Geschichte in der Dämmerung - Zweig Stefan - E-Book + Hörbuch

Geschichte in der Dämmerung E-Book und Hörbuch

Zweig Stefan

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Beschreibung

"Geschichte in der Dämmerung" ist eine Erzählung von Stefan Zweig aus dem Jahr 1911. Der 15-jährige Bob verbringt die Sommerferien auf einem schottischen Schloss bei Verwandten. Eines nachts wird er im Garten von einer jungen Frau überrascht und verführt. Am nächsten Abend wiederholt sich das Ereignis, ohne dass Bob die Identität der jungen Dame kennt. Nur ein Medaillon bekommt er zu fassen...

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Seitenzahl: 51

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Zeit:1 Std. 11 min

Sprecher:Gabriel Schett
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Geschichte in der Dämmerung

Titel SeiteImpressum

Stefan Zweig

Geschichte in der Dämmerung

Hat der Wind wieder Regen über die Stadt geweht, daß es plötzlich so dunkelt in unserem Zimmer? Nein. Die Luft ist silbern klar und still, wie selten in diesen Sommertagen, aber es ist spät geworden, und wir haben es nicht bemerkt. Nur die Dachfenster gegenüber lächeln noch in leisem Glanz, und der Himmel über dem First ist schon mit goldenem Rauch umflort. In einer Stunde wird es Nacht sein. In einer wundervollen Stunde, denn nichts ist schöner zu sehen als diese Farbe, die allmählich welk wird und sich verschattet, und dann im Zimmer das Dunkel, das vom Boden aufquillt, bis schließlich die schwarzen Fluten lautlos über den Wänden zusammenschlagen und uns mittragen in ihre Finsternis. Wenn man da einander gegenübersitzt und sich ansteht ohne Wort, will es einem scheinen in dieser Stunde, als würde das vertraute Gesicht in den Schatten älter und fremder und ferner, als hätte man sich nie so gekannt und sähe sich an über einen weiten Raum und viele Jahre. Aber du willst jetzt das Schweigen nicht, sagst du, weil man sonst zu beklommen hört, wie die Uhr die Zeit in hundert kleine Splitter zerschlägt und das Atmen in der Stille laut wird, wie das eines Kranken. Ich soll dir jetzt etwas erzählen. Gerne. Freilich nicht von mir, denn unser Leben in diesen endlosen Städten ist ja arm an Erlebnis, oder es scheint uns so, weil wir noch nicht wissen, was uns wirklich zu eigen gehört. Aber ich will dir eine Geschichte erzählen für diese Stunde, die eigentlich nur das Schweigen liebt, und ich wollte, sie hätte etwas von diesem warmen, weichen, flutenden Licht der Dämmerung, das schleiernd vor unsern Fenstern schwebt.

Ich weiß nicht, wie diese Geschichte zu mir kam. Ich bin nur, dessen entsinne ich mich, am frühen Nachmittage hier lang gesessen, habe in einem Buche gelesen und es dann sinken lassen, hindämmernd in Träumerei, vielleicht auch in leisen Schlaf. Und plötzlich sah ich Gestalten hier, und sie glitten die Wand entlang, und ich konnte ihre Worte hören und in ihr Leben sehen. Doch als ich den Entschwindenden nachblicken wollte, war ich schon wieder wach und allein. Zu meinen Füßen gesunken, lag das Buch. Nun ich es aufhob und nach den Gestalten frug, fand ich darin die Geschichte nicht mehr; es war, als sei sie aus den Blättern in meine Hände gefallen, oder sie war nie darin gewesen. Vielleicht hatte ich sie geträumt – oder in einer jener bunten Wolken gelesen, die heute von fernen Ländern in unsre Stadt kamen und den Regen forttrugen, der uns so lange bedrückte. Oder hatte ich sie aus jenem einfältigen alten Lied gehört, das eine Drehorgel melancholisch unter meinem Fenster knarrte, oder hatte sie jemand mir vor Jahren erzählt? Ich weiß es nicht. Solche Geschichten kommen oft zu mir heran, und ich lasse ihre Geschehnisse spielend durch meine Finger rinnen, ohne sie festzuhalten, so wie man Ähren und hochstengeligen Blumen im Vorübergehen schmeichelt, ohne sie zu pflücken. Ich träume sie nur von einem jähen farbigen Bild zu einem sanfteren Ende, aber ich fasse sie nicht. Doch du willst heute von mir eine Geschichte, und so erzähle ich sie dir jetzt in dieser Stunde, da die Dämmerung uns sehnsüchtig macht, Buntes und Bewegtes vor unsern Augen leuchten zu sehn, die im Grau verarmen.

Wie soll ich beginnen? Ich fühle, ich muß einen Augenblick aus dem Dunkel herausheben, ein Bild und eine Gestalt, denn so beginnen auch in mir diese seltsamen Träume. Nun entsinne ich mich schon. Ich sehe einen schlanken Knaben, der die breitstufige Treppe eines Schlosses niedersteigt. Es ist Nacht und eine Nacht mit nur mattem Mondlicht, aber ich umfasse wie mit einem erhellten Spiegel jede Kontur seines geschmeidigen Körpers, sehe genau in seine Züge. Er ist außerordentlich schön. Kindhaft gekämmt fallen die schwarzen Haare glatt über die fast überhohe Stirne, und die Hände, die er im Dunkel vorbreitet, um die Wärme der durchsonnten Luft tastend zu fühlen, sind sehr zart und edel. Sein Schritt zögert. Verträumt steigt er nieder zu dem großen, mit vielen runden Bäumen rauschenden Garten, durch den wie ein weißer Steg eine einzige breite Chaussee strahlt.

Ich weiß nicht, wann dies alles geschieht, ob gestern oder vor fünfzig Jahren, und ich weiß nicht wo, aber ich glaube in England muß es sein oder in Schottland, denn nur dort kenne ich so hohe breitgequaderte Schlösser, die von der Ferne wie Kastelle trotzig drohen und sich erst vertrautem Blick willig zu den hellen blumigen Gärten niederneigen. Ja, nun weiß ich es ganz bestimmt, es ist oben in Schottland, denn nur dort sind die Sommernächte so licht, daß der Himmel milchig glänzt wie ein Opal und die Felder nie dunkel werden, daß alles wie von innen leise leuchtend scheint und nur die Schatten, schwarzen Riesenvögeln gleich, in die hellen Flächen niederfallen. In Schottland ist es, oh, nun weiß ich es ganz, ganz bestimmt, und wenn ich mich mühte, fände ich diesem gräflichen Schlosse den Namen und dem Knaben auch, denn nun schält sich rasch die dunkle Rinde los von dem Traume, und alles fühle ich so deutlich, als sei es nicht Entsinnung, sondern Erlebnis. Der Knabe ist während des Sommers bei seiner verheirateten Schwester zu Gast und nach der freundschaftlichen Art der vornehmen englischen Familien nicht allein; abends versammelt die Runde eine ganze Reihe Jagdfreunde und ihre Frauen, dazu ein paar Mädchen, hohe schöne Menschen, deren Heiterkeit und Jugend lachend und doch nicht lärmend mit dem Echo der alten Mauern spielt. Tagsüber sprengen Pferde hin und her, Hunde werden in Koppeln gebracht, drüben auf dem Fluß glitzern zwei, drei Boote: eine Regsamkeit ohne Geschäftigkeit gibt dem Tag einen angenehm schnellen Rhythmus.