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Richard Muther's monumentales Werk "Geschichte der Malerei" besteht aus insgesamt 5 Bänden, die einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Malerei von den frühesten Anfängen bis zur Moderne bieten. Muther präsentiert einen detaillierten, gut recherchierten und gut geschriebenen Text, der sowohl für Kunsthistoriker als auch für Kunstliebhaber von großem Interesse ist. Sein literarischer Stil ist informativ und doch elegant, was es dem Leser ermöglicht, tief in die Welt der Malerei einzutauchen und die verschiedenen Stile und Epochen zu verstehen. Muthers Werk wird oft als eines der bedeutendsten Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts angesehen und hat einen bleibenden Einfluss auf die Kunstgeschichte.
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Seitenzahl: 848
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Um einen »Leitfaden« handelt es sich bei diesen Bändchen nicht. Künstlerbiographien und Bilderbeschreibungen werden nicht gegeben. Der geneigte Leser kann dieses thatsächliche Material in so vielen vortrefflichen Werken finden, daß es mir unnötig schien, es nochmals auszubreiten. Dafür wurde versucht, den »Stil« der verschiedenen Epochen aus der Zeitpsychologie, die Kunstwerke als »menschliche Dokumente« zu deuten. Daß viele Fragen nur gestreift, nicht erschöpft werden konnten, hängt mit dem vorgeschriebenen Umfang des kleinen Buches zusammen. Ein größeres Werk, das fast vollendet in meinem Schreibtisch liegt, enthält, was der Kundige hier vermissen wird.
Muther.
Vielleicht könnte man die Geschichte der christlichen Malerei als eine große Auseinandersetzung mit dem Hellenentum auffassen. Als die antike Welt zusammenbrach, endete die raffinierteste Civilisation, die je die Erde gesehen. In seiner übersinnlichen Tendenz, seiner Verleugnung des Irdischen legte das Christentum der Kunst fast unübersteigliche Hindernisse entgegen. Der große Pan war tot. Bei den Griechen ein froher Sinnenkult, der die Menschen lehrte, hinieden sich auszuleben. Jetzt eine Religion des Jenseits, die das Erdendasein nur als trübe Vorbereitung auf ein außerirdisches Leben betrachtete. Wohl kam noch immer der Frühling. Die Menschen liebten und die Blumen blühten, die Vögel sangen und die Wiesen grünten. Doch das alles war Blendwerk der Hölle, bestimmt, den Gläubigen zu umgarnen, seinen Geist mit sündigen Gedanken zu erfüllen. Im Jenseits war seine Heimat, die ganze Welt nur Golgatha, die Schädelstätte, wo der Gekreuzigte hing. Durch diesen asketischen Zug, der die Sinnlichkeit verfemte, die freudige Hingabe an die Natur, den Genuß des Diesseits ächtete, unterband das Christentum eine Hauptader künstlerischen Schaffens. Nur nach einer andern Seite ließ es den Weg offen. »Es hatte das Psychische vertieft, hatte Schätze von Güte und Liebe, von Demut und Entsagung erschlossen, die das Griechentum noch nicht gehoben. Nach dieser Seite mußte, wenn überhaupt eine Kunst erstehen sollte, die Entwicklung gehen. War die griechische eine sinnliche, körperliche Kunst, so mußte die christliche eine psychische, spirituelle werden. Hatte jene in der idealen Vollendung der Form, des Körperlichen, ihr Ziel gesucht, mußte die christliche das ihre in der Apotheose der Seele finden.«
Die Malerei näherte sich, wenn auch auf Umwegen, diesem Ziele.
Die erste Reaktion gegen das Hellenentum war die, daß die Kunst überhaupt verboten wurde. »Verflucht seien alle, die Bilder machen«, heißt es in den Schriften der Kirchenväter. Erst als das Christentum in Verbindung mit anderen Kulturen, als es nach Rom gekommen war, verlor es seinen kunstfeindlichen Charakter. Aber da diese Künstler Römer waren, ist zugleich erklärlich, weshalb es bei den ersten Werken viel weniger um Christliches als um Antikes sich handelt. Es ist Sache des Theologen, zu schildern, wie die Malerei als Zeichensprache, als Symbolismus begann, wie alle jene Sinnbilder sich erklären – das Kreuz, der Fisch, das Lamm, die Taube, der Phönix –, die als Hieroglyphenschrift die Geschichte der christlichen Kunst eröffnen. Der Archäolog hat darzuthun, wie in den Bildern der Katakomben, obwohl sie neuem Geiste Ausdruck geben, doch ohne Scheu die Formen der Antike verwendet werden. Sie sind freundlich und hell, diese Wandgemälde, die den widdertragenden Hermes, den leierspielenden Orpheus oder andere dem Heidentum entlehnte Formeln nun in christlicher Umdeutung vorführen. Die ganze Behandlung ist heiter dekorativ wie in den Wandbildern von Pompeji. Doch diese Uebereinstimmung beweist auch, daß die Katakombenkunst in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft weist, ein Ende, keinen Anfang bedeutet.
Erst als seit dem Uebertritt Konstantins die ersten Kirchen entstanden, als das Christentum keine Sekte mehr war, sondern als herrschende Staatsreligion repräsentieren mußte, entwickelte sich eine christliche Kunst. Das Symbolische, der Antike Entlehnte tritt zurück, und der christliche Typenkreis erhält seine Ausprägung. In den Mosaiken spiegelt diese Entwicklung sich wider. Auch sie knüpfen technisch an ein Verfahren an, das die alten Römer schon kannten. Aber der Geist, der in ihnen waltet, ist neu. Die ganze ungeheure Kraft der Kirche in der ersten Zeit ihrer Anerkennung kommt in diesen Werken zum Ausdruck. »Wie einst in den Tempeln des Hellenentums die goldstrotzenden Statuen des Zeus und der Pallas prangten, so blickten nun von den Wölbungen der Basiliken die Bilder Jesu und seines Hofstaates in machtvoller Erhabenheit hernieder.« Feierliche Ruhe ist allen Gestalten eigen. Regungslos wie Bildsäulen sind sie aufgepflanzt, in einfacher Symmetrie nebeneinander thronend. Verschwunden ist das spielende Rankenwerk, das Tändelnde, antik Heitere, das in der Katakombenkunst herrschte. Alles ist hoheitvoll, ernst, imponierend, von majestätischem Glanz wie von goldenem Himmelslicht umleuchtet. Die Mosaikmalerei hat die Heroen des christlichen Glaubens machtvoll, wie für die Ewigkeit hingestellt, in einer Feierlichkeit und Wucht, die keine andere Technik erreicht hätte. »Die riesenhafte Größe der Gestalten, ihre Bewegungslosigkeit, der drohende Blick ihrer weitgeöffneten Augen übt eine übermenschliche, beängstigende Wirkung. Der ganze Geist des Mittelalters, seine finstere Dogmengläubigkeit und zelotische Strenge, das unerschütterliche Machtbewußtsein der alten Kirche – in diesen erhabenen Werken hat es Gestalt gewonnen.«
»Nur eines fühlt man nicht: daß das Christentum ursprünglich die Religion der Liebe bedeutete. Immer dogmatischer hatte sich im Laufe der Jahrhunderte die christliche Lehre gestaltet. Aus dem liebevollen Stifter des neuen Glaubens, dem einfachen Jesus von Nazareth, war auf Beschluß der Konzilien ein Gott, aus Gott selbst, dem liebenden Vater, ein strafender Despot geworden. Das künden die Bilder. Von der Macht und Strenge des Göttlichen sprechen sie, nicht von dessen Güte; Gottes furcht predigen sie, keine himmlische Liebe.« Schon daß sie aus Stein sind, ist bezeichnend. Denn steinern, kalt, eisig ist das Herz der Wesen. Allwissend, mit ihrem Auge jeden durchbohrend, unnahbar, wie eine allgegenwärtige rächende Nemesis oder eine versteinernde Gorgo blickt die Gottheit auf die Welt hernieder.
Dieses Starre, düster Bewegungslose des Mosaikstils war berechtigt, solange die byzantinische Malerei auf Byzanz beschränkt blieb. Denn hier entsprach es der Entwicklung, die der christliche Glaube genommen. Es paßte zu dem Formelwesen des Staates, dem feierlichen Ceremoniell der Sitten, der steifen Gravität des Hofes, dem unheimlich stabilen, orientalischen Geist, der das ganze Leben beherrschte. Aber die jungen unverbrauchten Völker des Westens, die seit dem Schlusse des ersten Jahrtausends als neue Faktoren in die Geschichte eintraten, brauchten andere Ideale. Wo sie hernehmen?
Wohl hatte auch der Westen noch lange von dem großen Erbe der Antike gezehrt. Aber der Einbruch nordischer Barbarenstämme machte dieser alten Civilisation ein Ende. Nach den Ereignissen der Völkerwanderung und den darauffolgenden Kämpfen war auf Jahrhunderte für die Kunst kein Raum, die immer nur auf dem Boden einer abgeklärten Kultur erwachsen kann. Die neuen Stämme fangen zwar an, sich zu regeln und wirkliche Völker zu werden. Aber in jenes ästhetische Stadium, das die Vorbedingung für eine Kunstblüte bildet, waren sie mit ihrer militärischen Größe, Energie und Brutalität noch lange nicht getreten. Die Menschen essen und trinken, bauen, machen urbar, vermehren sich. Es war nur eine Zeit für die armi, nicht für die marmi. Erst als die materiellen Sorgen erledigt sind, kommen unternehmende Byzantiner herüber, um die neuen Kirchen mit ihren Kunstwerken auszustatten. Der Westen erhält durch sie die erste künstlerische Tünche. Doch auch der Schematismus jener vertrockneten Kunst wird auf das neue Erdreich übertragen. Eingeklemmt zwischen der Civilisation des gealterten Ostens und der Barbarei der Heimat schwanken die Künstler unstet zwischen blinder Nachahmung der byzantinischen Muster und ungelenker, derb hilfloser Schöpfung aus dem eigenen Gefühl heraus. Im einen Fall herrscht erstarrtes Schema, im anderen barbarische Wildheit.
Die Miniaturmalerei der irischen, gallischen und deutschen Klostermönche war weniger Malerei als Schönschreibekunst. Aus Schnörkeln und Schwingungen setzte man rein kalligraphisch menschliche Gestalten zusammen. Die Tafelmalerei versucht zuweilen die byzantinische Starrheit zu durchbrechen. Man malt riesige Kruzifixe, wagt sich an bewegtere Vorgänge, an Martyrien und Passionsscenen heran. Aber jeder Versuch scheitert an zeichnerischem Unvermögen. Die Glieder sind ungeschlacht, die Bewegungen plump, die Bilder ungeheuerlich, roh, abscheulich. In allem Uebrigen wurden die fremden Muster nachgeahmt, nur derber und gröber. Es ist, als hätten die Maler absichtlich gerade das Greisenhafte der byzantinischen Vorbilder imitiert. Grießgrämige, abgezehrte Figuren, ausgedörrt wie Mumien, mit hohlen Wangen und tiefliegenden Augen, in Kasteiungen und Buße gealtert, sind auf den späteren Erzeugnissen der Mosaikmalerei dargestellt. Und nicht nur diese selbst wurde, statt mehr Leben zu gewinnen, immer starrer und finsterer. Da sie überhaupt die maßgebende Rolle im Kunstbetrieb spielte, kam auch in die Wand- und Glasmalerei derselbe asketische, steinerne Stil. Keine Wimper der Gestalten zuckt. Nichts verrät an ihnen, daß sie die Gebete der Menschen hören, daß sie huldreich trösten und gnädig verzeihen können. Richterlich streng, erbarmungslos würdevoll wie drohende Gesetzestafeln starren sie hernieder. Unterwerfung fordern sie, Furcht und Gehorsam, winken keine Gnade, nicht Trost und Erlösung.
Und die Menschen verlangten doch nach Liebe und Trost. Nachdem die officiellen Formen des Kultus zu geistloser Starrheit verknöchert, suchte man wieder in persönliches Verhältnis zu Gott zu treten, wollte ihn verehren, nicht wie der Knecht den Herrn, sondern wie das Kind den Vater. Man wollte Heilige haben, die nicht herzlos streng den Sünder zittern machen, sondern gütig und mild sich seiner erbarmen. In der großen kirchlichen Bewegung, die sich im 12. Jahrhundert vollzog, fand diese Sehnsucht ihren Ausdruck. Ueber den großen weltbewegenden Fragen des Katholicismus waren die Sorgen des Einzelnen vergessen worden. Die aufgeregte Zeit der Kreuzzüge hatte über die innere Leere hinweggetäuscht, aber nachdem der Kriegsjubel vorüber gerauscht war, machte sie desto mehr sich fühlbar. Das Volk verlangte Geistliche, die an seinen Schmerzen und Freuden teilnahmen, nicht mehr lateinisch, sondern die Volkssprache redeten, das Evangelium nicht in scholastischer Wortklauberei, sondern in derselben patriarchalischen Einfachheit verkündeten, wie es Christus auf dem Berg gepredigt. Schon war Petrus Waldus aufgetreten, aber die Kirche hatte ihn als Ketzer verdammt. Erst Franziskus von Assisi hatte ein besseres Schicksal.
Als er seine Predigten begann, ging eine Frühlingsstimmung durch die Welt. Es schien den Menschen, als sei ein neuer Messias gekommen. Franz hat das Christentum gleichsam neu gegründet, indem er an die Stelle eines erstarrten Buchstabenglaubens wieder eine Gefühlsreligion setzte. Die Liebe überbrückte den Abgrund, der bisher so jäh zwischen Gott und der Menschheit geklafft. Die Mystik nahm dem Göttlichen seine schreckhafte Starrheit, gab ihm eine empfindende menschliche Seele. Maria namentlich, die jugendliche Gottesmutter, trat in den Mittelpunkt des Kultus. Teils klang in diesem Marienkult die ritterliche Frauenverehrung der Kreuzfahrer und der Minnesänger aus. Teils kam Maria gerade in ihrer zarten, hilflosen Weiblichkeit dem Gefühlsbedürfnis der Zeit mehr entgegen, als die tragische Gestalt des Gottessohnes und die strenge Majestät Gottvaters. Ihr widmet Franziskus stammelnde Liebeslieder, wie sie die Minnesänger an ihre Herrin, ihre liebe Frouwe, richteten. Zu ihrem Lobe erscholl allabendlich von den Türmen der Franziskaneikirchen der Glockengruß des Ave Maria.
Und nicht nur die Gottheit brachte Franziskus dem Menschen näher, auch mit der Tierwelt und mit der Natur versöhnte er ihn. Ein pantheistischer Zug geht wieder, wie in den Tagen des Hellenentums durch die Welt. Hatte das Mittelalter in den Tieren nur gottfeindliche Wesen, Schöpfungen des Satan, verzauberte Dämonen gesehen, so nennt Franz sie seine »Brüder und Schwestern«. Und die Tiere danken ihm für seine Liebe. Die Rotkehlchen essen an seinem Tisch. Die Vögel des Feldes lauschen seiner Predigt. Ebenso nahm er von der Natur den Fluch, den die Mönchstheologie darüber gesprochen. Die Wiesen und Weinberge, die Felder und Wälder, die Flüsse und Berge fordert er auf, den Herrn zu preisen. Die ganze Schöpfung ist ihm ein Erzeugnis der Liebe Gottes, der die Menschen glücklich sehen will, der den Frühling nur kommen, die lauen Winde nur wehen läßt, damit die Kinder da unten ihre Freude daran haben.
Diese veränderten Anschauungen blieben auch auf die Kunst nicht ohne Einfluß. Durch Franziskus ist die Natur entsühnt, sie kann Gegenstand künstlerischer Verherrlichung werden. Daher tritt an die Stelle des Goldgrundes, der bisher dazu gedient hatte, die Heiligengestalten von allem Irdischen loszulösen, allmählich die Landschaft: Rosenhecken und Paradiesesgärten, wo die Vöglein singen und Tiere friedlich neben den Heiligen wohnen. Doch namentlich psychisch ist der Umschwung deutlich. Wie mitten aus der religiösen Begeisterung heraus die gefühlsinnigen Kirchengesänge der Franziskaner entstanden, tritt in den Bildern Gefühlsseligkeit an die Stelle starrer Erhabenheit. Die Heiligen, früher so finster und streng, werden gütig und mild wie der Poverello selbst es gewesen. An Maria besonders und den minniglichen Jungfrauen ihres Gefolges lernt die Kunst, was ihr am meisten fehlte: den Ausdruck des Psychischen.
Allein der Umstand, daß die Tafelmalerei, die bisher eine sehr bescheidene Rolle gespielt, jetzt tonangebender Faktor im Kunstbetrieb wurde, ist für den Umschwung des Gefühlslebens bezeichnend. Bei der Mosaikmalerei waren künstlerische Fortschritte und ein Beseelung der Gestalten schon durch die Entstehungsart der Werke ausgeschlossen. Der Maler konnte nicht unmittelbar sich aussprechen, denn er fertigte nur den Karton, wonach Handwerker das Mosaikbild bestellten. Jetzt tritt an die Stelle dieses unpersönlichen Stils, in dessen kaltem Material jede Empfindung versteinerte, eine neue Technik, die dem Meister gestattet, seine Gedanken ohne fremde Vermittlung niederzuschreiben, in flüssigen Pinselstrichen auch feinere Empfindungsnuancen zum Ausdruck zu bringen.
Trotzdem hat sich die Wandlung keineswegs schnell vollzogen. So sehr sich die Kunst bemühte, dem neuen Zeitgeist zu folgen, stand sie doch unter dem Bann einer tausendjährigen Tradition. Das byzantinische Schema herrscht zunächst noch vor. Nur ganz allmählich macht man sich frei. Die neue Empfindung sprengt die überkommenen Formen.
In der älteren Kunst war Maria gewöhnlich allein, mit betend erhobenen Armen, dargestellt worden. Seltener war das Thema der Madonna mit dem kleinen Christus, obwohl nach der Legende schon der Evangelist Lukas ein solches Bild malte. Aber auch dann wahrt Maria ihre hoheitvolle Starrheit. In steifer Vorderansicht sitzt sie, die willen- und gefühllose Trägerin des Gottessohnes, der – mehr ein verkleinerter Mann, ein Miniaturheros, als ein Kind – gravitätisch in ihrem Schoße steht, in der einen Hand als Zeichen seines Lehramtes die Schriftrolle haltend, mit der anderen feierlich den Segen erteilend.
Die ältesten Tafelbilder sind in nichts von diesen Mosaiken verschieden. Teils um an den Metallglanz des früheren Altarschmucks zu erinnern – bis zum 12. Jahrhundert war es Sitte gewesen, die Altäre lediglich mit kostbaren, aus Metall gearbeiteten Reliquiarien zu zieren –, teils wegen der Nachbarschaft der Mosaiken oder Glasgemälde mußten die Bilder einen möglichst glänzenden Eindruck machen. Die Figuren heben sich daher wie auf den Mosaiken von Goldgrund ab. Rot, Blau, Gold ist die durchgehende Note. Auch die Gestalten selbst haben die ernste Feierlichkeit byzantinischer Typen. Der Kopf der Madonna mit den großen geschlitzten Augen und der langen, spitzen Nase, die gleichgültige Art, wie sie mit ihren überlangen, knochigen Händen das Kind hält, ist hier und dort die gleiche. Dieses hat ebenfalls die greisenhaften Züge der byzantinischen Christkinder. Von irgend welcher Neuerung, einem gesteigerten Gefühlsleben ist nicht die Rede.
Erst mit dem Schlusse des 13. Jahrhunderts, in den Werken des florentinischen Malers Cimabue macht sich eine Aenderung bemerkbar. Der Jesusknabe wird kindlicher, freundlicher. Eine leichte Neigung des Hauptes der Madonna sagt, daß sie die Gebete der Menschen hört, ihnen Hilfe und gnädige Verzeihung erwirken kann. Anmut und Weichheit, ein menschliches Rühren beginnt die mürrisch harten Züge zu beseelen. In diesem Sinne schrieb Vasari, es sei durch Cimabue »mehr Liebe« in die Kunst gekommen.
Noch zarter als Toskana hat die stille Bergstadt Siena das Madonnenideal der Mystiker verkörpert. Die Sienesen sind die erste Lyriker der neuern Kunst. Wie sie einerseits ihren Bildern etwas Zierliches, Sauberes, eine Pracht der Farbe und der Vergoldung geben, die an Byzanz gemahnt, spiegelt sich andererseits in ihren Werken auch die ganze weiche Gefühlsseligkeit wieder, die erst durch Franziskus in die Welt gekommen. Betonte die byzantinische Kunst das Greisenhafte, so herrscht hier das Jugendliche, Liebliche, Graziöse. War dort alles starr und steif, so herrscht hier schlanke, biegsame Anmut. Es ist, als seien die steinernen Wölbungen der Kirchen plötzlich durchsichtig geworden, und man schaute hinauf in den wirklichen Himmel, wo zarte, ätherische Wesen, singend und den Höchsten preisend, in ewiger Jugend dahinleben und liebeverwandt zum Menschen herniederbücken.
Duccio, in der großen Madonna des Domes, gab die erste Anregung. Diese Maria ist nicht mehr streng und würdevoll, sie ist huldvoll und mild. Es ist, als hätte sie Mitleid mit der sehnenden Seele des Gläubigen, denn eine leise, träumerische Wehmut verklärt ihre Züge. Auch ihr Verhältnis zum Kind wird anders; nicht mehr als gleichgültige Gottesträgerin fühlt sie sich, sondern als zärtliche Mutter. Ambruogio Lorenzetti, der stille Poet, hat sie gemalt, wie sie innig ihre Wangen an die des Kindes schmiegt, hat sie dargestellt, wie sie ihrem Knaben die Nahrung reicht: mütterlich und doch magdhaft, stolz und doch schüchtern.
Ein ähnlicher Fortschritt von der Starrheit zur Seelenmalerei läßt sich bei allen Stoffen verfolgen. Nicht an den Hauptfiguren allein. Denn um die psychische Wirkung zu steigern, fügt man gern Engel und Heilige bei, in deren Freude und Trauer die Stimmung des Hauptvorganges harmonisch ausklingt. Früher verlief bei der Himmelfahrt Maria alles in frostiger Steifheit. Jetzt strahlt Dankbarkeit und himmlische Sehnsucht aus Marias Augen. Engel singen und musizieren. Jubelnde Festfreude durchwogt die Bilder. Bei der Krönung Maria wurde früher nichts anderes dargestellt, als daß Christus, steif dasitzend, der ebenso bewegungslosen Maria eine Krone aufs Haupt setzt. Jetzt kreuzt sie demütig schwärmerisch die Arme, und der Heiland segnet sie. Heilige und musizierende Engel folgen in freudigem Erstaunen dem Vorgang. Wird die Verkündigung dargestellt, so bemüht man sich, die schüchterne Befangenheit Marias, den kindlichen Eifer des Gottesboten auszudrücken. Selbst die Krucifixe, früher Schreckbilder mit ihren plumpen, schwarzen Konturen und dem ungeschlachten, grünlich gefärbten Leib, bekommen eine weihevolle, still wehmütige Stimmung. Stumme Ergebung spricht aus den Augen des Erlösers. Klagend oder in melancholischem Sinnen stehen die Freunde da. Einer preßt die Hände an die Brust, ein anderer hebt sie in staunender Verehrung. Ein dritter bedeckt sein Gesicht und weint heiße Thränen. –
Die gleiche Entwicklung erfolgte im 14. Jahrhundert in Deutschland. Ja, die Ideale der Mystiker fanden hier vielleicht die reinste Verkörperung, weil träumerische Empfindungsseligkeit noch mehr im deutschen Gemüt als im Charakter des Italieners liegt.
Auch in Deutschland waren vorher – namentlich in Westfalen – nur Altarwerke von starr musivischem Stil entstanden. Die Haltung ist steif, der Ausdruck leblos. Eine streng stilisierte Zeichnung begrenzt die Formen. Die Augen, die Nasen, die Bärte, die Gewandfalten, die Flügel der Engel – alles macht, obwohl mit dem Pinsel gezeichnet, mehr den Eindruck, als sei es aus Steinwürfeln zusammengesetzt.
Darüber kam auch die Prager und Nürnberger Schule nicht weit hinaus. In Prag, das durch Karl IV. ein künstlerischer Mittelpunkt geworden war, arbeitete ein Meister Theodorich, der den specifisch mittelalterlichen Stil zu höchster Vollendung ausprägte. Alle seine Gestalten sind von finsterer Majestät und ernster Erhabenheit; die Köpfe mächtig, die Augen drohend, die Gewänder feierlich nach Art des musivischen Stils geordnet. Die Nürnberger möchten wohl dem neuen Zeitgeist folgen. Ihre Werke sind weicher als die der Prager, aber hausbacken und verständig. Die ernste Großartigkeit mittelalterlichen Stiles ist verloren gegangen, und den Ideen von hingebender Gottesminne, wie sie Franziskus erschlossen, vermochte man in der fleißigen Handelsstadt doch nicht ehrlich sich hinzugeben.
*
Köln, das heilige, von der Poesie uralter Geschichte umflossene Köln, wo im Laufe des Mittelalters der größte aller Dome entstand, ward auch für die Malerei das deutsche Assisi. Hier lebten im 14. Jahrhundert die großen Mystiker Albertus Magnus, Meister Eckardt, Tauler von Straßburg und Suso, Apostel der gleichen Lehre, die in Italien Franziskus verkündete. In Suso namentlich fand der seraphische Heilige einen wahlverwandten Nachfolger. Sein ganzes Leben ist ein ewiger Minnekampf, seine Verehrung der Madonna von fast sinnlicher Liebesglut. Herzlieb nennt er sie, bittet, daß sie seine Herrin werden möchte, weil sein junges, mildes Herz ohne Liebe nicht sein könne. Nach ihr sehnt er sich nachts und grüßt sie morgens. In der Maienzeit, wenn die Burschen ihren Mädchen Lieder singen, bringt auch er der Gebenedeiten sein Lied dar. Körperlich glaubt er sie vor sich zu sehen, in langem, weißem Gewand, einen Rosenkranz im goldblonden Haar; vernimmt Gesänge, als ob Aeolsharfen klängen. Die Bilder sind in die Malerei übersetzte mystische Visionen, blumenzarte, ätherische Träume frommer, erdentrückter Schwärmer. War Maria bisher eine ernste, erhabene Königin, so erscheint sie jetzt als holdselige Jungfrau im Liebreiz der Jugend, wie eine Prinzessin von einem Hofstaat sittiger Ehrenfräulein umgeben. Kleine Idyllen von sehr viel Zartheit treten an die Stelle des hoheitvollen Monumentalstils von früher.
Als der Begründer dieser neuen Richtung wurde bis vor Kurzem Meister Wilhelm genannt. Doch geht aus den datierten Monumenten hervor, daß in den Jahren 1358 bis 1372, als Wilhelm von Herle arbeitete, sich die kölnische Malerei noch in durchaus mittelalterlichen Bahnen bewegte. Die hart gezeichneten Figuren mit den eckigen Bewegungen und den plumpen Händen ähneln in nichts den schmächtigen Wesen mit der weich geschwungenen Haltung, die so typisch für die kölnische Schule sind. Der Schöpfer dieses neuen Stils wurde erst Hermann Wynrich von Wesel, der nach Wilhelm von Herles Tod dessen Werkstatt übernahm und dann von 1390–1413 das Kölner Kunstleben beherrschte. Von ihm, nicht von Meister Wilhelm rührt der berühmte Marienaltar her, der besonders deutlich das Erwachen der neuen Anschauungen zeigt.
Die Bilder sind nicht sämtlich von einer Hand. Die derben Passionsscenen der oberen Reihe scheinen die Arbeit eines Gesellen zu sein, der in der älteren Weise arbeitete. Wynrich malte die sechs mittleren Tafeln, worin die Kindheit Jesu in entzückender Frische erzählt wird. Auch er selbst hatte, wenn er später an bewegte, leidenschaftliche Vorgänge sich wagte, wenig Erfolg. Nur wo es um stille Madonnen, um milde Weiblichkeit sich handelt, ist seine frauenhaft zarte, lyrische Kunst am Platz. Der schmale, gebrechliche Leib seiner Jungfrauen, umflossen von wallenden Gewändern, tritt gänzlich zurück vor dem Eindruck der sanften, braunen Augen, aus denen die Sehnsucht nach dem Jenseits, die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam strahlt. Sinnend neigt sich das Köpfchen zur Seite. Schmal sind die Schultern, flach ist die Brust. In seinen ätherischen weißen Händen endigen die schwachen mageren Arme. Selbst die Männer, obwohl sie Bärte tragen, haben nichts von kraftvoller Männlichkeit. Sie blicken schüchtern und demütig, träumerisch wie Kinder in die Welt. Man denkt an die Lehren der Mystiker, die in einem gesunden Körper das schwerste Hindernis auf dem Wege zur Seligkeit sahen. Man erkennt aber auch, daß aus dieser Unterordnung des Körperlichen unter das Seelische alle Vorzüge dieser Kunst sich ergeben. Nur indem Wynrich alles Körperliche so zurücktreten ließ, vermochte er den Gefühlsausdruck, nach dem er strebte, so rein und ungetrübt zu geben. Die typische Aehnlichkeit der Gestalten, das feine Oval der Köpfchen, die gebrechliche Schlankheit der Körper – es dient dazu, in eine ferne Welt zu entrücken, wo alles anmutig und schön ist, die Gefühle zart und fein, in ein Paradies, wo keine Roheit, kein Mißton die große Harmonie, die himmlische Sphärenmusik stört.
Daß selbst die Landschaft zuweilen herangezogen wird, um die Paradiesesstimmung der Bilder zu steigern, ist ebenfalls den Lehren der Mystiker zu danken. Wie in Italien Franziskus, hatte in Deutschland Suso die Natur vom Fluche der Mönchstheologie befreit. Blumen, besonders Rosen, Paradiesgärten, in denen Madonna wandelt, kommen häufig in seinen Visionen vor. Er beschreibt das Paradies als eine schöne Au, wo Lilien und Rosen, Veilchen und Maiblumen duften, wo Stieglitze und Nachtigallen Tag und Nacht in herrlichen Weisen singen. Darum liebt es auch Wynrich, die Madonna im Freien darzustellen, auf blumigem Rasen, von zarten Jungfrauen begleitet. Bald kniet neben ihr die heilige Katharina, die sich mit dem Christkind verlobt, bald Agnes, die mit dem Lämmlein spielt. Andere lesen vor aus kostbaren Büchern, musizieren, pflücken Blumen, unterweisen das Christkind im Zitherspiel. Auch Ritter, schlank wie Mädchen, gesellen sich hinzu, um mit den Fräulein sittige Unterhaltung zu pflegen. Ringsum sproßt und grünt es, duftet und blüht es. In Werken der Art fand das Mittelalter der deutschen Kunst sein Ende. Es ist der letzte Klang aus jener Welt der reinen Harmonien, die Franziskus und Suso erschlossen hatten.
Noch weit folgenreicher wurde nach einer anderen Seite das Auftreten des Franziskus. Er vertiefte nicht allein durch seine Predigten das Empfindungsleben und schuf so den Boden für jene lyrisch-empfindsame Malerei, die in Köln und Siena blühte. Indem er an die Stelle des dogmatischen den persönlichen Christus setzte, wie seine irdische Lebensarbeit ihn als Menschen neben anderen Menschen zeigte, führte er auch die Christuslegende als neuen Stoff der Kunst zu. Ein Epos war gegeben, das auch vom Maler erzählt werden konnte. Und namentlich: das eigene Leben des Heiligen mit all seinen Entbehrungen und wunderbaren Geschehnissen reizte zur Darstellung. In epischer Breite, in großen monumentalen Bildern sollte geschildert werden, was Franz erlebt und gethan.
An Wandflächen fehlte es nicht, denn die Gotik in Italien war eine andere als im Norden. Das Princip war, weite Binnenräume mit wenig Stützen durch große Bogen zu überspannen. Und da diese ungegliederten Flächen von selbst zur Dekoration mit Wandgemälden aufforderten, trat die Freskomalerei als tonangebender Faktor in das italienische Kunstschaffen ein.
Für die Franziskuslegende gab es keine altgeheiligte Tradition. Nachdem jahrhundertelang die Künstler, einer dem anderen folgend, sich darauf beschränkt hatten, die Kultusbilder Christi und der Maria zu schaffen, an denen jede Bewegung, jede Gewandfalte durch kirchliche Satzung bestimmt war, hatten sie bei diesem neuen Thema plötzlich Freiheit. Alle Scenen waren – nach den Erzählungen der Mönche oder der Lebensbeschreibung des Bonaventura – gänzlich neu zu gestalten. Statt ruhiger Gnadenbilder mußten bewegte Vorgänge, Handlungen, Ereignisse geschildert werden. Zur Bewältigung solcher Dinge reichte Gefühlsschwärmerei, reichte mystische Versenkung nicht aus. Eine große männliche Gestaltungskraft, ein freies Schaffensvermögen, ein gewisser Realismus war nötig. Daß an Stelle der ewig gleichbleibenden himmlischen Gestalten zum erstenmal ein realer, beinahe zeitgenössischer Stoff in den Darstellungkreis trat, bedeutete einen vollständigen Bruch mit der mittelalterlichen Tradition. Es ist daher kein Zufall, daß zur Lösung dieser Aufgabe eine Stadt berufen war, die mit gar keiner Ueberlieferung zu brechen hatte, da sie während des Mittelalters stumm beiseite gestanden: nicht das ewige Rom, das stolze Venedig oder das mächtige Pisa, sondern das junge Florenz, das damals neu und frisch, mit unverbrauchter Kraft, in die Kultur und Kunst Italiens eintrat. Hatte Siena, die stille Bergstadt, und Köln, das heilige Köln, den mystischen Idealen des Trecento den zartesten Ausdruck gegeben, so tritt der große Giotto diesen Lyrikern als Epiker, den Mystikern als der Realist des 14. Jahrhunderts zur Seite.
In der Grabkirche des Heiligen, San Francesco in Assisi, verdiente er sich die Sporen. Giovanni Cimabue, dem die Dekoration übertragen war, hatte ihn, den früheren Hirtenbuben, nebst anderen Gesellen mit sich genommen und überließ ihm zur selbständigen Ausführung die Bilder aus der Franziskuslegende, die die Wände der Oberkirche überziehen. Giotto malte sie. Und nachdem er an dem neuen Thema seine Kraft geübt, an der Hand des zeitgenössischen Stoffes sich von den Fesseln des Byzantinismus befreit, sah er auch das Alte mit modernem Auge. Auf die Franziskuslegende folgte die Neugestaltung des Lebens Christi, das er in Padua, in der Kirche der Arena, erzählte. Nachdem er dann noch in der Unterkirche von Assisi die drei Gelübde des Franziskanerordens: Armut, Gehorsam und Keuschheit sowie die Glorie des Franziskus gemalt und in den verschiedensten anderen Städten – in Rom, Ravenna, Rimini und Neapel umfangreiche (heute zerstörte) Werke geschaffen, kehrte er 1334 nach Florenz zurück, wo er zum Baumeister des Domes und des Campanile ernannt wurde und auch als Maler – in der eben vollendeten Franziskanerkirche Santa Croce – noch eine ausgedehnte Thätigkeit entfaltete. Drei Jahre nach seiner Rückkehr, am 8. Januar 1337 erfolgte sein Tod. Boccaccio schrieb über ihn im Dekamerone: »Giotto war ein solches Genie, daß nichts in der Natur war, was er nicht so abgebildet hätte, daß es nicht nur der Sache ähnlich, sondern diese selbst zu sein schien.« Und Polizian läßt ihn in seiner Grabschrift sagen: Ille ego sum, per quem natura, extincta revixit.
Ein solches Lob, dem Naturalisten Giotto gespendet, wird dem modernen Auge sehr übertrieben scheinen. Wer mit realistischem, dem Stil späterer Epochen entlehnten Maßstab an Giottos Werke herantritt, findet keinen Eingang in die Werkstatt seines Geistes.
Wohl überrascht er, wenn es Außergewöhnliches, Erotisches zu schildern gilt, zuweilen durch ganz modernen Naturalismus. Unter dem Gefolge der heiligen drei Könige in der Kirche von Assisi sind wunderbare Exemplare mongolischer Rasse, mit eingedrückter Nase, gelber Hautfarbe und ebenholzschwarzem Haar. Ebenso fallen die Nubierköpfe in der Kirche Santa Croce durch ethnographische Treue auf. Doch daß sie auffallen, zeigt, wie vereinzelt solche Dinge bei Giotto sind. Auch er hat, wie alle früheren, einen durchgehenden Typus: jene harten, wie aus Holz geschnitzten unpersönlichen Gesichter mit den vorstehenden Backenknochen, den mandelförmigen Augen und der gradlinigen, sogenannten griechischen Nase.
Das Nackte zu studieren lag noch nicht im Sinne der Zeit. Wo unbekleidete Figuren gegeben werden, wie in der Taufe Christi oder in den Kreuzigungsbildern, ist daher die Zeichnung ganz allgemein.
Was das Kostüm anlangt, hat er in einzelnen Fällen, wie aus dem Bild der Anbetung der Könige, zeitgenössische Moden verwendet. Doch nur bei Figuren, die er in Gegensatz zu den Gestalten des spezifisch christlichen Glaubenskreises setzen will. Für die Heiligen behält er die feierliche Idealtracht bei, die das Mittelalter von der Antike übernommen hatte. Sie tragen Toga, Tunika und Sandalen. Der Kopf bleibt unbedeckt.
Wie in der Darstellung des Menschen, ist er als Tiermaler von Naturtreue weit entfernt. Der Hühnerhund, der auf einem der Paduaer Fresken an Sankt Joachim aufspringt, der Esel, auf dem ebenda der heilige Joseph reitet, und die drei Kamele auf dem Bilde der Anbetung der Könige in Assisi sind an naturalistischer Durchbildung wohl das Hervorragendste, was Giotto auf dem Gebiet der Tierdarstellung leistete. Die Schafe, die der frühere Hirtenjunge hätte kennen müssen, sind wenig korrekt gezeichnet. Das Pferd bleibt für ihn eine unverstandene Maschine.
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Noch befremdlicher wirken seine Hintergrunde. All diese Baulichkeiten, in ihren Einzelheiten naturwahr, bilden als Ganzes doch keinen realistischen Hintergrund. Viel zu klein, sind sie weder perspektivisch richtig gezeichnet noch stehen sie in richtigem Verhältnis zu den Menschen. Diese sind oft größer als die Häuser, in denen sie wohnen. Ebenso bewegt er sich als Landschafter in den primitivsten Bahnen. Die Natur setzt sich gewöhnlich aus wunderlich gezackten, kahlen Felsen zusammen, auf denen hier und da ein Stamm wächst, der auch wieder als einzige Bekleidung höchstens ein Dutzend wie aus Blech geformte Blätter hat. Die malerischen Elemente der Landschaft, Flüsse, Thäler, Hügel und Wälder, ihre ernste und heitere Vegetation kamen für ihn so wenig wie für andere Meister des Trecento in Frage. »Wenn du Gebirge in einer guten Weise entwerfen willst, die natürlich scheinen, so wähle große Steine aus, rauh und unpoliert, und zeichne sie nach der Natur.« Diese Vorschrift Cenninis ist ein bezeichnendes Dokument für die Naturauffassung einer Epoche, der noch der Baum den Wald, der Stein das Gebirge bedeutete.
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Selbst das Kolorit Giottos, so sehr es in seiner lichten Haltung von den preciös barbarischen Farben der Byzantiner abweicht, ist weit entfernt der Wirklichkeit zu folgen. Wie er die Pferde zuweilen rot, die Bäume blau malt, ist auch eine Bezeichnung der Stoffe, aus denen die Dinge bestehen, ein Unterschied in der Behandlung der Architektur, der Gewänder und des Fleisches weder erreicht noch versucht.
Doch man darf, um die Bedeutung eines Künstlers festzustellen, ihn nie mit Späterem, nur mit Früherem vergleichen. Da imponiert schon die Erweiterung des Stoffgebietes, die sich durch Giotto vollzog. Die byzantinische Kunst hatte nur die regelhafte, für Ewigkeiten festgemauerte Ruhe des Göttlichen dargestellt, es in hieratischer Starrheit, über Zeit und Raum erhaben vor Augen geführt. Bewegte Scenen darzustellen, war nur nebenher und schüchtern versucht. Giotto als erster giebt der Kunst die Wendung zur Aktion, schildert nicht Ruhiges, sondern Bewegtes, nicht Zeitloses, sondern Geschehen. Indem er an die Stelle der repräsentierenden Andachtsbilder ganze Epen, ganze Dramen setzte, wurde er der erste Historiker der christlichen Kunst.
Und hält man fest daran, immer nur an Früheres, nicht an Späteres zu denken, wird auch sofort ersichtlich, welche Summe technischer Ausdrucksmittel Giotto erst schaffen mußte, um diesen neuen Stil zu begründen. Die Figuren sind nicht naturalistisch durchgebildet, aber er als erster weiß menschliche Gestalten in voller Bewegung darzustellen. Die Tiere sind nicht gut gezeichnet, aber er als erster öffnet seine Fresken den Vertretern des Tierreichs, von den Vierfüßlern bis zu den Vögeln, die der Predigt des Franziskus lauschen. Seine Landschaften sind noch symbolisch, trotzdem war es ein jäher Ruck, mit dem er die Gestalten aus der byzantinischen Raumlosigkeit in eine bestimmte örtliche Umgebung setzte, sie auf der Erde in der freien Natur, auf den Straßen und Plätzen der Städte zu neuem, lebensvollen Wirken vereinte.
Schließlich erklärt sich vieles, was gegen die Naturwahrheit zu verstoßen scheint, nicht aus mangelndem Können, sondern aus den stilistischen Anforderungen des großen Stils. In der souveränen Sicherheit, mit der er die Gesetze des Monumentalstils feststellte, liegt seine eigentliche unsterbliche Größe. Giotto wußte noch, was spätere Maler vergaßen, daß es gar nicht Aufgabe der Wandmalerei ist, naturalistische Wirkungen in Form und Farbe zu erstreben, sondern daß sie nur ihren Zweck erfüllt, wenn sie in den Grenzen rein schmückender Flächendekoration sich hält. Aus diesem Grunde ist er noch für unsere Zeit, für Puvis de Chavannes und andere, der starke Anknüpfungspunkt geworden. Nachdem die jahrhundertelange, auf den Realismus gerichtete Entwicklung ihren Abschluß gefunden, trat desto mehr hervor, daß Giotto vor sechs Jahrhunderten schon das besaß, was wir heute wieder erstreben. Sein ganzes Schaffen wurde nicht durch naturalistische sondern durch dekorative Gesichtspunkte bestimmt. Gerade indem er der monumentalen Wirkung zuliebe vieles von der Naturwahrheit, die auch er hätte erreichen können, opferte, ergriff er im Kern die Aufgabe raumschmückender Kunst.
Sein Geheimnis liegt in dem großen Zug der Linien, in der klaren Anordnung der Gruppen, in der strengen Unterordnung aller Einzelheiten. Damit kein kleinliches Detail den Linienfluß stört, wählt er Typen, die an Gesicht und Gestalt einfach und mäßig sind. Damit die Klarheit der Erzählung nicht leidet, vermeidet er alle malerischen Füllfiguren, beschränkt sich darauf, in lakonischer Kürze den geistigen Gehalt des Themas in künstlerische Anschauung umzusetzen. Da sich die hohe Getragenheit des Monumentalstils nicht mit jähen Wendungen und unsicheren Gesten verträgt, bildet er sich eine feststehende Gebärdensprache, die wie die Schriftsprache für die gleichen Dinge immer die gleichen Worte benutzt, und so dem Betrachter sofort beibringt, was die Figuren sagen. Ein signifikanter Blick, eine leichte Bewegung der Hand und des Körpers, der die lose herabhängenden Gewänder willig folgen, müssen genügen, die Bedeutung der dargestellten Person, die Regungen ihres Seelenlebens zum Ausdruck zu bringen. Da er die Wandmalerei lediglich als Flächendekoration auffaßt, vermeidet er alle plastischen, auf die Illusion von Körperlichkeit ausgehenden Wirkungen, arbeitet in demselben Stil wie die Japaner, bei denen ebenfalls die Menschen weder Rundung haben noch Schatten werfen. Auch die Farbe muß sich dem dekorativen Zwecke unterordnen. Daher trägt er kein Bedenken, bewußt von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn eine naturwahre Farbe die helle Gesamtharmonie, den bleichen Gobelinton der Bilder zerstören würde. Die Stilisierung der Landschaft ergab sich als weitere Folge. Sie durfte nicht selbständig auftreten, nur die Begleitung zu den großen Hauptlinien der Figuren bilden. Darum hält er sie in den einfachsten Formen. Auch Giotto wußte, daß in so kleinen Häusern keine Menschen leben können, daß Pflanzen und Bäume nicht so symmetrisch wachsen, daß Felsen nicht so treppenförmig abgestuft oder so nadelförmig spitz sind. Aber er malt sie so, weil jede naturalistische Durchbildung ihn von seinem Ziel entfernt hätte. Denn hätte er die Häuser größer gegeben, so wären seine Bilder statt Monumentalmalereien Architekturstücke und historische Genrebilder im Stil Gentile Bellinis geworden. Hätte er die Felsen nicht so abgetreppt, nicht so schroff gradlinig gezeichnet, wäre er nicht im stande gewesen die Pläne so scharf zu sondern, die verschiedenen Ereignisse so deutlich zu trennen. Hätte er die Bäume naturalistisch durchgeführt, so hätte sich nicht nur eine Dissonanz mit den mäßig gradlinigen Figuren ergeben, es wäre auch der Eindruck der Feierlichkeit verloren gegangen, den sie gerade in ihrer Stilisierung machen. Nur indem er auf alles Kleinliche, auf alle naturalistischen Einzelheiten verzichtete und die Natur vereinfachte, um sie noch elementarer sprechen zu lassen, konnte er seinen Werken die feste Geschlossenheit, jene sakramentale Würde geben, die dem Thema sowohl wie dem Stil dekorativer Kunst entspricht.
Und der Begründer dieses Stils konnte nur ein so klarer männlicher Geist wie Giotto werden. Es ist eine geschichtliche oder besser eine psychologische Merkwürdigkeit, daß inmitten dieser gefühlseligen Generation ein Mann lebte, der gar nichts vom Mystiker hat. Man braucht, um diesen Zug seines Charakters zu erkennen, nur seine Madonnenbilder zu betrachten. Von der Zartheit und mystischen Innerlichkeit der Sienesen und Kölner sind diese Werke weit entfernt. Eine gewisse Nüchternheit, ungraziöse Härte und poesielose Sachlichkeit haftet ihnen an. Statt wie die andern nach ätherischer Holdseligkeit zu streben, trägt er realistisch-genrehafte Züge in das Thema hinein. Das Kind steckt den Finger in den Mund, spielt mit einem Vogel, ist im Begriff der Mutter auf den Schoß zu klettern. Auch die paar Züge, die aus seinem Leben bekannt sind, deuten seine Doppelstellung an. Er verherrlicht die Franziskanergelübde, verwahrt sich aber ausdrücklich dagegen, daß für ihn selbst Armut das Ziel des Strebens bedeute. Er ist Maler, bewegt sich aber mit gleichem Erfolg in der materiellsten aller Künste, die gar keine Empfindung, nur handwerkliche Tüchtigkeit und mathematische Berechnung voraussetzt: in der Baukunst. Er malt Mystisches, gilt aber seinen Zeitgenossen als sehr verständiger Mann, dessen moderne Anschauungen und kaustische Witze seltsam kontrastieren mit dem Wesen des Heiligen, als dessen Verherrlicher ihn die Kunstgeschichte feiert. Dem entspricht seine Kunst. Man ersieht aus ihr, wie aus den Werken der Sienesen, welche Tiefe des Gefühlslebens durch Franziskus erschlossen war. Alle Regungen des menschlichen Herzens, Zorn und Demut, Liebe und Haß, Mut und Entsagung hat er meisterhaft interpretiert. Aber er thut es ohne mystische Traumseligkeit, in verständiger Sachlichkeit. Seine Kunst ist klar und durchsichtig, spricht in knappen, lapidaren Sätzen wie ein mathematischer Beweis. Kein Schwärmer, aber ein positiver exakter Geist, kein Träumer, aber ein gewaltiger Arbeiter von gesunder, breitausgreifender Männlichkeit, hat er auf ein Jahrhundert hinaus die Bahnen der italienischen Kunst bestimmt.
Nachdem Giotto der Malerei die Zunge gelöst, begann in ganz Italien eine ungeheure Thätigkeit. In Florenz bot die Kirche Santa Croce, wo Giotto seine letzten Bilder geschaffen, auch den Jüngeren ein reiches Arbeitsfeld. Gleichzeitig erhielt die Kirche Santa Maria Novella ihre Ausstattung. Siena, das lyrisch mystische Siena folgte ebenfalls dem episch gewordenen Zeitgeist, ließ seinen Palazzo publico mit Fresken dekorieren. In Pisa, der schlafenden, toten Stadt, enthält das Camposanto eine der gewaltigsten Bilderreihen mittelalterlicher Kunst. In Padua, wo Giottos Werk in der Arena den Sinn für monumentale Kunst geweckt, erprobten in der Kirche Sant Antonio und in der Kapelle San Giorgio nun auch einheimische Künstler ihre Kräfte.
Die hauptsächlichsten Namen sind: für Florenz Taddeo Gaddi, Giottino, Maso di Banco, Giovanni da Milano, Andrea Orcagna, Agnolo Gaddi, Antonio Veneziano, Francesco da Volterra und Spinello Aretino – für Siena: Simone Martino, Lippo Memmi, Pietro und Ambruogio Lorenzetti – für Padua: Altichiero da Zevio und Jacopo d'Avanzo. Pisa, das ein Hauptsitz der Plastik war, hatte außer Francesco Traini keine einheimischen Maler sondern rief auswärtige zur Erledigung der großen Arbeiten herbei.
Zunächst fand, nachdem Giotto mit dem Christusleben, der Franziskus- und Johanneslegende vorausgegangen, nun die ganze Bibel, die ganze Heiligenlegende Bearbeitung. Die Geschehnisse des Alten wie des Neuen Testamentes und die Erzählungen der Legenda aurea wurden in demselben episch anschaulichen Stil geschildert, in dem die Predigten des Franziskus gehalten waren.
Dann trat der Dominikanerorden als mächtiger Faktor in das Kunstleben ein. Den Bettelmönchen, schlichten Männern des Volkes, gesellten sich die gelehrten Advokaten der Kirche, die Vertreter jenes Ordens, der seine Hauptaufgabe in der wissenschaftlichen Formulierung und strengen Aufrechterhaltung der reinen Kirchenlehre sah. Diesem starr gelehrten, streng scholastischen Geist entspricht die Kunst, die unter dem Schutze des Dominikanertums sich entfaltete. Während in den Franziskanerbildern nur ausnahmsweise Allegorien vorkommen, gewöhnlich der schlichte Legendenton gewahrt ist, handelte es sich hier darum, in lehrhaften allegorischen Darstellungen das System und die Moral des heiligen Thomas von Aquino, des scholastischen Dominikanerfürsten zu verherrlichen. Und erstaunlich ist, mit welch heiligem Ernst die Maler versuchten, auch diese ganz abstrakten, sinnlich kaum zu packenden Dinge in die Sprache der Kunst zu übertragen. In der berühmten Glorie des heiligen Thomas von Francesco Traini sollte die geistige Einwirkung, die der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und seinerseits auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Traini thut es durch ein kompliziertes System von Strahlen, die auf Thomas fallen und von ihm ausgehen. In dem Freskencyklus der spanischen Kapelle in Santa Maria Novella war die kulturgeschichtliche Bedeutung des Dominikanerordens, sein wissenschaftliches System und strenges Hüteramt der Wahrheit darzustellen. Man sieht also um den Thron des Statthalters Christi Hunde ( Domini canes) gelagert, wie sie des Rufes harren, sich auf die Wölfe (die Ketzer) zu stürzen; weiter Mönche, wie sie predigen, und sündige Seelen, die durch die Geistlichen bekehrt, ins himmlische Jenseits eingehen. Wie hier die praktische ist auf dem andern Bild die wissenschaftliche Thätigkeit des Ordens dargestellt. Der heilige Thomas sitzt auf gotischem Thron, zu dessen Füßen die überwundenen Ketzer Arius, Averroes und Sabellius kauern. Dann folgen, durch Frauengestalten personifiziert, die weltlichen und geistlichen Wissenschaften. Eine der Gestalten, mit Erdkugel und Schwert soll die Majestät, eine andere mit Pfeil und Bogen die Schrecken des Krieges, eine dritte mit der Orgel die Musik bedeuten. Männliche Gestalten sind noch als Vertreter der allegorischen Begriffe beigegeben.
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Die ähnlichen politischen Allegorien, wie sie in Gerichts- und Ratsälen üblich wurden, sind auf den größten dichterischen Genius der Zeit, auf Dante zurückzuführen. Nachdem dieser das Ideal des Staatslebens definiert, konnte Ambruogio Lorenzetti von Siena seine Wandbilder des Palazzo publico malen, die halb sittenbildlich, halb allegorisch die Segnungen des guten, die Schrecken des schlechten Regimentes vorführen.
Teils auf Dante, teils auf die Lehren der beiden Mönchsorden gehen auch die symbolisch visionären Stoffe zurück, die neben den Allegorien aufkamen. Denn in dem Hinweis auf das Jüngste Gericht, auf Paradies und Hölle sahen diese Prediger das wirksamste Mittel die Gemüter zu erschüttern. Ein Bruder Giacomino da Verona beschreibt das Paradies als einen himmlischen Königshof. Die Patriarchen und Propheten, in grüne, weiße und blaue Gewänder gehüllt, die Apostel auf goldenen und silbernen Thronen, die Märtyrer, rote Rosen im Haar, scharen sich um den Ewigen, in nie getrübter Freude dahinlebend. Zur Seite Christi thront Maria, schön wie eine Blume, von den Engeln durch Harfenspiel und jubelnde Hymnen geehrt. Die Hölle wird als eine Stadt der Unterwelt beschrieben. Giftige Gewässer fließen durch sie hin. Ein Himmel von Metall überwölbt sie. Mit großen Stöcken hauen die Teufel auf ihre Opfer ein. Feuer sprüht aus ihrem Munde; wie die Wölfe heulen, wie die Hunde bellen sie. Dann gab Dante in der Divina commedia diesen Ideen die klassische Form. Nicht bloß die Gliederung des Jenseits in Hölle, Fegfeuer und Paradies, auch die Art der Verteilung und Abwägung der Strafen erhielt durch ihn die dogmatische Fassung.
Die Künstler folgten, indem sie den typischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, wie sie schon früher üblich waren, ebenfalls umfangreiche Schilderungen des Paradieses und der Hölle zur Seite stellten. Namentlich Orcagna und der große Unbekannte des Pisaner Camposanto ragen durch Werke dieser Art hervor. Während in den byzantinischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes alles in lebloser Steifheit verlief, herrscht hier seelische Bewegung. Christus ist leidenschaftlich erregt, die Madonna Fürbitterin der Menschheit. Die Apostel folgen in angstvoller Spannung dem Vorgang. – Die Hölle ist als Durchschnitt eines unterirdischen Gebirges gedacht, dessen Felswände die verschiedenen Klassen der Sünder trennen. Satans Schreckgestalt nimmt die Mitte ein. Unter ihm lodern Flammen. Alle Arten von Martern erfüllen den Schreckensraum. – Von Jubel und Seligkeit ist das Paradies durchwogt. Gerade indem Orcagna hier jede Bewegung meidet, nur jugendliche Köpfe und strahlende Augen malt, die in leuchtendem Glanz auf den Betrachter blicken, erreicht er überirdische Wirkung: selbst der gewaltige Akt des Gerichtes kann die Seligen in ihrem himmlischen Frieden nicht stören.
Die Todesallegorien bilden gleichsam die Einleitung zu diesen Darstellungen des Jenseits. Hungersnot und Krieg hatte damals die Völker heimgesucht. Die Pest hatte ihren Triumphzug durch Europa gehalten. Man glaubte sich von Gottes Strafgericht verfolgt, hatte die Wahrheit der alten Lehre kennen gelernt, daß der Mensch jederzeit gerüstet sein müsse, vor den Richterstuhl des Höchsten zu treten. So entstand damals das Gedicht von den drei Toten, die den drei Lebenden in den Weg treten mit der ernsten Mahnung: »Was ihr seid das waren wir, was wir sind das werdet ihr«. Jacopone dichtete seine Lieder, worin er den Allgleichmacher Tod als die fürchterliche Macht besang, die plötzlich und tückisch ins blühende Leben eingreift. Das Gegenstück zu diesen Gedichten bildet der Trionfo della morte des Camposanto, von allen symbolischen Darstellungen des 14. Jahrhunderts wohl die bedeutendste. Denn nicht nur in der großartigen Gestaltung der Idee, auch an Naturbeobachtung geht dieser Meister über das Niveau der Schule hinaus. Hatte Giotto sich als Landschafter auf nackte Felsen beschränkt, so wird hier zum erstenmal die Natur im Schmucke der Vegetation gegeben. Ebenso imponiert die realistische Kühnheit, mit der er die zurückscheuenden Pferde oder bei der Bettlergruppe die Verkrüppelungen und Verstümmelungen malt.
Ueberhaupt sind gewisse stilistische Fortschritte, die über Giotto hinaus gemacht wurden, auch in manchen anderen Werken bemerkbar. Orcagna und die Sienesen ergänzen ihn in der psychologischen Analyse. Hatte Giotto starke Empfindungen in dramatischer Deutlichkeit interpretiert, so malt Orcagna auch feinere leise Gefühle, die verschwiegen ein halbes Traumleben führen. Ebenso halten die Sienesen auch im Fresko an ihrer heimischen Empfindung fest und gehen dadurch psychisch über Giotto hinaus. Statt des energischen Ausdrucks des Altmeisters herrscht bei ihnen mehr weiche Träumerei, statt ernster Leidenschaft milde Lieblichkeit, statt pathetischer Dramatik lyrisch empfindsame Zartheit.
Durch seine realistischen Hintergründe fällt der Meister auf, der die Fresken der Capella Spagnuoli schuf. Er zeichnet das einemal einen Garten mit Obstbäumen und bevölkert ihn mit jungen Leuten, die Früchte pflücken oder sich im Schatten ergehen. Das anderemal giebt er die Kathedrale von Florenz genau so, wie sie von den zeitgenössischen Architekten geplant war. Noch weiter gehen nach der realistischen Seite die Paduaner. Hatte Giotto in einfachem Reliefstil die Figuren nebeneinander gestellt, so versuchen die Paduaner schwierigere perspektivische Probleme. Die Bauwerke des Hintergrundes sind korrekter in den Größenverhältnissen, die entfernten Gestalten perspektivisch richtiger verkleinert. Auch die Charaktere sind individueller, mehr porträtartig gefaßt, die Tiere ebensogut wie die Menschen beobachtet. Namentlich die Wiederkäuer, den ruhigen langsamen Schritt der Ochsen haben sie in verblüffender Weise gezeichnet. Selbst das Nackte ist, wo es bei Martyrien darzustellen war, mit einer gewissen Naturkenntnis gegeben.
Von einer eigentlichen Entwicklung in realistischem Sinn läßt sich gleichwohl nicht sprechen. Wenn von einem Schüler Giottos, einem gewissen Stefano berichtet wird, er sei wegen seines naturalistischen Stils »Affe der Natur« genannt worden, so ist dieser Notiz ebenso bedingter Wert beizumessen wie dem Urteil, das Boccaccio über Giottos Naturalismus fällt. Richtiger kennzeichnet Dantes Commentator Benvenuto da Imola die Lage, wenn er zu den Versen Dantes, daß Giotto in der Malerei das Feld behaupte, noch 1376, also 40 Jahre nach Giottos Tod die Anmerkung macht: »Und wohlgemerkt, er behauptet es noch immer, da seitdem kein Größerer gekommen«. Wie während des Mittelalters der byzantinische, herrschte während des 14. Jahrhunderts der Giottostil. In der Erweiterung des Stoffgebietes, nicht in der Vermehrung des von Giotto angehäuften technischen Kapitals bestand die Entwicklung. Die Formen, die der Altmeister geschaffen, dienen den Malern dazu, nun den ganzen Gedankengehalt der Zeit in bildliche Anschauung umzusetzen. An die dunkelsten Allegorien, die phantastischsten Vorstellungen vom Jenseits, die Bearbeitung der gelehrtesten Kirchendogmen treten sie heran, wollen in das ABC der Form, wie es Giotto festgestellt, gleich die Unendlichkeit weltbewegender Ideen legen. An der technischen Vervollkommnung dieser Formen arbeiten Wenige. Die ganze Malerei war – wie in unserem Jahrhundert zur Zeit des Cornelius – das Produkt einer vorwiegend litterarischen Epoche, als die großen Denker und Dichter, Dante und Petrarka, die Geister beherrschten und auch den Künstler veranlaßten, sich nicht als Maler, sondern als Dichter seiner Werke zu fühlen.
Die Reaktion gegen die Gedankenmalerei der Giottoschüler war notwendig, eine Lebensfrage. Statt an die Kirchenlehrer an die Poeten sich anzulehnen, mußte die Malerei selbst stehen lernen. Statt Gelehrsamkeit zu illustrieren, mußte sie Herrin im eigenen Hause werden. Das ist der Umschwung, der sich im 15. Jahrhundert vollzog. All jene Triumphe der Keuschheit, der Armut, der ecclesia militans, jene Allegorien des guten und schlechten Regiments, wie sie die Gedankenmaler ersonnen hatten, fanden keine Bearbeitung mehr. An die Stelle der dogmatisch-didaktischen Bestrebungen, an die Stelle der literarischen Kompositionen treten einfache Bilder, die in sich selbst die Berechtigung für ihr Dasein tragen. Man erdichtet nicht mehr, sondern beobachtet, malt keine Gedanken mehr, sondern Dinge. So bedeutet das 15. Jahrhundert die allmähliche Eroberung der sichtbaren Welt und Hand in Hand damit die allmähliche Ausbildung der Technik.
Auch die große Kulturwandlung, die sich zu Beginn des Quattrocento vollzog, lenkte die Malerei in diese Bahn, Die Kultur des Mittelalters war durchaus kirchlich gewesen. Die Kirche regelte die Sitten der Völker, unterwies sie in praktischen Dingen und belehrte sie in geistigen, soweit es ihr gut schien. Allmählich war die Menschheit herangereift und wies die Bevormundung als Zwang von sich ab. Die Einheit des mittelalterlichen Bewußtseins ging in die Brüche. Sinnlichkeit und Denken machten der Askese, dem blinden Glauben gegenüber ihre Rechte geltend. Die christliche Demut weicht dem Gefühl persönlicher Starke. Statt sich mit dem Wechsel auf das Jenseits zu begnügen, beginnt der Mensch sich einzurichten auf der Erde, die Kräfte und Geheimnisse des Alls sich dienstbar zu machen. Neue Erdteile werden entdeckt, umwälzende Erfindungen auf allen Gebieten gewerblicher Thätigkeit gemacht. Es ist bekannt, wie unter der Herrschaft dieser neuen Principien bald die große Aufgabe einer gänzlichen Neugestaltung der Wissenschaft sich im Hintergrund zeigte. Nicht minder bekannt, welche ungeheuren Folgen der Zusammenbruch der mittelalterlichen Ideale auf die äußere Gestaltung des Lebens hatte. Es war, als sei den Menschen plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Alle Überlieferungen, die bis dahin bindende Kraft gehabt, waren erschüttert. Alle Untiefen des menschlichen Herzens thun sich auf. Hatte man vorher das Erdendasein als eine Vorbereitung zur Seligkeit aufgefaßt, so will man jetzt auf Erden sich ausleben. Ging man damals in Sack und Asche, so liebt man jetzt die Feste und Turniere, die Maskeraden und Bälle, den Luxus der Tafel wie den Luxus der Kleider. Dem Wiederaufleben der Sinnlichkeit gesellt sich die Rebellion gegen den Staat, die Familie. Schriftsteller treten auf, die in ganz moderner Skepsis die mönchstheologische Moral dem Spott und dem Gelächter preisgeben. Neue Staaten formen sich allerwärts. Da monarchische Gewaltherrschaften, in denen Herrscher war, wer durch Kraft und Schrecken emporzukommen, durch Kraft und Schrecken sich zu behaupten wußte, dort städtische Republiken, dem wildesten Parteihader preisgegeben und gleichwohl durch ein freies betriebsames Bürgertum blühend.
Die Kunst geht immer parallel mit den allgemeinen Anschauungen, der Kultur, den Sitten. Sie ist der Spiegel, die abgekürzte Chronik ihrer Zeit. Auch in ihr wich daher der Zug nach dem Jenseits dem nach dem Diesseits. Die Weltfreude der Epoche kommt auch in den Bildern zum Ausdruck. Hatte das 14. Jahrhundert, die Zeit der Mystiker, die Tiefen des Seelenlebens erschlossen, so nimmt das 15. Jahrhundert Besitz von der Außenwelt. Wie Handel und Schiffahrt neue Welten, so entdeckt die Malerei das Leben. Nicht mehr Andacht und fromme Empfindungen will sie wecken, nein, die irdische Welt in all ihrer Schönheit will sie spiegeln.
Dazu reichten die technischen Errungenschaften des Trecento nicht aus. Auf die Erweiterung des Inhalts, die das 14. Jahrhundert gebracht hatte, mußte die Verbesserung der Darstellungsmittel folgen. Während die Malerei des Trecento vor lauter gedankenhaft-didaktischen Bestrebungen nicht zu stilistischen Fortschritten kam, ist die des Quattrocento, viel bescheidener in den Stoffen, an rein künstlerischen Eroberungen desto reicher. Nicht in ihrer Weltfreude nur sind die Maler echte Kinder ihrer Zeit. Auch als technische Pfadfinder sind sie würdige Genossen des Kolumbus und Gutenberg. Erst auf der Grundlage, die das Quattrocento schuf, konnte sich die moderne Malerei erheben.
Doch nicht jäh und plötzlich ist die Wandlung erfolgt. Viel zu mannigfache Bestrebungen kreuzten sich in diesem großen Jahrhundert, als daß es en bloc das Jahrhundert des Realismus genannt werden könnte. Die materialistische Strömung, die auf die Eroberung der irdischen Welt gerichtet war, bildete nur einen Faktor der großen Kulturbewegung, Man darf nicht glauben, daß wirklich alle Religion mit einem Schlage vergessen, alle Fragen des Gemütes verstummt wären. Nein, die Lehre vom Elend des Irdischen, von der Verächtlichkeit der Welt, von der einzigen Rettung durch den Glauben hatte auch jetzt noch ihre begeisterten Apostel. Gleich am Eingang des Jahrhunderts steht die wunderbare Gestalt der heiligen Katharina von Siena. Später kamen Fra Giovanni Dominici und der heilige Antoninus, die durch ihre Predigten und Schriften namentlich in der Frauenwelt eine neue religiöse Begeisterung wachriefen. Das 15. Jahrhundert ist eine Epoche, in der die Anschauungen zweier Weltalter, die religiösen Ideen des ausgehenden Mittelalters und die Weltfreudigkeit des modernen Geistes miteinander ringen. Die gleiche Doppelströmung geht durch die Malerei. Den Realisten, die die Wahrheit suchen mit heißem Bemühen, stehen andere gegenüber, die zwischen den Fortschritten der Neuerer und dem Geist des Mittelalters die Brücke zu schlagen suchen. Die technischen Errungenschaften ihrer Zeitgenossen verschmähen sie nicht. Aber auf die Hinterlassenschaft des Mittelalters wollen sie auch nicht verzichten. Der Körper bedeutet noch immer das Gefäß für den Geist, die irdische Hülle, die den himmlischen Schmetterling umschließt. Nicht an das Auge, wie die Realisten, an Herz und Seele wenden sie sich. Eine gewisse archaische Haltung bringt schon äußerlich ihre Bilder zu denen der anderen in Gegensatz. Denn während sonst das 15. Jahrhundert die goldenen Hintergründe zu Gunsten natürlicher Lokalitäten beseitigte, haben diese Meister, die Principien des Mittelalters verfeinernd, überhaupt erst den Stimmungszauber des Goldes erkannt. Es genügt ihnen nicht, die goldenen Hintergründe beizubehalten und goldene Ornamente überall anzubringen. Gewisse Dinge, wie die Schlüssel des heiligen Petrus und die Edelsteine in der Krone Marias führen sie in Hochrelief aus und geben dadurch ihren Bildern eine feierliche, preciös archaische Wirkung. Noch um 1430 gehen diese fortschrittlichen und konservativen Elemente gleichberechtigt nebeneinander her.
Die konservativste Stadt nicht nur Italiens, sondern Europas, war Venedig. Venedig fühlte sich als Tochterstadt von Byzanz. Im Orient ruhte seine Macht. Orientalisch waren die Sitten. Das Haremsleben der Frauen, der Sklavenhandel und die Tracht – es ist ein Stück Orient auf abendländischer Erde. Auch die Staatsverfassung, obwohl dem Namen nach Republik, war byzantinisch. Denn in Wahrheit lag die Macht in den Händen weniger alt-aristokratischer Geschlechter. Diese waren wie in ihren sonstigen Anschauungen auch in der Kunst konservativ. Die feierliche Würde und strenge Erhabenheit byzantinischen Stils, seine Gebundenheit an feste überlieferte Formen entsprach der konservativen Gesinnung weit mehr als eine Kunst, die nach Neuem suchte. Das Alte war gut. Quieta non movere.
Aber auch die Farbenpracht, der glitzernde Glanz byzantinischer Malerei kam dem Geschmack entgegen. Die zauberische Lage Venedigs zwischen See und Land, dazu die bunten, glitzernden Dinge, die aus dem Orient herüberkamen, persische Teppiche, mildleuchtende Edelsteine und funkelnde Goldgeschmeide – das alles hatte das Auge des Venetianers an stärkste Farbenwirkungen gewöhnt. Mit buntem Marmor sind die Wände des Markusdomes bekleidet, mit glanzvollen Mosaiken alle Wölbungen geziert. Dieser feierliche Goldglanz, die strenge Pracht der Mosaiken von San Marco galt noch dem 15. Jahrhundert als höchstes Ideal. Dieselbe Farbenpracht, wie sie die musivische Malerei erreichte, wurde vom Tafelbild verlangt. Man forderte große, farbige Wirkung, goldschimmernden juwelenartigen Glanz, ernste vom Rankenwerk üppiger Ornamente umgebene Gestalten, die feierlich aus geheimnisvollem Goldgrund aufleuchten. Solche Wirkungen vermochte nur die byzantinische Malerei zu erzielen. Nur sie kam in ihrem starren Ceremoniell der konservativen Gesinnung, nur sie in ihrer leuchtenden Farbenpracht dem künstlerischen Geschmack des Venetianers entgegen.
Jacopo del Fiore und Michele Giambono waren noch im 15. Jahrhundert echte Vertreter dieses Stils. Goldstarrende Heilige, hagere, schwer umrissene Gestalten stehen auf ihren Bildern inmitten einer barbarischen Architektur von greller betäubender Pracht. Archimandriten und Patriarchen mit langen, weißen Bärten, richterlich streng, heben die goldbekleideten Arme empor, um die im Staube knieende Gemeinde zu segnen. Noch um 1430 lebte in einer Stadt Italiens der kalt erhabene Geist des Byzantinismus, jene grauenhaft leere und doch so gewaltige Kunst, die in ihrer finsteren Starrheit das ganze Machtbewußtsein der alten, großen mittelalterlichen Kirche spiegelt. Noch um 1430 entstehen Bilder, die nicht ahnen lassen, daß zwei Jahrhunderte vorher schon Franziskus von Assisi gepredigt.
Aber nicht der Byzantinismus allein, auch die Mystik fand im 15. Jahrhundert noch eine duftige Nachblüte. Eine Reihe von Meistern tritt auf, die jene mystische Vision eines Himmels auf Erden, die einst Duccio, Lorenzetti und Wynrich gehabt, fast noch zarter und holdseliger malen, als jene älteren mit ihrer mangelhaften Technik es vermochten. In gewissem Sinn folgen diese Meister schon dem neuen Zeitgeist. Im Gegensatz zum Trecento, dem Jahrhundert der Bettelmönche, schwelgen sie im glitzernden Glanz dieser Welt. Was die Reichen der Erde freut, die zierlichen Erzeugnisse der Goldschmiedekunst, Perlen und Kleinodien, wird auch den Himmlischen als Schmuck verliehen. Namentlich die Anbetung der Könige wird ein beliebtes Thema, weil sie Gelegenheit giebt, zugleich Biblisches und irdischen Prunk, verehrende Demut und den Glanz höfischen Lebens zu schildern. Auch in der Landschaft gehen sie über ihre Vorgänger hinaus. Rosenhecken, blumenbesäte Wiesen und bunte Vögel, die im Rankenwerk singen, sollen die Paradiesesstimmung der Bilder steigern. Sogar mit den technischen Kunstgriffen ihrer Zeitgenossen machen sie sich schüchtern vertraut. Doch nicht der Kunstfertigkeit wegen, nur um mit Hilfe dieser verbesserten Instrumente das noch reiner auszuprägen, was der Kunst des Trecento überhaupt die Fähigkeit zu existieren gegeben, was an ihr ewig und unvergänglich war. Träumer, nicht Beobachter, mit Sensibilität, nicht mit kaltem Forschergeist begabt, bedienen sie sich der neuen Kunstgriffe nur, um den großen Fonds des Trecento von neuem zu heben, all jene Schätze von Zärtlichkeit, Innigkeit, Liebe, die der Geist des Mysticismus erschlossen.
Das heilige Köln, die Heimstätte Susos, hält noch 1450 an dem Stile fest, den einst Hermann Wynrich begründet. Denn betrachtet man die Bilder S tephan Lochners, der von 1442-1451 das Kölner Kunstleben beherrschte, besonders das berühmte Dombild, das als sein Hauptwerk gilt, so bemerkt man wohl das schüchterne Eindringen weltlicher Elemente. Das Aetherische, die irdische Auflösung im himmlischen Erlöser ist nicht mehr einziges Ziel. Die Körper haben ihre Schmächtigkeit verloren, die Köpfe sind rundlicher, Hände und Arme weniger mager als auf älteren Werken. Die Füße, die früher kaum den Boden zu berühren wagten, stehen in behaglicher Breite da. Bei den Köpfen der Frauen ist weniger das Magdhafte, Schüchterne als das schalkhaft Anmutige betont. Die Tracht, bisher ganz ideal, in schweren Massen den Körper umfließend, folgt mehr dem Kostüm des Tages. Es spricht ein Maler, der mit kindlicher Lust alles Glänzende, Funkelnde sammelt, um seine Heiligen damit zu schmücken. Ein principieller Unterschied zwischen seinen und Wynrichs Werken ist trotzdem nicht vorhanden. Die Unschuld und minnigliche Holdseligkeit, die überirdische Lieblichkeit des älteren Meisters ist auch noch diesen Gestalten eigen. Gleich Wynrich fühlt Lochner sich nur wohl, nicht wenn es um Martyrien und wilde Dramatik, sondern um Frömmigkeit und Demut, um milde Freundlichkeit und idyllischen Zauber sich handelt.
Die schöne Madonna des erzbischöflichen Museums in Köln ist offenbar noch vor dem Dombild entstanden. Die Gestalt Marias hat die gebrechliche Schlankheit der älteren Epoche. Die dünnen Arme und schmalen Hände, auch die engen Schultern, die Biegung der Gestalt und die mädchenhafte Zartheit des Kindes, das in seinem Hemdchen halb als Baby, halb als Heiland sich fühlt, entsprechen der Art Hermann Wynrichs. Nur der Kopf der Madonna mit dem sorgfältig gescheitelten, von einer Perlenschnur umwundenen Haar und die große Agraffe, die ihren Mantel ziert, weisen auf den Zeitunterschied zwischen Wynrich und Lochner hin. Ebenso behandelt die Madonna im Rosenhag noch das alte, seit Wynrich beliebte Thema. Zwei Engel schlagen einen Vorhang zurück, und der Himmel in strahlendem Glanz thut sich auf. Wie ein König thront der kleine Jesus im Schoße Marias, die, fürstlich mit der Krone geschmückt, am Wiesenrain sitzt. Musizierende Engelchen verehren sie, reichen dem Christkind Früchte, brechen ihm Blumen von der Rosenhecke, in deren Geäst die Vöglein singen. Mag kecke Weltfreude mit der entsagenden Weltflucht sich einen, die träumerische Sehnsucht, der himmlische Friede des Trecento liegt wie ein zarter Hauch, wie ein Klang aus dem Jenseits noch über Lochners Werken.