Generation Geil - Katharina Weiß - E-Book

Generation Geil E-Book

Katharina Weiß

4,4
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn es um die Jugend von heute geht, kennt Katharina Weiß sich aus, denn mit ihren 15 Jahren gehört sie selbst dazu. Für dieses Buch hat sie 20 Jugendliche zwischen 15 und 17 aus den unterschiedlichsten Milieus interviewt: Stubenhocker und Partypeople, Überflieger und Problemschüler, Großstadtkinder und Teenager vom Land. Sie hat ihnen Fragen zum Leben, zur Liebe, zu ihrem Alltag und zu ihren Träumen gestellt: Wie kommst du in der Schule zurecht? Wie und wie häufig gehst du feiern? Wann hattest du zum ersten Mal Sex? Was erhoffst du dir von deiner Zukunft? Herausgekommen sind 20 authentische Porträts, die einen spannenden und ehrlichen Einblick in die Köpfe der Jugendlichen in Deutschland bieten. Eine Muss-Lektüre für alle, die die junge Generation besser verstehen lernen wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 372

Bewertungen
4,4 (18 Bewertungen)
9
7
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Katharina Weiß

Generation Geil

Jugend im Selbstporträt

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Für alle, die zur Generation Geil gehören, für Angie und Elke und David Hasselhoff

Vorwort

Die ersten Texte dieses Buches entstanden aus einer ganz normalen Party-Situation heraus. Es war eine große Geburts­tagsfeier, und dementsprechend waren ziemlich viele Leute aus unterschiedlichen Freundeskreisen anwesend, die man schwer einzelnen Style und Szenegruppen zuordnen konnte. Mit einigen war ich befreundet, andere sah ich zum ersten Mal. Die Musik reichte vom üblichen Housemix über Kanye Wests Soft-Rap und diverse Features von Timbaland bis hin zu den Ärzten und vereinzelten Stücken aus dem Metal- und J-Rock-Bereich.

Es wurde getan, was Teenager beim Feiern eben so tun. Manche Mädchen – die einen mehr, die anderen weniger züchtig bekleidet – tanzten vor dem DJ-Pult, entweder mit Freundinnen,­ dem Freund oder einer neuen Bekanntschaft. Die meisten­ Jungs, die nicht gerade auf der Tanzfläche oder in einem der Neben­räume mit einem Mädchen zugange waren, standen um die Bar herum. Einige waren mit Trinkspielen beschäftigt, ein paar weitere zankten sich mit dem DJ über dessen Musik­geschmack und wieder andere kümmerten sich um Freunde, die an diesem Abend zu viel getrunken hatten oder mit sonstigen emotionalen Problemen kämpften. Wir tanzten, tranken, flirteten, lachten, feierten, lebten.

Und irgendwann bekam ich mit, wie mehrere Jungen und Mädchen über das Medienbild der Jugend philosophierten. Ich setzte mich zu ihnen und hörte zu. Alle waren sich einig, dass un­sere Generation in den Medien auf eine Art und Weise inszeniert wird, die unfair und unberechtigt ist. Die Situation war ziemlich skurril, da die Umstände dieser Unterhaltung eigentlich genau dem Klischee entsprachen: Wir waren jene frühreifen Teenager ohne Beaufsichtigung, die verantwortungslos Alkohol und an­dere Rauschmittel konsumierten. Aber auch nachdem jemand dieses Argument in die Runde geworfen hatte, blieben alle bei ihrer Meinung.

»Wir wissen eigentlich ganz genau, was wir tun«, sagte ein Mädchen dazu. »Die einen übertreiben es halt öfter als die an­deren. Und wir denken mehr darüber nach, als unsere Eltern vermuten. Denn eigentlich wollen wir doch nur keine Zeit ver­schwenden. Wir wollen es jetzt tun, bevor es zu spät ist.«

»So verantwortungslos, wie wir jetzt sind, werden wir nie wieder sein«, stimmte ein Junge namens Leon zu. »Und das ist gar nicht mal negativ gemeint. Von solchen Erfahrungen kann man sein ganzes Leben lang profitieren. Ein Mensch, der als Jugendlicher nie einen peinli­chen Absturz erlebt oder einen Film mit FSK 18 angesehen hat, wird sich später bestimmt mal fragen, ob er nicht was verpasst hat.«

Irgendwann kam die Frage auf, was uns, die Jugendlichen des beginnenden 21. Jahrhunderts, charakterisiert. Und an diesem Punkt fiel mir ganz stark auf, wie wenig wir uns einigen konnten. Mal abgesehen von neu aufgekommenen Stilrichtungen im Mode- und Musik-Bereich fanden wir keine Linie, keine Ideale oder Denkweisen, die wirklich alle teilen konnten. Es gab keine Vorstellung von einem Lebensentwurf, dem die Mehrheit unserer Runde zustimmte.

Viele aus unserer Elterngeneration konnten in ihrer rebellischen Jugend in den späten Sechzigerjahren nichts mit der Vor­stellung anfangen, in geordneten Verhältnissen in einer Vorstadt-Spießer-Harmonie zu leben. Freie Liebe und das wilde­ Leben waren das Motto. Aber heute ist das nicht unbedingt so. Eines der Mädchen in die­ser Runde – in diesem Buch heißt sie Hanna – wünscht sich ge­nau diese Harmonie und Stabili­tät,­ die ihre Eltern so ablehnten, eine Vorzeigefamilie und ein Vorstadtreihenhaus. Leon war überraschend realistisch, er sagte, dass das Geld die Welt regiert und dass Egoismus in der Jugend durchaus seine Daseinsberechtigung hat. Und ein Mädchen namens Sonja schien generell nicht viel von unserer Philosophie-Session zu halten: »Ich will einfach vor mich hin leben und nicht über das Warum, Wieso, Weshalb nachdenken. Ist zu anstrengend.«

So entstanden die ersten drei Porträts für dieses Buch. Die Unterschiedlichkeit dieser Aussagen und Weltanschauungen­ fas­zinierte mich. Gespräche mit Lehrern und anderen Erwach­senen zeigten mir zudem, dass es viele Fragen an uns Jugendliche­ gibt und viele Vorurteile, die nicht immer berechtigt sind. Themen­ wie Gewalt, Alkoholmissbrauch und Wohlstandsverwahrlosung sind nur Teilaspekte, da gibt es noch so vieles mehr. Man muss die Jugendlichen nur fragen. Und das habe ich getan.

Für mich als 1994 Geborene war es sicher leichter als für viele Er­wachsene, einen Einblick in die unterschiedlichen Einstellungen und Überzeugungen der »Jugend von heute« zu bekommen. Ich habe mich mit Freunden und Bekannten unterhalten und Inter­views mit völlig fremden Jugendlichen geführt. Ich sammelte flüchtige Gedanken, bunte Zukunftsträume, euphorische Aus­sprüche, fragwürdige Theorien, realistische Einschätzungen, Erkenntnisse langer Nachmittage und durchfeierter Nächte.

Dabei herausgekommen ist dieses Buch. Zehn Jungen und zehn Mädchen berichten von ihren Erfahrungen, ihrem Alltag, ihren Problemen und ihren Wünschen für die Zukunft. Es geht um Themen, die jeden, der jung ist oder es einmal war, schon beschäftigt haben: Zeitgeist, Freundschaft, Verantwortung, Lifestyle, Liebe, Sex, Identität und die Frage nach Gott.

Generation Geil ist der Versuch, das Lebensgefühl einer Gene­ration festzuhalten, über die viel diskutiert wird, die aber selten zu Wort kommt. Der Titel lehnt sich an die Reizwörter­ an, die in den Medien oft hinter dem Begriff »Generation« ­stehen – »Generation Porno« oder »Generation Doof«, um nur zwei zu nennen. »Geil« ist ein Wort der Extreme, prägnant und provoka­tiv. Von Eltern sehr ungern gehört, benutzen wir es für fast alles, was uns begeistert.

Dieses Buch ist als liebevolles Selbstporträt zu verstehen, als ein Denkmal dieser Generation in all ihren fantastischen Facetten.­ Es erzählt von der Freiheit der Jugend und den magischen Momen­ten des Lebens, aber auch von heimlichen Ängsten­ und negativen Erfahrun­gen. Die zwanzig Mädchen und Jungen, die in Generation Geil zu Wort kommen, bedeuten mir sehr viel, denn ich teile ihre Gedan­ken und Gefühle. Ihre Geschichten sind auch meine, oder könnten meine sein. Es ist meine Generation.

Katharina Weiß

Eine Generation von Nachtmenschen

Leon (15 Jahre)

Ich glaube an den alten Mann mit dem weißen Bart. Irgendjemand muss sich das ja alles ausgedacht haben. Und Jesus war auch cool. One Love, Peace and Harmony. Es gibt zwar verdammt viele Argumente gegen seine Existenz, aber am Ende bleibt es doch immer Glaubenssache: Liebe, Sinn, Leben und Tod.

Ich bin wirklich gläubig, auch wenn ich nicht häufig bete. Höchstens in Notsituationen: »Lieber Gott, bitte lass mich keine­ Sechs in der Klassenarbeit haben!« oder »Herr, bitte lass die geile Tussi da hinten nicht gesehen haben, wie ich mir gerade den Drink über die Hose gekippt habe!« Er hat bestimmt Verständnis für solche kleinen Stoßgebete.

Mit ein paar guten Freunden lag ich neulich auf meinem Balkon und sah in den Sternenhimmel. Das machen wir öfter, auf dem Balkon liegen und philosophieren, über das Leben, die Liebe, den Tod. Wir suchen nach einem Sinn, und ob wir ihn finden, ist ungewiss.

»Vielleicht ist ein Sinn auch gar nicht so wichtig«, meinte ein Kumpel, »allein das persönliche Glück zählt. Liebe ist nichts als ein Urtrieb, und dieses Leben ist eh alles, was wir haben.«

»Aber ohne Sinn wäre es umsonst«, entgegnete ein anderer, »und die Liebe ist das Wichtigste überhaupt.«

»Ich glaube, der Tod ist noch viel mehr als das Leben«, warf ich ein. Ich fände es schön, wenn wir alle eine unsterbliche Seele­ hätten und nach unserem Tod als ewigjunge Engelchen im Himmel umherflattern könnten. Wenn wir unsere geliebten Erdengefährten wiedersehen könnten und auch alle anderen Menschen, die vor uns gelebt haben. Ich könnte mit Kurt Cobain und Marilyn Monroe plaudern, und Elvis und John Lennon wären meine besten Freunde. Im Himmel wären wir alle gleich, es gäbe kein Leid, kein unerfülltes Begehren, keine bösen Absichten und keine unerwiderte Liebe. Nur gute Erinnerungen.­

Es könnte ebenso gut sein, dass sich mit unserem letzten Atemzug jegliches Bewusstsein verflüchtigt und sich alles im Nichts auflöst. Oder dass unsere Seele wie ein Tropfen ins Meer fällt und wir in einem Ozean aus Licht und Wärm aufgehen. Oder ich lande in der Hölle, sprich auf einem Konzert von Hansi Hinterseer. Wobei ich zu Gott bete, dass es nicht so weit kommt.

Meine Freunde haben da andere Vorstellungen, aber die Möglichkeiten sind ja auch unendlich. Ich glaube an Gott, aber ich glaube nicht, dass er so verklemmt ist, wie manche behaupten. Ich verstehe ihn ja auch nicht immer. Aber je mehr ich es versuche, desto leichter fällt es mir.

Für mich haben Sexualität und Spiritualität eines gemeinsam: Ihre Entdeckung gehört zum Erwachsenwerden dazu. Genauso, wie ich eines Tages den G-Punkt meiner zukünftigen Freundin finden werde, werde ich auch Gottes wahre Absichten herausbekommen. Vielleicht ist er ja auch gar nicht so sehr wie Gandalf, sondern eher wie Peter Pan. Oder »er« ist ein langbeiniges Topmodel. Ich werde es ja sehen, in siebzig Jahren oder so.

Abgesehen von der Gottesfrage finde ich es wichtig, dass unsere Religion erhalten bleibt. Die Traditionen der christlichen Kirche sind bis zu zweitausend Jahre alt, die dürfen wir nicht einfach in einem Anflug von Rebellion zerstören. Die Kirchen­sprache Latein dagegen finde ich total gruselig. Ich sollte sie eigentlich können, immerhin lerne ich sie seit fünf Jahren – leider komplett erfolglos. Wenn man mit seinem Wörterbuch mühsam Cäsar übersetzen muss, ist auch nicht viel Schönes an ihr. Aber trotzdem ist diese Sprache faszinierend. Sie wird mich überleben, und vermutlich auch viele Generationen nach mir.

Ganz im Gegensatz zu unserer normalen deutschen Sprache – die verändert sich laufend. Es kommen neue Wörter hinzu, andere geraten in Vergessenheit. Besonders die Jugend­sprache ist im ständigen Wandel. Klar, man will sich ja was Neues einfallen lassen. Ich finde das überhaupt nicht schlimm, auch wenn es zu einigen Missverständnissen führt. Für »betrunken« haben wir derart viele Synonyme, dass ich teilweise selber gar nicht mehr durchblicke. Zeigervoll, stramm, storno, monsterdicht, zu, voll, breit, hackedicht oder auch nur hacke und raben. Warum auch immer, raben!

Und »cool«ist heute keineswegs mehr so aktuell. »Geil«ist gewissermaßen das neue »cool«. Geil ist alles, was uns gefällt. Erwachsene haben immer noch ein paar Probleme mit diesem Wort, vor allem, weil es früher einen vulgären Beiklang hatte. Aber heute ist das nicht mehr so. Diese Bedeutung nimmt jetzt das Wort »spitz« ein – »spitz« ist das neue »geil«.

Das Allerschlimmste wäre einfach, als absoluter Beginner zu enden. Und damit ist nicht die Combo von Jan Delay gemeint. Absolute Beginner sind Männer ohne sexuelle Erfahrungen – und so ein Leben stelle ich mir ziemlich tragisch vor. Und das obwohl ich selbst noch Jungfrau bin – oder vielleicht gerade deshalb. In Holland gibt es eine Therapie, die diesen Männern hilft. Da führt einen eine ausgebildete Therapeutin in die Materie ein; in der ersten Sitzung wird das Problem besprochen, danach darf der Patient die Therapeutin ganz ausziehen und ihren Körper erkunden – um die Scheu davor zu verlieren. ­Später kommt es dann auch zum richtigen Sex. Dabei muss die Therapeutin immer älter sein als der Patient, damit der auch mal Cellulitis kennenlernt – die ganzen PC-Frauen und aufblasbaren Plastikpuppen haben sein Weltbild ja gründlich verzerrt.

Ich sehe mich schon als Patient in so einer Therapie – na gut, eigentlich will ich es nicht so weit kommen lassen. »Ohne die Aussicht auf Sex würde jeder 15-Jährige Selbstmord begehen« – ein wahres Wort von Thomas C. Boyle. Dabei will ich nicht nur die schnelle Nummer. Mit einem Mädchen zu schlafen, das halb bewusstlos ist, während auch ich halb bewusstlos bin, fände ich nicht so gut. Ich will sie dann schon lieben. ­Wenigstens ein bisschen.

»Ich bin keine Jungfrau mehr, macht dir das Angst?« – das ist ein Spruch, den ein Freund von mir mal bei einem Partyflirt gebracht hat. So ein Typ bin ich gar nicht. Ich würde mich keines­falls als Softie bezeichnen, aber bei diesem Thema versuche ich, den Frontalkurs zu vermeiden. Auch wenn es megapeinlich klingt, stelle ich mir mein erstes Mal total romantisch vor. So mit Picknick und Sonnenuntergang und allem.

Mit meiner ersten Freundin Daniela wäre es beinahe so weit gekommen. Wir hatten schon so ziemlich alles gemacht, was man machen kann, vom richtigen Sex abgesehen. Doch dann habe ich gemerkt, dass ich gar keine richtigen Gefühle mehr für sie hatte. Bei ihr hatte sich emotional noch gar nichts verändert, sie hatte keine Ahnung. Als ich mit meinen Freunden da­rüber sprach, dass ich eventuell Schluss machen wollte, meinten einige, ich solle sie davor unbedingt noch flachlegen. Aber mein Gewissen hielt mich davon ab, wir trennten uns jungfräulich.

Im Nachhinein denke ich manchmal, dass mich die ganze ­sexuelle Schiene überfordert hat. Schon nach zwei Wochen ­Beziehung hatten wir Oralsex, und da waren wir 14. Vielleicht­ ging auch deshalb der Reiz für mich so schnell verloren. Ob­wohl­ sich gar nicht mehr sagen lässt, von wem damals der Impuls dazu ausging. Vielleicht dachte jeder, der andere will es so. Und wir waren zu jung, um mal Klartext zu reden.

Heute würde ich meinen Freunden jedenfalls nicht mehr so viel über mein Liebesleben erzählen. Ihre blöden Kommentare will ich mir ersparen. Das Ganze war auch Daniela gegenüber echt mies; zu viele intime Details über den anderen auszuplaudern, grenzt an zwischenmenschlichen Hochverrat.

Seit der ganzen Geschichte sind schon fast anderthalb Jahre vergangen. Ich verstehe echt nicht, warum es bei mir seitdem nicht mit einer Freundin klappt. Ich bin sportlich, habe (soweit ich das beurteilen kann) einen guten Klamottengeschmack, bin einigermaßen intelligent, habe Humor. Außerdem habe ich Geld. Beziehungsweise meine Eltern. Das gehört eigentlich nicht in die Gruppe der Vorteile, aber meine Freunde meinen, ein Pluspunkt sei es allemal! Trotzdem tut sich in meinem Liebes­leben momentan rein gar nichts.

Manchmal verstehe ich die Mädchen aber auch nicht. Warum zum Beispiel fahren so viele von ihnen auf diesen unerträglich schmalzigen Vampir-Typen ab, Eduard oder so? (Twilight-Fans stehen in meiner Achtung noch eine Stufe unter Tokio-Hotel-Fans, und das soll schon was heißen!) Und warum verlangen sie von dir, ihnen drei Stunden dabei zuzuhören, wie sie vom erneuten Stress mit ihrer besten Freundin erzählen?

Ich hoffe, mit diesen Warum-Sätzen reihe ich mich jetzt nicht in die lange Schlange jener ein, die Dinge fragen wie: »Warum­ gehen Mädchen so oft einkaufen? Ich brauch nie was, und wenn ich was brauche, dann legt’s mir die Mama hin!« – und die wundern sich dann auch allen Ernstes, warum sie noch ungevögelt sind.

Was mich total aufregt, sind die coolen Macker, die noch nie in ihrem Leben mit irgendjemandem irgendetwas am Laufen hatten, aber über jedes Mädchen, das sie mal begrüßt hat, abfällig sagen: »Die Braut ist auch spitz auf mich.« Geht gar nicht. Ähnlich übel sind die Typen, die andauernd ihre Männlichkeit beweisen wollen. Neulich war ich auf einer Party, wo einer, so ein kleines Pickelgesicht, wie Rumpelstilzchen rumhüpfte und rief: »Oh, ich muss jetzt was demagen  Alta! Ich muss jetzt was demagen!« Am Ende pinkelte er in eine herumstehende Schubkarre und fühlte sich wie der Terminator persönlich. Den sehe ich schon mit 25, unrasiert, tätowiert und schwabbelig beim Arbeitsamt hocken: »Ja, bei KiK, das war so ’ne Sache, der Chef hat mir gesagt, ich soll noch ’ne Schicht drauflegen, und dann musste ich einfach was demagen!«

Um meine Zukunft mache ich mir eigentlich gar keine Sorgen. Dass ich mal als Hartz-IV-Empfänger im Großstadt­ghetto lande, halte ich für mehr als unwahrscheinlich. Natürlich kann’s im Leben immer schiefgehen, aber man braucht für das Erreichen seiner Ziele 49 Prozent Glück und 51 Prozent Eigeninitiative. Ich habe die 51 Prozent, hoffe ich.

In der Schule bin ich ganz gut, ich lerne halt momentan überhaupt nichts, und dafür sind meine Noten sehr ansehnlich. In so Fächern wie Latein habe ich zwar mittlerweile so große ­Lücken, dass ich eigentlich nicht behaupten darf, diese Sprache jemals gelernt zu haben, aber solange ich im Zeugnis keine Fünf habe, ist das auch okay, ich gebe das Fach im nächsten Jahr sowieso ab. Die Oberstufe wird dann schon härter, vielleicht sollte ich da mal mit dem Lernen anfangen.

Beruflich ist meine Zukunft schon voll durchgeplant: Nach dem Abi studieren, irgendwas mit Wirtschaft, und danach möchte ich Broker werden. Ich spekuliere schon seit mehreren Jahren an der Börse und bin mittlerweile ziemlich gut darin, die aktuellesten Trends ausfindig zu machen. Das Wichtigste dabei ist Glück. Und natürlich Geld. Geld regiert die Welt. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

Auch über die zweite Großbaustelle des Lebens, die Familie, habe ich mir Gedanken gemacht. Später mal Kinder zu haben wäre definitiv ein Wunsch von mir. Am besten drei. Eine große Schwester und zwei kleine Jungen. Ich freue mich schon total drauf, mit ihnen Fußball zu spielen und mich für sie als Nikolaus zu verkleiden. Und später mit den Jungs über Mädchen zu quatschen und ihnen coole Klamotten zu kaufen. Ganz besonders ist es bestimmt auch, wenn sie das erste Mal torkelnd nach Hause kommen und hoch und heilig versichern: »Nein, ich bin total nüchtern, schau, ich kann sogar noch auf’m Strich laufen.«

Die Frau meiner Träume sollte auf jeden Fall gut aussehen­ und einen angenehmen Charakter haben. Kein naives Un­schulds­­engelchen, das bei jedem Lächeln eines süßen Jungen­ gleich das Handy hervorholt und ihrer kleinen Freundin ins Ohr brüllt: »Weißt du, wen ich gerade getroffen habe?« Sie sollte aber bitte auch kein überdominanter Vamp sein. Ich fände­ es ja irgendwie schön, wenn sie zu Hause bei den Kindern­ bleiben und mich nach jedem anstrengenden Arbeitstag mit einem Abendessen verwöhnen würde. Und ja, ich weiß, dass mich jetzt alle Emanzen als Steinzeit-Macho abstempeln. Ich sage ja auch nicht, dass die Rollenverteilung unbedingt so sein muss. Allerdings kenne ich einige Mädchen, die sich das eigentlich gut so verstellen könnten und sich einfach nur nicht trauen, es laut auszusprechen. Ich bin ja der Ansicht, dass zu einem liberalen Frauenbild auch gehört, ein Mädchen komplett selbst entscheiden zu lassen – ihr also auch die Möglichkeit zu geben, Hausfrau zu werden und fünf Kinder zu haben.

Aber all diese Entscheidungen liegen noch in ferner Zukunft.­ Noch sind andere Dinge von größerer Bedeutung: Spaß haben, Erfahrungen sammeln, die Ungebundenheit genießen. So verantwortungslos, wie wir jetzt sind, werden wir nie wieder sein. Und das ist gar nicht mal negativ gemeint. Von vielen zweifel­haften Erfahrungen, die man in jungen Jahren macht, kann man ein ganzes Leben lang profitieren. Ein Mensch, der als ­Jugendlicher nie einen peinlichen Absturz erlebt hat, nie mit drei Mädchen an einem Abend rumgemacht hat oder nie einen Film mit FSK 18 angesehen hat, wird sich später bestimmt mal fragen, ob er nicht was verpasst hat.

Ich habe bereits Dope geraucht und an einer Crack-Pfeife gezogen – und auch das sind Erlebnisse, die ich nicht missen will, auch wenn ich sie nicht wiederholen würde. Das Gras hat fast gar nichts bewirkt und nach dem Crack war mir drei Tage lang übel. Trotzdem bereue ich nicht, es mal ausprobiert zu haben. Hätte ich es nicht getan, wären Drogen immer noch so eine Art mystisches Wundermittel für mich. So kann ich diese Kapitel getrost abhaken. Mit dreißig noch herumzuexperimentieren wäre wahrscheinlich viel gefährlicher.

Ich finde, dass solche Phasen der maßlosen Übertreibung und der willkürlichen Erlebnissucht ein Privileg der Jugend sein sollten. Ältere Menschen sollen sich ihren Karrieren und Familien widmen und nicht dem Lustprinzip folgen. Ich will in den nächsten Jahren noch ganz viel lustigen Scheiß machen, aber danach werde ich ein braver Bundesbürger. Hauptsache ich behalte einigermaßen die Kontrolle. Ich will zum Beispiel kein Raucher werden oder in sonstiger Weise abhängig! Ich bin Party­raucher, schnorre aber meistens nur, auch wenn mir Dialoge­ wie »Hast du ’ne Kippe? Hast du auch Feuer?« – »Aber rauchen kannst du selber?« auf den Geist gehen.

Vor Kurzem wurde mir bewusst, wie wichtig eine Familie ist. Deine Eltern, deine Geschwister, vielleicht noch deine Onkel,­ Tanten, Cousins und was es da sonst noch so alles gibt – das sind die, die dich im Ernstfall im Knast besuchen würden. ­Natürlich gibt es auch immer Ausnahmen, aber in der Regel ist Blut dicker als Wasser. Meine Familie sind die Menschen, die eine moralische Verpflichtung haben, zu mir zu halten. Bei ihnen kann ich mir (fast) sicher sein, dass sie sich nicht von mir abwenden würden, wenn ich ein beruflicher Versager wäre oder auf einmal unheilbar krank werden würde. Ich habe gute Freunde, denen ich mich sehr verbunden fühle, und wenn ich mit denen über solche Themen rede, dann schwören wir uns auch immer, einander niemals im Stich zu lassen. Aber trotzdem sind diese Versprechen nicht so verbindlich wie die deiner Familie.

Die Familie kann auch noch anderweitig hilfreich sein. Ohne Vitamin B, also die richtigen Connections, tut man sich sicherlich schwerer im Leben. Gerade da fällt mir die krasse soziale Ungerechtigkeit auf. Ich will mich nicht beschweren, meine Eltern haben diese Beziehungen und sind auch finanziell gut gestellt. Aber wenn ich mir Klassenkameraden anschaue, bei denen das nicht der Fall ist, denke ich mir immer, was für ein Glück ich doch hatte. Mit Eltern, die einen finanziell nur sehr wenig unterstützen können, hat man gleich ein paar Probleme mehr. Viele müssen sich, um sich auch mal ein neues Handy oder einen Laptop kaufen zu können, neben der Schule mehrere­ Nebenjobs suchen. Das stresst dann doch ganz schön. Auch später, wenn es um Auslandserfahrungen oder Studien­gebühren geht, sind sie eindeutig benachteiligt. Ich bin total froh um das Wissen, dass mir meine Eltern mein Studium – samt Wohnung und allem – bezahlen werden.

Und dann denke ich, dass es eigentlich viel schlimmer hätte kommen können. Also viel, viel schlimmer, als Eltern zu haben, die ein paar tausend Euro weniger auf dem Konto haben. Ich hätte ja auch in Äthiopien oder Somalia geboren werden können. Oder unter einer Diktatur wie in Nordkorea. Obwohl sich mir da die Frage stellt, ob der Mensch nicht so gut wie überall glücklich sein kann, wenn er ein anderes Leben nicht kennt. Die Menschen in den Entwicklungsländern sind im Rahmen ­ihrer Möglichkeiten bestimmt ebenso zufrieden wie ich, wenn sie sich nicht gerade um ihr tägliches Brot kümmern müssen. Sie kennen die Xbox 360 und den iPod touch ja nicht und vermissen das ganze Zeug deshalb auch nicht. Solange sie in Frieden und Freiheit leben, können sie bestimmt auch glücklich sein. Deshalb fände ich es vermutlich auch viel übler, unter ­einem undemokratischen politischen Regime leben zu müssen als in einer Blechhütte in der Wüste.

Wir leben in einem der freiheitlichsten Länder dieser Welt, und dafür bin ich unglaublich dankbar. Jugendliche dürfen hier so viel wie eigentlich nirgendwo sonst. Wenn an unsere Schule­ Austauschschüler kommen, sind die immer total erstaunt. Wir sind es ebenso. In England gibt es zum Beispiel eine total krasse­ Teilung: Die einen gehen auf feine Privatschulen, oft sind Mädchen und Jungs getrennt – die haben dann mit 16 immer noch keine Freunde vom anderen Geschlecht. Da sie ja immer Schul­uniformen tragen müssen, legen sie sich für den privaten Gebrauch nicht sonderlich viele Klamotten zu. Stil haben da die wenigsten. Was ich auch total hart finde: Mädchen, die Mini­röcke anziehen, gelten bei den Engländerinnen, die ich kenne, als Schlampen. Einfach nur deswegen! Rauchen oder Alkohol ist für die überhaupt kein Thema.

Und dann gibt es da die anderen Schulen, die mit den hohen Schwangerschaftsraten und den vielen Migrantenkindern. Aber Privatschüler und Leute von staatlichen Schulen gehen nie auf dieselben Partys (was auch daran liegt, dass die Privatschüler selten feiern) oder treffen sich am Nachmittag.

So komisch es klingt, aber irgendwie sind dort die Jugendlichen mit besserem sozialen Background weniger weit ent­wickelt als wir. Die Mädchen stehen mit knapp 17 immer noch total auf Boybands und finden es überhaupt nicht peinlich, Interessen wie »Reiten« oder »Lesen« anzugeben. Wobei – wahrscheinlich gibt es auch da ganz andere Jugendliche, ganz normale. Wir haben wahrscheinlich nur die falschen Austauschschüler erlebt.

Die amerikanischen Schüler waren schon viel schwieriger zu klassifizieren. Obwohl es auch da verschiedene Typen gibt. Liegt vermutlich daran, dass Amerika so groß ist. Die aus den nördlichen Bundesstaaten waren größtenteils so wie wir. Aber je weiter man nach Süden kam, desto komischer wurden die Leute. Die gehen da echt im Jogging­anzug zur Schule. Und viele von denen sind pummelig – früher dachte ich, das seien Klischees. Mal abgesehen von diesem mysteriösen Klamottengeschmack waren sie eigentlich ganz okay. Manche waren ein wenig arg religiös oder hatten verstaubte Ansichten, aber die findet man wohl überall. Partymäßig geht bei denen ziemlich viel in Häusern oder Hütten, die meisten Clubs sind ja erst ab 21. Ebenso wie Alkohol – das ist schon echt bitter. Die finden es extrem geil, dass wir ab 16 Jahren Bier und so kaufen dürfen, während sie sich ihr Zeug ganze fünf Jahre länger umständlich und illegal besorgen müssen.

Bei Schülern, die uns aus Brasilien oder Argentinien besuchen­ kamen, war das alles noch mal ganz anders. Wir haben natürlich nur Jugendliche aus reichen Familien kennengelernt, da sich die anderen so ein teures Austauschprogramm in der Regel nicht leisten können. Aber die, die da waren, waren alle ziemlich cool. Braun gebrannt und verdammt gut aussehend.

Wer dagegen garantiert nie gut aussieht, sind Bauern. Die und ihre Bauernpartys kann ich gar nicht ab. Um nicht missverstanden zu werden: Ich meine natürlich keine echten Bauern. Den Berufsstand der Landwirte in allen Ehren, die können eigentlich gar nichts dafür. Aber irgendwie hat sich das Schimpfwort »Bauer« in unserem Sprachgebrauch so eingebürgert. Bauern sind meist männliche Jugendliche, die sich durch extrem prollhaftes Verhalten auszeichnen. Die Ballermann-Urlauber von morgen. Äußerlich sind sie an Oberteilen erkennbar, auf denen peinliche Sprüche stehen wie: »Schade, dass man Bier nicht ­ficken kann!«, »Hast du fünf Minuten Zeit und 20 cm Platz?« oder »Bier schuf diesen wunderbaren Körper!« Auch gefälschte Ed-Hardy-Shirts oder Lacoste-Polos sind beliebt. Leider sind die immer zu eng, sodass sich darunter gut erkennbar der Ansatz eines Bierbauchs abzeichnet. Die ganz Harten ziehen sogar Lederhosen an. Lederhosen sind zwar cool, aber nur auf dem Oktoberfest.

Und es kommt noch schlimmer: Diese Gesichtsgünther haben­ noch nie einen Rasierer gesehen. Dass Brust- und Intimbehaarung schon seit zwanzig Jahren out sind, haben sie nicht mitbekommen. Ihre Sprache ist meist extrem dialektbehaftet, was an sich gar nicht so schlimm wäre, wenn sie den Dialekt nicht mit dem primitivsten Wortschatz unterstreichen würden. Obwohl sie eigentlich gar nicht so sehr durch Sprache kommunizieren, sie verständigen sich vielmehr durch Grunzen und Grölen.

Ihre Partys finden meistens in Hütten statt. Einige haben sogar T-Shirts, auf die der Name ihrer Hütte gedruckt ist – »Hütte Hintertupfingen«, zum Beispiel. Ihre Musik reicht von DJ Ötzi über Mickie Krause bis hin zur Atzenmusik, die seit Neustem sehr beliebt ist. Getrunken werden Bier und Jägermeister.

Ein paar von diesen Vollpfosten sind mal auf eine unserer Partys gekommen. Wir haben auf einer Wiese campiert  und die haben irgendwie mitbekommen, dass da was läuft. Auf jeden Fall sind sie dann in voller Montur angekommen und ­haben erst mal Joanna angestimmt. Auch – ehrlicherweise doofe – Sprüche wie »Geht wieder Kühe melken!« konnten sie nicht vertreiben. Stattdessen haben sie unser Essen weggefressen. Wir hatten ziemlich viel besorgt, Chips, Brezeln, Schokolade, Kekse, und fast alles war weg. Als sie sich dann auch noch an unserer Musikanlage zu schaffen machen wollten, um Sexy Bitch gegen Von hinten Blondine einzutauschen, da haben wir sie energisch hinauskomplimentiert. Alles, was sie zurückließen, waren leere Bier- und Jägermeisterflaschen und ein geplündertes Buffet. Kurz bevor sie gingen, meinte der eine so zu mir und einem Mädchen: »Kehrt’s iha zam?« Das Mädchen und ich übersetzten das logischerweise mit »Gehört ihr zusammen?«, und da ich mit dem einen Bauern auf dieselbe Schule gehe, wollte ich ihn ein bisschen mobben und meinte so: »Ja, klar.« Das Mädchen stieg auch voll ein. Wir hatten allerdings nicht mit dem fragwürdigen Humor der ungebetenen Partygäste gerechnet, denn er erwiderte: »Ja, wo is dann euer Besen?« Ohne Worte 

Ähnlich schlimm finde ich die nicht allzu fern verwandte ­Jugendkultur der »Krocha«, diese Spaß-Szene aus Österreich. Total bescheuert. Die haben einen ähnlichen Slang drauf wie die Bauern und hängen zudem an fast jeden Satz ein »Bam«. Oder ein »Oida«. Da gibt es auch dieses Lied, das über YouTube­ populär geworden ist, die sogenannte Krochahymne: »Bam Oida, fix Oida.« Fast noch fraglicher als ihre Sprache ist ihr Auftreten. Das sind so richtige Markenopfer. Keine Party ohne Ed Hardy. Plus zu viel Solarium. Aber gut, jeder wie er will. Wir müssen ja keine Freunde werden. Und ich lege mich ja auch nicht mit denen an oder beschimpfe sie offiziell. Damit jetzt keiner denkt, ich grenze hier soziale Randgruppen aus.

Ein ganz großes Thema an Schulen und überhaupt ist Mobbing. Oder jedenfalls das, was dafür gehalten wird. Meiner Meinung nach wird dieses Wort viel zu häufig verwendet. Klar, es gibt echt krasse Sachen, die sich Kinder gegenseitig antun können. Aber viele Eltern benutzen dieses Reizwort auch nur als Vorwand für schlechte Noten. Das schadet dann auch denen, die wirklich ausgegrenzt werden.

Obwohl man, wie ich finde, auch da unterscheiden muss. In jeder größeren Gruppe gibt es Menschen, die einfach niemand versteht. Die vielleicht auch gar nicht verstanden werden wollen. Um voll integriert zu werden, muss man auch manchmal Kompromisse eingehen und sich ein Stück weit anpassen. Und wenn jemand das einfach nicht will, dann ist er für seine Außen­seiterrolle auch teilweise selber verantwortlich. Das rechtfertigt natürlich auf keinen Fall körperliche oder psychische Gewalt, aber dass man sich in solchen Fällen nicht andauernd um diesen Menschen bemüht, ist meiner Meinung nach okay. Wenn er Anschluss finden will, muss er auch bereit sein, den anderen entgegenzukommen.

In unserer Clique gibt es einen, der ist halt schon echt ein Opfer. Ich glaube manchmal, dass er nicht ganz richtig ist im Kopf. Der hat schon so Sachen gebracht, wie im Pfarrgemeinde­saal einzubrechen, mit eingeschlagener Scheibe und so, nur um einen Kasten Bier zu klauen. Und einmal hat er einfach so ein Auto bestellt, auf den Namen seines Vaters. Seine ganze ­Familie saß dann am Mittagstisch, als es auf einmal an der Tür klingelte und der Auto-Lieferservice davor stand. Es ist doch nur menschlich, dass man bei so was dann den Kopf schüttelt. Wir lachen viel über ihn, aber wir lassen es ihn nie spüren, weil er einfach total treudoof ist, irgendwie. Wir sind für ihn da, nehmen ihn auf unsere Partys mit und alles. Nur verstehen tun wir ihn nicht im Mindesten.

Bei anderen Menschen kann aber auch das ihre Faszina­tion­ ausmachen. Dass man sie eben nicht begreifen kann. Berechen­barkeit kann auf Dauer ziemlich langweilen. So ist es jedenfalls, wenn man jung ist. Im Alter ist Beständigkeit bestimmt wichtig, sie vermittelt Sicherheit und Geborgenheit. Aber momentan ist diese Unberechenbarkeit noch total geil! Es kann halt jeden Tag etwas anderes, Neues und Aufregendes passieren. Und ob es dann schließlich positiv oder negativ ist, lässt sich erst nach der neuen Erfahrung sagen. Später ist das wahrscheinlich auch noch so, aber man empfindet es anders. Vielleicht wird es einem­ lästig.

Dem Prinzip, dem wir, die Jugend von heute, folgen – um einmal mehr diese abgenutzte Phrase zu benutzen –, ist nicht ganz klar zu definieren. Wir haben viel mehr Bildungs- und Informationsmöglichkeiten als alle Generationen vor uns. Deswegen sind unsere Weltanschauungen so unterschiedlich. Auch die verschobenen Moral- und Gottesvorstellungen spielen dabei eine Rolle.

Was die Jugendlichen eint, ist die Angst. Angst vor großen Enttäuschungen, vor dem Erwachsenwerden, vor dem Leben generell. Eine Angst, die vermutlich auch schon die Generationen vor uns hatten. Ebenso wie der Drang nach Freiheit.

Unsere ganze Kultur richtet sich immer mehr auf die Jugend aus. Ist ja auch klar, wir haben die beste Zeit unseres Lebens, ungetrübt von Krieg oder Armut. Das ist natürlich auch immer eine subjektive Sicht. Es geht uns so gut, dass das Ziel, erwachsen zu werden, nicht mehr im Vordergrund steht. Warum sollte es auch? Damit würden wir nämlich all den Spaß hinter uns lassen! Und wir haben so viel Geld wie nie zuvor, wir sind eine neue und lukrative Zielgruppe für die Wirtschaft. Aber kann man es sich wirklich so leicht machen zu sagen, die neue Jugend bestehe aus konsumorientierten jungen Leuten mit Peter-Pan-Komplex?

Möglicherweise. Aber ich glaube, wir sind viel mehr. Vor allem sind wir widersprüchlich. In allem, was wir tun. Und genau das macht uns so vielseitig. Aber ob es uns besser macht? Einerseits sind wir total engagiert und sozial. Zumindest in der Theorie. Seit MTV den Umweltschutz populär gemacht hat, versuchen auch wir, das Licht auszuschalten und unseren Müll wegzuräumen. Die ganze Sache mit dem Niedergang des ­Klimas ist ein Gesprächsthema. Aber im großen Stil was zu verändern, darauf haben die wenigsten Jugendlichen Lust. Nach dem Motto: Die Welt kann ich ja auch noch später retten.

Auf der anderen Seite ist da der hedonistische Zeitgeist, der uns prägt. Bei den ganzen Untergangszenarien, die Politik und Weltpresse heraufbeschwören, von wegen Wirtschaftskrise­ und Kampf gegen den Terror, bekommt man leicht so eine Nach-mir-die-Sintflut-Einstellung. Man vergnügt sich, bildlich gesprochen, auf dem untergehenden Schiff. Und wir fühlen uns gelegentlich wohl in unserer Dekadenz. Wir berauschen uns an der Dunkelheit. Eine Generation von Nachtmenschen. Absoluter Spaß, unbedingte Selbstzerstörung, vollkommene Ekstase.

Die einen tun das, um vor etwas davonzulaufen, etwas zu verdrängen, zu vergessen. Die anderen versuchen, etwas zu finden.­ Beide sind unterwegs. Doch die einen rennen vor etwas­ davon, die anderen laufen auf etwas zu. Meine Jugend ist wohl eher eine Suche – eine aufregende, eine schöne. Aber ich könnte mir auch gut vorstellen, dass sie mir eines Tages zum Hals heraus­hängt. Dann bin ich bereit zu finden. Ich werde ankommen, im Leben, ich glaube daran. Alles wird gut.

Lust an Sensation

Celine (16 Jahre)

Mein erstes Mal hatte ich hinter einem Notstromaggregat. Klingt jetzt erst mal total daneben, aber eigentlich war es so, wie ich es immer wollte. Es war auf einer Party,­ ich war hackevoll und der Typ war total heiß. Während wir es taten, lief mein Lieblingslied Clouds von Patrice im Hintergrund. Krasser Zufall. Zwischendrin haben mal ein paar Leute vorbeigeschaut, aber das fanden wir beide nicht so schlimm. Ich denke bis heute, dass es so am besten war. Es einfach hinter sich zu bringen. Viele meiner Freundinnen haben diesen Schritt mit ihren festen Freunden im heimischen Bett getan, während die Eltern nebenan schliefen. Und bei ­einigen hat es total wehgetan. Ich dagegen habe kaum Schmerzen gespürt, wegen des Alkohols. Erst am nächsten Morgen dann, aber da tat mir sowieso alles weh.

Ich würde es wieder so machen. Nur eines würde ich nie wieder tun: nicht verhüten! Der geile Typ fragte mich damals, ob ich die Pille nehmen würde, und ich war so dicht, dass ich einfach »Ja« gesagt habe, obwohl das nicht stimmte. Dass ich schwanger sein könnte, kam mir erst in den Sinn, als es schon zu spät war, um die Pille danach zu holen. Einen ganzen Monat lang bin ich jeden Tag tausend Tode gestorben.

Doch das hat sich recht schnell wieder gelegt. Ich hatte viele Typen danach. Die wichtigsten Themen im Alter von 13 bis 17 sind nun mal Aussehen, Party und Jungs. Mit seinem Aussehen ordnet man sich einer bestimmten Style-Richtung zu, und natürlich will man möglichst gut aussehen, um auf Partys­ Eindruck zu machen. Die Party-Thematik vermischt sich mit ­Alkohol und Musik. Und natürlich mit den Jungs, denn das sind ja die, auf die man den guten Eindruck machen will. Treffen dann gutes Aussehen, Alkohol und der richtige Junge und das richtige Mädchen zusammen, kann es schon mal passieren, dass eins zum anderen führt. Bei mir war das schon ziemlich oft der Fall.

Manche Mädchen bezeichnen mich als Schlampe, aber was ist so schlimm daran, wenn ich Spaß an meiner Sexualität habe? Wenn ein Junge es mit vielen geilen Tussen treibt, ist er ein Held, aber ein Mädchen hat immer gleich ein Image-Problem. Obwohl mein Image an sich noch recht unbeschadet ist, zumindest vor erwachsenen Leuten. Ich bin ziemlich gut in der Schule. Kein Streber oder so, aber ich muss für Fächer wie Mathe und Physik nichts lernen. Ich habe zwei Leben: Das eine ist die Brave-Mädchen-Farce, die ich in der Schule und in der Welt der Erwachsenen zeige. Das andere kommt im Freundeskreis und auf Partys zum Vorschein. Ich mache verdammt viel Party. Meine Eltern lassen mich, weil ich so gut in der Schule bin. Wenn sie wüssten, was ich alles tue, wenn ich feiern gehe, würden sie mich bis zum Tag meiner Volljährigkeit einsperren und einen Exorzisten herholen. Manchmal, wenn ich richtig wütend auf sie bin, hätte ich gute Lust, ihnen die Wahrheit ins Gesicht zu brüllen. Um sie zu schocken. Doch aus der Ohnmacht, in die sie vermutlich fallen würden, würden sie nicht so schnell wieder erwachen.

Beliebt zu sein ist mir mit das Wichtigste im Leben. Ich bin es, aber ich war es nicht immer. Mit 14 war ich ein dickliches, kluges Mädchen, auf das nie ein Junge stand und das von anderen, erfahreneren Mädchen immer nur belächelt wurde. Das hatte ich gründlich satt. Aber ich wollte nicht irgendein beliebtes Mädchen sein, ich wollte das beliebte Mädchen sein. Und ich habe alles gegeben.

Zuerst habe ich abgenommen. Dafür habe ich mehr getan, als nur auf Gummibärchen zu verzichten, ich habe tagelang nichts mehr gegessen und mich gelegentlich ausgekotzt. Dafür hatte ich dann nach ein paar Monaten eine gute, kurvige Figur. Dann fing ich an, feiern zu gehen. Als ich immer öfter auf angesagten Partys gesehen wurde, begann der gesellschaftliche Aufstieg. Haufenweise Jungs fingen an, mich zu wollen. Zuerst zeigte ich ihnen die kalte Schulter, mit Anfang 15 galt das bei den beliebten Mädchen noch als cool – und ich gehörte endlich zu ihnen. Eine gewisse Arroganz will ich mir da nicht absprechen,­ aber mein Selbstwertgefühl hatte ja auch lange genug gelitten. Ich hatte mein Ziel erreicht. Vorläufig.

Und dann kam Sex in Mode. Anfangs wollte ich nicht, aber einmal auf dem Thron angekommen, ist der Fall zu tief, um ihn einfach so in Kauf zu nehmen. Alle Mädchen wollen das It-Girl sein, ich muss meine Position ständig verteidigen. Ich weiß, wie oberflächlich meine kleine Welt ist: Alle sind total nett zu dir, und du natürlich auch zu ihnen. Je mehr du sie hasst oder fürchtest, umso netter bist du. Da sind diese kleinen niedlichen Mädchen, die immer alles zusammen mit ihrer besten Freundin machen. Sie versuchen, sich immer an deine Fersen zu heften und legen viel Wert darauf, die Freundschaft zu dir zu betonen. Aber sobald du Schwäche zeigst, wollen sie deinen Platz und lassen dich fallen. Sie sind null loyal. Selbstverständlich werden sie es nie bis nach oben schaffen, dazu fehlt ihnen die Persönlichkeit. Gefährlicher sind die, denen Sympathie einfach gegeben ist. Oder ein unverschämt gutes Aussehen. Diese Menschen mit dieser widerlich natürlichen Ausstrahlung, die man einfach mögen muss. Aber auch sie können es nur dann schaffen, wenn sie den unbedingten Willen dazu haben.

Das ganze System, das ich hier beschreibe, kommt Außenstehenden wahrscheinlich entweder vollkommen unrealistisch oder maßlos übertrieben vor. Aber es herrscht an jeder Schule, in jeder Stadt. Und bestimmt ist es später nicht anders: Wer hat den besseren Job, den besseren Mann, die klügeren Kinder?

Man kann im Leben nicht immer nur gewinnen. Aber man kann viel dafür tun, dass man häufig gewinnt. Mein Vorbild ist Kathryn Merteuil, die Hauptfigur aus dem Film Eiskalte Engel. Sie hat Stil und Sexappeal und ist besessen vom Prestige-­Gedanken. Und zugleich ist sie eine emanzipierte Frau. Sie lässt sich nicht von Männern benutzen, sondern benutzt die Männer,­ um ihre Ziele zu erreichen. Und dabei sieht sie noch so unübertrefflich gut aus. Sie ist geübt in allem, was sie tut – auch beim Sex.

Eines der größten Vorurteile überhaupt ist, dass der Sex besser wird, je länger man darauf gewartet hat und je mehr man die andere Person liebt. Alles Quatsch! Sex ist vor allem Übungssache. Die extrem romantisch veranlagten Mädchen denken ja immer, dass es so abläuft: Nachdem sie ihren Auserwählten monatelang haben zappeln lassen, schenken sie ihm ihre Jungfräulichkeit. Am besten ist am Abend der Tat das ganze Zimmer mit Kerzen geschmückt und eine CD von Ronan­ Keating wird abgespielt. Die Gesichter des Liebespaares kommen sich immer näher, bis sich ihre Lippen schließlich zu einem erst langsamen, dann immer leidenschaftlicheren Kuss vereinigen. Liegen die beiden noch nicht auf dem Bett, trägt der Junge das Mädchen dorthin. Dann beginnt das Liebesspiel. Also eigentlich beginnt das Vorspiel, das in der Fantasie dieser Mädchen geschätzte drei Stunden dauern sollte. Der Junge geht auf Erkundungstour. Er bedeckt ihren ganzen Körper mit Küssen und hinterlässt eine Spur der brennenden Leidenschaft auf ihrer unberührten Haut. In Zeitlupe entledigen sich die beiden ihrer Kleider. Er verwöhnt sie am besten noch mit dem Mund. Ihre Hände krallen sich vor Verlangen ins Bettlaken. Beide sind schlussendlich (nach besagten drei Sunden) so erotisiert, dass sie quasi nach Erlösung lechzen. Ganz zärtlich macht er sie zur Frau. Sie wird in bisher unbekannte Gefilde universeller Lust befördert.

Ohne Witz, so haben mir einige Mädchen ihre Traumvorstellung vom ersten Mal »Liebe machen« geschildert. Ich würde­ all diesen Mädchen gerne sagen, dass es wirklich so ist und dass Sex von Anfang an super viel Spaß macht, aber dem ist nicht so. In Wirklichkeit sehen das erste bis ungefähr fünfte Mal weit weniger lustvoll aus. Ist der Typ schon etwas erfahrener, geht es vielleicht schneller. Sind beide noch Anfänger, wird es richtig übel. Allgemein endet es für die Mädchen meist in einem animalischen Rumgeruckel. Anders kann ich es kaum beschreiben. Das Vorspiel dauert höchstens eine halbe Stunde, dann kann sich der Typ eh nicht mehr zusammenreißen. Ist er gerade dabei, sich in dir zu bewegen, denkst du die ganze Zeit: Haben wir’s dann bald? Das Ganze ist glücklicherweise nach höchstens zehn Minuten zu Ende. Da man selbst keinerlei Erfahrungen hat, kann man erst mal auch nichts daran verbessern. Erst mit der wachsenden Anzahl von Partnern und Erfahrungen weiß man, was man tun muss, um wirklich befriedigt zu werden. Dann wird es mit jedem Mal besser.

Ich hatte schon an ziemlich vielen Orten Sex: traditionell im Bett, im Freien, auf einer Küchentheke, im Thermalbad. Und auf einem Männerklo. Das war mein bisher bester Orgasmus: Auf einer großen Party gab mir ein Junge einen Drink aus, mit dem ich schon vorher mal was gehabt hatte. Ich wusste, dass er es draufhat, also ließ ich mich darauf ein. Ich war an diesem Abend fast gar nicht betrunken und er auch nicht. Wir tanzten. Normalerweise lasse ich mich von den Jungs auffordern, aber in dieser Nacht überkam es mich und ich flüsterte ihm ins Ohr, dass ich Lust auf ihn hätte. Wir suchten nach einem geeigneten Platz, aber wir fanden keinen. Letztendlich gab es nur eine Alternative: das Männerklo. Wir schlichen also in einem unbeobachteten Moment in eine saubere Kabine und fielen sofort übereinander her. Wir schlossen nicht ab, der Reiz des Public Sex törnte mich total an. Alles ging unglaublich schnell. Wir schoben unsere Kleidung aus dem Weg, er hob mich hoch und ich setzte mich auf ihn. Wir müssen uns wie Tiere benommen haben, ich hatte danach lauter blaue Flecken und seine Schultern waren mit langen Kratzern übersät. Aber das bemerkte ich in dem Moment nicht, ich platzte fast vor Erregung. Ich kam zuerst, der Orgasmus war wie eine Erlösung.

Obwohl ich oft und gerne Sex habe, bin ich nicht leicht zu haben. Wenn ein Typ mich will, muss er mich umgarnen. Er muss sozusagen höflich darum bitten. Neulich saß ich abends in einer Bar, als ein Typ namens Tim auf mich zukam. Tim sieht wirklich gut aus und ist ein gerngesehener Gast auf coolen Veranstaltungen. Er kann so ziemlich jede haben, und er weiß es auch. Er kam dann also zu mir rüber und meinte total ernsthaft: »Ich suche einen One-Night-Stand.« Ich konnte es erst mal gar nicht fassen. »Wie jetzt?«, fragte ich.

»Ja, ich suche einen One-Night-Stand. Ich bin ehrlich und sage gleich, was ich will. Ohne das Rumgelaber – wie geht’s dir, was sind deine Hobbys und so. Und du bist echt heiß.«

Natürlich schmeichelte mir sein Kompliment, aber ich lehnte­ dankend ab. Ich bewunderte zwar seine Ehrlichkeit, aber irgend­wie war mir das zu unromantisch. Wenn zwei Menschen ein erotisches Interesse aneinander haben, dann sollten sie es auch auf erotische Weise mitteilen. Und die Wahrheit ist da meist wenig betörend.

Ich bin ziemlich egoistisch, was meine Sexualität betrifft, ich ordne meine Bedürfnisse nicht denen eines Jungen unter. Trotzdem scheint es sie immer zufriedenzustellen. Ich bin aber auch ziemlich gut geworden, da ich im Gegensatz zu den anderen Mädchen recht erfahren bin. Aber so ist das allgemein bei mir. Entweder ganz oder gar nicht. Wenn ich nicht zu den Besten gehören kann, macht es mir keinen Spaß.

Ich hoffe, dass ich dasselbe auch in meiner Zukunft so durchziehen kann. Für die Berufe, die mich interessieren, muss man wirklich gut sein, aber Noten waren nie mein Problem. Ich vertraue, was meine Zukunft angeht, vollkommen auf meine Kompetenzen und nicht auf glückliche Zufälle. Einige meiner Klassenkameraden glauben ernsthaft, dass eine gute Stimme oder eine Schultheater-Hauptrolle der Grundstein für ein ­Leben als gefeierter Massenstar sind – so naiv wäre ich nicht.