Geschichte der Friedensbewegung - Alfred H. Fried - E-Book

Geschichte der Friedensbewegung E-Book

Alfred H. Fried

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Beschreibung

Alfred Hermann Fried (1864-1921) war Weggefährte der Österreicherin Bertha von Suttner, begründete im November 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft und erhielt 1911 den Friedensnobelpreis. Sein "Handbuch der Friedensbewegung" (zwei Teile 1911/1913) enthält neben den Abteilungen zu Grundlagen und Organisation des Pazifismus eine umfangreiche Darstellung "Die Geschichte der Friedensbewegung" bis 1912, die in ihrer Art für den deutschen Sprachraum eine Pionierarbeit ist. Dieser frühe Versuch einer Geschichtsschreibung der Bewegung wider die Kriegsapparatur birgt lohnende Lektüre - auch für diejenigen, die in ihrer Hausbibliothek alle neueren Standardwerke zum Thema eingestellt haben. Auf Schritt und Tritt stoßen wir auf Realien und Fährten, die anderswo nicht zu finden sind. Zugleich vermittelt das Werk in mehreren Kapiteln die Sichtweise eines Zeitzeugen, der Entwicklungen und Ereignisse aus der Perspektive einer bestimmten Strömung der Friedensbewegung beleuchtet. Frieds optimistische Einschätzung zum Fortgang der modernen "Zivilisation" aus dem Jahr 1913 war schon nach dem Menschenschlachthaus 1914-1918 nicht mehr hilfreich. Doch sein Programm sollte zu Beginn einer unvorstellbaren ökologischen Krise des Erdkreises und inmitten eines "Weltkriegs auf Raten" wieder gehört werden: Organisiert eine Welt, in der alle miteinander reden, nachdenken, zusammenarbeiten und Lösungen erproben! Schluss mit dem Spiel "Sieger oder Verlierer". Faktum ist: Entweder werden alle gewinnen oder alle müssen gemeinsam untergehen. Ein Band der edition pace, herausgegeben von Peter Bürger

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edition pace ǀ Band 14

Regal zur Geschichte des Pazifismus 1

Herausgegeben von Peter Bürger, Editionsmitarbeit: Ingrid von Heiseler

In Kooperation mit dem Alois Stoff Bildungswerk der DFG-VK NRW, unterstützt durch die Bertha von Suttner Stiftung der DFG-VK

Inhalt

Vorbemerkungendes Herausgebers zu dieser Edition

Die Geschichte der Friedensbewegung bis 1912

A. Bis zum Wiener Kongreß

Friedensidee und Friedensbewegung

I. D

IE

V

ORSCHICHTE

1. Altertum

2. Mittelalter

II. N

EUZEIT

1. Bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts

2. Das Jahrhundert der Aufklärung

3. Von Kant bis zum Wiener Kongreß

B. Vom Wiener Kongreßbis zur ersten Haager Konferenz (1815–1899)

I. V

ON DER GRÜNDUNG DER ERSTEN FRIEDENSGESELLSCHAFTEN

BIS ZUR GRÜNDUNG DER INTERPARLAMENTARISCHEN UNION (

1815-1888)

1. Die Anfänge der Friedensbewegung

2. Einzug der Friedensidee in die Parlamente

3. Erster Ansturm gegen die Rüstungen

4. Von 1867-1870

5. Während des deutsch-französischen Krieges und unmittelbar nachher

6. Neuer Vorstoß in den Parlamenten

7. Neue Anregung in den Parlamenten

8. Gründung der Interparlamentarischen Union

II. V

OM ERSTEN

W

ELTFRIEDENSKONGREß BIS ZUR ERSTEN

H

AAGER

K

ONFERENZ

(1889-1899)

1. Die ersten interparlamentarischen Konferenzen und Weltfriedenskongresse (1889–1892)

2. Die neue Entwicklung der Friedensgesellschaften

3. Neue Schiedsgerichtsaktion in den Parlamenten

4. Der Haager Konferenz zu

5. Die Friedenskongresse von 1893–1897

C. Von der ersten Haager Konferenz bis zur Gegenwart(1899-1912)

I. V

ON DER ERSTEN ZUR ZWEITEN

H

AAGER

K

ONFERENZ

(1899-1907)

1. Die Zeit der Übergänge

2. Die politischen Verhältnissenach der ersten Haager Konferenz

3. Der anglo-französische Gegensatz und seine Beilegung

4. Deutschland und Frankreich

5. Deutschland und England

6. Der Kampf um den Rüstungsstillstand

7. Die Friedenspropaganda:Die Interparlamentarischen Konferenzen und die Friedenskongresse

8. Zusammentritt der II. Haager Konferenz

II. D

IE LETZTEN FÜNF JAHRE

(1908-1912)

1. Die politischen Verhältnisse

2. Die Entwicklung der Schiedsgerichtsbarkeit

3. Der Kampf um den Rüstungsstillstand

4. Die Friedenspropaganda: Weltfriedenskongresse und Interparlamentarische Konferenzen

5. Neue Gesellschaften und sonstige Institutionen

6. Neue Entwicklung in Deutschland

7. Die deutsche Wissenschaft und der Pazifismus

8. Der III. Haager Konferenz zu

Literatur zur Geschichte der Friedensbewegung

Anhang

A

LFRED

H

ERMANN

F

RIED

(1864-1921):F

RIEDENSNOBELPREISTRÄGER

(

Neue Deutsche Biographie

ǀ

Band

5)

B

IBLIOGRAPHIE

1. Schriften von Alfred Hermann Fried ǀ Auswahl

2. Literatur über Alfred Hermann Fried und die Deutsche Friedensgesellschaft

3. Gesamtdarstellungen zur Geschichte von Pazifismus und Friedensbewegung

4. Forschungs- und Publikationsreihen

Aus diesem Handbuch stammt A. H. Frieds Darstellung„Die Geschichte der Friedensbewegung“

Vorbemerkungen zu dieser Edition

Alfred Hermann Fried (1864-1921) war Weggefährte – keineswegs nur ‚Schüler‘ – der Österreicherin Bertha von Suttner, begründete im November 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) und wurde 1911 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Zuletzt hat Guido Grünewald – unter Mitherausgeberschaft der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK – einen beachtlichen Sammelband zur Würdigung dieses schier unermüdlichen Friedensarbeiters vorgelegt.1 A. H. Frieds zuerst 1905, sodann 1911/1913 (als zweitteilige Neuauflage) veröffentlichtes ‚Handbuch der Friedensbewegung‘ enthält neben den Abteilungen zu Grundlagen und Organisation des Pazifismus eine umfangreiche Darstellung „Die Geschichte der Friedensbewegung“, die zwar auf einzelne Vorläufer verweisen kann (→S. 246-248), aber doch in ihrer Art für den deutschen Sprachraum eine Pionierarbeit ist. Die Lektüre dieses hier erneut dargebotenen frühen Versuchs einer Geschichtsschreibung der Bewegung wider das ‚Programm Krieg‘ bleibt lohnend auch für diejenigen, die in ihrer Hausbibliothek die aktuellen Standardwerke zum Thema (→S. 254-255) zusammengestellt haben. Auf Schritt und Tritt stoßen wir auf ‚Realien‘ und Fährten, die anderswo nicht zu finden sind. Zugleich vermittelt das Werk in vielen Kapiteln die Sichtweise eines Zeitzeugen, der Entwicklungen und Ereignisse aus der Perspektive einer bestimmten Strömung der Friedensbewegung beleuchtet.

Die radikalen Friedensfreunde vor 120 Jahren – aus heutiger Sicht die ‚eigentlichen Pazifisten‘ – folgten etwa dem Ansatz von Leo Tolstoi, der sein Vertrauen mitnichten in die Einsichtsfähigkeit der Regierenden und eine irgendwie zwangsläufige Evolution des ‚zivilisatorischen Fortschritts‘ setzte: Die Beherrschten müssen sich jetzt dem Waffendienst und überhaupt der Kriegsapparatur verweigern. (Leider ist es Tolstojanern oder Sozialisten nicht gelungen, vor der Eröffnung des großen Menschenschlachthauses zeitig einen solchen ‚Generalstreik‘ zu initiieren). – Alfred Hermann Fried hingegen stellte förmlich sein ganzes Leben in den Dienst des Friedens, weil er glaubte, der Durchbruch zu einem neuen Recht der Völker – nach Maßgabe von Vernunft und Humanität – stehe bevor: „Fortschrittstatsachen“ überall … Viele Regierungen und selbst den deutschen Kaiser sah er auf einem passablen Weg. Seine Geschichtsschreibung von 1913 endet mit einem Geschichtsoptimismus sondergleichen: „Möge die rastlose Vorarbeit, die seitens der Friedensbewegung geleistet wird, in der Hand befähigter Männer zum Wohle der Menschheit verwertet werden. … Möge aus diesem Rückblick auf das Vergangene die werdende Frucht erkannt werden, möge daraus Mut und Zuversicht sprießen für die Millionen, die der Zeit des nahen Weltfriedens entgegenarbeiten.“ (→S. 244-245).

Es kam stattdessen nur ein Jahr darauf der Erste Weltkrieg mit am Ende 17 Millionen Toten. A. H. Fried sah sich herausgefordert zu „beweisen, dass der Pazifismus nicht bankerott ist … Der Pazifismus lebt und streitet und bereitet sich auf die große Aufgabe vor, die seiner nach Beendigung des Krieges auf diesem zerrütteten Erdteil harrt.“2 – Das Lebenswerk dieses Friedensstreiters vermögen wir nur mit Respekt zu betrachten. Seine optimistische Einschätzung der modernen „Zivilisation“ und der Mächtigen können die Nachgeborenen nicht mehr als hilfreich betrachten. Sein Programm jedoch muss am Anfang einer unvorstellbaren ökologischen Krise des ganzen Erdkreises und inmitten eines ‚Weltkriegs auf Raten‘ endlich wieder gehört werden: Organisiert eine Welt, in der alle miteinander reden, nachdenken, zusammenarbeiten und Lösungen erproben. Sorgt für Regeln, die der ganzen menschlichen Familie und nicht einer winzigen Minderheit von ‚Ego-Shootern‘ dienlich sind. Mindestvoraussetzung ist, dass die Waffen schweigen. Sonst kommt auf jeden Fall eine Barbarei, die alles Gewesene in den Schatten stellt.

Zur Verbesserung der Übersichtlichkeit sind in der vorliegenden Neuedition die Textabteilungen der ‚dritten Gliederungsstufe‘ mit arabischen Ziffern versehen worden. Frieds Darstellung eröffnet ein zunächst dreiteiliges ‚Regal zur Geschichte des Pazifismus‘, herausgegeben in Kooperation mit dem Alois Stoff Bildungswerk der DFG-VK NRW. Grundlegend ist die im Internet kostenfrei abrufbare Digitalfassung als Erstauflage; es folgt jedoch bei allen Teilen auch eine nichtkommerziell kalkulierte Taschenbuchausgabe der edition pace.

Düsseldorf, im März 2024 Peter Bürger

1 Guido GRÜNEWALD (Hg.), Alfred Hermann Fried: Organisiert die Welt! (= Ge-schichte & Frieden, Band 36). Bremen: Donat Verlag 2016.

2 A. H. FRIED: Vom Weltkrieg zum Weltfrieden. Zürich: Orell Füssli 1916, S. 7.

DIE GESCHICHTE DERFRIEDENSBEWEGUNGBIS 1912

Textquelle

ALFRED HERMANN FRIED:Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil. Geschichte, Umfang und Organisation der Friedensbewegung. Zweite, gänzlich umgearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin und Leipzig: Verlag der „Friedens-Warte“ 1913, S. 1-262: „VI. Die Geschichte der Friedensbewegung“.

„Friedensidee und Friedensbewegung sind nicht wesensgleich. Die eine ist nur die Voraussetzung der andern; die Idee war es auch hier, die zur Tat führte. Erst die für die Friedensidee planmäßig eingesetzte Arbeit ist Friedensbewegung. Eine Geschichte dieser Bewegung kann sich aber nicht darauf beschränken, lediglich das in ihrem Interesse unternommene Tatwirken zu verzeichnen. Sie muß auch dem Empfinden und Denken Raum geben, das die Menschheit beseelte, lange ehe sie die Reife zum Handeln besaß, und das auch, nachdem es schon lange ein pazifistisches Wirken – eine Friedensbewegung also – gab, auch neben dieser sich entfaltete und immer wieder befruchtend auf sie einwirkte.“

ALFRED HERMANN FRIED

A. Bis zum Wiener Kongreß

Friedensidee und Friedensbewegung. – I. DIE VORGESCHICHTE: 1. Altertum. Altes Testament – Orient – Griechen. – Römer. – Neues Testament und Kirchenväter. – 2. Mittelalter. Thomas v. Acquino. – Marsilius von Padua. – Honoré Bonnor. – Peter Dubois. – Treuga dei – Fehderecht und Landfriede.

II. DIE NEUZEIT: 1. Bis Ende des XVII. Jahrhunderts. Georg von Podiebrad. – Erasmus von Rotterdam. – Luther. – Heinrich IV. – Emeric Crucé. – Hugo Grotius. – Richard Zouche. – Thomas Campanella. – Amos Comenius. – Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels. – Herzog Karl von Lothringen. – Spinoza. – Pufendorf. – Thomasius. – Friedrich von Logau. – Fénelon. – Bayle u. a. – Die Quäcker. – William Penn. – William Temple und John Bellers. – 2. Das Jahrhundert der Aufklärung. Abbé St-Pierre. – Rousseau und Leibniz. – Montesquieu. – Voltaire. – Die Enzyklopädisten (Holbach, Diderot, Turgot). – Ange Gondart. – La Harpe, Gaillard und Mayer. – Gottsched. – Palthen. – Totze. – Lilienfeld. – Vattel – Lessing. – Friedrich der Große. – Kaunitz’ Abrüstungsvorschlag. – Herder. – Wieland. – Schiller. – Hippel. – Schinly. – Swift. – Hume. – Price. – Bentham. – Die nordamerikanische Föderation. – Alexander Hamilton. – Die französische Nationalversammlung (Beauharnais, Mirabeau, Volney, Pétion, Isnard, Robespierre, Cloots, Abbé Gregoire, Ediasseriaux, Condorcet). – 3. Von Kant bis zum Wiener Kongreß. Immanuel Kant – Kants Gegner.– von Jakob. – Krug. – Schelling. – Zachariae. – Chateaubriand. – Fries. – von Malinowsky. – Batain. – Jean Paul. – G. Hugo. – Heeren und Krause. – Erzherzog Karl. – Fichte. – Fournier. – St Simon. – Thiery. – Constant de Rebecque. – Der Wiener Kongreß. – Der Deutsche Bund. – Der Schweizer Bund. – „Die Heilige Allianz“. – Napoleons Plan für eine europäische Staatengesellschaft.

Friedensidee und Friedensbewegung

Vielfach gehen die Bekämpfer des Pazifismus von der Anschauung aus, als ob es sich dabei um eine Modelaune der Gegenwart handelte, die eines Tages ebenso rasch verschwinden werde, wie sie angeblich gekommen sein soll. Daß eine solche Anschauung auf einem Irrtum beruht, ist am besten durch einen geschichtlichen Rückblick zu widerlegen. Es ist darin zu zeigen, wie sich der Friedensgedanke schon in der Frühzeit unserer Kultur eingestellt hat, und wie er sich auch unter den widerwärtigsten Verhältnissen, unter den Stürmen und der Finsternis ganzer Zeitabschnitte behauptete, wie er sich entwickelte und an Stärke zunahm, um sich immer mehr zur Tat zu verdichten. Denn am Anfang war bloß der Gedanke, die Idee. Man pries den Frieden als ein Ideal, das aus der Sehnsucht der Menschheit entsprang. Erst allmählich fing man an, über die Möglichkeit einer Verwirklichung des Ideals nachzudenken und so die Friedensidee zur Friedensbewegung hinüber zu leiten, die erst da greifbar in Erscheinung tritt, wo es versucht wird, die uralte, die Menschheitsgeschichte wie ein roter Faden durchlaufende Idee in die Wirklichkeit zu übertragen.

Friedensidee und Friedensbewegung sind nicht wesensgleich. Die eine ist nur die Voraussetzung der andern; die Idee war es auch hier, die zur Tat führte. Erst die für die Friedensidee planmäßig eingesetzte Arbeit ist Friedensbewegung. Eine Geschichte dieser Bewegung kann sich aber nicht darauf beschränken, lediglich das in ihrem Interesse unternommene Tatwirken zu verzeichnen. Sie muß auch dem Empfinden und Denken Raum geben, das die Menschheit beseelte, lange ehe sie die Reife zum Handeln besaß, und das auch, nachdem es schon lange ein pazifistisches Wirken – eine Friedensbewegung also – gab, auch neben dieser sich entfaltete und immer wieder befruchtend auf sie einwirkte. Sie vermag aber auch zu zeigen, wie schon frühzeitig neben den Kundgebungen der Sehnsucht und den Wertungen des Friedens die Gedankenarbeit der Menschheit der praktischen Verwirklichung zustrebte; jene Gedankenarbeit für den Frieden, die schon bei den Alten sich bemerkbar machte, das trübe Mittelalter erleuchtete und in der frühen Neuzeit immer stärker hervortrat, bis sie erst an der Schwelle unserer Gegenwart, zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, jene Bestrebungen erstehen ließ, die wir jetzt als „Friedensbewegung“ bezeichnen.

Diese Richtlinien sind in dem nachfolgenden Versuch innegehalten worden. Und nur um einen solchen handelt es sich hier. Mehr als eine Skizze der pazifistischen Entwicklung zu bieten, würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Für eine umfassende Geschichte der Friedensbewegung ist wohl auch der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Noch fehlt uns für die Ereignisse, die sich zumeist in den letzten zwanzig Jahren zusammendrängten, die Perspektive, und der Zeitabschnitt des Stürmens und Drängens, in dem wir uns jetzt befinden, muß erst abgeklärteren Zeiten Platz gemacht haben, ehe an eine klassische Geschichte des Kampfes um den Weltfrieden gedacht werden kann.

Falsch wäre es, aus dem Alter der Idee und der auf ein Jahrhundert zurückblickenden Bewegung die Aussichtslosigkeit des Friedensgedankens herleiten zu wollen. Nur wer mit Vorurteilen daran geht, die Geschichte zu prüfen, dem also die geistigen Voraussetzungen zu einer solchen Prüfung fehlen, wird bestreiten können, daß in dem Wesen der zwischenstaatlichen Beziehungen grundlegende Veränderungen vor sich gegangen sind. Veränderungen, die durch die unausgesetzte Gedankenarbeit der erleuchteten Geister aller Zeiten bewirkt wurden. Niemals soll man vergessen, was im ersten Teile dieses Buches ausgeführt wird: Die Friedensbewegung schafft den Völkerfrieden nicht, die Kulturentwicklung bedingt ihn und zeitigt diese Friedensbewegung. Deren Geschichte ist daher nichts weiter als ein Bericht über Signale, die den Fortschritt der Menschheit sichtbar machten.

I. DIE VORGESCHICHTE

1. Altertum

Altes Testament. Orient

Spuren des Friedensideals finden wir, wenn auch neben zahlreichen Beweisführungen, deren sich die Kriegsanhänger mit Vorliebe bedienen, schon im Alten Testament. Die jüdischen Propheten, unter ihnen vornehmlich Jesaias, weissagten und priesen ein Zeitalter dauernden Friedens. Bei den alten Völkern des Orients durchzieht der Friedensgedanke die religiöse Lehre. Die Religion der Perser verkündet, daß nach der Besiegung Ahrimans aller Streit aufhören und Friede herrschen werde. Die großen Geister der Chinesen bekämpften den Krieg. Der indische Gesetzgeber Manu erklärt den Krieg als im Widerspruch zur Vernunft stehend und fordert seine Vermeidung. Sechshundert Jahre vor Christus predigte Buddha die Einheit der Menschen, das Verächtliche der Gewalt, die Werte der Liebe, und verkündete die Zendavesta den Grundsatz: „Widerspruch gegen den Frieden ist Sünde.“

Griechen

Die antike Welt vergaß trotz ihres kriegerischen Aufbaues nicht, daß der Friede einen bessern Zustand der Menschheit darstelle. Namentlich bei den Griechen wiesen die Dichter und Redner oft auf die Wohltaten des Friedens hin. Schon Homer nennt den Krieg ein „entsetzliches Scheusal“ und läßt Zeus dem Kriegsgott Mars seinen Haß ausdrücken, da er stets nur den Kampf und die Schlachten geliebt habe. Euripides (480–406 v. Chr.) bezeichnete diejenigen als Narren, die da versuchen, „wertvolle Güter durch den Krieg zu erhaschen,“ und sagt, daß der Krieg niemals aufhören werde, „wenn Streitigkeiten mit Blut erstickt werden sollen“. Auch bei Aristophanes (um 450 bis ungefähr 380 v. Chr.) [Lysistrata z. B.] und Aeschylos (525–456 v. Chr.) finden wir Verurteilungen des Krieges. Andokides, der attische Redner, der ungefähr im vierten Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung gelebt hat, sprach von dem unvermeidlichen Niedergang, den der Krieg dem Volke bringe, und der um dieselbe Zeit lebende Redner Isokrates (436–338 v. Chr.) stellte die Forderung auf, „man solle Frieden mit der gesamten Menschheit schließen. Es sollte unsere Sorge sein, den Frieden nicht nur zu schließen, sondern auch aufrecht zu erhalten. Aber das wird niemals geschehen, bis wir zu der Überzeugung gekommen sind, daß Ruhe besser als Unruhe ist, Gerechtigkeit besser als Ungerechtigkeit, die Sorgfalt um unser eigenes Gut angemessener als das Streben nach dem, was andern gehört“. Die Hauptvertreter der Stoa, namentlich Epiktet, um 50 n. Chr., und Zeno (350–264 v. Chr.) träumten von einem Weltstaat, und Plato (427–347 v. Chr.) schilderte im „Timäus“ und „Kritias“ den Friedensstaat „Atlantis“. Auch der Lyriker Krates, der Lehrer des Zeno, soll einen solchen Friedensstaat geschildert haben. Plutarch (geb. 46n. Chr.) spricht den bedeutungsvollen Satz aus: „Es gibt keinen Krieg zwischen Menschen, der nicht seinen Ursprung in Verruchtheit hätte; die einen werden veranlaßt durch den Wunsch nach Abwechslung, die andern durch die gar zu große Begierde nach Einfluß und Macht.“

Als Beispiel praktischer Friedenbestätigung der Griechen haben wir oben (BAND I. S. 169)3 die Worte des König Archidamos von Sparta angeführt, die uns Thukydides berichtet, und dabei auf den Amphyktionenbund verwiesen, der uns als erstes Beispiel einer wenn auch losen Föderation mit schiedsrichterlichen Organen erscheint. Die Schiedsgerichtsbarkeit wurde im alten Griechenland ziemlich häufig angewandt. Wir besitzen auch den Text des bereits oben (BAND I. S. 169) erwähnten Schiedsvertrages zwischen Argos und Sparta, der folgende Bestimmung enthält: „Wenn zwischen den vertragschließenden Parteien ein Streit entsteht, haben diese den Gepflogenheiten ihrer Vorfahren (!) gemäß zum Schiedsspruch eines neutralen Staates ihre Zuflucht zu nehmen.“ Dennoch waren diese frühen Verwirklichungsversuche der Idee, für die sich noch weitere Beispiele anführen ließen4, nur für den Streit der Griechen untereinander bestimmt. Der Gedanke einer friedlichen Streitschlichtung zwischen ihnen und fremden Völkern fehlte den Griechen ebenso wie den Römern.

Römer

Bei den Römern sang Ovid „vom göttlichen Frieden“, bat Lucretius die Venus, sie möge den kriegerischen Werken ein Ende bereiten, und Juvenal spottete der „Elenden, die Kriege führen“. Virgil (70–19v. Chr.) klagte darüber, „daß die Freude am Waffenlärm und die unsinnige Kriegswut rasen“. Bei aller Kriegsbegeisterung der Römer geht doch durch die Schriften ihrer Dichter und Denker ein Zug entschiedener Kriegsverachtung. Cicero schon wetterte gegen die Streitlösung durch Gewalt, die er, ein früher Bekämpfer des Kulturzoologismus, als „die Methode der Tiere“ bezeichnete, währendihm die Streitlösung durch Vergleich als die Methode vernunftbegabter Wesen erschien. Sallust (86–34 v. Chr.) sagte über die Empfehlung einer schiedsgerichtlichen Entscheidung seitens des Senats im Jugurthinischen Krieg, daß „diese Handlungsweise sowohl Rom als dem Gegner selbst zur Ehre gereichen“ würde. Seneca (4 v. bis 65n. Chr.) fragte, warum man „der Kriegführung und dem ruhmreichen Verbrechen, das ganze Nationen niedermetzelt“, besondere Achtung schuldet, wo man doch sonst im bürgerlichen Leben Mörder und Meuchler bestrafe. Eroberer nannte er „Plagen, die der Menschheit nicht weniger schädlich sind als Überschwemmungen und Erdbeben“. Tacitus (geb. 55 n. Chr.) verwirft den Krieg und ruft warnend aus: „Hütet Euch vor dem Manne, der Euch in den Krieg führt,“ und Marc Aurel (121–188 n. Chr.) stellt bereits die ganze Menschheit als eine große Gemeinschaft dar. „Da eine Vernunft das Weltall beherrscht“, so schrieb er, „soll auch nur ein Gesetz die Menschen verbinden, denn alle Menschen sind Genossen eines Weltreichs“. Kaiser Probus (232–282 n. Chr.) rief aus: „Keine Waffen sollen mehr auf Erden geschmiedet werden! Keiner Krieger wird man mehr bedürfen!“ Er war es auch, der die Soldaten zur Herstellung von Kulturarbeiten verwendete.

Neues Testament und Kirchenväter

Reich an Lobpreisungen und Weissagungen des Friedens ist das Neue Testament. In Vertretung der Lehre Christi wandten sich die Kirchenväter aus der ersten Periode des Christentums sogar direkt gegen den Gebrauch der Waffen; so Irenäus, Clemens von Alexandria, Tertullian, Cyprianus, Lactantius u. a. Der heilige Augustinus erklärte: „Nicht Frieden halten heißt Christo trotzen.“

2. Mittelalter

Thomas von Acquino. Marsilius von Padua.Honoré Bonnor. Peter Dubois.

Kommen die Schriftsteller der antiken Welt über die reine Betrachtung und Empfehlung des Friedensideals nicht hinaus, so treten die Geistesarbeiter des Mittelalters bereits verschiedentlich mit Plänen und ganzen Ideengebäuden hervor, die eine Weltorganisation bezwecken, als deren Ergebnis der dauernde Friede gedacht ist. Man muß sich im voraus darüber klar sein, daß jene Pläne für unsere heutige Auffassung des Friedens nur vom geschichtlichen Gesichtspunkte aus Interesse haben können. War doch in jener Zeit nicht einmal der innerstaatliche Friede hergestellt. Zumeist handelt es sich bei jenen Verfassern um eine Verbindung aller Staaten der christlichen Welt, mit dem offenen oder verborgenen Hintergedanken, die Herrschaft des Papstes oder die des Kaisers zu erweitern, oder die Christenheit für einen Krieg gegen nichtchristliche Staaten zu sammeln und zu stärken. So erblickte Thomas von Acquino um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Sicherung eines dauernden Friedens in der Weltherrschaft des Papstes, während Dante (1265–1321), der auch in seiner „Göttlichen Komödie’; wiederholt den Friedensgedanken vertrat, in seinem Werke „De monarchia“ den Plan einer regelrechten Staatenföderation entwarf, in der die Kirche dem Kaisertum untergeordnet sein sollte. Drei Jahre nach Dantes Tod empfahl Marsilius von Padua in seinem 1324 erschienenen Werk „Defensor pacis“, die Kirchenkonzile zur Vertreterschaft einer europäischen Staatenrepublik umzuwandeln, und der Abt Honorée Bonnor, der im Dienste Karl des Weisen von Frankreich stand, trat in seiner 1380 erschienenen Schrift „Arbre de Bataille“ für die Universalmonarchie unter der Führung des Kaisers ein. Die Weltreichsidee des Mittelalters war schon lange vor Dante von zahlreichen, meist geistlichen Schriftstellern entwickelt worden. Von diesen Projekten einer Weltorganisation scheint das eines weltlichen Mannes, des französischen Juristen Peter Dubois (bis 1321), in seinem im Jahre 1305 verfaßten Werke „De recuperatione terre Sancte“ schon deshalb einer größeren Beachtung wert, weil es als das älteste Dokument eines Staaten-Organisationsplanes anzusehen ist, und weil es bereits den Vorschlag eines ständigen europäischen Schiedshofes enthält, für dessen Konstituierung ein System vorgeschlagen wird, das beinahe dem gleicht, das die I. Haager Konferenz für die Inbetriebsetzung des Haager Hofes angenommen hat.5

Treuga dei

Als eine Friedenstat, wenn auch nur im Sinne des Mittelalters, ist die Einrichtung der „treuga dei“, des Gottesfriedens, aufzufassen, der von den Bischöfen von Arles, Avignon und Nizza und dem Abt Odilo von Clugny 1041 errichtet und durch Papst Urban II. auf der Kirchenversammlung zu Clermont (1095) für die gesamte Christenheit verkündet wurde. Danach waren vier Tage der Woche feierlich gefriedet Jede Kriegführung – d. h. auch der Privatkrieg – war untersagt. Ein Beweis seiner Alltäglichkeit. In seinen weiteren Zielen hatte dieses kirchliche Friedenswerk dennoch keinen andern Zweck, als die christlichen Völker enger zusammenzuschließen, damit sie sich stärken zu einem gemeinsamen Krieg gegen den Islam. In der Tat wurde auf derselben Kirchenversammlung zu Clermont, die den Gottesfrieden verkündete, auch der erste Kreuzzug beschlossen.

Fehderecht und Landfriede

Auf den großen Umfang der Schiedsgerichtsbarkeit im Mittelalter ist schon oben (BD. I, S. 169 ff.) hingewiesen worden. Namentlich waren es die Päpste, die das Schiedsamt an sich rissen, aber auch von anderen Stellen wurde dieses häufig ausgeübt. Der Gottesfriede und die Schiedsgerichtsbarkeit bildeten in einer Zeit, wo die Beschäftigung der wehrhaften Ritterschaft in nichts anderem bestand, als darin, Übergriffe abzuwehren und solche selbst zu begehen, eine wohltuende Beschränkung des damals herrschenden allgemeinen Krieges. Durch jene Beschränkungen wandelte sich das Faustrecht allmählich in das Fehderecht, das in seinem Wesen eine große Ähnlichkeit mit der gegenwärtig üblichen Methode der Kriegsreglementierung besitzt, wie sie durch die Genfer und die Haager Abmachungen festgelegt wurde. Auch dort waren bereits für gewisse Personen, für Geistliche, Wöchnerinnen, Kranke, Pilger, Kaufleute und Fuhrleute, für Kirchen, Kirchhöfe usw. Schutz- und Ausnahmebestimmungen vorgesehen, ähnlich jenen, die die erwähnten Vereinbarungen für den modernen Krieg festsetzen. Die Versuche verschiedener Kaiser, das Fehderecht zu beseitigen und die Streitigkeiten vor eingesetzten Richtern zum Austrag zu bringen, führten nicht gleich zu der vollkommenen Beseitigung dieses Unwesens, die erst gelang durch die Einführung des „Ewigen Landfriedens“ der durch Maximilian I., am Reichstag zu Worms am 7. August 1495 proklamiert wurde. An Stelle der Fehde trat nunmehr das Reichskammergericht, womit an der Schwelle der Neuzeit ein erster gewaltiger Fortschritt im Sinne der Friedensidee erreicht war.

3 [Mit „BAND I / BD. I“ oder „TEIL I“ bezieht sich der Verfasser stets auf: AlfredHermann FRIED: Handbuch der Friedensbewegung. Erster Teil. Grundlagen, Inhalteund Ziele der Friedensbewegung. Zweite, gänzlich umgearbeitete und erweiterteAuflage. Berlin und Leipzig: Verlag der „Friedens-Warte“ 1911.]

4 In dem soeben erschienenen Werke von A. RAEDER, „L’Arbitrage internationalchez les Hellenes“ (Kristiania 1912. Publications de l’Institut Nobel Norvegien)sind nicht weniger als 81 Schiedsfälle aus der Geschichte der Hellenen behandelt.

5 S. darüber: W. SCHÜCKING, Die Organisation der Welt. Leipzig 1909, und E.H.MEYER, Die staats- u. völkerrechtlichen Ideen von Peter Dubois. Marburg 1908.

II. DIE NEUZEIT

1. Bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts

Georg von Podiebrad

An der Schwelle der Neuzeit, wo ein so großer Wandel der Kultur eintrat, finden wir den Plan des Böhmenkönigs Georg von Podiebrad (1420–1471), der 1462 ein ewiges Friedensbündnis unter den christlichen Fürsten zur Ausführung bringen wollte. Ins Auge gefaßt war ein Staatenbund mit einem ständigen Gesandtenkongreß, eine Art zwischenstaatliches Parlament. Der Gebrauch der Waffen zwischen den Bundesmitgliedern sollte ausgeschlossen sein; alle Streitigkeiten wären vor einem Bundesgericht auszutragen gewesen. Hingegen war eine militärische Exekutivgewalt vorgesehen. Die Idee zu jenem Plane rührte nicht von Podiebrad selbst her, sondern von seinem Kanzler Antonius Marius aus Grenoble,6 der als Abenteurer durch Europa zog, seine Idee überall anbot und erst beim Böhmenkönig Verständnis dafür fand. Dieser war nämlich als Ketzer erklärt worden, und sah daher in dem christlichen Staatenbund ein Mittel, sich den erwarteten Angriffen des Papstes zu entziehen, zumal er damit die Christenheit zum Entsatze Konstantinopels organisieren wollte. So lag auch diesem Friedensplane die Kriegsabsicht und die Erweiterung der Herrschaft seines Vertreters zugrunde.

Erasmus von Rotterdam

Um die Zeit, als König Podiebrad mit seinem Föderationsplan hervortrat, wurde Erasmus von Rotterdam (1467 bis 1536) geboren. Er war einer der angesehensten und einflußreichsten Schriftsteller jener Periode. In zahlreichen seiner Schriften bekämpfte er den Krieg als widersinnig, trat er nachdrücklichst für den Frieden ein. Da er seine Gedanken mit großer Schärfe und vielem Witz zum Ausdruck brachte und dadurch großen Eindruck auf seine Zeitgenossen hervorrief, gilt er mit Recht als der Ersten einer, der die Friedensidee volkstümlich machte. In einer seiner Schriften ironisierte er sich selbst als „einen gewissen Vielschreiber, der nicht aufhört, mit seiner Feder den Krieg anzufeinden und zum Frieden zu mahnen“. In seinem 1518 erschienenen Buche „Militis Christiani Enchiridion“ bekämpfte er den damals vorbereiteten Krieg gegen die Türken mit viel Witz und Energie. Er stellt unter anderm die Frage auf, zu welcher Sekte man nach einem Siege die nicht gefallenen Türken bekehren solle, und ob angesichts des daraus entspringenden blutigen Ringens zwischen den Christen selbst, die Türken Liebe zur christlichen Religion gewinnen könnten. In verschiedenen seiner „Colloqien“ erörtert er in scharfsinnigster Weise das Friedensproblem. In einem dieser „Zwiegespräche“, das „Charon“ betitelt ist, spottet er über den Einfluß der Kirche auf die Entfesselung der Kriege. Die Geistlichen seien es, die den Fürsten die Liebe zum Krieg ins Ohr träufeln. „Und damit man sich noch mehr über den tapferen Geist der Menschen wundere, rufen sie dasselbe bei beiden Parteien aus. Bei den Franzosen predigen sie, Gott stehe auf der Seite der Franzosen, und wer Gott zum Protektor habe, der könne nicht besiegt werden. Bei den Spaniern und Engländern lautet es: Dieser Krieg werde nicht vom Kaiser, sondern von Gott geführt; sie sollten sich aber nur als tapfere Männer erproben, der Sieg sei ihnen gewiß. Komme aber einer um, so sterbe er nicht, sondern fliege stracks in den Himmel, bewaffnet wie er sei … Dazu kommt dann noch die Jugend, die Unerfahrenheit, die Ruhmsucht, der Zorn und ein Gemüt, das eine natürliche Neigung besitzt zu dem, was ihm vorgehalten wird. So wird die Täuschung leicht, und es ist nicht schwierig, einen Wagen, der schon von sich aus Neigung zum Abstürzen hat, anzutreiben.“ Auch in dem Zwiegespräch „Ichthyophagia“ (Vom Fischessen) wird das Törichte des Krieges eingehend erörtert.

Erasmus’ hervorragendstes Friedensplaidoyer ist sein im März 1514 von London aus an seinen Freund Antony von Bergen, den Abt von St Bertin, gerichtetes Schreiben, wo er den bedrohlichen Zustand Europas und die Gefahr eines kriegerischen Sturmes darlegte, und den befreundeten Abt bat, seinen Einfluß bei Kaiser Maximilian und dem Prinzen Karl, nachmals Kaiser Karl V., zur Verhütung der Katastrophe geltend zu machen. Ebenso tritt Erasmus in seinen an Karl V. gerichteten „Instruktionen für einen christlichen Prinzen“, in „Adagia“ und „Querela pacis“ als kritisierender Pazifist auf.

Luther

Von seinem hervorragendsten Zeitgenossen Martin Luther (1483–1546) kann man ebenfalls berichten, daß er den Krieg nicht als eine Wohltat bezeichnete. „Kanonen und Feuerwaffen“, so erklärte er an einer Stelle, „sind grausame und verdammenswerte Maschinen. Ich halte sie für eine direkte Eingebung des Teufels. Wenn Adam in einem Traum gesehen hätte, welch schreckliche Werkzeuge seine Kinder erfinden würden, so würde er vor Gram gestorben sein.“

Heinrich IV.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts befaßte sich Heinrich IV. (1553–1610), Frankreichs großer König, mit dem Plane der Schaffung einer „Christlichen Republik“, von deren Durchführung er den „ewigen Frieden“ für Europa erhoffte. „Le grand dessein“ des französischen Königs ist von seinem Minister Sully (1560–1641) in dessen „Memoiren“ lange nach dem Tode Heinrichs IV. veröffentlicht worden. Dieser Umstand erweckte die Vermutung, daß Sully selbst der Urheber jenes Friedensentwurfes sei und, nur um den Kredit seines Planes zu erhöhen, den König vorschob. Doch der Briefwechsel des Königs mit der Königin Elisabeth von England (1533–1603), die sich mit einem ähnlichen Plan befaßt haben soll, und andere Dokumente7 bestätigen, daß König Heinrich mit dem Plan ernstlich befaßt war, wenn auch die Möglichkeit der Urheberschaft Sullys nicht ausgeschlossen erscheint.

Nach diesem Plane sollte die „Christliche Republik“ die bisherige Gestaltung der europäischen Staaten nicht ändern, nur sollten diese durch die Verfassung des Bundes in ein festeres Verhältnis treten, das jede kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Bundesmitgliedern ausschließen sollte. Fünfzehn große Herrschaften waren als Glieder des Bundes gedacht. Nämlich die sechs Erbmonarchien Frankreich, Spanien, England, Schweden, Rußland und die Lombardei, die fünf Wahlreiche Deutschland, Böhmen, Ungarn, Polen und der Kirchenstaat, die drei Republiken Venedig, die Niederlande und die Schweiz, ferner eine aus den italienischen Staaten neu zu schaffende Republik. Ein Senat der Bundesrepublik, der aus sechzig Mitgliedern bestehen sollte, war bestimmt, die gemeinsamen Angelegenheiten zu ordnen, und ein oberster Gerichtshof wäre berufen gewesen, alle Streitigkeiten zu regeln.

Es war auch hier nicht reine Liebe zur Menschheit, die Heinrich IV. zur Betreibung dieses Planes veranlaßte. Der Wunsch, die Führerschaft des Hauses Habsburg zu brechen, dürfte wohl der maßgebendste Grund für ihn gewesen sein. Als Betätigung nach außen war übrigens wiederum der Krieg gegen die Türken als erste Pflicht erklärt, und wenn sich der Zar dieser Aufgabe widersetzen würde, sollte auch Rußland mit Krieg überzogen werden. Mit verschiedenen Staatsoberhäuptern Europas sollen Verhandlungen angeknüpft worden sein, und einige sollen dem Plan günstig gegenübergestanden haben; aber schließlich hat der Dolch Ravaillacs, dem Heinrich IV. 1610 zum Opfer fiel, die Ausführung des Planes vorzeitig vereitelt. Immerhin bleibt diese „grand dessein“ die Grundlage zahlreicher später formulierter Föderationspläne, die sich die Abschaffung des Krieges zur Aufgabe stellten.

Acht Jahre nach dem Tode Heinrichs entbrannte jener große Krieg, der dreißig Jahre lang die meisten europäischen Staaten zu erbitterten Kämpfen führte. Die Greuel dieses Krieges haben befruchtend auf den Friedensgedanken eingewirkt und zahlreiche Denker und Dichter veranlaßt, das Wesen des Krieges zu kritisieren und Verbesserungen für den zwischenstaatlichen Verkehr in Vorschlag zu bringen.

Emeric Crucé

Noch war der große Plan Heinrichs durch Sully nicht veröffentlicht, da trat im Jahre 1623 der Franzose Emeric de Lacroix, der als großer Verehrer des ermordeten Königs galt, mit einem Buche hervor, in dem der Krieg eindringlich bekämpft und weitgehende Vorschläge zu seiner Vermeidung anempfohlen wurden. Der Titel dieses Buches lautet: „Le nouveau Cynée8 ou discours d’État représentant les occasions et moyen d’establir une paix générale et la liberté de Commerce partout le monde.“ Es war den Monarchen und Fürsten der Zeit gewidmet. Der Verfasser nannte sich am Titelblatt Emeric Crucé (Emericus Crucaeus). Er flehte die Fürsten an, den Ehrbegriff nicht zu mißbrauchen und sich vor den kriegerischen Einflüsterungen ihrer militärischen Ratgeber zu schützen. Die Größe eines Königs hänge nicht von der Ausdehnung seines Gebietes ab. Der Krieg ist geeigneter, ein Ansehen zu vernichten als eines zu schaffen, und jene Ehre ist zu verachten, die durch Blutvergießen erworben ist. In neun Abschnitten behandelt er das Thema. Im ersten Abschnitt spricht er allgemein von den Wohltaten des Friedens, im zweiten bis vierten von den Schäden des Krieges für den Handel, die Industrie und die Wissenschaften. Der fünfte Abschnitt handelt von der Brüderlichkeit und der menschlichen Solidarität, der sechste von der religiösen Toleranz, und im siebenten entwickelt der Verfasser seinen „Plan zur Organisation des dauernden Friedens“. Der neunte Abschnitt befaßt sich mit der Rangordnung der Fürsten innerhalb der Weltunion, und schließlich im zehnten wird die Frage erörtert, wer die Initiative zur Ausführung übernehmen solle.

In seinem Plan schlägt der Verfasser die Errichtung eines ständigen Kongresses vor, der in Venedig, als dem am bequemsten gelegenen Ort, tagen solle. Außer den europäischen Ländern will er auch Persien, China, Äthiopien und Indien in die Staatengemeinde mit inbegriffen sehen. „Wenn diese Länder auch weit entfernt sind, so überwindet die Schiffahrt diese Unbequemlichkeit, und für eine so gute Sache soll man sich nicht vor einer langen Reise scheuen. Interessant ist es, daß in seinen Ausführungen zum erstenmal der Freihandel als Stütze des Friedens bezeichnet wird. Die pazifistische Kritik Lacroix’ hat durch die Jahrhunderte an Gegenwartswert nichts eingebüßt. So wenn er im Hinblick auf die damaligen Religionskriege ausruft: „Etwas weniger von jener Theologie, die über unsern Verstand geht, und etwas mehr von Medizin und den Künsten, die nützlich für unser Leben sind“; so wenn er fragt: „Warum soll ich, weil ich ein Franzose bin, dem Engländer oder Spanier Böses wünschen?“ oder wenn er in Aussicht stellt, daß die Errichtung des Friedens den Weg ebnen würde zur Reform der Gesetze und ihrer Anwendung, zur Ermäßigung der Steuern, zur Befreiung von der Armut, zur Errichtung und Verbesserung von Kanälen.

Hugo Grotius

Zwei Jahre später – 1625 –, mitten unter den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges, veröffentlichte der Holländer Hugo Grotius sein denkwürdiges Buch „De jure belli ac pacis“ (Vom Recht des Krieges und des Friedens), durch das die moderne Völkerrechtswissenschaft begründet wurde.9 Schon im Jahre 1609 hatte er sein Buch „Mare liberum“ (Das freie Meer) veröffentlicht, durch das er den Grundsatz der Freiheit des Meeres zur Anerkennung brachte. Bis dahin galt das Meer ebenso dem staatlichen Besitz unterworfen wie das Festland. Die großen seefahrenden Nationen teilten sich in den Besitz der Ozeane, und die Päpste glaubten, das Recht zu haben, ganze Meere zu verschenken. In seinem Hauptwerk versuchte es Grotius zum erstenmal, die Kriegführung selbst in feste Regeln zu bringen und dadurch ihre Nachteile etwas einzuschränken. Die Absicht, die Kriegsgreuel seiner Zeit zu mildern, führte den Gelehrten auch dazu, über die Vermeidung des Krieges nachzudenken, die er als die höchste Pflicht der Fürsten und Völker bezeichnete. So versuchte er auch, für die Errichtung eines europäischen Kongresses einzutreten und die Schiedsgerichtsbarkeit als das beste Mittel zur Ersetzung des Krieges zu empfehlen.

Grotius hatte den großen Staatenkongreß, der im Jahre 1648 demdreißigjährigen Ringen ein Ende machte und zu Münster und Osnabrück den sog. Westfälischen Frieden schloß, nicht mehr erlebt. Es wäre für ihn ein Triumph gewesen, zu sehen, wie die Idee des Völkerrechts, zu deren Förderung er so viel beigetragen hat, hier einen weiteren Antrieb erhielt, war es doch zum erstenmal in der Geschichte, daß fast alle europäischen Staaten zu gemeinsamer Friedensarbeit auf einem Kongreß zusammentraten.

Zouche. Campanella. Comenius

Zwei Zeitgenossen10 des Grotius, der eine ein Italiener, der andere ein Tscheche, haben sich zur gleichen Zeit wie er und ebenfalls unter dem Eindruck des verheerenden Völkerringens, mit dem Problem der Beseitigung des Krieges und der Herstellung einer den Frieden sichernden Staatenorganisation befaßt. Der eine war der kalabresische Dominikanermönch Thomaso Campanella (1568–1639), der bei seinem Tode ein Buch „De monarchia hispanica“ hinterließ, das erst 1653 veröffentlicht wurde. Darin entwickelte er einen Plan für eine Universalmonarchie, als deren Haupt der Papst gedacht war. Der andere war der große tschechische Pädagog und Philosoph Amos Comenius (1592–1676), der in seiner Schrift „Consultatio catholica“ für eine friedliche Beilegung der zwischenstaatlichen Streitigkeiten eintrat und schon damals als die Quelle der Kriegsgefahr den Umstand hervorhob, „daß sowohl die Fürsten wie die Untertanen ihre Leidenschaften nicht der Herrschaft des Rechts unterzuordnen wissen.“

Landgraf Ernst von Hessen - Rheinfels. Herzog Karl von Lothringen

Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war reich an Entwürfen und Schriften, die für eine Änderung des zwischenstaatlichen Verhältnisses eintraten, und nicht minder reich an Arbeiten auf dem Gebiete der Völkerrechtswissenschaft, die durch das Werk des Grotius belebt worden war. Von einem deutschen Fürsten, der als Armeekommandant den Dreißigjährigen Krieg mitgemacht hatte, vom Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels (1623–1693), besitzen wir ein Projekt, das in dessen im Jahre 1666 erschienenen Buche „Diskret gesinnter Katholik“ enthalten ist. Darin wird zur Herstellung des dauernden Friedens die Errichtung eines katholischen Fürstenbundes empfohlen. In Luzern, der zwischen den beiden größten katholischen Mächten, Österreich und Frankreich, am zentralsten gelegenen Stadt, sollte ein Schiedstribunal errichtet werden, als dessen Oberhaupt der Papst wirken sollte. Die Nichtbefolgung der Urteile sollte den Bannfluch nach sich ziehen. In einem ähnlichen Gedankengang wie das Projekt Heinrichs IV. bewegte sich der Plan des Herzogs Karl von Lothringen und von Bar, den dieser 1688 in seinem Testament niederlegte. Die Staatenorganisation sollte danach allerdings durch Gewalt herbeigeführt werden, und die Schiedsgerichtsbarkeit ist darin mehr als eine ordentliche Gerichtsbarkeit gedacht, die das zur Suprematie zu bringende Haus Österreich ausüben solle. Interessant ist das Schema des Herzogs vorwiegend durch seinen Plan zur Organisierung des europäischen Handels.

Spinoza. Pufendorf. Thomasius

In seinem 1670 erschienenen „Politischen Traktat“ hat Baruch Spinoza (1632–1677) über das Recht vom Kriege geschrieben, wobei er sich indirekt für den Frieden aussprach, den er als den einzigen Zweck des Krieges bezeichnete. Von den Juristen dieser Zeit, die den Spuren des Grotius folgten, hat der Deutsche Samuel Pufendorf (1632 – 1694) in seinem 1671 erschienenen „Jus naturae et gentium“ die internationale Konferenz und das Schiedsgericht als Mittel zur Beilegung von Völkerstreitigkeiten empfohlen und ein ausführliches Schema dafür ausgearbeitet. Sein berühmtester Nachfolger ist der deutsche Philosoph Christian Thomasius (1655–1728), der 1705 seine „Fundamenta juris naturae et gentium“ veröffentlichte.

Logau. Fénélon. Bayle u. a.

Von den Schriftstellern jenes Jahrhunderts, die sich im pazifistischen Geiste äußerten, ist neben dem Deutschen Friedrich von Logau (1604–1655), dessen Leben fast ganz vom Dreißigjährigen Krieg erfüllt wurde, und dessen den Krieg verwerfende Anschauung in zahlreichen seiner „Sinngedichte“ zum Ausdruck kommt, der französische Erzbischof Fénelon (1651 –1715) zu nennen, der sich als Schriftsteller und Kanzelredner einen Namen gemacht hat, und der als Erzieher der Enkel Ludwigs XIV. von großem Einfluß war. Er ist der erste folgerichtige Pazifist an der Schwelle des 18. Jahrhunderts, der den Krieg – sofern er nicht zur Verteidigung dient – unbedingt verwarf. Zwischen Diebstahl und Eroberung kennt er keinen Unterschied. Jeder Krieg, selbst der glücklich beendete, stiftet seiner Meinung nach mehr Böses als Gutes. „Die Nationen der Erde“, sagt er in seinem „Telemach“, „bilden nur eine und dieselbe Familie, und anstatt grausamer als die Tiere miteinander zu kämpfen, sollten sie einen großen Bund schließen mit einem Kongreß aller Fürsten.“ In ähnlicher Weise, oftmals noch entschiedener, nahmen Fénelons Landsleute Pascal (1623–1662), Boileau (1676–1710) und La Bruyère (1645–1696), wie der Engländer Locke (1632–1704) Stellung gegen den Krieg. Der große Philosoph Pierre Bayle (1647–1706) bemerkt in seinem „Dictionnaire historique et critique“ (1695–1697), daß wir, je länger wir die unausbleiblichen Folgen des Krieges ins Auge fassen, dessen Urheber desto mehr verabscheuen müssen. Die gewöhnlichen Folgen des Krieges „sind geeignet, denen Zittern und Furcht einzujagen, die ihn unternehmen oder dazu raten, um Übel zu vermeiden, die vielleicht nie eintreten oder schlimmstenfalls oft viel geringer wären als die, welche einem Bruch unumgänglich folgen“.

Die Quäker

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde in England die Sekte der Quäker begründet, die in radikalster Weise den Kampf gegen den Krieg aufnahm und ihn bis in unsere Zeit mit Hartnäckigkeit und Erfolg durchführte. Der Gründer dieser Sekte, die sich allmählich zu einer mächtigen Organisation entfaltete, der Schuhmacher George Fox (1624– 1691), durchzog als pazifistischer Wanderredner London und die englischen Provinzen. Von seinen Mitarbeitern und Nachfolgern in der Führung verteidigte Robert Barclay (1648–1690) in seinem Hauptwerk über die wahre christliche Glaubenslehre die Friedensidee vom religiös-moralischen Gesichtspunkt, während William Penn (1644–1718), der Begründer des Staates Pennsylvanien in Amerika, mit seinem „Essay on the present and future peace in Europe“, der 1693 erschien, an der Wende des neuen Jahrhunderts als ein wichtiger Vorläufer der modernen Friedensbewegung in Erscheinung tritt.

William Penn

William Penns Entwurf unterscheidet sich von den Plänen seiner Vorgänger durch den Atemzug einer politisch vorgeschrittenen Zeit, der ihn durchweht. Er zerlegt das Wesen des Krieges psychologisch, und die Mittel, die er gegen das Übel vorschlägt, zeichnen sich durch politische Klugheit aus. Der Form nach ähnelt sein Plan dem Heinrichs IV., der ihm, wie er am Schlusse seiner Arbeit bemerkt, nicht unbekannt war. Er hat ihm aber einen andern Inhalt gegeben, der durch das Jahrhundert, das zwischen beiden Entwürfen liegt, und wohl auch durch den Geist der englischen Revolution, die mittlerweile vor sich gegangen war, bedingt wurde. Den Kern der Idee bildet bei Penn ein ständiger internationaler Kongreß, der sowohl als beratende Körperschaft wie als Schiedshof wirken sollte. Sein Buch ist in zehn Abschnitte geteilt, denen ein zusammenfassender Abschnitt folgt. Der erste Abschnitt handelt „Von dem Frieden und seinen Vorteilen“, während im zweiten „Die Mittel des Friedens, nämlich Gerechtigkeit statt Krieg“ dargelegt werden. Im dritten Abschnitt wird ausgeführt, „daß Gerechtigkeit das Ergebnis einer guten Regierung“ sei.

Der vierte Abschnitt bildet den Hauptteil des Werkes; er handelt „Über einen allgemeinen Frieden oder den Frieden Europas und dessen Mittel“. In fünf Punkten entwickelt Penn hier seinen Plan zu einer Staatenorganisation. Die souveränen Fürsten Europas sollten Delegierte zu einem „Allgemeinen Reichstag“, einer „Ständeversammlung“ oder einem „Parlament“ erwählen und Rechtsregeln zur gegenseitigen Beobachtung errichten. Die Versammlung soll jährlich, zum mindesten aber einmal in zwei oder drei Jahren zusammentreten. Sie soll als „Souveräner Reichstag“ oder als „Parlament der europäischen Staaten“ bezeichnet werden. Vor diese Versammlung sollen alle schwebenden Streitfälle der Souveräne gebracht werden, „die nicht durch Sondergesandtschaften vor Beginn der Sitzungen beigelegt werden können“. Wenn eine der Souveränitäten, die diesen Reichstag bilden, sich weigern sollte, ihre Streitigkeiten diesem zu unterbreiten oder ein Urteil zu erfüllen und zu diesem Zwecke zu den Waffen greifen würde, hätten sich alle andern Souveränitäten zu vereinigen und die Erfüllung des Bundesrechts zu erzwingen. Im fünften Abschnitt werden die „Ursachen der Streitigkeiten und die Ursachen der Friedensverletzung“ untersucht, als deren wichtigste die Leidenschaftlichkeit der Menschen, ihre Langsamkeit beim Erkennen und ihre Vergeßlichkeit gegenüber den Lehren der Erfahrung bezeichnet wird. Der sechste und siebente Abschnitt behandeln mit viel Scharfsinn den Umfang der Vertretungen der einzelnen Staaten in der Versammlung, wobei der wirtschaftlichen Bedeutung der Länder klug Rechnung getragen wird. Im achten Abschnitt werden die Statuten für die Sitzungen ausgearbeitet, während im neunten den zu erwartenden Einwänden begegnet und im zehnten Abschnitt in neun interessanten Punkten „die realen Vorteile“ dargelegt werden, die aus dieser Friedensorganisation erwachsen könnten.

William Temple und John Bellers

Im Schlußkapitel weist Penn auf die „grand dessein“ Heinrichs IV. und auf das Buch des englischen Diplomaten Sir William Temple (1628–1699) „Account of the United Provinces“ hin, der an der Hand einer Darstellung der Geschichte der vereinigten Provinzen von Holland die praktische Möglichkeit einer europäischen Föderation darlegt. Unmittelbar an Penn lehnte sich der Quäker John Bellers an, der im Jahre 1710 eine Abhandlung über einen „europäischen Staat“ veröffentlichte.

2. Das Jahrhundert der Aufklärung

Abbé St. Pierre

Unter kriegerischen Stürmen, die wieder ganz Europa verwüsteten, setzte das 18. Jahrhundert ein. Das Jahrhundert der Aufklärung und Humanität, dessen große Denker alle zum Friedensproblem Stellung nahmen und fast ohne Ausnahme den Krieg verwarfen. Der Friede zu Utrecht hatte eben den Eroberungskriegen Ludwigs XIV. ein Ende gemacht und eine eindringliche Friedenssehnsucht erweckt. Aus den Empfindungen dieser Zeit heraus schrieb der französische Abbé Charles Irénée Castel de St. Pierre (1658–1743) sein berühmt gewordenes dreibändiges Werk „Projet de la paix perpetuelle etc.“, das von 1712–1716 veröffentlicht wurde. Als Sekretär der französischen Delegierten hatte er 1712 an dem Utrechter Friedenskongreß teilgenommen, der in ihm den Gedanken entstehen ließ, ob es nicht möglich wäre, die Vorteile eines Vertrages, wie er dort geschlossen wurde, dauernd zu sichern.

Der Plan des Abbés knüpfte an die Ideen Heinrichs IV. an, schlug aber nicht eine Universalmonarchie, sondern eine Föderation aller europäischen Staaten mit Ausnahme der Türkei vor. Die 24 von ihm aufgeführten Staaten sollten je einen Vertreter zu einem europäischen Senat entsenden. Die umfangreiche Darstellung der Funktionen dieses Senates und der näheren Bestimmungen für das Zusammenleben dieser europäischen Föderation hat St. Pierre zu einem Abkommen mit fünf Fundamentalartikeln zusammengezogen, das die Souveräne durch ihre nach Utrecht zu entsendenden Vertreter hätten unterzeichnen sollen. Der Senat sollte dauernd in der zur freien Friedensstadt erhobenen Stadt Utrecht tagen, um die gemeinsamen europäischen Angelegenheiten zu beraten. Neben dem Senat sollten vier ständige Verwaltungsämter für Politik, Militärwesen, Finanzen und Rechtspflege errichtet werden, denen die Ausführung der Senatsbeschlüsse, von Zeit zu Zeit auch Verständigungsausschüsse, denen die zwischenstaatlichen Streitigkeiten obliegen sollten. Für das Verständigungsverfahren waren recht umfangreiche und verwickelte Bestimmungen getroffen, als deren letzte Instanz nach verschiedenen Ausgleichsverfahren das Schiedsgericht eingesetzt wurde. Die Nichtbefolgung seiner Entscheidungen wurde mit dem Banne Europas bedroht, den die vereinten Kräfte der Union wirksam zur Durchführung bringen sollten. Kein Staat sollte mehr als 6000 Mann unter Waffen halten, aber für einen von der Union geführten Krieg gegen einen äußeren Feind oder einen Rechtsbrecher im Innern sollten die Kosten seitens der Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Einkünfte aufgebracht werden. Als Grundlage der Föderation war der Status quo gedacht.

Die umfangreiche und ins Einzelne gehende Darstellung des Abbés machten sein Werk ziemlich schwerfällig. Er versuchte diesen Übelstand zu beseitigen durch Herausgabe eines Auszuges, der 1728 erschien. Immerhin erregten seine Ausführungen großes Aufsehen unter den Zeitgenossen, stießen aber auch auf großen Widerstand, der jedoch den tapfern Verteidiger seiner Idee nicht zu entmutigen vermochte. „Die Größe des Gegenstandes“, so äußerte er sich in einem Briefe, „gibt mir genügend Mut, um die Unzahl der Hindernisse nicht zu scheuen, die sich von allen Seiten in Menge darbieten“. Später wurde er resignierter und setzte seine Hoffnungen auf die Nachwelt. Als Greis im hohen Alter äußerte er sich in diesem Sinne: „Meine Pläne werden von Dauer sein; etwas davon wird allmählich in die jungen Geister jener dringen, die eines Tages berufen sein werden, an der Regierung teilzunehmen. Und sie werden der Öffentlichkeit gute Dienste leisten können. Die Ausblicke auf die Zukunft haben mich immer reichlich entschädigt für meine gegenwärtigen Qualen“.

Das Buch wurde alsbald in verschiedene Sprachen übersetzt und rief eine ganze Literatur von Kommentaren, Ergänzungen und Widerlegungen hervor. Und soweit hatte St. Pierre mit seinen Zukunftsaussichten recht, als sich seine Ideen durch alle späteren Projekte schlängeln, und daß der Eindruck, den sein Werk auf seine Zeitgenossen gemacht hat, auch heute noch nachwirkt; wird er doch noch irrigerweise als der Vater der modernen Friedensbewegung bezeichnet.

Rousseau und Leibniz

Von den hervorragenden Zeitgenossen waren es besonders Rousseau (1712–1778) und Leibniz