Genickschuss für den Pianisten - Manuela Miebach - E-Book

Genickschuss für den Pianisten E-Book

Manuela Miebach

4,9

Beschreibung

Schwarzhumorige Satiren, aber auch gesellschaftskritische Themen werden hier unter die Lupe genommen. Wo zwischen Lüge und Wahrheit - der Gesellschaft ein Spiegel vor Augen gehalten wird. Mit spitzer Feder geschrieben, und von unvergleichbarem Humor und spannender Brisanz, und eines ausgezeichneten literarischen Stils, garantiert hier die Autorin mit Theaterstücke und Prosa ein reines Lesevergnügen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 207

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
15
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Umschlagfoto: Wolfgang März, Maler und Grafiker

Umschlaggestaltung und Layout: Manuela Miebach

Innenabbildungen: Manuela Miebach

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen,

fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger

und auszugsweisen Nachdruck sind vorbehalten. Alle weiteren Rechte

sind der Urheberin vorbehalten und rechtlich geschützt

Inhaltsverzeichnis

Genickschuss für den Pianisten, bösartige Satire

Das Walfischhaus

Die Locke des Titans

Die Sprache der Natur

Hortus deliciarum

Wiener Brut

Genickschuss für den Pianisten

Bösartige Satire

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen,

des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung

und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,

auch einzelner Abschnitte. Das Recht

der Aufführung oder Sendung dieses Theaterstückes ist nur vom

40237 Düsseldorf, Lindemannstr. 90. Telefon 0211-2484203

zu erwerben,

den Bühnen und Vereinen

als Manuskript gedruckt.

Die Personen:

Sam Meilenstein, Pianist

Fred Finkenstein, Autor und Librettist

Fräulein Steinhäuser, Sekretärin

Ein junges Mädchen

Die Handlung spielt in Wien.

1. Akt

Erste Szene

In der Wohnung des Pianisten und Komponisten Meilenstein. Das Zimmer ist in einem ziemlich verwahrlosten Zustand. In der Mitte steht ein großer Flügel. Überall am Boden liegen Notenblätter herum, und auf dem kleinen Tisch steht ein Tablett mit schmutzigem Geschirr vom Vorabend. Außerdem stehen überall kleinere Pappschachteln von McDonalds herum. Meilenstein sitzt in einem blauen gestreiften Pyjama am Flügel, und improvisiert in Zwölftonmusik einige Töne, die sich grauenvoll anhören.

Fräulein Steinhäuser die gerade damit beschäftigt ist das Zimmer in Ordnung zu bringen, hält sich zwischendurch immer wieder die Ohren zu. Plötzlich klopft es an der Türe. Meilenstein unterbricht sein Spiel.

Meilenstein

Steinhäuser, es hat geklopft!

Steinhäuser

Wie bitte?

Meilenstein

Sind Sie taub? Es klopft zum wiederholten Mal. Steinhäuser nimmt beide Hände von den Ohren.

Steinhäuser

Mein Gott ich bin doch nicht schwerhörig...

Meilenstein

Sehen Sie nach ... egal wer es ist sagen Sie ich sei beschäftigt! Nein sagen Sie ich bin krank ... Nein besser Sie sagen ich stehe bereits am Abgrund des Todes! Weder Gläubiger noch lästige Librettisten ... Das Pack soll mich in Ruhe lassen! Er hüstelt ein wenig mehr aus Verlegenheit. Steinhäuser eilt zur Tür und steckt den Kopf hinaus.

Steinhäuser

Es ist wieder dieser lästige Librettist - soll ich ihn hineinlassen?

Meilenstein

Nein, sagen Sie ihm ich arbeite daran...

Steinhäuser

Er will sich aber nicht abwimmeln lassen...

Meilenstein

Dann geben Sie ihm einen Fußtritt!

Steinhäuser

Das wird aber nicht viel nützen, Sie wissen dieser Finkenstein ist ausgesprochen hartnäckig! Meilenstein singt: Der Lenz ist da, die Finken schlagen! Dann lassen Sie ihn verdammt noch einmal hinein diesen Idioten. Ich bin zwar heute nicht bester Laune, doch des Menschen Wille sei sein Himmelreich!

Finkenstein stürzt mit dem Textbuch unterm Arm ins Zimmer. Er ist außer Atem und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Finkenstein

Entschuldige Sam, ich stehe ein wenig unter Druck... Du weißt, ich bin in größten Nöten da ich ohne Noten! Der Verlag sitzt mir schon im Genick, und dieser Schiele bereitet mir schlaflose Nächte!

Meilenstein

Der Schiele war deine Idee, nicht meine... Wie kann man über einen Kinderschänder ein Libretto schreiben?

Finkenstein

Wo ist deine Euphorie geblieben? Du warst doch derjenige, der von dieser Idee so begeistert war!

Meilenstein

Begeistert? Wie kann man von einem Psychopathen begeistert sein? Warum lässt du ihn in deinem Stück nicht gleich am Anfang sterben? Dieser Syphilitiker ... Diese ganzen Biafra Kinder, die der gemalt hat... Eine Ausgeburt des schlechten Geschmacks! Als ob es nicht schon genug Hunger auf der Welt gäbe... Was willst du von mir eine Totenmesse oder eine Oper?

Finkenstein

Natürlich eine Oper... Du bringst mich noch an den Rand des Ruins... Du treibst mich in den Wahnsinn mit deiner Ignoranz! Hast Du dich eigentlich mit dem Thema schon auseinandergesetzt... Mit der Psychologie, die dahinter steckt?

Finkenstein wischt sich wiederum den Schweiß von der Stirn.

Meilenstein

Ich bin kein Seelenklempner - und schon gar nicht Dr. Freud. Mich interessiert dieser ganze Schwachsinn nicht! Aber ich will dich nicht entmutigen... Beruhige dich Fred du bekommst deine Musik, aber rechne nicht mit einem Erfolg in Wien! Die Wiener sind zu dumm, um zu begreifen! Sie lassen das Stück sterben so wie diesen Schiele! Du bist bereits ein Toter wenn du in dieser Stadt geboren.

Finkenstein

Ich habe dieses Stück auch nicht für Wien geschrieben...

Meilenstein lacht hämisch.

Meilenstein

Wen interessiert schon ein österreichischer Maler der in die Fänge der Justiz geraten ist? Wen interessieren seine Kindermuschis und die ausgezehrten, leidenden Aktmodelle? Wen interessiert, wo die Armut sich im Dreck suhlt ... Die haben damals nichts zu fressen gehabt und heute stehen wir vor dem gleichen Problem. 100 000 Menschen sterben täglich an Hunger! Über 920 Millionen Menschen haben nichts zu fressen auf dieser Welt. Wir leben in einem globalen Raubtierkapitalismus! Die westliche Kultur muss nicht verhungern, der Österreicher muss nicht verhungern... Wenn die Masse zu fressen hat, interessiert sie die Armut ein Scheißdreck! Die Kultur interessiert sie ein Scheißdreck - weil die Kultur nur für die Privilegierten geschaffen ist! Die Masse arbeitet, frisst und stirbt, ohne den wahren Sinn des Lebens zu kennen. Erhebt sich kurz von seinem Klavierhocker und zeigt Finkenstein kurz seinen angefressenen Bauch mit diesen Hamburgern könnte man fünf hungrige Mäuler in Afrika stopfen! Doch wir stopfen sie lieber in uns selbst hinein...

Finkenstein

Du frisst zu viel - Fressen und Saufen - Die ganze westliche Kultur besteht aus Fressen und Saufen! Man müsste die Menschen in Schweine verwandeln, Sie kennen nichts anderes als Fressen und Saufen!

Meilensteinlacht spöttisch.

Das ist gut, Die Menschen in Schweine verwandeln! Alles, was da kreucht und fleucht in Schweine verwandeln... Dös wär a Hetz! Ganz Wien ein Schweinestall! Wo alles grunzt, rülpst und furzt... Warum schreibst du kein Stück über Schweine? Und Circe als die erotische Verführerin die alle Wollust und Abnormität der Welt verdeutlicht? Eine Welt mit Schweinen... Das interessiert die Menschen ... Weil jeder gewohnt ist, im eigenen Dreck zu wühlen!

Finkenstein

Ich glaube, du hast mein Stück immer noch nicht verstanden. Es geht hier um die Autobiographie eines Malers, der zu Lebzeiten wie Dreck behandelt wurde!

Meilenstein

Ich werde auch ständig mit Dreck beworfen... Mit dem ganzen Dreck einer kulturellen Mittelmäßigkeit! Der Dreck klebt nicht nur an meinen Schuhen. Mein Hirn ist schon so zugekleistert von dem ganzen Dreck, der uns täglich ins Haus geliefert wird, ganze Wohnungen sind vollgeschissen mit suggerierter Scheiße!

Finkenstein

Ich will mit dir nicht über Perversitäten und Absurditäten streiten...

Meilenstein

Ich habe gestern meinen Fernseher durch das Fenster geworfen! Das Radio gleich hinten nach... und die Zeitungen hat die Steinhäuser in der Küche eingeheizt! Die ganze suggerierte Scheiße eingeheizt! Das ganze Welttheater verheizt! Es ist nur noch ein Häufchen Asche übrig geblieben. Ich ertrage es nicht mehr dieses verlogene Pack... Die Gesellschaft, deren Gehirne vollgeschissen und eitel sind!

Finkenstein

Kein Wunder, dass du ein erfolgloser Klavierspieler bist. Du distanzierst dich zu sehr von dem Erfolg der Anderen. Als Künstler musst du am Gesellschaftsleben teilnehmen... Gesehen und gesehen werden! Du kannst ein Schmarotzer sein... Aber du musst gesehen werden! Wenn du nicht gesehen wirst, kann sich niemand an dich erinnern? Dein Mund kann vor lauter Blödheit nach Kloake stinken... Denn nicht die Worte sind wichtig... Das Erscheinen... Das ADABEI gewesen sein! Daran ermessen dich die Leute... Das macht dich zum medialen Publikumsrenner! Medial wirksam sein... Immer am Ball... Am Ball muss man sein!

Meilenstein

Ich bin nicht dazu geboren, um medial wirksam zu sein... Ich lasse mich nicht von dieser Gesellschaft versklaven! Du kannst ruhig den Kasperl spielen... Wer versteht schon etwas von der Kunst außer der Narr? Die Narrenhäuser in Wien sind überfüllt davon! Sie sind überfüllt mit Arroganz und Ignoranz! Diese Kleinkariertheit - diese Kleinkrämerei! Die Stadt ist wie eine Zwangsjacke, es schnürt dir die Kehle zu, und es fehlt die Luft zum Atmen! Weil alles so beengt, die grauen Häuser drücken dich platt wie eine Wanze! Sie werfen ihre Schatten voraus. Alles ist düster – selbstmordgefährdet! Diese Stadt bringt dich um den eigenen Verstand. Diese Einfältigkeit - diese Abgestumpftheit, wo im täglichen Suff du immer wieder auf der Suche nach neuen Träumen bist. Wie viele Hoffnungen habe ich hier schon verloren? Hier wird das Stück nie ein Erfolg! Setzt sich wieder an den Flügel um einige Takte in Zwölftonmusik zu improvisieren. Finkenstein sinkt erschöpft in eine der Fauteuils, die links und rechts verteilt vor dem offenen Kamin stehen.

Finkenstein

Nach unserem Tod wird diese Oper auch in Wien ein Erfolg!

Meilenstein

Und was haben wir davon? Dass der Kulturstadtrat uns dann Rosen aufs Grab streut? Du bist ein Narr Finkenstein...

Finkenstein wischt sich wiederum den Schweiß von der Stirn und greift zu einem Glas Wasser, das neben ihm auf einen kleinen Tisch steht.

Finkenstein

Diese verdammte Hitze - Wie du mitten im Mai den Kamin einheizen kannst? Bei dieser Hitze kann man doch keinen klaren Gedanken fassen!

Meilenstein

Ich brauche keinen klaren Gedanken ... Ich brauche Inspiration! Ich brauche die Luft zum Atmen, und ich brauche das Feuer um meine Seele zu erwärmen. Musik entsteht in der tiefsten Seele eines Universums - Ich bin ein Kernstück von dem.

Finkenstein

Was ist jetzt mit meiner Musik?

Meilenstein

Was heißt deine Musik... Glaubst du es, es ist leicht, auf Schiele eine Inspiration zu haben? Wenn es wenigstens Nitsch wäre? Mit seinem Orgien – Mysterien Theater! Das hat Klangfarbe - alles Ausschweifende, wozu die Kunst geboren wurde! Im Schweiße meines Angesichts würde ich die Noten nicht mehr Schwarz, sondern Rot malen! Die Farbe Rot - sie bedeutet Leben - sie bedeutet Tod! Sie bedeutet Liebe und Hass... und sie bedeutet Leidenschaft! Die Leidenschaft mit denen wir als Musiker geboren. Finkenstein hörst du mir überhaupt zu?

Finkenstein, der in dem Fauteuil ein wenig eingenickt ist, erschrickt und blickt ängstlich zum Flügel hinüber.

Meilenstein

Ich spiele dir nun einmal die Einleitung, wo er in Neulengbach im Gefängnis sitzt. Wie kann man nur mit einer Gefängnisszene beginnen? Das bedeutet bereits das Ende des Stückes. Warum lässt du ihn nicht am Beginn an der Spanischen Grippe sterben? Und von ganz Wien betrauern? Vielleicht sollte ich die Musik auch abstrakt, revolutionär bearbeiten? Die Musik muss revolutionär sein! Ausdrucksstark, überdimensional - und nicht so unterernährt wie Schieles Aktmodelle! Wir demonstrieren nicht die Armut, sondern den Wohlstand! Das große Fressen! Wo jede Note aus ihren Nähten platzt! Schiele soll platzen wie ein aufgeblasener Luftballon, und jeder Voyeurismus soll seine eigene Befriedigung in meinen vulgären Tönen finden! Das ist eine Herausforderung! Eine große Herausforderung eines jeden Künstlers. Wir müssen die Perversität ausleben! So richtig die Sau raus lassen! Nur so kann Kunst verstanden werden. Die Musik ist wie ein Geschlechtsakt, wie der Orgasmus einer Frau, wo jeder Ton zwischen Ohnmacht und Geilheit, sein eigenes individuelles Gekreische findet. Vulgär muss alles sein, sonst wird’s vom Publikum nicht angenommen? Vulgär und exzessiv - weil sonst wird’s von den Wienern nicht angenommen!

Meilenstein schlägt einige laute Töne an und lässt Wagnersche musikalische Elemente mit einfließen. Fräulein Steinhäuser, die während des Dialogs das Zimmer inzwischen komplett aufgeräumt hat, hält sich wieder beide Ohren zu und eilt hinaus. Finkenstein verkriecht sich immer mehr in seinen Fauteuil, zeigt sich erschreckt über die lauten Töne.

Zweite Szene

Es herrscht plötzlich eine absolute Stille. Finkenstein ist in seinem Fauteuil total eingenickt. Meilenstein hängt besoffen am Flügel herum und hält in der rechten Hand eine Rotweinflasche. Er nimmt einen Schluck und stellt sie dann demonstrativ auf den Flügel. Dann schlägt er mit einer geballten Wucht wieder in die Tasten. Finkenstein schreckt hoch und geht verärgert in die Richtung des Flügels.

Finkenstein

Das ist doch eine absolute Scheiße! Ich wollte ein Adagio am Anfang, nicht diesen furiosen Mist! Hier muss die ganze Dramatik aus der Musik herauszuhören sein, Schiele, der im Gefängnis unschuldig eingesperrt ist, er der nach Freiheit und Gerechtigkeit schreit, sitzt in der grauen Gefängniszelle, und sieht sich als Opfer der österreichischen Bürokratie, der Justiz des Kleinkrämertums! Als Opfer der Dummheit – die seine Kunst nie verstanden haben.

Meilenstein

Im Adagio liegt keine Dramatik... Das ist nur Gefühlsduselei. Jeder Komponist, der ein Adagio schreibt, ist ein Volltrottel! Hier gehört ein Presto, ein Prestissimo! Welches durch ein Crescendo den Untergang einer Zeit widerspiegeln soll. Finkenstein du hast von Musik keine Ahnung? Woher solltest du auch Ahnung haben? Ihr Schreiberlinge habt doch von Musik null Ahnung - Diese ganzen Musikkritiker glauben die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben? Ihr Schmierfinken habt doch die ganze Geschichte verfälscht! Wer war Mozart wirklich? Ein Psychopath, der seine ganzen Perversitäten in seiner Musik ausgelebt hat? Die Genialität ist in einem Käfig des Irrsinns gefangen. Die Kunst ist nicht normal, die Kunst darf nicht normal sein, sie wird von der Geistesgestörtheit regiert. Genie und Wahnsinn - das ist, was die Welt aufhorchen lässt! Nicht die Mittelmäßigkeit... Die Mittelmäßigkeit ist kleinkariert und ohne große Bedeutung!

Finkenstein

Ich muss mir diese Scheiße nicht mehr länger anhören.

Meilenstein

Finkenstein du bist ein Arschloch - dass gerade du mich zu deinem Komponisten erwählt hast? Du hättest wissen müssen, dass das in die Hose geht... Dass ich ein Geistesgestörter bin!

Meilenstein macht eine obszöne Handbewegung. Finkenstein steht ihm mit geballten Fäusten gegenüber.

Finkenstein

Du bist ein debiles und selbstgefälliges Arschloch. Warum habe ich gerade dich mit diesem Werk beauftragt? Weil du mir leidgetan hast ... Du der im ewigen Selbstmitleid verfällt... Du der du versuchst, im Alkohol deinen Frust zu ertränken? Du der du schon seit Jahren keine Aufträge mehr als Komponist bekommen hast! Ich wollte dir nur einen kleinen Gefallen tun, ich wollte dich aus diesem elenden schwarzen Loch herausholen. Meilenstein lacht gehässig.

Meilenstein

Du warst mir immerhin noch etwas schuldig nach der letzten Pleite. Soll ich deshalb auf die Knie fallen? Finkenstein Du bist borniert und arrogant ... Deine Dummheit ist schmerzlich für mich... Deine Dummheit verursacht mir Magengeschwüre! Wir haben einen Vertrag miteinander, und ich will, dass du diesen Vertrag einhältst. Dieser Verlag ist unsere letzte Chance!

Meilenstein

Du meinst wohl deine Chance... Greift in seinen Hosensack um sich sein Taschentuch herauszuholen, in das er lautstark hinein schnäuzt. Nun dein Libretto ist wirklich nicht schlecht, also wann soll die Musik fertig sein?

Finkenstein

In drei Monaten will der Verlag das musikalische Werk fertig gestellt haben. Immerhin haben sie uns schon einen Vorschuss bezahlt... Sie haben also ein Recht darauf, dass du die verdammte Musik endlich schreibst. Ich warne dich Sam, wenn dieser Vertrag platzt, dann bringe ich dich um.

Meilensteindeutet ihn mit den Fäusten

Du musst mir nicht immer drohen... Deine absurde Idee wird in die Geschichte eingehen, so wie alle absurden Ideen in die Geschichte eingegangen sind. Du bekommst deine Musik, Meilenstein reibt sich verzweifelt die Stirn doch ich brauche Zeit um alle meine Kreativität auszuschöpfen. Ich befinde mich da in einem fürchterlichen Prozess, ich bin ein Perfektionist! Und will nicht in die österreichische Mittelmäßigkeit verfallen!

Finkenstein

Was glaubst du, warum ich sonst mit dir die vielen Jahre zusammengearbeitet habe? Aber du hast einen miesen Charakter Sam... In dem Beruf gibt es keine anständigen Leute, Sie alle sind verseuchte und von Eitelkeit zerfressene Charaktere… Dieser Opernsumpf ist eine einzige rotbraun verfärbte Kloake!

Meilenstein

Dieser Autorensumpf liegt schon lang in seinem eigenen Erbrochenen. Es wird alles nur noch gekotzt! Nichts mehr wird wirklich durchdacht - Alles Geschriebene wird nur noch erbrochen, wo die Lüge wie rotbraune Fäkalien zum Himmel stinkt!

Finkenstein streicht sich verlegen durch die Haare.

Finkenstein

Du bist ein ordinärer Mensch Meilenstein. Aber egal, was auch immer du mir an den Kopf wirfst... Deine Anmaßungen... Deine Arroganz mir und den Wienern gegenüber... Ich bin trotzdem immer bereit dir zu verzeihen.

Meilenstein nimmt wieder einen Schluck aus der Rotweinflasche.

Meilensteinnachdenklich

Warum empfinden wir eigentlich so eine Hassliebe zueinander?

Finkenstein

Es gibt keine wahren Freundschaften. Freundschaften kommen und gehen - Freundschaften sind das Gift aller Beziehungen, wenn es um den Erfolg geht!

Meilenstein

Der Neid er frisst uns gegenseitig auf...

Finkenstein

In dem Sumpf der Missgunst und Niederträchtigkeiten haben wir alle Schlechtigkeiten angenommen. Wir waren doch früher nicht so?

Meilenstein

Wir sind zwei alte Narren geworden... die den jungen Dingern auf der Straße immer noch nachschauen!

Finkenstein

Dabei kriegst du schon lange keinen mehr hoch. Die Sauferei hat dich impotent gemacht, und die Tränensäcke unter deinen Augen haben dich unwiderstehlich gemacht. Wir sind so unwiderstehlich geworden durch unsere Außergewöhnlichkeit. Jugend und Schönheit ist vergänglich, aber nicht die Außergewöhnlichkeit! Vielleicht ist das unsere gemeinsame Sprache Weil wir der Gewöhnlichkeit nichts abgewinnen können. Er wischt sich wieder den Schweiß von der Stirn. Diese drückende Hitze macht mich noch verrückt ... Fräulein Steinhäuser betritt mit einigen Briefen in der Hand das Zimmer. Wie du das aushältst in dieser Hitze und in diesem Saustall zu leben? Eine Frau würde es mit dir nicht lange aushalten... Deshalb sind sie alle davon gelaufen! Wer hat schon gern einen Chaoten, der glaubt Mozart, Beethoven und Wagner in einer Person zu sein? Mit ernster Miene sieht er Meilenstein für einen Moment an. Du bist ein Scheißkerl Meilenstein - aber vielleicht doch ein Genie? Ein verkanntes Genie - Du trägst die Bürde nicht allein - in diesem Dorf der Eitelkeiten muss erst der Tod deinen Namen tragen!

Finkenstein geht nachdenklich und schweigend hinaus. Fräulein Steinhäuser geht mit der Post in der Hand, winkend auf Meilenstein zu, der sich an den Flügel klammert, und einige unartikulierte Worte von sich gibt. Fräulein Steinhäuser zuckt ratlos mit den Schultern und verschwindet mit der Post in der Hand wieder durch die Türe.

3. Szene

Meilenstein sitzt im Fauteuil und lässt sich von Fräulein Steinhäuser nach und nach die Briefe reichen. In der rechten Hand hält er einen Hamburger, in den er während des Lesens immer wieder hineinbeißt.

Meilenstein

Gewerkschaftsbeiträge - Mitgliedsbeiträge für sinnlose Kulturvereine! Absage vom Kulturminister! Absage der angesuchten Subventionen, Absage vom Linzer Landestheater, Absage von den Nürnberger Symphonikern! Rechnungen über Rechnungen... Absagen und immer wieder Absagen! Niemand will mich... kleine Pause eine Rechnung vom Installateur? Die müssen Sie zahlen, Steinhäuser! Damit ich all den anderen Dreck ins Klo runterspülen kann! Das Klo muss immer funktionieren, Steinhäuser, damit ich den ganzen Ballast dort hineinschütten kann! Die Scheiße steht mir manchmal bis zum Hals... Deshalb muss das Klo auch immer funktionieren! Haben Sie mich verstanden, Steinhäuser?

Steinhäuser

Das Klo muss immer funktionieren... Ich habe verstanden. Soll ich die Rechnung gleich heute bezahlen?

Meilenstein

Bezahlen Sie heute noch die Rechnung! Klo und Kamin müssen immer funktionieren, damit ich sie entweder ersaufen oder verbrennen kann! Alle diese Rechnungen - alle diese Absagen! Nimmt die Briefe und Rechnungen und wirft sie über seine Schulter in den Kamin. Die Gewerkschaft wertlos, Kulturvereine wertlos, der Kulturminister nie erreichbar, MA 7 wertlos, die Partei ... denkt einen Moment nach nicht wertlos! Die Partei ist das drauf und dran! Ohne Parteibuch bist du als Künstler wertlos. Fred hat mich immer davor gewarnt, Steinhäuser, wir werden der Partei beitreten!

Steinhäuser

Welche Partei - in so unsicheren Zeiten wie diesen?

Meilenstein

Natürlich Rot! Rot ist die Farbe des Bekenntnisses! Die Farbe des geistigen Umbruchs, die Farbe der Energie, die Farbe des Erfolges!

Steinhäuser

Soll ich den Kulturminister anrufen?

Meilenstein

Rufen Sie den Kulturminister an. Sagen Sie ihm, wir haben Rot gewählt. Sagen Sie ihm ich, bekenne mich schuldig! Sagen Sie ihm ich, bekenne mich nicht schuldig. Weil mir die Farbe Grün viel besser gefällt...

Steinhäuser

Also die Farbe Grün?

Meilenstein

Ist doch scheißegal, ob Rot, Schwarz, Orange, Grün, oder Blau? Alle Farben die nicht in dieses Landschaftsbild hineinpassen Wir sollten die Farbe Weiß wählen, die Farbe der Unschuld - die Farbe der Reinheit! Die Farbe der Keuschheit - die Farbe des Friedens.

Steinhäuser

Also keine Farbe wählen?

Meilenstein

Wählen Sie von mir aus die Farbe ihrer Bonbonzuckerln, aber lassen Sie mich endlich in Ruhe! Wo ist dieses verdammte Libretto von Finkenstein? Geben Sie es mir... Damit ich meinen Kopf für wichtigere Dinge verschwende.

Fräulein Steinhäuser sieht auf den Flügel und auf den Schreibtisch. Dann kniet sie sich am Boden und hebt die kleinen Pappschachteln hoch.

Steinhäuser

Es ist im Dreck gelegen.

Meilenstein

Was?

Steinhäuser drückt Meilenstein das Libretto in die Hand.

Steinhäuser

Spricht etwas laut das Libretto, ist im Dreck gelegen!

Meilenstein

Bei dem Dreck, was dieser Finkenstein geschrieben hat, wundert mich das gar nicht!

Fräulein Steinhäuser verlässt mit einer Partitur unter dem Arm das Zimmer.

Meilenstein blättert das Skript durch.

Meilenstein

Also wollen wir doch einmal sehen, was dieser Schurke sonst noch geschrieben hat? Begräbnis auf dem Wiener Zentralfriedhof. Flöge, Schiele, Kokoschka, Moser, Wagner, Lewinsky, Zemlinsky, Gropius, Werfel und Alma Mahler begleiten den Künstler auf seinen letzten Weg. Alles viel zu Österreichisch! Viel zu sehr aufgetragen - viel zu heuchlerisch! Ich sollte ein Requiem komponieren, ein Requiem für alle Genialität - ein Requiem für Österreich! Das macht die Sache dramatischer. Die Dramatik der nicht Anerkannten! Die Dramatik, dass erst der Tod dich unsterblich macht. Wirft das Libretto wütend in die Ecke das Thema, macht mich depressiv - das Stück bringt mich um. Ich kann doch keine Totenmesse für einen Kunstmaler komponieren, der bereits verfault, und von den Würmern zerfressen! Einer der zwischen Anerkennung und Ablehnung die Wiener zum Narren gehalten hat! Dieses Stück tötet mich, Wien tötet mich! Dieser Finkenstein tötet mich! Ich werde dieses Libretto im Klo runterspülen. Dieses ganze Panoptikum in der Klomuschel ersaufen! Das interessiert doch kein Schwein mehr. Diese Rückwärtslauferei - dieses Klammern an die Vergangenheit? Immer einen Schritt vorwärts und dann wieder einen Schritt zurück. Ein Totentanz der Wiederauferstehung! Ein Totentanz für die Auserwählten! Ich kann diesen ganzen Schwachsinn nicht mehr ertragen. Tradition ist etwas, dass die Augen vor der Zukunft verschließt. Wir brauchen eine neue gedankliche Revolution! Wir brauchen die Vernunft, um aller Unvernunft den Kehraus zu machen! Wir brauchen vor allen Dingen eine neue Moral. Wir brauchen ein neues Welttheater mit guter Luft und schöngeistiger Unterhaltungsliteratur. Und wir brauchen Diplomatie und Einsicht und keine selbstgefälligen arroganten Wichser, deren Parolen nach brauner Soße und verrotteten Abfällen stinken! Wir brauchen die Zukunft, um der Zukunft neues Licht zu geben, und nicht den Totentanz, wo wir unsere Energie für alles Sinnlose verschwenden, nur um uns zu bereichern! Wir die wir uns so gern mit fremden Federn und den Tod schmücken. Diese Leichenfledderei, wo sich die Missverstandenen nicht mehr wehren können, ist eine österreichische Tragödie!

Steinhäuser betritt mit einem großen Kuvert unterm Arm das Zimmer. Meilenstein sieht sie misstrauisch und unwirsch an.

Meilenstein

Was gibt es? Streicht sich durch seine unbändigen Haare. Stören Sie mich doch nicht in meiner kreativen Phase! Ich brauche Inspiration! Ich muss nachdenken, um den ganzen morbiden Psychodreck von Finkenstein zu begreifen.

Steinhäuser

Klagenfurt hat die Partitur zurückgeschickt.

Meilenstein

Was für eine Partitur?

Steinhäuser

Die Partitur über den Kronprinz Rudolf.

Überreicht ihm das Kuvert mit der Partitur.

Meilenstein

Daran ist nur der Finkenstein schuld. Dieses ausgelutschte Thema interessiert kein Theater! Nicht einmal Klagenfurt... Eingeredet hat er es mir - Diese Mary Vetsera! Das österreichische Dummchen, das sich in den Kronprinzen verliebt? Wenn das nicht einmal Klagenfurt interessiert, wie soll es dann die ganze Welt interessieren? Ich könnte ihn erschießen, diesen Finkenstein, das er mit diesem maroden Thema meine kostbare Zeit gestohlen hat. Was mache ich jetzt mit der Partitur? Ich werfe sie in den Kamin - ich werde die ganze verlogene Geschichte in den Kamin werfen! Ich will die ganze Vergangenheit lichterloh brennen sehen! Ich will diesen Finkenstein lichterloh brennen sehen, der mir diesen ganzen maroden Mist eingeredet hat!

Er nimmt die Partitur und will sie ins Feuer werfen. Fräulein Steinhäuser stürzt aufgeregt auf Meilenstein zu, um ihn die Partitur aus der Hand zu reißen.

Steinhäuser

Meilenstein um Gottes willen, sind Sie jetzt ganz närrisch geworden? Das dürfen Sie nicht! Geben Sie mir die Partitur! Ein wahres Meisterwerk ist Ihnen da gelungen! Sie dürfen nicht immer gleich die Flinte ins Korn werfen. Das Werk ist großartig, so glauben Sie mir doch! Wenn nicht in Klagenfurt, dann sicherlich in St. Pölten! Dort wird man das Werk schon uraufführen.

Es gibt ein Gerangel zwischen Fräulein Steinhäuser und Meilenstein. Sie reißt Meilenstein mit ihrer letzten Kraft die Partitur aus den Händen. Plötzlich stehen beide verdutzt gegenüber, und schauen zum Boden, wo die zerrissene Partitur am Boden liegt.

Meilenstein

Sehen Sie was Sie jetzt angestellt haben? Sie haben sie zerrissen - einfach zerrissen. Da hätte ich sie gleich ins Feuer werfen können! Fräulein Steinhäuser kniet am Boden und sammelt die zerrissenen Notenblätter auf.

Steinhäuser

Ich werde die Partitur wieder zusammenkleben... Jedes einzelne Notenblatt werde ich wieder zusammenkleben... Blatt für Blatt... Note für Note! Es ist ein Meisterwerk - ein wahres Meisterwerk! Das Stück passt überall hin, nur nicht nach Klagenfurt! Wir werden es den Deutschen zum Fraß vorwerfen! Oder den Amerikanern? Die Amis lieben diesen österreichischen Kitsch!

Meilenstein

Verwenden Sie es von mir aus als Klopapier, und lassen Sie mich mit dieser traditionellen Geschichtsblödelei in Ruhe. Ich brauche etwas Neues - Etwas Revolutionäres! Dieser Kretin von Finkenstein hat keine Einfälle mehr! Ich werde mein eigenes Stück schreiben. Mein eigenes Libretto, meine eigenen Texte, meine eigene Musik! So wie Ernst Krenek... Das war ein gescheiter Kopf. Viele Komponisten waren gescheite Köpfe, die haben sich nicht von einem Librettisten ständig anpinkeln lassen! Ich lasse mich von niemandem mehr anpinkeln - do it

yourself. Schlägt sich auf die Stirn warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Meilenstein droht mit der Faust zur Türe