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Michael Lukas Moeller

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Beschreibung

Unser ganzes Leben wird geprägt von unserer Beziehung zu wichtigen anderen Menschen. Sie machen das Glück oder Unglück unseres Daseins aus. Sie bestimmen unsere wirkliche, die seelische Lebensqualität. Trotz dieser lebenswichtigen Priorität geschieht für das Zweierleben so gut wie nichts. Seine Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft wird als Privatintimität bagatellisiert, seine Bedingungen werden politisch nicht gefördert, und das in seinen Symptomen offensichtliche Geheimnis des weltweiten Paarsterbens wird geleugnet wie einst das Waldsterben. Wer sich auf das Wesentliche konzentrieren will, muss die beiden Bedingungen seiner zentralen Beziehung erkunden und entwickeln. Es geht um die Qualität unserer bedeutendsten Beziehung. Sie hat unüberschätzbare Wirkungen: Sie bestimmt am stärksten über das Glück und und Unglück unseres Lebens. Sie ist der mächtigste Faktor für unser Gesunden und Erkranken.Sie beeinflusst tief gehend die Bindungsfähigkeit der nächsten Generation.

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Michael Lukas Moeller

Gelegenheit macht Liebe

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Über dieses Buch

Unser ganzes Leben wird geprägt von unserer Beziehung zu wichtigen anderen Menschen. Sie machen das Glück oder Unglück unseres Daseins aus. Sie bestimmen unsere wirkliche, die seelische Lebensqualität.

Trotz dieser lebenswichtigen Priorität geschieht für das Zweierleben so gut wie nichts. Seine Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft wird als Privatintimität bagatellisiert, seine Bedingungen werden politisch nicht gefördert, und das in seinen Symptomen offensichtliche Geheimnis des weltweiten Paarsterbens wird geleugnet wie einst das Waldsterben.

Wer sich auf das Wesentliche konzentrieren will, muss die beiden Bedingungen seiner zentralen Beziehung erkunden und entwickeln. Es geht um die Qualität unserer bedeutendsten Beziehung. Sie hat unüberschätzbare Wirkungen: Sie bestimmt am stärksten über das Glück und und Unglück unseres Lebens. Sie ist der mächtigste Faktor für unser Gesunden und Erkranken. Sie beeinflusst tief gehend die Bindungsfähigkeit der nächsten Generation.

Über Michael Lukas Moeller

Michael Lukas Moeller, geboren 1937 in Hamburg. Psychoanalytiker. 1973 – 83 Professor für Seelische Gesundheit in Gießen, hatte er seit 1983 den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Im Jahre 2000 erster Preisträger des Internationalen Otto-Mainzer-Preises für die Wissenschaft von der Liebe.

Michael Lukas Moeller verstarb am 7. Juli 2002.

«Kinder sind eine Brücke zum Himmel.»

PERSISCHES SPRICHWORT

«Ich habe mir oft gedacht,

dass die sichtbare Welt eine vergessene Sprache sei,

ein ‹Code›, zu dem wir den Schlüssel verloren haben.»

JEAN TARDIEU

dyalog

Das Wort «Zwiegespräch» ist für Menschen anderer Zunge unaussprechlich. Seit das von mir geknüpfte Zwiegesprächs-Netzwerk die deutschen Sprachgrenzen überschreitet, also etwa seit 1995, war ein neuer, international verständlicher «Markenname» nötig. So kam es zu Dyalog. Was bedeutet Dyalog?

Dyalog bedeutet dasselbe wie Zwiegespräch.

Als Symbol für Dyalog haben wir das fächerartige Ginkgoblatt gewählt, weil es aussieht, als wäre es aus zwei Blättern zusammengewachsen.

Der Ginkgobaum (Ginkgo biloba) ist der älteste aller heute noch lebenden Bäume und viel älter als alle Vögel und Säugetiere. Er ist einzigartig: seine Spezies bildet die ganze Gattung. Er ziert seit urdenklichen Zeiten Parks und Gärten in China und Japan. Im Westen bürgert er sich langsam ein, weil er so wunderschön ist – und weil er auch in einer schadstoffreichen Umwelt robust und vital bleibt.

Schon Goethe erkannte im Ginkgoblatt das Natursymbol für liebende Paare. Er dichtete am 15. September 1815:

GINGO BILOBA

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Meinem Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wie’s den Wissenden erbaut.

 

Ist es ein lebendig Wesen,

Das sich in sich selbst getrennt?

Sind es zwei, die sich erlesen,

Dass man sie als eines kennt?

 

Solche Fragen zu erwidern,

Fand ich wohl den rechten Sinn;

Fühlst du nicht an meinen Liedern,

Dass ich eins und doppelt bin?

Erster Teil

Zeitlose Paare

«Den Wind kann man nicht verbieten,

aber man kann Mühlen bauen.»

HOLLÄNDISCHES SPRICHWORT

Unser ganzes gelebtes Leben wird durchgehend von einem entscheidenden Moment geprägt: unseren bedeutendsten Beziehungen. Sie machen das Glück oder Unglück unseres Daseins aus. Sie bestimmen unsere wirkliche, die seelische Lebensqualität. Und noch mehr: Die Erfüllung oder Nichterfüllung der zentralen Bindung ist nach den Forschungen der Beziehungsmedizin der langfristig stärkste Faktor für unsere persönliche Gesundheit und Krankheit. Damit nicht genug: Jedes Paar, das Kinder hat, ist sich in der Regel seiner großen Generationenwirkung nicht bewusst: Die seelische Struktur der nächsten Generation – somit ihre Chancen und Behinderungen, ihr Erleben, Verhalten und Entscheiden – beruht auf der Verinnerlichung der Mutter-, Vater- und Elternbeziehung.

Angesichts dieser lebenswichtigen Priorität geschieht für das Zweierleben so gut wie nichts. Seine Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft wird als Privatintimität bagatellisiert, seine Bedingungen werden politisch nicht gefördert – etwa durch wenige Stunden in der schulischen Sozialkunde oder einen führerscheinähnlichen Gesellenbrief der gelernten Ehe –, und das in ihren Symptomen offen daliegende Geheimnis des weltweiten Paarsterbens wird verleugnet wie einst das Waldsterben.

Wer sich auf das Wesentliche konzentrieren will, muss die besten Bedingungen seiner bedeutenden Beziehung erkunden und entwickeln. Diesem Ziel soll das Buch dienen. Es bietet die dazu notwendigen Einsichten zur Paardynamik und beschreibt – was vielleicht wichtiger ist – einen klaren Weg zu ihrer Umsetzung. Es trifft sich gut, dass diese Initiative auch die Basis für das ist, was wir uns ersehnen: Glück und Lust – den uralten menschheitserzeugenden Prinzipien der Selbstorganisation. First things first: Fortbildung in Partnerschaft.

Die ersten fünf Minuten wirklicher Beziehung

«Am schwersten lässt sich das Analphabet entziffern.»

STANISLAW JERZY LEC[*]

Wie alle in diesem Buch vorgebrachten Szenen ist auch diese authentisch. Sie gehört zu denen, die mich in dreißig Jahren Paaranalyse am tiefsten bewegten:

Achtzig Paare saßen in einem der Zweiergesprächsseminare, die ich jährlich einmal in zehn deutschen, österreichischen und schweizerischen Städten durchführe.

Sie hatten kurz zuvor ihren ersten Dyalog durchgeführt. In einer solchen Situation sind alle durch die Begegnung mit sich selbst besonders belebt, wenn nicht aufgewühlt. Sie hatten sich soeben der Frage gewidmet: Was bewegt mich zur Zeit am stärksten? Und dahinter taucht schnell die Urfrage auf: Was will ich für die paar Jahrzehnte meines Lebens wirklich?

Es folgte wie immer ein Erfahrungsaustausch, bei dem links und rechts neben mir, vor allen anderen, Mann und Frau eines Paares sitzen und nun in wenigen Sätzen berichten, was sie an dem eben erlebten Zwiegespräch am stärksten beeindruckte. Der Mann sagte:

«Ich habe zeit meines Lebens nie wirklich Zugang zu mir selbst gefunden. Die Frage ‹Was bewegt mich im Moment am stärksten?› konnte ich überhaupt nicht beantworten. In den neunzig Minuten gelang es mir aber mittendrin zum ersten Mal für vielleicht fünf Minuten, Gefühle in mir zu entdecken, die ich meiner Frau mitteilen konnte.»

Alle waren erschüttert. Auch diejenigen, denen es bei aller nach außen gewandten technischen und aufgabenorientierten Geschicklichkeit ebenfalls nicht gelang, eine lebendige Beziehung zu sich selbst aufzunehmen. Der Saal war still.

Dann begann seine Frau zu weinen. Sie sagte: «Wir sind fünfunddreißig Jahre verheiratet. Heute habe ich in diesen fünf Minuten zum ersten Mal eine wirkliche Beziehung zu meinem Mann erlebt.»

Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist gewaltig, was die Beziehung zu sich selbst betrifft. Frauen haben einen besseren Zugang zu Träumen, Empfindungen, Beziehungen und Phantasien. Männer begegnen stärker den Realitäten. Sie sind faktenbezogen und leistungsorientiert.

Für einen Dyalog oder auch für eine Beziehung außerhalb der Zwiegespräche ist dieses Beispiel erhellend: Wenn es mir gelingt, wirklich eine Beziehung zu mir selbst aufzunehmen, also ganz bei mir zu bleiben – und mich nicht von mir zu entfernen, indem ich meinen seelischen Schwerpunkt auf den anderen verschiebe –, dann entsteht die stärkste Bindung des Partners oder der Partnerin an mich. «Egoismus» und «Altruismus» sind hier aufgehoben. Wer ganz in sich selbst hineinsieht, findet sich im Zentrum der Beziehung.

So hatte ich auch gute Hoffnung für dieses Paar. Die fünf Minuten werden sich bei regelmäßigen Zweiergesprächen ausdehnen und schließlich die ganzen anderthalb Stunden umfassen. Eine der bedeutendsten Bedingungen für eine lebendige Beziehung wäre damit erfüllt: eine genügend gute Selbstbeziehung.

1Nimm die Beziehung, wie sie ist, und verändere sie

«Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht,

sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.»

Der Titel dieses Buches «Gelegenheit macht Liebe» dürfte manche denken lassen, hier sei eine aushäusige Verliebtheit gemeint, die sich als kleine, schnelle Gelegenheit sozusagen nebenbei einstellt. Der Kern ist richtig: Denn eine solche Gelegenheit ist von Liebesbedingungen getragen, die uns vom Schicksal geschenkt werden und uns aufmerksam machen auf das, was Kurt Tucholsky in depressiver Verschmitztheit formulierte: «In stiller Nacht und monogamen Betten, denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.»

Die These dieses Buches ist jedoch anders, vor allem anders, als man zunächst denken mag: Es geht hier um mehr als eine Affäre – um die Affäre nämlich, die man mit seinem Hauptpartner ständig versäumt. Anders gesagt: Es geht nicht um die kleine, sondern um die große Gelegenheit, auf die viele so vergeblich warten. Sie tritt nun natürlich nicht im Wartestand ein, sondern nach Erich Kästners Motto: «Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.» Kurz: Es dreht sich alles um das Herausfinden und Realisieren der besten Liebesbedingungen. Sie sind identisch mit den Bedingungen der eigenen Lebendigkeit. Wir kennen sie, falls unsere Beziehung mit einer Verliebtheit begann. Damals fügte es der Zufall, dass wir Verhältnisse hatten, die ein starkes erotisches Gefühl aufkommen ließen. Später verliert sich das bekanntlich. Wir haben dafür eine Erklärung zur Hand: die Abstumpfungstheorie. Damit reden wir uns heraus. Die Lust und die Lustlosigkeit – eine Grundabstimmung des Paares durch eine Verliebtheit vorausgesetzt – sind Symptome, das heißt Signale der tieferen seelischen Lage. Sie sind keine gegebenen und unveränderlichen Fakten der Partnerschaft, die etwa für eine lebensbedeutende Entscheidung wie Bindung oder Trennung ein verlässliches Fundament bieten.

 

Die seelische Gleichung ist einfach:

Lust entsteht, wenn die Liebesbedingungen des einen wie des anderen erfüllt sind.

Unlust kommt auf, wenn diese untergründigen Bedingungen weder erkannt noch realisiert sind. Und das ist zu häufig der Fall.

In der späteren Beziehung geht es also um nicht mehr und nicht weniger als um das Herausfinden und Realisieren dieser zentralen Bedingungen für die eigene Liebe, Lust oder Lebendigkeit.

Wenn Paare zu mir kommen, frage ich seit einigen Jahren sehr genau nach diesen «Ersten drei Minuten» (die gelegentlich auch drei Wochen oder Monate umfassen): «Welche drei Eigenschaften faszinierten Sie so sehr am anderen, dass Sie sich verliebten?» So beginnt diese Viertelstunde einer höchst angenehmen Selbsterkundung. Wie die Buchecker die ganze Buche in sich trägt, ist in diesen ersten drei Minuten die ganze Beziehungsstruktur der künftigen Bindung enthalten. Das kann man auch allein zu zweit (ohne einen Therapeuten) machen. Das Paar wird damit zum Architekten der eigenen Gelegenheiten – indem es die Bedingungen nun bewusst, aktiv und absichtlich herstellt, die ihm damals meist unversehens und weitgehend passiv in den Schoß fielen.

Es geht also zum einen darum, sich diesen ganz eigenen verborgenen inneren Momenten zu widmen, die «meine besten persönlichen Liebesbedingungen» genannt werden können. Sie ergeben sich aus der Lebens- und Liebesgeschichte von Geburt an. Sie sind, wie schon gesagt, nichts anderes als die Voraussetzungen für die eigene Lebendigkeit. Denn die Lust, die sich immer auf Liebe gründet und von ihr normalerweise nicht getrennt werden kann, ist der Seismograph für Lebendigkeit. Sie entspricht der wirklichen, nämlich der seelischen Lebensqualität. Sie ist also nicht ein kleines Séparée unserer inneren Existenz, sondern von lebensumfassender Bedeutung.

Zum anderen aber gibt es Liebesbedingungen, die mehr oder weniger für alle Menschen gelten. So komplex die menschliche Seele ist, so komplex sind auch diese Grundeinsichten. Ich habe in den drei Jahrzehnten, die ich nun Paaranalysen mache, inzwischen mehr als hundert basale Erkenntnisse gesammelt – vor allem bei den Zwiegespräch-Seminaren und an den Paargruppen-Wochenenden, wo je sechs Paare ihre Beziehung neu erleben und verstehen lernen. Die neun bedeutsamsten Perspektiven sind in «Big Nine» (Seite 99ff.) zusammengefasst. Sie bilden für mich das Fundament der entscheidenden inneren Bedingungen.

Behebung erotischer Kalamitäten
Vinzenz und Marion

Beide um die Vierzig und mit einer schweren Kindheit belastet, hatten Vinzenz und Marion schon Jahre einer erfolgreichen Paarbehandlung hinter sich, als sie noch einmal eine Beratung wünschten. Es fehlte ihnen die Lust, meinten sie zunächst, genauer gesagt hätten sie schon Lust, aber jeder auf eine andere Art. Der Schwerpunkt ihrer vorangegangenen Beziehungsarbeit lag weniger im Bereich der Sexualität als in dem viel schwierigeren, polytraumatischen Feld des Vertrauens, der Geborgenheit oder der Verlässlichkeit und dem Bestreben, die alten Wunden nicht durch eine misslingende Beziehung zu vertiefen.

Schnell wurde eine typische Doppelstruktur der erotischen Kalamitäten deutlich, die mehr oder weniger bei allen Paaren auftritt:

Sie hatten sich erstens noch nie kontinuierlich, ruhig und ausführlich über ihre jeweiligen besten Liebesbedingungen ausgetauscht. Es war bei ihnen wie fast überall: Vinzenz wollte endlich mal zur Sache kommen, und Marion litt unter seinem Mangel an Zartheit und Einfühlsamkeit bei der erotischen Annäherung.

Zweitens aber gab es um diesen Kern der ungeklärten Liebesbedingungen ein geschossartiges Einfallen von schweren Störungsmomenten aus seelischen Bereichen, die nicht unmittelbar zur Erotik gehören: plötzlicher Argwohn, rasend ungeduldige Gier, die eigenen Wünsche endlich einmal erfüllt zu sehen, aufbrausende Enttäuschungswut aus kleinsten Anlässen.

So hatten sie gerade eine schöne Woche miteinander verbracht, die sie sich um ein Haar allerdings gründlich verdorben hätten: Vinzenz wurde nämlich kurz davor bestohlen – im Grunde verschmerzbar, doch mobilisierte dieser Taschendiebstahl die gesamten Verlusterlebnisse seiner Kindheit und führte zu dem entsprechenden Wutausbruch. Als Marion die Wogen mit der Bemerkung glätten wollte, seine heftige Reaktion sei vielleicht unangemessen und würde ihnen die bevorstehende schöne Woche verderben, war es natürlich um die Fassung von Vinzenz ganz geschehen. Nur die inzwischen angewachsene Erfahrenheit im Umgang mit solchen explosiven seelischen Minenfeldern und eine große Versöhnungsenergie retteten die wunderbare Woche.

Natürlich muss man bei solchen Anlässen zuerst an unbewusste Schuldgefühle denken. Doch darin waren Marion und Vinzenz schon ziemlich bewandert. Wesentlicher waren hier ungeklärte Liebesbedingungen im erotischen Feld und einfallende Störungen aus anderen Bezirken.

So waren die Möglichkeiten für dieses Paar umrissen:

Eine Serie von etwa zwanzig Zweiergesprächen zu neunzig Minuten, um ihre Liebesbedingungen ruhig zu klären.

Und zugleich eine aufmerksame Beobachtung, welche Störmomente – in diesem Falle die Verlustängste, in anderen ihr Argwohn – die Liebe sozusagen von außen torpedieren. Dazu eigneten sich besonders gut die üblichen Zweiergespräche, die sie schon seit Jahren führten.

Ein solches Vorgehen finde ich auch allgemein für Paare am günstigsten.

2«Das Verhältnis der Geschlechter ist der unsichtbare Mittelpunkt aller Handlungen»

Im Kontrast zu dieser evolutionären Erkenntnis Schopenhauers, nämlich der durchgehenden Bedeutung der Frau-Mann-Beziehung, der die ganze Menschheit ihre quantitative und qualitative Existenz verdankt und die deswegen nach wie vor jede unserer Gesten prägen muss, ist es kläglich um diese höchste menschliche Priorität bestellt. «First things first»: Fortbildung in Partnerschaft. Hier ist der Anfang von allem.

«Die Ehe ist eine Institution. Reichen die Mitarbeiter auch aus?»

Paare haben nie die Chance erhalten zu lernen, wie sie ein lebendiges Zweierleben bewahren oder entwickeln. Sie machen ihre zufällige und zerstreute eigene Erfahrung, bekommen aber nie den Zusammenhang der wenigen grundlegenden Einsichten mit, der ihre Beziehung bestimmt. Schreiben, Lesen, Rechnen haben wir jahrelang geprobt, selbst Autofahren wird gelehrt, nur das Wesentliche des menschlichen Daseins, das über die wirkliche Lebensqualität – ja nach den neueren Forschungen der Beziehungsmedizin auch über Gesundheit und Krankheit – entscheidet, ist in der Informationsgesellschaft wie vergessen. Das kann natürlich kein Zufall sein, vielmehr dürfte es einem unbewussten Widerstand entsprechen.

Kurz: Paare haben in der Regel keine Ahnung von sich selbst, sie haben andere Probleme. Wenige Stunden im Lehrplan der Schulen könnten reichen, um die so spannungsreich beginnenden Zweierverbindungen schon in der Jugend zu den zentralen, erfüllenden Erlebnissen werden zu lassen, die nachhaltig die Zukunft eines besseren Paarlebens tragen.

Den meisten entgeht auch, dass Zweierverhältnisse den Dreh- und Angelpunkt gesellschaftlicher und politischer Einstellungen bilden. Und zwar nicht nur aufgrund der leiblichen Erschaffung der kommenden Generationen, sondern vor allem, weil Elternpaare, mit denen sich die Kinder identifizieren, die psychische Struktur dieser nächsten Generation prägen und durch das weitergegebene Erleben und Verhalten etwa für Solidarität, für den Umgang mit Fremden und für konkrete politische Entscheidungen den Boden bereiten oder eben nicht. Wer die Gesellschaft ändern möchte, muss auf diese unauslöschlichen Identifizierungsvorgänge achten. Wenn es Paaren gelingt, zu sich selbst zu kommen, ist es nicht nur das Beste für ihre Kinder, sondern auch für den politischen Zustand der Nation.

Das Paar wird morsch

Mir wird heute angesichts der Paare, die aus dem deutschsprachigen Raum zu mir kommen, brennend deutlich, dass der alles entscheidende Kreislauf der Paare, die wesentliche, wechselseitige Kommunikation, allgemein zusammengebrochen ist. Das macht den morschen Kern des Paarlebens aus. Mir ist die Lage in dieser Dramatik erst nach und nach klar geworden. Eine solche Wurzel des Paarsterbens muss dynamischer und energischer bewusst gemacht werden. Die Bundesregierung fordert eine Partnerschaftsoffensive, wegen des trägen Vorankommens des Rollenwandels bei Mann und Frau. Es fehlt jedoch an konkreten politisch gestützten Initiativen. Das Paarleben hat keine Chance, wenn der wechselseitige Austausch in der heutigen Zeit voller Belastungen und Veränderungen nicht entsprechend verstärkt wird.

BEZIEHUNGSMEDIZIN

Die Beziehungsmedizin, der ich mich in den letzten Jahren verstärkt widme, betrachtet bei Gesundheit und Krankheit das körperliche und seelische Geschehen in der Perspektive der wesentlichen Bindungen eines Menschen. Die Qualität der bedeutendsten Paarbeziehung steht dabei im Zentrum. Alles spricht dafür, dass die Erfüllung oder Nichterfüllung der zentralen Bindung den langfristig mächtigsten Faktor für Gesundbleiben und Erkranken darstellt. Gute und schlechte Beziehungen haben einen ununterbrochenen, sozusagen chronischen Einfluss, der über physiologische Veränderungen beispielsweise des Kreislaufsystems oder über psychoneuroimmunologische Prozesse schließlich auch körperliche Schädigungen bewirken kann. Die Medizin ist wegen ihrer Individualorientierung weitgehend blind für diesen Zusammenhang. Er lässt sich jedoch schon bei Tieren ermitteln – wie beispielsweise Dietrich von Holst an den monogamen eichhörnchenähnlichen Tupajas Südostasiens nachwies.

Drei Forscher leisteten in meinen Augen entscheidende Beiträge auf diesem Gebiet:

James Lynch, der nachwies, dass so gut wie alle Krankheiten bei Menschen, die allein leben, doppelt bis vierfach häufiger auftreten. Das für mich erstaunlichste und ermutigendste Ergebnis ist der indirekte Befund, dass trotz der globalen Krise der Partnerschaft Beziehungen im großen Durchschnitt einen günstigen Einfluss entfalten.

James Pennebaker, der von kleinen Gruppen bis zu ganzen Stadtpopulationen die immunstärkende und gesundheitsfördernde Wirkung des «Opening-up», der Offenheit sich selbst und anderen gegenüber, entdeckte und damit die generelle Wirkung aller Gesprächspsychotherapien, einschließlich der Psychoanalyse und der Selbsthilfegruppen, sicherte.

Dean Ornish, der in eigenen Forschungen und wissenschaftlichen Recherchen jede Form der Zuwendung und Liebe als bedeutendes Heilmittel auch für den «Spender» ermittelte und daraus seine «revolutionäre Therapie» ableitete.

Für einen unmittelbaren Zugang zu dieser der üblichen Organmedizin ungewohnten Ätiologie sorgen heute am ehesten psychoneuroimmunologische Nachweise. So hat das Forscherehepaar Kiecolt-Glaser bereits den Einfluss der Beziehungsqualität auf Gesundheit und Krankheit nachgewiesen.

Der entscheidende gesundheitspolitische Schluss liegt darin, dass die Paarbeziehung und alle weiteren Bindungen – wie Freundschaften – nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für die seelische und körperliche Gesundheit verantwortlich sind und deshalb an erster Stelle entwickelt und gefördert werden müssen.

3«Das Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt»

«Nie zuvor hatten wir so wenig Zeit,

um soviel zu tun.»

FRANKLIN D. ROOSEVELT

«Das Leben nimmt dem Menschen sehr viel Zeit weg»

Von der Völkerwanderung haben die wandernden Völker nichts gewusst. So bewusstlos treiben auch die Paare im beschleunigten globalen Prozess der Veränderung von Zweierbeziehungen dahin. Je erfolgloser die große Suche nach dem Glück zu zweit bleibt, desto intensiver wird die Sehnsucht nach Erfüllung. Das ist eine von zahlreichen Paarfallen.

Liebe und Lust sind für mich Zeichen menschlicher Lebendigkeit. Sie entstehen nicht im Vakuum. Sie sind vielmehr angewiesen auf – teils genaue allgemeine, teils sehr individuelle – Bedingungen. Diese lassen sich zwar in innere und äußere aufgliedern, doch bilden beide Bereiche einen oft nur unzulänglich bewussten und wenig gewürdigten Wechselwirkungskreis.

Zu den äußeren Verhältnissen, ohne die eine entscheidende innere Bedingung, nämlich die Begegnung mit sich selbst, das heißt Selbstbesinnung, Selbstentwicklung, Selbstgewissheit und innere Balance, gar nicht möglich wäre, gehört vor allem Zeit, Zeit, Zeit. Diese Zeit muss dem Alltag entnommen, ja gestohlen werden. Im modernen Zeitmanagement-Jargon gesprochen muss man die «Zeitdiebe» ausfindig machen und selbst bestehlen. Lebendigkeit, Liebe, Erotik, Lust sind als schöpferische Initiative zuallererst eine Frage der entschlossenen Zeitinvestition. Ebendeswegen sprachen die Experten eines Zeit-Kongresses im Jahr 1999 von einem besonderen Wohlstand, der den üblichen materiellen Wohlstand, den Reichtum, an Bedeutung heute übertreffe: dem Zeitwohlstand. Er gründet in Zeitsouveränität: der Freiheit, über seine eigene Zeit zu verfügen. Sie ist schmaler, als wir meinen. Allein das Vorbereiten auf eine bessere Paarzukunft in Form des Lesens und Lernens braucht Zeit. Aber die Liebe selbst noch sehr viel mehr.

«Ich beginne den Tag mit dem Ziel, ihn ganz zu zerschlagen»

Das Gesicht des Tages muss sich ändern. Für ein besseres Zusammenleben sollte der Alltag einstürzen, das heißt: soweit es geht, reorganisiert und umstrukturiert werden. Das geht nur langsam und schrittweise. Aber schon einen Abend zu verändern kommt manchen Paaren wie eine Revolution vor. Da der Tag jedoch weitgehend bestimmt ist durch die permanente Strukturkrise der Arbeitswelt und die einflussreichen Setzungen der Massenmedienfreizeit, gehört sehr viel Energie und Phantasie dazu, mit dem Geschick der Organisationsentwicklung und dem geradezu psychoanalytischen Gespür für innerseelische Chancen und Barrieren den uns strukturierenden Alltag in die eigenen Hände zu nehmen und zu unseren Gunsten umzugestalten. «Ich beginne den Tag mit dem Ziel, ihn ganz zu zerschlagen» lautet deswegen zu Recht der Kernsatz eines Zweiergesprächs zur Selbsterkundung der besten Paarbedingungen in diesem Buch.

Zu dieser Initiative gehört eine zweifache Grundhaltung:

Die Dinge des Paarlebens zunächst anzuerkennen, wie sie sind, sie also anzunehmen (Kapitel 1).

Schon hier scheitern die meisten, die – wie eine große Untersuchung ergab – mit den beiden bevorzugten seelischen Methoden, Verleugnen und Beten, zu Rande kommen möchten. Abgesichert wird dieses unfruchtbare Vorgehen mit Idealisierung und hohen Erwartungen. Wer aber den tatsächlichen Zustand der Beziehung nicht zu sehen vermag, wird sie natürlich nicht umgestalten können.

Wer die Augen jedoch aufmacht, ist auch in der Lage, die Paarverhältnisse günstig zu verändern, die ihn im Zuge der Zeit bis in seine eigene Identität prägen und nicht nur nach Arthur Schopenhauer den «unsichtbaren Mittelpunkt aller Handlungen» ausmachen (Kapitel 2).

Wir werden so wie die Verhältnisse, in denen wir leben. Also geht es darum, unsere Verhältnisse so weit wie möglich umzugestalten. Erst schaffen wir uns eine bessere Gewohnheit. Dann lässt uns die Gewohnheit so werden, wie sie ist. Nicht von heut auf morgen, aber mit guten Aussichten auf Erfolg.

Wir wollen gern glücklich sein, aber nichts dafür tun

Blieben Sie in dieser Haltung stecken, könnten Sie das Buch getrost zuklappen. Diese erste Barriere – die resignative Passivität – ist nachgewiesenermaßen mit dem Unglück im Paarleben verknüpft – fachsprachlich: das «passive Coping». (Der englische Ausruck «to cope with» heißt: mit etwas Schwierigem «zu Rande oder zurechtkommen».) Man lässt die Dinge einfach liegen, kehrt sie nicht einmal unter den Teppich. Das ist der Hauptbeitrag zur lebenslänglichen Unzufriedenheit zu zweit.

Es gibt jedoch im Paarleben auch eine andere Form, mit den Ereignissen – vor allem mit den Belastungen – umzugehen. Sie ist mit dem Glück des Zweierdaseins verbunden: das angemessene Coping. Dieses besteht aus zwei wesentlichen aktiven Anteilen: Erstens ergreife ich selbst die Initiative, wenn ich etwas klären möchte, und warte nicht mit stillem Vorwurf auf den anderen. Zweitens fordere ich ihn zu etwas Bestimmtem auf: nämlich mit mir über die Angelegenheit zu sprechen.

Seit dreißig Jahren widme ich mich schwerpunktmäßig der Psychoanalyse der Paarbeziehung. Der spezifische Beginn war ein großes wissenschaftliches Projekt von 1971 bis 1981, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zur Entwicklung der Paargruppenanalyse. Die Gruppenarbeit mit Paaren ist bis heute meine Hauptpraxis geblieben. Die Paare kommen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zu ihrer jeweiligen Selbsterfahrungsgruppe im Sinne einer Fortbildung in Partnerschaft. Vier Sitzungen finden einmal monatlich an einem Wochenende statt. Die Teilnahmedauer reicht von zwei bis zu sechs Jahren. Ich gewinne dadurch eine ungemein detaillierte Einsicht in die Dynamik der Paare, in ihre Wohn- und Schlafzimmer. Zu insgesamt vier Paargruppen gesellen sich seit anderthalb Jahrzehnten regelmäßige Zweiergesprächsseminare in mittlerweile mehr als zehn Städten. Auch die Paare in den Gruppen führen übrigens diese Zwiegespräche parallel zum Gruppenprozess durch. Dieses doppelgleisige Verfahren erhöht den Wirkungsgrad sowohl des professionellen wie des eigenständigen Weges und spart Zeit wie Kosten. Seit zwei Jahren kommen Wochenendkurzgruppen für Paare hinzu, in deren selbstgesteuerten Prozessen sich nahezu hundert Grundeinsichten des Paarlebens vermitteln. Von diesen Einblicken lebt auch das vorliegende Buch.

Ein Dilemma, in das ich sowohl als nicht-direktiver Analytiker wie als jahrzehntelanger Begleiter von Selbsthilfegruppen geriet, lässt sich etwa so umschreiben: Das Durcharbeiten der Konflikte, Defekte und Beziehungsstörungen mit dem fortlaufenden Gewinn an Einsichten reicht nicht aus, wenn es keine Zielvorstellungen gibt, wie eine gute Beziehung aussehen soll. Erstens muss der Analytiker selbst sein eigenes Paarbild überprüfen, sozusagen sein Arbeitsmodell, zweitens muss er dieses Vorbild auch vermitteln können. Und das ist sehr mühselig, weil es sich aufgrund der persönlichen Verwicklungen und Beeinträchtigungen der Paare – ganz zu schweigen vom Analytiker – nicht ohne weiteres kognitiv lernen lässt, es muss sozusagen von innen her, am eigenen Leibe erfahren werden.

«Nur wer die Liebe meidet, kann dem Schmerz entgehen»
Vom Zulassen eigener Verwundbarkeit

«Nur wer die Liebe meidet,

kann dem Schmerz entgehen.

Es kommt darauf an, aus ihm zu lernen

und weiterhin durch Liebe verwundbar zu sein.»

JOHN BRANTNER

Die vielleicht stärkste innere Behinderung des offenen Umgangs mit sich selbst und anderen und damit die mächtigste Beeinträchtigung, sich dem Thema eigener Lebendigkeit und Liebe zuzuwenden, ist am besten mit einem einzigen Wort umrissen: Verletzung.

Ich meine die inneren seelischen Verwundungen der frühen Kindheit, sofern wir mit ihnen nicht gut zu Rande kamen, sie nicht als Herausforderungen erlebten oder nicht von schützenden Beziehungen begünstigt waren. Nirgends wird so viel vor sich selbst vertuscht wie in diesem Bereich innerer Schmerzen. Als Antwort auf diese Wunden, die mehrheitlich durch ein enttäuschendes, wenn nicht schädigendes Beziehungsklima zu Mutter, Vater oder anderen Bindungspersonen entstanden sind, entwickelten wir einen inneren Schutzpanzer, eine Isolierschicht gegen die zwischenmenschliche, seelische Kälte. Leider aber wirkt sich diese Isolation später in demselben Sinne gegen warmherzige Beziehungen aus. Wir lassen die anderen nicht an uns heran – und finden schließlich auch selbst keinen Zugang zu uns selbst.

Wer nicht psychoanalytisch orientiert ist, unterschätzt den prägenden Einfluss der ersten Beziehungen auf alle später folgenden. Sie wiederholen das alte Trauma. Dies aber hat einen Sinn: Nicht der Wiederholungszwang ist das Entscheidende, sondern die Hoffnung, den einstigen und nunmehr re-inszenierten Schaden in einer anderen inneren und äußeren Situation wenigstens lindern zu können, die unerledigte Aufgabe also ein Stück weiter zu lösen. Gelingen trotz der Altlast gute Beziehungen, haben sie eindeutig heilende Wirkung – für beide übrigens. Misslingen die späteren Beziehungen jedoch, verschlimmern sie die Störung. Ich widme mich, wie erwähnt, schwerpunktmäßig der Beziehungsmedizin, die den Zusammenhang von Beziehungsqualität und körperlicher Erkrankung erkundet. Auch auf diesem Gebiet werden meinem Empfinden nach die Beziehungen an sich idealisiert, das heißt geschönt. Gute Beziehungen sind ein Himmel auf Erden, schlechte aber ebenso eine Hölle. Und diese Finsternis macht langfristig krank.

Worum geht es im Kern? Wer seine Verletzungen abheilen lassen möchte, muss sich ihnen öffnen. Erst dann können sich langsam die Wunden schließen. Das Zulassen der eigenen Verwundungen und der eigenen Verwundbarkeit steht somit im Zentrum einer glücklichen Beziehung. Das ist für viele ein zu starkes Stück. Ich erinnere mich noch genau an jenen Moment, als mir der große Unterschied zwischen meinen Erwartungen und denen der Paare, die zu mir kamen, deutlich wurde.

Der Wendepunkt: Verwundbar statt unverwundbar werden

Die meisten Menschen haben die Vorstellung, wenn sie eine Therapie beginnen, dass sie am Ende unverwundbar herauskämen, dass sie in der Behandlung gleichsam ein Bad im Drachenblut nähmen. (Aber auch dieses Siegfriedvorhaben bringt ja eine zentrale verwundbare Stelle, das Blatt im Rücken, mit sich.)

Beim Abschied einer mehrjährigen Paargruppe merkte ich nun, dass ich eine ganz andere Vorstellung habe, die mir damals selbst noch nicht so vollständig bewusst war. Sie lautet: Durch die Liebe verwundbar zu bleiben. Das sind zwei extreme Gegensätze in den Erfolgshoffnungen, die auch im professionellen Bereich aufzeigen: Meine Beziehung ist nicht deine Beziehung, obwohl es keine andere ist. Der Motto-Satz von John Brantner auf Seite 29 bezieht sich direkt darauf. Er meint die Fähigkeit, zu leiden und zu trauern und die Rüstung vor den eigenen Schwächen fallen zu lassen. Das ist kein Entschluss von heut auf morgen, sondern ein langwieriger, wenn auch wohltuender Reifeprozess.

«Auch ein Weg von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt»

Es war für mich bestürzend, nach und nach gewahr zu werden, dass es so gut wie keine Basis grundlegenden Wissens bei Paaren gibt. Darum ist dieses Buch den Fundamenten eines guten Paarlebens gewidmet:

Gewidmet der Setzung eines Zieles für beide, nämlich den besten persönlichen Paarbedingungen, die ja erst einmal bewusst erarbeitet werden müssen (Kapitel 5).

Gewidmet der alles andere überragenden Konfliktfähigkeit, die mit der meist unbekannten Definition eines Konfliktes beginnt (Kapitel 6).

Gewidmet den neun bedeutendsten Einsichten, BIG NINE, in die Dynamik des Paarlebens (Kapitel 7).

Aber auch die schönen Einsichten sind nichts wert, werden sie nicht umgesetzt. Dieses Transferproblem gilt nicht nur für Neujahrsvorsätze, sondern auch für so gut wie alle Psychotherapien. Allein deswegen – weil nämlich die gewonnenen Erkenntnisse auch in der realen Situation ständig eingeübt werden müssen – ist ein expertenunabhängiger, alltagsbegleitender Weg zu entwerfen. Er hat darüber hinaus den Vorzug, sich sehr präzise nach den aktuellen, ganz spezifischen Bedürfnissen richten zu können, die von Paar zu Paar und oft genug von Tag zu Tag unterschiedlich ausfallen.

Als konkretes Werkzeug sind die wesentlichen Dyaloge entworfen, deren Anwendungsbreite in allgemeinen und besonderen Zweiergesprächen viele verblüfft (Kapitel 8). Von der politischen Anwendung in deutsch-deutschen Zwiegesprächen bis zur Belebung des brachliegenden Liebeserlebens in erotischen Zwiegesprächen reicht das Panorama der Selbsterkundung. In diesem Buch geht es um eine weitere dringend notwendige Fokussierung: Wie sehen meine besten persönlichen Bedingungen für meine Lebendigkeit, meine Liebe, meine Lust aus? Die Verlockung liegt in der Antwort auf die Frage, was sie denn bringen.

In zahlreichen Windrosen der Wirkungen (Kapitel 9) werden die Gewinne dieser Selbstnavigation aufgezeigt, die im Übrigen für den gesamten Bereich der professionellen Psychotherapie wie auch für jede gute individuelle Lebenserfahrung gültig sind.

Ein authentisches, ungekürztes, themenzentriertes Zwiegespräch bietet einen Einblick, wie es gemacht werden könnte (Kapitel 11).

Danach folgt ein in den Seminaren begehrter Ansatz, mit einer heiklen Lage im Paarleben konstruktiv verstehend statt destruktiv moralisch umzugehen: der aushäusigen Verliebtheit, die selten einem Paar erspart bleibt:

Die Hebung des Schatzes der Eifersucht (Kapitel 12). Sie ist neben der Konfliktlösung ein Paradebeispiel für etwas, was ich psychoanalytische Instrumente nenne. Darunter ist ein halbstrukturiertes Vorgehen zu verstehen, das auf dem Hintergrund psychoanalytischer Einsicht auch von Laien durchgeführt werden kann.

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Damit ist nun das Quartett der Zwiegesprächsbücher vollzählig. Es war von Anfang an mein Ziel, mit diesen Beiträgen zu den wesentlichen Dyalogen den Entwicklungsweg von ungelernten zu gelernten Paaren zu fundieren:

«Die Liebe ist ein Kind der Freiheit» enthält neben grundlegenden Beiträgen zur brachliegenden erotischen Kultur – beispielsweise zum multiorgasmischen Mann – den Aperitiv über Zweiergespräche, einen Briefessay an eine Freundin, der sich in etwas mehr als zwanzig Minuten liest und sich deswegen für besonders widerständige Partner als schnelle Einführung eignet.

«Die Wahrheit beginnt zu zweit» ist das Handbuch für die wesentlichen Dyaloge.

«Worte der Liebe» ergab sich aus der Aktionsforschung in Zwiegesprächsseminaren und greift in fünf vollständigen Zwiegesprächen eine Tabuzone auf: die mundtote und daher unmündige Liebe, die sich nicht entwickeln lässt, wenn beide sie ausschweigen.

«Gelegenheit macht Liebe» setzt dort an, wo nichts mehr ist: Der Mangel an Zeit und Raum, an Kenntnissen und Erfahrungen, an selbst gesetzten Chancen und guten Gewohnheiten soll und kann behoben werden.

Der Dritte Weg: Selbstentwicklung und Expertentum erhöhen im Verbund wechselseitig ihren Wirkungsgrad

«Immer wird es Eskimos geben, die den Eingeborenen von Belgisch-Kongo Verhaltungsmaßregeln für die Zeit der großen Hitze geben werden.»

STANISLAW JERZY LEC

Hinter diesen Arbeiten steht eine Ethik und Strategie, die ich den Dritten Weg nenne. Es wird keine sinnvolle Zukunft unter Menschen geben, wenn es uns nicht gelingt, zum puren Expertentum, das sich allzu häufig dem alltäglichen Leben der Menschen entfremdet, und zur reinen Selbstentwicklung, die sich aus Mangel an Kenntnissen die eigene Lage unnötig schwer macht, eine ergebnisreiche Integration der beiden Verfahren zu entwerfen, deren Potenz darin liegt, den Schwung der eigenen Initiative mit lösungsorientiertem Fachwissen der Professionellen zu einem wechselseitig höheren Wirkungsgrad zu verbinden. Die Massenmedien erfüllen bereits weitgehend diese Aufgabe, soweit sie Leser und Zuschauer heute mit entsprechend gut recherchierten Sachinformationen versehen. Öffentlichkeitsarbeit wird von Fachleuten zur Zeit energisch gefordert und hoch bewertet. Für die Therapie heißt dieser Ansatz: Konsequenterweise sollten alle psychotherapeutischen Behandlungen parallel begleitet werden von einem Selbstentwicklungsweg, der über die unentwegte, unüberschätzbare, aber auch unverbindliche innere Selbstreflexion hinausgeht. Das geschieht am einfachsten und ergebnisreichsten durch die Anwendung eines «seelischen Werkzeuges», das heißt des vereinbarten, kontinuierlichen Dyalogs mit dem Partner, einem Familienangehörigen oder im Freundeskreis. Das Quintett der Vorzüge liegt auf der Hand:

Fünf Vorzüge des Dritten Weges

So erzielt gewonnenes Wissen eine ungewöhnliche Breitenwirkung, die knappe Expertenenergie einen höheren Wirkungsgrad und die Interessierten wie das Gesundheitswesen eine überraschend hohe Einsparung von Kosten und Zeit.

So wird am klarsten das lange vergessene, bedeutendste Medikament realisiert, die menschliche Beziehung, die jenseits von Psychoanalyse und Psychotherapie durch psychoneuroimmunologische Forschungen zur Zeit einen ungewöhnlichen Aufschwung erlebt – James Lynch mit «Das gebrochene Herz», James Pennebaker mit «Opening up», Bill Clintons Arzt Dean Ornish mit «Die revolutionäre Therapie. Heilen mit Liebe» und viele andere wirken in diesem – verständlicherweise wenig lukrativen – Bereich der Beziehungsmedizin.

So wird am besten das bereits angesprochene Transferproblem gelindert, die mangelnde Umsetzung der Einsichten im Alltag.

So wird am wirkungsvollsten – nach einem berühmten Wort von Sigmund Freud – aus einer endlichen eine unendliche Analyse, weil der Reichtum des im professionellen Rahmen Entdeckten nach der Therapie häufiger erinnert, wiederholt und durchgearbeitet werden kann.

Und so wird schließlich der günstigste Beitrag für die zentralen seelischen Eigenschaften der nächsten Generation geleistet, sofern die am Dritten Weg Interessierten Eltern sind oder sein wollen.

Sowohl als Psychoanalytiker wie als Selbsthilfegruppenengagierter bin ich ein «Begleiter der Selbstklärung». Indem ich nun zu wesentlichen Dyalogen ermutige und befähige, realisieren mit mir alle Interessierten an zentraler Stelle, am generativen Ort der Gesellschaft, im Paar nämlich, einen Auftrag, den der große Soziologe Norbert Elias, jenseits seines neunzigsten Lebensjahres, entscheidend für das Schicksal der Menschheit ansah: Alles werde davon abhängen, meinte er in einem Interview, ob es den Menschen gelingt, sich wechselseitig zu identifizieren. Dies geschieht nur über den dyalogischen Weg. Er geht aus von der Zweierbeziehung und kehrt durch Einüben zurück in die Zweierbeziehung. Das ist das vergessene Politikum der Intimität.

Psychotherapeuten sind viel mehr moralische Aktivisten, als ihnen bewusst und lieb ist

Kein Experte fühlt, denkt, forscht oder vermittelt wertneutral. So habe auch ich selbstverständlich meine Ethik – die mich allerdings auch nicht ganz vom üblichen andromorphen, kapitalistischen Eurozentrismus befreien kann. Statt sie verschwiegen auszuklammern, bedeutet es mir viel, sie den Menschen offen zu legen, mit denen zusammen ich an ihrem eigenen Lebensweg arbeite. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich keiner Beziehungsbewahranstalt vorstehe, ich meine auch nicht, ein verbittertes, enttäuschtes Paar solle sich besser gleich trennen. Vielmehr geht es für beide darum, in intensiver, feiner Entwicklungsarbeit herauszufinden, ob sie zusammenbleiben oder sich lieber trennen wollen. Es gibt dabei die seltsamsten und auch von Experten nicht vorherzusehenden Paarverläufe: Partner, die sich trennen wollen, werden glücklich; zur Wahrung ihrer Ehe fest Entschlossene gehen schließlich neue, eigene Wege. In der Paar- und Eheberatung wirkt sich die Moral des Experten durchdringend aus. Das sollte jeder wissen, der Experten aufsucht. Allerdings lässt sich die persönliche Ethik nicht so einfach in Paragraphen wiedergeben. Sie ist in jedem Satz als Atmosphäre enthalten. Ja, sie kreiert den Satz selbst. Ein Psychotherapieforscher formulierte: «Wir sind viel mehr moralische Aktivisten, als uns lieb ist.» Helmut Thomä und Horst Kächele schreiben in ihrem maßgeblichen Psychoanalyse-Lehrbuch: «Ihre therapeutische und aufklärerische Funktion kann die Psychoanalyse nur im Rahmen wertender Stellungnahmen von Therapeuten erfüllen.»

Zwei Partner sind nur dann im Gleichgewicht, wenn sie gleiches Gewicht haben

Zu meiner Ethik gehört auch das Fundament des dyalogischen Ansatzes: Die Selbstbestimmung der Partner entscheidet. Das schmeckt nicht jedem Paterfamilias, aber auch nicht jeder Frau, die in sechs von zehn deutschen Paarformationen die Hierarchie anführt. Die Fähigkeit, sich selbst zu zweit zu erkunden, ist deswegen vor allen anderen Einsichten das erste Ziel. So fördere ich in den Paargruppen zuerst die parallel laufenden, häuslichen Zweiergespräche, bevor ich mich den zahllosen Konflikten zuwende, deren Gros durch Mangel an wechselseitigem Austausch herangewachsen ist.

Aus der Selbstbestimmung folgt, dass zwei Partner nur dann im Gleichgewicht sind, wenn sie gleiches Gewicht haben. Das beinhaltet die Finanzbalance und den Lastenausgleich von Arbeits- und Lebendigkeitschancen.

Maskierung und Enthüllung der Experten durch ihr Konzept

Leicht ist zu erkennen, dass die Ethik ins Konzept eingegossen ist. Auf dem Gebiet der analytischen Gruppentherapie, der ich mich seit 1977 theoretisch und praktisch besonders widme, wurde mir deutlich, dass jedes der zwölf weltweit verbreiteten, unterschiedlichen analytischen Gruppenkonzepte seinen Widerstand unsichtbar in die Grundperspektiven eingebaut und damit dem kritischen Blick entzogen hat. So gibt es Psychoanalyse in der Gruppe, durch die Gruppe und die Psychoanalyse der Gruppe. Genau die gleichen Auffassungsformen existieren der denkbar kleinsten Gruppe gegenüber, dem Paar.

Ich möchte zur Illustration meines Konzepts nur drei Momente herausgreifen:

Jedes Detail trägt das Ganze in sich: der holografische Gesichtspunkt

Jede Zeit hat ihre Gleichnisse, die sie dominanten Wissensgebieten entlehnt. Sigmund Freud folgte oft einem hydrodynamischen Prinzip bei dem Versuch, innerseelische Vorgänge sichtbar zu machen. Mir scheint unstrittig, dass von der klassischen Psychoanalyse, der wir das gesamte Fundament der Seelenkunde verdanken, die interpersonelle (zwischenmenschliche) Wechselwirkung so gut wie übersehen wurde. Manche sagen, die Psychoanalyse sei eine Einpersonenpsychologie. Das ist nahezu tragikomisch, weil innerhalb der therapeutischen Situation die unbewusste Wechselwirkung in Gestalt der Übertragungs-Gegenübertragungs-Prozesse im hochdifferenzierten Zentrum der Behandlungslehre stehen. Henry Dicks entdeckte das unbewusste Zusammenspiel, fachsprachlich: die Kollusion, die Jürg Willi mit seinen einprägsamen Büchern bei uns weithin bekannt machte.

Der holografische Ansatz geht noch darüber hinaus und heißt im Kern: Jedes Detail trägt das Ganze in sich. Die Frage, die ich stelle, die Antwort, die ich gebe, der Traum, den ich träume, die Entscheidung, die ich fälle, die Haltung, die ich einnehme – alles, was im Paarleben geschieht, jedes Erleben eines Ereignisses, kann nur verstanden werden, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass es aus dem Ganzen stammt und das Ganze illustriert, nicht aber, wie üblich, ausschließlich in Ich-hier und Du-dort aufgespalten werden kann. So geht es im Zweierleben weniger darum, aus dem Zusammenhang gerissene Puzzlestücke zusammenzutragen, als vielmehr darum, zu verstehen, welche Bedeutung, welche Botschaft hinter einer Einzelheit steht – etwa dem gehüteten Geheimnis, dem eigenen Traum, der aushäusigen Verliebtheit, dem Vorwurf. Diese Blickbahn ist selbst für die meisten Experten ungewohnt. Das Paarleben besteht aber nicht aus der Wechselwirkung zweier sorgfältig voneinander getrennter Individuen – wie man es gern sieht –, sondern aus einem Magnetfeld mit zwei Dipolen, die beide das Gesamte in sich tragen. Das Selbst des Ich und das Selbst des Du bleiben keine vorgegebenen Größen, vielmehr stellen sie sich wechselseitig her. Die deutlichen Unterschiede zwischen dem Ich und dem Du ergeben sich nur durch die Brechung derselben Ereignisse auf dem Hintergrund einer anderen Lebensgeschichte.

Eine Trauer, welche die Matrix (die Gesamtheit) der beiden Partner bewegt und ihr aktuelles unbewusstes Thema ausmacht, kann beim einen zur gehässigen Abwertung, beim anderen zur autistischen Sachlichkeit führen. Der gemeinsame Nenner ist der Konflikt zwischen der Trauer und der Tendenz, sie etwa aus Angst vor zu großer Schwächung abzuwehren.

Kurz: Im Gegensatz zu aufspaltenden, detaillierenden Konzepten besteht die holografisch gesehene Wirklichkeit aus Einheiten, die jeweils das Ganze in sich tragen, und nicht aus Einheiten, die erst das Ganze zusammensetzen. Das bezieht sich übrigens schon auf einen Dachziegel, der so beschaffen ist, dass man mit ihm bauen kann. Der entscheidende Nachteil der verbreiteten Splitting-Konzepte liegt in einer irrealen Verkürzung: Man kann den Sinn, das Ziel des Ganzen nie erkennen und somit den Zusammenhang nie theoretisch begründen. Auf die weiten philosophischen Folgen will ich hier nicht eingehen.

Glück und Unglück erzeugen sich wechselseitig

Am einfachsten und schönsten fasste Laotse diese wechselseitige Erzeugung der Gegensätze, die unvermeidliche Polarität des menschlichen Lebens, in seine Verse: