Gespenster.
Erster Aufzug.
Zweiter Aufzug.
Dritter Aufzug.
Erster Aufzug.
Ein geräumiges Gartenzimmermit
einer Thür auf der linken Seitenwand und zwei Thüren auf der
rechten Wand. In der Mitte des Zimmers ein runder Tisch, um diesen
Stühle; auf dem Tische liegen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen.
Im Vordergrunde links ein Fenster, an diesem ein kleines Sopha, vor
dem ein Nähtisch steht. Den Hintergrund bildet ein offenes,
schmäleres Blumenzimmer, das nach außen durch Glaswände mit großen
Scheiben abgeschlossen wird. Auf der rechten Seitenwand des
Blumenzimmers befindet sich eine Thür, die zum Garten hinunter
führt. Durch die Glaswände unterscheidet man eine düstere
Fjordlandschaft, welche durch einen gleichmäßigen Regen
verschleiert wird.
Tischler Engstrand steht oben an der
Gartenthür. Sein linkes Bein ist etwas krumm; unter der Stiefelsohle
hat er einen Holzklotz. Regine mit einer leeren Blumenspritze in der
Hand hindert ihn am Näherkommen.
Regine (mit gedämpfter Stimme). Was
willst du? Rühr' dich nicht von der Stelle. Du triefst ja von Regen.
Engstrand. Das ist ja der Regen
unseres Herrgotts, mein Kind.
Regine. Des Teufels Regen ist es.
Engstrand. Wie du doch sprichst,
Regine. (Hinkt ein paar Schritte weiter ins Zimmer hinein.) Ja, das
war es, was ich sagen wollte — —
Regine. Stoß nicht so mit dem Fuße
auf, Mensch! Der junge Herr liegt oben und schläft.
Engstrand. Jetzt liegt er und
schläft? Am helllichten Tage?
Regine. Das kümmert dich nicht.
Engstrand. Ich war gestern Abend auf
einem Gelage —
Regine. Das glaube ich gern.
Engstrand. Ja, denn wir Menschen
sind schwach, mein Kind —
Regine. Ja, das sind wir wirklich.
Engstrand. — — und der
Versuchungen sind gar viele auf dieser Welt, siehst du —; und doch
stand ich — Gott weiß es — heute Morgen schon um halb sechs Uhr
bei meiner Arbeit.
Regine. Schon gut, schon gut, mach'
jetzt nur, daß du fort kommst. Ich mag hier nicht stehen und
Rendezvous mit dir haben.
Engstrand. Was magst du nicht haben?
Regine. Ich mag nicht, daß irgend
jemand dich hier trifft. Also, geh' deiner Wege.
Engstrand (kommt ein paar Schritte
näher). Bei Gott, ich gehe nicht, bevor ich nicht mit dir gesprochen
habe. — Heute Nachmittag werde ich mit meiner Arbeit da unten im
Schulhause fertig, und dann fahre ich noch diese Nacht mit dem
Dampfschiff in die Stadt und nach Hause.
Regine (murmelt). Glückliche Reise!
Engstrand. Dank dir, mein Kind. —
Morgen soll ja das Asyl eingeweiht werden, und da wird es
wahrscheinlich berauschende Getränke in Hülle und Fülle geben,
siehst du. Und niemand soll Jacob Engstrand nachsagen, daß er nicht
widerstehen kann, wenn die Versuchung kommt.
Regine. O ho!
Engstrand. Ja, denn morgen kommen
hier eine Menge feiner Leute zusammen. Pastor Manders wird ja auch
aus der Stadt erwartet.
Regine. Er kommt schon heute.
Engstrand. Da siehst du's also. Und
nun wirst du auch wohl begreifen, daß ich ihm keine Ursache geben
will, mir etwas nachzureden.
Regine. So liegen die Dinge also!
Engstrand. Was liegt?
Regine (sieht ihn fest an). Wozu
willst du Pastor Manders jetzt schon wieder verleiten?
Engstrand. Stille! Stille! Bist du
verrückt? Wozu ich Pastor Manders verleiten will? O nein, dazu ist
Pastor Manders viel zu gütig gegen mich gewesen. — Aber siehst du,
ich wollte mit dir darüber sprechen, daß ich nun diese Nacht wieder
nach Hause reise.
Regine. Meinetwegen. Je früher, je
besser.
Engstrand. Ja, aber ich will dich
mit haben, Regine.
Regine (mit offenem Munde). Mich mit
haben — —? Was sagst du?
Engstrand. Ich sage, daß ich dich
mit nach Hause haben will.
Regine (höhnisch). Nie und nimmer
bekommst du mich nach Hause!
Engstrand. O, das werden wir doch
sehen!
Regine. Ja; du kannst sicher sein,
daß wir das sehen werden. Ich, die ich bei der Kammerherrin Alving
aufgewachsen bin? — Ich, die ich hier beinahe wie das Kind vom
Hause gehalten worden bin? Ich sollte mit dir nach Hause gehen? In
ein solches Heim? Pfui!
Engstrand. Was zum Teufel ist das?
Widersetzest du dich deinem Vater, Mädchen?
Regine (murmelt, ohne ihn
anzublicken). Du hast oft genug gesagt, daß ich dich nichts angehe.
Engstrand. Bah; was kümmert dich
das?
Regine. Hast du mich nicht gar
manches liebe Mal beschimpft und gesagt, ich sei ein —? Pfui!
Engstrand. Nein, nein, solch
häßliches Wort habe ich niemals gebraucht.
Regine. O, ich weiß noch, welches
Wort du gebraucht hast.
Engstrand. Ja, hm! Das war aber nur,
wenn ich berauscht war. Und es giebt so viele Versuchungen auf dieser
Welt, Regine.
Regine. Mir graut.
Engstrand. Und dann geschah es auch
immer nur, wenn deine Mutter mürrisch war. Irgend etwas mußte ich
doch auch haben, um sie zu ärgern, mein Kind. Sie wollte immer so
fein thun. (Nachahmend.) »Laß mich, Engstrand! Laß mich in
Frieden! Ich habe drei Jahre bei Kammerherr Alvings auf Rosenvold
gedient, ich!« (Lacht.) Gott bewahre! Sie konnte niemals vergessen,
daß der Hauptmann Kammerherr wurde während sie hier diente.
Regine. Arme Mutter! — Sie hast du
früh genug zu Tode gepeinigt.
Engstrand (sich aufrichtend). Ja,
das versteht sich! Ich bin ja immer an allem Schuld.
Regine (wendet sich ab, halblaut).
Ah! — Und dann das Bein!
Engstrand. Was sagst du, mein Kind?
Regine. Pied de mouton.
Engstrand. Ist das englisch?
Regine. Ja.
Engstrand. Ja, ja; Unterricht hast
du hier draußen genossen, und das kann uns jetzt gut zu Statten
kommen, Regine.
Regine (nach kurzem Schweigen). Und
was hast du denn für Absichten mit mir in der Stadt?
Engstrand. Kannst du noch fragen,
was ein Vater mit seinem einzigen Kinde will? Bin ich nicht ein
einsamer und verlassener Witwer?
Regine. O, mir komm' nur nicht mit
solchem Gewäsch. Weshalb willst du mich durchaus hinein haben?
Engstrand. Ja; du mußt nämlich
wissen, daß ich es mit etwas Neuem versuchen will.
Regine. Das hast du schon oft genug
versucht; aber es ging immer schief.
Engstrand. Nun ja; aber dies Mal
sollst du staunen, Regine! — Der Teufel soll mich holen — —
Regine (stampft mit dem Fuße). Laß
das Fluchen!
Engstrand. Still, still! Darin hast
du Recht, mein Kind! — Ich wollte dir also erzählen, daß ich bei
der Arbeit an diesem neuen Asyl etwas Geld auf die Seite gelegt habe.
Regine. Wirklich? Nun, das ist ja
ein Glück für dich.
Engstrand. Wofür kann man denn auch
hier auf dem Lande sein Geld ausgeben?
Regine. Nun, und weiter?
Engstrand. Ja, siehst du, da habe
ich mir nun so gedacht, das Geld in etwas Lohnendem anzulegen. So
eine Art Wirthshaus für Seeleute — —
Regine. Ach, pfui!
Engstrand. Ein feines Wirthshaus,
verstehst du; nicht solch eine Spelunke für Matrosen. Nein, Tod und
Teufel, — das soll für Schiffskapitäne und Steuermänner und —
— und andere feine Leute sein; begreifst du?
Regine. Und was sollte ich dabei —
— — —?
Engstrand. Du solltest dabei helfen,
ja. Nur so zum Schein, wie du wohl denken kannst. Du solltest es beim
Teufel nicht schwer haben, mein Kind. Du solltest nur thun, was dir
gefällt.
Regine. Ja wohl, ja!
Engstrand. Aber Frauenzimmer müssen
wir im Hause haben, das ist doch klar wie der Tag. Denn des Abends
soll es lustig hergehen mit Gesang und Tanz und dergleichen. Du mußt
verstehen, es sind ja reisende Seeleute auf dem Weltenmeer. (Tritt
näher.) Sei nun nicht dumm, Regine, und steh' deinem Glück nicht
selbst im Wege. Was kann denn hier draußen aus dir werden? Kann es
dir irgend etwas nützen, daß Frau Alving dich so viel hat lernen
lassen? Ich höre, daß du auf die Kinder im neuen Asyl passen
sollst. Ist das vielleicht etwas für dich? Hast du denn so große
Lust, dich um der schmutzigen Rangen willen müde und krank zu
arbeiten?
Regine. Nein; wenn es ginge, wie ich
möchte, so — — —. Nun, das kann noch kommen! Das kann noch
kommen!
Engstrand. Was kann kommen?
Regine. Das kümmert dich nicht. —
Hast du dir hier draußen viel Geld erspart?
Engstrand. Alles in allem können es
so gegen 7 bis 800 Kronen sein.
Regine. Das ist nicht übel.
Engstrand. Es ist genug, um etwas
damit anzufangen, mein Kind.
Regine. Und denkst du gar nicht
daran, mir etwas von dem Gelde zu geben?
Engstrand. Nein, Gott weiß, daß
ich nicht daran denke, nein.
Regine. Nicht einmal so viel wie ein
armseliges Kleid wirst du mir schicken?
Engstrand. Komm nur mit mir in die
Stadt, und du kannst so viele Kleider haben wie du willst.
Regine. Bah! Wenn ich dazu Lust
hätte, so könnte ich es auch auf eigene Hand thun.
Engstrand. Nein, an der führenden
Hand eines Vaters geht das besser, Regine. Ich kann jetzt in der
Kleinen Hafengasse ein hübsches Haus bekommen. Dazu gehört nicht
viel baares Geld; und das könnte so eine Art von Seemannsheim
werden; siehst du?
Regine. Aber ich will nicht zu dir
gehen! Ich habe nichts mit dir zu schaffen. Geh' doch!
Engstrand. Zum Teufel! Du würdest
auch nicht lange bei mir bleiben, mein Kind. So gut würde es nicht
kommen! Wenn du nur verständest dich zu benehmen. So hübsch wie du
in dem letzten Jahr geworden bist — —
Regine. Nun? — — —
Engstrand. Da käme dann bald ein
Steuermann — — ja, vielleicht gar ein Kapitän — —
Regine. So einen heirathe ich nicht.
Die Seeleute haben kein Savoir vivre.
Engstrand. Was haben sie nicht?
Regine. Ich sage, daß ich die
Seeleute kenne. Das sind keine Menschen zum heirathen.
Engstrand. So laß das Heirathen. Es
kann sich auch anderweitig lohnen. (Vertraulicher.) Er — — der
Engländer — mit der Vergnügungsyacht — er gab
300 Speziesthaler; und sie war nicht hübscher als du.
Regine (ihm entgegen). Hinaus mit
dir!
Engstrand (weicht zurück). Nun,
nun; du willst doch nicht schlagen?
Regine. Ja! Wenn du über die Mutter
sprichst, so schlage ich zu! Hinaus mit dir, sage ich! (Treibt ihn
hinauf zur Gartenthür.) Und wirf die Thür nicht ins Schloß; der
junge Herr Alving — — —
Engstrand. Schläft, ja, das weiß
ich. Es ist doch sonderbar, wie du dich um den jungen Herrn Alving
kümmerst! — — (Leise.) Hoho; es ist doch am Ende nicht gar er,
der — — — —?
Regine. Hinaus! und das schnell! Du
mußt verrückt sein, Mensch! Nein, nicht den Weg. Da kommt Pastor
Manders. Ueber die Küchentreppe mit dir.
Engstrand (nach rechts). Ja, ja, ich
gehe schon. Aber sprich du mit dem, der da kommt. Er ist der Mann um
dir zu sagen, was ein Kind seinem Vater schuldig ist. Denn ich bin
nun doch einmal dein Vater, siehst du. Das kann ich aus dem
Kirchenbuch beweisen. (Er geht durch die zweite Thür ab, die Regine
geöffnet hat und wieder hinter ihm schließt.)
Regine (sieht hastig in den Spiegel,
fächelt sich mit dem Taschentuch und zupft an der Cravatte, dann
beschäftigt sie sich wieder mit den Blumen).
Pastor Manders (im Ueberrock mit
Regenschirm, eine kleine Reisetasche an einem Riemen über die
Schulter gehängt, tritt durch die Gartenthür ins Blumenzimmer).
Guten Tag, Jungfer Engstrand.
Regine (wendet sich freudig
überrascht um). Nein, seht doch! Guten Tag, Herr Pastor! Ist das
Dampfschiff denn schon angekommen?
Pastor Manders. Es ist gerade
angekommen. (Geht ins Gartenzimmer.) Dies unaufhörliche Regenwetter
ist doch recht ärgerlich.
Regine (geht ihm nach). Es ist aber
ein gesegnetes Wetter für den Landmann, Herr Pastor.
Pastor Manders. Ja, darin haben Sie
gewiß Recht. Wir Leute aus der Stadt denken so wenig daran. (Fängt
an den Ueberrock abzulegen.)
Regine. Kann ich nicht helfen? — —
So! — Nein, wie naß er ist! Ich will ihn nur im Vorzimmer
aufhängen. Und dann der Regenschirm —; den werde ich zum trocknen
aufspannen. (Geht mit den Sachen durch die zweite Thür rechts ab.
Pastor Manders nimmt die Reisetasche ab und legt diese sammt seinem
Hute auf einen Stuhl. Inzwischen kommt Regine wieder herein.)
Pastor Manders. Ah, es thut wohl,
unter Dach und Fach zu kommen. Nun? Hier auf dem Hofe steht doch
alles gut?
Regine. Ja, ich danke.
Pastor Manders. Aber viel zu thun
für den morgenden Tag; wie?
Regine. O ja, wir haben viel Arbeit.
Pastor Manders. Und Frau Alving ist
hoffentlich zu Hause?
Regine. Gewiß, gewiß; sie ist
augenblicklich oben und bringt dem jungen Herrn die Chocolade.
Pastor Manders. Ja, sagen Sie mir —
ich hörte unten an der Landungsbrücke, daß Oswald nach Hause
gekommen sei.
Regine. Ja, er kam schon vorgestern.
Wir erwarteten ihn erst heute.
Pastor Manders. Und hoffentlich
frisch und gesund?
Regine. Gewiß; ich danke für die
Nachfrage. Er ist nur sehr ermüdet von der Reise, denn er ist ohne
Aufenthalt von Paris hierher gefahren —; ich glaube beinahe, er hat
den Zug auf der ganzen Fahrt nicht einmal gewechselt. Jetzt schläft
er wohl ein wenig, deshalb müssen wir leise sprechen.
Pastor Manders. Also leise, leise.
Regine (indem sie einen Lehnstuhl an
den Tisch schiebt). Herr Pastor, wollen Sie sich nicht setzen und
sich's bequem machen? (Er setzt sich, sie schiebt einen Schemel unter
seine Füße.) So! Ist es so recht, Herr Pastor?
Pastor Manders. Danke! Danke; ich
sitze hier vortrefflich. (Betrachtet sie.) Wissen Sie, Jungfer
Engstrand, ich glaube fast, Sie sind gewachsen, seitdem ich Sie
zuletzt gesehen habe.
Regine. Glauben Sie, Herr Pastor?
Die gnädige Frau sagt, daß ich auch stärker geworden bin.
Pastor Manders. Stärker geworden?
Nun ja, vielleicht ein wenig; — grade hinlänglich. (Kurze Pause.)
Regine. Soll ich Frau Alving
vielleicht rufen?
Pastor Manders. Danke, danke, es
eilt nicht, mein liebes Kind. — Nun, und sagen Sie mir jetzt, meine
gute Regine, wie es Ihrem Vater hier draußen geht.
Regine. Besten Dank, Herr Pastor, es
geht ihm ziemlich gut.
Pastor Manders. Als er das letzte
Mal in der Stadt war, hat er mich besucht.
Regine. Wirklich? Er ist immer so
froh, wenn er mit dem Herrn Pastor reden darf.
Pastor Manders. Und Sie gehen jetzt
wohl fleißig zu ihm hinüber?
Regine. Ich? — Ja, gewiß, wenn
ich Zeit dazu habe —
Pastor Manders. Ihr Vater ist kein
starker Mensch, Jungfer Engstrand. Er braucht eine leitende Hand so
nothwendig.
Regine. O ja, das muß ich zugeben!
Pastor Manders. Er braucht jemanden
um sich, den er lieb hat, auf dessen Urtheil er Gewicht legen kann.
Er selbst gestand das so treuherzig zu, als er das letzte Mal bei mir
war.
Regine. Ja, mir hat er dergleichen
auch vorgeredet. Aber ich weiß nicht, ob Frau Alving mich entbehren
kann, besonders jetzt, wo wir all die Arbeit mit dem neuen Asyl haben
werden. Und dann wird es mir auch so schwer, Frau Alving zu
verlassen, denn sie war immer so gütig gegen mich.
Pastor Manders. Aber die
Kindespflicht, mein gutes Mädchen —. Natürlich müßten wir
zuerst die Einwilligung Ihrer Gebieterin haben.
Regine. Ich weiß nicht, ob es sich
für mich paßt, — in meinem Alter — den Haushalt eines einzelnen
Mannes zu führen.
Pastor Manders. Aber liebe Jungfer
Engstrand, es ist ja Ihr eigener Vater, von dem hier die Rede ist!
Regine. Ja, das mag sein, — aber
trotzdem! — Ja, wenn ich in ein gutes Haus und zu einem wirklich
anständigen Herrn kommen könnte — — —
Pastor Manders. Aber, meine liebe
Regine — —
Regine. — — zu einem, für den
ich Hingebung hegen und wie zu einem Vater aufblicken könnte — —
Pastor Manders. Ja — aber mein
liebes, gutes Kind — —
Regine. Denn ich möchte wohl gern
hinein in die Stadt. Hier draußen ist es ja so schrecklich einsam, —
und Herr Pastor, Sie wissen doch selbst, was es heißt, einsam in der
Welt dazustehen. Ich darf wohl sagen, daß ich flink und fleißig bin
und den besten Willen habe. Wissen Sie nicht eine solche Stelle für
mich, Herr Pastor?
Pastor Manders. Ich?? Nein
wahrhaftig nicht.
Regine. Aber lieber, lieber Herr
Pastor, — denken Sie auf alle Fälle an mich, wenn, wenn — — —
Pastor Manders (erhebt sich). Gewiß,
das werde ich thun, Jungfer Engstrand.
Regine. Ja, denn wenn ich — — —
Pastor Manders. Wollen Sie jetzt
nicht Frau Alving holen?
Regine. Sie wird gleich kommen, Herr
Pastor. (Nach links ab.)
Pastor Manders (geht ein paar Mal im
Zimmer auf und ab; steht dann einige Augenblicke mit den Händen auf
dem Rücken im Hintergrunde und sieht in den Garten hinaus. Darauf
kommt er wieder an den Tisch, nimmt ein Buch und sieht das Titelblatt
an, stutzt, sieht dann noch mehre an). Hm, — ja, ja!
(Frau Alving tritt durch die Thür
links ein. Ihr folgt Regine, welche sofort wieder durch die vordere
Thür rechts abgeht.)
Frau Alving (streckt ihm die Hand
entgegen). Willkommen, Herr Pastor.
Pastor Manders. Guten Tag, Frau
Alving. Hier bin ich, wie ich es versprochen habe.
Frau Alving. Stets mit dem
Glockenschlag!
Pastor Manders. Aber Sie können mir
glauben, daß es mir schwer geworden ist, fort zu kommen. All diese
gesegneten Commissionen und Aemter, in denen ich sitze — —
Frau Alving. Desto liebenswürdiger
ist es von Ihnen, daß Sie so früh gekommen sind. Jetzt können wir
unsere Geschäfte noch vor dem Mittagessen erledigen. Aber wo ist Ihr
Koffer?
Pastor Manders (schnell). Mein
Gepäck ist unten beim Landkrämer. Ich werde bei ihm übernachten.
Frau Alving (unterdrückt ein
Lächeln). Sind Sie wirklich auch dieses Mal nicht zu bewegen, in
meinem Hause zu übernachten?
Pastor Manders. Nein, nein, Frau
Alving; ich danke Ihnen bestens; ich bleibe wie gewöhnlich da unten.
Es ist so bequem für mich, wenn ich wieder an Bord gehe.
Frau Alving. Nun, Sie sollen Ihren
Willen haben. Aber mich sollte doch dünken, daß wir beiden alten
Leute — —
Pastor Manders. Gott bewahre mich,
wie Sie nur scherzen! Ja, Sie sind heute natürlich so unendlich
froh. Einerseits der morgende Festtag — und dann ist ja auch Oswald
heimgekehrt.
Frau Alving. Ja, denken Sie nur, wie
glücklich ich bin! Vor zwei Jahren war er zum letzten Mal zu Hause.
Und jetzt hat er versprochen, den ganzen Winter bei mir zu bleiben.
Pastor Manders. In der That? Das ist
schön und kindlich von ihm. Denn das Leben in Rom und Paris muß
doch eigentlich mehr Anziehungskraft für ihn haben, als dies ruhige
Dasein hier zu Hause.
Frau Alving. Ja, aber sehen Sie,
hier zu Hause hat er seine Mutter! O mein lieber, gesegneter Junge, —
er hat noch ein Herz für seine Mutter!
Pastor Manders. Nun, es wäre aber
auch zu traurig, wenn die Trennung und die Beschäftigung mit der
Kunst im Stande wären, die natürlichsten Gefühle zu ertödten.
Frau Alving. Ja, da haben Sie Recht.
Aber Gott sei Dank, mit ihm hat es keine Noth. Jetzt bin ich aber
begierig, ob Sie ihn wieder erkennen werden. Er muß gleich kommen;
er liegt nur noch ein wenig auf dem Sopha, um auszuruhen. — Aber
setzen Sie sich, mein lieber Herr Pastor.
Pastor Manders. Danke. Es kommt
Ihnen also gelegen — —?
Frau Alving. Ja, gewiß! (Setzt sich
an den Tisch.)
Pastor Manders. Gut; jetzt sollen
Sie also sehen — (Geht an den Stuhl, auf welchem die Reisetasche
liegt, nimmt ein Paquet Papiere aus derselben, setzt sich an das
entgegengesetzte Ende des Tisches und sucht einen leeren Platz für
seine Papiere.) Hier haben wir also erstens — — (Unterbricht
sich.) Sagen Sie mir, Frau Alving, wie kommen diese Bücher hier her?
Frau Alving. Diese Bücher? Das sind
Bücher, welche ich lese.
Pastor Manders. Lesen Sie solche
Schriften?
Frau Alving. Ja, gewiß thue ich
das.
Pastor Manders. Und fühlen Sie, daß
Sie durch diese Lectüre besser oder glücklicher werden?
Frau Alving. Mir ist, als würde ich
ruhiger.
Pastor Manders. Das ist merkwürdig.
Wie das?
Frau Alving. Ja, denn ich erhalte
dort gleichsam Erklärung und Bekräftigung dessen, was ich oft
selbst gedacht habe. Denn das ist das seltsame, Pastor Manders, —
es steht eigentlich durchaus nichts neues in diesen Büchern; es
steht nichts anderes darin als das, was die meisten Menschen selbst
gedacht und geglaubt haben. Es ist nur, daß die meisten Menschen
sich nicht klar darüber werden oder nichts davon wissen wollen.
Pastor Manders. O du mein Gott!
Glauben Sie in allem Ernst, daß die meisten Menschen — —?
Frau Alving. Ja, gewiß glaube ich
das.
Pastor Manders. Aber doch nicht hier
bei uns zu Lande? Nicht hier bei uns?
Frau Alving. O gewiß, auch hier bei
uns!
Pastor Manders. Nun, da muß ich
aber sagen —!
Frau Alving. Aber was haben Sie denn
eigentlich gegen diese Bücher einzuwenden?
Pastor Manders. Einzuwenden? Sie
glauben doch wohl nicht, daß ich mich damit beschäftige, solche
Erzeugnisse durch zu studiren.
Frau Alving. Das heißt also, Sie
kennen nicht einmal, was Sie verdammen?
Pastor Manders. Ich habe hinlänglich
über diese Schriften gelesen, um sie zu mißbilligen.
Frau Alving. Ja, aber Ihre eigene
Meinung — —
Pastor Manders. Beste Frau, es giebt
gar manche Fälle im Leben, wo man sich auf Andere verlassen muß. Es
ist nun einmal so auf dieser Welt; und es ist gut, daß es so ist.
Wie sollte es sonst mit der menschlichen Gesellschaft werden?
Frau Alving. Ja, ja, darin mögen
Sie Recht haben.
Pastor Manders. Uebrigens läugne
ich gar nicht, daß dergleichen Schriften manches Anziehende
enthalten können. Und ich verdenke es Ihnen auch gar nicht, wenn Sie
sich mit den geistigen Strömungen bekannt zu machen wünschen,
welche draußen in der großen Welt vor sich gehen, wie ich höre, —
und wo Sie Ihren Sohn so lange umher ziehen ließen. Aber — —
Frau Alving. Aber —?
Pastor Manders (spricht leiser).
Aber man spricht nicht darüber, Frau Alving. Man braucht doch
wahrhaftig nicht Allen und Jedem Rechenschaft über das abzulegen,
was man innerhalb seiner vier Wände liest oder denkt.
Frau Alving. Nein, gewiß nicht;
dieser Ansicht bin ich auch.
Pastor Manders. Bedenken Sie doch
nur, welche Rücksichten Sie diesem Asyl schulden, das Sie zu
errichten beschlossen zu einer Zeit, als Ihre Ansichten über
geistige Dinge so grundverschieden waren von Ihren jetzigen; — so
weit ich es zu beurtheilen vermag.
Frau Alving. Ja, ja, das räume ich
vollkommen ein. Aber wir wollten ja vom Asyl — — —
Pastor Manders. Wir wollten vom Asyl
reden, ja. Also — Vorsicht, beste Frau! Und nun gehen wir zu den
Geschäften über. (Oeffnet den Umschlag und nimmt eine Anzahl
Papiere heraus.) Sehen Sie diese hier?
Frau Alving. Sind das die Documente?
Pastor Manders. Ja, und in
vollkommenster Ordnung. Sie können glauben, es hat schwer gehalten,
sie zu rechter Zeit zu bekommen. Ich habe förmlich eine Pression
üben müssen. Die Behörden sind beinahe peinlich gewissenhaft, wo
es sich um Entscheidungen handelt. (Sucht in dem Papierbündel.)
Sehen Sie, hier ist die gerichtlich bestätigte Uebergabsurkunde des
Gehöftes Solvik, Vorwerk des Ritterguts Rosenvold, mit den darauf
befindlichen Neubauten an Häusern, Schullokalen, Lehrerwohnung und
Kapelle. Und hier ist die Anerkennung der Legate und
Stiftungsurkunde. Wollen Sie gefälligst sehen — (Liest.) Die
Statuten des Kinderasyls »Zu Hauptmann Alvings ewigem Gedächtnis«
—
Frau Alving (blickt lange auf das
Papier). — Also das ist es.
Pastor Manders. Ich habe die
Bezeichnung Hauptmann und nicht Kammerherr gewählt. Hauptmann klingt
prunkloser.
Frau Alving. Ja, ja; ganz wie Sie
meinen.
Pastor Manders. Und hier ist das
Sparkassebuch über das rententragende Kapital, welches ausgesetzt
ist, um die Betriebskosten des Asyls zu decken.
Frau Alving. Besten Dank; aber haben
Sie die Güte, es der Bequemlichkeit wegen zu behalten.
Pastor Manders. Sehr gern. Ich halte
es für das Beste, wenn wir das Geld vorläufig in der Sparkasse
liegen lassen. Der Zinsfuß ist zwar nicht sehr verlockend, vier
Procent bei sechsmonatlicher Kündigung. Wenn man dann später zu
einer guten Pfandobligation kommen könnte, — es müßte natürlich
erste Priorität und ein Papier von unzweifelhafter Sicherheit sein,
— so könnten wir weiter darüber reden.
Frau Alving. Ja, ja, lieber Pastor
Manders, alles das verstehn Sie am besten.
Pastor Manders. Auf alle Fälle
werde ich die Augen offen halten. — Und nun noch etwas, über das
ich schon mehre Mal mit Ihnen sprechen wollte.
Frau Alving. Und das wäre?
Pastor Manders. Soll das Asylgebäude
versichert werden oder nicht?
Frau Alving. Gewiß muß es
versichert werden.
Pastor Manders. Sachte, sachte,
beste Frau. Betrachten wir die Sache ein wenig näher.
Frau Alving. Ich habe stets alles
versichert, sowohl die Gebäude und den Hausrath wie auch die
Scheunenvorräthe und die Ackergeräthschaften.
Pastor Manders. Selbstverständlich.
Auf Ihrer eigenen Besitzung. Das thue auch ich natürlicherweise.
Aber sehen Sie, hier ist es eine ganz andere Sache. Das Asyl soll
doch gleichsam einer höheren Lebensaufgabe geweiht sein.
Frau Alving. Ja, aber deshalb — —
Pastor Manders. Für meine eigene
Person würde ich natürlich nicht das Geringste darin finden, wenn
wir uns gegen alle Möglichkeiten sichern —
Frau Alving. Nun, das sollte ich
auch denken.
Pastor Manders. — aber wie verhält
es sich mit der Stimmung des Volkes hier in der Gegend? Diese müssen
Sie ja besser kennen als ich.
Frau Alving. Hm — die Stimmung —
Pastor Manders. Giebt es hier eine
beträchtliche Anzahl von Meinungsberechtigten — von wirklich
Meinungsberechtigten, die Anstoß daran nehmen könnten?
Frau Alving. Ja, was verstehen Sie
denn eigentlich unter wirklich Meinungsberechtigten?
Pastor Manders. Nun, ich denke in
erster Reihe an Männer, die so weit in unabhängiger und
einflußreicher Stellung sind, daß man nicht gut unterlassen kann,
ihrer Meinung ein gewisses Gewicht beizulegen.
Frau Alving. Deren giebt es hier
Mehrere, die sich vielleicht daran stoßen könnten, wenn — —
Pastor Manders. Nun, sehen Sie nur!
In der Stadt haben wir eine ganze Menge von dieser Sorte. Denken Sie
nur an all die Anhänger meines Amtsbruders! Man könnte wirklich
leicht dahin kommen es so aufzufassen, als wenn weder Sie, verehrte
Frau, noch ich das rechte Vertrauen auf eine Vorsehung hätten.
Frau Alving. Aber was Sie
anbetrifft, lieber Herr Pastor, so wissen Sie doch für alle Fälle
selbst, daß — —
Pastor Manders. Ja, ich weiß, ich
weiß; — ich habe meine gute Ueberzeugung, das ist wahr. Aber
trotzdem würden wir eine falsche und unvortheilhafte Auslegung nicht
hindern können. Und diese könnte wieder sehr leicht einen hemmenden
Einfluß auf die Thätigkeit des Asyls üben.
Frau Alving. Nun, wenn das der Fall
wäre, so — —
Pastor Manders. Und ich kann mich
auch nicht gänzlich der unangenehmen, — ja, ich kann sogar sagen
peinlichen Stellung verschließen, in welche ich möglicherweise
kommen könnte. In den leitenden Kreisen der Stadt beschäftigt man
sich viel mit dieser Asyl-Angelegenheit. Das Asyl ist ja auch
theilweise zum Nutzen der Stadt errichtet, und hoffentlich wird es in
nicht unbeträchtlichem Maße dazu dienen, unsere kommunalen
Armen-Lasten zu erleichtern. Da ich nun aber Ihr Rathgeber gewesen
bin und den geschäftlichen Theil der Sache geführt habe, so muß
ich befürchten, daß die Eifersüchtigen und Neider sich zuerst
gegen mich wenden würden.
Frau Alving. Ja, dem sollen Sie sich
nicht aussetzen.
Pastor Manders. Gar nicht zu reden
von den Angriffen, welche gewisse Blätter und Zeitschriften
unzweifelhaft gegen mich richten würden —
Frau Alving. Genug, lieber Pastor
Manders; diese Rücksichten sind entscheidend.
Pastor Manders. Sie wollen also
nicht, daß wir versichern?
Frau Alving. Nein, lassen wir es.
Pastor Manders (lehnt sich im Stuhl
zurück). Aber wenn nun doch einmal das Unglück hereinbräche? Man
kann ja niemals wissen — —. Würden Sie dann den Schaden wieder
gut machen können?
Frau Alving. Nein. Das sage ich
Ihnen grade heraus. Das könnte ich nicht.
Pastor Manders. Ja, aber wissen Sie,
Frau Alving, — dann ist es eigentlich eine bedenkliche
Verantwortung, die wir auf uns laden.
Frau Alving. Aber meinen Sie denn,
daß wir anders können?
Pastor Manders. Nein, das ist grade
die Sache; wir können eigentlich nicht anders. Wir dürfen uns doch
nicht einer schiefen Beurtheilung aussetzen; und wir dürfen auch
durchaus in der Gemeinde kein Aergernis geben.
Frau Alving. Sie, als Priester,
gewiß nicht.
Pastor Manders. Und mich dünkt doch
auch wirklich, wir dürfen darauf bauen, daß das Glück einer
solchen Anstalt hold ist, — ja, daß sie unter einem besondern
Schutz und Schirm steht.
Frau Alving. Hoffen wir es, Pastor
Manders.
Pastor Manders. Wollen wir die Sache
also auf sich beruhen lassen?
Frau Alving. Ja, gewiß.
Pastor Manders. Gut. Wie Sie wollen.
(Notirt.) Also — nicht versichern.
Frau Alving. Es ist übrigens
seltsam, daß Sie grade heute über diese Angelegenheit sprachen —
—
Pastor Manders. Ich beabsichtigte
schon oft, Sie darüber zu befragen —
Frau Alving. — denn gestern hätten
wir drüben beinahe eine Feuersbrunst gehabt.
Pastor Manders. Ist das möglich!
Frau Alving. Es hatte übrigens
nichts auf sich. Einige Hobelspäne in der Tischlerwerkstätte waren
in Brand gerathen.
Pastor Manders. Dort, wo Engstrand
arbeitet?
Frau Alving. Ja. Die Leute sagen,
daß er oft so unvorsichtig mit den Zündhölzern umgeht.
Pastor Manders. Der Mann hat so
viele Dinge in seinem Kopf, — — so viele Anfechtungen. Gott sei
Dank, wie ich höre, befleißigt er sich jetzt indessen, ein
tadelloses Leben zu führen.
Frau Alving. So? Wer sagt das?
Pastor Manders. Er selbst hat mich
das versichert. Und ein geschickter Arbeiter ist er ja auch.
Frau Alving. O ja, so lange er
nüchtern ist —
Pastor Manders. Ja, diese
unglückselige Schwäche! Aber er sagt, daß er zuweilen seines
kranken Beines wegen trinken muß. Als er das letzte Mal bei mir in
der Stadt war, hat er mich wirklich tief gerührt. Er kam zu mir, um
mir für die Arbeit zu danken, die ich ihm hier verschafft hatte,
weil es ihm nun doch möglich gemacht war, mit Regine zusammen zu
sein.
Frau Alving. Er sieht sie aber doch
nur sehr selten.
Pastor Manders. Nein, er sieht sie
täglich; er hat es mir ja selbst gesagt.
Frau Alving. Nun, nun, es kann ja
sein!
Pastor Manders. Er fühlt sehr wohl,
daß er jemanden braucht, der ihn zurückhält, wenn die Versuchung
an ihn herantritt. Das ist das Liebenswürdige an Jacob Engstrand,
daß er selbst so hilflos daher kommt und sich anklagt und seine
Schwäche bekennt. Als er das letzte Mal bei mir war und mir erzählte
— — — Hören Sie, Frau Alving, wenn es für ihn eine
Herzensbefriedigung wäre, Regine wieder bei sich zu Hause zu haben —
Frau Alving (erhebt sich hastig).
Regine?!
Pastor Manders. — so müßten Sie
sich dem nicht widersetzen.
Frau Alving. O, dem widersetze ich
mich ganz entschieden. Und überdies, — Regine bekommt eine
Beschäftigung im Asyl.
Pastor Manders. Aber bedenken Sie,
er ist doch ihr Vater —
Frau Alving. Ja, ich weiß am
besten, was für ein Vater er ihr gewesen ist. Nein, mit meiner
Zustimmung wird sie niemals zu ihm zurückkehren.
Pastor Manders (erhebt sich). Aber
beste Frau, ereifern Sie sich nicht so. Es ist traurig, wie sehr Sie
den Tischler Engstrand verkennen. Sie waren ja förmlich erschrocken
—
Frau Alving (ruhiger). Es ist
einerlei. Ich habe Regine zu mir genommen, und bei mir bleibt sie.
(Horcht.) Still, lieber Pastor, sprechen wir nicht mehr über diesen
Gegenstand! (Ein Freudenstrahl erhellt ihr Gesicht.) Hören Sie!
Oswald ist schon auf der Treppe. Jetzt wollen wir nur an ihn denken.
(Oswald Alving, in leichtem Rock,
den Hut in der Hand, aus einer großen Meerschaumpfeife rauchend,
tritt durch die Thür links ein.)
Oswald (bleibt an der Thür stehen).
Ich bitte um Verzeihung — ich glaubte die Herrschaften seien im
Schreibzimmer. (Tritt näher.) Guten Tag, Herr Pastor.
Pastor Manders (ihn anstarrend). Ah!
— Das ist aber sonderbar —
Frau Alving. Ja, was sagen Sie zu
dem da, Pastor Manders!
Pastor Manders. Ich sage, — ich
sage —. Nein, aber ist denn das wirklich —?
Oswald. Ja, Herr Pastor, es ist
wirklich der verlorene Sohn.
Pastor Manders. Aber mein lieber,
junger Freund —
Oswald. Nun also, der heimgekehrte
Sohn.
Frau Alving. Oswald denkt an die
Zeit, als Sie so sehr dagegen waren, daß er Maler wurde.
Pastor Manders. Menschlichen Augen
mag ja mancher Schritt bedenklich scheinen, der später trotzdem —
(Schüttelt Oswalds Hand.) Nun, willkommen! willkommen! Nein, mein
lieber Oswald — Ich darf Sie doch noch bei Ihrem Vornamen nennen?
Oswald. Aber wie wollten Sie mich
denn sonst nennen?
Pastor Manders. Gut. Es war also
das, was ich Ihnen sagen wollte, — Sie dürfen nicht glauben, daß
ich den Künstlerstand unbedingt verdamme. Nein, ich nehme an, daß
es auch in diesem Stand Viele giebt, die ihren innern Menschen
unverderbt bewahren.
Oswald. Das wollen wir hoffen.
Frau Alving (strahlend glücklich).
Ich kenne Einen, der sowohl seinen innern wie seinen äußern
Menschen unverderbt bewahrt hat, sehen Sie ihn nur an, Pastor
Manders.
Oswald (geht auf und ab). Ja, ja,
liebste Mutter. Aber lassen wir das.
Pastor Manders. Nun, wahrhaftig, —
— das läßt sich nicht läugnen. Und jetzt haben Sie auch schon
angefangen, sich einen Namen zu machen. Die Zeitungen haben oft
unendlich günstig von Ihnen gesprochen. Ja, übrigens, in letzter
Zeit war nicht mehr viel von Ihnen die Rede, wie mich dünkt.
Oswald (der hinten bei den Blumen
steht). Ich habe nicht mehr so viel malen dürfen.
Frau Alving. Ein Maler muß sich
doch auch zuweilen ausruhen.
Pastor Manders. Das kann ich mir
denken. Dann bereitet man sich vor und sammelt neue Kräfte zu einem
großen Werke.
Oswald. Ja. — Mutter, speisen wir
bald?
Frau Alving. In einer kleinen halben
Stunde. Appetit hat er doch, Gott sei Dank.
Pastor Manders. Und Rauchlust auch.
Oswald. Ich fand Vaters Pfeife da
oben auf dem Zimmer und da —
Pastor Manders. Aha! Da haben wir es
also?
Frau Alving. Was?
Pastor Manders. Als Oswald ins
Zimmer trat mit der Pfeife im Munde, war mir's, als stände sein
Vater lebendig vor mir.
Oswald. Nein, wirklich?
Frau Alving. O, wie können Sie das
nur sagen! Oswald geräth doch ganz mir nach.
Pastor Manders. Ja, aber jener Zug
um die Mundwinkel, um die Lippen, erinnert so deutlich an Alving —
— besonders jetzt, wo er raucht.
Frau Alving. Durchaus gar nicht.
Mich dünkt, Oswald hat eher einen priesterlichen Zug um den Mund.
Pastor Manders. O ja, o ja; mehre
meiner Amtsbrüder haben einen ähnlichen Zug.
Frau Alving. Aber stell' die Pfeife
jetzt fort, mein lieber Junge; ich mag hier keinen Tabakrauch haben.
Oswald (thut es). Gern. Ich wollte
sie nur probiren, denn einmal als Kind habe ich daraus geraucht.
Frau Alving. Du?
Oswald. Ja. Ich war damals noch ganz
klein. Aber ich erinnere, wie ich eines Abends zu Vater ins Zimmer
kam, und er so lustig und vergnügt war.
Frau Alving. Bah, du erinnerst dich
an gar nichts aus jenen Jahren.
Oswald. Doch; ich erinnere mich ganz
deutlich, wie er mich auf sein Knie setzte und mich aus der Pfeife
rauchen ließ. »Rauche, Junge,« sagte er, »rauch tüchtig!« Und
ich rauchte aus aller Kraft, bis ich fühlte, wie ich bleich wurde
und der Schweiß mir in großen Tropfen auf der Stirn stand. Da
lachte er so herzlich —
Pastor Manders. Das war aber doch
seltsam.
Frau Alving. Mein Bester, das hat
Oswald nur geträumt.
Oswald. Nein Mutter, das hat mir
durchaus nicht geträumt. Denn — erinnerst du das nicht noch — da
kamst du und trugst mich hinüber in die Kinderstube. Dort wurde mir
übel und ich sah, daß du weintest. — — Hat Vater oft solche
Possen getrieben?
Pastor Manders. In seiner Jugend war
er ein unendlich lebenslustiger Mensch —
Oswald. Und hat doch so viel auf
dieser Welt zu Stande gebracht. So vieles, das gut und nützlich; —
und er ist doch nicht alt geworden!
Pastor Manders. Ja, mein lieber
Oswald Alving, Sie haben in der That den Namen eines thätigen und
würdigen Mannes geerbt. Nun, das wird Ihnen hoffentlich ein Sporn
sein — —
Oswald. Es sollte so sein, ja.
Pastor Manders. Auf jeden Fall war
es schön von Ihnen, daß Sie zu seinem Ehrentage nach Hause kamen.
Oswald. Weniger konnte ich für
meinen Vater doch nicht thun.
Frau Alving. Und daß ich ihn jetzt
so lange hier behalten kann, — das ist doch das Schönste von ihm.
Pastor Manders. Ja, wie ich höre,
werden Sie den ganzen Winter hindurch daheim bleiben.
Oswald. Ich bleibe für unbestimmte
Zeit hier, Herr Pastor! — Ach! es ist doch gut, wieder zu Hause zu
sein!
Frau Alving (strahlend). Ja, nicht
wahr, du?
Pastor Manders (sieht ihn
theilnehmend an). Sie sind früh in die Welt hinaus gekommen, mein
lieber Oswald.
Oswald. Das ist wahr. Zuweilen denke
ich, daß es zu früh war.
Frau Alving. O, durchaus nicht. Das
thut einem gesunden Burschen nur gut. Und besonders Einem, der
einziges Kind ist. Ein solcher soll nicht zu Hause bei Vater und
Mutter sitzen und verhätschelt werden.
Pastor Manders. Das ist eine
durchaus bestreitbare Frage, Frau Alving. Das Vaterhaus ist und
bleibt doch die rechte Zufluchtsstätte, der beste Aufenthalt für
ein Kind.
Oswald. Darin muß ich dem Pastor
ganz Recht geben.
Pastor Manders. Sehen Sie nur Ihren
eigenen Sohn an. Ja, wir können ja sehr wohl in seiner Gegenwart
darüber sprechen. Welches sind die Folgen davon für ihn gewesen? Er
ist sechs- bis siebenundzwanzig Jahre alt geworden und hat noch
niemals Gelegenheit gehabt, ein ordentliches Heim kennen zu lernen.
Oswald. Um Verzeihung, Herr Pastor,
— aber da irren Sie doch.
Pastor Manders. So? — Ich glaubte,
Sie hätten ausschließlich nur in Künstlerkreisen verkehrt.
Oswald. Das ist auch der Fall
gewesen.
Pastor Manders. Und meistens doch
mit den jüngern Künstlern.
Oswald. Ja, gewiß.
Pastor Manders. Aber ich glaubte,
daß die Mehrzahl dieser Leute nicht die Mittel besäßen, eine
Familie zu gründen und ein Heim zu haben.
Oswald. Zweifelsohne giebt es viele
unter ihnen, die nicht Geld genug haben, um sich zu verheirathen.
Pastor Manders. Nun, das ist es ja,
was ich sage.
Oswald. Aber deshalb können sie
doch ein Heim haben. Und einer oder der andere hat es sogar; und ein
sehr ordentliches und behagliches Heim obendrein.
Frau Alving (horcht gespannt, nickt
zuweilen, sagt aber nichts).
Pastor Manders. Aber ich spreche ja
nicht von Junggesellenwirthschaften. Unter einem Heim verstehe ich
ein Familienheim, in welchem ein Mann mit seinem Weibe und seinen
Kindern lebt.
Oswald. Ja. Oder mit seinen Kindern
und der Mutter seiner Kinder.
Pastor Manders (stutzt; schlägt
dann die Hände zusammen). Aber du barmherziger Gott — —!
Oswald. Nun?
Pastor Manders. Zusammen leben mit —
— der Mutter seiner Kinder!
Oswald. Ja! Oder wäre es besser,
wenn er die Mutter seiner Kinder verstieße?
Pastor Manders. Sie reden also von
ungesetzlichen Verhältnissen! Von diesen sogenannten wilden Ehen?!
Oswald. Mir ist niemals etwas
besonders Wildes in dem Zusammenleben dieser Leute aufgefallen.
Pastor Manders. Aber wie ist es nur
möglich, daß ein — ein einigermaßen wohlerzogener Mann oder ein
junges Weib sich dazu verstehen kann in dieser Weise zu leben — so
vor den Augen aller Welt!
Oswald. Aber was sollen sie thun?
Ein armer, junger Künstler, — ein armes, junges Mädchen —. Es
kostet viel Geld, wenn man sich verheirathen will. Was sollen sie
denn thun?
Pastor Manders. Was sie thun sollen?
Ja, Herr Alving, ich werde Ihnen sagen, was sie thun sollen. Sie
sollten sich von Anfang an fern geblieben sein, — das sollten sie.
Oswald. Mit solchen Reden werden Sie
bei jungen, heißblütigen, verliebten Menschen nicht weit kommen.
Frau Alving. Nein, damit kommen Sie
nicht weit!
Pastor Manders. Und daß die
Behörden dergleichen dulden! Daß dergleichen ganz offenkundig
geschehen darf! (Stellt sich vor Frau Alving.) Nun, hatte ich nicht
Ursache, um Ihren Sohn besorgt zu sein? In Kreisen, wo die
unverhüllte Unsittlichkeit geduldet wird und sich gleichsam ein
Recht erworben hat — —
Oswald. Ich will Ihnen etwas sagen,
Herr Pastor. Ich bin ein steter Sonntagsgast an einem paar solcher
unregelmäßiger Familienherde gewesen — —
Pastor Manders. Und das noch dazu am
Sonntag!
Oswald. Ja gewiß, das ist ja der
Tag an dem man sich amüsiren soll. Aber niemals habe ich dort ein
anstößiges Wort gehört, und noch weniger war ich Zeuge von irgend
etwas, das man unsittlich nennen könnte. Nein; wissen Sie, wann und
wo ich die Unsittlichkeit in Künstlerkreisen getroffen habe?
Pastor Manders. Nein, Gott Lob, das
weiß ich nicht!
Oswald. Nun, so werde ich mir
erlauben, es Ihnen zu sagen. Ich habe sie getroffen, wenn einer oder
der andere unserer mustergiltigen Ehemänner und Familienväter
hinunter gekommen ist, um sich dort so ein wenig auf eigene Hand
umzusehen — und dann den Künstlern die Ehre anthat, sie in ihren
bescheidenen Kneipen aufzusuchen. Da konnten wir etwas lernen! Die
Herren wußten uns über Dinge und Oertlichkeiten zu erzählen, von
denen wir uns niemals hatten träumen lassen.
Pastor Manders. Was? Wollen Sie
wirklich behaupten, daß Ehrenmänner von hier zu Hause da draußen —
—?
Oswald. Haben Sie denn niemals
gehört, wie diese Ehrenmänner bei ihrer Heimkehr sich über die
zunehmende Unsittlichkeit im Auslande ausgesprochen haben?
Pastor Manders. Ja, natürlich —
Frau Alving. Das habe auch ich
gehört.
Oswald. Ja, man kann ihnen getrost
aufs Wort glauben. Sie sind zuweilen sachkundige Leute! (Greift sich
an den Kopf.) O — daß das schöne, das herrliche Freiheitsleben da
draußen, — daß es so besudelt werden muß!
Frau Alving. Du darfst dich nicht
ereifern, Oswald; es schadet dir.
Oswald. Du hast Recht, Mutter. Es
schadet mir. Siehst du, es ist diese verdammte Müdigkeit. Ich will
noch einen kleinen Spaziergang vor dem Mittagsessen machen. Verzeihen
Sie, Herr Pastor; Sie können sich nicht hinein denken; aber es
überwältigte mich wieder einmal. (Ab durch die zweite Thür
rechts.)
Frau Alving. Mein armer Junge —!
Pastor Manders. Ja, Sie haben
Ursache, das zu sagen! So weit ist es also mit ihm gekommen!
Frau Alving (sieht ihn an und
schweigt).
Pastor Manders (auf und abgehend).
Er nannte sich den verlorenen Sohn. Ja, leider, — leider!
Frau Alving (sieht ihn immer noch
an).
Pastor Manders. Und was sagen Sie zu
all dem?
Frau Alving. Ich sage, daß Oswald
mit jedem Worte Recht hatte.
Pastor Manders (hält inne). Recht?
Recht! Mit solchen Grundsätzen!
Frau Alving. Hier in meiner
Einsamkeit bin ich dahin gekommen eben so zu denken, Herr Pastor.
Aber ich habe mich niemals erkühnt, daran zu rühren. Nun wohl; mein
Sohn soll für mich sprechen.
Pastor Manders. Sie sind ein
beklagenswerthes Weib, Frau Alving. Aber jetzt muß ich ein ernstes
Wort mit Ihnen reden. Jetzt ist es nicht mehr Ihr Geschäftsführer
und Rathgeber, Ihr und Ihres verstorbenen Mannes Jugendfreund, der
vor Ihnen steht. Es ist der Priester! So wie er in dem schwersten
Augenblick Ihres Lebens vor Ihnen stand.
Frau Alving. Und was ist es, das der
Priester mir zu sagen hat?
Pastor Manders. Ich muß zuerst an
Ihrer Erinnerung rütteln, Frau Alving. Der Augenblick ist gut
gewählt. Morgen ist der zehnte Todestag Ihres Gatten; morgen soll
das Ehrendenkmal des Verstorbenen enthüllt werden; morgen soll ich
zu der ganzen Schaar der Versammelten reden; — aber heute will ich
mit Ihnen allein sprechen.
Frau Alving. Gut, Herr Pastor;
sprechen Sie!
Pastor Manders. Erinnern Sie sich,
daß Sie nach kaum einjähriger Ehe am äußersten Rande des Abgrunds
standen? Daß Sie Ihr Haus und Ihr Heim verließen — daß Sie Ihrem
Manne entflohen; — ja, Frau Alving, flohen, flohen, und sich
weigerten, zu ihm zurückzukehren, wie sehr er auch bat und flehte?
Frau Alving. Haben Sie vergessen,
wie grenzenlos unglücklich ich während dieses ersten Jahres war?
Pastor Manders. Das ist grade der
rechte Geist des Aufruhrs, der immer das Glück hier im Leben
erstrebt. Welches Recht haben wir Menschen denn ans Glück? Nein, wir
sollen unsere Pflicht thun, Frau Alving! Und Ihre Pflicht war es,
fest zu dem Manne zu halten, den Sie einmal gewählt hatten und an
den Sie durch ein heiliges Band geknüpft waren.
Frau Alving. Sie wissen sehr wohl,
welches Leben Alving in jener Zeit führte, welcher Ausschweifungen
er sich schuldig machte.
Pastor Manders. Ich weiß leider,
welche Gerüchte über ihn gingen; und ich bin der letzte, der seinen
Lebenswandel während der Jugendjahre billigt. Aber die Gattin ist
nicht zum Richter über ihren Gatten gesetzt. Es wäre Ihre
Schuldigkeit gewesen, mit demüthigem Sinn das Kreuz zu tragen,
welches ein höherer Wille Ihnen auferlegt hatte. Aber statt dessen
werfen Sie in Empörung dieses Kreuz von sich, verlassen den
Strauchelnden, den Sie hätten stützen sollen, gehen hin und setzen
Ihren guten Namen und Ihren Ruf aufs Spiel, und — — sind nahe
daran, den Ruf anderer obendrein zu verscherzen.
Frau Alving. Anderer? Sie meinen
doch nur eines anderen.
Pastor Manders. Es war äußerst
rücksichtslos von Ihnen, bei mir Zuflucht zu suchen.
Frau Alving. Bei unserem Priester? —
Bei unserem Hausfreund?
Pastor Manders. Grade deshalb. —
Ja, danken Sie Ihrem Herrn und Gott, daß ich die nöthige Festigkeit
besaß, — daß ich Sie von Ihrem überspannten Vorhaben abbrachte
und daß es mir vergönnt war, Sie auf den Weg der Pflicht
zurückzuführen, in Ihr Heim — zu Ihrem rechtmäßigen Gatten.
Frau Alving. Ja, Pastor Manders, das
war allerdings Ihr Werk!
Pastor Manders. Ich war nur ein
bescheidenes Werkzeug in der Hand des Höchsten. Und ist es nicht zum
größten Segen für all Ihre übrigen Lebenstage geworden, daß es
mir gelang, Sie unter das Joch der Pflicht und des Gehorsams zu
beugen? Ist es nicht gekommen, wie ich Ihnen vorher sagte? Ließ
Alving nicht von seinen Verirrungen ab, so wie es einem Manne
gebührt? Verlebte er nicht seit jener Zeit all seine Tage in Liebe
und ohne Vorwurf mit Ihnen? Wurde er nicht zum Wohlthäter der ganzen
Gegend, und hob er Sie nicht dergestalt zu sich empor, daß Sie ein
Mitarbeiter an all seinen Unternehmungen wurden? Und dazu ein
tüchtiger Mitarbeiter; — o, ich weiß das, Frau Alving; den Ruhm
werde ich Ihnen lassen. — Aber jetzt komme ich zu dem zweiten
großen Fehltritt in Ihrem Leben.
Frau Alving. Was wollen Sie damit
sagen?
Pastor Manders. Und so wie Sie
dereinst die Pflichten der Gattin verläugnet haben, so verläugneten
Sie seitdem die Pflichten der Mutter.
Frau Alving. Ah —!
Pastor Manders. Ein
unheilschwangerer Geist des Eigenwillens hat Sie während Ihres
ganzen Lebens geleitet. Ihr ganzes Sinnen und Trachten ist dem
Zwanglosen, dem Ungesetzlichen zugewendet gewesen. Niemals haben Sie
irgend einen Zwang ertragen können. Alles, was Sie im Leben beengt
und bedrückt hat, haben Sie gewissenlos und rücksichtslos wie eine
Bürde abgeworfen, über die Sie selbst Gewalt hatten. Es behagte
Ihnen nicht länger, Gattin zu sein — und Sie verließen Ihren
Gatten. Es war Ihnen beschwerlich, Mutter zu sein, und Sie schickten
Ihr Kind hinaus in die Fremde.
Frau Alving. Ja, das ist wahr; das
habe ich gethan.
Pastor Manders. Aber deshalb sind
Sie auch eine Fremde für ihn geworden.
Frau Alving. Nein, nein; das bin ich
nicht!
Pastor Manders. Das sind Sie; das
müssen Sie sein. Und wie ist er zu Ihnen zurückgekehrt! Bedenken
Sie das wohl, Frau Alving. Sie haben gegen Ihren Gatten ein
Verbrechen begangen; — das sehen Sie ein und errichten ihm deshalb
jenes Denkmal da unten. Erkennen Sie jetzt aber auch, was Sie gegen
Ihren Sohn verbrochen haben; vielleicht ist es noch Zeit, ihn von dem
Wege der Verirrung zurück zu führen. Kehren Sie selbst um; und
richten Sie in ihm auf, was vielleicht noch aufzurichten ist. Denn
(mit erhobenem Zeigefinger) wahrlich, Frau Alving, Sie sind eine
schuldbeladene Mutter! — Dies Ihnen zu sagen, habe ich für meine
Pflicht gehalten. (Langes Schweigen.)
Frau Alving (langsam und sich
beherrschend). Jetzt haben Sie gesprochen, Herr Pastor, und morgen
sollen Sie öffentlich zum Gedächtnis meines Mannes reden. Ich werde
morgen nicht sprechen; aber jetzt werde ich ein wenig mit Ihnen
reden, grade so wie Sie zu mir gesprochen haben.
Pastor Manders. Natürlich, Sie
wollen Entschuldigungen für Ihr Betragen vorbringen —
Frau Alving. Nein. Ich will nur
erzählen.
Pastor Manders. Nun —?
Frau Alving. Alles das, was Sie hier
soeben über mich und meinen Gatten und unser Zusammenleben gesagt,
nachdem Sie mich, wie Sie es nennen, auf den Weg der Pflicht
zurückgeführt hatten, — alles das sind Dinge, die Sie ja nicht
aus eigener Anschauung kennen. Denn seit jenem Augenblick setzten Sie
— unser Freund und täglicher Gast — Ihren Fuß ja nicht mehr
über unsere Schwelle.
Pastor Manders. Sie und Ihr Gatte
verließen die Stadt ja gleich darauf.
Frau Alving. Ja; und hier heraus
sind Sie bei Lebzeiten meines Mannes nicht mehr gekommen. Erst die
Geschäfte in den Angelegenheiten des Asyls zwangen Sie, mich zu
besuchen.
Pastor Manders (leise und unsicher).
Helene — soll dies ein Vorwurf sein, so muß ich Sie bitten zu
überlegen — —
Frau Alving. — die Rücksichten,
welche Sie Ihrer Stellung schuldeten; ja. Und dann war ich ja eine
entlaufene Frau! Solchen rücksichtslosen Frauenzimmern gegenüber
kann man niemals zurückhaltend genug sein.
Pastor Manders. Liebe — Frau
Alving, dies ist eine so ungeheure Uebertreibung.
Frau Alving. Ja, ja, ja, lassen wir
das. Ich wollte nur das sagen; wenn Sie über meine ehelichen
Verhältnisse urtheilen, so stützen Sie sich so ohne Weiteres auf
die allgemein verbreiteten Ansichten.
Pastor Manders. Nun ja; und was
weiter?
Frau Alving. Aber jetzt, Manders,
jetzt werde ich Ihnen die Wahrheit sagen. Ich habe mir geschworen,
daß Sie sie einmal erfahren sollten! Sie allein!
Pastor Manders. Und was ist denn die
Wahrheit?
Frau Alving. Die Wahrheit ist, daß
mein Mann eben so ruchlos starb, wie er all seine Tage gelebt hatte!
Pastor Manders (tastet nach einem
Stuhl). Was sagen Sie?
Frau Alving. Nach neunzehnjähriger
Ehe eben so ruchlos — in seinen Neigungen wenigstens — wie er
gewesen, bevor Sie uns vor dem Altar verbanden.
Pastor Manders. Und diese
Jugendverirrungen — diese Unregelmäßigkeiten, —
Ausschweifungen, wenn Sie wollen, nennen Sie ein ruchloses Leben!
Frau Alving. Unser Hausarzt
gebrauchte diesen Ausdruck.
Pastor Manders. Jetzt verstehe ich
Sie nicht.
Frau Alving. Ist auch nicht nöthig.
Pastor Manders. Mir schwindelt
beinahe. Ihre ganze Ehe, — Ihr ganzes vieljähriges Zusammenleben
mit Ihrem Gatten sollte nichts anderes gewesen sein als ein
überdeckter Abgrund!
Frau Alving. Nichts anderes! Jetzt
wissen Sie es.
Pastor Manders. Darin — darin kann
ich mich nicht zurechtfinden. Ich kann es nicht fassen! Es nicht
begreifen! Aber wie war es denn möglich, daß —? Wie hat so etwas
verborgen bleiben können?
Frau Alving. Tag für Tag ist dies
auch mein unaufhörlicher Kampf gewesen. Als wir Oswald bekamen,
schien es gleichsam etwas besser mit Alving zu werden. Aber das
dauerte nicht lange. Und nun mußte ich ja doppelt kämpfen, kämpfen
auf Leben und Tod, damit niemand erfuhr, welch ein Mensch der Vater
meines Kindes war. Und dann wissen Sie ja auch, wie herzgewinnend
Alving sein konnte. Es schien, als konnte niemand anders als gut von
ihm denken. Er war einer von jenen Menschen, dessen Ruf besser als
sein Leben. — Aber dann, Manders — auch das sollen Sie wissen, —
— dann kam das Abscheulichste von allem.
Pastor Manders. Noch abscheulicher
als dies!
Frau Alving. Ich hatte alles
ertragen, obgleich ich sehr wohl wußte, was heimlich außerhalb des
Hauses vorging. Aber als dann das Aergernis innerhalb unserer eigenen
vier Wände kam —
Pastor Manders. Was sagen Sie! Hier!
Frau Alving. Ja, in unserem eigenen
Heim. Da drinnen (zeigt auf die erste Thür rechts) im Speisezimmer
war es, wo ich zuerst die Sache entdeckte. Ich hatte dort etwas zu
thun, und die Thür stand halb geöffnet. Da hörte ich unser
Stubenmädchen mit dem Wasser für die Blumen da drüben aus dem
Garten kommen.
Pastor Manders. Nun ja —?
Frau Alving. Gleich darauf hörte
ich auch wie Alving kam. Ich vernahm, daß er leise zu ihr sprach.
Und dann hörte ich — (Mit kurzem Lachen.) Ah, es klingt mir heute
noch so herzzerreißend und lächerlich in den Ohren; — ich hörte
meine eigene Magd flüstern: »Lassen Sie mich los, Herr Kammerherr!
Lassen Sie mich in Ruhe!«
Pastor Manders. Welch
unbegreiflicher, unverzeihlicher Leichtsinn von ihm! O, mehr als
Leichtsinn ist es nicht gewesen, Frau Alving. Glauben Sie mir.
Frau Alving. Ich erfuhr dann bald,
was ich zu glauben hatte. Der Kammerherr setzte seinen Willen bei dem
Mädchen durch, — und dieses Verhältnis hatte Folgen, Pastor
Manders.
Pastor Manders (wie versteinert).
Und alles das in diesem Hause! In diesem Hause!
Frau Alving. Ich hatte viel in
diesem Hause ertragen. Um ihn des Abends zu Hause zu halten —
während der Nacht — mußte ich mich zum Genossen seiner einsamen
Gelage oben in seinem Zimmer machen. Da mußte ich allein mit ihm
sitzen, mit ihm anstoßen und trinken, auf seine sinnlosen Reden
hören, mit Anspannung all meiner Kräfte mit ihm kämpfen, um ihn
ins Bett zu schleppen —
Pastor Manders (erschüttert). Und
alles dies konnten Sie ertragen?
Frau Alving. Ich hatte meinen
kleinen Knaben, für den ich es ertrug. Aber als dann die letzte
Verhöhnung kam; als meine eigene Magd —; da schwor ich mir selbst:
dies soll ein Ende nehmen! Und da nahm ich die Gewalt im Hause —
die ganze Gewalt — sowohl über ihn, wie über alles andere. Denn
sehen Sie, jetzt hatte ich Waffen gegen ihn; er wagte nicht sich zu
wehren. Damals wurde Oswald fortgeschickt. Er ging schon in sein
siebentes Jahr und begann aufmerksam zu werden und Fragen zu stellen,
wie Kinder es zu thun pflegen. Alles das konnte ich nicht ertragen,
Manders. Mir war, als müsse das Kind Gift einsaugen, indem es nur in
diesem besudelten, entweihten Heim athmete. Deshalb schickte ich ihn
fort. Und jetzt begreifen Sie auch, weshalb er niemals einen Fuß
hierher setzen durfte, so lange sein Vater lebte. Niemand weiß, was
es mich gekostet hat.
Pastor Manders. Sie haben in
Wahrheit das Leben kennen gelernt.
Frau Alving. Und ich würde es ja
auch niemals ausgehalten haben, wenn ich meine Arbeit nicht gehabt
hätte. Ja, ich darf wohl sagen, daß ich gearbeitet habe! All diese
Vergrößerungen der Güter, alle Verbesserungen, all die nützlichen
Einrichtungen, für welche Alving Preis und Ruhm erhielt — glauben
Sie, daß er für so etwas Interesse oder Beruf hatte? Er, der den
ganzen Tag auf dem Sopha lag und in einem alten Staatskalender las?!
Nein; jetzt will ich Ihnen auch das sagen: ich war es, die ihn
aufrüttelte, wenn er seine lichten Stunden hatte; ich war es, welche
die ganze Last schleppen mußte, wenn er dann von neuem mit seinen
Ausschweifungen begann oder in Jammer und Krankheit zusammen fiel.
Pastor Manders. Und diesem Manne
errichten Sie ein Ehrendenkmal!
Frau Alving. Da sehen Sie die Macht
des bösen Gewissens.
Pastor Manders. Des bösen —? Was
meinen Sie damit?
Frau Alving. Es war mir stets, als
müsse die Wahrheit doch einmal an den Tag kommen und dann geglaubt
werden. Deshalb sollte das Asyl gleichsam alle Gerüchte
niederschlagen und alle Zweifel aus dem Wege räumen.
Pastor Manders. Und da haben Sie
gewiß Ihren Zweck erreicht, Frau Alving.
Frau Alving. Und dann hatte ich noch
einen Grund. Ich wollte nicht, daß Oswald, mein geliebter Knabe,
irgend eine Erbschaft seines Vaters antreten sollte.
Pastor Manders. Es ist also von
Alvings Vermögen, daß — —?
Frau Alving. Ja. Die Summen, welche
ich Jahr für Jahr diesem Asyl geschenkt habe, machen jenen Betrag
aus, — ich habe es ganz genau ausgerechnet — jenen Betrag,
welcher seiner Zeit Lieutenant Alving zu einer guten Partie machte.
Pastor Manders. Ich verstehe Sie —
Frau Alving. Das war die Kaufsumme
—. Ich will nicht, daß jenes Geld in Oswalds Hände übergehe.
Mein Sohn soll alles von mir empfangen.
(Oswald Alving tritt durch die
zweite Thür rechts ein; Hut und Ueberrock hat er draußen abgelegt.)
Frau Alving (ihm entgegen). Bist du
schon zurück?? Mein lieber, lieber Junge!
Oswald. Ja. Was soll man draußen in
diesem ewigen Regenwetter beginnen? Aber ich höre, daß wir zu
Tische gehen können. Das ist prächtig!
Regine (mit einem Packet aus dem
Speisezimmer). Hier ist ein Packet für die gnädige Frau. (Reicht
Frau Alving dasselbe.)
Frau Alving (mit einem Blick auf
Pastor Manders). Vermuthlich die Festgesänge für morgen.
Pastor Manders. Hm! —
Regine. Es ist auch schon servirt.
Frau Alving. Gut; wir kommen gleich;
ich will nur — (Beginnt das Packet zu öffnen.)
Regine (zu Oswald). Herr Oswald,
wünschen Sie hellen oder dunklen Portwein?
Oswald. Beides, Jungfer Engstrand.
Regine. Bien! — sehr wohl, Herr
Alving. (Geht ins Speisezimmer.)
Oswald. Ich muß ihr wohl mit dem
Entkorken helfen. (Geht ebenfalls ins Speisezimmer, dessen Thür sich
halb hinter ihm öffnet.)
Frau Alving (die das Packet geöffnet
hat). Ja, in der That; hier haben wir die Festgesänge für morgen,
Pastor Manders.
Pastor Manders (mit gefalteten
Händen). Wie ich morgen mit freudigem Sinn meine Rede halten soll,
das — —!
Frau Alving. O, Sie werden sich
schon damit abfinden!
Pastor Manders (leise, damit man ihn
im Speisezimmer nicht hört). Ja, es muß sein, denn ein Aergernis
dürfen wir doch nicht geben.
Frau Alving (leise aber fest). Nein.
Aber dann hat die lange, häßliche Komödie auch ein Ende. Von
übermorgen an wird es für mich sein, als hätte der Verstorbene
niemals in diesem Hause gelebt. Hier soll kein anderer sein als mein
Sohn und seine Mutter. (Aus dem Speisezimmer hört man den Lärm
eines fallenden Stuhls; zu gleicher Zeit ertönt:)
Regine's Stimme (scharf aber
flüsternd). Oswald, aber Oswald! Bist du närrisch? Laß mich!
Frau Alving (fährt entsetzt
zusammen). Ah! (Sie starrt wie im Wahnsinn auf die halb geöffnete
Thür. Man hört Oswald husten und ein Lied summen. Eine Flasche wird
entkorkt.)
Pastor Manders (erregt). Aber was
ist denn das! Was ist das, Frau Alving?
Frau Alving (heiser). Gespenster!
Das Paar aus dem Blumenzimmer — geht wieder um.
Pastor Manders. Was sagen Sie!
Regine —? Ist sie —?
Frau Alving. Ja. Kommen Sie. Kein
Wort —! (Sie ergreift Pastor Manders Arm und geht schwankend dem
Speisezimmer zu.)