusstsein von Unternehmensführern zu verändern – vom Eigennutz hin zur dienenden Führung –, aber auch das Verhalten der breiten Öffentlichkeit.

Dieses Ziel liegt auch dem Club of Rome am Herzen.

Im Augenblick erleben wir die Demontage des Staats als Garant des öffentlichen Wohls. In den meisten EU-Ländern ist der Ausverkauf fast aller überkommener Werte an der Tagesordnung. Auf allen Ebenen werden Sparmaßnahmen diktiert. Öffentliche Unruhen werden daher weiter zunehmen, solange neue Governancestrukturen nicht die obsolet gewordenen ablösen.

Die Europäische Union steht vor einer großen Herausforderung. Wir wagen zu hoffen, dass die Veröffentlichung von Geld und Nachhaltigkeit viele Entscheidungsträger und Meinungsführer bewegen wird, ihren Kurs zu ändern und sich für neue, kreative Vorgehensweisen in monetären Fragen zu entscheiden. Wir benötigen dringend ein geschärftes moralisches Bewusstsein auf allen Ebenen.

Das CoR-EU dankt der World Academy of Art and Science, vertreten durch ihren Präsidenten Ivo Šlaus und ihren Aufsichtsratsvorsitzenden Garry Jacobs, sowie Felix Unger, dem Präsidenten der European Academy of Arts and Sciences, für die Unterstützung dieses Berichts, sie haben diese kurze Vorbemerkung mit unterzeichnet.

Mark Dubrulle

Mitglied des Club of Rome

Präsident des CoR-EU Chapter

Felix Unger

Präsident der European Academy of Arts and Sciences

Ivo Šlaus

Präsident der World Academy of Art and Science

Ist Geld das Übel?

Mitteilung des Generalsekretärs des Club of Rome

Geld, so heißt es, sei die Wurzel allen Übels – es bewegt die Welt, aber Liebe können wir uns damit nicht kaufen. Tatsächlich ist Geld ein zentrales Merkmal unserer Existenz. Es ist der Gradmesser unseres Wirtschaftswachstums, unseres sozialen Status und unserer Konsumgewohnheiten. Zwei Milliarden Menschen auf der Erde haben kaum genug Geld, um davon zu leben, doch ein Prozent der Weltbevölkerung hat mehr Geld, als es je ausgeben kann, und protzt damit auf eine Weise, die so häufig viele Menschen empört.

Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte eine einfache Erfindung, die im Kern ein so lobenswertes Ziel hatte – nämlich Menschen dabei zu helfen, mit ihren Gütern leicht und effektiv zu handeln –, so missraten? Warum gibt es diese Kluft zwischen Finanzwelt und Wirtschaft, zwischen den Finanzmärkten und der realen Wirtschaft, der jene doch eigentlich dienen sollten? Die Folgen dieser Kluft nehmen seit einigen Jahrzehnten zu. In den letzten vierzig Jahren ist die Welt von über 400 Finanzkrisen heimgesucht worden, die ganze Volkswirtschaften destabilisiert, Menschen weltweit in die Armut getrieben und sich verheerend auf das natürliche Kapital unseres Planeten ausgewirkt haben. Das Geld und die Finanzmärkte sind zum Selbstzweck verkommen.

Lietaer und seine Kollegen haben sich das ebenso ehrgeizige wie zeitgemäße Ziel gesetzt, die Rolle des Geldes und seine Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit zu untersuchen. Sie nehmen uns auf eine unglaubliche Reise mit, auf der sie dem Geld seinen rechtmäßigen Kontext zuweisen, nämlich als Mittel für eine nachhaltige Zukunft. Sie analysieren das Aufkommen einer Spekulationsgesellschaft, in der das Geld in unserem globalen Kasino aufs Spiel gesetzt wird und nur zwei Prozent der vier Billionen US-Dollar, die täglich im Devisenhandel umgesetzt werden, in die Realwirtschaft gelangen. Aber stellen Sie sich nun einmal das umgekehrte Verhältnis vor – dass wir der Realwirtschaft 98 Prozent zuführen könnten. Was könnte das für den Arbeitsmarkt oder für den Abbau der Armut bedeuten? Für die Nachhaltigkeit?

Das Buch enthält überzeugende Argumente, die gehört, verarbeitet und in Handeln umgesetzt werden müssen. Der Abschnitt, wie Geld sich auf Nachhaltigkeit auswirkt, verweist auf den entscheidenden Punkt, nämlich dass die globalen Krisen, vor denen wir stehen, untrennbar miteinander verbunden sind. Die Finanzkrise ist somit nur eine Dimension eines mehrdimensionalen Puzzles. Doch das Buch bietet mehr als eine Diagnose der Missstände und Probleme unseres Geldsystems – es zeigt auch neue Wege zur Reform unseres Finanzsystems auf und bietet zukunftsweisende Ideen und potenzielle Lösungen dafür an. Dieser notwendige Aufruf zu einem alternativen Denken und zu innovativen Ideen erfolgt gerade rechtzeitig.

Der Club of Rome gratuliert den Autoren. Ihr Buch artikuliert viele der Sorgen, auf die der Club of Rome im Laufe der Jahre aufmerksam gemacht hat. Ganz ohne Zweifel bedarf unser Finanzsystem einer dringenden Generalüberholung. Wir befassen uns damit nur am Rande und bringen uns so nur noch mehr in Gefahr. Ohne einen gut funktionierenden Finanzmarkt werden wir den Fortschritt nicht erleben, der notwendig ist, um die Basis unseres natürlichen Kapitals zu schützen und denen eine sinnvolle Arbeit zu sichern, die sie brauchen. Dafür werden wir einen hohen Preis bezahlen. Die Autoren haben dies verstanden und uns ein wohl begründetes und wichtiges Buch vorgelegt.

Ian Johnson

Generalsekretär des Club of Rome Bevor Ian Johnson 2010 dem Club of Rome beitrat, war er 26 Jahre lang für die Weltbank tätig, wo er Vizepräsident für nachhaltige Entwicklung und fünf Jahre lang Vorsitzender der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) war.

The World Academy of Art and Science 27. Februar 2012

Die gegenwärtigen ökonomischen, politischen und moralischen Krisen lassen sich nicht dadurch lösen, ja nicht einmal reduzieren, indem man sie mit den gleichen Methoden angeht, die sie herbeigeführt haben. Wir brauchen neue Ideen, neue Denkweisen und paradigmatische Veränderungen. Viele der als selbstverständlich geltenden Konzepte müssen überdacht und infrage gestellt werden. Geld ist so ein Konzept.

Die WAAS billigt und unterstützt entschieden die Initiative des EU-Chapter des Club of Rome und dankt ihrem Mitglied Bernard Lietaer, der dieses wichtige und originelle Forschungsthema vor über zehn Jahren initiiert und auf Sitzungen der World Academy vorgestellt hat. Lietaer und seine Mitautoren Christian Arnsperger, Sally Goerner und Stefan Brunnhuber haben eine bemerkenswerte Studie erstellt, die die ernsthafte Aufmerksamkeit von Unternehmern, Politikern, Wissenschaftlern und anderen Persönlichkeiten verdient, die die Ursachen der gegenwärtigen monetären Krise verstehen und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung kennenlernen wollen.

Diese Studie ergänzt andere Forschungsvorhaben der WAAS, die den prinzipiellen Wert und die Rolle des Humankapitals betonen. Der Bericht erinnert uns daran, dass Geld ein von Menschen gemachtes Instrument ist, das der Gesellschaft helfen soll, das menschliche Wohlergehen zu optimieren. Das vorherrschende monetäre System fördert die Multiplikation von Geld und destabilisiert damit das spekulative Investment, statt dem produktiven Investment zu dienen, das Arbeitsplätze schafft, Realeinkommen steigert und die Gleichheit der Gesellschaft voranbringt. Der Bericht untersucht alternative monetäre Strategien, die dazu beitragen können, zu wenig genutzte soziale Ressourcen zu mobilisieren, insbesondere die zahlreichen arbeitslosen und unterbeschäftigten Jugendlichen und Erwachsenen, deren »Humanpotenzial« vom gegenwärtigen System ignoriert und vergeudet wird. Dieser Bericht ist ein Aufruf zu sofortigem politischem und ökonomischem Handeln.

Wir möchten den Autoren und dem EU-Chapter des Club of Rome ausdrücklich für diese wichtige Initiative danken.

Mit herzlichen Grüßen

Ivo Šlaus

Präsident

Garry Jacobs

Aufsichtsratsvorsitzender

Verantwortung für das Ganze übernehmen

»Krieg ist ein zu ernstes Geschäft, als dass man ihn den Generälen überlassen dürfte«, hat der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau einmal erklärt. Und auch die Geldpolitik ist zu wichtig, als dass man sie den Geldtheoretikern überlassen dürfte. Der vorliegende Bericht ist so herausragend, weil er kristallklar die grundlegende Verbindung erfasst zwischen Klimawandel, dem Boom-Bust-Zyklus unseres derzeitigen Geldsystems, der Zerbrechlichkeit der globalen Wirtschaft, der politischen Instabilität der meisten westlichen Demokratien und der nicht nachhaltigen Überlagerung von alldem durch riesige internationale Kapitalpools in Form von Zockerrezepten, die wir euphemistisch »Derivate« nennen.

Die Fähigkeit, über die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen diesen dynamischen Elementen prägnant und informativ zu berichten, zeichnet Bernard Lietaer und seine Mitautoren aus. Vor allem aber ist dieser Bericht – völlig ungewöhnlich bei Artikeln von Geldtheoretikern – so klar und lesbar, dass jeder normale Manager die dargestellten außergewöhnlichen Probleme verstehen kann.

Der Bericht beleuchtet wesentliche Fragen, die gewöhnlich im akademischen Elfenbeinturm verstauben, und lenkt unser Augenmerk auf sie im Getümmel der Märkte. Und er verdeutlicht, was wir individuell wie kollektiv tun müssen, wenn wir wollen, dass Unternehmen auf gesunde und nachhaltige Weise wachsen.

Aus unternehmerischer Sicht ist die Geldpolitik alles andere als ein akademisches Glasperlenspiel:

➤In normalen Zeiten ist die prozyklische Verstärkung des Geldschöpfungsprozesses äußerst kostspielig für die Geschäftswelt – Unternehmen sind im Allgemeinen stets unter- oder überbesetzt, mit zu wenig oder zu viel Kapital ausgestattet, und zwar an beiden Enden dieses verstärkten Zyklus.

➤In Krisenzeiten, wenn Banken sich Fehlgriffe leisten, nehmen sie in Wirklichkeit die gesamte Geschäftswelt in Geiselhaft und erhöhen das Risiko für alle Unternehmen, große wie kleine.

➤Die Lösungen, die dieser Bericht im siebten Kapitel präsentiert, zeigen auf, was Unternehmen selbst tun können und sollten, um diese Probleme systematisch zu vermeiden.

➤Der ganze Bericht ist ein unschätzbares Instrument, das Managern auf Vorstandsebene und ihren Aufsichtsräten vermittelt, was sie wissen und tun müssen, um ihre Unternehmen zu führen und den Shareholder-Value zu maximieren.

Die World Business Academy engagiert sich seit Langem dafür, topaktuelle Wirtschaftsinformationen unter Managern zu verbreiten, die damit betraut sind, ihre Unternehmen durch die schwierigen Zeiten zu steuern, in denen wir uns derzeit befinden. Die Academy dankt Bernard Lietaer und seinen Mitautoren dafür, dass sie uns diesen Bericht vorgelegt haben, und fordert alle staatlichen Behörden und privaten Unternehmen auf, ihn dafür zu nutzen, in ein ernstes Gespräch über die kritischen Fragen einzutreten, die der Bericht beleuchtet – solange noch Zeit ist.

Rinaldo S. Brutoco

Präsident World Business Academy

Vorwort von Dennis Meadows

Arsen diente jahrtausendelang als Medizin. Es ist natürlich ein tödliches Gift. Aber da es kurzfristige Schmerzsymptome zu lindern vermochte, wurde es dennoch von vielen Leidenden eingenommen. Erst im vergangenen Jahrhundert wurde es überwiegend durch weniger gefährliche Alternativen ersetzt.

Das sogenannte Fiatgeld, das von privaten Institutionen durch die Schaffung von Schulden ausgegeben wird, ist seit Jahrhunderten bei allen Nationen in Gebrauch. Längst sind seine tödlichen Wirkungen bekannt. Aber da es Schmerzsymptome zu lindern vermag, wird es gleichwohl genutzt. Wir können also nur hoffen, dass wir in diesem Jahrhundert weniger tödliche Alternativen einsetzen werden.

Seit rund vierzig Jahren lese ich die Literatur über Nachhaltigkeit. In dieser Zeit habe ich auch an Hunderten von Konferenzen zu diesem Thema teilgenommen. Doch bevor ich Bernards Arbeit kennenlernte, hatte ich noch nie gehört, dass jemand das Finanzsystem als eine Ursache dafür bezeichnete, dass unsere Gesellschaft auf ihren Zusammenbruch zueilt. Im Gegenteil – es wird überall und immer wieder betont, dass die globale Gesellschaft bereits durch geringfügige Veränderungen im Finanzsystem auf den Weg zur Nachhaltigkeit gebracht werden kann.

Ein Fisch wird niemals ein Feuer entfachen, während er im Wasser schwimmt. Wir werden niemals Nachhaltigkeit schaffen, während wir ins gegenwärtige Finanzsystem verstrickt sind. Keine Steuer, kein Zinssatz und keine Veröffentlichungspflicht können die vielen Hindernisse beseitigen, mit denen das gegenwärtige Geldsystem Nachhaltigkeit blockiert.

Bislang habe ich nicht so gedacht. Eigentlich habe ich überhaupt nicht über das Geldsystem nachgedacht. Es war für mich etwas Selbstverständliches, ein neutraler und unvermeidlicher Aspekt unserer Gesellschaft. Aber seit ich Bernards Analysen gelesen habe, sehe ich das anders. Dabei ist Bernard nicht der Einzige; Thomas Greco hat beispielsweise über dieses Thema geschrieben. Aber mit seiner Tiefe an praktischer Erfahrung, theoretischem Verständnis und historischer Einordnung im Hinblick auf das Finanzsystem steht Bernard einzig da.

Inzwischen weiß ich, dass das vorherrschende Finanzsystem in fünffacher Hinsicht mit Nachhaltigkeit nicht zu vereinbaren ist:

➤Es bewirkt in der Wirtschaft Zyklen von Boom und Bankrott,

➤es erzeugt ein kurzsichtiges Denken,

➤es erfordert ein Wachstum ohne Ende,

➤es konzentriert den Reichtum und

➤es vernichtet Sozialkapital.

Jeder dieser Faktoren reicht wahrscheinlich aus, selbst den noch so sorgsam durchdachten Plan für einen Übergang zur Nachhaltigkeit zu durchkreuzen. Zusammen sind sie Zutaten für eine Katastrophe, auf die sie uns gerade zusteuern lassen. Die Instabilität des Finanzsystems sollte uns eigentlich alarmieren, worauf die Autoren denn auch hinweisen:

»Dem IWF zufolge hat es zwischen 1970 und 2010 145 Bankenkrisen, 208 Währungszusammenbrüche und 72 Staatsinsolvenzen gegeben – also insgesamt unglaubliche 425 Systemkrisen. Im Durchschnitt über zehn pro Jahr! Diese Krisen haben über drei Viertel der 180 Mitgliedsländer des IWF getroffen, und viele davon sogar mehrmals.«

Gut unterrichtete Beobachter der bei Weitem ernsthaftesten Krise von 2008 glauben, dass sich an den Ursachen der Instabilität nichts geändert hat. Ja, viele von ihnen sind noch schlimmer geworden. Mit Sicherheit wird es zu einer weiteren globalen Finanzkatastrophe kommen.

Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, dass unsere Bemühungen zu Nachhaltigkeit führen, werden wir eine unangenehme Zeit durchmachen müssen, in der wir mit neuen Geldsystemen experimentieren. Realisierbare Komplementärgeldsysteme reichen gewiss allein nicht aus, um zu verhindern, dass wir weiterhin auf die Katastrophe zutreiben. Aber ohne sie haben wir überhaupt keine Chance, den Zusammenbruch zu vermeiden.

Dieser Text ist eine reichhaltige Informationsquelle. Er enthält Stoff für vier verschiedene Bücher:

➤eine vernichtende Kritik am traditionellen ökonomischen Denken,

➤eine ausgezeichnete Darstellung der Mechanismen, durch die Geld innerhalb der modernen Gesellschaft geschaffen wird,

➤eine Beschreibung der vielen Probleme, die uns der Klimawandel und künftige Zusammenbrüche des Finanzsystems bescheren können, und

➤Vorschläge für neun pragmatische monetäre Ergänzungen zum gegenwärtigen Finanzsystem.

Das Buch ist somit eine nützliche Ausgangsbasis für Menschen mit ganz unterschiedlichen Zielen.

Unseren frühesten Ahnen gelang es irgendwann, eine auf dem Feuer basierende Technik zu entwickeln. Aber dafür mussten sie den Ozean verlassen. Unsere Nachkommen werden zweifellos eine Technik entwickeln, die auf Nachhaltigkeit beruht. Doch damit ihnen dies gelingt, werden sie die gegenwärtigen Finanzsysteme verlassen müssen. Und dafür liefert dieses Buch die entsprechende Motivation und einige erste Anleitungen.

Prof. em. Dennis Meadows

New Hampshire, Februar 2012

Wie ließe sich die Krise der Eurozone bewältigen?

Während dieses Buch in Druck geht, haben sich die griechischen Wähler – nach zwei Jahren drastischer Sparmaßnahmen – klar gegen die Einschnitte, das Rettungsprogramm und den politischen Kurs entschieden. Dem Chaos in der Eurozone scheinen wir einen Schritt nähergekommen zu sein. Daher nutzen wir die Gelegenheit, um darzulegen, wie sich nur einer der Vorschläge aus diesem Buch jetzt umsetzen ließe, in Griechenland, Spanien oder einem anderen Land, dem eine derartige Krise droht. Es ist eine Lösung, mit der sich die Mainstreamfinanziers und -medien nicht auseinandersetzen wollen, aber sie ist elegant und simpel. Sie würde funktionieren, und die dafür notwendige Software (Open Source) steht mittlerweile zur Verfügung.

Der derzeitigen monetären Orthodoxie zufolge müsse sich die griechische (oder eine andere) Wirtschaft hundertprozentig »innerhalb« oder »außerhalb« der Eurozone befinden. Dabei weiß doch jeder, dass beide Optionen eine höhere Arbeitslosigkeit und noch mehr Elend zur Folge haben werden.

Aber so muss es ja gar nicht sein!

Das Kernprinzip der Komplementärwährungen besagt, wie wir hier darlegen, dass sie parallel zur Hauptwährung existieren und damit die Resilienz und Flexibilität für das gesamte sozioökonomische System erhöhen. Und dies ist kurz zusammengefasst unsere systemische Lösung:

➤Griechenland verwendet weiterhin den Euro für alle internationalen Geschäfte: Tourismus, Schifffahrt, Exporte und Importe usw. Steuern werden in Euros auf Gewinne erhoben, die mit diesen Geschäften erzielt werden, und für die Bedienung der Staatsschulden eingesetzt.

➤Zusätzlich kann jede griechische Stadt oder Region, die sich beteiligen will, ihre eigene lokale Währung ausgeben, die in der Fallstudie im siebten Kapitel ganz allgemein »Civics« genannt wird. Mit Civics werden wichtige lokale, soziale und ökologische Programme finanziert. In unserem Beispiel erhält jeder, der eine Stunde eine allgemein anerkannte Dienstleistung für die Gemeinschaft erbringt, einen Civic. Projekte, die mit Civics bezahlt werden, sollten auf lokaler Ebene demokratisch beschlossen werden.

➤Die ausgebende Stadt oder Region verlangt von jedem Haushalt eine Zahlung von beispielsweise zehn Civics pro Quartal.

➤Haushalte, die nicht genügend Civics verdient haben, können in einem Onlinemarkt à la e-Bay Civics oder eine andere vereinbarte Ware oder Dienstleistung mit Euros von denen kaufen, die mehr Civics verdient haben, als sie selbst benötigen.

➤Civics existieren nur in elektronischer Form, die von der Stadt oder Region mit einem Zahlungsmechanismus über Handys ausgegeben werden, wie dies derzeit in Indonesien, Südafrika und Kenia geschieht. Somit sind Civics zu 100 Prozent nachverfolgbar, und ihre Verwendung ist transparent.

➤Eine neuartige Non-Profit-Organisation kontrolliert die Gültigkeit der in Umlauf befindlichen Civics.

➤Es gibt keinen festen Wechselkurs zwischen Civics und Euros. Er wird im Onlinemarkt ermittelt. Um den Wert ihres Civic zu erhöhen, verlangt eine Stadt einfach mehr Civics von jedem Haushalt. Wenn sich die lokale Wirtschaft erholt, kann diese Zahl reduziert werden und sogar auf Null zurückgehen, wenn eine Vollbeschäftigung erreicht ist.

Diese Vorgehensweise erlaubt es der griechischen Wirtschaft, die Vorteile des Euros weiterhin zu nutzen, während der Civic jeder Gemeinde bei der Lösung ihrer sozialen und ökologischen Probleme hilft, indem jeder Haushalt (mit entsprechenden Ausnahmen wegen Behinderung usw.) zur Teilnahme mobilisiert wird.

Auch eine Business-to-Business-Währung namens C3 – siehe siebtes Kapitel – könnte kleinen Unternehmen Arbeitskapital zuführen und die Neugewinnung von Vollzeitjobs, die in Euros bezahlt werden, beschleunigen. Ähnliche Methoden ließen sich in anderen europäischen Ländern anwenden, die mit den Folgen der derzeitigen Sparprogramme zu kämpfen haben.

Bernard Lietaer, Christian Arnsperger,

Sally Goerner, Stefan Brunnhuber

Mai 2012

Einleitung

Unsere Welt steht vor den immensen Herausforderungen einer zweifachen Nachhaltigkeitskrise. Einerseits signalisieren der Klimawandel, zunehmende Treibhausgasemissionen und Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln und Energie, dass die Art und Weise, wie wir Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, nicht mehr nachhaltig ist. Andererseits verweisen wiederholte Finanz- und Währungskrisen darauf, dass unser Geldsystem seine eigenen Probleme hat. Die Bemühungen, dieses Geldsystem während des Bankencrashs von 2007/2008 zu stützen und zu »retten«, und die anschließenden erfolglosen Versuche, den toxischen ökonomischen Fallout mit einem »Keynesianischen Stimulus« in den Griff zu bekommen, haben zu einer starken Zunahme der Staatsverschuldung geführt. Infolge dieser Staatsverschuldung und der Eurokrise geraten die EU-Regierungen derzeit in finanzielle Extremsituationen. Pensionen, Arbeitslosenunterstützung und andere soziale Sicherheitsnetze ebenso wie Investitionen in eine alternative Energiewirtschaft sind ausgerechnet in einer Zeit gefährdet, in der sie am meisten benötigt werden. Parallel dazu werden viele öffentliche Einrichtungen privatisiert.

Ökologen gehen die ökologische Krise oft damit an, dass sie sich neue monetäre Anreize ausdenken, »grüne« Steuern einführen oder Banken ermutigen, nachhaltige Investitionen zu finanzieren. Ökonomen wiederum glauben, die Finanzkrise lasse sich dauerhaft durch bessere Regulierungen und eine strikte, anhaltende Kürzung öffentlicher Etats beheben. Grünere Steuern, schlankere Staatsetats, grünere Euros, Dollars oder Pfunde – könnte es sein, dass beide Lager auf dem Holzweg sind?

Könnte es sein, dass das »missing link« zwischen Finanzwelt und Umwelt, zwischen Geld und Nachhaltigkeit irgendwo anders liegt? Und wenn es nun eine strukturelle monetäre Schwäche gäbe, eine Schwäche gerade in der Art und Weise, wie wir Geld erschaffen, die unsere beunruhigenden Probleme auslöst? Wenn wir also eigentlich unser Geldsystem überdenken müssten, damit wir uns den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen können?

Kapitel 1: Warum dieser Bericht und warum jetzt?

Dieser Bericht hat drei Ziele:

➤Beweise dafür vorzulegen, dass die finanziellen und monetären Instabilitäten, die Europa und die Welt gerade heimsuchen, eine strukturelle Ursache haben, die bislang übersehen wurde. Diese strukturelle Ursache anzusprechen ist eine notwendige (aber nicht ausreichende) Bedingung dafür, dass wir die heutigen Herausforderungen bewältigen.

➤Das monetäre Problem und seine Lösungen im Kontext von zwei globalen Phänomenen zu verstehen: der Klimawandel und die Alterung der Bevölkerung. Wenn wir verhindern wollen, dass die schlimmsten Szenarien des Klimawandels Wirklichkeit werden, müssen wir einsehen, dass gewaltige Investitionen jetzt erforderlich sind, Investitionen, für die eine staatliche Führung und Finanzierung unerlässlich sein werden. Während der Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter die Staatseinkünfte verringert, geraten ohnehin bereits erheblich angespannte soziale Programme noch mehr unter Druck. Beide Probleme werden in diesem Jahrzehnt auf die Spitze getrieben, und keines ist mit Sparmaßnahmen zu vereinbaren. Halten wir weiterhin an unserem gegenwärtigen monetären Paradigma fest, werden die Staaten nicht mehr in der Lage sein, diese sozialen und ökologischen Herausforderungen anzugehen.

➤Pragmatische Lösungen vorzuschlagen, die sich kostengünstig von Bürgern, gemeinnützigen Organisationen, Unternehmen oder Regierungen umsetzen lassen und die auf einer strukturellen Ebene mehrere entscheidende Nachhaltigkeitsprobleme bewältigen würden, die derzeit viele Länder belasten.

Rückblickend wird man die Jahre von 2007 bis 2020 wahrscheinlich als eine Zeit des finanziellen Aufruhrs und des allmählichen monetären Zusammenbruchs betrachten. Die Geschichte hat aber auch gezeigt, dass systemische Veränderungen auf monetärem Gebiet nur nach einem Crash erfolgen. Daher ist es jetzt an der Zeit, sich der monetären Probleme bewusst zu werden.

Kapitel 2: Ökonomische Paradigmen

Debatten über ökonomische Probleme offenbaren nur selten das Paradigma, auf das sich ein Wirtschaftswissenschaftler bezieht. Wir wollen daher zunächst den begrifflichen Rahmen darlegen, der unserer Methode zugrunde liegt, und ihn mit anderen derzeit üblichen Paradigmen vergleichen. Statt ökologische und soziale Probleme als »Externalitäten« zu definieren, versteht unsere Methode ökonomische Aktivitäten als Teil des Bereichs des Sozialen, der wiederum Teil der Biosphäre ist. Diese Anschauung bildet die Basis für die Entwicklung neuer pragmatischer Instrumente, die flexibel genug sind, um viele unserer ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen anzugehen.

Wir leiden unter einem dreifachen kollektiven »blinden Fleck« im Hinblick auf unser Geldsystem. Der erste betrifft die patriarchalischen Gesellschaften, die historisch betrachtet ein Monopol durchgesetzt haben: eine einzige zentral ausgegebene Währung, auf die Zinsen erhoben werden. Im Gegensatz dazu haben matrifokal orientierte Gesellschaften wie die in einigen altägyptischen Dynastien und im europäischen Hochmittelalter mehrere parallele Währungen gefördert. Dies hat zu größerer ökonomischer Stabilität, gerecht verteiltem Wohlstand und einer Wirtschaft geführt, in der die Menschen ganz natürlich längerfristig denken, als wir es tun.

Der zweite kollektive »blinde Fleck« ist eine Folge des ideologischen Kriegs zwischen Kapitalismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert. Während selbst die geringfügigsten Unterschiede zwischen diesen beiden Systemen bis zum Überdruss untersucht worden sind, wird das, was sie miteinander gemein haben, nach wie vor weniger eingehend analysiert, insbesondere die Tatsache, dass beide ein einziges nationales Währungsmonopol durchsetzen, das durch Bankschulden geschaffen wird. Der einzige signifikante Unterschied zwischen beiden Systemen bestand darin, dass im sowjetischen System die Banken dem Staat gehörten, während dies im kapitalistischen System nur von Zeit zu Zeit der Fall ist, etwa nachdem Banken, »die zu groß sind, um Bankrott zu machen«, in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sind.

Seit dem 18. Jahrhundert wurde der systemische Status quo durch die Schaffung von Zentralbanken institutionalisiert, die das Währungsmonopol durchsetzten. Dieser institutionelle Rahmen bewirkt den dritten und letzten »blinden Fleck«.

Dieser dreifache »blinde Fleck« erklärt, warum das Überdenken des Paradigmas einer einzigen, monopolistisch produzierten Währung auf einen ebenso starken wie hartnäckigen Widerstand stößt.

Kapitel 3: Die Instabilität der Währungen und der Banken

Gegenüber den heutigen Devisen- und Derivatmärkten spielen alle anderen wirtschaftlichen Aktivitäten auf unserem Planeten nur eine unbedeutende Rolle. 2010 erreichten alle Devisentransaktionen ein Volumen von vier Billionen Dollar pro Tag. Dagegen beliefen sich die Exporte oder Importe aller Güter und Dienstleistungen auf der Welt an einem Tag nur auf etwa zwei Prozent dieses Volumens. Somit sind 98 Prozent der Transaktionen auf diesen Märkten rein spekulativ. Diese Zahl schließt noch nicht einmal die Derivate ein, deren nominelles Volumen 600 Billionen Dollar betrug – das Achtfache des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) der gesamten Welt im Jahr 2010.

Und genau auf diesem gigantischen Markt kam es 2007 zur Bankenkrise. Wie bei jedem vorherigen Bankencrash meinten die Regierungen, ihnen bliebe nichts anderes übrig, als das Bankensystem zu retten, was auch immer das die Steuerzahler kosten würde. Dies ist zwar eindeutig die größte Krise, die wir seit den 1930er-Jahren erlebt haben, doch es ist nicht die erste. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge erlebten zwischen 1970 und 2010 145 Länder Bankenkrisen, 208 Währungszusammenbrüche und 72 Staatsschuldenkrisen – insgesamt also 425 Systemkrisen, wobei im Durchschnitt alljährlich über zehn Länder in eine Krise gerieten!

Die Folgen in Form von Arbeitslosigkeit, verlorenem ökonomischem Output, sozialer Unruhe und verbreitetem menschlichem Leid sind dramatisch. Die Gesamtkosten der Krise von 2007/2008 erreichten eine noch nie da gewesene Höhe. In den USA beispielsweise wird immer wieder auf die 700 Milliarden Dollar des Trouble Assets Relief Program (TARP) verwiesen, obwohl dies nur die Kosten der ersten Tranche der Rettungsaktion sind. Wird dieses Programm erwähnt, folgt unweigerlich die Anmerkung: »Dieses Geld ist inzwischen überwiegend wieder rückerstattet worden.« Das Beispiel der USA ist deshalb so interessant, weil es das einzige Land ist, in dem Regierung und Zentralbank per Gerichtsentscheid gezwungen wurden, die Gesamtkosten der Rettungsprogramme im Zusammenhang mit der Krise von 2007/2008 offenzulegen. Außer TARP waren 49 weitere Programme an der US-Bankenrettung beteiligt – mit insgesamt 14,4 Billionen Dollar. Im Vergleich dazu betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA 2007 16 Billionen Dollar.

Die Rettungsaktionen, denen ein großangelegter Keynesianischer Stimulusplan folgte, um eine Deflation zu vermeiden, haben zu gewaltigen Haushaltsdefiziten und anschließend zu weiteren öffentlichen Schulden geführt. In den vom Bankencrash betroffenen 23 Ländern stiegen die Staatsschulden sprunghaft auf durchschnittlich 24 Prozent des BIP. Noch schlechter erging es einigen europäischen Ländern wie Island, Irland, Lettland, Dänemark und Spanien, deren Staatsverschuldung um 30 bis 80 Prozent des BIP zunahm.

Das Timing hätte nicht schlimmer sein können. Die Flut der geburtenstarken Jahrgänge, die im nächsten Jahrzehnt das Rentenalter erreichen werden, wird die öffentlichen Kassen zusätzlich erheblich unter Druck setzen. Einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von 2010 zufolge werden die altersbezogenen Defizite um 2020 das Verhältnis von Verschuldung und BIP in Großbritannien auf über 200 Prozent und in Frankreich, Irland, Griechenland, Belgien und den USA auf über 150 Prozent ansteigen lassen. Dabei ist diese Vorhersage noch optimistisch, weil sie auf der Annahme niedriger Zinsraten basiert. Bis 2040 werden die geplanten altersbezogenen Ausgaben das Verhältnis von Verschuldung und BIP für all diese Länder in einen Bereich zwischen 300 und 600 Prozent hochtreiben.

Die vom Finanzsektor empfohlenen Lösungen bilden ein Paket aus sofortigen, zwanghaften Sparmaßnahmen und einem Aufruf an die Staaten, alles zu privatisieren. In Ländern, in denen die Liste der anvisierten Bereiche des öffentlichen Eigentums bekannt ist, schließt diese alle öffentlichen Straßen, Tunnel, Brücken, Parkuhren, Flughäfen, alle Verwaltungsgebäude in staatlichem Besitz ebenso wie Wasser- und Kanalisationssysteme ein. In den USA, wo entsprechende Daten zur Verfügung stehen, betrifft dies Einrichtungen des Bundes, der Staaten und der Städte im Wert von 9,3 Billionen Dollar. In einer Einschätzung der US-Situation durch den Finanzsektor heißt es: »Sobald der politische Ärger über die Beschneidung öffentlicher Dienstleistungen größer wird als der Verlust an Wählerstimmen aufgrund des Verkaufs von öffentlichem Eigentum, wird dieser Markt eröffnet. Auf basisdemokratischer Ebene ist diese kritische politische Schmerzschwelle inzwischen erreicht.«1

Ähnlich verhält es sich in Europa. So hat Großbritannien ein Privatisierungsprogramm von 16 Milliarden Pfund verkündet. In Italien wurden 9000 Objekte in öffentlichem Besitz von der Regierung Berlusconi verkauft. Die Regierung Sarkozy hatte in Frankreich bereits alle mautpflichtigen Autobahnen des Landes für fünf Milliarden Euro verkauft. Die mit dem Rettungspaket für Griechenland verknüpften Bedingungen sehen Privatisierungen im Wert von 50 Milliarden Euro vor. Und diese Liste geht weiter. Der Druck wird noch lange Zeit anhalten. Doch was geschieht danach? Warum sollten Staaten kreditwürdiger werden, wenn sie die Mieten für ihre Verwaltungsgebäude und die Maut für ihre Beamten und Angestellten zahlen müssen, damit sie zur Arbeit auf Straßen fahren können, die einst in öffentlichem Besitz waren?

Bevor wir also blindlings diesen Kurs weiterverfolgen, wäre es da nicht sinnvoll festzustellen, ob es für alle finanziellen und monetären Instabilitäten nicht eine gemeinsame systemische Ursache gibt, statt die derzeitige Krise nur als einen weiteren Fall von grobem finanziellem Missmanagement abzutun?

Kapitel 4: Instabilitäten und die Physik komplexer Flussnetzwerke

Seit dem 19. Jahrhundert hat die Wirtschaftswissenschaft das ökonomische System als geschlossen klassifiziert. Geschlossene Systeme interagieren nur relativ selten mit anderen Systemen oder der Außenwelt, offene Systeme hingegen schon. Ein in intellektueller Hinsicht sehr praktisches Merkmal geschlossener Systeme besteht darin, dass sie ein statisches Gleichgewicht erreichen, wenn sie nicht gestört werden.

In diesem Bericht wollen wir darlegen, dass wir die Wirtschaft als ein offenes System betrachten, das aus komplexen Flussnetzwerken besteht, in denen Geld zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten zirkuliert. Seit Kurzem ist es möglich, nach einem einzigen Standard die Nachhaltigkeit jedes komplexen Flussnetzwerks auf der Basis seiner strukturellen Vielfalt und seiner Vernetzung zu messen. Eine wichtige Entdeckung besagt, dass jedes komplexe Flusssystem nachhaltig ist, wenn und nur wenn es ein entscheidendes Gleichgewicht zwischen zwei gleichermaßen wesentlichen, aber komplementären Eigenschaften hält: seiner Effizienz und seiner Resilienz. Wird die Effizienz zu sehr auf Kosten der Resilienz betont, wird die Vielfalt geopfert. Und das wird automatisch zu plötzlichen Systemzusammenbrüchen führen.

Wir haben eine weltweite monetäre Monokultur, in der der gleiche Typ von Zahlungsmittel in jedem Land in Umlauf gesetzt wird: eine einzige nationale Währung, die durch Bankschulden geschaffen wird. Eine solche Monokultur bringt im Allgemeinen ein fragiles und nicht nachhaltiges System hervor. Die strukturelle Lösung, der Nachhaltigkeit eine Chance zu geben, auch wenn diese völlig unorthodox ist, besteht darin, die verfügbaren Zahlungsmittel und die Wirtschaftssubjekte, die sie erschaffen, zu diversifizieren. Kurz, wir benötigen ein monetäres Ökosystem.

Kapitel 5: Die Auswirkungen des heutigen Geldsystems auf die Nachhaltigkeit

Währungs- oder Finanzkrisen können überaus destruktiv sein und sind offenkundig mit Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Schwerer ist es zu erkennen, wie einige in unser gegenwärtiges Geldsystem eingebaute Mechanismen – wenn es sich nicht in einer Krise befindet – individuelle und kollektive Verhaltensweisen formen. Zu den positiven Auswirkungen gehört es, dass das moderne Geld geradezu eine Explosion an unternehmerischen und wissenschaftlichen Neuerungen ausgelöst hat, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat. Doch es gibt fünf weitere Mechanismen, die mit Nachhaltigkeit ganz und gar nicht zu vereinbaren sind:

➤Verstärkung von Boom- und Bankrottzyklen: Banken bieten oder verweigern eine Finanzierung den gleichen Sektoren oder Ländern gleichzeitig und verstärken damit den Wirtschaftszyklus zum Boom oder Bankrott hin. Eine solche Verstärkung ist für jeden schädlich, auch für den Bankensektor selbst. Im Worst-Case-Szenario landen wir dort, wo wir uns heute befinden: wenn Banken aufhören, einander zu vertrauen.

➤Kurzsichtiges Denken: Der »Discounted Cash-Flow« ist eine übliche Praxis bei jeder Investmentbewertung. Da Bankschuldengeld Zinsen bringt, führt die Abzinsung aller künftigen Kosten oder Einkünfte unweigerlich zu kurzsichtigem Denken.

➤Zwanghaftes Wachstum: Der Prozess des Zinseszinses nötigt die Wirtschaft zu exponentiellem Wachstum. Doch exponentielles Wachstum ist in einer endlichen Welt per definitionem nicht nachhaltig.

➤Konzentration von Reichtum: Weltweit verschwindet die Mittelschicht, während der Reichtum überwiegend nach oben fließt und unten die Armutsraten zunehmen. Derartige Ungleichheiten erzeugen eine Vielfalt sozialer Probleme und sind auch für das Wirtschaftswachstum schädlich. Und über die ökonomischen Probleme hinaus kann das Überleben der Demokratie in Gefahr sein.

➤Abwertung von Sozialkapital: Sozialkapital wie gegenseitiges Vertrauen und gemeinsames Handeln lässt sich historisch gesehen nur schwer messen. Doch wann immer solche Messungen erfolgen, verweisen sie auf eine tendenzielle Erosion des Sozialkapitals, insbesondere in den Industrienationen. Neuere wissenschaftliche Studien belegen, dass Geld im Allgemeinen egoistische und teamfeindliche Verhaltensweisen fördert. Und diese Verhaltensweisen sind mit langfristiger Nachhaltigkeit nicht vereinbar.

Konventionelles Geld ist keineswegs, wie allgemein angenommen, ein verhaltensmäßig neutrales und passives Zahlungsmittel, sondern wirkt sich tief greifend auf eine Reihe von Verhaltensmustern aus; die oben aufgeführten fünf sind mit Nachhaltigkeit unvereinbar. Das Monopol einer solchen Währung wirkt sich somit direkt auf die Zukunft der Menschheit auf unserem Planeten aus.

Kapitel 6: Das institutionelle System der Macht

Die Geschichte des Geldes ist aufs Engste mit Macht verknüpft. Der Historiker Niall Ferguson hat aufgezeigt, wie sich das moderne Geldsystem entwickelt hat, um Kriege zu finanzieren, und zwar durch das Aufkommen von vier entscheidenden Institutionen: von Parlamenten, einer professionellen Steuerbürokratie, Staatsschulden und Zentralbanken. Dieses »Quadrat der Macht« wurde erstmals im 18. Jahrhundert in Großbritannien optimiert, um die Industrialisierung zu ermöglichen und ein Weltreich entstehen zu lassen. Die gleichen monetären Arrangements verbreiteten sich auf der ganzen Welt, bis sie praktisch überall die heutige Grundstruktur bildeten.

Es heißt immer, die Beziehung zwischen dem Bankensystem und den Regierungen sei seit Jahrhunderten unverändert geblieben. Eine Fallstudie über Frankreich belegt jedoch, dass dem nicht unbedingt so ist. Seit 1973 nämlich ist die französische Regierung gezwungen, Anleihen ausschließlich auf dem privaten Sektor zu tätigen und damit Zinsen für neue Schulden zu bezahlen. Ohne diese Veränderung würde die französische Staatsverschuldung heute 8,6 Prozent des BIP betragen – statt der gegenwärtigen 78 Prozent. Darüber hinaus haben die Verträge von Maastricht und Lissabon genau diesen Prozess auf alle Unterzeichnerstaaten ausgeweitet.

Eine mögliche radikale Lösung wäre es, wenn die Regierung selbst eine Währung ausgibt, die sie später wieder in Form von Steuerzahlungen kassiert. Diese Lösung wurde in den 1930er-Jahren »Chicago-Plan« genannt. Die Nationalisierung der Erschaffung der Währung schränkt Banken auf die Rolle schlichter Devisenhändler ein. Zwar reduziert der Chicago-Plan die Möglichkeit künftiger Bankenzusammenbrüche dramatisch und löst alle Staatsschuldenkrisen im Handumdrehen, aber er ersetzt nur ein privates Monopol durch ein öffentliches. Und damit kommen wir dem benötigten monetären Ökosystem keinen Schritt näher.

Die offizielle Version lautet, dass Regierungen, genau wie jeder Haushalt, das Geld auftreiben müssen, das sie benötigen, um ihre Aktivitäten zu bezahlen. Dies geschieht entweder durch Einkommen qua Besteuerung oder durch Schulden durch die Ausgabe von Schuldverschreibungen. Danach fungieren Banken schlicht als Vermittler, die Guthaben ansammeln und Teile dieses Geldes kreditwürdigen Individuen und Institutionen wie Regierungen leihen. Doch offiziell seit 1971, seit Fiatwährung oder Geld, das aus dem Nichts entstand, überall im Umlauf ist, ist diese Sichtweise reine Fiktion.

Das Fiatwährung-Paradigma liefert eine andere Interpretation. Mit der Fiatwährung hat die Besteuerung den primären Zweck, eine Nachfrage nach einer Währung zu schaffen, die ansonsten keinen Eigenwert hat. Erst die Pflicht, Steuern nur in der gewählten Währung zu zahlen, verleiht der Währung ihren Wert. Eine souveräne Regierung kann es sich daher aussuchen, welcher Währung sie einen Wert zuschreiben will, indem es diese in Form von Steuerzahlungen verlangt. Regierungen können somit festlegen, welche Anstrengungen ihre Bürger unternehmen müssen, um diese gewählte Währung zu bekommen. Diese Interpretation ist zwar wissenschaftlich eindrucksvoll belegt, wird aber zugunsten der offiziellen Version ignoriert.

Nach der offiziellen Version sind Regierungen völlig machtlos angesichts eines anonymen und allmächtigen »Finanzmarktes«. Nach dem Fiatwährung-Paradigma hingegen können Regierungen aufgrund des Wesens von Fiatwährung sich möglicherweise dafür entscheiden, parallel zum Bankschuldengeld anderen Währungen einen Wert zu verleihen. Wir werden darlegen, dass sie dies tun müssen, wollen sie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sein.

Kapitel 7: Beispiele privat initiierter Lösungen

Neun Beispiele innovativer Motivationssysteme werden in diesem und dem nächsten Kapitel dargestellt. Sie alle können parallel zum konventionellen Bankschuldengeld funktionieren sowie kosteneffiziente elektronische Medien nutzen und sollten für ihre Nutzer so transparent wie möglich sein. Wenn bei diesen Systemen mehr auf Selbstregulierung gesetzt wird, könnte eine solche Transparenz weitgehend potenziellen Betrug reduzieren. Wir beginnen bei der Vorstellung der Systeme mit dem einfachsten und am wenigsten umstrittenen und enden mit dem komplexesten und revolutionärsten. Die ersten fünf können privat gestartet werden, entweder bei Nichtregierungsorganisationen (Non-Government-Organisations, NGO) oder von Unternehmen. Dies sind:

➤Doraland: ein von Litauen vorgeschlagenes System, das ein »Lernendes Land« erschaffen soll. In so einem Land kann jeder Bürger freiwillig lernen und/oder lehren und wird dafür mit Doras bezahlt, einer Währung, die Menschen dabei helfen soll, ihre Träume zu verwirklichen. Dieses System wäre am besten von einer NGO umzusetzen.

➤Wellness Tokens: eine NGO-Initiative, die sich in Zusammenarbeit mit Anbietern im Gesundheitswesen vorbeugend mit Gesundheitsproblemen befasst, noch bevor sie auftreten. Wellness Tokens belohnen und fördern gesunde Verhaltensweisen und reduzieren damit für die Gesellschaft langfristige Gesundheitskosten.

➤Natural Savings: ein Finanzsparprodukt, dass komplett von lebenden Bäumen gedeckt wird. Es wäre eine Sparwährung, deren Inflationsschutz dem jeder nationalen Währung überlegen wäre, während es gleichzeitig einen Anreiz bietet, Gebiete wieder aufzuforsten und damit langfristig ein Sinken des CO2-Werts zu erreichen. Ein weiterer Vorteil: Es funktioniert auch bei Mikro-Spareinlagen.

➤C3: ein Business-to-Business-System (B2B), das die Arbeitslosigkeit senkt, indem es kleinen und mittelgroßen Unternehmen Arbeitskapital zur Verfügung stellt. Die Verrechnungswährung des Netzwerks wäre durch hohe Rechnungen gedeckt und in jedes gewünschte konventionelle Geld konvertierbar. Die Versicherungswirtschaft und die Banken spielen in diesem System eine entscheidende und profitable Rolle. C3s sind bereits in Brasilien und Uruguay eingeführt, und letzteres Land akzeptiert C3s als Zahlungsmittel für alle Steuern.

➤Terra: eine globale B2B-Währung, die es für multinationale Unternehmen profitabel machen würde, langfristig zu denken, und damit den Konflikt zwischen kurzfristigen finanziellen Konzernprioritäten und langfristigen sozialen und ökologischen Bedürfnissen lösen würde. Das wäre eine inflations- und crashsichere globale Währung, die von einem für die globale Wirtschaft relevanten Waren- und Dienstleistungskorb gedeckt wäre. Als globale Währung würde sich der Terra von jeder existierenden nationalen Währung unterscheiden und damit das Risiko geopolitischer Spannungen um Währungseinflusszonen reduzieren.

Kapitel 8: Beispiele staatlich initiierter Lösungen

Die nächsten vier Beispiele innovativer Motivationssysteme sind staatliche Initiativen, die auf städtischer, regionaler oder nationaler Ebene gestartet würden. Dies sind:

➤Torekes: eine städtische Initiative, die Bürger zu ehrenamtlicher Tätigkeit ermutigt und zugleich grünes Verhalten und sozialen Zusammenhalt in armen Vierteln fördert. Sie startete 2010 in der belgischen Stadt Gent.

➤Biwa: ein Vorschlag für die Präfektur Shiga in Japan zur Finanzierung der Arbeitskomponenten der ökologischen Restaurierung und des Unterhalts des Biwa-Sees, dem ältesten und größten See in Japan. Das Programm könnte für die Bewohner dieser Gegend entweder freiwillig oder verpflichtend sein.

➤Civics: ein Angebot für Städte oder Regionen zur Finanzierung von Aktivitäten ihrer Bürger, ohne dass ihre Etats belastet werden. Diese Aktivitäten könnten die Arbeitskomponente für soziale, schulische und/oder ökologische Projekte liefern. Ein solches System könnte in Form eines verpflichtenden Beitrags eingeführt werden.

➤ECOs: ein nationales oder europaweites System, das die Finanzierung wichtiger Komponenten großangelegter ökologischer Projekte ermöglichen würde, etwa zur Vorbeugung und Anpassung an den Klimawandel. Es wäre eine von Regierungen ausgegebene zinsfreie Währung. Die Regierungen würden von Unternehmen verlangen, einen Beitrag im Verhältnis zu ihrem Gesamtumsatz zu leisten, der nur in ECOs zahlbar wäre. Dies ist der umstrittenste der neun Vorschläge, da er als neuartige Unternehmensbesteuerung für die größten Konzerne verstanden würde. Eine solche Initiative kann von Regierungen verlangen, dem galoppierenden Klimawandel »den Krieg zu erklären«.

Nicht alle dieser fünf privaten und vier öffentlichen Systeme müssen eingeführt werden, bevor die Vorteile verschiedener monetärer Ökosysteme sichtbar werden. Gemeinden, Städte, Regionen und Länder können es sich aussuchen, welche Systeme eingeführt werden sollen. Zusammen mit einem Dutzend anderer Konstruktionen, die bereits verwirklicht worden sind, würde jede Kombination solcher neuen Zahlungsmittel einem angemessenen monetären Ökosystem die Chance geben, sich zu entwickeln. Manche von diesen Systemen werden scheitern. Doch wie in einem Wald werden sich die erfolgreichsten Arten spontan verbreiten. Wir müssen noch eine Menge lernen, insbesondere im Hinblick darauf, welche Governance-Strukturen jeder Art von System am besten entsprechen.

Kapitel 9: Über die Grenzen des Wachstums hinaus?

H. G. Wells behauptete: »Die Geschichte ist ein Wettrennen zwischen Bildung und Katastrophe.« Die Einsätze bei diesem Wettrennen waren noch nie so hoch wie heute. Jeder Mensch wird einfach lernen müssen:

➤Für die heutigen Eliten, insbesondere die Finanzeliten, könnte es wichtig sein, die klassischen Werke des Wirtschaftshistorikers Arnold Toynbee2 oder die von Jared Diamond3zu studieren. Toynbee hat 21 Zusammenbrüche ganzer Zivilisationen dokumentiert, für die es nur zwei Ursachen gebe: eine zu große Konzentration von Reichtum und eine Elite, die nicht bereit war, auf sich verändernde Verhältnisse zu reagieren und neue Prioritäten zu setzen, bevor es zu spät war. Diamond befasst sich mit der Schädigung der Umwelt als unmittelbarer Ursache für Zivilisationszusammenbrüche. Gegenwärtig droht uns ein Zusammenbruch aufgrund aller drei dieser Ursachen, und zwar gleichzeitig. Und die Geschichte lehrt uns, dass nicht einmal Eliten in einer zusammenbrechenden Zivilisation geschützt sind.

➤Diejenigen, die Wirtschaftswissenschaft studiert haben, müssen geistig umschalten, indem sie das Paradigma betrachten, das mit den Lehrmeinungen verbunden ist, die sie erfahren haben, und es mit der in diesem Buch angewandten Vorgehensweise vergleichen.

➤Die breite Bevölkerung muss vielleicht vor allem zu verstehen lernen, was Nichtlinearität ist, und insbesondere den Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum begreifen. Wir haben es gegenwärtig mit einer zunehmend nichtlinearen Welt zu tun. Diese unterschiedlichen Dynamiken zu begreifen wird nützlich sein, wenn wir verstehen wollen, was mit uns passiert und was wir dagegen tun können.

Abschließend sei betont, dass es naiv wäre, Komplementärwährungen für ein Wundermittel zu halten, das all unsere gegenwärtigen und künftigen Probleme löst. Doch zu jeder effektiven Lösung gehört es, dass wir im Hinblick auf unser Geld umdenken. Wir können es uns nicht länger leisten, dieses »Missing Link« zwischen Nachhaltigkeit und unserem Geldsystem zu ignorieren.

Kapitel 1 Warum dieser Bericht und warum jetzt?

»Mein Herz bewegt, was ich nicht retten kann. So vieles ist zerstört.

Ich schlage mich auf die Seite derer, die jederzeit, eigensinnig, ohne besondere Macht, die Welt wiederherstellen.«

Adrienne Rich4

Die Menschheit, insbesondere die westliche Zivilisation, befindet sich auf einem unhaltbaren Kurs. Der Klimawandel und die Vernichtung von Arten, eine alternde Bevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit und ein nicht nachhaltiger Energieverbrauch – all das sind Probleme, denen wir uns dringend zuwenden müssen. Die Politik ist sich von rechts bis links darin einig, dass im Laufe der nächsten zehn Jahre umfassende und rasche Verhaltensänderungen geboten sind. Traditionell setzen Staaten und Unternehmen monetäre Anreize als primäre Motivationsinstrumente ein, um nichtspontane Verhaltensmuster auszulösen. Doch inzwischen hat unser Geldsystem selbst ernste Probleme. Aufgrund der zunehmenden Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist die Art und Weise, wie Geld unsere Motivation und unser Handeln bestimmt, ein Teil des Problems und nicht der Lösung geworden.

Unser gegenwärtiges Geldsystem – also die spezifische Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft Geld erschaffen, verbreitet und verwaltet wird – wird von fast allen Menschen für selbstverständlich gehalten. Dies tun nicht nur die breite Öffentlichkeit, Unternehmen und Nichtregierungs-Organisationen, sondern auch Politiker und die Mehrheit der Akademiker. Folglich galt es nach der gewaltigen Finanzkrise von 2008 – dem bislang größten systembedingten Versagen der Finanzwelt in der Geschichte – als einzige Möglichkeit, das Bankensystem zu retten, welche Kosten dadurch auch immer den Steuerzahlern entstanden, um so rasch wie möglich zur »Normalität« zurückzukehren. Dieses Szenario wiederholt sich heute bei allen großen Bankenkrisen und Währungszusammenbrüchen.5

Die strukturellen Probleme

Zunächst einmal will dieser Bericht den Nachweis erbringen, dass die Instabilität unseres Geld- und Bankensystems eine strukturelle Ursache hat. Daher wird man mit dem Kapitalbedarf und den regulatorischen Veränderungen, über die man derzeit debattiert und die im existierenden System vorgenommen werden sollen, künftige Crashes genau deshalb nicht vermeiden, weil sie die tatsächliche Struktur des Geldsystems nicht antasten. Zu dessen strukturellen Merkmalen zählt etwa die Vorstellung, dass Geld monopolistisch von einem Bankensystem im Austausch gegen Schulden geschaffen werden solle.6 Wir behaupten demgegenüber, dass das Überdenken dieses Monopols eine notwendige Bedingung dafür ist, dass die Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert eine Chance bekommt. Dies bedeutet nicht, dass eine derartige Veränderung ausreichen wird, um automatisch alle Probleme zu lösen. Mehrere andere Dimensionen sind eindeutig genauso wichtig – wie etwa Bildung oder Governance –, doch sie stehen in diesem Bericht nicht zur Debatte. Vielmehr wollen wir nachweisen, dass all die anderen Strategien sich als fruchtlos erweisen werden, wenn man sich nicht mit der monetären Struktur befasst.

Ein Geldsystem ist eine Art von Betriebssystem für menschliches Handeln. Unserer Meinung nach benötigen wir dringend ein Upgrade unseres kollektiven »Betriebssystems«, das robuster und flexibler sein muss, damit wir uns erfolgreich den zahlreichen großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen können. Wenn wir unsere Annahmen darüber ändern, wie Geld geschaffen und verbreitet wird, könnten wir zu einer nachhaltigen Welt gelangen, einer Welt, die die Menschheit ebenso wie die Biosphäre dieses Planeten umfasst, für die die Menschheit inzwischen kollektiv, wenn auch zugegebenermaßen unbeabsichtigt, verantwortlich geworden ist. Unser gegenwärtiges Geldsystem ist alles andere als ein neutrales Instrument, das Tauschvorgänge ermöglicht, sondern spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung menschlicher Anreize und Entscheidungen, und zwar auf allen Ebenen: von lokalen Tauschvorgängen im kleinen Maßstab bis zu milliardenschweren Entscheidungen globaler Konzerne.

Was wir vorschlagen wollen, erfordert einen Paradigmenwechsel im monetären Bereich. Paradigmenwechsel sind immer umstritten, da sie Vorstellungen infrage stellen, die als selbstverständliche Wahrheiten gelten, in diesem Fall seit Jahrhunderten. Es lohnt sich jedoch, diese Herausforderung anzunehmen, weil uns dies auf einen Weg bringt, auf dem die Ökonomie eine wahrhaft emanzipierende Sozialwissenschaft wird. Selbst nachhaltiger Reichtum könnte dann eine realistische Möglichkeit werden.

Pragmatische Lösungsvorschläge