Genießen – was schön ist und gut tut - Rudolf Walter - E-Book

Genießen – was schön ist und gut tut E-Book

Rudolf Walter

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Beschreibung

Genießen ist eine Kunst, ja der Kern der Lebenskunst. Freude, Lust und Hingabe gehören dazu. Aber auch Zeit braucht es: mit allen Sinnen bewusst wahrzunehmen, zu spüren, zu schmecken, zu fühlen, was schön ist und uns guttut. Das ist vieles. Nicht bloß Essen und Trinken, das sowieso. Nicht nur Muße, sondern auch Arbeit. Natürlich auch die Natur in Wald oder Garten. Spazierengehen, Schwimmen oder Radfahren. Anspannung und entspannter Schlaf. Freundschaft und Schönheit. Aber auch Stille. Selbst Verzichten kann zum Genuss werden. Ein inspirierendes Kaleidoskop der schönsten Möglichkeiten. Perlen der Lebenskunst – und eine bunte Fülle von Ideen und Geschichten.

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Ein einfach-leben-Buch

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Satz und Gestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf bei Rosenheim

Umschlagmotiv: © Malte Mueller – GettyImages

Bilder im Innenteil: © Annandistock - GettyImages, Kateryna

Chernetska – GettyImages, Malte Mueller – GettyImages, Nataliia Nesterenko – GettyImages, Olga Cherniak – GettyImages, Rinat Khairitdinov – GettyImages, SofiaV – shutterstock, titami29 – GettyImages, Wanlee Prachyapanaprai – GettyImages

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-03477-0

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83254-3

Inhalt

Genießen – eine Kunst.Vorwort von Anselm Grün

Einleitung

Arbeit, Nichtstun und Muße

Spazieren: Gehen statt rosten

Waldeslust: Im Grünen zu Hause

Alle Wetter! Sommer wie Winter

Gartenfreuden – paradiesisch

Pausieren – aufatmen, leben

Essen – schmecken und kosten

Die Intermezzo-Kunst: Nickerchen

Wohl bekomm’s: Lob des Weins

Wasserkraft – oder: Baden im Glück

Die Zeit rast, Glück fährt Rad

Ferien, Urlaub – endlich unendlich Zeit für mich

Lust auf Lesen – Lust am Leben

Verbunden – allein und in Gemeinschaft

Die Schönheit des Helfens und Tröstens

Gold wert: Freundschaften

Was schön ist: Wenn einem das Herz aufgeht

Mehr als „alles“: Verzichten als Lustgewinn

Ohren auf – die Musik der Stille hören

Vorfreude, Erwarten, Erinnern

Endlich! Die Herrlichkeit des Alters

Gute Nacht! Vom Schlafen und Träumen

Letztendlich: Dankbarkeit ist ein Schlüssel

Genießen – eine KunstVorwort von Anselm Grün

Von der Lebenskunst gilt, wie von jeder Kunst, das Sprichwort: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Genießen ist aber eine Kunst, die man lernen und praktizieren kann. Jeden Tag ist Gelegenheit dazu.

Nicht alles, was uns von der Werbeindustrie als Genuss angeboten wird, ist es auch wirklich. Konsumieren ist kein anderes Wort für Genießen, auch wenn uns manche Marketingsprüche das einreden wollen. Auch wer glaubt, dass man sich alles kaufen kann, täuscht sich. Auf Kommando geht Genuss sowieso nicht. Und auch was zu viel ist, kann man nicht genießen. Um genießen zu können, braucht es nicht nur das rechte Maß – es braucht auch eine spirituelle Dimension. Die Spiritualität lehrt uns, dass nur der genießen kann, der auch verzichten kann.

Es läuft im Leben auch nicht immer alles nach unseren Wünschen. Aber immer wieder können wir uns mit neuen Augen und Ohren und mit allen Sinnen auf das Leben einlassen und auf das achten, was wir gerade tun oder empfangen.

Wenn ich sage, dass uns heute die spirituelle Dimension des Genießens abhandengekommen ist, meine ich damit nicht, Spiritualität sei etwas Unsinnliches. Ganz im Gegenteil: Denn Genießen hat vor allem mit den Sinnen zu tun. Erfahrungen in der Natur sind wichtig. Ich genieße das Schauen einer schönen Landschaft. Ich genieße es aber auch, wenn ich ganz im Schauen eines schönen Bildes aufgehe. Ich schaue dann nicht, um zu beurteilen, sondern um eins zu werden. Das Schöne zu schauen tut der Seele gut. Da fühlt sie sich daheim, dabei kommt sie in Berührung mit ihrer eigenen Schönheit. Die Erfahrung der Schönheit befreit uns aber auch vom Kreisen um uns selbst, sie ermöglicht Beziehung und befähigt uns zur Liebe.

Wir sprechen auch vom Hörgenuss. Ich genieße das Hören einer schönen Melodie. Ich überlasse mich ganz dem Hören und vergesse mich darüber selbst. Ich lasse die Musik in mich eindringen, werde eins mit ihr und spüre mich auf neue Weise. In mir klingt die Melodie nach. Das vertreibt negative Schwingungen meiner Seele. Und ich höre dann vielleicht sogar das Unhörbare, werde auf diese Weise selbst in ein Geheimnis hineingenommen.

Wir genießen ein gutes, schmackhaftes Essen. Wir genießen den Wein, den wir bewusst trinken. Der Gierige vermag nicht zu genießen. Er muss immer mehr haben. Genießen braucht aber Langsamkeit. Ich lasse mir Zeit, die Speisen zu genießen. Und ich bin ganz beim Schmecken. Der Religionsphilosoph Walter Schubart spricht von der „Wollust des Schmeckens“. Sie bewirkt „eine Ekstase, die sich vom Gaumen aus über den Menschen ergießt“ (Walter Schubart, Religion und Eros 135). Und der französische Schriftsteller Marcel Proust erzählt von einer mystischen Erfahrung beim Essen eines süßen Kuchens: „In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt bliebt, hatte mich durchströmt.“ Solche Erfahrungen kann man nicht einfach machen. Sie geschehen. Die Voraussetzung dafür aber ist, dass wir ganz im Essen und Genießen sind, uns ganz auf das Schmecken einlassen.

Genießen bezieht sich auch auf das Riechen. Wir riechen gerne ein angenehmes Parfum. Das Riechen verbindet uns mit intensiven Gefühlen, die wir in der Vergangenheit hatten. Wenn ich Heu rieche, vergegenwärtige ich den ersten Urlaub, den ich als Kind mit unserer Pfarrjugend machen durfte. Ich rieche den Wald, ich rieche eine bestimmte Landschaft. Ich liebe den charakteristischen Geruch, der etwa eine sonnige toskanische Landschaft prägt. Und ich liebe auch den Geruch von Weihrauch, der einer Kirche einen eigenen Duft verleiht.

Ich betaste auch gerne einen weichen Pullover, den ich anziehe. Ich genieße es, einen schönen Holztisch zu berühren. Und ich genieße es, wenn ich die zarten Hände eines kleinen Kindes betaste. Liebende genießen es, wenn sie einander die Haut streicheln. Im Tasten berühre ich einen Menschen, eine Blume, eine weiche Wolle. Und indem ich berühre, komme ich in Berührung mit mir selbst, mit den guten Gefühlen von Liebe, Zärtlichkeit und Freude.

Damit ich das Schauen, das Hören, das Schmecken, das Riechen und das Betasten genießen kann, braucht es Achtsamkeit und Hingabe. Ich lasse mich ganz auf das ein, was ich schaue, höre, schmecke, rieche und betaste. Ich vergesse mich selbst, also auch mein Ego. Das Genießen will nicht besitzen. Es will erfahren, erleben. Da geht es nicht um schnelle und laute Erlebnisse, sondern um ein inniges, intimes Erleben, bei dem ich ganz bei mir bin und ganz bei dem, was ich wahrnehme. Wer alles konsumieren will, der genießt nicht. Er verschlingt das Essen, das Bier und die Events. Aber er ist nicht bei sich. Er muss die innere Leere damit ausfüllen, dass er etwas in sich hineinschlingt.

Genießen braucht daher auch Verzichten. Wer nicht verzichten kann, kann auch nicht genießen. Daher hat die christliche Tradition vor die großen Feste ein Fasten gesetzt. Die Fastenzeit bereitet uns vor, damit wir an Ostern dann umso intensiver das Festmahl genießen können.

Auch Maß ist wichtig. Wer ein Bier nach dem anderen trinkt, wird einen schweren Kopf bekommen. Wer den Wein nur in sich hineinschüttet, betäubt sein Genussvermögen. Wer zu viel isst, der ärgert sich am nächsten Tag, dass er nicht richtig schlafen konnte. Oder aber er fühlt sich zu satt. Hildegard von Bingen hat einmal gesagt, Disziplin sei die Kunst, sich immer freuen zu können. Ich kann mich am Genuss des Weines nur freuen, wenn ich ihn in Maßen trinke. Und ich kann mich an der Süßspeise nur freuen, wenn ich mich damit nicht vollstopfe und aufhöre, wenn es am besten schmeckt. Disziplin entspringt der inneren Freiheit und der Kunst des Genießens. Das hat Hildegard von Bingen verstanden.

Auch Zeit ist wichtig. Mit dem schnellen „Kick“ ist es nicht getan. Es braucht nicht viel zum Genießen, aber Zeit sollte man sich lassen. Genießen kann man nicht hastig. Wenn man die Zeit hat, dann lässt man auch den Geschmack des Käses und die Aromen des Weines auf der Zunge zergehen. Zeit meint auch, dass wir den Rhythmus des Lebens wahrnehmen und genießen: Wir sprechen davon, dass wir unseren Schlaf genießen. Ich genieße meinen Mittagsschlaf. Und ich genieße es, wenn ich nach einer anstrengenden Tätigkeit mich zehn Minuten aufs Bett lege und mir vorsage: Ich muss jetzt gar nichts tun. Ich liege einfach da. Ich genieße die Schwere der Müdigkeit. Danach kann ich dann auch wieder die Arbeit genießen.

Andere erzählen, dass sie den Ruhestand genießen, dass sie die Muße genießen, die sie sich im Ruhestand gönnen. Die griechischen und römischen Philosophen haben die Muße gepriesen. Die Muße zu genießen war für sie ein Zeichen für die Würde des Menschen, der nicht verzweckt werden darf, sondern sich frei fühlt, sich auf das einzulassen, was ihm Freude bereitet. Ich kenne auch alte Menschen, die ihr Altsein genießen. Ich selber genieße auch mein Altsein. Es befreit mich von dem Druck, mich beweisen zu müssen, etwas leisten zu müssen. Ich genieße es, einfach sein zu dürfen, ohne Druck, mich darstellen, mich rechtfertigen, mich beweisen zu müssen.

Genießen hat mit Spiritualität zu tun. Das Ziel des geistlichen Lebens – so sagen es die mittelalterlichen Theologen – ist die fruitio Dei, das Genießen Gottes. Wenn das Genießen Gottes das Ziel unseres Lebens ist, dann steckt dahinter ein anderes Gottesbild und Menschenbild, als es in weiten christlichen Kreisen üblich ist. Es ist nicht in erster Linie der fordernde Gott, sondern der Gott, der für den Menschen den höchsten Genuss bedeutet. Und das führt auch zu einem anderen Selbstbild. Nicht der Asket, der auf alles verzichtet, sondern der Mensch, der fähig ist, zu genießen, leuchtet in dieser Theologie auf. Die Frauenmystik des Mittelalters hat das verstanden. Sie war eine Mystik der dulcedo Dei. Die Frauen schmeckten Gottes Süßigkeit vor allem in der Eucharistie, im Essen des Brotes und im Trinken des Weines. Da spürten sie mit allen Sinnen die Süßigkeit Gottes. Gott war also für diese Frauen vor allem einer, der einen angenehmen, süßen Geschmack hat und den man im Essen und Trinken genießen kann. Und diese spirituelle Erfahrung hatte auch Auswirkungen auf das Mahl, das sie vor allem an Festtagen miteinander ausgiebig feierten und genossen.

„Wer nicht genießen kann, wird ungenießbar“, sagt das Sprichwort. Es will also gelernt sein, das Genießen. Es braucht Zeit, Ruhe, Achtsamkeit, die Fähigkeit, sich ganz auf etwas einzulassen, ganz im Augenblick zu sein, ganz im Schauen, im Hören, im Riechen, Schmecken und Betasten. Wer gelassen ist, kann den Augenblick genießen. Gelassen heißt auch: frei von dem Druck, alles Mögliche erleben zu wollen. Genuss heißt: Ich erfahre das Leben in Fülle. Ich spüre: Mehr gibt es nicht.

So wünsche ich den Lesern und Leserinnen dieses Buches, dass sie wieder in Berührung kommen mit dem Genießen, das sicher jeder immer wieder in seinem Leben erfahren hat, das wir aber manchmal in der Hektik des Alltags vergessen. Genießen Sie die Gedanken in diesem Buch. Genießen Sie die Zeit, die Sie sich für das Lesen nehmen. Und genießen Sie das Lesen, in dem Sie in eine andere Welt eintauchen, in die Welt der Freude, der Freiheit und Lebendigkeit und in eine Welt der Liebe. Denn es ist letztlich immer Liebe, die wir genießen.

Einleitung

Rabbi Chiskija und Rabbi Kohen lehrten beide im NamenRaws: „In der eschatologischen Zukunft muss derMensch Rechenschaft ablegen über alles, woran seinAuge Gefallen fand und was er trotzdem nicht genoss.“

(Jakob J. Petuchowski, Ferner lehrten unsere Meister, 88)

Wenn sich einer wissentlich des Weines so sehr enthielte,dass er damit seine Gesundheit schwer belasten würde,so wäre er nicht frei von Schuld.

(Thomas von Aquin, Summa theologica IIaIIae, q. 150, a. 1)

Genießen – darf man das heutzutage guten Gewissens? Man denkt an sogenannte „Lebenskünstler“, die es sich – immer nach dem Motto „Man gönnt sich ja sonst nichts!“ - exzessiv gut gehen lassen und ständig Angst haben, etwas zu verpassen, die in ihrer Gier nur sich sehen – „Ich! Ich! Ich!“. Aber wer die Augen verschließt und den Hals nie vollkriegt, ist kein Genussmensch.

Und, ja, jemand kann auch Macht über andere genießen. Oder sogar den eigenen Hass. Man kann sich selbst in sein Leiden verlieben. Aber mit wirklichem Genuss hat das so wenig zu tun wie echte Freude mit Schadenfreude, die andere niedermacht – wie genüsslich auch immer.

Manche haben auch ein schlechtes Gefühl, weil das Genießen heutzutage fast zur Pflicht verkommen ist. „Genieße den Tag!“ Das stand früher auf Sonnenuhren. Heute ist „Carpe diem“ der Name einer Reiseagentur. Im Angebot, natürlich: Genussurlaub. Wer seinen teuren Aufenthalt nicht genießt – selber schuld. Die Genussmittelbranchen boomen. Bei Werbung für Kinderschokolade fängt es an: „So geht Genuss. Lebe deinen Genuss – mit Mandelstückchen.“ Und es geht bis zum „Genießen Sie Ihr Alter!“ – in der teuren Seniorenresidenz. Und was soll man zwischendrin nicht sonst noch alles genießen – immer gegen Bares natürlich. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Früher war es oft umgekehrt. Selbstlose Pflicht ging über alles. „Etwas lernen. Etwas leisten. Etwas auf die hohe Kante legen“: Mit diesem ziemlich freudekargen Dreisatz zum rechten Leben sind viele groß geworden. Und noch heute sagen manche: „Ich kann nicht genießen. Ich hab’s nicht gelernt.“ Arbeit war wichtig. Ruhe hatte ihren Wert als Erholung für neue Pflichten, neue Aufgaben.

Aber warum soll Arbeit nicht auch Freude machen? Warum sich nicht nach der Anstrengung selber etwas gönnen? Gerade einen Erfolg kann man schließlich auch genießen. Und lernen, dass Arbeit nicht alles ist.

„Das Unglück kommt, wenn man es ruft“, heißt es in China. Aber auch das Glück kommt nicht von selber. Man muss es ebenfalls rufen, muss etwas dafür tun. Klar, es gibt Hässliches. Und vieles ist nicht gut in der Welt. Aber warum den Blick darauf verengen? Mit allen Sinnen leben meint: Ich sehe auch das andere, ich höre, fühle und spüre auch das, was mich heiter stimmt und mit Freude erfüllt. Freude ist schön und tut gut. Genießen ist das aktive Widerlager der Freude, ihr Pendant.

Dieses Buch zeigt bei aller Vielfalt natürlich nur eine Auswahl. Vieles kann man selber und individuell ergänzen, hinzufügen aus eigener Erfahrung: Liebe, Sexualität und Erotik, aber auch Abstand, Rückzug und Alleinsein. Nicht nur dem Fahrrad könnte man ein Kapitel widmen, sondern auch einer weniger anstrengenden Reise mit dem Zug. Sogar der Verspätung kann man etwas abgewinnen. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen …

Man kann nicht ständig genießen. Aber immer wieder. Wer etwas genießt, spürt: Alles stimmt in diesem Moment für mich, Äußeres und Inneres. Ich will nichts anderes machen. Kein Ort, wo ich lieber wäre. Schön, dass ich mit diesem Menschen zusammen bin. Genießen heißt auch: sich solcher Situationen bewusst sein, in denen man Ja sagen kann zu sich und der Welt. Also dem zustimmen, was da – und schön und gut – ist. Das meint nicht, sich das Leben schönzureden. Aber eben auch, sich nicht auf das zu fixieren, was gerade nicht so positiv ist oder was fehlt. Sondern das, was jetzt das Gute und Schöne ist, bewusst wahrzunehmen. Und es sich bewusst zu gönnen und Räume dafür zu schaffen. Studien der Psychologinnen Katharina Bernecker und Daniela Becker (von den Universitäten Zürich und Njimegen) haben gezeigt, dass die Lebenszufriedenheit steigt, wenn man wohlwollend sich selber gegenüber ist. Für ein erfolgreiches Leben, so die Forscherinnen, ist es wichtig, die Balance zu finden zwischen den Anforderungen des Alltags, auch notwendiger Selbstkontrolle – und der Fähigkeit, Freude zu erleben. Personen mit geringer Genussfähigkeit sind demnach sogar eher suchtgefährdet.

Natürlich: Vieles ist bedrückend. Aber: Auf wie viel kann man sich auch freuen, für wie viel dankbar sein! Das Blaue vom Himmel. Der erste Schluck Kaffee am Morgen. Humor. Freundlichkeit und Liebe. Fröhliche Kinder. Schuhe, die nicht drücken. Gute Bücher. Musik auf jeden Fall. Sogar Kartoffelsalat. Oder eine dicke Tomatensuppe. Ein Bett, wenn man müde ist…

Ein Leben ohne Genüsse dauert auch nicht länger, hat jemand gesagt. Es kommt einem nur länger vor!

Genießen ist ein unendlich vielseitiges Vergnügen. Widersprüche, auch Gegensätze schließt diese Liebe zum Leben ein: Anfangen und Aufhören. Das Mühselige, aber auch das Unverhoffte. Alltag und Fest. Ein Abend auf dem Sofa oder die Begegnung mit Freunden. Bauernbrot und Kaiserschmarren, süße Schokolade, saure Gurken. Hände, die zärtlich streicheln oder kräftig zupacken …

Von der Kindheit bis zum Alter kann genießen, wer einfach lebt.

Einfach leben – darum geht bei diesem Kaleidoskop einfacher Freuden. Weder um originelle Gedanken noch um Vollständigkeit, sondern schlicht darum, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was unmittelbar vor uns liegt und woran man sich mit Sinn und Verstand freuen kann.

Manchmal hilft es ja schon, die Gläser der Brille zu putzen, durch die man auf die Welt schaut, um klarer zu sehen, dass das Leben auch schöne Seiten hat; es kann hell, bunt und farbig sein. Auch um solche Blickveränderung geht es. Aber auch um konkrete Lebenssituationen und bestimmte Gelegenheiten: Warum man etwa in Freundschaftsbeziehungen Besonderes erleben kann. Weshalb wir gerade in Momenten der Not Hilfe und Trost brauchen und was da besonders gut tut. Oder was schön und gut ist im Alter, auch wenn die Kräfte nachlassen. Wenn am Ende auch von Dankbarkeit die Rede ist, ist das zwar kein „Genuss“ im üblichen Sinn. Aber beides steht – über die Freude – in Beziehung zueinander. „Freude am Genießen“, das ist ja nicht naiv gemeint, als wäre das Leben nur fröhlich und lustig, wenn man es bloß in die eigene Hand nimmt. Auf einen simplen Nenner lässt es sich sowieso nicht bringen.

Die Spannung ist nicht ganz auflösbar, das Paradox bleibt. In einer bekannten Zen-Geschichte wird das deutlich: Da flieht einer vor einem wilden Tier, hält sich an einem Strauch fest, unter sich den Abgrund, über sich den Tiger. Und da sieht er an dem Strauch eine Beere. Er pflückt sie und isst sie: „Wie süß die Beere schmeckte!“

Manche verfallen in Melancholie, weil am Ende doch der Tod steht. Das Leben ist endlich, sicher. Aber warum sollte man sich nicht – jetzt – zum Beispiel über ein gutes Schokoladeneis freuen?

Karl Rahner, der große Theologe – von dem man weiß, wie sehr er ein gutes Eis schätzte –, hat in einem Interview (als Achtzigjähriger, kurz vor seinem Tod) gesagt: „Die guten Sachen sind nicht nur für die Spitzbuben da!“ Er hat damals nicht nur den besten Eisladen Roms verraten („an der Piazza Navona“), sondern auch hinzugefügt, dass man nicht nach Italien fahren muss, um gutes Eis zu bekommen.

Auch das, wovon im Folgenden die Rede ist, verlangt keinen großen Aufwand. Es findet ganz in der Nähe, meist im eigenen Leben statt, und ist, wie schon gesagt, eine Kunst, die man jeden Tag lernen und praktizieren kann.

Arbeit, und Nichtstun Muße

Der Mensch muss sich hüten,durch zu viel Arbeit seinen Leib zu töten.

(Hildegard von Bingen)

Kann man ein Buch über Genießen wirklich mit dem Thema Arbeit beginnen? Als ich kürzlich eine Bekannte wiedertraf, die rundum entspannt wirkte, war das Geheimnis ihrer Verwandlung schnell geklärt. Nein, sie kam nicht aus dem Urlaub: „Seit ich in Rente bin, genieße ich das Leben jeden Tag. Keinen Druck mehr. Nichts mehr müssen. Ich kann tun und lassen, was ich will. Diese Freiheit – ich genieße das!“

Tatsache ist: Wir leben nicht nur, um zu arbeiten. Und doch bestimmt in aller Regel Arbeit unser Leben. Eine Zahl von 90.000 Stunden Arbeitszeit im Leben eines Menschen hat der promovierte Statistiker und Blogger Nathan Yau ausgerechnet: Durchschnittswerte für einen Erwachsenen, der in Anstellung arbeitet und mit 65 Jahren in den Ruhestand geht. Demnach verbringt eine solche Person 3716 Tage mit Arbeiten – 89.184 Stunden. Da schließen sich Fragen an: Ist nichts wert, wer nichts tut, „nichts auf die Beine stellt“? Wann macht Arbeiten Freude? Und worin liegt der Wert des Nichtstuns, der besondere Genuss der Muße?

In der Antike galt körperliche Arbeit als notweniges Übel und wurde meist von Sklaven verrichtet; Muße hingegen war erstrebenswert und den gut situierten Freien vorbehalten. Das hat sich später auch unter dem Einfluss des Christentums geändert, schon in den Klöstern. Und nicht nur im Protestantismus galt und gilt Arbeit und Leistung als etwas generell Gottgewolltes.

Für viele ist das Arbeitsleben, ob handwerklich praktisch oder am Schreibtisch, eine Quelle von Sinn, Erfüllung und Freude – vor allem wenn es Erfolgserlebnisse gibt, die Atmosphäre stimmt, die Kollegen freundlich sind und wenn das, was man tut, im Rahmen der eige